ROBERT QUINT/CHRISTIAN DÖRGE

 

 

DIE TERRANAUTEN, Band 1:

Der Erbe der Macht

 

 

 

Science-Fiction-Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Die Terranauten – Science Fiction seiner Zeit Ein Vorwort von Christian Dörge 

 

DER ERBE DER MACHT von Robert Quint 

DER DOPPELGAENGER-EFFEKT von Christian Dörge 

 

Das Buch

 

Man schreibt das Jahr 2499 irdischer Zeitrechnung.

Längst ist die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen. Riesige Raumschiffe bringen Siedler zu neuen Planeten. Die Erde ist zum Verwaltungszentrum eines großen Sternenreiches geworden. Mächtige Konzerne beherrschen die von Menschen besiedelten Welten. Jeder Widerstand gegen die Vormacht Terras wird von den Polizeitruppen der Grauen Garden im Keim erstickt.

Aber die Macht der Konzerne steht auf tönernen Füßen, solange sie auf die Dienste einer kleinen Menschengruppe angewiesen sind – auf die Dienste der Treiber. Nur die Psi-Kräfte dieser Menschen sind in der Lage, Raumschiffe durch die Lichtmauer zu jagen. Doch um ein Raumschiff sicher zu führen, müssen die Treiber eine Mistelblüte des geheimnisvollen Urbaums Yggdrasil an Bord haben.

Yggdrasil, der Welturbaum, wurde im 22. Jahrhundert unter dem abtauenden Eis Grönlands entdeckt. Seit Jahrhunderten liegt das Monopol für den Verkauf ihrer Mistelblüten bei der Familie terGorden, die sich verpflichten musste, zum Ende des Jahres 2499 das Geheimnis der Misteln zu offenbaren...

 

DIE TERRANAUTEN – konzipiert von Thomas R. P. Mielke und Rolf W. Liersch und verfasst von einem Team aus Spitzen-Autoren – erschien in den Jahren von 1979 bis 81 mit 99 Heften und von 1981 bis 87 mit 18 Taschenbüchern im Bastei Verlag. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht die legendäre Science-Fiction-Serie erstmals und exklusiv als E-Books.

Die Terranauten – Science Fiction seiner Zeit

Ein Vorwort von Christian Dörge

 

 

»Wenn die Welt klar wäre, gäbe es keine Kunst.«

 

 

 

 

 

  1979. Umsturz im Iran (file under Khomeini), Israel und Ägypten beenden ihren seit 1947 andauernden Kriegszustand, die Sowjetunion besetzt Kabul (und beginnt damit die Invasion Afghanistans); Horst Stern veröffentlicht sein Buch Rettet den Wald, Scott Abbott und Chris Haney kommt – im Verlauf einer Partie Scrabble – die Idee zu Trivial Pursuit, die bundesdeutschen Pop-Charts werden im Wesentlichen dominiert von ABBA, den Bee Gees und – Schockschwernot! – von Dschinghis Khan. Das TV der Stunde wiederum stand ganz im Zeichen von Drei Engel für Charlie, Die Muppets-Show und – als Krieg-der-Sterne-Echo – Kampfstern Galactica und Buck Rogers, was ziemlich in Ordnung war. Ein Blick auf das Genre, um das es in diesem Vorwort gehen soll, bemerkt 1979 die Veröffentlichung von Roman-Werken wie Die Flusswelt der Zeit von Philip José Farmer (Heyne), Die Herren des Kosmos von Edmund Cooper (Goldmann) und Das blutrote Spiel von Michael Moorcock (Bastei).

Und über all dem thronte – Genre-spezifisch – Perry Rhodan, der Erbe des Universums aus dem Hause Pabel: eine Erfolgsgeschichte, die im Jahre 1961 begann, die bis heute fortdauert und die zu ihren besten Zeiten die gesamte Branche vor Ehrfurcht zu Boden sinken ließ; 1979 war immerhin schon das Band 1.000 in erahnbare Reichweite gerückt.

