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Titel

Impressum

Vorwort

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Eine Weltorganisation

 

 

 

Dieter Keb

 

 

 

 

 

DIE POLITIK IN SCHULE UND GESELLSCHAFT

Eine kritische Autobiografie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by Dieter Keb

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2015, zweite überarbeitete Auflage 2018

ISBN: 9783957535726

Grafik Copyright by Fotolia © danielO

 

Vorwort

Dieses Buch soll als Zeitdokument hinweisen auf Gefahren für die Demokratie durch schleichenden Kulturverfall im schulischen und außerschulischen Bereich. Die Kultur einer Nation erwächst nicht nur aus der Tradition heraus, sie muss immer wieder neu errungen werden.

 Die Schule als wichtigster Kulturträger prägt jeweils die nächste Generation. Aus den jungen Menschen von heute werden bekanntlich Erwachsene, Eltern und Lehrer von morgen. Schule und Elternhaus sind also die „Schulen der Nation“. Sie dürfen nicht versagen.

 Hier treten jedoch Risse, Einbrüche und Mängel auf. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Die Pädagogik im eigentlichen Sinn bleibt vorwiegend auf der Strecke. Die Episoden im Folgenden und die Beschreibung der Handlungen von Personen lassen dies deutlich werden.

 Die Grundursache für einen zum Teil erschreckenden Verfall sehe ich, der Autor, in erster Linie in der Politik. Sie fördert leider diese Trends, anstatt sie zu bekämpfen. Denn das Primat der Politik bestimmt die Richtlinien auf politischer, inhaltlicher und personeller Ebene in fast allen Bereichen der Gesellschaft. Die eingesetzten Führungspersönlichkeiten im öffentlichen und halböffentlichen Dienst bestimmen wiederum den politischen Stil und über die verantwortlichen Mitarbeiter in ihrem Hause.

 Erst in zweiter Linie kann hier eine starke Persönlichkeit etwas bewegen. Bei der Menschenkenntnis spielt auch die Psychologie eine große Rolle. Die falsche Personenauswahl kann erhebliche Folgen haben im politischen, beruflichen sowie privaten Bereich.

 Wiedergegeben werden autobiographische Schulerlebnisse aus dem gewerblichen Bereich. Auf Reaktionen des Autors wird weitgehend verzichtet.

 Alle Gesellschaftsbereiche werden außerdem unter die Lupe genommen sowie die Verhältnisse in der Europäischen Union. Manager, Banker und Politiker müssen Farbe bekennen. Geldgier, Verantwortungslosigkeit, Dilettantismus und Protektion bestimmen oft deren Verhalten, dargestellt an Beispielen, die auf Dauer unsere Republik gefährden.

 Dieses Buch versteht sich als Mahnung an die gesamte Elite des Staates, die richtungweisend die Geschicke der Gesellschaft bestimmt. In erster Linie natürlich an die Politiker sei die dringliche Bitte gerichtet, den Kultur-Staat Bundesrepublik Deutschland und seine Demokratie nicht verkommen zu lassen. Die Folgen wären irreparabel.

Der Verfasser, Juli 2015

 

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Das Land Nordrhein-Westfalen, kurz NRW, suchte dringend Gewerbelehrer. Vorbedingung war ein Ingenieurstudium mit gutem Abschluss. Ich bewarb mich und musste zuerst ein Probejahr an einer Gewerblichen Schule - heutige Kollegschule mit sechs Schulformen - als sogenannter Aushilfslehrer absolvieren, dann ging es ab zum Studium in eine rheinische Großstadt. Ich freute mich darauf, ergab sich doch so die Gelegenheit, außer der Technik auch noch geisteswissenschaftliche Fächer zu studieren. Schon als Berufsschüler hatte ich ab und zu mit dem Gedanken gespielt, Berufsschullehrer zu werden, um dann aber vieles besser zu machen als meine Lehrer.

 Den ersten Schulgeschmack bekam ich als besagter Lehrer im Probejahr in einer Kleinstadt Ostwestfalens. Ohne jegliche Vorwarnung warf man uns - es waren auch noch weitere Kollegen dabei - ins sprichwörtliche kalte Wasser, das heißt vom ersten Tag an in den Unterricht, ohne Mentor als Betreuer und Ratgeber und ohne Vorbereitung. Kurz vorher wurde das Thema besprochen. Und es ging, es lief sogar sehr gut meiner Meinung nach. Ich ging unbeschwert an die Aufgabe heran. Danach konnten sich alle für die nächsten Unterrichtsstunden mit Hilfe und unter Anleitung eines erfahrenen Pädagogen vorbereiten, seines Ranges nach Studiendirektor.

