»Für den Dialektiker ist die Welt ein Begriff, für den Schöngeist ein Bild, für den Schwärmer ein Traum, für den Forscher allein eine Wahrheit.«

Orges

»Es ist ein spezifisches Kennzeichen eines Philosophen, kein Professor der Philosophie zu sein. Die einfachsten Wahrheiten sind es gerade, auf die der Mensch immer erst am spätesten kommt.«

Ludwig Feuerbach

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Now what I want, is – facts

Boz

Die folgenden Blätter machen keinen Anspruch darauf, ein erschöpfendes Ganze oder ein System zu sein; es sind zerstreute, wen auch untereinander mit Notwendigkeit zusammenhängende und sich gegenseitig ergänzende Gedanken und Anschauungen aus dem fast unendlichen Gebiete empirisch-naturphilosophischer Betrachtung – welche wegen des für einen Einzelnen nur schwer zu beherrschenden materiellen Umfangs naturwissenschaftlicher Gebiete eine milde Beurteilung von seiten der Fachgenossen für sich in Anspruch nehmen. Wenn die Blätter es wagen dürfen, sich selbst zum voraus ein Verdienst oder einen Charakter beizulegen, so mag sich derselbe in dem Entschlusse ausdrücken, vor den ebenso einfachen als unvermeidlichen Konsequenzen einer empirisch-philosophischen Naturbetrachtung nicht zimperlich sich zurückzuziehen, sondern die Wahrheit in allen ihren Teilen einzugestehen. Man kann einmal die Sachen nicht anders machen, als sie sind, und nichts erscheint uns verkehrter als die Bestrebungen angesehener Naturforscher, die Orthodoxie in die Naturwissenschaften einzuführen. Wir berühmen uns dabei nicht, etwas durchaus Neues, noch nicht Dagewesenes vorzutragen. Ähnliche oder verwandte Anschauungen sind zu allen Zeiten, ja zum Teil schon von den ältesten griechischen Philosophen, vorgetragen worden; aber die notwendige empirische Basis zu denselben konnte erst durch die Fortschritte der Naturwissenschaften in unsern Jahrhunderten geliefert werden. Daher sind auch diese Ansichten in ihrer heutigen Klarheit und Konsequenz wesentlich eine Eroberung der Neuzeit und abhängig von den neuen und großartigen Erwerbungen der empirischen Wissenschaften. Die Schulphilosophie freilich, wie immer auf hohem, wenn auch täglich mehr abmagerndem Rosse sitzend, glaubt derartige Anschauungen längst abgetan und mit den Aufschriften »Materialismus«, »Sensualismus«, »Determinismus« usw. in die Rumpelkammer des Vergessenen geschoben oder, wie sie sich vornehmer ausdrückt, »historisch gewürdigt« zu haben. Aber sie selbst sinkt von Tag zu Tag in der Achtung des Publikums und verliert in ihrer spekulativen Hohlheit an Boden gegenüber dem raschen Emporblühen der empirischen Wissenschaften, welche es mehr und mehr außer Zweifel setzen, daß das makrokosmische wie das mikrokosmische Dasein in allen Punkten seines Entstehens, Lebens und Vergehens nur mechanischen und in den Dingen selbst gelegenen Gesetzen gehorcht. Ausgehend von der Erkenntnis jenes unverrückbaren Verhältnisses zwischen Kraft und Stoff als unzerstörbaren Grundlage muß die empirisch-philosophische Naturbetrachtung zu Resultaten kommen, welche mit Entschiedenheit jede Art von Supranaturalismus und Idealismus aus der Erklärung des natürlichen Geschehens verbannen und sich dieses letztere als gänzlich unabhängig von dem Zutun irgendwelcher äußeren, außer den Dingen stehenden Gewalten vorstellen. Der endliche Sieg dieser realphilosophischen Erkenntnis über ihre Gegner kann nicht zweifelhaft sein. Die Kraft ihrer Beweise besteht in Tatsachen, nicht in unverständlichen Redensarten. Gegen Tatsachen aber läßt sich auf die Dauer nicht ankämpfen, nicht »wider den Stachel löcken.« – Daß unsere Auseinandersetzungen nichts mit den leeren Phantasien der älteren naturphilosophischen Schule zu tun haben, braucht wohl kaum angedeutet zu werden. Diese sonderbaren Versuche, die Welt aus dem Gedanken, statt aus der Beobachtung, zu konstruieren, sind dermaßen mißlungen und haben ihre Anhänger so sehr in den öffentlichen Mißkredit gebracht, daß das Wort »Naturphilosoph« gegenwärtig fast allgemein als ein wissenschaftliches Scheltwort gilt. Es versteht sich indessen von selbst, daß sich dieser unangenehme Begriff nur an eine bestimmte Richtung oder Schule, nicht aber an die natürliche Philosophie überhaupt anknüpfen kann, und gerade die Erkenntnis beginnt jetzt allgemein zu werden, daß die Naturwissenschaften die Basis jeder auf Exaktheit Anspruch machenden Philosophie abgeben müssen. »Natur und Erfahrung« ist das Losungswort der Zeit. – Das Mißlingen jener älteren naturphilosophischen Versuche kann zugleich als der deutlichste Beweis dafür dienen, daß die Welt nicht die Verwirklichung eines einheitlichen Schöpfergedankens, sondern ein Komplex von Dingen und Tatsachen ist – den wir erkennen müssen, wie er ist, nicht wie wir ihn gerne möchten. – Wir werden uns bemühen, unsere Ansichten in allgemein-verständlicher Weise und gestützt auf bekannte oder leicht einzusehende Tatsachen vorzutragen und dabei jede Art philosophischer Kunstsprache zu vermeiden, welche die Philosophie, namentlich aber die deutsche, mit Recht bei Gelehrten und Nichtgelehrten in Mißkredit gebracht hat. Es liegt in der Natur der Philosophie, daß sie geistiges Gemeingut sei. Philosophische Ausführungen, welche nicht von jedem Gebildeten begriffen werden können, verdienen nach unserer Ansicht nicht die Druckerschwärze, man daran gewendet hat. Was klar gedacht ist, kann auch klar und ohne Umschweife gesagt werden. Die philosophischen Nebel, welche die Schriften der Gelehrten bedecken, scheinen mehr dazu bestimmt, Gedanken zu verbergen als zu enthüllen. Die Zeiten des gelehrten Maulheldentums, des philosophischen Charlatanismus oder der »geistigen Taschenspielerei«, wie sich Cotta sehr bezeichnend ausdrückt, sind vorüber oder müssen vorüber sein. Möge unsere deutsche Philosophie endlich einmal einsehen, daß Worte keine Taten sind, und daß man eine verständliche Sprache reden müsse, um verstanden zu werden! –

