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Paolo Trevisan, Dominik Helbling (Hrsg.)

Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft

Studienbuch für den kompetenzorientierten Unterricht im 1. und 2. Zyklus

ISBN Print: 978-3-0355-0789-8
ISBN E-Book: 978-3-0355-1207-6

 

Coverfoto: ExcaliburMedia, iStock/Thinkstock

 

 

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 hep verlag ag, Bern

 

www.hep-verlag.ch

 

 

 

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Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:
http://mehr.hep-verlag.ch/nachdenken-und-vernetzen

 

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

TEIL 1 – FACHVERSTÄNDNIS

Natur, Mensch, Gesellschaft – ein vielperspektivisches und integratives Fach | Paolo Trevisan

NMG – ein vielperspektivisches Fach in der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Welt

Grundlegende Bildung als Ziel im NMG-Unterricht

Fachperspektivität und Integration in NMG

Die übergeordnete Fragestellung als Dreh- und Angelpunkt

Ausblick: Die übergeordnete Fragestellung im Kontext der Unterrichtsplanung

Literaturverzeichnis

Fragen zu Teil 1

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

TEIL 2 – PHILOSOPHIEREN

Der Fraglichkeit der Welt mit nachdenklichem Lernen begegnen: Philosophieren in Natur, Mensch, Gesellschaft | Dominik Helbling

Philosophieren mit Kindern

Philosophieren in Natur, Mensch, Gesellschaft

Philosophieren anleiten

Ertrag: Nachdenken fördern

Literaturverzeichnis

Fragen zu Teil 2

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

TEIL 3 – KOMPETENZFÖRDERUNG

Unterrichtseinheiten planen: LUKAS-Prozessmodell kompetenzfördernder Aufgabensets | Yves Karrer

Praxisbeispiel

Definition

Kompetenzfördernde Aufgabensets im Planungsprozess

Unterschiedliche funktionale Aufgabentypen

Aufgabensets in einer kompetenzorientierten Unterrichtseinheit

Planungsschritte

Umsetzungshilfen

Literaturverzeichnis

Fragen zu Teil 3

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

TEIL 4 – ÜBERGEORDNETE FRAGESTELLUNGEN

Kann man Zeit sehen? (Kindergarten) | Claudia Röösli Stübi

Kindergarten-Zeit

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Ist Zeit immer gleich lang?

Ertrag: Für ein eigenständiges Leben zentral

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Warum feiern Menschen Feste? (1./2. Klasse) | Dominik Helbling

Die feiernde Schule

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Warum feiern Menschen Feste?

Ertrag: Klären und begehen

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Mädchen Hochhäuser bauen, und dürfen Jungen mit Puppen spielen? (1. Zyklus) | Sandra Büchel-Thalmaier

Geschlechterbewusste Pädagogik: Den Wahrnehmungs- und Handlungsspielraum erweitern

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Können Frauen und Männer (Mädchen und Jungen) alles gleich gut?

Ertrag: Geschlechterbewusst – auf verschiedenen Ebenen ansetzen

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Wie glücklich sind (meine) Haustiere? (3./4. Klasse) | Regula Schmidt

Haustiere – ein Thema für die Schule?

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Was ist Glück?

Ertrag: Unrealistische Darstellungen hinterfragen

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Warum schmeckt mir, was mir schmeckt? (3./4. Klasse) | Edith Fink

Warum sollen wir uns in der Schule mit Geschmäckern und gesundem Essen befassen?

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Warum mögen wir nicht alle dasselbe?

Ertrag: Warum schmeckt mir, was mir schmeckt?

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Wie echt sind Dinosaurier wirklich? (3./4. Klasse) | Paolo Trevisan

Was haben Dinos in der Schule zu suchen?

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Warum interessieren uns längst ausgestorbene Tiere wie die Dinosaurier?

Ertrag: Was haben Dinosaurier in der Schule zu suchen?

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Was nützt uns heute die Römerstadt Augusta Raurica? (3./4. Klasse) | Sabine Ziegler

Abschied von den alten Römern?

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Welche Reste aus der Vergangenheit sind erhaltens- und schützenswert und warum?