Ich gebe zu: Bezüglich Perry Rhodan vermag ich nicht im Entferntesten mitzureden oder gar launige Anekdoten zum Besten zu geben, denn: Bis heute habe ich nicht einen einzigen Perry-Band gelesen. Mein spärliches Wissen über den Erben des Universums entlieh ich mir aus den vom Label Europa seinerzeit – 1983 und 1984 – veröffentlichten Hörspielen zur Serie, die zwar nicht derart lässig waren wie die Abenteuer seines von H. G. Francis erdachten Kollegen Commander Perkins, die aber immerhin mit Uwe Friedrichsen in der Titelrolle punkten konnten und so tolle Titel wie Angriff der Individual-Verformer und Mutanten im Einsatz hatten, was mir damals durchaus gefallen musste.

Doch zurück ins Jahr 1979.

Der Bastei-Verlag hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal unerschrocken versucht, den Kollegen von Pabel im Wege der Veröffentlichung einer hauseigenen SF-Heftserie Paroli zu bieten: nämlich mit den Serien Rex Corda (1966 – 67, 38 Hefte) und Commander Scott (1976 – 76, 42 Hefte). Warum beide Serien nicht so recht zünden mochten – man weiß es nicht. Unverzagt – ja, damals gab es sowas noch – startete man schließlich am 30. Oktober des 1979 einen dritten Versuch: mit Die Terranauten, genauer – mit Band 1, Der Erbe der Macht, verfasst von Robert Quint, ein Pseudonym, hinter welchem sich Thomas Ziegler verbarg, der sich schon bald darauf verdienter- und erwiesenermaßen zur Speerspitze der Science Fiction aus Deutschland emporarbeiten sollte.

Freilich hatte die Geschichte der Terranauten schon ein wenig früher begonnen:

Aus dem Jahr 1975 (und hier will ich den Leser/die Leserin keinesfalls mit weiteren historischen oder pop-kulturellen Querverweisen beharken) ist ein handschriftliches, von Thomas R.P. Mielke und Rolf W. Liersch in Rom verfasstes Ur-Konzept der Terranauten überliefert, in welchem detailfreudig von einem aus zwölf Zyklen bestehen SF-Roman-Projekt die Rede ist. Beiden – Mielke und Liersch – schwebte ausdrücklich eine alternative Science-Fiction-Serie im allerbesten Sinne vor, und beide waren 1977 (als sie das Konzept im Hause Bastei vorstellten) bereits 'alte Hasen' des Genres und hatten u. a. an der erwähnten Serie Rex Corda als Autoren mitgewirkt. Die Terranauten sollten jedoch völlig andere, eher Genre-fremde Pfade beschreiten: Im Konzept vom April 1977 wird die neue Serie von ihren beiden Schöpfern ausdrücklich als »Anti-Perry-Rhodan-Story« bezeichnet, die »eine in dieser oder ähnlichen Serien vorkonstruierte Zukunft als gegebenes Feindbild annimmt«. Mehr noch: Die Terranauten folgten dem Ideal jener Zeit, in welcher das Ur-Konzept entstanden ist: dem Ideal einer »grünen« Science-Fiction-Serie, die sich weniger dem auf das Technische fixierte Element und/oder dem völlig übersteigerten Militarismus vergleichbarer utopischer Stoffe verpflichtet sah, sondern die stattdessen Ideen in Form friedfertiger pflanzlicher Intelligenzen und entsprechender Zivilisationen umzusetzen beabsichtigte. Das Ziel war es – wie es Thomas R.P. Mielke ebenso knapp wie treffend formulierte –, »engagierte SF« zu schreiben.

Die Terranauten begingen folgerichtig (und vernünftigerweise) das Sakrileg, unreflektierte Technikgläubigkeit sowie die Vorherrschaft des Militärs (und mithin auch die Prägung der Zivilgesellschaft durch das Militär per se) in Frage zu stellen: ein glänzender Ausgangspunkt für eine ganz und gar ungewöhnliche Space Opera, und zu Recht gelten Die Terranauten bis heute als eine der besten und faszinierendsten SF-Sagas.