An Gegnern wird es uns nicht fehlen. Wir werden nur diejenigen beachten, welche sich mit uns auf den Boden der Tatsachen, der Empirie begeben; die Herren Spekulativen mögen von ihren selbstgeschaffenen Standpunkten herab untereinander weiterkämpfen und sich nicht in dem Wahne beirren lassen, allein im Besitze der echten Philosophie zu sein. »Die Spekulation«, sagt Ludwig Feuerbach, »ist die betrunkene Philosophie; die Philosophie werde daher wieder nüchtern. Dann wird sie de Geiste sein, was das reine Quellwasser dem Leibe ist.«

Kraft und Stoff

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Tres physici, duo athei

»Die Kraft ist kein stoßender Gott, kein von der stofflichen Grundlage getrenntes Wesen der Dinge. Sie ist des Stoffes unzertrennliche, ihm von Ewigkeit innenwohnende Eigenschaft.« – »Eine Kraft, die nicht an den Stoff gebunden wäre, die frei über dem Stoffe schwebte, ist eine ganz leere Vorstellung. Dem Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, dem Schwefel und Phosphor wohnen ihre Eigenschaften von Ewigkeit bei.« (Moleschott.)

»Geht man auf den Grund, so erkennt man bald, daß es weder Kräfte noch Materie gibt. Beides sind von verschiedenen Standpunkten aus aufgenommene Abstraktionen der Dinge, wie sie sind. Sie ergänzen einander und sie setzen einander voraus. Vereinzelt haben sie keinen Bestand usw.« »Die Materie ist nicht wie ein Fuhrwerk, davor die Kräfte, als Pferde, nun angespannt, dann abgeschirrt werden können. Ein Eisenteilchen ist und bleibt zuverlässig dasselbe Ding, gleichviel ob es im Meteorsteine den Weltkreis durchzieht, im Dampfwagenrade auf den Schienen dahinschmettert oder in der Blutzelle durch die Schläfe eines Dichters rinnt. – Diese Eigenschaften sind von Ewigkeit, sie sind unveräußerlich, unübertragbar.« (Dubois-Reymomd.) »Aus Nichts kann keine Kraft entstehen.« (Liebig.)

»Nichts in der Welt berechtigt uns, die Existenz von Kräften an und für sich, ohne Körper, von denen sie ausgehen und auf die sie wirken, vorauszusetzen.« (Cotta.)

Mit diesen Worten anerkannter Naturforscher leiten wir ein Kapital ein, welches an eine der einfachsten und folgewichtigsten, aber vielleicht gerade darum noch am wenigsten bekannten und anerkannten Wahrheiten erinnern soll. Keine Kraft ohne Stoff – kein Stoff ohne Kraft! Eines für sich ist so wenig denkbar als das andere für sich; auseinander genommen zerfallen beide in leere Abstraktionen. Man denke sich eine Materie ohne Kraft, die kleinsten Teilchen, aus denen ein Körper besteht, ohne jenes System gegenseitiger Anziehung und Abstoßung, welches sie zusammenhält und dem Körper Form und Gestaltung verleiht, man denke die sogenannte Kohäsionskraft hinweggenommen, was würde und müßte die Folge sein? Die Materie müßte augenblicklich in ein formloses Nichts zerfallen. In der sinnlichen Welt kennen wir ein Beispiel irgendeines Stoffteilchens, das nicht mit Kräften begabt wäre, und vermittels dieser Kräfte spielt es die ihm zugewiesene Rolle bald in dieser, bald in jener Gestaltung, bald in Verbindung mit gleichartigen, bald in Verbindung mit