 Ich stellte fest, je mehr ich aufgrund der Vorgaben im Unterricht zu beachten hatte, desto verklemmter unterrichtete ich, weil immer ängstlich darauf bedacht, ja keine Fehler zu machen. Ich unterrichtete in technischen Fächern, in anderen hospitierte ich und lernte viel dazu, es machte Spaß.

 Einmal in der Woche hatten wir ein Gesamtseminar zu besuchen, dort trafen sich alle in dieser „Sonderaktion“ eingestellten Neulinge aus der Region und wurden in rechtlichen und allgemeinpädagogischen Fragen geschult.

 Ein kleiner Wermutstropfen war, als ich feststellte, dass Lehrer auch nur Menschen sind wie Sie und ich. Ich hatte mir vorgestellt, es jetzt mit Menschen zu tun zu haben, die besonders psychologisch bewandert waren. Weit gefehlt. Mein Mentor, dieser Studiendirektor, war zwar humanistisch gebildet und wusste wunderbar umzugehen mit den Schülern, konnte Konfliktsituationen analysieren und lösen, doch wenn es um seine Person ging, war das alles vergessen. Er war sehr empfindlich und eitel und wollte hofiert werden durch anerkennende, lobende Worte, eben gestreichelt. Das schien seiner Seele gut zu tun.

 Dieses fiel mir schwer, weil ich nüchterner und direkter bin und genügend Selbstbewusstsein besitze, um auf Schmeicheleien verzichten zu können. In meinem späteren Berufsleben war ich unglücklicherweise von solchen Spezies abhängig, die mir das Leben schwer machten. Ich bin kein Mensch, der buckelt und heuchelt, um Vorteile für sich daraus zu ziehen - und das dann noch über einen langen Zeitraum. Es muss einem schon liegen.

 Auch hinter den Kulissen tobten Machtkämpfe an dieser Schule. Einen Lehrer erwischte man, als er Papierschnipsel zerrissener Abstimmungsbögen aus dem Papierkorb fischte, um die Namen darauf nach geheimer Wahl feststellen zu können. Ein anderer Lehrer poussierte mit der Frau seines befreundeten Kollegen, die dann schwanger wurde. Damit „Ordnung“ in die Sache kam, musste erst einmal die Vaterschaft festgestellt werden. Also ein ganz „normales“ Leben zeigte sich hier wie überall in der Republik.

 

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 Ich freute mich auf das Studium. Es wurde jedoch viel von uns verlangt - und das in kurzer Zeit. Die Regierungspräsidenten, kurz RPs, des Landes NRW bedrängten uns „Sonderaktionäre“, möglichst schnell fertig zu werden mit dem Studium, denn sie bezahlten uns.

 Am schlimmsten trieb es der RP, der mich eingestellt hatte. Dauernd bekam man Drohbriefe vom zuständigen Sachbearbeiter mit der Auflage, am Semesterende soundso viele Scheine vorzulegen, ansonsten werde man gefeuert und müsse das Geld zurückzahlen.

 Die Schreiben nahm ich nicht ernst, denn mehr als arbeiten konnte ich nicht und die Anzahl der Scheine erfüllte ich auch. Es waren auch eher Rundbriefe an alle, nur der Name wurde noch eingesetzt. Es waren halt Briefe aus der Provinz.

 Einige Kollegen waren sehr verärgert und strengten einen Prozess gegen diesen ungeduldigen Sachbearbeiter an. Und sie gewannen ihn wegen des Vorwurfs der Nötigung, unsittlichen Verhaltens, Vertragsbruchs et cetera. Danach war Ruhe. Es stellte sich heraus, dass der Sachbearbeiter neidisch war auf einen ehemaligen Kollegen, der auch an dieser Sonderaktion beteiligt war und durch diese dann in den höheren Dienst befördert wurde. Außerdem wollte er diesen Kollegen immer zu Hause, beschäftigt an seinem Neubau, gesehen haben, anstatt dass dieser studierte. Er wähnte sogar, die vorgelegten Scheine seien gefälscht. So weit kann Missgunst gehen.

