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„In meines Vaters Haus

sind viele Wohnungen“

(Joh. 14, 2)

„Ich habe zeitlebens die Religion gesucht,
die mir zukäme“

Hermann Hesse
Dichter

„Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und
nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren“

Angelus Silesius (Johannes Scheffler)
Arzt, Theologe, Mystiker

„Cor nostrum inquietum est,
donec requiescat in te, domine“
(„Unruhig ist unser Herz,
bis es Ruhe findet in dir, o Herr“)

Augustinus, Bischof von Hippo
Kirchenlehrer

„Gott kann nichts als lieben“

Isaak der Syrer
Bischof von Ninive

„Ama et fac, quod vis“
(„Liebe und mach, was du willst“)

Augustinus, Bischof von Hippo
Kirchenlehrer

Hans Georg Sergl

Im Kraftfeld der Liebe Gottes

Religion, wie ich sie verstehe

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© 2017 Hans Georg Sergl

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Taschenbuch ISBN 978-3-7439-8476-9 (Paperback)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

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Bildnachweis:

Inhalt

Vorwort und Einführung

1 Religionen

Religionsgeschichtliche Anfänge.

Religion der Alten Ägypter

Religionen Mesopotamiens

Zaroastrismus

Judentum

Fernöstliche Religionen

Griechische und Römische Götterwelt

Nordische, Germanische, Keltische Götterwelt

Indigene Religionen

Christentum

Reformation

Anglikanismus

Christliche Sekten

Islam

Baha’i

Neue religiöse Bewegungen

Gedanken zur Existenz vieler Religionen

2 Christsein

Lehre Jesu

Spiritualität des Christentums

3 Religion in Gemeinschaft

Kirchen und Glaubensgemeinschaften

Zugehörigkeit

Priester und Laien

Kirchliche Hierarchie

Pluralistische Gesellschaft und Toleranz,

Kirche und Staat

Schutz der Menschenwürde

Bild der Kirche in der Öffentlichkeit

Zukunft von Kirche und Religion

4 Der Mensch vor Gott

Verhältnis zu Gott

Religiöser Kult

Ritus und Rituale

Liturgie

Sakraler Raum

Sakramente und Segenszeichen

Buße.

Opfer

Gebet, Meditation, Kontemplation

Mystik

Pilgerschaft

Mittler: Engel und Heilige

5 Religioses Leben

Frömmigkeit

Verantwortung und Moral

„Freiheit der Kinder Gottes“

Mitmenschlichkeit

Friedensliebe

Soziale Gerechtigkeit

Weitergabe religiöser Überzeugungen

Religion und Gesundheit

6 Die „letzten Dinge“

Leben und Sterben

Jenseits – Vorstellungen vom Paradies

Weltuntergang – Apokalypse

Abrechnung – das Jüngste Gericht

Zusammenfassung und Schlußwort

Vorwort und Einführung

Kann man angesichts der großartigen Forschungsergebnisse der modernen Naturwissenschaften im 21. Jahrhundert noch an einen Gott glauben? Diese Frage habe ich in meinem vorangegangenen Buch („Antwort auf die Gretchenfrage – so kann ich glauben“) zu beantworten versucht. Die wichtigste Feststellung darin war, dass alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, so eindrucksvoll sie auch sein mögen, die Menschheit nicht einen Schritt voran gebracht haben, wenn es um die hier hauptsächlich interessierenden existenziellen Fragen ging: Woher kommen wir, wohin gehen wir, welchen Sinn hat unser Leben.

Das gegenwärtige Wissen der Menschen über sich und die Welt verlangt zwar nicht zwingend die Annahme eines übernatürlichen Wesens, das wir Gott nennen, als Schöpfer dieser Welt, was immer das bedeuten mag, aber es rechtfertigt diesen Glauben. Denn wir kennen keine andere vernünftige Erklärung dessen, was wir über uns und unsere Umwelt erfahren. Vor die „Gretchenfrage“ gestellt haben wir nur die beiden Möglichkeiten: das Wagnis eines Glaubens an Gott und die Verweigerung einer Antwort, weil die entscheidenden Dinge nicht mit ausreichender Sicherheit erkannt werden können. Mit Hilfe seines Verstandes kann der Mensch Gott denken, aber er kann seine Existenz weder beweisen noch widerlegen.

Als aufmerksamer, sensibler Selbstbeobachter aber kann er jenseits rationaler Überlegungen in seinem Bewusstsein Erfahrungen sammeln, die auf eine übernatürliche Realität hindeuten. Bewusst werdende Gefühle und begleitende Gedanken und mehr noch Reaktionen aus dem Unbewussten sind das geheimnisvolle Tor zu einer anderen Welt. „Geh deinem Gott entgegen bis zu dir selbst“ lautet ein Ausspruch des Heiligen Bernhard von Clairvaux (um 1090 – 1153), der dem Gottsucher die Richtung weist. Gottesbegegnungen finden im Innersten des Menschen, in seiner Seele, statt. Darum ist Religion eine intime, höchst persönliche Angelegenheit. So betrachtet könnte man auch sagen, dass es so viele Religionen gibt, wie Menschen auf dieser Erde leben, gelebt haben und in Zukunft leben werden. Seine Religion ist für jeden Menschen zugleich die richtige und wahre.

Ob aufgrund eigener Überlegungen und Erfahrungen ein Gottesglaube gelingt, scheint stark davon abzuhängen, was wir uns unter Gott vorstellen. Man muss zugeben, dass es extrem schwierig ist, ein angemessenes Gottesbild zu gewinnen. Einige Grundforderungen sollten dabei erfüllt sein. So muss das Gottesbild mit dem gesicherten Wissen der Menschheit über die Entstehung des Universums zumindest im Einklang stehen. Die unfassbaren Dimensionen in Raum und Zeit, die lange Entstehungsgeschichte unserer Welt und der damit verbundene Aufwand müssten sich darin widerspiegeln. Vielleicht sollte auch an den Umstand gedacht werden, dass die Welt nicht als fertiges Endprodukt geschaffen, sondern als Prozess initiiert wurde, in dem das Prinzip des Zufalls nicht ganz auszuklammern ist. In jedem Fall muss die in den erforschten Zusammenhängen erkennbare intelligente Ordnung Eingang in den Versuch einer Charakterisierung Gottes finden. Dies gilt besonders auch für die Wunder der Natur, für das Leben und die Entstehung der Lebensformen und für den Menschen einschließlich seiner kulturellen Entwicklung.

