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Dorian Hunter Band 93: Rache der Dschinnen

Dorian Hunter weiß nun, wo er einen Feuerschädel finden kann. Oder zumindest etwas, das wie ein Feuerschädel aussieht. Ob sich daraus wirklich ein weiterer Eidesstab herstellen lässt, so dass er Salamanda als Schiedsrichterin der Schwarzen Familie stürzen kann, ist unklar. Ob der Versuch das Risiko wert ist, sich mit dem Dschinnen in der Taklamakan-Wüste anzulegen, ebenfalls. Aber welche andere Möglichkeit bleibt dem Dämonenkiller sonst?

 

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Taklamakan

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Band 92

 

Taklamakan

 

von Simon Borner und Uwe Vöhl

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

 

© Zaubermond Verlag 2018

© "Dorian Hunter – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die eBook-Manufaktur

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah

 

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Ihn kann Dorian schließlich töten.

Nach vielen Irrungen nimmt Lucinda Kranich, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Rolle des Asmodi an. Niemand weiß, dass sie in Wirklichkeit hinter dem wiedererstandenen Fürsten steckt. Und letztendlich wird ihre Maskerade Wirklichkeit. Dass Lucinda sich einen Teil Asmodis einverleibt hat, um seine Macht zu erlangen, wird ihr zum Verhängnis. Der in ihr schlummernde Asmodi übernimmt die Kontrolle über ihren Körper und ersteht so tatsächlich wieder auf.

Den Posten des Schiedrichters nimmt die babylonische Vampirin Salamanda Setis an, die noch ein sehr persönliches Hühnchen mit Dorian zu rupfen hat. Gleichzeitig gelingt es Dorian mithilfe seiner Tochter Irene, ganz Großbritannien von Dämonen zu befreien. Allerdings sind Salamanda und Asmodi bereits dabei, einen Gegenschlag zu planen. Um ihn zu verhindern und Salamanda als Schiedsrichterin zu stürzen, muss Dorian sich erneut mit Olivaro verbünden. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem weiteren Feuerschädel.

 

 

Erstes Buch: Kopfgeldjäger

 

Kopfgeldjäger

 

von Uwe Vöhl

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

1.

 

Die Kleine war höchstens sechs. Zumindest dem Äußeren nach. Sie trug ein zerlumptes Nachthemd, das wohl ehemals weiß gewesen war, jetzt jedoch vor Dreck, Kot, Blut und anderen üblen Dingen starrte. Das Mädchen hielt eine Stoffpuppe an sich gedrückt. Die Puppe war genauso verschmutzt wie das Mädchen selbst. Es saß im Schlamm und schaute mit großen Augen ängstlich zu dem Revolvermann hoch. Sein Schatten war ganz plötzlich aufgetaucht. Bis dahin hatte die Kleine mit der Puppe gespielt und nicht auf ihre Umgebung geachtet.

Solomon Keyes setzte sein freundlichstes Lächeln auf, ging in die Hocke und fragte mit sanfter Stimme: »Hallo, Mädchen, wie heißt denn deine Puppe?«

»Mirela.« Die Furcht war nicht aus den Augen des Mädchens verschwunden. Im Gegenteil. Nun kam auch noch Misstrauen hinzu. Seit wann interessierten sich erwachsene Männer für ihre Mirela?

Solomon Keyes streichelte über den zerrupften Haarschopf der Puppe, der aus dicken Wollfäden bestand und den verfilzten Haaren des Mädchens ähnelte.

»Sie ist schön, deine Mirela. Sie gefällt mir …«

Instinktiv drückte das Mädchen die Puppe noch fester an sich. »Du lügst«, sagte sie. »Mirela ist nicht mehr schön. Sie ist schmutzig und hat Risse.«

»Wir könnten das ändern. Dort, wo ich hinwill, gibt es bestimmt einen Puppendoktor.«

Die Kleine sah ihn skeptisch an. »Dafür braucht man aber Geld.«

Solomon Key schnippt mit den Fingern, und auf einmal lag ein Geldstück in seiner Hand.

»Geld ist kein Problem.« Er streckte ihr die Münze entgegen. »Hier, die schenk ich dir …«

Die Hand des Mädchens zuckte vor, verharrte aber im letzten Augenblick. »Ich darf nichts von fremden Männern annehmen.«

»Wer sagt das denn?«

»Meine Eltern.«

»Genau zu denen möchte ich. Führst du mich zu ihnen?«

Das Mädchen schüttelte bockig den Kopf. »Das wollen sie bestimmt nicht. Außerdem schlafen sie.«

»Am helllichten Tag? Na so was. Macht aber nichts. Wir wecken sie auf, und was ich mit deinen Eltern zu bereden habe, wird ihnen gefallen.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen.

Genau wie die Puppe.