 Die „Sonderaktionäre“, im Durchschnitt zehn Jahre älter als die übrigen Studenten, waren bei diesen jedoch nicht beliebt. Weil wir schon mehr Wissen und Erfahrung mitbrachten, auch Erfahrung in Lerntechniken, eifriger, fleißiger und arbeitswütiger waren. Kein Wunder, uns saß der Druck durch die RPs im Nacken, andererseits waren etliche verheiratet, hatten Familie und waren von dieser auch noch getrennt. Sie hatten in der Stadt nur eine Studentenbude und fuhren, so oft es ging, nach Hause. Alle wollten und mussten schnell mit dem Studium fertig werden, Bummeln gab es nicht. Auch in den Semesterferien arbeiteten wir hart oder es wurden Prüfungen absolviert.

 Ich studierte außer „E-Technik“ noch „Soziologie“ und „Pädagogik“. Das Pädagogik-Studium sei interessant, vielseitig und aufschlussreich, so meinte ich. Es war aber nichts als graue Theorie. Die Praxis sah anders aus, wie ich später zu meinem Leidwesen erfahren musste. Keine Wissenschaft ist schwammiger als die der Pädagogik. Das erfuhren auch die Professoren.

 Ein Professor führte an einer Schule einen Feldversuch durch, testete neue Methodiken und Didaktiken. Er sei froh, dass er wieder am Katheder stehe, gestand er uns und erzählte aus der Praxis die unglaublichsten Geschichten mit Schülern, Lehrern und der Bürokratie.

 Im kleinen Kreise redeten manche Professoren auch Tacheles und man staunte nicht schlecht, welch harte Worte da fielen, wenn sie ihr Visier herunterließen. Sie schimpften über Gott und die Welt, die Erziehung der Kinder, schlechte Ausrüstung oder Ausstattung an den Schulen, zu lasche Lehrer - und die Politik.

 Da sie selbst ihre Ohnmacht feststellten, suchten sie auch nach den Ursachen, vor allem auf unsere Fragen hin. Ich konnte ganz grob zwei Gruppen ausmachen, die unterschiedlicher Meinung waren.

 Die eine Gruppe suchte die Schuld bei den Eltern und den negativen Umwelteinflüssen - nicht im ökologischen, sondern im soziologischen Sinn -, die andere in der Politik.

 Auch sonst war die Gruppe der Professoren inhomogen. Einem Pädagogik-Professor war die Ehefrau davongelaufen. Man sah es seiner Kleidung an. Es verbreitete sich das Gerücht wie ein Lauffeuer, er sei im Bordell der Stadt gesichtet worden. Es war sicherlich ein harmloser Feldversuch von ihm zur Milieu-Studie.

 Ein auch nicht besseres Los, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, traf einen Mathematik-Professor. Er hatte in ziemlich fortgeschrittenem Alter noch eine junge Frau geheiratet. Zuerst verspätete er sich immer mehr bei den Vorlesungen, dann kam er immer alkoholisierter zu ihnen, schließlich blieb er ganz weg.

 

3

Ich beschäftigte mich im Zuge des Studiums eingehend mit den Theorien von Karl Marx. Gerne hätte ich diese widerlegt, es gelang mir jedoch nicht. Doch schon damals ahnte ich, dass die Lebenswirklichkeit den real existierenden Sozialismus überholen würde: wieder ein Beweis der Gegensätzlichkeit von Theorie und Praxis.

 Wer mit offenen Augen und Ohren durch die damalige Deutsche Demokratische Republik, kurz DDR, ging, der musste sehen, was los war. Die Infrastruktur lag am Boden, ganze Stadtviertel waren nicht mehr bewohnbar, viele Gebäude und sonstige Einrichtungen hatten zuletzt vor Jahrzehnten Putz und Farbe gesehen, Fabrikgebäude waren heruntergekommen, der Maschinenpark uralt, selbst die Landwirtschaft lag zum Teil brach, der Fuhrpark war verrottet.

 Was einigermaßen in Ordnung war, wurde von Devisen erhalten. Daher waren die Oberen der DDR so hinter Fremdwährung her. Mit allen erlaubten und unreellen Mitteln versuchten sie, an Geld zu kommen. Angefangen von Transit-Gebühren über Wechselkurse hin zu legalen und illegalen Geschäften mit Gütern, Menschen, Waffen, geraubtem Schmuck und Kunstgegenständen. Nichts war ihnen heilig, ihr Land war am Ende und kurz vor dem Zusammenbruch. Die reale wirtschaftliche Stärke der DDR, finanziell gesehen, wurde dokumentiert durch den „Trabi“, einen Klein-Pkw.