Bei der Beschränktheit unseres Erkennens wird man auch davon ausgehen müssen, dass die Kategorien unserer Sprache für eine Beschreibung Gottes nicht ausreichen. Deshalb ist zu allererst eine Andersartigkeit zu unterstellen. Als zentrale göttliche Eigenschaft wird immer wieder die Heiligkeit Gottes hervorgehoben. Diese kann man eventuell gefühlsmäßig erfassen, aber kaum definieren. Auch auf Analogien, wie Weisheit, Macht und Gerechtigkeit Gottes, kann man nicht ganz verzichten, wenn man sich anschickt, Eigenschaften eines göttlichen Wesens zu postulieren. Die Kernaussage in diesem Beschreibungsversuch aber ist der Satz: „Gott ist die Liebe“. Er befriedigt nicht nur unser subjektives Empfinden, er passt auch gut zu der Annahme einer Weiterentwicklung der Welt vom Materiellen hin zum Geistigen. Im Zuge dieser Entwicklung sollte die Menschheit einen Aufschwung erfahren, von ihrem in mancher Hinsicht grausam und abstoßend wirkenden animalischen Erbe hin zum Geist des Guten und Göttlichen – der sprachliche Gleichklang von Gott und Gut (englisch: god und good) sollte kein Zufall sein. Man könnte hinter diesem nur zu ahnenden Prozess eine zielgerichtete Entwicklung vermuten, die einmal in eine wunderbare, volle „geistige Wiedervereinigung“ mit Gott münden könnte. Das zu glauben fällt schwer, wenn man an die vielen aktuellen menschlichen Grausamkeiten in der Welt denkt. Aber könnte es nicht sein, dass wir uns noch ziemlich am Anfang eines langen, mühevollen Weges befinden, auf dem es immer wieder Rückschläge gibt?

Für viele Gläubige ist auch eine göttliche Offenbarung, das „Wort Gottes“, wegweisend. Die Glaubenslehren der Kirchen und Religionsgemeinschaften beziehen sich überwiegend auf solche „Selbstoffenbarungen Gottes“, die den Religionsstiftern, wie berichtet wird, in Erscheinungen, Träumen oder Engelsbotschaften zukamen. Diese wurden in mündlichen Überlieferungen und Heiligen Schriften von Generation zu Generation weitergegeben. Das Christentum nimmt unter den sogenannten Offenbarungsreligionen insofern eine Sonderstellung ein, als hier Gott selbst in Menschengestalt auf die Erde gekommen sein soll, um sich in der Person Jesu den Menschen mitzuteilen. Das Ergebnis solcher Überlieferungen und ihrer Deutung sind Sammlungen von Glaubensätzen, die den „Gläubigen“ von den Kirchen zu glauben aufgegeben werden. Der Grund des Glaubens ist dabei nicht die Einsicht und selten eine innere Erfahrung, meist nur der blinde Gehorsam gegenüber den Weisungen der Kirche. Diese leitet ihre Autorität von der Autorität Gottes ab, in dessen Stellvertretung sie spricht und handelt. Die Wahrheit der oft weit her geholten Inhalte soll von Gott selbst garantiert sein. Da man den Menschen unserer Zeit, auch wenn sie für Religion aufgeschlossen sind, einen solchen Glaubensgehorsam nicht abverlangen kann, sollte sich niemand wundern, dass viele die Inhalte nur auf sich wirken lassen, um zu prüfen, ob sie sich diese zu Eigen machen können. Der Versuch der Aneignung solcher Glaubenssätze kann misslingen, was oft zu Schwierigkeiten mit den Kirchen führt, die unduldsam sind, wenn Vorbehalte gegenüber ihren Lehren gemacht werden. Der Grund, warum die Aneignung eines gesamten Pakets von Glaubenssätzen, ohne Abstriche, immer seltener gelingt, ist in der Starrheit kirchlichen Denkens zu suchen, die notwendige Anpassungen der Glaubenslehren an die kulturelle Entwicklung der Menschheit nicht zulässt.

Die Gretchenfrage nach einem Glauben an Gott, die jeder – unabhängig von existierenden Glaubenslehren – mit sich selbst ausmachen muss, steht immer am Anfang weiterer Überlegungen. Ist er an diesem Punkt angekommen und kann die Kernfrage für sich positiv beantworten, wird sich der Gläubige fragen müssen, was das für ihn bedeutet. Soll er dem Göttlichen weiter nachspüren, Gott verehren, ihn anbeten und lieben? Kann er dies alleine tun oder soll/muss er sich einer religiösen Gemeinschaft anschließen und, wenn ja, welcher? Wie stellt er sich zu den Ansprüchen einer Kirche gegenüber ihren Mitgliedern, bzw. zu dem, was diese als Anspruch Gottes an die Menschen ausgibt? Kann er alle Glaubenssätze der Kirche und ihre Moralvorstellungen als für ihn verbindlich akzeptieren? Wie sollte sich der Gottglaube auf sein Leben, vor allem auf sein Verhalten gegenüber den Mitmenschen, auswirken? Was bedeutet dies für seine Stellung in einer säkularen, pluralistischen Gesellschaft? Welche Erwartungen hat er an ein „Jenseits“? Das ist eine Fülle von spannenden Fragen, die eine hohe Relevanz für sein Leben besitzen.

In der Beantwortung solcher Fragen fühlen sich die Menschen nicht ganz frei, vor allem dann nicht, wenn sie durch autoritäre Vertreter von Glaubenslehren mit überzogenen Ansprüchen konfrontiert werden. Daraus erwachsende Konflikte können die Ursache dafür sein, dass Gläubige den Kirchen den Rücken kehren. Die grassierende Religionsverdrossenheit und die stark angestiegene Neigung zum Austritt aus den Kirchen sind zunächst eine Gefahr für deren Bestand. Sie bedeuten aber auch einen Verlust für die Menschen, die vom spirituellen Reichtum des Christentums oder anderer Religionen profitieren könnten. Diese Entwicklung ist aber auch zum Schaden für die Gesellschaft, weil auf diese Weise die religiöse Verankerung der Bürger leidet, die sich stabilisierend auf das Gemeinwesen auswirken könnte.

Gegenstand des vorliegenden Buches ist im weitesten Sinn die Gestaltung des persönlichen Verhältnisses zu Gott. Dafür werden oft Begriffe, wie religiöses Leben und Spiritualität, verwendet. Als es darum ging, einen passenden Titel für das Buch zu finden, habe ich zunächst an solche Begriffe gedacht, mich dann aber für eine Formulierung entschieden, die meines Erachtens sehr gut das besondere Verhältnis zwischen Gott und den Menschen charakterisiert: „Im Kraftfeld der Liebe Gottes – Religion, wie ich sie verstehe“. Dieses Bild lässt an die Anziehungskraft denken, die ein Zentralgestirn, wie die Sonne, auf die um sie kreisenden Objekte ausübt. Ganz in diesem Sinne ist Gott die kraftvolle Mitte, um die sich seine Geschöpfe bewegen. Demnach befindet sich jeder Mensch, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist, im „Kraftfeld der Liebe Gottes“.