Solomon Keyes grinste breit. Diese Symbiose gefiel ihm. Die Kleine hatte wirklich was drauf.

»Hey, wie heißt du überhaupt?«

»Felicia.«

»Felicia …« Er dehnte den Namen und schnalzte mit der Zunge. »Felicia, die Glückliche …«

Abermals schnippte er mit den Fingern. Diesmal hatte er ein Bonbon hervorgezaubert. Er sah die Gier in den Augen des Mädchens.

»Na, ist das nicht ein Deal? Du kriegst von mir eine ganze Tüte Bonbons, wenn du mich zu deinen Eltern führst.« Seine Stimme klang nun nicht mehr so geduldig und freundlich.

Felicia schüttelte erneut den Kopf.

»Du bist ein ganz schön störrischer Dickkopf, Felicia«, knurrte Keyes, und plötzlich lag ein Revolver in seiner Hand. Die Mündung der Waffe drückte er an die Schläfe der Puppe. »Eins, zwei, drei, und deine schöne Mirela ist nur noch Brei!«, drohte er und lächelte grausam. »Also, machen wir nun einen Deal oder nicht?«

Felicia nickte heftig, genau wie die Puppe. Solomon Keyes riss sie ihr aus den Händen. Die Puppe zappelte und wehrte sich, sodass er ihr die Kehle zudrückte. Auch Felicia begann zu röcheln.

»Wenn du nicht stillhältst, drücke ich fester zu!« Er hatte zu Felicia gesprochen, erreichte aber genau den beabsichtigten Zweck. Die Puppe erschlaffte in seinen Händen. Diese Verbindung zwischen den beiden beindruckte ihn. Das Mädchen musste wirklich über außergewöhnliches Talent verfügen. Und er hatte auch schon einen Plan, wie er es für seine Zwecke einsetzen würde.

»Und jetzt hopp! Meine Geduld ist nicht unendlich!«, warnte er.

Das Mädchen erhob sich aus dem Schlamm. Es zitterte und hatte Angst. Und deshalb gehorchte es. Es ging voran, schaute jedoch immer wieder, ob Solomon Keyes ihm auch ja folgte und der Puppe nichts tat.

Das Lager war überschaubar. Noch vor einem Jahr hatte es hier anders ausgesehen. In dem »Dschungel«, wie das Flüchtlingslager in Calais auch genannt wurde, hatten Tausende gestrandeter Menschen vegetiert. Ihr Ziel war es, als blinde Passagiere nach Großbritannien zu gelangen. Doch auch, nachdem die Behörden den Dschungel geräumt hatten, kamen immer noch weitere Flüchtlinge nach Calais und errichteten neue »Dschungel« neben dem geräumten Gelände. Mittlerweile waren es nur noch wenige Hundert – und meistens wurden sie nach ein paar Wochen von der Polizei wieder in andere Flüchtlingslager gebracht.

Kaum einer der Flüchtlinge kümmerte sich um den seltsamen Revolvermann und das Mädchen. Hier war sich jeder selbst der Nächste. Die Leute schauten rasch zu Boden, wenn Keyes’ Blick den ihren streifte. Niemand hielt ihn auf, niemand fragte ihn, wieso er bewaffnet und wer das kleine Mädchen an seiner Seite war.

Keyes’ vormals blanke Stiefel waren mit Schlamm und Exkrementen bespritzt, als sie endlich vor einem armseligen Zelt hielten. Zwei kleine Jungen, jünger noch als Felicia, saßen im Dreck und buddelten darin. Dennoch wirkten sie selbst im Spiel teilnahmslos.

Erst als einer von ihnen aufschaute und Solomon Keyes erblickte, trat so etwas wie Glanz in die stumpfen Augen. »Bist du ein Cowboy?«, fragte der Junge.

»So etwas Ähnliches«, antwortete Keyes und lächelte freundlich. Es war nicht so, dass er kein Herz besaß. Wenngleich es rabenschwarz war, taten ihm die Kinder leid. Sie hatten etwas Besseres verdient, als hier im Schlamm zu hocken. Zumal es ganz besondere Kinder waren. Keine Menschen. Zumindest keine reinrassigen.

»Weck sie auf!«, befahl er, und Felicia beeilte sich, in das Zelt zu kriechen.

Als Erster steckte ein abgemagerter Mann den Kopf heraus. Er hatte schulterlange, fettige Haare, einen herabhängenden Schnäuzer und kleine tückische Augen.

Als er Solomon Keyes erblickte, zuckte er zusammen. Man sah ihm an, dass er am liebsten geflüchtet wäre.

