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ALEXEJ PARIN

JELENA OBRASZOWA

EINE RUSSISCHE OPERNLEGENDE

Aus dem Russischen von Christiane Stachau

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Cover und Layout: Nikola Stevanović

Lektorat: Sigrun Müller

Hergestellt in der EU

Coverabbildung:

Jelena Obraszowa als Carmen,

Wiener Staatsoper (1978)

Alexej Parin: Jelena Obraszowa. Eine russische Opernlegende

Aus dem Russischen von Christiane Stachau

Wien: HOLLITZER Verlag, 2018

Originaltitel:

Алексей Парин. Елена Образцова. Голос и судьба.
Alexej Parin. Jelena Obraszowa: Stimme und Schicksal. (Moskau: Agraf 2009)

Übersetzt mit großzügiger Unterstützung der Elena Obraztsova Foundation Moskau unter der Leitung von Natalja Ignatenko

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Alle abgebildeten Fotos wurden freundlicherweise von der Obraztsova Foundation zur Verfügung gestellt

© HOLLITZER Verlag, Wien 2018

www.hollitzer.at

ISBN 978-3-99012-467-3

INHALT

VORWORT
Der verwegene Hang zu überraschender Verwandlung

INTERVIEWS
Jelena Obraszowa im Gespräch mit Alexej Parin

KONZERT- UND TONTRÄGER BESPRECHUNGEN
Wovon singt Jelena Obraszowa?

REPERTOIRE

DER VERWEGENE HANG ZU ÜBERRASCHENDER VERWANDLUNG

Kann man das Porträt einer Primadonna zeichnen, indem man nicht flüchtig hingeworfene Skizzen verwendet, die ein vergängliches Äußeres festhalten, sondern indem man versucht, ihr in die Seele zu schauen, als ob man das Geheimnis ihrer Persönlichkeit, ihres Schicksals und ihres Schaffens ergründen wollte?

Ein solches Abenteuer ist reizvoll, und ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass jede Beschäftigung mit der Persönlichkeit der Obraszowa unmerklich auf den schwankenden Pfad der Mystik führt. Denn in welcher Erscheinung die Obraszowa auch vor uns tritt, wir werden sofort zwei Gegensätze wahrnehmen, zwischen denen sich ihre Persönlichkeit bewegt. Da ist einmal ihr pulsierendes Temperament, ihr mit ‚brennender‘ Energetik aufgeladenes menschliches und künstlerisches Wesen – und zum anderen eine seltsame, besitzergreifende Magie, eine tief verborgene ‚Numinosität‘, die sich schwer in Worte kleiden lässt.

Ich erinnere mich, zum Beispiel, an einen Konzertabend im sogenannten Säulensaal in Moskau, als sie, begleitet von Wascha Tschatschawa, ihrem Gefährten im Geiste, Romanzen von Dargomyschski sang. Das war ein eleganter, leichter, beseelter Flirt mit den ihrer Phantasie vorschwebenden Kavalieren oder auch nur mit der Atmosphäre des Saales, in dem einst Tolstois Natascha Rostowa ihren ersten Walzer tanzte. Die Obraszowa hatte sich damit in eine geschickte, umsichtige Zauberin verwandelt. Diese sanfte, ein wenig spottlustige Zauberin genoss nicht nur das Musizieren auf dem farbenreichen Klangteppich, den Tschatschawa am Klavier ausbreitete, sie ließ vor uns auch mit zauberischer Hypnose ein lebendiges Bild eines Salons im 19. Jahrhundert entstehen, in dem die atemberaubende und uns nur kurz beehrende Diva herrscht, die gnädig die Verehrung ihres Publikums entgegennimmt. Ihr Kleid raschelte seidig, ihre Stimme lockte bezaubernd, und die verführerische Kraft der Armida, der Herrin der schönen Gärten, hielt das Publikum mit unsichtbaren Fesseln gefangen.

Ebenso in Erinnerung geblieben ist mir, wie sie als Amneris in der Aida-Inszenierung des Bolschoi Theaters zum ersten Mal auf der Bühne erscheint. Das Bühnenbild war während des ersten Aktes sehr sparsam. Aus der Tiefe der Kulissen strebt zügigen Schrittes jene junge Frau heran. Gebieterisch fliegt ihr rechter Arm voraus – und schon ist der große, goldstrotzende Theatersaal nur noch ein Rahmen für die Primadonna, der Ort einer unerklärlichen, heiligen Handlung. Zum wiederholten Mal verblüffte die Fähigkeit der Obraszowa, sich den Raum anzueignen, die künstlerische Umgebung vergessen zu lassen. Nicht jede Königin wird ihrem rituellen Platz gerecht – dafür fühlt sich jede Diva, der die Kraft der Magie nicht fremd ist, ungebunden und frei im Visier tausender Augen, sie akkumuliert quasi die Energie des Publikums in der Tiefe ihrer Seele und verändert mit ihrer Hilfe die wahrnehmbare Welt.

Wo die Grenzen dieser wahrnehmbaren Welt in diesem Moment liegen, ist nicht so wichtig. Wenn es für die Obraszowa keine große Mühe war, den Raum des Bolschoi Theaters (das übrigens für sie wie ein Zuhause war) im Sturm zu erobern, welche Herausforderung stellte dann der Kleine Saal des Konservatoriums an sie? Hier trat der gegenteilige Effekt ein: Wenn sie das Bolschoi Theater vor uns bis ins Weltall öffnen konnte, so ließ sie den Saal im Konservatorium auf eine kleine, enge Bar zusammenschrumpfen. Wascha Tschatschawa ließ am Klavier varietéhafte Klänge hören, und sie flüsterte uns ins Ohr, knurrte wie ein Raubtier und sang die Songs von Kurt Weill so verführerisch, dass uns manchmal die Röte ins Gesicht stieg. Diese besondere Intimität und grenzenlose Offenheit schienen uns fast unanständig und unzulässig erregend. Die Obraszowa nahm uns die Fähigkeit, uns von der Welt abzugrenzen. Ihre verrückte Hexerei war für uns wie ein böser Scherz. Wir begannen die Gefährlichkeit dieser „Spiele in einer Sommernacht“ zu begreifen – aber erst, nachdem draußen der böse Zauber von uns gewichen war.

Diese Unbekümmertheit und diese Lust, die normalen Grenzen zu überschreiten, hatten etwas Mythisches. Plötzlich vereinigte sich die geläuterte Jelena Obraszowa mit der legendären, aber uns wohlbekannten historischen Heldin: der schottischen Königin Maria Stuart, mit ihrem alles erobernden, hypnotisierenden Charme, mit ihrer überraschend liebenswürdigen Ausstrahlung und ihrer Bereitschaft für dramatische Schicksalswenden. Ich sage „uns wohl bekannt“. In Schillers Tragödie (und in Donizettis Oper) ist es eine romantische Heldin, die fähig ist, einen leidenschaftlichen Jüngling um den Verstand zu bringen, den berechnenden Intriganten in die Schranken zu weisen und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, weil das Gefühl für die eigene Würde nichts Anderes zulässt. Bei Stefan Zweig sind es die ungeschminkte, zügellose Kühnheit und der abenteuerliche Leichtsinn der Königin, die mit allen Feinheiten und Launen des französischen Königshofs, an dem sie aufgewachsen ist, eng vertraut ist. Das Stück von Wolfgang Hildesheimer Mary zeigt eine Königin, die aus dunkler Mutlosigkeit kurz vor ihrer Hinrichtung wie ein Phönix aus der Asche steigt und alle ringsherum mit ihrer großen Persönlichkeit überstrahlt.