Auch für dieses Buch gilt, dass ich als theologischer Laie schreibe, d. h. als jemand, der selbst nur Hörer kirchlicher Verkündigungen und Empfänger von Belehrungen und Unterweisungen der Kirche ist, sich hierzu aber seine eigenen Gedanken macht. Da ich mich mit diesem Buch vornehmlich an andere interessierte theologische Laien wende, auch an solche, die bisher wenig mit Kirche und Religion in Berührung kamen, war es unvermeidlich, dass ich darin einiges erkläre, was anderen wohl bekannt ist – mit dem Problem unterschiedlichen Kenntnisstandes der potenziellen Leser, hat jeder Autor zu kämpfen.

Um dem Leser einen Anhalt zu geben, was er vom Autor erwarten darf, bekenne ich mich vorab als gottgläubig, aufgewachsen in einer katholisch geprägten Umgebung. Nach Absolvierung eines humanistischen Gymnasiums studierte ich Zahnmedizin und schloss ein Zweitstudium in Psychologie mit dem Diplom ab. Nach Promotion und Habilitation für das Fach Kieferorthopädie folgte ein langes, erfülltes Berufsleben als Inhaber eines Lehrstuhls an einer Universität.

Einen bescheidenen Expertenstatus nehme ich, wie ich schon in meinem ersten Buch erklärt habe, für mich in Anspruch. Religion hat viel mit psychischen Funktionen, wie Denken, Fühlen und Bewusstsein, zu tun, zu denen ein Psychologe Fachkundiges beitragen kann. Das ist nichts Außergewöhnliches, was einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, sondern liegt nahe an einer Alltagspsychologie, deren sich jeder intuitiv bedient, und die auch der gebildete Laie gut nachvollziehen kann.

Im Ruhestand habe ich die Zeit und die Muße gefunden, meine Gedanken über Religion niederzuschreiben, in erster Linie für mich selbst. Ich wollte damit meinen eigenen Standpunkt prüfen und mir Klarheit über meine Haltung zu verschiedenen Fragen verschaffen. Irgendwann drängte sich mir dann die Idee auf, dass die vielen, die heute abseits stehen, die aus einer der Kirchen ausgetreten sind oder, wie Nikolaus Schneider, der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, es ausgedrückt hat, sich in Halbdistanz (Ausdruck aus dem Boxsport) zur Kirche befinden, von diesen Gedanken profitieren könnten. Besonders habe ich dabei an Menschen gedacht, die mir nahe stehen, an meine Kinder und Enkel. Ein gut durchdachtes Gottesbild und eine angstfreie, souveräne Haltung gegenüber der Glaubenslehre einer Kirche, der man angehört, auch gegenüber deren Ansprüchen an die Gläubigen, sollten für die Gelassenheit sorgen, die man als Kirchenmitglied und gleichzeitig Angehöriger einer säkularen Gesellschaft in dieser Zeit braucht.

In Dankbarkeit widme ich das Buch allen, die mich in meinem Glauben und Denken beeinflusst haben, meinen Eltern, meiner Frau, unseren Freunden, manchem Prediger, Menschen, die lehrreiche Bücher und gescheite Artikel geschrieben haben, aber auch allen, die mich zum Widerspruch herausgefordert oder sonst auf eine Weise zum Nachdenken veranlasst haben. „Wir stehen immer irgendwie auf den Schultern anderer“.

1 Religionen

Wer sich anschickt, sich selbst eine Antwort auf die Frage nach der Existenz Gottes zu geben, sollte wissen, welche Ideen dazu in der Menschheitsgeschichte bereits aufgetaucht sind. Denn, wäre der Mensch grundsätzlich in der Lage, etwas von einem göttlichen Wesen zu erahnen, müsste man dem gesamten „Erfahrungsschatz“ der Menschheit ein gehöriges Gewicht für die Wahrheitsfindung beimessen, selbst wenn einzelne Vorstellungen noch so abstrus und irrig wären.

Das Denken der Menschen über die besonderen Eigenschaften eines göttlichen Wesens und die verschiedenen Formen des religiösen Kults geben zudem einen interessanten Einblick in das Wesen dieses Phänomens. Vieles findet sich in den verschiedenen Religionen in ähnlicher Weise wieder. Anderes ist einmalig und macht die besondere Eigenart gerade dieser Religion aus. Die Religionsgeschichte zeigt, dass Religionen entstanden und im Konkurrenzkampf der Kulturen und Zivilisationen wieder verschwunden sind, meist im Zuge gesellschaftlicher und machtpolitischer Umwälzungen. Manche behaupten sich schon, mit wechselnder Intensität, über einen uns lange erscheinenden Zeitraum, der aber auch nur einen Wimpernschlag in der gesamten Erdgeschichte ausmacht. Die genauere Betrachtung der gegenwärtig existierenden und der bereits verschwundenen religiösen Lehren sollte – das sei bereits vorweggenommen – demütiger und vorsichtiger machen, wenn es um das „Wahrheitsmonopol“ und den Anspruch der Alleingültigkeit einer Religion geht.

Religionsgeschichtliche Anfänge

Menschen haben schon frühzeitig die Frage nach ihrer Herkunft und nach der Entstehung der Welt gestellt. Sie waren in ihren Annahmen und Vorstellungen sehr kreativ. Anders sind die Vielzahl und die Verschiedenartigkeit der religiösen Lehren – es sollen ca. 600 sein – nicht zu erklären. Die Entstehung von Religionen scheint an die allgemeine kulturelle Entwicklung der Menschheit gekoppelt zu sein, sodass man Religion auch als einen ihrer Teilaspekte beschreiben kann.

Aufgrund archäologischer Funde (Grabbeigaben, Höhlenmalereien) darf man davon ausgehen, dass es erste Anzeichen von Religion schon im Mittelpaläolithikum, also vor ca. 120 000 Jahren, gab, sowohl beim Homo sapiens als auch beim Neandertaler. Mit dem Auftauchen von Skulpturen, die Muttergottheiten oder Fruchtbarkeitsgöttinnen darstellten (z. B. Venus vom Galgenberg ca. 32 000 v. Chr., Venus von Willendorf ca. 25 000 v. Chr.), verdichteten sich die entsprechenden Hinweise.

Die ersten Ansätze von Religion standen vermutlich im Zusammenhang mit einem Ahnenkult. Man nahm an, dass die Geister verstorbener Stammesangehöriger noch in ihrer natürlichen Umgebung anwesend und daher ansprechbar seien, und dass sie die Geschicke der Lebenden beeinflussen könnten. Hinzu kam die Verehrung von Geistwesen, die als Personifikationen schwer verständlicher Naturphänomene aufgefasst wurden. Auch von diesen versprach man sich einen günstigen Einfluss auf das Schicksal der Gruppe. Die Verehrung solcher Naturgeister sollte dazu dienen, das Überleben der Gruppe zu sichern.