»Keine Sorge, ich tue Ihnen nichts«, sagte Keyes schnell. Den Revolver hatte er inzwischen wieder ins Holster gesteckt. Um seine Worte zu unterstreichen, zeigte er dem Mann beide Handflächen. »Im Gegenteil, ich bin gekommen, um Ihnen Ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Sie wollen doch rüber nach Großbritannien, oder?«

Ein zweiter Kopf kam neben dem Mann zum Vorschein. Er gehörte einer Frau. Einer bildhübschen Frau, wie Keyes feststellte. Ihre hohen Wangenknochen und die grünblitzenden Augen verliehen ihr einen exotischen Reiz. Die schwarzen Haare waren zu einem Zopf gebunden, der ihr nach vorne über die Bluse fiel. Die vollen Lippen waren wie das ganze Gesicht nicht geschminkt. Das minderte nicht ihre Attraktivität.

Dennoch ließ sich Keyes nicht von ihrer Schönheit blenden. Die war ihm egal. Ihm kam es auf die inneren Werte an, und er war gespannt, was sie ihm zu bieten hatte.

»Was wollen Sie?«, zischte die Frau. Er konnte ihre Feindseligkeit ihm gegenüber geradezu spüren. Körperlich, und er wusste, dass sie es ihn spüren lassen wollte.

Solomon Keyes lüpfte den Hut und verbeugte sich. »Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss …«

»Lassen Sie den Quatsch. Mein Name ist Denisa. Sie sind kein Mensch, Sie gehören zur Schwarzen Familie, genau wie ich, nicht wahr?«

»Da bin ich mir nicht so sicher, Teuerste. Ich meine, ob Sie zur Schwarzen Familie gehören. Und er.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf den Mann, der so gar nicht zu der Frau zu passen schien.

Wieder zuckte der Mann zusammen. Seine Nerven schienen nicht die besten zu sein.

»Asker ist ein gewöhnlicher Mensch, da haben Sie recht, aber ich bin trotzdem nicht aus der Familie gestoßen worden.«

Das war gut so, denn es bedeutete, dass die Frau nach wie vor über ihre Fähigkeiten verfügte. Diese Familie war ein Geschenk – genau das, was er brauchte: Ein normaler Mensch, eine talentierte Hexe und ein Bastard von einem Mädchen, bei dem er ahnte, dass die Kleine sein Problem vielleicht mehr noch als die anderen beiden lösen konnten.

Sein Blick fiel auf die beiden Jungen, die nach wie vor teilnahmslos im Dreck spielten. Sie waren magisch nur mäßig begabt, das spürte er. Er würde mit ihnen nicht viel anfangen können.

Da Keyes schwieg, wiederholte Denisa ihre Frage: »Was wollen Sie von uns?«

»Ich bringe Sie rüber nach Großbritannien«, erklärte Keyes.

Denisa lachte auf. Es war ein schönes, perlendes Lachen, das sicherlich so manchen Mann um den Verstand brachte. »Selbst für eine Million Pfund und mich noch obendrauf würden Sie das niemals schaffen, Mister. Die Kontrollen machen es schon normalen Menschen fast unmöglich, rüberzugelangen. Asker könnte es vielleicht schaffen – allein. Aber er ist zu feige.« Wieder lachte sie, diesmal lag Spott darin. »Sie scheinen nicht sehr gut informiert zu sein. Nicht nur der Tunnel ist dicht. Kein Dämon gelangt seit Kurzem mehr nach Großbritannien. Überall haben sie die Grenzen für uns unüberwindbar gemacht …«

»Ich kenne eine Möglichkeit«, behauptete Keyes.

»Und das machen Sie ganz uneigennützig, wie?«

»Nein, ich gebe zu, dass ich ebenso auf Sie angewiesen bin wie Sie auf mich. Aber ich bin sicher, dass wir es zusammen schaffen werden.«

Zumindest werden wir es zusammen schaffen, dass einer von uns drüben ankommt. Und das werde ich sein.

 

Hitze. Unerträgliche Hitze. Die Haut ist rot wie ein gekochter Hummer. Wo sie sich pellt, sieht es darunter aus wie rohes Fleisch.

Der Durst. Der Rachen fühlt sich an wie ein vertrocknetes Blatt. Das Schlucken schmerzt.

Aber das geht nur die ersten Tage so.

Mein Freund lacht. Im ersten Moment weiß ich seinen Namen nicht mehr, sodass ich fürchte, dass die Sonne mir auch das Hirn weggebrannt hat. Doch dann fällt mir gottlob wieder ein, wie er heißt: Mathis. Wenngleich ich nicht darauf komme, wo und unter welchen Umständen wir uns kennengelernt haben. Genauso wenig wie ich mich erinnern kann, warum ich überhaupt hier bin.

Mathis scheint die unerträgliche Hitze nicht das Geringste auszumachen. »Da musst du durch«, sagt er. »Die ersten Tage auf der Seidenstraße sind die Hölle.«

»Und danach?«, frage ich. »Was kommt danach?«

Ich habe mir bisher nie Gedanken darüber gemacht, ob es nach der Hölle noch etwas Schlimmeres geben könnte. Was ich weiß, ist, dass es viele Höllen gibt: Die Hölle auf Erden zum Beispiel. Die Hölle des Krieges. Die Höllen der Folter … Vielleicht gibt es so viele Höllen, wie es Sterne am Firmament gibt.