Wann wurde die Obraszowa jene mythische Persönlichkeit, die den Charakter großer historischer Figuren zu erspüren schien? Ich erinnere mich an meinen ersten Eindruck von der jungen Obraszowa in der Rolle der Ljubascha in der Oper Die Zarenbraut von Rimski-Korsakow. Er war eher enttäuschend: eine mächtige Stimme, Konzentration auf den Klang, steif nach vorn ausgestreckte Hände, ein starrer Körper. Wie konnte daraus diese quicklebendige, lachende, graziöse Carmen im ersten Akt werden, deren Kostüm – kurz, einfach, erbsengrün – auf einer Ausstellung der Kostümbildner des Bolschoi Theaters als Provokation zwischen all dem Samt und den Spitzen erschien? Wie konnte eine schwermütig klagende Marfa aus Chowanschtschina geboren werden, deren Zaubereien, Beschwörungen und Gebete sie selbst und das Publikum in Trance versetzten? Wo kam jene Azucena in der Aufzeichnung mit Karajan (1977) her, die das Bewusstsein ihrer Umgebung nicht nur mit ihrer elektrisierenden Stimme, sondern auch mit dem Mittel der höchsten künstlerischen Freiheit manipulierte? Wo liegen die Wurzeln der ausgelassenen, großzügig-zerstörerischen, durch die Musik in Rage versetzten Prinzessin Eboli aus Don Carlo in der Aufführung der Scala, unter der Leitung von Claudio Abbado, (1977) – jener Eboli, die sich noch heute in der Videoaufnahme wie ein Wirbelsturm auf uns stürzt und uns in einen Feuertrichter hineinreißt?

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Jelena Obraszowa als Carmen. Metropolitan Opera (1970er-Jahre)

In der Künstlerin Obraszowa reifte und verfeinerte sich mit der Zeit jener Aristokratismus, der heute als ihr wichtigstes künstlerisches Markenzeichen gilt. Ihre Hinwendung zum Französischen und zu französischen Rollen bestimmten wesentlich ihre Entwicklung (wie der französische Hof im Fall der Maria Stuart). Das innere „Ich“ der Obraszowa findet sich zwischen zwei Polen. In ihrer Dalila (Aufzeichnung mit Daniel Barenboim, 1979) bringt sie das Fatale durch outrierte ‚Eigentümlichkeit‘, fast Brutalität zum Ausdruck. Die tiefen Töne weisen beinah zu direkt auf den moralischen Abgrund hin, Paris zeigt sich uns als Stadt niedriger Lüste. In ihrer Charlotte (Werther, Aufzeichnung mit Georges Prêtre, 1976) offenbart sich die „Macht des Schicksals“ durch feinste lyrische Nuancen, zarte Salonmanieren, aristokratische Capricen – die Heldin ist keine strenge Lotte wie bei Goethe, sondern eine launenhafte Pariserin – die Blutsschwester der legendären Marie Duplessis, der „Kameliendame“.

Man ist geneigt, die weitgefächerte internationale Karriere der Obraszowa als Folge ihres liebenswürdigen, selbstlosen, spontanen, fast unbesonnenen Charakters, und ihrer Abhängigkeit von sich wichtigmachenden und berechnenden Leuten zu sehen. Ich habe nicht vor, mich mit dem Privatleben der Sängerin zu befassen, für mich ist nur wichtig, dass die Ausstrahlung der Obraszowa für das sie verehrende Publikum ein wenig der Aura der legendären schottischen Königin ähnelte.

Im oberen Register war die Stimme der Obraszowa engelhaft rein, jungmädchenhaft frisch, voller Aufrichtigkeit und Lyrik. Im mittleren Register ging es um irdische Dramen, gefährliche Strömungen, seelischen Kummer und geistiges Umherirren. Das niedrige Register war zuständig für das Geheimnis, die Dunkelheit, die Magie, aber auch für manch helles lyrisches Licht – nachdem die Seele in einen tiefen Brunnen getaucht ist. In ihren besten Jahren konnte die Obraszowa alle drei Register zu einem untrennbaren Ganzen vereinen, und man hörte jedes Register in den anderen beiden mit. Aber es gab auch Partien in ihrem Repertoire, in denen sie nur die Hälfte (wenn nicht nur ein Drittel) ihrer Stimme einsetzte – zum Beispiel in der Rolle der Adalgisa in Bellinis Norma oder der Kontschakowna in Fürst Igor von Borodin. Das war keine Frage des adäquaten Castings, aber den Zuhörern entging der Genuss, diese große Stimme mit all ihrem Zauber zu erleben.

Betrachtet man das Phänomen Obraszowa, wird deutlich, dass sie zu einer ganz bestimmten Schicht der russischen Kulturschaffenden gehörte. Sie wurde in Leningrad geboren und war mit all ihren Charakterzügen ein Kind des ‚Petersburger Mythos‘, denn die nördliche Hauptstadt war der Nährboden auf dem sich ihr Talent entfalten konnte. In Petersburg hat die verblüffende ‚Europäischheit‘ der Obraszowa ihre Wurzeln. Genauso wie ihre Fähigkeit, Stilfragen leicht zu lösen – gestern beim Vortrag von Schumann-Liedern, heute bei Couplets von Zeller, morgen bei einer Tonadilla von Granados und übermorgen bei Songs von Weill. Auch ihre Begabung für das tragische Fach hat ihren Ursprung in Petersburg: Die verschlossene und strenge Marfa aus Mussorgskis Chowanschtschina, die das Zerbrechen des nationalen Charakters vorauszuahnen scheint, zeigt in der Interpretation der Obraszowa die dunkle, aber mit Gott verbundene ‚Seele Petersburgs‘. Die Gräfin aus Tschaikowskys Pique Dame, zerbrechlich und gleichzeitig unbeugsam, wird in der Darstellung Obraszowas selbst zum Symbol Petersburgs und all seiner verstörend-raffinierten Schönheit.

Die Obraszowa, in welcher Rolle auch immer, hörte nicht auf, ihr Publikum zu überraschen. Sie sang in ihren reifen Jahren die Achrossimowa in Krieg und Frieden an der Pariser Oper – und der nicht zu Übertreibungen neigende, launische Experte für Vokalmusik und Chefredakteur der Zeitschrift Opéra international, Sergio Segalini, gab einem Interview mit ihr die Überschrift „Die letzte Königin der russischen Oper“. Sie sang die Babulenka in der Scala und in der Metropolitan Opera, und die Presse feierte sie nicht für frühere Triumphe, sondern wegen ihrer mythischen Ausstrahlung. In der Aufführung des Boulevardstücks Antonio von Elba in der Inszenierung des in Bravourstücken unerschöpflichen Roman Wiktjuk pöbelte sie herum, lachte schallend, randalierte wie ein Rowdy, machte sich über sich selber spielerisch lustig und hüllte sich genießerisch in den Pelz der in die Jahre gekommenen Primadonna. Ihr innerer Aristokratismus schützte sie vor den Boulevard-Niederungen des Stückes. Sie wiederholte quasi in umgekehrter Richtung das Pariser Experiment ihrer Dalila, indem sie sich in die Stadt seichter Genüsse begab, ohne ihre bis zum Ellenbogen reichenden weißen Handschuhe auszuziehen.