Später wurden geistige und soziale Funktionen der Menschen der Zuständigkeit von Göttern unterstellt, sodass man in der griechisch-römischen Antike Gottheiten für alle nur denkbaren menschlichen Aktivitäten kannte. Unter dem Einfluss der griechischen Philosophie (Aristoteles) und orientalischer Weisheitslehren änderte sich das Gottesbild allmählich hin zu einem allumfassenden Weltgeist, mit dem eine dem Menschen innewohnende Geistseele korrespondiert. In manchen Regionen zeigte die Entwicklung schon frühzeitig eine Tendenz hin zum Monotheismus. Die göttlichen Eigenschaften und Zuständigkeiten wurden von mehreren auf ein göttliches Wesen übertragen, das Schöpfer und Erhalter des Weltalls und Bezugsperson für die Menschen war. Dies gilt vor allem für die jüdisch-christliche Tradition, später auch für den Islam. In Religionen, in denen man noch in neuerer Zeit viele Götter verehrt, wie im Hinduismus, legt man Wert darauf, diese als Manifestationen oder Inkarnationen des einen wahren Gottes zu erklären.

Religion der Alten Ägypter

Die Anfänge einer der alten Hochreligionen, von der wir relativ viel wissen, nämlich der ägyptischen, reichen zurück bis in die Jungsteinzeit, ca. 5000 v. Chr. Aber erst für das Alte Reich, ab ca. 2500 v. Chr., können konkretere Angaben gemacht werden. Ab dieser Epoche ist durch Funde von Keramiken, Plastiken, Stelen und Siegeln belegt, dass das Land von einem Pharao regiert wurde, den man als Inkarnation des Himmelsgottes Horus verehrte. Erst die Entdeckung unversehrter, noch nicht von Grabräubern geplünderter Grabkammern von Mitgliedern der Herrscherfamilien und hoher Hofbeamter, meist reich bemalt und mit kostbaren Grabbeigaben ausgestattet, erlaubte einen genaueren Einblick in die Mythologie, den herrschenden Totenkult und die Jenseitsvorstellungen der Alten Ägypter. Dass es im vorvorigen Jahrhundert aufgrund der Studien des Franzosen Champollion (1790–1832) am Stein von Rosette möglich wurde, die alte Bildsprache der Hieroglyphen zu entziffern, war dabei ein Glücksfall.

Wie alle alten Völker meinten auch die Ägypter, ihre Götter in den ständig wiederkehrenden Naturerscheinungen finden zu können. Aus primitiven Totem-Fetischen, die man sich zum Schutz der Siedlungen schuf, wurden allmählich Götterfiguren in Menschengestalt aber mit Tierköpfen und bestimmten Attributen, an denen man die jeweilige Gottheit erkennen konnte, z. B. Anubis, den schakalköpfigen Totengott, Bastet, die katzenköpfige Göttin der Freude und Chons, den falkenköpfigen Mondgott mit Mondsichel und Mondscheibe auf dem Haupt. Auch der Himmels- und Sonnengott Horus, Sohn von Isis und Osiris, trug einen Falkenkopf. Die Mutter- und Liebesgöttin Isis wurde in Menschengestalt mit Kuhhörnern und Sonnenscheibe auf dem Kopf dargestellt, ähnlich der Himmelsgöttin Hathor. Der ibisköpfige Thot galt zugleich als Mondgott und als göttlicher Sekretär beim Totengericht. Der Schutzgott Sobek trug einen Krokodilskopf. Keine Tierköpfe hatten der Sonnengott und Götterkönig Amun und der Gott der Abendsonne und große Vollender Atum. Auch Osiris, Auferstehungsgott und Herr des Jenseits, wurde nur in Menschengestalt abgebildet. Als seine Erkennungszeichen gelten Geißel und Szepter, die er in Händen hält. Dazu kommen weitere Gottheiten, die zum Teil nur regionale Bedeutung erlangten. Warum so viele verschiedenen Gottheiten und warum die Überschneidung in den Zuständigkeiten? Was wir heute als eine einheitliche religiöse Lehre auffassen, ist die Sammlung der in Stein gemeißelten Zeugnisse aus verschiedenen Epochen, zum Teil auch aus verschiedenen Regionen Ägyptens. Zuständig für den Kult war die jeweilige Priesterschaft am Hof des gerade herrschenden Pharaos. Es wäre interessant zu wissen, was der einfache Fellache, der im Niltal die Felder bewirtschaftete, davon wusste und in seine persönlichen religiösen Vorstellungen übernehmen konnte.

Nach einem alten ägyptischen Schöpfungsmythos herrschten in einem Urozean acht chaotische Elemente als Urgötter. Aus diesem Ozean schwamm ein Ei, aus dem der Sonnengott schlüpfte. Dessen vier Kinder waren Schu, der Luftgott, Tefnut, seine Frau und Göttin der Feuchtigkeit, Geb, der Erdgott, und Nut, die Himmelsgöttin. Aus einem erhaltenen Wandgemälde geht hervor, was sich nach damaliger Vorstellung täglich im Kosmos abspielt. Der Erdgott Geb liegt langgestreckt auf dem Niltal, Pflanzen wachsen an seinem Körper. Nut befindet sich als Himmelsgewölbe angehoben über ihm; im Osten berührt sie mit ihren Zehenspitzen, im Westen mit ihren Fingerspitzen die Erde. An ihrem Körper gebiert sie die Sterne, die sie dann selbst wieder verschlingt. An der Ostseite fährt die Sonnenbarke mit dem noch jugendlichen Sonnengott über das Himmelsdach. Auf der Westseite taucht die Barke mit dem inzwischen gealterten Sonnengott wieder hinab zur nächtlichen Unterweltfahrt. Der Mythos besagt, dass nachts im Leib der Unterweltschlange unsichtbar eine Wiedergeburt stattfindet, sodass der Sonnengott am nächsten Morgen jung und strahlend zu neuer Fahrt aufbrechen kann.

Nach der Jenseitsvorstellung der Alten Ägypter haben die Seelen der Verstorbenen die Möglichkeit, mit Hilfe des Gottes Osiris verklärt in ihren alten, wieder voll funktionsfähigen Körper zurückzukehren. Interessant ist auch ihre Auffassung vom Zusammenwirken von Körper und Seele im irdischen wie im überirdischen Leben. Danach ist die Identität des einzelnen Menschen durch seinen Körper, durch seine dreigeteilte Seele, ferner durch seinen Schatten und durch seinen Namen bestimmt. Wollte man einen Menschen völlig vernichten, musste man auch den Nachruhm, das Andenken an ihn, tilgen. Zu diesem Zweck ließ man seinen Namen aus allen Kartuschen und gemeißelten Tafeln entfernen.