Mathis scheint plötzlich nachdenklich geworden zu sein. Oder habe ich ihn mit meiner Frage in Verlegenheit gebracht? Schließlich sagt er: »Der Mensch vergisst gerne, dass er seine wichtigsten Ziele nur durch größte Anstrengung erreicht hat. Oder größte Entbehrung. Wie man’s nimmt.«

Angesichts der unerträglichen Hitze kann ich damit im Moment wenig anfangen. Er scheint es mir anzusehen und grinst. »Welcher Mann sehnt sich nicht nach einer treusorgenden Seele, die ihn liebt, für ihn wäscht und kocht und auch das Bett mit ihm teilt. Doch soll die Ehe einigermaßen harmonisch verlaufen, und ich spreche noch nicht mal von den zänkischen deutschen Weibern, so solltest du außerhalb deiner Ehe möglichst enthaltsam leben.«

»Und womöglich noch dem Branntwein entsagen, oder was?«, mischt sich ein anderer unserer Reisegruppe ein. Sein Name liegt mir sofort auf der Zunge: Pierre Duval. Ich weiß nur, dass er ein Geschäftsfreund von Mathis ist. Doch welcher Art die Geschäfte sind, die die beiden verbindet, fällt mir nicht ein. Wahrscheinlich ist es auch nicht von Belang.

Ebenso wenig kann ich abschätzen, wer noch zu unserer Gruppe gehört. Die Träger nehme ich nur als flimmernde Schatten wahr. Selbst wenn ich den Blick auf einen von ihnen fokussiere, will es mir nicht gelingen, ihn deutlicher wahrzunehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob es an der flirrenden Lichtbrechung liegt oder an meiner Sehkraft. Und auch das beunruhigt mich.

Während ich mich neben Mathis weiter durch den Wüstensand quäle, versuche ich, meine Gedanken zusammenzubringen. Einige Meter vor mir geht eine rothaarige Frau. Nach einigem Nachdenken fällt mir glücklicherweise auch ihr Name wieder ein. Zumindest ihr Vorname. Aaltje lautet er. Sie ist Holländerin, wie sie uns erzählt hat.

Der Mann neben ihr gehört ebenfalls zu unserer Reisegruppe. Er ist Chinese und nennt sich Fu Long. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob mir der Name gerade nur so eingefallen ist, geschweige denn, ob er wirklich so heißt. Aber da bin ich mir bei keinem aus unserer Gruppe wirklich sicher.

Bei diesem Gedanken klopft mein Herz plötzlich so hart gegen den Brustkorb, als wolle es ihn zertrümmern. Denn mir wird auf einmal bewusst, dass ich noch nicht mal meinen eigenen Namen mehr weiß!

Die nächsten hundert Meter zerbreche ich mir den Kopf. Wie heiße ich?

Remy LeBeaux, will mir eine Stimme weismachen, aber ich bin mir sicher, dass das nicht mein richtiger Name ist. Vielleicht habe ich mich irgendwann mal so genannt. Womöglich habe ich mich unter diesem Namen den anderen vorgestellt. Aber nein, Remy LeBeaux, das bin nicht ich.

Und noch etwas macht mir zu schaffen – noch viel mehr als nur der Verlust meines Namens beunruhigt mich, dass ich nicht weiß, auf welche Weise und aus welchem Grund ich mich in dieser Hitzehölle befinde und abquäle, und für einen Moment kommt mir der Gedanke, dass Mathis der Teufel sein könnte.

Aber das ist Unsinn.

Zumindest weiß ich – dank Mathis – wo ich mich befinde: auf der Seidenstraße. Aber ich kenne nicht das Ziel, es sei denn, die nächste Oase oder zumindest Wasserstelle bedeutet das Ziel …

Meine Gedanken beginnen zu kreisen. Um all die Dinge, die mir partout nicht einfallen wollen. Ich könnte die anderen fragen, oder zumindest Mathis, aber aus irgendeinem mir unbekannten Grund scheue ich davor zurück. Ich beiße die Zähne zusammen und kämpfe mich weiter …

 

… und weiter.

Bis plötzlich der Sand unter mir nachzugeben scheint und ich ins Bodenlose falle. Dabei sind es nur meine Knie, die nachgegeben haben, sodass ich nun auf dem Boden liege. Der Sand ist so unerträglich heiß, dass ich wie am Spieß schreie. Ich will wieder aufstehen, bin aber zu schwach.

Ist das die Hölle, von der Mathis gesprochen hat? Eine diabolische Variante des Fegefeuers? Bin ich nun für immer verdammt, im Wüstensand gebraten zu werden, ohne je die Kraft zu haben, mich zu erheben?