Ertrag: Die Römer bleiben! Und: Ausserschulisches Lernen – immer eine Reise wert

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Was ist Heimat? Nachdenken über Heimat, Migration und Flucht (4.–6. Klasse) | Yves Karrer

Heimat – Bedürfnis und Zumutung

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Was ist Heimat?

Ertrag: Heimat als Unterrichtsgegenstand in der Schule?

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Wen macht Schokolade glücklich? (2. Zyklus) | Matthias Hoesli

Weshalb Schokolade in den NMG-Unterricht gehört

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Was ist gerecht?

Ertrag: Perspektivenwechsel und Wertediskussion

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Wem gehört der Sempachersee? (5./6. Klasse) | Gilbert Stalder

Warum eine alte Geschichte in der Primarschule aufrollen?

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Muss man auf andere Rücksicht nehmen?

Ertrag: Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) am Beispiel des Sempachersees

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Wann wird Schall zu Lärm? (5./6. Klasse) | Ueli Studhalter

Von lauten Klassenzimmern und akustischen Phänomenen

Begründung der Fragestellung

Zentrale Sachkonzepte zur Fragestellung

Das Aufgabenset im Überblick

Exemplarische Aufgaben

Die philosophische Frage zum Thema: Ist alles, was laut ist, Lärm?

Ertrag: Erkenntnisse zu akustischen Phänomenen anhand des Umweltproblems Lärm

Hinweise auf Materialien

Literaturverzeichnis

Fragen zu Teil 4

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

TEIL 5 – JAHRES- UND ZYKLENPLANUNG

Jahres- und Zyklusplanung in Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) – ein Modell für den 1. und 2. Zyklus | Sandra Büchel, Claudia Röösli Stübi, Ueli Studhalter, Paolo Trevisan

Worum geht es?

Jahres- und Zyklusplanung als Teil einer dreifachen Unterrichtsplanung

Lehrplan 21: Verbindlichkeiten und Probleme

Allgemeine Grundlagen der Jahres- und Zyklusplanung

Modell zur Erstellung einer Jahres- und Zyklusplanung im 1. Zyklus

Beispiel einer Jahres- und Zyklusplanung im 1. Zyklus

Modell zur Erstellung einer Jahres- und Zyklusplanung im 2. Zyklus

Beispiel einer Jahres- und Zyklusplanung im 2. Zyklus

Literaturverzeichnis

Fragen zu Teil 5

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

Bildnachweis

Autorinnen und Autoren

Vorwort

«Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG) – so wird im Lehrplan 21 das Schulfach der Volksschule genannt, das in der wissenschaftlichen Gemeinschaft in der Regel mit dem Begriff «Sachunterricht» bezeichnet wird. Die Konkretisierung des Sachunterrichts durch diese drei Begriffe verdeutlicht, worum es gemäss Lehrplan 21 in diesem Fachbereich geht. Die Schülerinnen und Schüler sollen ihre Lebenswelt zur Frage werden lassen und deren Strukturen in umfassender Weise fachlich neu erschliessen und somit hinterfragbar werden lassen. Sie sollen sich in der Wissensvielfalt orientieren und zunehmend kompetent handeln lernen. Gleichzeitig macht der Dreiklang auch deutlich, dass das Schulfach seine fachwissenschaftlichen Grundlagen aus verschiedenen grossen Wissenschaftsbereichen bezieht, aus Natur- und Technikwissenschaften ebenso wie aus den Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften. Der NMG-Unterricht soll jedoch dadurch nicht zu einem Sammelgefäss für verschiedene einzelfachliche Didaktiken, sondern zu einem Integrationsfach mit eigener Dignität werden. Die einzelnen Wissenschaftsbereiche werden aus diesem Grunde im Lehrplan 21 nicht als separat verstandene Bezugsdisziplinen, sondern als fachliche Perspektiven aufgeführt, die es im Unterricht sinnstiftend zu verbinden gilt. Dies bietet dem Fachbereich neben zahlreichen Chancen auch spezifische Herausforderungen.