Ab Oktober 1979 erschienen Die Terranauten zunächst bis einschl. Band 15 in 14tägigem Rhythmus, bevor mit Band 16 auf wöchentliche Erscheinungsweise umgestellt wurde. Am 21. Dezember 1981 wurde mit Band 99 (Der Öko-Schock von Robert Quint) der letzte Roman in Heftform veröffentlicht, und zwischen 1981 und 1987 setzte der Bastei-Verlag die Serie mit 18 Taschenbüchern fort.

Ausgerechnet das Ungewöhnliche, das Erkunden eines alternativen literarischen Weges ließ Die Terranauten kommerziell scheitern – die geschäftlichen Höhen eines Perry Rhodan blieben der Serie versagt. Künstlerisch jedoch haben die Schöpfer und Autoren der Terranauten alles richtig gemacht, und genau dies macht aus den insgesamt 117 Romanen einen zeitlosen Klassiker der SF-Unterhaltungsliteratur, der weit besser gealtert ist, als es mancher für das Ende der 1970er Jahre typische Aspekt, der sich in der Serie wiederfindet, erwarten ließe: Die Terranauten sind heute, im Jahr 2018, aktueller als jemals zuvor; zwar bleibt die Serie (innerhalb gewisser Toleranzen) Science Fiction ihrer Zeit, aber wie bei jeder wahrhaftig guten Science Fiction spielt Zeit – sowohl im absoluten als auch im linearen Sinne – für Die Terranauten nicht die geringste Rolle: Die Zeit kann das künstlerische und inhaltliche Ideal der Terranauten niemals überholen, Die Terranauten sind als Institution und als pop-kulturelles Artefakt zur Science Fiction jeglicher Zeit(en) geworden. Und dies verdankt die Serie – neben der menschlichen Natur – ihren visionären Schöpfern und einem Stab von Autoren, der in jeder Hinsicht erstklassige Arbeit geleistet hat.

Dass die Serie nun – 39 Jahre nach Erscheinen des ersten Romans – eine Neu-Ausgabe im E-Book-Format erlebt, ist daher nur folgerichtig: Dieses denkbar moderne Format erlaubt nicht nur eine Quasi-Archivierung in der Ewigkeit der digitalen Wolke, es besteht nun auch die Möglichkeit, neben den Liebhabern aus dem Damals eine ganz neue Generation von Leserinnen und Lesern für Die Terranauten zu interessieren, zu begeistern – auch und gerade als Beleg dafür, von welch hoher Qualität Science Fiction aus Deutschland sein kann, wenn die Kreativen ihrem ganz und gar eigenen Ideal und Maßstab folgen können.

Ich bin stolz und dankbar, diese Serie in meinem Apex-Verlag wiederveröffentlichen zu dürfen –  und auf diese Weise ein kleiner Teil der langen Geschichte der Terranauten zu werden. Mein besonderer und tief empfundener Dank gilt Thomas R.P. Mielke, Rolf W. Liersch, Ronald M. Hahn, Andreas Brandhorst, Eva Bauche-Eppers, Wilfried A. Hary, Horst Pukallus, Karl-Ulrich-Burgdorf, Heinz Mohlberg und Arndt Drechsler.

Als Bonus enthält dieses E-Book meine Terranauten-Kurzgeschichte Der Doppelgaenger-Effekt.

 

 

 

Christian Dörge

  DER ERBE DER MACHT von Robert Quint

 

 

 

  Rubin, 2. Planet von Gothams Stern, Mittwoch, 2. Dezember 2499 – Terra-Normalzeit:

 

Dschungel.

Roter Dschungel.

Der Himmel eine einzige blutige Fläche, in deren Mitte wie ein verwaschener Schmutzfleck die trübweiße Sonne hing.

Auf dieser Seite des Planeten Rubin war es Mittag.