ungleichartigen Stoffteilchen. Aber auch ideell sind wir in keiner Weise imstande, uns eine Vorstellung einer kraftlosen Materie zu machen. Denken wir uns einen Urstoff, wie wir wollen, immer müßte ein System gegenseitiger Anziehung und Abstoßung zwischen seinen kleinsten Teilchen stattfinden; ohne dasselbe müßten sie sich selbst aufheben und spurlos im Weltenraume verschwimmen. »Ein Ding ohne Eigenschaften ist ein Unding, weder vernunftgemäß denkbar noch erfahrungsgemäß in der Natur vorhanden.« (Droßbach.) – Ebenso leer und haltlos ist der Begriff einer Kraft ohne Stoff. Indem es ein ausnahmsloses Gesetz ist, daß eine Kraft nur an einem Stoff in die Erscheinung treten kann, folgt daraus, daß Kraft nichts weiter sein kann und nicht anders definiert werden darf, denn als eine Eigenschaft der Materie, als eine »unzertrennliche, ihr von Ewigkeit innewohnenede Eigenschaft.« Deswegen lassen sich auch, wie Mulder richtig auseinandersetzt, Kräfte nicht mitteilen, sondern nur wecken. Magnetismus kann nicht, wie es wohl scheinen möchte, übertragen, sondern nur hervorgerufen, aufgeschlossen werden dadurch, daß wir die Aggregatzustände seines Mediums ändern. Die magnetischen Kräfte haften an den Molekülen des Eisens, und sie sind z.B. an einem Magnetstabe gerade da am stärksten, wo sie nach außen am wenigsten oder gar nicht bemerkbar werden, d.h. in der Mitte. Man denke sich eine Elektrizität, einen Magnetismus ohne das Eisen oder ohne jene Körper, an denen wir die Erscheinungsweisen dieser Kräfte beobachtet haben, ohne jene Stoffteilchen, deren gegenseitiges molekuläres Verhalten eben die Ursache dieser Erscheinungen abgibt; es würde uns nichts bleiben als ein formloser Begriff, eine leere Abstraktion, der wir nur darum einen eigenen Namen gegeben haben, um uns besser über diesen Begriff verständigen zu können. Hätte es nie Stoffteilchen gegeben, die in einen elektrischen Zustand versetzt werden können, so würde es auch nie Elektrizität gegeben haben, und wir würden mit alleiniger Hilfe der Abstraktion niemals imstande gewesen sein, die geringste Kenntnis oder Ahnung von Elektrizität zu erlangen. Ja, man muß sagen, sie würde ohne diese Teilchen nie existiert haben! Darum definieren die genannten Forscher mit Recht die Kraft als eine bloße Eigenschaft des Stoffs. Es kann eine Kraft so wenig ohne einen Stoff existieren, als ein Sehen ohne einen Sehapparat, als ein Denken ohne einen Denkapparat. »Es ist nie jemanden eingefallen, sagt Vogt, zu behaupten, daß die Absonderungsfähigkeit getrennt von der Drüse, die Zusammenziehungsfähigkeit getrennt von der Muskelfaser existieren könne. Die Absurdität einer solchen Idee ist so auffallend, daß man nicht einmal den Mut hatte, bei den genannten Organen an dieselbe zu denken.« Von je konnte uns nichts anderes über die Existenz einer Kraft Aufschluß geben als die Veränderungen, die wir an der Materie sinnlich wahrnahmen und die wir, indem wir sie nach ihren Ähnlichkeiten unter bestimmten Namen subsummierten, mit dem Worte »Kräfte« bezeichneten; jede Kenntnis von ihnen auf anderem Wege ist eine Unmöglichkeit.