Während eines Konzerts im Bolschoi Theater spielte Jelena Obraszowa die Schlussszene aus Carmen vor den Kulissen einer Petersburger Stadtansicht aus Pique Dame, dem Torgitter im Sommergarten, im Hintergrund die Newa. Die Künstlerin scheute sich nicht, übermütig alle wichtigen Merkmale ihrer Natur auf einen mythologischen Haufen zu werfen: den Aristokratismus französischer Prägung, die Petersburger Grabesgeheimnisse und die Petersburger Größe, die fragile Abhängigkeit von den Umständen oder von einem konkreten unheilbringenden Menschen. Die Heldin Obraszowas – oder die Obraszowa selbst? – wand sich zwischen den finsteren Verwünschungen des José und dem verführerischen Licht der Newa, als kämpfe sie gegen die unbesiegbare „Macht des Schicksals“. Ihr verwegener Hang zu überraschender Verwandlung hatte sich Bahn gebrochen und führte sie in eine Sackgasse. Aber aus dieser Sackgasse gab es einen ganz einfachen Ausweg: Carmen schrie ihr „Tiens!“, warf den Ring dem ihr überdrüssig gewordenen jungen Mann ins Gesicht, bekam einen eingebildeten Hieb mit dem Dolch ab und starb – und stand siegreich unter ohrenbetäubendem Applaus wieder auf.

Der Ruhm Jelena Obraszowas lebt nach ihrem Tod in Russland und in der ganzen Welt weiter. Es gibt den Jelena-Obraszowa-Wettbewerb in St. Petersburg, an der Obraszowa-Gesangsschule wird unterrichtet, es kommen bisher unbekannte Aufnahmen auf den Markt. Und das Publikum, die Sänger und die Kritiker wissen: Die Legende Obraszowa ist keine leere Legende, sondern sie ist von solcher Substanz, die es erlaubt, tiefer in die Grundlagen der Vokalkunst einzudringen.

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Jelena Obraszowa (1970er-Jahre)

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Jelena Obraszowa während eines Interviews (1980er-Jahre)

INTERVIEWS

JELENA OBRASZOWA IM GESPRÄCH MIT ALEXEJ PARIN

Als sich Jelena Obraszowa einverstanden erklärte, für mein geplantes Buch einige Interviews mit ihr zu führen, bestand zwischen uns bereits eine vertrauensvolle Beziehung. So konnte ich die Gespräche mit ihr auf ihrer Datscha führen. Wir setzten uns in Sesseln in den Schatten der Bäume auf der kleinen Wiese vor dem Haus und sprachen jeweils anderthalb bis zwei Stunden miteinander. Dabei hat Jelena Obraszowa mir buchstäblich ihr Herz geöffnet und viele Details ihres Künstlerlebens vor mir ausgebreitet. Oft ging sie vom Sie auf das Du über, was ihre völlige Offenheit mir gegenüber zeigte.

Später, als die Gespräche niedergeschrieben waren, war sie selbst erstaunt, wie offen sie mit mir gesprochen hatte. Sie hatte Bedenken, dass viele erwähnte Einzelheiten ihre Kollegen und Freunde verletzen könnten. Sie bat mich, die Interviews noch einmal zu überarbeiten, und sie erschienen deshalb in meinem russischsprachigen Buch (Alexej Parin: Jelena Obraszowa – Stimme und Schicksal, Moskau, 2009) in verkürzter Form. Sie gab mir aber die Erlaubnis, sie ungekürzt zu veröffentlichen, wenn sie nicht mehr am Leben wäre.

Für dieses Buch wurden die Interviews neu transkribiert und nur ganz unwesentliche Kürzungen vorgenommen, sodass der Text vollständig vorliegt und auf Deutsch eher erscheint als auf Russisch (das neue russische Buch wird voraussichtlich 2019 vorliegen).

„WERDE MIR BLOSS KEINE PRIMADONNA …“

Meine allererste Frage. Wir alle kennen „die Obraszowa“. Das ist ein Begriff in der russischen Kultur. Aber es gibt auch Jelena Obraszowa selbst – den lebendigen Menschen. Wie nimmt dieser lebendige Mensch diesen Begriff „die Obraszowa“ wahr? Hat er sich längst daran gewöhnt oder schaut er von der Seite her auf „die Obraszowa“? Wie blickt er von innen auf sie? Was bedeutet „die Obraszowa“, die für uns existiert, für den Menschen Obraszowa?

Bei mir ist das absolut getrennt: Die Obraszowa, die auf der Bühne spielt und singt und die ganz normale Frau. Übrigens sehr sympathisch, kann ich Ihnen sagen. (lacht)

Oh, das wissen wir. Alle, die mit Ihnen zu tun hatten, wissen das.

Ich erinnere mich, als ich zu singen begann, war mein Vater absolut dagegen, dass ich mich mit Gesang beschäftige. Er sagte immer, wenn man Sängerin werden will, dann nur „die Nummer eins, aber aus dir wird nicht mal ein vernünftiger Hausmeister“.

Das glaubte er?

Ja. Und man hat mich in der Familie ohnehin terrorisiert – und gesagt, dass das alles zu nichts führt. Nur meine Mutter hat mich immer unterstützt, und ihre Worte haben mir geholfen, wenn sie sagte: „Ljalenka (so wurde ich in der Familie genannt), es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Warum solltest du schlechter sein als andere?“

Wie alt waren sie damals?

Ich war noch ein ganz junges Mädchen – fünfzehn war ich. Und ich bin damals trotz allem aufs Konservatorium gegangen, ohne es dem Vater zu sagen, er hat ein ganzes Jahr nicht mit mir gesprochen, er hielt das alles für Unfug und so weiter …

Was wollte er denn, womit Sie sich beschäftigen sollten?

Er wollte, dass ich am Institut für Radiotechnik studiere, ich sollte sogar Ingenieur werden. Aber als ich vom Festival in Helsinki zurückkam, wo ich meine erste Goldmedaille bekommen hatte, da erwartete mich zuhause ein Plakat, das er selbst gemalt hatte. Darauf stand: „Sei gegrüßt, Preisträgerin!“ Das zeigte mir, dass nun alles in Ordnung und er zufrieden war. Aber mein Vater hat mir auch immer gesagt: „Werde mir bloß keine Primadonna, das sind alles dumme Gänse.“ (lacht laut) Daran habe ich oft gedacht in meinem Leben. Er war ein sehr kluger Mensch, sehr begabt. Und in seinem Beruf auch – er war Konstrukteur im Schwermaschinenbau, er baute Turbinen. Im Werk schätzte man ihn sehr (er arbeitete im Leninwerk in Leningrad). Er war immer die Seele seines Kollegenkreises: Er liebte Anekdoten, spielte ausgezeichnet Geige (zuhause habe ich seine zwei Geigen), und er sang bemerkenswert gut. Er hatte einen phänomenalen Bariton, wie auch sein Bruder, mein Onkel. Wenn wir zusammenkamen, spielte irgendjemand auf dem Klavier, Papa auf der Geige und dazu sang er. Und ich glaube, wenn diese zwei Obraszow-Brüder ihre Stimmen ausgebildet hätten, wären sie hervorragende Sänger geworden, ihre Baritone waren einfach umwerfend. Wenn mein Vater anfing zu singen, zitterte der Kristalllüster. Aber professionell hat niemand in der Familie gesungen. Sehr gut sang auch meine Großmutter – im Kirchenchor. Auch meine Mutter hatte eine bemerkenswerte Stimme, aber als sie ihr Technikum für Autostraßenbau beendet hatte, fuhr sie nach Archangelsk und die jungen Mädchen veranstalteten einen Wettstreit, wer am längsten im Schnee stehen konnte. Mama siegte natürlich, aber mit dem Singen war es vorbei. Also mein Vater hat mich gelehrt, immer bescheiden zu sein und die Grenzen meiner Fähigkeiten zu sehen, und was die Leute reden … Im Übrigen hat er mich sehr richtig erzogen.