 Es grenzt an ein Wunder, dass der Westen das gar nicht so erkannt hat - trotz der Wirtschaftsexperten und der Geheimdienste! Ein gesunder Menschenverstand schien auch hier mehr zu leisten. Der gesamte Ostblock lag doch wirtschaftlich am Boden.

 Der Wirtschaftsexperte und Verantwortliche für die Zentralverwaltungswirtschaft in der DDR, Chef der Plankommission und Politbüro-Mitglied, meinte in einem Interview nach dem Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten 1990, dass sie sich auch gewundert hätten, dass der Westen quasi unvorbereitet war. Das Politbüro hätte gewusst, dass die DDR wirtschaftlich am Ende war. Es hätte aber keine Möglichkeit gesehen, etwas dagegen zu tun, und so ging man mit offenen Augen dem Untergang entgegen. Der Wirtschaftsexperte hätte zwar Vorschläge unterbreitet, wie dem gegenzusteuern sei, die aber wurden abgelehnt wegen zu großer Unpopularität.

 Ich möchte sagen, dass sich hier ein typisches Verhalten einer Diktatur zeigte. Sie ging nicht von ihrem Kurs ab bis zum bitteren Ende, in der Hoffnung, im letzten Moment doch noch irgendwie gerettet zu werden, ansonsten alles mitzureißen. Als dieser Mann gefragt wurde, wie er sich denn das erkläre, dass Westdeutschland so blind gewesen war, meinte er, Wirtschaftsexperten aus der Bundesrepublik hätten das wohl gesehen, sie wären aber in Bonn totgeschwiegen worden und die Bonner Regierung selbst hätte dieses Wissen verdrängt. Weshalb, das könnte er sich auch nicht erklären.

 In der Tat hatte Bonn keine Pläne in der Schublade für den Fall des Mauerfalls beziehungsweise der Wiedervereinigung. Auch ist nicht bekannt, warum der ehemalige Ministerpräsident Bayerns, der nun wahrlich kein Freund der DDR war, diesem System mit einer Milliarde Mark unter die Arme griff. Das bleiben wohl ungeklärte Rätsel. Hatte man etwa Angst vor einer Wiedervereinigung? Dachte man, sie würde eventuell blutig enden oder unbezahlbar sein?

 Gottlob hat eine Verkettung glücklicher Umstände wie Informationsübermittlungsschwierigkeiten und Missverständnisse mit dazu geführt, die Mauer zu öffnen - im November 1989, und zwar gewaltfrei. Es war wie ein Wunder. Unsere Politiker im Westen waren allesamt auch überrascht. Politisch vorbereitet in Form einer Lockerung der Ostblockstaaten - auch mit dem Ziel einer späteren Wiedervereinigung beider deutscher Staaten - wurde dieser Schritt von dem sowjetischen Staats- und Parteichef, dem Generalsekretär und dem Bundeskanzler mit Rückendeckung der Vereinigten Staaten, der USA. Der Protest der DDR-Bürger tat sein Übriges.

 Unser damaliger Bundeskanzler versprach den ehemaligen DDR-Bürgern Wohlstand in fünf Jahren. Er hätte besser gesagt, dass man sich an fünf Fingern abzählen könne, dass der Aufschwung länger dauern würde. Wollte er sie trösten?

 Es ist doch nach fünfundzwanzig Jahren schon ungeheuer viel geschaffen worden! Kurz nach der Wiedervereinigung sickerte durch, was alles in den neuen Bundesländern erneuert werden müsste in der für sie neuen Währung. Das rechnete ich einmal durch mit einer Klasse in „Wirtschaftslehre“ und kam auf etwa zweieinhalb Billionen Mark. Das war eine gewaltige Summe und ist heute unser Schuldenberg in Euro.

 Optimistischer äußerte sich der Wirtschaftsexperte einer unserer kleineren Parteien. „Die Wiedervereinigung kostet uns keinen Pfennig!“, tönte er. Steuergelder meinte er. Er rechnete wohl damit, dass die Kosten für den Wiederaufbau der neuen Länder allein durch die Investitionen westlicher Firmen und Banken getragen würden - wie blauäugig!