Welche allgemeine Konsequenz läßt sich aus dieser Erkenntnis ziehen?

Daß diejenigen, welche von einer Schöpferkraft reden, welche die Welt aus sich selbst oder aus dem Nichts hervorgebracht haben soll, mit dem ersten und einfachsten Grundsatze philosophischer und auf Emipirie gegründeter Naturbetrachtung unbekannt sind. Wie hätte eine Kraft existieren können, welche nicht an dem Stoffe selbst in die Erscheinung tritt, sondern denselben willkürlich und nach individuellen Rücksichten beherrscht? – Ebensowenig konnten sich gesondert vorhandene Kräfte in die form- und gesetzlose Materie übertragen und auf diese Weise die Welt erzeugen. Denn wir haben gesehen, daß eine getrennte Existenz dieser beiden zu den Unmöglichkeiten gehört. Daß die Welt nicht aus dem Nichts entstehen konnte, wird uns eine spätere Betrachtung lehren, welche von der Unsterblichkeit des Stoffs handelt. Ein Nichts ist nicht bloß ein logisches, sondern auch ein empirisches Unding. Die Welt oder der Stoff mit seinen Eigenschaften, die wir Kräfte nennen, mußten von Ewigkeit sein und werden in Ewigkeit sein müssen – mit einem Worte: die Welt kann nicht geschaffen sein. Freilich ist der Begriff »Ewig« ein solcher, der sich schwer mit unsern endlichen Verstandeskräften zu vertragen scheint; nichtsdestoweniger können wir diese Vorstellung nicht abweisen. In wie vielen anderen Beziehungen noch die Vorstellung einer individuellen Schöpferkraft an Absurditäten leidet, werden wir im Verlaufe unserer späteren Betrachtungen einigemal gewahr werden. Daß die Welt nicht regiert wird, wie man sich hin und wieder auszudrücken pflegt, sondern daß sie Bewegungen des Stoffs einer vollkommenen und in ihm selbst begründeten Naturnotwendigkeit gehorchen, von der es keine Ausnahme gibt – welcher Gebildete, namentlich aber welcher mit den Erwerbungen der Naturwissenschaften auch nur oberflächlich Vertraute wollte an dieser Wahrheit zweifeln? Daß aber eine Kraft – um einmal diesen Ausdruck in abstracto zu gebrauchen – nur dann eine Kraft sein, nur dann existieren kann, wenn und solange sie sich in Tätigkeit befindet – dürfte nicht minder klar sein. Wollte man sich also eine Schöpferkraft, eine absolute Potenz – einerlei, welchen Namen man ihr gibt – als die Ursache der Welt denken, so müßte man, den Begriff der Zeit auf sie anwendend, von ihr sagen, daß sie weder vor noch nach der Schöpfung sein konnte. Vorherkonnte sie nicht sein, da sich der Begriff einer solchen Kraft mit der Idee des Nichts oder des Untätigseins nicht vertragen kann. Eine Schöpferkraft konnte nicht sein, ohne zu schaffen; man müßte sich denn vorstellen, sie habe sich in vollkommener Ruhe und Trägheit dem form- und bewegungslosen Stoff gegenüber eine Zeitlang untätig verhalten – eine Vorstellung, deren Unmöglichkeit wir bereits oben nachgewiesen zu haben glauben. Eine ruhende, untätige Schöpferkraft würde eine ebenso leere und haltlose Abstraktion sein, als die einer Kraft ohne Stoff überhaupt. Nachher konnte oder kann sie nicht sein, da wiederum Ruhe und Tatenlosigkeit mit dem Begriffe einer solchen Kraft unverträglich