Konsens herrscht in der Fachwelt dahingehend, dass die zentrale Idee des Sachunterrichts sich in der Integration der wissenschaftlichen Bezüge zeigt. Es stellt sich also zunächst die Frage, wie sich die Kultur eines Fachs fassen lässt, das mehrere fachliche Perspektiven aufweist. An der damit verbundenen Frage nach dem Verhältnis von Disziplinarität und Interdisziplinarität wird – mit unterschiedlichen Konjunkturen – seit den 1970er-Jahren in unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen gearbeitet. Insbesondere die Konzepte aus den 70er-Jahren wurden in der Fachwelt zwar hoch gelobt, waren aber in Bezug auf Ihre Praxistauglichkeit eingeschränkt und fanden daher kaum Verbreitung. In der Zwischenzeit wurden vor allem perspektivenbezogene Arbeiten und Konzepte verfolgt, dies jedoch ohne den Grundanspruch der Interdisziplinarität explizit aufzugeben.

Mit dem Aufkommen des fächerübergreifenden Anliegens einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erhielt dieser Grundanspruch eine neue Bedeutung und Dringlichkeit. Aus der Zusammenarbeit zwischen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Sachunterrichtsdidaktik und BNE an der damaligen Pädagogischen Hochschule Solothurn wurden folgende Leitgedanken für einen integrativ verstandenen Sachunterricht erarbeitet:

«Der Unterricht dient dem übergeordneten Ziel, die Schülerinnen und Schüler bei der Erschliessung der Lebenswirklichkeit zu unterstützen und ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu fördern und zum Handeln zu ermutigen. Deshalb ist eine Rückbindung an übergeordnete Bildungsziele im Sinne der Allgemeinbildung notwendig.

Für den Unterricht werden komplexe, gesellschaftlich und fachlich relevante Themen gewählt; diese Themen werden sachgerecht und unter Hinzuziehen relevanten Wissens aus den Bezugswissenschaften des Sachunterrichts bearbeitet. Ausgangspunkt dazu ist die Formulierung einer übergeordneten Fragestellung.

Die Themen des Unterrichts werden so umrissen und aufbereitet, dass sie die Balance halten zwischen der Orientierung an fachwissenschaftlicher Relevanz und der Orientierung an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Der Unterricht vermittelt den Schülerinnen und Schülern belastbares Wissen sowie grundlegende Erfahrungen und Einsichten aus relevanten Gebieten wissenschaftlichen Denkens.

Die Wissensbestände und Vorgehensweisen verschiedener fachwissenschaftlicher Perspektiven des Sachunterrichts werden bei der Bearbeitung komplexer Themen nicht additiv nebeneinandergestellt, sondern anhand einer übergeordneten Fragestellung zu einer Gesamtsicht vernetzt. Mittel dazu ist ein interdisziplinär reflektierter perspektivenverbindender Sachunterricht.

Die verschiedenen ‹Modi der Weltbegegnung› und ein konstruktivistisches Lernverständnis, das das individuelle Lernen der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellt, charakterisieren den Sachunterricht.»[1]

 

Das vorliegende Studienbuch zeigt, wie diese Leitgedanken in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung an der Pädagogischen Hochschule Luzern weiterentwickelt werden, und gibt praktische Hinweise, wie Sachunterricht anders verstanden und umgesetzt werden kann. Es ist erfreulich, dass Studierende mit diesen neuen Zugängen konfrontiert werden und Modelle für eine integrative Unterrichtsgestaltung kennenlernen. Das Studienbuch leistet damit einen wertvollen Beitrag im Hinblick auf einen integrativ konstituierten NMG-Unterricht.

 

Prof. Dr. Christine Künzli David und Prof. Kuno Schmid

Einleitung

Einleitung

Neue Herausforderungen

Als einziges Schul- und Studienfach, das sich mit der Welt in all ihren Facetten beschäftigt, stellt der Sachunterricht an sich – nach neuem Lehrplan «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG) – schon eine grosse Herausforderung für Studierende und Lehrende dar. Wie soll mit der Vielzahl seiner fachlichen Perspektiven umgegangen werden? Welche Inhalte sollen zum Tragen kommen und warum gerade diese? Was soll das Fach zur Allgemeinbildung beitragen? Wie gelingt es, zum Nachdenken anzuregen, statt nur deklaratives Wissen anzuhäufen? Mit der Einführung des Lehrplans 21 kommen weitere Herausforderungen hinzu, wie zum Beispiel die Ausrichtung des Unterrichts auf Kompetenzen mit detailliert aufgeführten Kompetenzstufen und eine darauf aufbauende Zyklenstruktur, in der NMG nicht wie bisher nur die Primarstufe betrifft, sondern vom Kindergarten bis zum Ende der Volkschule reicht, oder die Forderung, die überfachlichen Kompetenzen von Medien und Informatik und von Bildung für nachhaltige Entwicklung in NMG einzubauen.