 Noch deutlicher als der wirtschaftliche Verfall in der DDR beziehungsweise im gesamten Ostblock waren der ideelle, soziale und menschliche Niedergang und damit der Untergang der kommunistischen und sozialistischen Idee.

 Einige Unverbesserliche, Politiker wie Nichtpolitiker der westlichen Welt, scheinen das dennoch immer noch nicht begriffen zu haben. Sie hängen immer noch der einstigen System-Ideologie an. Sollen sie doch in die entsprechenden Länder gehen - doch es lebt sich hier ja viel besser und freier!

 Aus gepredigter sozialer Gerechtigkeit wurde nämlich in dem System höchste soziale Ungerechtigkeit, aus persönlicher Freiheit wurde bespitzelte Unfreiheit, aus wirtschaftlicher Blüte wurde ein wirtschaftlicher Ruin, aus Friedensliebe wurde Unterdrückung übelster Art bis hin zum Terror, zur Einkerkerung, Folterung und Erschießung. Die Menschenrechte wurden mit Füßen getreten von diesem menschenverachtenden Staat.

 Ein Spitzenpolitiker unserer Sozialdemokraten sagte mir, man müsse sich mit dem Regime da drüben arrangieren, um so mögliche Erleichterungen für die Bürger der DDR zu erlangen, da eine Wiedervereinigung erst einmal ungewiss sei. Er selbst fuhr des Öfteren rüber und ging dort zur Jagd.

 Als ich vor dem Mauerfall mit einer Schulklasse in Berlin war, besichtigten wir auch das Museum am „Checkpoint Charlie“, auf westlicher Seite, das Fluchtmittel demonstrierte. Hier sah man Flugmaschinen und andere waghalsige Erfindungen und Basteleien, präparierte Fluchtautos, Fluchttunnel, Katapultanlage und vieles mehr.

 Zwei Männer, denen die Flucht gelungen war, erklärten ihre riskanten Abenteuer mit einem Seilzug. Als sie mich sahen, gerieten sie in Panik. Es dauerte eine Weile, bis man sie beruhigt hatte. Der Grund: Sie dachten, ich wäre ein Stasi-Mann, Mitglied der Staatssicherheit der DDR, weil ich einen Trenchcoat trug und eine Schirmmütze. Trugen die das da drüben? Denen fuhr der Schreck in die Glieder und sie vergaßen ganz, dass sie im Westen waren. Doch sie wussten wohl auch, dass die Stasi überall sein konnte.

 Jetzt verstand ich auch, weshalb viele Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg noch Angst vor Männern im Ledermantel und mit Schlapphut hatten oder sie zumindest als sehr unsympathisch empfanden. Die Gestapo, wie die Geheime Staatspolizei genannt wurde, verbreitete im sogenannten Dritten Reich unter Hitler mit ihren Verhaftungen Angst und Schrecken. Auch das sind die typischen Merkmale einer Diktatur. Aber weshalb verhält sich eine Diktatur so? Ihre Gewalttätigkeit zeugt zugleich von Schwäche. Die Machthaber haben permanent Angst, festgesetzt oder getötet zu werden. Sie haben ein schlechtes Gewissen, wissen also, dass sie unmoralisch handeln, können dieses aber aufgrund ihres Naturells nicht abstellen.

Auch Hitler wusste, dass er bösartig war. Überall ließ er Bunker für sich bauen, er war überaus misstrauisch und immer auf der „Flucht“.

Generell hat jedes politische System auch etwas Gutes für seine Bürger. Es wird dadurch jedoch nicht gerechtfertigt.

 

 

4

In den siebziger Jahren war es „Mode“, alles Althergebrachte anzuzweifeln. Die neue politische Richtung prägte das Fach unverkennbar. Alte tradierte Werte und Tugenden versuchte man abzustreifen, über Bord zu werfen, mit Füßen gar in die „Gosse zu treten“.

 Das waren ja alles Relikte aus der alten bürgerlichen obrigkeitshörigen Gesellschaft, die mussten weg. Die freie Liebe wurde gepredigt, Drogen kamen auf, „Emanzipation“ war das Schlagwort geworden.

 Obwohl „meine“ Hochschule als ziemlich konservativ galt wegen der überwiegend technischen Fakultäten, in denen Leistung abverlangt und fleißig gearbeitet wurde, gab es auch solche wie die der Soziologie, die in ihrer studentischen Population stark an die Zustände der Universitäten beispielsweise in Frankfurt am Main oder Berlin erinnerten.