Stardust-Dave presste die Hände vor die Augen und stieß einen Seufzer aus. In seinen Ohren rumorte das altertümliche Düsentriebwerk des Fluggleiters. »Es kann nicht mehr lange dauern!«, rief ihm Smellinger durch den dumpfen Lärm zu. Der alte, kahlköpfige Händler drehte leicht den Schädel und musterte Dave mit undurchdringlichem Gesicht. »Sie werden sehen, Dave, gleich sind wir da.«

Unter ihnen erstreckte sich eine menschenleere Dschungelwildnis bis zum fernen Horizont.

Fast körperlich spürte Dave die Nervosität des dürren Mannes, den er durch Zufall in Lakehurst getroffen hatte, der einzigen von Menschen bewohnten Stadt des roten Planeten. Die Belfast, das Raumschiff mit dem Dave nach Rubin gekommen war, musste wegen eines Schadens in der Sauerstoffversorgung überholt werden – und das bedeutete einen Aufenthalt von mehr als einer Woche auf dieser einsamen Welt am Rande der Milchstraße.

»Ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen, Dave«, unterbrach der Händler seine Gedanken. »Sie werden es mit eigenen Augen sehen. Bortzynn wurde erst vor einem knappen Jahr entdeckt. Stellen Sie sich vor: eine ganze Stadt mitten im Dschungel! Von Nichtmenschen erbaut und vor Jahrtausenden verlassen!«

Smellinger kniff die Lippen zusammen und konzentrierte sich wieder auf die Steuerung.

Täuschte Dave sich, oder hatte die Nervosität des Händlers noch zugenommen?

Unsinn! beruhigte sich der junge Raumfahrer. Seine überreizten Sinne spielten ihm einen Streich. Kein Wunder auf dieser Welt. Das fahle, blutige Licht Rubins zerrte an den Nerven, ließ die Menschen Dinge sehen, die nicht Wirklichkeit waren...

»Dave!«, brüllte Smellinger plötzlich und schlug dem hochgewachsenen blonden Treiber auf die Schulter. »Dort! Sehen Sie! Bortzynn!«

Stardust-Dave pfiff überrascht durch die Zähne.

Der Händler hatte nicht übertrieben. Vor ihnen, nur noch ein halbes Dutzend Kilometer entfernt, endete abrupt das rote Meer des undurchdringlichen Urwaldes. Wie mit einem riesigen Laser war ein mehrere Kilometer durchmessender Kreis in die Wildnis gebrannt.

Dave kniff die Augen zusammen und presste sein Gesicht an die massive Plastglasscheibe des Fluggleiters. Rasend schnell näherte sich die Maschine der merkwürdigen Einöde.

Der Kreis war schwarz. Völlig schwarz.

»Passen Sie auf!«, brüllte Smellinger, während er gebannt auf den Entfernungsmesser starrte. »Dann werden Sie verstehen, warum Bortzynn erst so spät entdeckt wurde.«

Allmählich verringerte sich die Geschwindigkeit des Gleiters. Das Rumoren der Triebwerke flachte zu einem erträglichen Hintergrund-Rauschen ab.

»Jetzt!«

Ein Knirschen durchlief den Fluggleiter. Sekundenlang wurde Dave von einer plötzlich auftretenden Übelkeit geplagt. Vor seinen Augen flimmerte es. Als er wieder klar sehen konnte, gelang es ihm nur mit Mühe, einen verblüfften Schrei zu unterdrücken.

Eine Stadt!

Wie eine Spukerscheinung tauchte sie vor ihnen auf.

Eine Ansammlung stahlblauer, massiver Gebäude, keines mehr als vierzig Meter hoch, dafür aber so lang und schmal, dass sie aus der Höhe wie metallene Bleistifte wirkten.

»Bortzynn, Dave«, schmunzelte Smellinger. »Das ist Bortzynn.«

Der Fluggleiter verlor an Höhe und näherte sich in einer steilen Bahn dem Boden.

Stardust-Dave räusperte sich. »Warum...«, begann er, aber der Händler schnitt ihm mit einer knappen Handbewegung das Wort ab.