Gerade für die ersten beiden Zyklen kann die Vielzahl der aufgelisteten Kompetenzen, Kompetenzstufen und Inhalte dazu führen, dass diese einfach nacheinander abgearbeitet werden. Auf der Strecke blieben dadurch gerade jene Aspekte, die das Wesentliche des Fachs ausmachen: den Lernenden eine vertiefte und vernetzende Begegnung und Auseinandersetzung mit der Welt in all ihren Perspektiven zu ermöglichen. Ziel des vorliegenden Studienbuches ist deshalb, für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen des ersten und zweiten Zyklus Anregungen zu geben für einen auf Nachdenken beruhenden und Perspektiven vernetzenden Unterricht in NMG, der bildungsrelevant und kompetenzorientiert ist. Es zeigt Grundlagen und Nutzen eines solchen Unterrichts auf, bietet eine Basis für die Erarbeitung von kompetenzorientierten Aufgaben, hilft bei der Planung des eigenen Unterrichts und stellt ausgehend von übergeordneten Fragestellungen elf didaktische Analysen mit konkreten Aufgabenbeispielen vor, zu denen Hinweise zu Unterrichtsmaterialien und weiterführender Literatur geliefert werden. Das Studienbuch ist in fünf Teile gegliedert.

Teil 1: Fachverständnis

Durch seine vielfältigen Bezüge zu verschiedenen Disziplinen bzw. Fächern stellt NMG als Schulfach des ersten und zweiten Zyklus ein besonderes Konstrukt dar. Ein Konstrukt, das jedoch nicht als blosse «kleine Ausgabe» der überwiegend auf fachlichen Strukturen beruhenden Perspektiven des dritten Zyklus verstanden werden darf. Auch eine Reduzierung seiner Rolle und Bedeutung auf eine reine Zubringerfunktion für weiterführende Schulen würde entschieden zu kurz greifen. In den ersten beiden Zyklen besitzt NMG einen eigenständigen Bildungswert, der sich in der vielfältigen Auseinandersetzung und Begegnung von Schülerinnen und Schülern mit der Welt manifestiert. Seine Berechtigung als Schulfach erhält es, so wie alle anderen Fächer auch, durch explizit auszuweisende Beiträge zu einer grundlegenden Bildung.[2] Wissen und Können der fachlichen Bezugsdisziplinen, der Zielstufe entsprechend konkretisiert in den Kompetenzen und Kompetenzstufen des Lehrplans, bilden dabei die Grundlage des Fachs. Sie dienen dazu, verschiedene Erkenntnisinteressen und Zugänge zur Welt voneinander zu unterscheiden und die Lebenswelt zu erschliessen und zu ordnen. Das Verstehen einer komplexen Welt bedingt jedoch zudem die Fähigkeit, Wissen zu vernetzen und über grundlegende Fragen nachzudenken. Lehrpersonen müssen deshalb fähig sein, ein solches Wissen und Können bei den Lernenden im Hinblick auf die Beschäftigung mit gesellschaftlichen, das heisst bildungsrelevanten Fragestellungen zu entwickeln. Übergeordnete Fragestellungen dienen dabei als Dreh- und Angelpunkt des NMG-Unterrichts und bilden sozusagen den roten Faden, der sich durch eine Unterrichtseinheit zieht, da sowohl Zielsetzung als auch Sachanalyse und Auswahl der Methoden sich danach ausrichten.