sind und sie selber negieren würden. Die Bewegung des Stoffs folgt allein den Gesetzen, welche in ihm selber tätig sind, und die Erscheinungsweisen der Dinge sind nichts weiter als Produkte der verschiedenen und mannigfaltigen, zufälligen oder notwendigen Kombinationen stofflicher Bewegungen untereinander. Nie und nirgends, in keiner Zeit, und nicht bis in die entferntesten Räume hinein, zu denen unser Fernrohr dringt, konnte eine Tatsache konstatiert werden, welche eine Ausnahme von dieser Regel bedingen, welche die Annahme einer unmittelbar und außer den Dingen wirkenden selbständigen Kraft notwendig machen würde. Eine Kraft aber, die sich nicht äußert, kann nicht existieren. Dieselbe in ewiger, in sich selbstzufriedener Ruhe oder innerer Selbstanschauung versunken vorzustellen – läuft eben wiederum auf eine leere und willkürliche Abstraktion ohne empirische Basis hinaus. So bliebe nur eine dritte Möglichkeit übrig, d.h. die ebenso sonderbare als unnötige Vorstellung, es sei die Schöpferkraft plötzlich und ohne bekannte Veranlassung aus dem Nichts emporgetaucht, habe die Welt geschaffen (woraus?) und sei mit dem Moment der Vollendung wieder in sich selbst versunken, habe sich gewissermaßen an die Welt dahingegeben, sich selbst in dem All aufgelöst. Philosophen und Nichtphilosophen haben von je diese Vorstellung, namentlich den letzteren Teil derselben, mit Vorliebe behandelt, weil sie auf diese Weise die allzu unbestreitbare Tatsache einer einmal festgesetzten und unabänderlichen Weltordnung mit dem Glauben an ein individuelles, schaffendes Prinzip vereinigen zu können glaubten. Auch alle religiösen Vorstellungen lehnen mehr oder weniger an diese Idee an, nur mit dem Unterschiede, daß sie den Weltgeist nach der Schöpfung zwar ruhend,aber doch als Individuum, das seine gegebenen Gesetze jederzeit wieder aufheben kann, denken. Es können uns diese Vorstellungen nicht weiter beschäftigen, da sie keine philosophische Denkweise befolgen, sondern individuell-menschliche Eigenschaften und Unvollkommenheiten auf absolute Begriffe übertragen. Was demnach die letztgenannte Vorstellungsweise in ihrer philosophischen Bedeutung anlangt, so hieße es Eulen nach Athen tragen, wollten wir uns bemühen, ihre Halt- und Nutzlosigkeit darzutun. Schon die Anwendung des endlichen Zeitbegriffs auf die Schöpferkraft enthält eine Ungereimtheit; eine noch größere ihre Entstehung aus dem Nichts. »Aus Nichts kann keine Kraft entstehen«, sagt Liebig. Wenn aber die Schöpferkraft nicht vor Entstehung der Dinge da sein konnte, wenn sie nicht nach derselben sein kann, wenn es endlich nicht denkbar ist, daß sie nur eine momentane Existenz besaß; wenn der Stoff unsterblich ist, wenn es keinen Stoff ohne Kraft, keine Kraft ohne Stoff gibt – dann mag uns wohl kein Zweifel darüber bleiben dürfen, daß die Welt nicht erschaffen sein kann, daß sie ewig ist. Was nicht getrennt werden kann, konnte auch niemals getrennt bestehen! Was nicht vernichtet werden kann, konnte auch nicht geschaffen werden! »Die Materie ist unerschaffbar, wie sie unzerstörbar ist« (Vogt).