Ich spüre, wie mir die Sinne zu schwinden drohen. Ich bäume mich dagegen auf. Die Angst, dass die anderen mich hier zurücklassen werden, ist plötzlich größer als alles andere. Sie überdeckt sogar den Schmerz.

Dann sehe ich Mathis’ Gesicht über mir.

»Ist das jetzt die Hölle?«, frage ich ihn.

»Nein, du hast nur einen Sonnenstich. Wenn du den erstmal überstanden hast, wird dir die Hitze weniger ausmachen.«

Er träufelt etwas Wasser auf meine Lippen und hilft mir hoch.

Ich kann mich kaum auf den Beinen halten und taumle. Vor meinen Augen verschwimmt alles. Selbst Mathis nehme ich nur noch als verwaschenen Schemen wahr. Ich merke, dass die Wirklichkeit unter mit wegbricht. Hinter Mathis ist plötzlich etwas anderes zu sehen. Es sind die Mauern einer Stadt. Aber wo ist die Wüste geblieben? Wo bin ich?

»Mathis«, krächzte ich und klammere mich an ihm fest wie ein Ertrinkender. »Sag mir, wer ich bin! Wie ich heiße!«

Ich höre ihn lachen. »Du bist …«

»… Dorian!«

 

 

2.

 

»Dorian!«

Ich schrak hoch, als ich die Stimme hörte. Doch noch immer war mein Geist in dem Traum gefangen. In dem Traum, der kein Traum war, sondern eine Vision. Ich war mir sicher, einen weiteren Teil meiner Erinnerungen angezapft zu haben.

Erst allmählich klärte sich mein Blick, und ich sah Cocos besorgtes Gesicht über mir schweben. Sie strich mir über die schweißnasse Stirn.

Am liebsten hätte ich ihre Hand beiseite geschlagen. Sie sah meinem Gesicht an, dass irgendetwas nicht stimmte, und zog die Hand zurück. »Du hast geträumt«, sagte sie. »Und so laut geschrien, dass ich es sogar bis in die Küche gehört habe …«

»Ich hatte eine Vision! Ich habe mich an mein früheres Leben erinnert! Vielen Dank, dass du mich da rausgeholt hast!«, sagte ich verbittert.

»Ich wusste nicht …«

»Ich war drauf und dran zu erfahren, was ich als Hugo Bassarak auf der Seidenstraße verloren hatte!«

Einerseits war ich froh, wieder in der Wirklichkeit gelandet zu sein. Ich hatte mich hundeelend gefühlt und geglaubt zu sterben. Andererseits war wieder eine Chance vertan, die Blockade in meinem Gehirn zu lösen und damit den Schleier zu meiner Vergangenheit weiter zu lüften.

»Was hast du erlebt?«, fragte Coco nach wie vor besorgt. Sie setzte sich auf die Bettkante und fühlte erneut meine Stirn. »Du bist heiß, als hättest du Fieber. Sehr hohes Fieber …«

»Ich komme direkt aus der Wüste«, erklärte ich ihr, und als ich ihre skeptische Miene sah, erzählte ich, was ich in der Vision durchgemacht hatte. Zwischendurch griff ich nach einer Players und zündete sie an. Nach den ersten Zügen hätte ich am liebsten mit einem Bourbon nachgespült, aber die Flasche auf meinem Nachttisch war leer. Ich musste also mit dem Kratzen in meinem Hals weiterleben.

Nachdem ich geendet hatte, wirkte Coco sehr nachdenklich. »Ich konnte nicht ahnen, dass du eine deiner Visionen hattest. Ich dachte, du hättest nur schlecht geträumt, und ich wollte dir helfen.«

»Ist schon in Ordnung. Nur im ersten Moment …«

»Ich könnte noch einmal versuchen, dich zu hypnotisieren«, schlug sie vor.

»Das hat schon beim ersten Versuch nicht geklappt«, erinnerte ich sie. »Die Blockade ist zu stark.«

»Aber nicht stark genug, dass du sie nicht gerade selbst durchbrochen hast«, widersprach Coco. »Lass es mich noch einmal probieren! Wenn wir Glück haben, setzen deine Erinnerungen genau dort wieder ein, wo ich dich gerade rausgerissen habe …«

Ich zögerte noch immer. Das lag nicht an den Entbehrungen, die ich in dieser Wüste erlebt hatte – es lag an den kurzen Visionsfetzen, die mich schon vorher gequält hatten.

Es war, als würde ich einen kaputten Film mit einem uralten Projektor betrachten. Nur meine Gefühle nahm ich mit ungewöhnlicher Intensität wahr. Und die Stimme, die stets dieselbe monotone Warnung wiederholte.

Du solltest nicht hier sein.