Der dreifache Seelenbegriff „Ka, Ba und Ach“ zeigt, wie feinfühlig die Ägypter seelische Phänomene unterschieden. „Ka“, in den Hieroglyphen mit den betend erhobenen Armen dargestellt, war eine geistige Lebenskraft mit hoher Individualität – am ehesten unserem Begriff „Persönlichkeit“ gleichzusetzen. Dass man dieses Ka eng an das gebunden sah, was wir Bewusstsein nennen, geht aus der Annahme hervor, es würde sich im Tod, aber auch bei einer Ohnmacht, sogar im Schlaf zeitweise vom Menschen trennen. Das Ka würde, so hieß es, nach dem Totengericht in den Leichnam zurückfliegen. Dies war der Hauptgrund für das Mumifizieren der Leichen und eine Reihe von Begräbniszeremonien. Das Ka konnte also nur in Verbindung mit dem Körper leben. Unter „Ba“ (Seelchen) verstand man eine davon unabhängige Geistseele. „Ach“ ist das Unsterbliche, was dem einzelnen Individuum zugeordnet ist. Es agiert im irdischen Leben und auch im Jenseits, zu dem es die Verbindung aufrechterhält.

Übersetzt in die Begrifflichkeit unserer Zeit könnte man Ka am ehesten mit der Psyche und ihren Funktionen, vor allem mit dem Bewusstsein, gleichsetzen. Ba wäre darin das Leben des gesamten Organismus aufgrund einer Lebenskraft, die in vielen Religionen mit dem Atem in Verbindung gebracht wird (Odem des Lebens, griechisch: Pneuma); es verflüchtigt sich, wenn der Mensch stirbt. Ach wäre schließlich die unsterbliche Geistseele. Mit Ka beschäftigt sich die wissenschaftliche Psychologie, mit Ba Medizin und Biologie und mit Ach die Philosophie und die Theologie.

Die von Priestern ausgeführten kultischen Handlungen bestanden im Wesentlichen aus Begräbnisriten und Totenkult, denn die Religion der Alten Ägypter war weitgehend auf das Jenseits ausgerichtet. Das gesamte irdische Leben der Menschen und die nach ihrem Tod von den Hinterbliebenen getroffenen Vorkehrungen dienten dazu, den Verstorbenen ein unbeschwertes Weiterleben im Jenseits zu ermöglichen. So waren die Ägypter schon zu Lebzeiten immer wieder mit dem Tod konfrontiert. Sie achteten auf den eigenen Lebenswandel, damit sie die Prüfungen beim göttlichen Totengericht bestehen konnten. Sie sorgten für die Begräbnisse anderer und pflegten deren Begräbnisstätten. Sie hörten das Wehklagen der Angehörigen, nahmen an dem opulenten Leichenschmaus teil und waren dabei, wenn zu festgelegten Zeiten am Begräbnisort, verbunden mit Musik und Tanz, Opfergaben niedergelegt wurden. Ein ganzer Geschäftszweig war mit den Begräbnissen befasst: die Mumifizierer, die Sargschreiner, die Hersteller und Anbieter von Grabausstattungen, einschließlich der Uschebtis – das sind Holz- oder Steinpuppen, die im Jenseits für den Verstorbenen arbeiten sollen. Die Bestattungen wurden meist westlich des Nils vorgenommen, wohin die Leichenzüge vom Ostufer aus mit Schiffen übersetzten.

Beim Totengericht – so geht aus Wanddarstellungen in den Grabkammern hervor – wurde der Verstorbene durch Gott Horus in die „Halle der beiden Wahrheiten“ vor den dort thronenden Gott Osiris geführt. Sein Herz, das bei jeder Mumifizierung, im Gegensatz zu den anderen Eingeweiden, im Leichnam verbleiben musste, wurde dort von Gott Anubis gewogen. Zweiundvierzig Unterweltdämonen fungierten als Beisitzer des Gerichts, in dem Gott Toth das Protokoll führte. Ging das Tribunal für die Seele negativ aus, starb sie für immer. Im günstigen Fall wurde sie auf den „Weg nach Jalu“, d. h. zu den Gefilden der Seligen, geschickt. Für diese Reise gab man dem Toten noch viele Schutzrituale und magische Sprüche mit auf den Weg.

In einer Zeit zwischen dem Alten Reich (2605–2130 v. Chr.) und dem Mittleren Reich (2130–1550 v. Chr.) herrschte der Glaube vor, dass jeder Mensch nach dem Tod eine Vergöttlichung erfahre, was bis dahin nur dem Pharao Vorbehalten war. Eine ebenfalls sehr bemerkenswerte Episode fiel in die Zeit des Neuen Reiches (1550-300 v. Chr.), als König Echnaton in seiner neuen Residenz Amarna gegen den Widerstand der Priesterschaft anstelle des Sonnengottes Amun den Sonnengott Aton, dargestellt als abstrakte Sonnenscheibe mit Strahlenkranz, zur alleinigen, allgemeinen Gottheit erhob; ein früher Monotheismus. Bereits sein Nachfolger Tut-ench-amun sah sich gezwungen, in die alte Residenzstadt Theben und zur alten Amun-Religion zurückzukehren. In der Zeit der Ptolemäer (332-20 v. Chr.) kam das Ägyptische Reich unter den Einfluss der Griechen, später der Römer. Dadurch wurde die altägyptische Religion von fremden Religionen überlagert. Schon im ersten nachchristlichen Jahrhundert fand das Christentum über Alexandria Eingang im Land. Im siebenten Jahrhundert wurde Ägypten durch die Araber erobert, die es zu einer Provinz des Kalifenreiches machten und die bis heute währende Vorherrschaft des Islam begründeten.

Religionen Mesopotamiens

Fast ebenso alt sind die Religionen des Zweistromlandes an Euphrat und Tigris, genauer gesagt die der Sumerer, der Babylonier und der Assyrer (ab ca. 2000 v. Chr.). Dabei handelte es sich um die Kultur sesshafter Bauern. Ihre Gottheiten waren überwiegend Fruchtbarkeitsgötter, die verehrt wurden, um sie gnädig zu stimmen, wenn man von ihnen reiche Ernten erbat. Leider sind von diesen Religionen wenig Details bekannt. Auch diese Religionen wurden in der gesamten Region vom Christentum und später wesentlich radikaler vom Islam verdrängt.

Die ältesten Bewohner dieses fruchtbaren Landstrichs waren die Sumerer, die bereits im vierten vorchristlichen Jahrtausend dort siedelten. Sie gelten als die Schöpfer einer alten Kultur und als Erfinder der Keilschrift. Die Wissenschaften Astronomie, Astrologie, Mathematik, Medizin und Rechtswissenschaft waren weit entwickelt. Da die Gegend sehr begehrt und umkämpft war, gab es immer wieder Völkerwanderungen und Vermischungen verschiedener Stämme. Es bildeten sich miteinander konkurrierende Kleinstaaten, jeder mit einem religiöspolitischen Zentrum: Ur, Nippur, Akkad und Babylon. Die dort vorherrschenden Religionen kannten Götter, wie Baal, Ischtar, Samas und Marduk, sowie gute und böse Dämonen, die sich in Naturerscheinungen und Gestirnen zeigten. Durch Verschmelzen bzw. Gleichsetzen sumerischer und semitischer Gottheiten ergab sich das assyrisch-babylonische Pantheon mit zwölf großen Göttern. Daneben wurden Planeten, Stierkolosse und geflügelte Löwen als niedere Gottheiten verehrt.