Und das, was mit einem im wirklichen Leben vor sich geht?

Richtig. Das ist etwas absolut Anderes. Als meine Mutter zu meinen Konzerten kam (sie vergötterte mich, genauso wie ich sie) fragte ich sie: „Freust du Dich eigentlich, dass Deine Tochter auf der Bühne steht und singt?“ Sie antwortete mir: „Weißt Du, ich höre Dich als Sängerin und verbinde die beiden Begriffe Tochter und Sängerin nicht im Geringsten miteinander.“ Also in der Beziehung ist bei uns alles in Ordnung gewesen, und ich hatte niemals Flausen im Kopf. (lacht)

Gut. Dann frage ich mal anders – wenn Sie, als Mensch, Ihre Aufzeichnungen hören oder Ihre Videos anschauen – sind Sie dann auch nur Zuschauer, oder? Und was sagen Sie dann dazu?

Erstens höre ich sehr selten meine Aufnahmen. Wenn ich mich für ein Konzert vorbereite, rufe ich mir den musikalischen Text ins Gedächtnis zurück, und dazu benutze ich meine CD. Vor kurzem kam Makwalotschka Kasraschwili zu mir und bat mich, mit ihr die Aufnahme von Adriana Lecouvreur zu hören, weil sie sich gerade auf diese Oper vorbereitet. Wir schauten uns die Videos von Adriana, der Eboli und der Carmen aus Prag an. Ich muss sagen, da gab es einige Stellen, da dachte ich: „Bin ich das wirklich? Das ist ja umwerfend! Das kann doch nicht sein.“ (lacht)

Sie schauten sich also von der Seite aus zu?

Ja. Und im Moment tue ich das gleiche, weil ich mir das Stück von Wiktjuk ins Gedächtnis rufen will (wir fahren bald nach Deutschland, und ich muss mich vorbereiten) – ich lege die CD auf und denke: „Oh, was für eine lustige Person.“ Ich verschmelze nie mit der Bühnen-Obraszowa.

Aber psychologisch gesehen, wie geht diese Teilung vor sich? Ich erinnere mich, zum Beispiel, was Wascha Tschatschawa mal erzählte von einem Konzert in der Mailänder Scala. Sie hatten ein Problem mit den Stimmbändern und wollten überhaupt nicht singen. Zeffirelli überredete Sie und sagte: „Lena, du musst auftreten und wenigstens zwei Nummern singen und dann erst das Konzert absagen, so wird es besser sein.“ Sie kommen auf die Bühne, Wascha schaut Sie an und denkt, jetzt gibt es gleich eine Katastrophe, aber es passiert ein Wunder …

Ich sage Ihnen, wenn ich auf die Bühne komme, ist es mir, als betrete ich einen anderen Kanal meines Lebens. Ich bin dann nicht auf der Erde, nicht hier. Wenn ich auf die Bühne komme, beginnt ein anderes Leben, als ob das nicht ich wäre.

Also es passiert da eine gewisse Transformation?

Ja, völlig richtig. Und nicht nur psychisch, sondern auch physisch. Ich bin einfach eine andere. Sogar wenn ich jetzt in dem Stück von Wiktjuk mitwirke und dort tanze und springe und laufe … Aber davor sitze ich da wie eine Tote und denke: „Wie soll ich bloß auf die Bühne gehen und das alles machen?“ Aber auf der Bühne lebe ich ein anderes Leben, ein paralleles Leben. Manchmal denke ich: „Mein Gott, wie alt ich schon bin, wieviel Leben ich schon gelebt habe.“ Ich habe ja nicht nur mein Leben gelebt, das bewegt und stürmisch genug war, sondern auch all diese Opernpartien, die ich durchlebt habe, und wie oft ich sie durchlebt habe. Manchmal denke ich, dass ich eine recht weise Frau bin, und woher kommt das – natürlich von all diesen Leben, die ich wirklich durchlebt habe.

Im Theater auf den Kanarischen Inseln habe ich meine erste Carmen gesungen und Mario del Monaco seinen letzten Othello. Ich habe ihn gehört und war begeistert, wie er zuerst spielte und dann sang und sang und dann spielte er und spielte und sang, immer der Reihe nach, nicht zusammen. Am nächsten Tag kam er zu meiner Carmen und sagte: „Mein Gott, wie schade, dass ich nicht mehr in der Carmen singen kann, so eine Carmen habe ich mir immer gewünscht.“

Der Archipowa hätte man das nicht gesagt. (lacht)

Um Gotteswillen, nein!

Nun ja, als ich meine erste Carmen sang und mich José – Alain Vanzo, ein französischer Sänger – in den Bauch schlug (ich konnte ihn auch in Wirklichkeit nicht leiden, meinen ersten José), dachte ich: „Wie schade, dass ich so jung sterben muss. Warum hat er mich getötet? Wie traurig, vom Leben schon Abschied nehmen zu müssen.“ Und als ich hinfiel, hörte ich ein Geräusch, ähnlich der Brandung. Meine Mutter hat mir einmal erzählt, als sie mich zur Welt brachte, war sie einige Zeit klinisch tot. Sie erzählte mir, dass sie einen hellen leuchtenden Kanal sah und das Geräusch der Brandung hörte. Deshalb dachte ich damals: „Auch die Mutter hat mir von diesem Geräusch der Brandung gesprochen. Wie schade, dass ich gestorben bin, was für ein törichter, dummer Tod.“ Dann öffnete ich die Augen und als Geräusch der Brandung entpuppte sich der Beifall, der bis hinter den Vorhang drang. Damals begriff ich, bis zu welchem Grad ich ein anderes Leben lebe auf der Bühne, dass ich alles als Realität erlebe. Oder, zum Beispiel im zweiten Akt, wenn José aus dem Gefängnis kommt, in Spanien steht auf der Bühne echter Wein, und er die Flasche fallen lässt, und mich dabei mit Wein begießt, da dachte ich: „Das wird sicherlich ein schlechtes Ende nehmen.“ Und das alles erlebe ich in der Tat. So auch jetzt, wo wir mit Domingo Pique Dame spielen. Er ist ein umwerfender Hermann, ich glaube der beste Hermann überhaupt. Ich mochte auch Wolodja Atlantow als Hermann sehr, keiner konnte ihm das Wasser reichen, aber jetzt kam Domingo. Wissen sie, er singt mit einer solchen Leidenschaft, so eine wilde …

Ja, ich habe das Video gesehen – das war sehr stark!