»Weiter«, befahl ich dem Kamel und krallte die Hand in das verfilzte Fell. »Mach schon!«

Noch bevor das Tier jäh scheute, sich aufbäumte und panisch zur Seite auswich, wusste ich, was dort tief unter dem Sand verborgen war.

Kein einzelner Feuerschädel. Sondern ein ganzer Haufen davon.

Aufgestapelt zu einem Abbild des Grauens.

Ich wollte nur noch eins: Weg von diesem grauenhaften Ort.

Und das Bild, das ich gesehen hatte, für immer vergessen …

»Ich weiß, wovor du Angst hast«, sagte Coco, als hätte sie meine Gedanken erraten. Die Feuerschädel … die Stätte des Grauens …« Sie nahm meine Hand, und es tat gut, sie zu spüren. Sie war wie der Rettungsanker in meinem Leben, das mir augenblicklich mal wieder vor Augen führte, dass ich permanent am Abgrund entlangtaumelte. Am liebsten hätte ich Coco an mich gezogen, sich gebeten, sich zu mir zu legen … Aber dazu war es noch zu früh. Wir waren beide noch nicht wieder so weit. Also musste ich mich damit begnügen, dass sie neben mir auf dem Bett saß und meine Hand hielt.

»Also schön«, sagte ich endlich. »Versuchen wir’s. Fang einfach an.« Ich schloss die Augen.

»Hier? In deinem Bett?«

»Warum nicht? Wenigstens liege ich dann bequem, wenn das Grauen mich wieder einholt.«

»Okay. Dann konzentrier dich auf mich, Dorian!«

Was mir einerseits leicht-, andererseits schwerfiel. Mir kamen ganz andere Bilder in den Sinn, wenn ich an Coco dachte.

»Du sollst dich konzentrieren!«, tadelte sie mich.

»Das tue ich doch!«

»Aber du lächelst dabei, als wenn du an etwas ganz Bestimmtes denkst!«

Ich fühlte mich ertappt und versuchte, mir einfach nur ihr Gesicht vorzustellen, während ich ihren Beschwörungen lauschte. Zunächst war es angenehm. Ihre Worte waren drangen sanft und behutsam in meinen Geist. Sie erweckten in mir das Bild eines sprudelnden Wasserfalls. Das Fieber in mir wich einer angenehmen Kühle. Dann änderte sich der Tonfall ihrer Stimme. Ich spürte, wie Coco den Druck verstärkte und hatte das Gefühl, als würden sich winzige Eissplitter in mein Hirn bohren.

Cocos Gesicht löste sich vor meinem inneren Auge langsam auf. Und plötzlich sah ich die seltsamen Mauern wieder, die mir in der Wüste erschienen waren.

Aber sie waren nicht Teil dieser Wüstenlandschaft. Sie befanden sich anderswo …

Noch während ich darüber nachgrübelte, ob es sich vielleicht um eine Fata Morgana handelte, wurde das Bild konkreter. Gleichzeitig fiel mir auf, dass Mathis und die anderen verschwunden waren. Hatten sie mich doch allein irgendwo zurückgelassen?

Dagegen sprach, dass die Gluthitze einer angenehmen Wärme gewichen war.

Befand ich mich überhaupt noch in der Wüste?

Wie ein Puzzle vervollständigte sich meine neue Umgebung immer mehr. Nahm Formen und Farben an, wurde von der Ein- in die Mehrdimensionalität entfaltet. Gleichzeitig nahm ich Gerüche war. Und Stimmen.

Und plötzlich wusste ich wieder, wer ich war.

Und wo ich war.

Ich hieß Hugo Bassarak und würde gleich ein Etappenziel meiner Reise erreicht haben: Venedig.

 

Denisa erwies sich als eine überaus talentierte Hexe. Solomon war bekannt, dass die meisten Hexen über eine besondere Spezialität verfügten. Ihre war es, nicht nur sich selbst unsichtbar zu machen, sondern auch die Dinge und Personen, die sie berührte. Sie fasste ihren Gatten Asker mit der Linken und legte die Rechte auf Keyes Schulter. Keyes zog den selbstgezimmerten Bollerwagen mit den drei Kindern hinter sich her. Auch der war für normale Augen unsichtbar, weil Keyes sozusagen die Verbindung zu Denisa schuf. Allerdings wirkte diese Art der »Leitung« wohl nicht unendlich. Als sie an einem Wachtposten vorbeikamen, starrte dieser auf den für ihn unsichtbaren Wagen, als würde er dort doch etwas sehen. Oder zumindest spüren, dass dort etwas war. Vielleicht machte es sich ja als Flimmern in seinem Augenwinkel bemerkbar.

Solomon Keyes hatte schon den Revolver gezogen. Notfalls hätte er den Wachtposten erschossen. Aber der Mann schüttelte nur den Kopf wie ein Hund und rieb sich über die Augen. Was auch immer er gesehen zu haben glaubte, er schob es offensichtlich auf seine Müdigkeit und wandte sich ab.