 Soziologie hatte sowieso den Ruf, politisch links Stehende magisch anzuziehen. Das war nicht von der Hand zu weisen, umso interessanter für mich. Auch noch zwei weitere ziemlich konservative Kommilitonen begleiteten mich durch dieses Studium.

 Während der Vorlesungen, übrigens bei ganz „normalen“ bürgerlich denkenden Dozenten, fiel mir eine Gruppe auf, die stark an die „Kommune 1“ in Berlin 1968 erinnerte. Ein hübsches Mädchen, es hätte eine Schwester der Uschi Obermaier sein können, wurde umlagert von einer bärtigen Männerschar. Es war eine Clique. Die Typen sahen ziemlich verlebt und ungepflegt aus. Man hörte auch heraus, dass sie eher interessiert waren an nächtlichen Aktionen, Sitzungen, politischer Polemik, dem Meinungsstreit, und Problemen in der Wohngemeinschaft als an einem ordentlichen Studiengang.

 Im Zuge der Negation der bürgerlichen Gesellschaft bemühte man sich, alle Menschen gleichzuhobeln. Das war zwar keine offizielle Lehrmeinung, doch der Geist der 68er Studenten-Revolution schrie förmlich danach. Die Hochschulen und ihre Verwaltungen wurden auch umgekrempelt nach dem Motto „Der Muff von tausend Jahren raus aus den Talaren!“. Die Reformation machte vor der Gesellschaft nicht halt und vor den Schulen schon gar nicht. Schulen prägen bekanntlich die nächsten Generationen. All das war nur möglich bei gleichzeitiger politischer Veränderung, die auch erfolgt war seit 1969.

 Die Ideologie lautete, so musste ich lernen, dass unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten beim Menschen nur Umwelteinflüssen unterlagen, das hieß in erster Linie, dass die erziehungsbedingt waren und politisch gesteuert wurden, vor allem auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

 Ich staunte nicht schlecht, als man mir weismachen wollte, dass selbst die körperlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau oder Mädchen und Jungen anerzogen waren. Mit „man“ meine ich gängige Literatur und Gesprächspartner in Diskussionsrunden. Es gab sogar Professoren, wie ich aus der Literatur erfuhr, die solche Möglichkeiten ernsthaft ins Auge fassten.

 Ich konnte mich dunkel erinnern, dass uns auf der höheren Schule im Biologieunterricht anhand von Skeletten und Schaubildern über die Anatomie des Menschen beigebracht wurde, dass hier „von Natur aus“ schon Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen.

 Die neue „Lehre“ lautete also „Alles ist anerzogen!“. Denn wer mehr „Macht“ und Geld hatte in der bürgerlichen Gesellschaft, der konnte seine Kinder auf die Schule schicken, wo am meisten gelehrt wurde. Das kostete aber etliches. Deshalb gehörte das Drei-Klassen-Schulsystem abgeschafft und somit auch die Klassengesellschaft. Zurück zu Marx’schen Lehren, zum Kommunismus, Sozialismus. „Auf, Brüder und Schwestern, auf zur Freiheit und Gleichheit!“, das war die erschreckende neue Parole.

 Wer natürlich eine bessere Schulbildung hatte, der studierte auch meistens, errang eine höhere berufliche und soziale Stellung, hatte mehr Einfluss, Geld und Macht. Das ist wahr. Die anderen blieben immer „unten“ und waren die „Knechte“. Und dieses von Generation zu Generation, als wäre es gottgewollt, dabei war es die Willkür des Menschen, nur weil der Vater zufällig Arbeiter gewesen war. So meinten diese neuen Propheten, womit sie nicht ganz falsch lagen. Aber: Jeder könne bei entsprechender Förderung sein Abitur bauen und studieren. Die Klassengesellschaft ließe das bisher nur nicht zu. Solche Sprüche klangen unrealistisch und dogmatisch.

 Diese Thematik beschäftigte mich schon früh und ich machte sie zum Gegenstand meiner Ersten Staatsarbeit mit dem Titel „Untersuchung über Chancengleichheit bei Arbeiter-Kindern und -Jugendlichen“. Ich untersuchte die Bildungschancen von unterprivilegierten Jugendlichen beiderlei Geschlechts, die Anteile von erbanlage- sowie umwelteinflussbedingten Eigenschaften und Faktoren auf die Entwicklung eines Menschen, die Chancengleichheit, den Chancenausgleich und die Chancengerechtigkeit. Fazit: Es gibt aus vielen Gründen keine Chancengleichheit, jedoch kann ein Chancenausgleich erreicht werden. Dazu gehören die Schulgeld- und Lernmittelfreiheit. Zudem ermöglichen heutige moderne Schulformen eine noch größere Durchlässigkeit, wie die Einrichtung von Ganztagsschulen.