Wir haben erstaunliche Dinge erlebt. Als ich das Liedchen von Grétry singe und tanze, und mich an meine Liebhaber erinnere, versinke ich vollkommen in diesen Träumen. Und als Hermann hereinkommt, erschrecke ich nicht vor ihm, sondern denke, dass wiedermal ein Liebhaber zu mir kommt. Lustig ist auch, dass sich das Liedchen als Walzer erweist, es geht im Dreivierteltakt. Wir beginnen zu tanzen, und es zeigt sich, dass ich nach vierzig Jahren, solange ich schon dieses Liedchen singe, zum ersten Mal bemerke, dass es ein Walzer ist. (lacht) Wir tanzen den Walzer und dann, als ich sterbe, begreift er nicht, dass ich tot bin. Und er tanzt weiter und tanzt mit einer Toten. Und als er begreift, dass ich schon tot bin, wirft er mich auf die Erde. Das Wichtigste ist, dass ich das alles wirklich erlebe: Ich sehe diese Kerzen, die Pagen in den Livreen … Ich erinnere mich, als ich jung war, sang ich einmal in Versailles und ein Saaldiener in Livree verließ den Raum und klopfte dabei mit einem Stock auf den Boden. Ich war damals empört und dachte: „Was für eine Unverschämtheit, so ein Lärm vor einem Konzert!“ Aber das war anstelle der Konzertklingel gemeint, wie in alten Zeiten. Und das Konzert fand bei Kerzenbeleuchtung statt. Verstehen Sie, das legt sich alles in Schichten übereinander – die Erinnerungen, die Bücher, alles was ich gelesen habe, alles, was ich gesehen habe. All das verwandelt sich in Leben, in ein absolut anderes als unser Leben.

Jelena Wassiljewna, aber das kam doch nicht ganz plötzlich? Ich habe Ihre früheren Aufführungen gesehen – die „Zarenbraut“, zum Beispiel. Und ich erinnere mich, dass die Obraszowa damals noch nicht das „Bühnentier“ war, wie Abbado einmal sagte. Sie stand da, mit ausgestreckten Armen, wie die Aida, und sang. In welchem Moment ist das passiert, wie haben Sie gefühlt, dass das ein Übergang in einen anderen Zustand ist?

Ich werde es Ihnen erzählen. Zu Anfang hatte ich große Schwierigkeiten – gesangliche und technische. Als ich jung war, hatte ich Angst, irgendeine hohe Note nicht zu treffen, ich fürchtete kein legato singen zu können und dachte viel darüber nach. Dann merkte ich, dass ich eine sehr schöne Stimme habe, groß und ausdrucksvoll, und ich wollte diese Stimme allen zeigen. Das war so eine jugendliche Dummheit. Dann fing die Arbeit an … Ich habe noch meine Notizen und Aufzeichnungen. Allerdings nicht über die „Zarenbraut“. Ich nahm den Brief an Werther auf… Oder, zum Beispiel, als ich in der „Pique Dame“ die Polina sang irgendwie gelang mir die Romanze nicht, ich sang sie viel zu laut, wie alle. Es klang scheußlich. Aber dann – ich erinnere mich sehr gut an diesen Moment – als ich nachts wach lag (denn ich konnte nicht schlafen, weil ich immer darüber nachdachte, wie ich die Romanze singen sollte), zündete ich im Haus Kerzen an, setzte mich an den Flügel und sang. Mama kam heraus und sagte: „Jetzt bist du verrückt geworden.“ (lacht) Aber ich suchte diese Atmosphäre intonationsmäßig. Und allmählich, als ich diese Atmosphäre in die Oper mitnahm, spürte ich, wie mir ein Schauer über den Rücken lief, ich hatte ein merkwürdiges Gefühl, die Natur schien mir zu antworten – sie nahm mich mit in den Kosmos. Ich war mit dem Kosmos verbunden, was bis heute der Fall ist. Zum Beispiel passierte mir folgendes (ich habe darüber noch nie gesprochen) – einmal sang ich ein ganz wichtiges Konzert im Großen Saal des Konservatoriums und plötzlich fühlte ich, dass ich kurz vor dem Zusammenbrechen bin und keinerlei Kraft mehr habe. Aber das Publikum schreit: „Zugabe, Zugabe!“ Und ich dachte: „Lieber Gott, gib mir Kraft, gib mir Kraft“. Und plötzlich sehe ich, wie sich die Decke und der Balkon des Großen Saals öffnen, und ich sehe den schwarzen Himmel mit den Sternen. Zwei Meter breit war der Spalt, wie er wieder zuging, habe ich nicht gesehen. Aber, dass er sich öffnete, habe ich absolut klargesehen. Und ich begriff, dass s i e mich mitgenommen hatten. Wenn ich s i e um etwas bitte, erkranke ich anschließend schwer. Aber s i e helfen mir immer und haben mich noch nie im Stich gelassen. Ich bitte sehr selten um etwas, nur wenn ich mir allein überhaupt nicht helfen kann. Aber ich bezahle dafür mit meiner Gesundheit.

Da war noch so ein Vorfall. Einmal saß ich im Garten und hörte eine Stimme. Sie sagte mir: „Baue eine Kapelle.“ So genau habe ich es gehört. Wer konnte da zu mir gesprochen haben? Merkwürdig! Ich wusste nicht, wie ich das bewerkstelligen sollte, weder in Bezug auf das Geld noch auf die Zeit, und jetzt ist diese Kapelle beinah fertig gebaut. Also, ich habe begriffen, dass man mich dort aufgenommen hat und dass mir von dort Hilfe zuteilwird. Nach diesen Ereignissen begann ich, um mich herum etwas Besonderes zu spüren – auf der Bühne und im Leben und meistens am Abend …

Passierte Ihnen das schon in früher Jugend, das heißt, spürten Sie das auf einmal oder kam es allmählich?

Weißt du, es hat mich irgendwie aufgesaugt, sehr langsam bin ich in diese Schicht der Atmosphäre eingetreten, in die wahrscheinlich nur Auserwählte vordringen. In diese Schicht, das habe ich begriffen, wird nicht jeder eingelassen. Aber wenn du dort hineingelangst, empfindest du Glück. Anfangs war es für mich sehr schwer, aus diesem Zustand wieder herauszufinden, weil ich jedes Mal dachte: „Wird es mir wieder gelingen?“ Aber man nahm mich immer wieder auf. Jetzt denke ich nicht mehr darüber nach, denn ich bin schon dort. Ich werde aus dieser Sphäre einfach nicht wieder aussteigen und im Leben auch nicht. Früher habe ich mich sehr aufgeregt, direkt richtig geängstigt.

Sicherlich meinten Sie das, wenn Sie sagten, dass die Göttin sie geküsst habe oder nicht geküsst habe?

Ja, ja, ja, genau das.

Aber das Singen selbst … Wie war das anfangs? Wie war diese erste Empfindung – „Ich kann singen“? Auch in Bezug auf die Vorbilder. Denkt man: „Ja, ich kann singen, aber es gab noch andere große Sänger, und ich möchte so singen, wie sie.“? Mich interessieren Ihre frühesten Empfindungen. Was ging da in Ihnen vor, als Sie erkannten „Ich bin Sängerin“?