»Ein Energiefeld«, erklärte er, »umhüllt die Stadt. Daher auch die Übelkeit. Aus dem Raum  ist absolut nichts zu entdecken, und selbst die besten Ortungsgeräte versagen. Erst bei einer Entfernung von wenigen Kilometern erkennt man dann diesen schwarzen Fleck. Und nur wenn man das Kraftfeld durchstößt, kann man Bortzynn sehen. Was sagen Sie nun, Dave?«

Der junge Raumfahrer rang nach Luft.

Smellinger musterte seinen blonden Begleiter auf dem Co-Piloten-Sitz scharf. Dave war ein Treiber, einer jener psionisch begabten Außenseiter der Menschheit, die mit ihren übersinnlichen Kräften die riesigen Raumschiffe des 25. Jahrhunderts von Stern zu Stern jagten. Ohne Treiber gab es keine interstellare Raumfahrt, aber vielen Menschen war die Psi-Begabung der ›Sternenzigeuner‹, wie man die Treiber auf den Kolonialplaneten oft geringschätzig nannte, unheimlich.

Der Händler beglückwünschte sich, dass er schon vor Jahren durch eine kostspielige, aber ungefährliche Operation gegen Telepathie immunisiert worden war. Zwar beherrschten nur wenige Treiber ihre Psi-Kräfte so gut, dass sie damit die Gedanken anderer Menschen auffangen konnten. Doch man konnte bei einem Treiber nie sicher sein.

Noch immer fühlte Dave eine dumpfe Benommenheit, als würde sein Schädel von einer eisernen Klammer zusammengepresst. Zögernd schüttelte er den Kopf, aber die Benommenheit blieb.

Und erst jetzt begriff er, was sie bedeutete.

Abgeschnitten!

Seine Verbindung zu den sechs anderen Treibern seiner Loge war unterbrochen! Das Kraftfeld, das die unbekannten Baumeister Bortzynns zum Schutz der Stadt vor ungebetenen Besuchern errichtet hatten, blockierte auch Daves parapsychische Sinne.

»Was ist mit Ihnen, Dave?«, fragte der Händler. Er runzelte die Stirn. »Wenn Sie sich übergeben müssen...«

»Nein, nein«, winkte Stardust-Dave hastig ab. »Schon in Ordnung.«

Smellinger befeuchtete seine blassen Lippen. »Ich dachte schon, das wäre zu viel für Sie«, murmelte er. »Ich kann Sie verstehen. Nicht jeder kommt darüber so schnell hinweg.«

»Es ist in Ordnung«, wiederholte Dave ungehalten. Er hatte sich nun wieder völlig in der Gewalt. Fieberhaft arbeiteten seine Gedanken. Das unterschwellige Gefühl der Gefahr, das ihn auf dem ganzen Flug von Lakehurst in diese Wildnis begleitet hatte, wurde immer stärker.

Auch mit Smellinger stimmte etwas nicht – er schien etwas zu verbergen.

Dave bedauerte, dass er nichts von den Gedanken seines Begleiters auffangen konnte. Allerdings war eine Immunisierung gegen Telepathie bei einem Händler nichts Verdächtiges. Wie bei vielen Geschäftsleuten seiner Zeit mochte auch bei Smellinger nur der Wunsch dahinterstehen, sich von seinen Geschäftspartnern nicht in die Karten – genauer gesagt, in die Gedanken – sehen zu lassen.

In diesem Moment setzte der Fluggleiter sanft auf dem Boden auf. Die Triebwerke liefen schnarrend aus. Ächzend lehnte sich der Händler zurück und reckte die verspannten Glieder. Seine unruhigen Augen wichen Daves Blick aus.

»Nun«, murmelte er nervös, »das wäre geschafft. Ich... ich schlage vor, wir steigen aus und sehen uns das Wunderwerk aus der Nähe an. Einverstanden?«

Dave nickte.