 Ich kann mich gut an meine Zeit auf dem Gymnasium erinnern, dass wir auch Arbeiterkinder in der Klasse hatten. Wer leistungsstark war, der wurde auch dort gefördert, konnte studieren und bekam ein Stipendium. Also alles eine Frage der Ideologie. Wenn heutzutage angeblich etwa fünfzig Prozent der Oberschüler Nachhilfeunterricht nehmen müssen, um überhaupt versetzt zu werden, dann stimmt bei den Schülern etwas nicht oder es liegt generell an der falschen Wahl der Schulform.

 Unser heutiges, noch dreigliedriges Schulsystem ermöglicht aufgrund seiner hohen Durchlässigkeit, dass jedermann früher oder später seinen individuellen Weg „nach oben“ finden kann. Jeder hat sozusagen den berühmten Marschallstab im Tornister, bei entsprechender Begabung mit Fleiß und Ehrgeiz. So weit, so gut.

 Doch man ging noch weiter in dem Gleichheitswahn. Man nahm an, wie ich schon andeutete, dass Mädchen gegenüber Jungen sowohl geistig als auch körperlich benachteiligt würden. Sie dürften bestimmte Schulen nicht besuchen, bestimmte Berufe nicht ausüben und sich nicht körperlich betätigen. Auch diese Einschätzung der Verhältnisse stimmte teilweise, doch die Schlussfolgerungen waren verblüffend.

 Im ersteren Fall wäre angeblich mangelnde Intelligenz die Ursache gewesen, im letzteren der zu schwache Körper, so meinte die bürgerliche Gesellschaft. Die Mädchen hätte man bewusst dumm gehalten, um sie für die Rolle der Mutter und Hausfrau zu befähigen, die ihrem Manne zu dienen und sich aus geistigen und politischen Dingen herauszuhalten hatte.

 Körperlich wären die Mädchen nicht ertüchtigt worden bei Sport und Spiel, sie hätten nur mit Puppen spielen dürfen und sich auch emotional anders verhalten sollen als die Jungen. Ich höre noch, wie behauptet wurde, die Mädchen hätten deshalb schwächere Muskeln, weil sie nicht Ball spielen und so herumtollen durften wie die Jungen.

 An diesem Rollenverhalten war natürlich etwas dran, weil gesellschaftlich, kulturell und politisch so gewollt, aber doch auch zum Schutz der Frau vor vielen unangenehmen Dingen im Leben, die der Mann ertragen musste: körperlich, seelisch, geistig und wirtschaftlich. Das wird aber heute nicht mehr bedacht. Die Lebensumstände waren damals ganz andere.

 Emanzipation bedeutet laut Lexikon „Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit, Verselbstständigung, Gleichstellung“. Der heutige Emanzipationsgedanke wird hingegen vielfach missbraucht. Aus zweierlei Gründen: Einmal wird der Begriff falsch angewandt, weil er zweitens falsch verstanden wird. Das bedingt einander.

 Der erste Grund ist der, dass man meinte - langsam distanziert man sich jedoch wieder davon -, die beiden Geschlechter seien grundsätzlich von Geburt an mit gleichen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgestattet, sowohl im körperlichen wie im geistig-seelischen Bereich. Auch mit den sogenannten Begabungen. Der zweite Grund besteht darin, dass man alles, was aus einem Menschen wird, auf die Erziehung, Ausbildung und andere Umwelteinflüsse schiebt.

 Bei den Argumentationen taten die Vertreter dieser Ideen sich allerdings schwer in der Erklärung der unterschiedlichen Geschlechtsmerkmale. Sie wollten Weiblein und Männlein gleichhobeln aus ideologischen Gründen. Die Ideologie bestimmte die Anthropologie.

 Inzwischen soll die totale Entmannung des Mannes stattfinden. Das nennt man "Gender Mainstreaming". Anstatt der Vater- und Mutterbegriffe soll es heißen Eltern 1 und Eltern 2, anstatt der Ampelmännchen kreiert man geschlechtslose Gestalten, das Studentenwerk mutiert zum Studierendenwerk, der Professor soll Herr Professorin heißen, es soll nur noch Unisex-Toiletten geben, etc,etc. Du lieber Himmel!

 Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen in der Tat im körperlichen Bereich wohl ganz offensichtlich, dann aber auch, wie erwähnt, durch geschlechtsspezifische Merkmale im Denk- und Empfindungsbereich. Wie trist wäre dann doch das Leben, wenn es keine Unterschiede mehr gebe zwischen den Geschlechtern!

 Aufgrund dieser grundsätzlichen Fehleinschätzungen des Menschen beziehungsweise der Geschlechter deutete man auch die Emanzipation in diesem Sinne. Die Deutung der Begriffe kann vielfältig sein. Gemeint ist, dass die Frauen unabhängiger werden wollen und sollen, im privaten Bereich wie im beruflichen, gesellschaftlich wie politisch gleichgestellt mit den schon emanzipierten Männern. Mit allen Rechten und Pflichten unter Beibehaltung ihrer geschlechtsspezifischen Eigenarten, ihrer körperlichen, emotionalen und Wesensunterschiede, ihrer Vorlieben und Begabungen, ihrer mütterlichen Weiblichkeit und Liebe.

 Aus diesen geschlechtsspezifischen Anlagen mit den unterschiedlichsten individuellen Begabungen lassen sich wundervolle Eigenschaften herausbilden durch Erziehung, Ausbildung, Schulung und Training, die gleichberechtigt neben denen des Mannes stehen und mit denen sich die Geschlechter einander in fruchtbarer Weise ergänzen können.

 Es ist nicht so, dass alles umwelteinflussbedingt ist, respektive von der Gesellschaft - dem Staat, dem System - dem Menschen aufgezwungen wird, vieles ist auch anlagebedingt.

 Die Vertreter der Gleichhobelung und des falschen Emanzipationsbegriffs sprechen auch von „Herrschaftsbefreiung“. Gemeint ist die Befreiung vom Mann und möglichst auch die von jeglicher bürgerlichen Staatsgewalt und Bevormundung. Sie verlangen zu Recht die gleichen Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten, wie sie der Mann hat, wähnen aber, die Frauen könnten genau die gleichen Tätigkeiten ausüben, weil sie von Geburt an gleichgeartet wären und alles andere wäre nur eine Sache der Ausbildung und Erziehung. Ob damit den Frauen ein Gefallen getan wird?

 Sie bemühen sich jetzt verstärkt, auf allen Gebieten den Männern nachzueifern. Damit wird der Mann als Maß aller Dinge auf einen Sockel gehoben. Es ist längst nicht alles so schön, was Männer so tun und lassen dürfen, beruflich wie privat. Oft ist es ein hartes Leben mit allen Konsequenzen - eine Freiheit mit Beigeschmack.

 Sollte das so schön sein für Frauen? Können sie das verkraften, ohne Schaden zu nehmen an Leib und Seele? Fühlen sich dabei die Geschlechter wohl? Verstehen sie sich so besser? Achten sie sich noch? Alles Fragen, die diese Art von Emanzipation aufwirft.

 Der Bogen wird überspannt, wenn Selbstbestimmung, Selbstbefreiung und Selbstverwirklichung um ihrer selbst willen ausgeübt werden und zur Orientierungslosigkeit führen oder auf Kosten oder zu Lasten anderer geschehen. Dann beißt sich die Katze in den Schwanz. Der Preis ist hoch, der für diese Art Freiheit gezahlt wird.

 Man hört in diesem Zusammenhang zu selten das Wort „Selbstdisziplin“, das generell abhandengekommen zu sein scheint, vor allem in Elternhaus und Schule.

 

5

Aus der Fülle von Begriffsbestimmungen seien an dieser Stelle die für die Entwicklung des Individuums, ob weiblich oder männlich, am meisten ausschlaggebenden erklärt.

 Vernunft: Höheres Erkenntnisvermögen. Das ist die Fähigkeit, in höheren Zusammenhängen denken zu können.

 Moral: Sie sagt etwas aus über die innere Gesinnung, das innere Empfinden, das Feingefühl. Sie ist charakter- und erziehungsbedingt.

 Gewissen: Das ist der Maßstab der Moral.

 Sitte: Sie sagt etwas aus über das äußere Verhalten, siehe auch Sitten und Bräuche.

 Ethik: Sie ist die Sittenlehre.

 Kultur