Die von Priestern verkündeten Lehren besagten, dass erlittenes Unheil die Strafe für persönliche Verfehlungen sei. Deshalb müsse die Gottheit durch Reue und Sündenbekenntnis versöhnt werden. Die Babylonier glaubten nicht an ein Weiterleben nach dem Tode und kannten daher – im Gegensatz zu den Ägyptern – keinen Totenkult. In ihren heiligen Schriften finden sich einige auffallende Parallelen zur jüdischen Bibel, z. B. im Schöpfungsmythos. Im Gilgamesch-Epos – Gilgamesch war der sagenhafte König der sumerischen Stadt Uruk – gibt es eine Erzählung, die dem biblischen Bericht von der Sintflut entspricht, weshalb man glaubt, dass sich diese Schilderung auf ein konkretes, historisches Ereignis bezieht. Eine auf einer Stele dargestellte Szene, in der Gott Samas dem König Hammurapi einen Gesetzeskodex überreicht, erinnert an die Übergabe der jüdischen Gesetzestafeln an Moses.

Zaroastrismus

Der hauptsächlich im alten Persien verbreitete Zaroastrismus ist eine geistesgeschichtlich viel beachtete Religion – manche sprechen auch von einer Philosophie. Diese konnte sich trotz ihrer Vorzüge nicht dauerhaft gegen die Konkurrenz anderer Lehren durchsetzen. Als ihr Gründer gilt der im zweiten oder ersten Jahrtausend v. Chr. lebende Zarathustra. Er soll ein weiser Lehrer und Priester gewesen sein. Alles, was man über den Religionsstifter und seine Lehre weiß, kennt man aus dem Avesta, einer Schrift, deren aramäische Fassung als älteste erhaltene Überlieferung im ersten Jahrhundert nach Christus aufgezeichnet worden ist. Über viele Details dieser Religion herrscht Unklarheit, weil keine eindeutigen Übersetzungen der schriftlichen Quellen vorliegen. Hauptquelle sind die 17 „Gatahas“ (Gedichte, Gesänge) des Zarathustra.

Nach der zarathustrischen Lehre ist der Gott Ahura- Mazda alleiniger Gott und Schöpfer der Welt. Er ist zugleich Quelle des Lebens und die höchste Stufe seiner Entwicklung. Er gilt auch als Inbegriff von Weisheit, Erleuchtung und Wahrhaftigkeit. Ahura-Mazda ist Anfang und Ende des Seins und steht hinter einer umfassenden Lebensordnung. Ganz im Gegensatz zu zentralen Gottheiten anderer Religionen gilt er nicht als fordernder Gott, der von den Gläubigen Gebete und Opfer verlangt. Dieser Gott ist barmherzig, er will nicht, dass die Menschen sich seinetwegen ängstigen. Jeder Mensch trägt Verantwortung. Da die Lehre aber den Begriff der Sünde nicht kennt, braucht sie auch keine Buße. Die Ethik dieser Religion beruht auf den drei Grundsätzen: gut denken, gut reden und gut handeln. In einem der Gebete Zarathustras heißt es: „Nun, vor allem du Allwissender, Unsichtbarer und Segensreicher, mit hoch erhobenen Händen huldige ich dir und bemühe mich, mit Hilfe von „Wohumen“ (guten Gedanken) durch gute Taten den Geist der Welt zu erfreuen“. Gott ist, so sagt Zarathustra, die absolute Güte und das strahlende Licht. Man erkennt ihn durch das Denken und durch das „Sehen mit dem Herzen“. Diese Aussagen beruhen, wie Zarathustra freimütig bekennt, auf seinen persönlichen Erkenntnissen. Das bedeutet, dass diese Religion keine Offenbarungsreligion ist, zumindest nicht in dem Sinn, dass Gott sich dem Religionsstifter in einer Erscheinung offenbart hätte.

Eine Besonderheit des Zaroastrismus ist der Dualismus von Gut und Böse. Dem guten Gott Ahura-Mazda steht der böse Geist Ahriman gegenüber. Man nimmt an, dass dieses dualistische Prinzip über das Judentum auch Einfluss auf das frühe Christentum (Manichäismus) und den Islam gewonnen hat. Wenig weiß man über die kultischen Bräuche im Zaroastrismus. Überliefert ist, dass die Zarathustrier als „Feueranbeter“ galten. Licht und Feuerschein waren Symbole für Gott. Für den Kult scheint man keine eigenen Gebäude errichtet zu haben, denn man betonte, dass Gott nur in den Herzen und in den Gedanken der Menschen zu finden sei.

In einer Säuleninschrift des Perserkönigs Artaxerxes I. (465-424 v. Chr.) ist Folgendes in Keilschrift zu lesen: „Diese Säulenhalle baute ich nach dem Willen von Ahura-Mazda, Anahita (Gottheit des Wassers) und Mithras (Sonnengott). Mögen sie mich schützen vor allem Widerwärtigen und dies, was ich gebaut habe, nicht zerstören“. Das bedeutet, dass der König nicht einem Eingottglauben huldigte. Dazu muss man wissen, dass es in Vorderasien und im gesamten Mittelmeerraum einen regen Austausch nicht nur von Waren sondern auch von Ideen und kultischen Traditionen gab. So wurden z. B. der Mithras-Kult – als Sol invictus (unbesiegte Sonne) – und der Isis-Kult auch in der späten Römischen Götterwelt heimisch. Man adoptierte Gottheiten, deren Verehrung in der Gegend gerade hoch im Kurs stand.

Der auf Persien, Mesopotamien, Afghanistan, Aserbaidschan und Teile Indiens beschränkte Zaroastrismus verlor mit der Zerstörung von Persepolis (330 v. Chr.) durch Alexander den Großen und dem Untergang der altpersischen Kultur an Bedeutung. Mit der Ausbreitung des Islam verschwand er fast vollständig. Gegenwärtig schätzt man die Zahl der Anhänger auf ca. 200 000, davon die Hälfte als „Parsen“ in Indien. Die Alten Griechen sahen in Zarathustra einen Weisen, Voltaire achtete ihn als „Vermittler“ in Religions- und Glaubensfragen. Gedankengut Zarathustras fand auch Eingang in die Freimaurerbewegung.