Etwa zwanzig Meter von dem Gleiter entfernt erhob sich eines der fremdartigen Gebäude in den roten Himmel Rubins. Es war fenster- und türenlos. Fast schmerzhaft scharf kontrastierte das Metallblau des makellosen Materials mit den Rot- und Orangetönen der Umgebung.

»Kommen Sie«, drängte Smellinger. »Worauf warten Sie? Auf ein Empfangskomitee?« Er lachte schrill.

Wortlos zwängte sich Dave an dem Händler vorbei durch die enge Ausstiegsluke und landete federnd auf den Beinen. Der Boden unter seinen Füßen war grau und staubig.

Alles blieb still.

Die Luke schnappte zu. Smellinger stieß Dave unsanft an und deutete auf das blauschimmernde Gebäude. »Man kann hineingehen«, erklärte er drängend. »Man muss nur die Wand berühren und schon öffnet sich ein Tor. Nur die Nichtmenschen sind nicht mehr da.« Bisher war die Menschheit noch keiner fremden technisierten Rasse im All begegnet.

Der Händler näherte sich mit großen Schritten dem fremdartigen Bauwerk.

Dave folgte zögernd.

Das Gefühl der drohenden, unmittelbaren Gefahr gewann an Intensität und legte sich lähmend auf seine Muskeln. »Hören Sie, Smellinger«, sagte er langsam, »Ich...«

Ein feines Pfeifen ließ ihn verstummen.

Smellinger erstarrte in der Bewegung, stand für eine Sekunde bewegungslos da und brach dann lautlos zusammen.

Daves Herzschlag setzte aus.

»Smellinger!«, schrie er. Mit einigen raschen Sätzen war er bei dem reglos daliegenden Körper des Händlers. Behutsam drehte er ihn auf den Rücken.

Genau in der Mitte zwischen Smellingers Augen klaffte ein Loch. Das bleiche Gesicht lächelte Dave verzerrt und gleichzeitig voller Erstaunen an.

Smellinger war tot.

Ermordet.

Und Dave begriff.

Eine Falle!

 

*

 

Stardust-Dave spurtete los.

Angst hatte ihn gepackt und kalte Wut über den heimtückischen Mord. Der Gegner war unsichtbar und konnte jede Sekunde erneut zuschlagen.

Wieder ertönte das geisterhafte Pfeifen

Dicht neben ihm schlug ein Geschoss in den grauen Boden und ließ Erdbrocken aufspritzen.

Der Treiber schlug einen Haken und steigerte seine Geschwindigkeit. Die Todesangst verlieh ihm unerwartete Kräfte. Und obwohl er von der Existenz des blockierenden Energiefeldes wusste, rief er mit seinen psionischen Sinnen in höchster Not um Hilfe.

Vielleicht hörte ihn doch einer der Treiber, vielleicht hatte der Logenmeister, in dessen Dienst Dave stand, das plötzliche Verstummen eines seiner Mitarbeiter registriert und lauschte nun in den telepathischen Äther, wartete ungeduldig auf Daves Zeichen. Vielleicht...

Irgendetwas fauchte heiß und schmerzhaft über seine Wange.

Der Treiber schrie auf, taumelte und bewahrte sich nur mit Mühe vor einem Sturz und hastete weiter. Fluchend fuhr er mit der Hand über die brennende Stelle an seiner Wange. Blut. Zum Glück nur ein Kratzer. Nichts Ernstes.

Endlich hatte er das Gebäude erreicht und schmiegte sich eng an das kühle Material. Er rang nach Atem und blickte sich wild um.

Alles war leer, lag scheinbar verlassen vor ihm.

Schnurgerade führte eine Straße zwischen den beiden Gebäudekomplexen nordwärts und endete schließlich vor einem würfelförmigen Bau. Befand sich dort das Zentrum Bortzynns?

Das unheilverkündende Pfeifen eines weiteren Projektils belehrte ihn, dass er sich diese Überlegung für später aufsparen konnte.