Teil 2: Philosophieren

Ein an Fachwissenschaften orientierter Lehrplan macht Schülerinnen und Schülern spezifisches Wissen und Zugänge verfügbar. Er kann jedoch auch dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler vor allem lernen, dass es auf alles eine Antwort gibt und die Lehrperson sie weiss. Eine solche Welt, die bis in den hintersten Winkel vermessen ist, ist für Kinder denkbar uninteressant. Und eine pädagogische Haltung, die sie mit Erwachsenenwissen belehrt, verhindert Neugierde und Entdeckungslust. Der Ansatz des Philosophierens mit Kindern möchte deshalb das Staunen und Hinterfragen kultivieren und das kritische Nachdenken fördern. Dazu braucht es kein eigenes Fach, denn in allen Fächern lassen sich Fragen stellen, die nicht fachlich zu beantworten sind und deshalb nach einem Gespräch verlangen. Damit dies für den NMG-Unterricht nutzbar gemacht werden kann, wird der Ansatz des Philosophierens eingeführt und es werden einige grundlegende Arbeitsmittel vorgestellt. Gerade die übergeordnete Fragestellung ist häufig philosophischer Natur, weil sie uneindeutig ist, fachliche Perspektiven überschreitet, einen existenziellen Kern aufweist und ergebnisoffen formuliert ist. Sie kann die Schülerinnen und Schüler dazu anregen, Wissen miteinander zu vernetzen und gleichzeitig über dessen Grenzen hinaus nachzudenken. Wer sich auf das Abenteuer einlässt, mit den Schülerinnen und Schülern zu staunen, zu fragen und in Zweifel zu ziehen, der wird eine Bereicherung des Unterrichts für sich und die ganze Klasse erfahren.

Teil 3: Kompetenzförderung

Die derzeitige didaktische Diskussion und der Lehrplan 21 folgen dem Paradigma der Kompetenzorientierung. Nicht möglichst viel deklaratives Wissen soll angehäuft, sondern ausgewählte Kompetenzen sollen gefördert werden. Merkmale dieses kompetenzfördernden Unterrichts sind insbesondere authentische Anforderungssituationen und der kumulative Kompetenzaufbau. Diese beiden Merkmale beeinflussen die Aufgabenkultur des NMG-Unterrichts entscheidend. Zum einen sind Aufgaben so zu gestalten, dass Schülerinnen und Schüler immer für eine für sie nachvollziehbare Anwendung lernen. Zum anderen muss Lernen so gestaltet sein, dass das Erlernte gefestigt und immer wieder geübt wird. Erst dadurch wird eine Kompetenz auch nachhaltig erworben. Ein wirksames Mittel für die Planung von kompetenzförderndem Unterricht ist das Prozessmodell LUKAS (Luzerner Modell zur Entwicklung kompetenzfördernder Aufgabensets)[3], das in Anlehnung an geläufige Unterrichtsartikulationsschemen verschiedene Funktionen von Aufgaben unterscheidet und zueinander in Beziehung setzt. Teil 3 führt in das Prozessmodell ein und formuliert Beispiele für den NMG-Unterricht.

Teil 4: Übergeordnete Fragestellungen

Warum schmeckt mir das, was mir schmeckt? Wie glücklich sind Haustiere? Ist alles, was laut ist, auch lärmig? Was sich inhaltlich und an der Planung und Durchführung von Unterricht ändert, wenn statt eines Stichworts (z. B. «Ernährung», «Tiere» oder «Schall») eine Fragestellung im Zentrum steht, zeigen elf Beiträge, die verschiedene fachliche Perspektiven aufnehmen und miteinander kombinieren. Sie beinhalten didaktische Analysen, kompetenzfördernde Aufgabensets mit exemplarischen Aufgaben und einen dazugehörigen Katalog zu einer philosophischen Frage. Sie lösen damit exemplarisch ein, was der didaktische Ansatz einfordert, nämlich einen zum Nachdenken anregenden und vernetzenden Unterricht zu gestalten. Die elf Beiträge weisen stets denselben Aufbau auf: Eine Einleitung macht den Zusammenhang zur Schule deutlich; daran anschliessend wird die Bildungsrelevanz der Fragestellung entlang der didaktischen Trias Kind–Sache–Gesellschaft und die Verortung im Lehrplan erörtert; zentrale Sachkonzepte verdeutlichen, unter welcher Perspektive ein Gegenstand erschlossen wird; eine Übersicht zu einem möglichen Aufgabenset und exemplarische Aufgaben geben Einblick, wie Kompetenzförderung konkret geschehen soll; eine dazu passende philosophische Frage wird mit einem Fragenkatalog aufbereitet; eine Zusammenfassung beschliesst jeweils den Beitrag. Schliesslich verweisen wir auf relevante Literatur und didaktisches Material. Auf diese Weise wird der didaktische Ansatz konkret.