Ich singe seit ich fünf Jahre alt bin. Ich sang alle Strauß-Walzer, einen nach dem anderen. Ich hatte damals den Film „Der große Walzer“ mit Miliza Korjus gesehen und war begeistert von dieser Frau als Schauspielerin und Sängerin und auch von Strauß selbst und diesem Film und dieser Musik … Ich wollte wie sie werden. Ich wollte ein solches Leben leben und eine solche Liebe erleben. Ich war diesem Film absolut verfallen. Und von diesem Moment an habe ich den Mund nicht mehr zugemacht. Und dann kam Lolita Torres, und ich war auch von dieser Frau begeistert. Als ich in Argentinien konzertierte, kam eine großgewachsene Frau zu mir ins Künstlerzimmer. Das war Lolita Torres. Als sie hörte, dass ich in sie verliebt war, sagte sie: „Nun ja, das bin ich!“ Das war lustig. Ich hätte sie nie im Leben erkannt. Mit diesen beiden Frauen begann mein Singen. Ich erklärte, dass ich auf jeden Fall Sängerin werden wollte. Mein Vater schrie mich immer an: „Du hast eine Piepsstimme, als ob man mit dem Messer über Glas fährt“. Doch ich sang Koloratur, e-Moll in der zweiten Oktave. Kannst du dir vorstellen, wie ich krächzte! Aber als ich dann vierzehn/fünfzehn war, hatte ich plötzlich fast einen Bariton – ich sang alle Zigeunerromanzen. Dann trat ich ohne Vaters Wissen ins Konservatorium ein. Ich trat als Sopran ein und studierte ein ganzes Jahr in der Sopranklasse, ich sang die Jolanthe und die Semiramide. Aber nach einem Jahr bemerkte ich, dass es mir schwerfällt, die Stimmlage zu halten. Die Noten waren bei mir alle da, aber stimmlagenmäßig war es schwer. So wechselte ich ins Mezzosopranfach. Die tiefen Noten konnte ich noch nicht singen, diese gewaltigen.

Diese „Obraszowa-Noten“?

Die waren noch nicht da. Im zweiten Studienjahr kam Taissija Syrowatko zu uns – eine Leningrader Sängerin, groß, fröhlich, herzlich. Ihre Stimme war fast ein Bariton. Ich fragte sie: „Taissija, wie gelingt es dir, den Ton zu bilden?“ Sie antwortete mir: „Lena, kennst du solche Stiefel wie eine Ziehharmonika, die manche Männer tragen?“ „Na, und?“, fragte ich. „Also stell dir vor“, sagte sie, „dass das dein Hals wäre und mach so GA-A-A“. So habe ich das gelernt. (lacht) Das erinnert mich an Birgit Nilson. Als ich sie fragte: „Wie kriegst du diese großartigen hohen Töne heraus“, antwortete sie mir: „Lena, du wirst es nicht glauben, ich war mal irgendwie erkältet, völlig krank, doch ich musste die Salome oder so was singen, mein Kopf war einfach wie ein Teekessel. Ich begann mich einzusingen – nichts gelang. Aber dann dachte ich, jetzt mach mal dieses GA-A-A, und es ging prima.“ Daran habe ich oft gedacht und begann immer so zu singen und wurde Birgit Nilson.

Darauf muss man erstmal kommen …

Ja, eben. Sie ist ganz zufällig darauf gekommen, als sie absolut ohne Stimme war. Eine interessante Geschichte gibt es auch von Joan Sutherland. Ich fragte sie, wie sie ihren Triller macht. Und sie antwortet mir: „Meine Mutter macht ihn in der Küche viel besser als ich.“ (lacht) Sie verfügte also über einen genetischen Triller.

Jetzt wäre es logisch, Sie nach Ihrem Studium zu fragen. Erst haben Sie studiert und später selbst gelehrt. Was kann man lehren und was nicht? Wofür sind Meisterklassen da? Was machen Sie mit Ihren Japanerinnen und Japanern, mit denen Sie jetzt ein halbes Leben verbringen?

Ich kann mit Sicherheit sagen: Die Gesangstechnik kann man lehren, aber die Musik nicht. Das gilt auch für mich. Deshalb, wenn ich Meisterklassen gebe, lehre ich in erster Linie Technik. Und wenn man mir sagt, es gäbe Meisterklassen, in denen man Musik lehrt, dann glaube ich nicht daran. Denn wenn ein Mensch talentiert und begabt ist, lebt in ihm die Musik, und man muss ihm nur beibringen, wie er das technisch ausdrücken kann, was in ihm ist. Aber wenn nichts in ihm ist, kannst du ihn lehren, soviel du willst, es wird nichts dabei herauskommen. Beibringen muss man vieles – die Atmung, die Stütze, die Phrasierung, all diese technischen Mechanismen – FÜR DIE MUSIK. Denn ich glaube, die Krankheit des Jahrhunderts ist, dass alle technisch ausgezeichnet geschult sind und alle Töne singen, aber Musik ist wenig in ihrem Gesang. Und nicht nur, dass die Musik fehlt, sie leben auch nicht in den Schichten des Geheimnisses, wohin man uns Zutritt gewährt.

Was denken Sie, warum ist das verlorengegangen? Denn bei den guten Sängern der vergangenen Jahre fehlte etwas. Aber was war das? Es war die Empfindung, dass sie, wie Sie sagen, nicht in diesen Bereich gelangten, wo Kunst entsteht und auch gemacht wird. Nur dort ist dies der Fall. Es hat aber Sänger gegeben, die dorthin gelangten. Nehmen wir zum Beispiel Maria Petrowna Maksakowa – was ihre Technik anbelangt, bleiben da einige Wünsche offen, aber nicht in ihrer Kunst, das war Kunst. Aber warum ist das verlorengegangen? Womit hängt das zusammen? Denn auch bei den jungen Menschen ist ein Hang zu Tiefe da, empfinden die Menschen Glück, wenn sie Ihnen zuhören können, also sie begreifen, dass das nicht nur Ihr Charme ist, sondern viel mehr. Dass dieser Charme nur die Spitze des Eisberges ist und darunter verbirgt sich ungeheuer viel.

Ich weiß nicht … Vielleicht ist es ein gewisser Unglaube, Geistigkeit ist wenig in den Menschen. Wissen Sie, als man mich fragte: „Und wo wollen Sie singen?“, antwortete ich: „Nirgends, ich will einfach nur singen lernen.“ Aber heute kommen die Leute zu mir und sagen beim Weggehen: „Ich werde in der Scala singen“, oder „Ich möchte dort oder dort hin zu Gastspielen reisen“. Ich habe damals geweint, wenn ich meine Aufnahmen gehört habe (als Studentin) und habe begriffen, dass das zwei völlig verschiedene Dinge sind – das, was ich in mir höre und das, was ich herausbringe. Ich weinte wegen meiner technischen Unvollkommenheiten – ich wollte so gern alles lernen. Denn all die Feinheiten, die ich spürte, diese Kraft, diese Leidenschaft, diese Zartheit – und wieviel davon in mir war – ich konnte all das nicht zum Ausdruck bringen. Ich litt und weinte deswegen. Aber heute denkt niemand darüber nach, wie man etwas ausdrückt, man denkt daran, wie man Karriere macht, wie man Geld verdient. Ich verurteile niemanden, denn es ist normal, dass man Geld verdienen will. Zu meiner Zeit galt das noch als anstößig. Ich habe säckeweise Valuta vom Ausland nach Hause gebracht und sie selbst geschleppt und dann abgeliefert. Das hat mich sogar glücklich gemacht. Ich fand es zwar nicht gut, dass ich alles abliefern musste, dafür hatte ich aber das Gefühl, meine Kunst nicht verkauft zu haben – ich sang für den Herrgott. In mir war eine gewisse geistige Reinheit.