Man spielt mit mir! durchfuhr es Dave. Wenn man wollte, wäre es ein Leichtes, mich wie Smellinger zu erschießen. Also will man mich lebend!  

Doch wozu? Der Treiber fror innerlich.

Es gab nur eine Erklärung – man kannte seine wirkliche Identität! Man wusste, wer er war...

Stardust-Dave wischte sich eine Haarsträhne aus den Augen. Er dachte wieder an Smellinger; während er hilflos und für jeden sichtbar mit dem Rücken an der Wand des vierzig Meter hohen, bleistiftähnlichen Gebäudes stand. Der Händler musste von der Falle gewusst und mit seinen Häschern zusammen gearbeitet haben; darum auch seine Nervosität, aber warum hatte man Smellinger getötet? Vielleicht um einen unbequemen Mitwisser zu beseitigen?

»Ergeben Sie sich!« gellte unvermittelt eine elektronisch verstärkte, schnarrende Stimme durch die weite Stadt der Nichtmenschen. »Ergeben Sie sich, dann wird Ihnen nichts geschehen! Legen Sie die Hände in den Nacken und treten Sie nach vorn. Sie haben zehn Sekunden Zeit. Wenn Sie diesem Befehl nicht nachkommen, müssen wir Sie liquidieren!«

Der Treiber blickte nach oben. Sekundenlang hob sich gegen den roten Himmel die dunkle Silhouette eines Mannes ab, dann war sie wieder verschwunden. Auf dem Dach des gegenüberliegenden Gebäudes also!

Der Treiber lächelte. Eine gute Position. Von dort hatten seine unbekannten Gegner die Situation fest in der Hand.

»Vier Sekunden!« schnarrte der Unsichtbare.

Stardust-Dave fluchte unbeherrscht.

Resignierend gestand er sich ein, dass er keine Chance hatte. Ob er wollte oder nicht, er musste sich den Unbekannten ergeben!

»Drei.«

»In Ordnung!«, rief der Treiber. »Ich...«

In diesem Augenblick verschwand hinter ihm die scheinbar undurchdringliche Mauer. Haltlos stürzte Dave in das dunkle Innere des Gebäudes...

 

*

 

Terra, Heimat der Menschheit, 3. Planet des Sol-Systems, Mittwoch, 2. Dezember 2499 Terra-Normalzeit:

 

Der Mann im grauen Kampfanzug zwängte sich an den Trümmerbrocken vorbei, die wild durcheinander gewürfelt vor der aufgerissenen Längsseite des verfallenen Hochhauses lagen.

Seine Bewegungen waren geschmeidig und verrieten Konzentration und Kraft.

Der Graue verharrte und blickte sich forschend um. Nur seine dunklen, verkniffenen Augen waren sichtbar; sein ganzer Körper wurde von einer schmiegsamen Montur aus beweglichen, grauen Stahlplastikteilen verhüllt. Alles an ihm war grau.

»In Ordnung«, sagte Queen Fay Gray, die den Grauen auf dem Bildschirm des Kontrollraumes beobachtete. Der schlanken Frau mit den harten Augen war bewusst, dass sie und ihr Team sich durch einen Erfolg bei diesem Test die besten Voraussetzungen für eine steile Karriere in den Grauen Garden, der Elite-Truppe Terras, schufen. »Phase Beta kann anlaufen. Ist der Destroyer einsatzbereit?«

Aus dem verborgenen Lautsprecher ertönte augenblicklich die Antwort. »Destroyer programmiert und einsatzbereit. Sollen wir ihn losschicken?«

Mit einem kalten Lächeln nickte die Queen. »Das Team befindet sich auf den Positionen im Testgebiet. Setzen Sie den Destroyer ein.« Mit kaum verhaltener Spannung fügte sie hinzu: »Ich möchte sehen, ob die Maschine wirklich so gut ist, wie die Techniker behaupten!«

»Einsatzbefehl erteilt«, meldete die ferne Stimme. »Der Destroyer wird in zwei Minuten im Testgebiet eintreffen.«