Solomon Keyes steckte den Revolver wieder zurück ins Holster.

Noch bevor sie den Tunnel betraten, stießen sie auf ein erstes Hindernis.

Mit einer Spezialfarbe, die nur für Dämonen sichtbar war, waren auf dem Boden magische Abwehrbanner angebracht. Keyes und Denisa blieben abrupt stehen, während Asker von Denisa zurückgezogen werden musste.

»Ich sagte es Ihnen doch: keine Chance! Der Tunnel ist dicht!« Denisa verzog schmerzhaft das schöne Gesicht, und auch Keyes spürte die Wirkung der Dämonenbanner. Noch einen Schritt weiter, und er würde sich in Krämpfen auf dem Boden wälzen. Und noch einen weiteren, und die Strahlung würde ihn töten.

»Das mag stimmen – für unsere Art. Aber nicht für ihn.« Er schaute Asker an. Der Mann zuckte zusammen. Überhaupt schien er, seitdem sie aufgebrochen waren, mit den Nerven noch fertiger zu sein als vorher.

»Ich … weiß nicht …«, begann Asker zögernd.

»Aber ich weiß es«, unterbrach ihn Keyes und zog den Revolver. Er spannte den Hahn und legte auf Asker an.

»He, das war aber nicht Teil des Plans«, protestierte Denisa.

»Ich habe euch ja bisher auch nur einen Teil davon verraten.« Keyes grinste.

»Schön, und wie lautet nun der restliche Teil?«

»Das weiß ich nicht genau. Aber jetzt wird Asker erst einmal genügend Schottersteine sammeln und diese Scheiß Bannzeichen damit verdecken.«

Denisa zog die Stirn kraus. »Sie meinen, das klappt.«

»Keine Ahnung, aber wenn nicht jetzt, wann dann? Diese ganzen Barrieren sind in großer Eile angefertigt worden. In einem Jahr bestehen sie vielleicht nicht mehr nur aus Farbe, sondern sind fest im Boden verankert. Also los, Asker, bewegen Sie schon Ihren Hintern!«

Asker seufzte und ließ Denisa los.

In dem Moment entdeckte Keyes die Kameras. Sie lagen so hoch und gut versteckt, dass sie erst auf den zweiten Blick zu erkennen waren. Klar, dass man gerade den Eingang gut überwachte!

Aber noch war es nicht zu spät. Wenn überhaupt, so war Asker erst seit wenigen Sekunden, seitdem er Denisas Hand losgelassen hatte, zu erkennen. Er hob den Revolver, um zu feuern, aber Denis schlug seinen Arm runter.

»Nicht auf die Kameras schießen, Sie Idiot! Dann können die Wachleute sich denken, warum sie ausgefallen sind!«

»Ja und?«

»Ich habe die Kameras schon längst manipuliert. Sie übertragen seit zwei Minuten das immer gleiche Bild. Wir sind darauf nicht zu sehen, kapiert?«

Keyes steckte den Revolver fort. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« Er war verärgert. Vorführen ließ er sich nicht gerne. Schon gar nicht von einer Frau.

Dafür hatte Denisa jetzt ausgesprochen gute Laune. »Ehrlich gesagt, habe ich Ihren Plan, den Tunnel zu Fuß zu durchqueren, erst für eine Schnapsidee gehalten …«

Keyes brummte irgendwas.

»Aber allmählich kann ich mir vorstellen, dass wir die fünfzig Kilometer schaffen könnten …«

Da bin ich mir nicht so sicher, dachte Keyes. Vor allem nicht mit deinem gesamten Tross als Anhängsel. Zunächst musste er die beiden Jungen loswerden. Er hoffte, dass Denisa das begreifen würde. Er hätte sie ja im Lager zurückgelassen, aber das hätte nur Aufsehen erregt. Er musste sie möglichst unauffällig verschwinden lassen. Sie waren nur Ballast.

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis Asker die Dämonenbanner vollständig mit Schotter und Steinen abgedeckt hatte. Ab und zu kam ein Zug herangerast, sodass sie in Deckung gehen und er die Arbeit unterbrechen musste. Der schmächtige Mann war nassgeschwitzt, als sie endlich weiterziehen konnten.

Der Revolvermann spürte ein schmerzhaftes Ziehen, dass seinen Körper in Wellen durchzog, als er die von den Steinen überdeckten Banner überschritt. Auch Denisa stöhnte. Die Kinder fingen an zu kreischen – selbst die beiden Jungs, bei denen er nach wie vor nur eine latent dämonische Ausstrahlung feststellen konnte.