Beachtenswert ist auch der Einfluss dieser Hochreligion auf das Judentum und das Christentum. So gehörte zur Lehre Zarathustras die Erwartung eines Messias, der aus einer Jungfrau geboren werden sollte. Dessen Erscheinen wurde mit einem astronomischen Ereignis in Verbindung gebracht. Es wäre nahe liegend, anzunehmen, dass die drei Magier, von denen im Evangelium berichtet wird (Mt 2, 1-2) – später hat man sie als Könige ausgegeben, die das neugeborene Jesuskind aufsuchten – sternenkundige Priester des zaroastrischen Feuerkults waren. In alten persischen Schriften werden sie „Magawan“ genannt, der griechische Geschichtsschreiber Herodot nennt sie „Magoi“.

Judentum

Die jüdische Religion ist die älteste (4 000 Jahre) der drei großen, heute noch existierenden, monotheistischen Weltreligionen; sie zählt ca. 15 Millionen Gläubige. Alle drei stammen aus derselben Region und haben gemeinsame Wurzeln.

Jahwe, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der in der Bibel genannten Urväter, war der Gott nomadisierender Großfamilien und als solcher deren unsichtbare Integrationsfigur. Ihm und seinen Gesetzen fühlte man sich verpflichtet, von ihm erwartete man Beistand im Kampf gegen Feinde. Jahwe sollte an ihrer Seite kämpfen. Waren sie siegreich, glaubten sie, ihr Gott sei stärker als der ihrer Feinde. Verloren sie eine Schlacht, unterstellten sie, Jahwe habe sie im Stich gelassen, weil sie sich gegen ihn versündigt hatten. Jahwe war nicht nur der unsichtbare geistige Führer des Volkes, sondern auch höchste Autorität, Gesetzgeber und Richter für das Handeln aller Stammesangehörigen. Er selbst hatte nach biblischer Überlieferung dem Moses (vermutlich eine Symbolfigur) auf dem Berg Sinai die Tontafeln mit den zehn Geboten übergeben, die später auch im Christentum und weit darüber hinaus zur moralischen Richtschnur wurden. Dieser „Dekalog“ gilt heute noch als Grundlage der schriftlich fixierten Normen für ein Weltethos.

Die zwölf Söhne Jakobs, der auch Israel genannt wurde, bildeten die zwölf Stämme des alten Israel. Juda, der vierte der Söhne, wurde zum Namensgeber für die gesamte religiöse Bewegung. Das Judentum ist eine Offenbarungsreligion. Gott hat sich den Schriften zufolge den Führern des Volkes in Erscheinungen und Botschaften von Propheten und Engeln kundgetan. Nach den in der Thora zusammengefassten fünf Büchern Mose gibt es nur einen Gott. Dieser ist heilig, ewig, immateriell, unsichtbar, allmächtig, allgegenwärtig, gütig und gerecht. Seine Heiligkeit gebietet, sich von ihm kein Bild zu machen und seinen Namen nicht auszusprechen; in Texten stehen für ihn die vier Buchstaben JHWH, die als „Adonai“ (Herr) gelesen werden.

Der Monotheismus trat bei den Israeliten nicht zu allen Zeiten klar in Erscheinung. Als sie noch als nomadisierendes Hirtenvolk in räumlicher Nähe zu den sesshaften, Handel treibenden Kanaanitern lebten, gab es keine strikte Abgrenzung zu deren Göttern. Oft wurde Jahwe mit dem kanaanitischen Gott El gleichgesetzt, als dessen Frau die Göttin Aschera galt. Das geht zumindest aus der Inschrift auf einem aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert stammenden, in einer Karawanserei gefundenen Vorratskrug hervor. Außerdem wurde in der Region der Fruchtbarkeitsgott Baal verehrt. In der Bibel finden sich immer wieder Warnungen vor der Verehrung dieser „fremden Götter“. Die klare monotheistische Festlegung könnte eine Folge der in der babylonischen Gefangenschaft gemachten Erfahrungen gewesen sein.

Solange die Stämme nach dem Auszug aus Ägypten in der Wüste umherzogen, führten sie als Raum des Gebets, der Verehrung und des Gottesdienstes ein Zelt mit sich, in dem die „Bundeslade“ aufgestellt wurde. Diese mit Tragebalken versehene Truhe soll der Aufbewahrung der Gesetzestafeln gedient haben. Später wurde dieser Schrein in einen in Jerusalem errichteten Tempel integriert.

Zu den von Moses überbrachten Geboten Gottes kamen später noch zahlreiche Vorschriften von Gesetzeslehrern (613 Gebote bzw. Verbote, Mizwot), die in einem Gesetzbuch (Halacha) zusammengefasst sind. Zu diesen Geboten zählten die Heiligung des Sabbat, das Gebot der Beschneidung von Knaben acht Tage nach der Geburt (als Zeichen des Bundes mit Gott) und Vorschriften zur Hygiene (rituelle Waschungen) und zum „koscheren“ Essen.

Die orthodoxen Juden legen heute noch großen Wert auf die Einhaltung aller Regeln, was groteske Formen annehmen kann. So gibt es z. B., wie ich selbst beobachten konnte, in großen israelischen Hotels sogenannte „Schabat-Fahrstühle“, die automatisch an jedem zweiten Stockwerk halten. Damit will man der Vorschrift genüge tun, dass Juden am Sabbat kein Feuer machen dürfen. Als solches gilt auch das Betätigen eines elektrischen Schalters oder Bedienungsknopfes. Halten die Schabat-Aufzüge an Stockwerken mit gerader Zahl, müssen die Gäste, um in ihr Zimmer auf einer Etage mit ungerader Zahl zu gelangen, dann zu Fuß auf der Treppe ein Stockwerk nach oben oder unten gehen – für Nichtjuden schwer einsehbar.

Das Denken der Juden ist bis heute stark von der Idee der Ankunft eines Messias (hebräisch: Maschiach = der Gesalbte) geprägt. Dieser war in den Weissagungen der Prophetenbücher als „gerechter König und Friedensfürst“ angekündigt. Er würde erscheinen als der „Menschensohn in Demut und Bescheidenheit, aber ausgestattet mit Macht“ (Dan 7, 13; Sach 9, 9). Die Mächtigkeit des Verheißenen ließ die mehrfach gedemütigten Israeliten hoffen, der Messias werde sie von jeder Fremdherrschaft befreien.

Die Juden haben als Volk im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte schwere Schicksale erdulden müssen. Zumindest Teile des Volkes befanden sich zeitweise unter der Knechtschaft des Pharaos Ramses II., entweder weil sie als Kriegsgefangene nach Ägypten verschleppt wurden, oder weil sie als Nomaden im östlichen Teil des Nildeltas siedelten und dort zum Frondienst herangezogen wurden. In der Babylonischen Gefangenschaft (597-539 v. Chr.) waren Teile des israelitischen Volkes (Angehörige der Oberschicht) nach der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II. (um 640 v. Chr. – 562 v. Chr.) nach Babylon deportiert worden. Das war jedoch mehr eine Umsiedlung als eine Versklavung. Im Jahr 7o n. Chr. wurde der Tempel in Jerusalem von den Römern zerstört und das Volk der Juden in alle Winde zerstreut. Unter fremden Völkern versuchten sie ihre Identität, ihre Traditionen und ihren Glauben zu bewahren. Da sie sich auf diese Weise nicht assimilieren konnten, blieben sie lange Außenseiter der jeweiligen Gesellschaft. Aufgrund ihrer Tüchtigkeit und ihres beruflichen Erfolges erregten sie den Neid der Nichtjuden und wurden zur Zielscheibe von Anfeindungen. Diese gipfelten in gewaltsamen Pogromen und dem Holocaust, dem Massenmord durch die deutschen Nationalsozialisten.