Aber andererseits, als man der Obraszowa vorschlug, zu einem Praktikum an die Scala zu reisen, sagte sie: „Ich werde nicht fahren. Irgendwann werde ich dort singen“. Das war sicherlich etwas anderes? Ein Gefühl für die eigene Würde, als Sie spürten, dass Sie etwas werden würden?

Natürlich. Ohne Zweifel …

Denn es gibt eine wichtige Grenze zwischen dem Stolz und dem Gefühl der eigenen Würde, die eine ganz andere Empfindung ist.

Und dann wollte ich … ich war immer sehr russisch, ich habe eine sehr russische Seele. Ich habe sogar in meinem Buch geschrieben, je mehr ich reise, umso russischer werde ich. Und umso mehr Stolz empfinde ich für mein Land. Denn ich gehöre zu der Kunst, die Russland hervorgebracht hat.

Aber ich denke, dass Sie und ich Russentum und Zugehörigkeit zur russischen Kunst nicht ganz so verstehen, wie es heute viele verstehen. Denn Sie (so habe ich Sie verstanden) haben dabei die russische aristokratische Kunst im Auge, die bei Glinka beginnt und irgendwo endet und die es heute praktisch nicht mehr gibt. Und das verursacht natürlich einen gewissen Stolz und ein Gefühl für die eigene Würde. Aber es gibt auch andere Schichten, die wir zwei nicht erwähnt haben, und diese Menschen halten sich auch für russisch …

Natürlich, natürlich, alles richtig.

Wenn ich davon spreche, dass ich Russin bin, denke ich an Dostojewski, Puschkin, Tschaikowsky …

… an Schaljapin.

An Schaljapin, natürlich.

Und da gibt es ohne Zweifel einiges, worauf man stolz sein kann. In diesem Zusammenhang möchte ich an „Turandot“ erinnern, die Oper, die gegenwärtig im Bolschoi auf dem Spielplan steht. Darin gibt es eine bemerkenswerte Stelle. Den Kaiser singt Franco Palliazzi, der auch Gesangspädagoge ist. Er ist kein junger Sänger mehr. Er singt also den Kaiser – es sind nur wenige Sätze. Und während er singt, kommt das ganze vokale Italien in den Saal, die ganze Gesangskultur – diese Phrasierung, die niemand hat, was man auch anstellt. Und neben ihm steht der unglückliche Kalaf … Ich sagte ihm: „Sie haben so wunderbar auf der Generalprobe gesungen.“ Er antwortete: „Auf der Generalprobe habe ich so einigermaßen gesungen. In Italien gehört es sich nicht, auf der Generalprobe gut zu singen. Bei den Aufführungen werde ich gut singen – kommen Sie.“ Und wirklich – er singt. Das ist doch wirklich erstaunlich, dass es absolut nicht jedem gegeben ist, nur denjenigen, die in jener Schicht der Kunst schöpferisch tätig sind, über die wir gesprochen haben …

Aber sprechen wir trotzdem noch weiter über Ihre Ausbildung. Wie Sie sagten, kann man Musik nicht beibringen, die Technik aber schon. Aber es kommen doch alle zu Ihnen, was soll man mit ihnen machen. Denn sicherlich ist es für die, die keine Musik in sich haben, schwierig, Ihnen in die Augen zu schauen?

(lacht) Wissen Sie, wenn es nach mir ginge, würde ich nur sehr wenige Studenten in Gesang und Musik unterrichten. In der Musikakademie von Tokio, wo ich schon lange unterrichte, werden so viele unnötige Studenten ausgebildet. Aber ich verstehe, dass man sie aufnimmt, denn sonst könnte man ja nicht die begabten herausfinden. Da muss man eben Geduld haben, die Zähne zusammenbeißen und arbeiten. Aber das Schlimmste ist, dass sich das ganz schlecht auf meine Kehle auswirkt. Ich bin den ganzen Sommer über krank gewesen, weil ich so viel unterrichtet habe … besonders junge Männer. Die sind besonders anstrengend zu unterrichten. Ich unterrichte ja alle, die Baritone und die Bässe und die Koloratursänger und auch noch die Soprane und die Mezzosoprane – alle. Mein Hals wird ganz weit, wie eine Röhre … Ich kann sehr gut Koloraturtechnik unterrichten. Vielleicht Dank meiner Erfahrung mit meinen Tokioter Piepsstimmen. (lacht) Trotzdem gibt es immer auch sehr gute Studenten. Wenn ich zu den zweiwöchigen Meisterklassen fahre, sind unter den dreißig Teilnehmern immer fünf oder sechs sehr begabte darunter.

Ist das für Sie ein Ausgleich?

Ja, ein Ausgleich. Ich hoffe und warte immer, dass solche Schüler kommen, mit denen ich, wenn auch nicht in der gleichen, so doch in einer ähnlichen Sprache sprechen kann. Aber manchmal denke ich auch, ich hätte selber gerade angefangen und niemand wüsste, ob das mit mir mal was werden würde. Und wenn ich nicht diese liebevolle Lehrerin Antonina Andrejewna Grigorjewa gehabt hätte, die selbst eine sehr gute Sängerin war … sie lehrte mich nicht nur Musik und Singen, sie war wie eine zweite Mutter zu mir. Sie schaute, ob ich warm genug angezogen sei, ob ich gegessen hätte – sie sorgte sich um mich. Ich spürte diese Sorge und liebte sie sehr. Und wie ich sie liebte und ihr glaubte! Und weil ich ihr glaubte, machte ich das, worum sie mich bat. Es ist eine schwere Arbeit, Pädagoge zu sein. Das ist nicht einfach, du kommst, arbeitest fünf Stunden und gehst nach Hause. Nein, man muss sich seinen Schülern vollkommen widmen, man muss ihnen Freund und Helfer sein …

Glaubte die Grigorjewa an Sie?

Ja, sie sagte mir immer: „Ich habe noch nie eine so talentierte und eine so unbegabte Schülerin gehabt. Denn ich habe sehr schwer gelernt – ich verstand nie, was sie von mir wollte. Denn als ich zu ihr kam, sang ich schon, wie ich konnte. Und als ich bei ihr umlernen sollte, verlor ich das, was ich hatte, und das, was sie wollte, verstand ich nicht. Das waren wirklich zwei Jahre, in denen ich den Mund fast nicht aufmachte. Ich sang nur im Brustregister. Sie sagte mir immer: „Legen Sie hier einen Federhalter hin und dann stöhnen, Lenotschka.“ So brachte sie mir Atmung bei. Dann, mit den Jahren, begriff ich, was sie von mir wollte. Nur unterrichtete sie auf eine recht eigenartige Weise. Sie wollte nicht …

Wie denn, sie wollte Sie nicht in die Technologie einführen?