Und so tauchten sie in den Tunnel ein. Die ersten Kilometer waren noch beleuchtet, sodass sie weiterhin aufpassen mussten, nicht entdeckt zu werden. Vor allen Dingen nicht von den Kameras. Die meisten hatte man angebracht, seitdem aus dem »Dschungel« immer wieder Flüchtlinge versucht hatten, den Tunnel zwischen Calais und Dover zu Fuß zu überqueren.

Einige hatten es trotzdem geschafft.

Und nachdem sie weitere magische Barrieren ausgeschaltet hatten, war sich Solomon Keyne sicher, dass auch er es schaffen würde.

 

»Warum sind Sie eigentlich so erpicht darauf, auf die Insel zu gelangen?«, fragte Denisa. Sie hatte ein magisches Lagerfeuer entzündet.

Sie hatten gut die Hälfte der Strecke geschafft. Aber das Vorankommen war mühsamer gewesen, als es sich Keyes vorgestellt hatte. Das heißt: Vorgestellt hatte er sich das alles vorher wenig. Er war wie so oft einfach nur seinem Instinkt gefolgt.

Vor allem der Bollerwagen erwies sich als Hemmnis. Nicht nur, dass in ihm abwechselnd die drei Kinder gezogen werden mussten, es befanden sich auch die wenigen Habseligkeiten der Familie darin.

Keyes hatte Denisa angeboten, ihr den Krempel zu bezahlen, wenn sie den Wagen zurückließen, aber in diesem Punkt war sie hartnäckig geblieben. Anders war es mit den beiden Jungs. Es waren nicht ihre ehelichen Kinder. Sie hatten sich der beiden auf ihrer Odyssee nach Frankreich angenommen.

Nun rasteten sie in einem der Wartungsräume, die entlang der Strecke angelegt waren. Denisa hatte etwas Proviant verteilt. Ab und zu ratterte ein Zug draußen vorbei.

Keyes war erst dagegen gewesen, dass Denisa das magische Feuer entzündete, aber sie hatte ihm versichert, dass man es von draußen nicht bemerken würde. Außerdem genoss auch Keyes die Wärme, die von den Flammen ausging.

Und wieder schaute er über das Feuer hinweg in Denisas katzengrüne Augen.

Sie ist wirklich eine Hexe. Durch und durch, dachte er. Am liebsten hätte er sie mit nach Großbritannien genommen. Er und sie … Aber dann dachte er wieder an seinen Auftrag und verkniff sich jede weitere Träumerei.

»Was ist nun? Wollen Sie meine Frage nicht beantworten?«

»Klar doch. Sie haben ein Recht, es zu erfahren. Immerhin sind wir so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft …«

»Davon habe ich bisher noch nicht viel gespürt«, sagte Asker. »Bisher musste ich die meiste Arbeit machen.« Er war erschöpft, und das sah man ihm an.

»Alles zu seiner Zeit«, knurrte Keyes und wandte sich wieder der schönen Denisa zu. »Warum ich unbedingt nach Großbritannien muss? Nun, sagen wir mal, es ist etwas Geschäftliches.«

»Für kein Geschäft der Welt würde ich mein Leben riskieren«, sagte Denisa.

»Und doch tun Sie es! Was außer etwas mehr Wohlstand und Lebensqualität zieht Sie nach England?«

»Meine Schwester lebt dort – allerdings habe ich seit einigen Wochen nichts mehr von ihr gehört. Ich hoffe, ihr ist nichts passiert. Es gibt Gerüchte, dass ganz Großbritannien inzwischen eine dämonenfreie Zone sein soll …«

»An den Gerüchten ist verdammt was dran«, bestätigte Solomon Keyes. Aber er hütete sich, mehr zu verraten, damit ihm Denisa nicht von der Angel sprang. »Nun, und was mich angeht, so habe ich keine andere Wahl. Für meine Profession ist es unabdingbar, dass ich meine Aufträge bis zum Ende ausführe.«

»Und was sind Ihre Aufträge?«

»Können Sie sich das nicht denken?«

»Sind sie so etwas wie ein Killer?«

Keyes musste lauthals lachen. Schließlich bekam er sich wieder ein. »›So etwas‹ ist gut. Ich bin ein Killer. Der beste, den Sie anheuern können, wenn Sie ein Problem mit jemandem haben.«

»Dann hoffe ich, dass ich nicht auf Ihrer Liste stehe.«

»Oh nein, haben Sie keine Sorge. Jedenfalls könnte ich meinen Beruf sofort an den Nagel hängen, wenn rauskäme, dass ich meinen Auftrag nicht zu Ende geführt hätte.«

Und damit, das wusste er wohl, untertrieb er gewaltig. Denn seine gegenwärtige Auftraggeberin würde wahrscheinlich kurzen Prozess mit ihm machen, wenn er versagte. Und daran mochte er im Moment lieber nicht denken. Davon erzählte er allerdings Deniusa nichts.