Im Zionismus (ein 1890 von Nathan Birnbaum geprägter Begriff) wurde von Theodor Herzl und anderen die Idee wach gehalten, man müsse die Juden wieder sammeln und in das Land ihrer Väter zurückführen. Als 1948 das britische Protektorat über Palästina aufgehoben wurde, ergab sich die Gelegenheit, unter Berufung auf eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1947 einen unabhängigen jüdischen Staat auszurufen. In einem kurzen Krieg (erster israelischarabischer Krieg 1948–1949) gewannen die verbliebenen jüdischen Einwohner mit der Unterstützung vieler Rückkehrer und der Intervention ausländischer Mächte, vor allem der USA, die Oberhand. In den neu gegründeten Staat Israel wanderten Juden aus allen Teilen der Welt ein, sehr zum Unwillen des arabischen Teils der Bevölkerung. Das führte zu einem Dauerkonflikt, der bis in unsere Tage anhält.

Zentrales Heiligtum aller Juden ist der im Jahr 70 n. Chr. von den Römern zerstörte Tempel des Herodes, bzw. ein Rest dieses Tempels, die Klagemauer. Dieser Ort wird als Gebetsstätte von Juden aus aller Welt aufgesucht. Im Judentum gibt es Gruppierungen, die den jüdischen Glauben unterschiedlich streng leben, von den liberalen Reformjuden bis zu den streng Orthodoxen, die in ihrer Umgebung schon äußerlich durch ihre Kleidung und ihre Haartracht auffallen.

Das jüdische Jahr beginnt mit Rosch ha Schana, dem Neujahrsfest. Zu den bekannten religiösen Festen gehören das Pessach-Fest, das an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert, das Sukkat-Fest (Laubhüttenfest zur Erinnerung an Moses Zug durch die Wüste), Purim (Friedensfest zur Errettung von den Persern), Channuka (Lichterfest zur Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem durch Judas Makkabäus) und Jom Kippur (Versöhnungstag), der höchste jüdische Feiertag.

Jude wird man, indem man von einer jüdischen Mutter geboren wird. Religiöse Höhepunkte für einen jüdischen Jungen sind die Beschneidung (Brit Milah) und die mit dem Fest Bar Mitzwa am 13. Geburtstag gefeierte Religionsmündigkeit. Für jüdische Mädchen gibt es Vergleichbares zum 12. Geburtstag (Bat Mitzwa). Ab diesem Zeitpunkt dürfen die jungen Juden zu liturgischen Diensten herangezogen werden.

Der jüdische Gottesdienst besteht vorwiegend aus Lesungen und Gebeten, die von einem Rabbiner, einem Kantor oder auch einem kundigen Laien in der Synagoge gesprochen oder gesungen werden. Kleinere liturgische Feiern können auch von den Mitgliedern einer Familie in deren Wohnung abgehalten werden.

Fernöstliche Religionen

Neben dem großen, religionsgeschichtlich bedeutsamen Zentrum im vorderen Orient und im Mittelmeerraum, dem Entstehungsort der großen monotheistischen Weltreligionen, gibt es ein weiteres Zentrum im fernen Osten (Indien, Thailand, Indochina, Tibet, China, Japan), wo eine andere Kultur und andersartige religiöse Traditionen herrschten. Auch zwischen den dort entstandenen alten, aber noch heute existierenden Religionen gibt es Querverbindungen.

Hinduismus

Die in Indien entstandene hinduistische Religion ist eine der ältesten (4000 Jahre) und, gemessen an ihrer Anhängerschaft (850 Millionen), heute die drittstärkste der Welt. Merkmale sind der Polytheismus und eine Gesellschaftsordnung, in der die Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft bestimmten „Kasten“ zugeordnet werden. Dieses auf Tradition beruhende, ungerechte System sozialer Rangunterschiede wird, da gottgegeben, von den frommen Hindus nicht in Frage gestellt. Der Hinduismus, der keinen einzelnen Religionsstifter kennt, ist vielgestaltig und in seinen verschiedenen Lehrtraditionen für einen Fremden schwer zu durchschauen. Die meisten Richtungen innerhalb des Hinduismus folgen dem Veda, einem Kanon heiliger Texte.

Wenn man als Tourist vor einem der bunten hinduistischen Tempel mit seinen vielen Darstellungen von Menschen- und Tiergestalten steht, oder die Gelegenheit hat, in einer Privatwohnung eines der Hausaltärchen, ebenfalls bunt und meist illuminiert, zu sehen, hat man zunächst den Eindruck: Das ist eine Orgie an Kitsch. Erst die nähere Befassung mit dieser Religion zeigt, dass es auch hier die Vorstellung von einem einzigen, allmächtigen Weltenschöpfer, genannt der „Vielgestaltige“, gibt. Trotzdem verehren die Gläubigen verschiedene „Gottheiten“, die als Inkarnationen eines höchsten Wesens, genannt Brahman, gelten. Dieses wird als eine unpersönliche Macht verstanden, die im ganzen Universum herrscht. Brahman ist auch das Wesentliche jeder Existenz, jedes Geschöpfes, also auch jedes einzelnen Menschen. Die individuelle, immanente Seele nennen die indischen Philosophen „Atman“. Deren vollständige Identifikation mit dem Brahman ist letzte Befreiung und somit höchstes Ziel des Menschen. Mit dieser Vorstellung kommt der Hinduismus der Kernaussage anderer Hochreligionen sehr nahe. In der Bhagavad-Gita (14, 26/27), dem großen hinduistischen Epos, heißt es hierzu: „Wer sich völlig in hingebungsvollem Dienst beschäftigt und unter keinen Umständen abweicht, transzendiert sogleich die Erscheinungsweisen der materiellen Natur und erreicht so die Ebene des Brahman“ (Vers 26). „Und ich bin die Grundlage des unpersönlichen Brahman, das unsterblich, unvergänglich und ewig ist und das die grundlegende Natur höchsten Glücks ist“ (Vers 27).

Von den verschiedenen Spielarten des Hinduismus ist der in den vorchristlichen Jahrhunderten entstandene Jainismus besonders bemerkenswert. Danach sind die Seelen durch ihr Karma,Wiedergeburt.