Teil 5: Jahres- und Zyklenplanung

Ein Konzept für eine Jahresplanung im Fachbereich NMG für den ersten und zweiten Zyklus bewegt sich zwischen rechtlichen Rahmenbedingungen (z. B. Wochenstundentafel), Vorgaben des Lehrplans (z. B. Zyklenstruktur, Kompetenzorientierung, verbindliche Inhalte) und Umsetzungsbedingungen in der Praxis. Da eine Eins-zu-eins-Umsetzung der zahlreichen Kompetenz(-stufen) und verbindlichen Inhalte des Lehrplans weder zu bewältigen noch wünschenswert ist, muss eine Gewichtung und Auswahl getroffen werden. Auch in diesem Fall leistet die Ausrichtung auf übergeordnete Fragestellungen gute Hilfe. Geht man von übergeordneten Fragestellungen aus, können verschiedene Kompetenzbereiche und Kompetenzen verbunden werden, was nicht zuletzt der mehrperspektivischen und integrativen Anlage des Fachs entgegenkommt. Mit sechs bis sieben Fragestellungen als Unterrichtsthemen pro Jahr können die zentralen Anforderungen des Lehrplans abgedeckt werden. Selbst überfachliche Anliegen aus den Bereichen Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie Medien und Informatik lassen sich jeweils sinnvoll für die Behandlung einer Fragestellung berücksichtigen.

Der Flipper

Die Suche nach einer geeigneten übergeordneten Fragestellung führt eine Lehrperson zunächst dazu, sich mit einigen wesentlichen Aspekten von Unterricht in NMG auseinanderzusetzen. Dazu gehört speziell die Herausforderung, für Lernende relevante Wissens- und Könnensbereiche zu identifizieren. Geht man von einem inhaltlichen Stichwort aus, besteht die Gefahr, unzusammenhängendes und beliebiges Wissen zu produzieren. Auf der Suche nach einer geeigneten übergeordneten Fragestellung muss man sich aber vielmehr ihre Bedeutsamkeit für Kind, Sache und Gesellschaft vergegenwärtigen. Wie in einem Flipper geht zum Beispiel das Stichwort «Ernährung» (der Spielball) von einem Bezugspunkt zum anderen, um abzuklären, worin die relevanten Fragen, fachlichen Potenziale, Lehrplanbezüge zu diesem Stichwort bestehen. Es gilt, den «Spielball» möglichst lange im Spielfeld zu halten, da dadurch die Chance steigt, eine gute übergeordnete Fragestellung formulieren zu können. Hat man eine befriedigende Fragestellung gefunden, folgt danach eine Auswahl der an der Behandlung der Frage beteiligten fachlichen Perspektiven und deren Wissensbestände. Überlegungen zu Unterrichtszielen und zu Unterrichtsmethoden können nun folgen. Das Bild des Flippers stellt eine Metapher dar für den zirkulären Prozess der Unterrichtsvorbereitung. Der hinten im Buch beigelegte Flipper liefert eine Kurzform des didaktischen Ansatzes, der die Unterrichtsvorbereitung erleichtert.

Zum Gebrauch des Studienbuches

«Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft» ist als Studienbuch konzipiert. Es gehört damit in die Hand von angehenden und praktizierenden Lehrpersonen sowie von Dozierenden an pädagogischen Hochschulen. Es ist allerdings nicht allein zur Lektüre geeignet, sondern auch zum Weiterdenken und Weiterarbeiten in Lehrveranstaltungen, Kursen und Teamdiskussionen. Dazu einige Anregungen:

Den Ansatz der übergeordneten Fragestellung versteht man am besten, wenn man sich in der Formulierung solcher Fragestellungen übt. Bilder der Welt (z. B. Burgruine, Flüchtlingsboot, Gebetsfahnen, Tiere, Getränkeflasche) dienen als Inspiration, eine solche zu formulieren.

Manche NMG-Werkstatt ist ein Sammelsurium unzusammenhängenden Wissens. Solche Unterrichtsmaterialien werden entlang der didaktischen Trias auf ihre Bildungsrelevanz analysiert. Der Flipper hilft dabei, den Überblick zu wahren.