Ja. Ich mag auch nicht mit irgendwelchen eleganten Ausdrücken reden. Ich drücke mich gern in Vergleichen und Assoziationen aus. Rein technische Termini liegen mir nicht.

Und warum nicht?

Weil das zu trocken ist. Man möchte ein bisschen phantasieren, sich einige Gebrauchsanweisungen ausdenken, im Schüler Phantasie wecken. Dann ist das, was ich erzähle, allen verständlich, in allen Sprachen. Alle lachen, alle sind fröhlich, alle wollen sie zu mir. Man muss auch ihr Interesse wecken. Ich hatte einen sehr guten Lehrer, den Pianisten Alexander Pawlowitsch Jerochin, zu dem ich nach dem Konservatorium kam. Ich war damals schon ein bisschen eingebildet: Ich dachte, man hat dich schon im dritten Studienjahr im Konservatorium eingeladen, im Bolschoi in Boris Godunow zu singen, und ich trug die Nase hoch. Dann hatte ich meine erste Konzertreise und kaufte mir Schallplatten, um die internationalen Standards besser kennen zu lernen. Meine Mutter sagte dazu: „Du bist dumm, hättest dir besser Hosen kaufen sollen.“ Aber ich kaufte immer Schallplatten. Und ich war erschüttert, weil ich begriff, dass ich noch nichts konnte. Wir waren damals sehr mit Tamara Sinjawskaja befreundet, aber ich stellte fest, dass sie nicht viel von großer Kunst verstand, denn als sie einmal Giulietta Simionato gehört hatte, die Rossini sang, umwerfend, sagte ich ihr: „Das ist großartig!“ Sie antwortete: „Meinst du wirklich, das kann ich auch.“ Ich dachte: „Nein.“

Sie wollten von Jerochin erzählen …

Also Jerochin war ein sehr kluger Pädagoge. Er war ein hervorragender Musiker und herausragender Lehrer. Nicht umsonst arbeiteten mit ihm auch Wera Dawydowa und Sara Doluchanowa, und aus mir hat er auch etwas gemacht. Er stellte es sehr listig an, mich zum Arbeiten zu bewegen. Ich sang zum Beispiel irgendein Programm und dachte: „Prima! Ich kann schon alles singen.“ Bums, da kommt er und gibt mir das Lied „Dissonanz“ von Rachmaninow oder die Romanze von Medtner. Es ist nicht so, dass man sie nicht singen kann, aber man kann sie einfach nicht lernen. (lacht)

Er hat sie sozusagen wieder auf die Erde geholt.

Ja, sofort hat er mir zu verstehen gegeben, setz dich hin und maule nicht. Ja, so war er. Er hat mich auch mit technischen Schwierigkeiten gequält, rein professionellen, zum Beispiel irgendeine eine hohe Note zu singen. Aber ich konnte sie einfach nicht singen, weil sie so schlecht lag. Obwohl bei Rachmaninow alles noch ziemlich bequem ist, aber bei Medtner nicht immer. Und technisch konnte ich das einfach nicht lernen. Vor einigen Jahren sagte die Caballé zu mir: „Wollen wir nicht mal La fiamma von Respighi zusammen singen?“ Ich begann es zu studieren – und konnte es einfach nicht lernen. Ich dachte bei mir, das ist sicherlich schon das Alter. Ich rufe sie an und sage: „Montserrat, ich kann das einfach nicht lernen.“ Sie antwortet mir: „Jelena, bei mir ist es dasselbe.“ Und sie fügte hinzu: „Nein, das ist nicht das Alter, das ist einfach so unmöglich geschrieben.“

Und haben Sie es gesungen?

Natürlich haben wir es gesungen. Wir haben es beide ein wenig umkomponiert. Man muss sich daran gewöhnen. (lacht) Es gibt immer wieder Sachen, die sehr schwer zu lernen sind. So ist zum Beispiel Adriana Lecouvreur sehr schwierig. Ich habe daran lange gearbeitet.

Aber womit, denken Sie, hängt das zusammen? Verstehen Sie die Musik selbst nicht, können sich nicht in sie hineinversetzen?

Ja, so wird es sein. Nachher habe ich mich so sehr daran gewöhnt, und dann scheint es mir nicht mehr kompliziert. Oder diese Dissonanz oder Was für ein Glück von Rachmaninow oder sein opus 38 – das ist rein musikalisch entsetzlich schwer. Oder die letzte Arbeit – La fiamma von Respighi – das ist völlig unverständlich geschrieben, unlogisch.

Aber andere Kompositionen, zum Beispiel von Weill, erschienen Ihnen ganz leicht und natürlich?

Ja, das ist wahr, es ist eine sehr komplizierte Musik, aber mir fiel sie leicht. Und jetzt, nach Kurt Weill, hat man mir sogar Jazz vorgeschlagen. Ich habe die Noten aus Japan mitgebracht und sie mir noch nicht genau angesehen, aber das ist im Großen und Ganzen Jazz. Ich habe lange in der Bibliothek gesessen und einen riesigen Haufen Noten und Musik durchgesehen und sie mir dann abgeschrieben. Und jetzt habe ich ein tolles Jazzprogramm und werde es in Leningrad im Großen Saal aufführen (im Jahr 2003). Wir haben vereinbart, dort die Stühle herauszunehmen und Tische aufzustellen. Jedenfalls hat man mir versprochen, das zu machen. Und alles bei Kerzenbeleuchtung.

Und welche Musiker werden teilnehmen?

Ich habe Musiker aus New York eingeladen, ein berühmtes Quartett (Saxophon, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug). (Sie versucht, sich an den Namen eines der Musiker zu erinnern.) Er ist einer der wichtigsten Jazzmusiker. Ich war hingerissen von seiner Atmung. Wenn er mit irgendeinem Stück fertig war, stöhnte ich einfach, wie eine Verrückte – so eine großartige Atmung hat er. Und er lachte und sagte zu mir: „Was denkst du denn, wir atmen doch durch die Nase!“ (lacht) Ich habe mit ihnen verhandelt, und sie haben mit Vergnügen zugesagt. Und jetzt ist noch ein Jazzmusiker zu mir gekommen. Er ist Russe, lebt aber jetzt in Amerika und hält Vorlesungen über Jazz. Und hier im Tschaikowsky-Saal werden wir am 4. Oktober den Geburtstag von Oleg Lundstrem feiern. Er hat mir ein Liedchen von Duke Ellington gegeben, das ich jetzt übe. Es ist sehr kompliziert, denn es liegt mir nicht so wie die anderen Sachen, die wir ins Programm genommen haben, aber man muss etwas aus diesem Liedchen machen. Es enthält einen sehr guten Satz: „Was ist Blues? – Das ist nichts. Wie kalter Herbstregen. Wie eine Fahrkarte in eine Richtung …“

Haben Sie sich auf Englisch unterhalten?

Nein, ich spreche sehr schlecht Englisch.

Aber wie ich mich erinnere, sprechen Sie gut Französisch?

Französisch spreche ich und Italienisch.

Aber als man in Paris die musikalische Presse gegen Sie aufhetzte, und mit Ihnen ein Gespräch führen wollte, sagten Sie: „Ich spreche nicht mehr Französisch“. Hatten Sie Angst bekommen?

Nein, ich spreche Französisch. Und Italienisch spreche ich wie Russisch.

Und Japanisch?