Philosophieren lernt man durch Philosophieren. Es lohnt sich, im Rahmen von Lehrveranstaltungen mit Studierenden, in Weiterbildungskursen und im Team philosophische Gespräche zu führen und sie führen zu lassen.

Wenn man das System der Aufgabensets verstanden hat, dann erleichtert es die Strukturierung des Unterrichts. Bis dahin braucht es Übung. Mit verschiedenfarbigen Kärtchen können Aufgaben entlang des Prozessmodells so lange geordnet werden, bis ein stimmiges kompetenzförderndes Aufgabenset erstellt ist.

Aus den Analysen und den Aufgabensets der elf exemplarischen Fragestellungen können Unterrichtsmaterialien erstellt werden. Umgekehrt kann ausgehend von bestehendem Unterrichtsmaterial entlang des Aufbaus der elf Fragestellungen eine didaktische Analyse erstellt werden.

Letztlich ist jedes Team gefordert, eine für seine Situation stimmige Planung zu erstellen. Die vorliegende Jahresplanung ist ein Vorschlag, an dem man Vor- und Nachteile benennen oder alternative Fragestellungen diskutieren kann.

 

Konkrete Fragen und Arbeitsaufträge sind jeweils am Schluss der Teile 1 bis 5 zu finden.

Dank

Die Herausforderungen, welche die komplexe Struktur von NMG an Studierende und Lehrpersonen in der Praxis stellt, gelten in gleichem Masse auch für Lehrende der Fachdidaktik NMG an pädagogischen Hochschulen. Hinzu tritt, dass die Mehrperspektivität des Fachs es notwendig macht, dass sich Dozierende aus mehreren Bezugswissenschaften des NMG-Unterrichts zusammen mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen fächerübergreifenden Bildungsanliegen an der Entwicklung und Umsetzung des Studienplans beteiligen müssen. Alle sind dabei gefordert, ihr disziplinäres und interdisziplinäres Wissen im Hinblick auf dessen Beitrag zur Entwicklung einer von allen getragenen mehrperspektivischen und integrativen Fachdidaktik kritisch zu hinterfragen.[4] In diesem Sinne stellt der vorliegende Band auch ein Teamentwicklungsprojekt dar, das zum Ziel hatte, ausgehend von je unterschiedlichen fachlichen Hintergründen einen Beitrag zu einem gemeinsamen Verständnis des Fachs NMG zu leisten. Dieses didaktische Konzept möchten wir damit in die fachdidaktische Diskussion einbringen. Den Herausgebern ist es ein Anliegen, den Kolleginnen und Kollegen für ihren Beitrag zum Gelingen des Projekts «Studienbuch NMG» herzlich zu danken.

Der hep verlag hat uns in unserem Vorhaben, unseren didaktischen Ansatz einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, von Beginn an unterstützt. Wir danken Peter Egger und Susanne Gentsch für die Aufnahme in das Verlagsprogramm und Tatjana Straka für die zuverlässige Begleitung.

Für den namhaften Zuschuss zu den Druckkosten danken wir der Pädagogischen Hochschule Luzern. Unser Dank geht auch an die Dienststelle für Volksschulbildung des Kantons Luzern, welche die Ausarbeitung eines Modells zur Jahres- und Zyklenplanung finanziell unterstützt hat.

 

Wir wünschen den Lesenden in Aus- und Weiterbildung anregende Lektüre und erhellende Diskussionen. Wir hoffen, dass wir einen Beitrag zur Entwicklung der NMG-Didaktik leisten können.

 

Die Herausgeber, April 2018

TEIL 1 – FACHVERSTÄNDNIS

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Das Fach Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) lädt zur Auseinandersetzung mit der Welt aus unterschiedlichen Perspektiven ein. Um einen bildungsrelevanten Unterricht gewährleisten zu können, werden didaktische Kriterien benötigt. Dieser Teil führt zunächst entlang des Lehrplans 21 ins Fach ein und legt dar, wie grundlegende Bildung im Fachbereich NMG verstanden werden kann. Danach führt er durch unterschiedliche Arten der Perspektivenkoordination und optiert für einen perspektivenübergreifenden Ansatz. Als Dreh- und Angelpunkt wird die übergeordnete Fragestellung als Mittel zur Unterrichtsplanung eingeführt.