Unsterblichkeit des Stoffs

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»Du betest einen
Gott an, der am
Kreuze gestorben ist, aber ich bete die
Sonne an, die nie stirbt.«

Peruanischer Inka zu einem Missionar.

»Der große Cäsar, tot und Lehm geworden,
Verklebt ein Loch wohl vor dem rauhen Norden.
O daß die Erde, der die Welt gebebt,
Vor Wind und Wetter eine Wand verklebt!«

Mit diesen tiefempfundenen Worten deutete der große Brite schon vor 300 Jahren eine Wahrheit an, welche trotz ihrer Klarheit und Einfachheit, trotz ihrer Unbestreitbarkeit heutzutage noch nicht einmal unter unseren Naturforschern zur allgemeinen Erkenntnis gekommen zu sein scheint. Der Stoff ist unsterblich, unvernichtbar, kein Stäubchen im Weltall, noch so klein oder so groß, kann verlorengehen, keines hinzukommen. Nicht das kleinste Atom können wir uns hinweg- oder hinzudenken, oder wir müßten zugeben, daß die Welt dadurch in Verwirrung gesetzt werden würde; die Gesetze der Gravitation müßten eine Störung erleiden, das notwendige und unverrückbare Gleichgewicht der Stoffe müßte Not leiden. Es ist das große Verdienst der Chemiein den letzten Jahrzehnten, uns aufs klarste und unzweideutigste darüber belehrt zu haben, daß die ununterbrochene Verwandlung der Dinge, welche wir täglich vor sich gehen sehen, das Entstehen und Vergehen organischer oder unorganischer Formen und Bildungen nicht auf einem Entstehen und Vergehen vorher nicht dagewesenen Stoffes beruhen, wie man wohl in früheren Zeiten ziemlich allgemein glaubte; sondern daß diese Verwandlung in nichts anderem besteht, als in der beständigen und unausgesetzten Metamorphosierung derselben Grundstoffe, deren Menge und Qualität an sich stets dieselbe und für alle Zeiten unabänderliche bleibt. Mit Hilfe der Waage ist man dem Stoffe auf seinen vielfachen und verwickelten Wegen gefolgt und hat ihn überall in derselben Menge aus irgendeiner Verbindung wieder austreten sehen, in der man ihn eintreten sah. Die Berechnungen, die seitdem auf dieses Gesetz gegründet worden sind, haben sich, überall als vollkommen richtig erwiesen. Wir verbrennen ein Holz, und es scheint auf den ersten Anblick, als müßten seine Bestandteile in Feuer und Rauch aufgegangen, verzehrt worden sein. Die Waage des Chemikers dagegen lehrt, daß nicht nur nichts von dem Gewicht jenes Holzes verloren worden, sondern daß dasselbe im Gegenteil vermehrt worden ist; sie zeigt, daß die aufgefangenen und gewogenen Produkte nicht nur genau alle diejenigen Stoffe wieder enthalten, aus denen das Holz vordem bestanden hat, wenn auch in anderer Form und Zusammensetzung, sondern daß in ihnen auch diejenigen Stoffe enthalten sind, welche die Bestandteile des Holzes bei der Verbrennung aus der Luft an sich gezogen haben. Mit einem Wort, das Holz hat bei der Verbrennung sein Gewicht nicht vermindert, sondern vermehrt. »Der Kohlenstoff, der in dem Holze war«, sagt Vogt, »ist unvergänglich, er ist ewig und ebenso unzerstörbar als der Wasserstoff und Sauerstoff, mit welchem er verbunden in dem Holze bestand. Diese Verbindung und die Form, in welcher sie auftrat, ist zerstörbar, die Materie hingegen niemals.« – Mit jedem Hauch, der aus unserm Munde geht, atmen wir einen Teil der Speisen aus, die wir genießen, des Wassers, das wir trinken. Wir verwandeln uns so rasch, daß man wohl annehmen kann, daß wir in einem Zeitraum von vier Wochen stofflich ganz andere und neue Wesen sind; die Atome wechseln, nur die Art der Zusammensetzung bleibt dieselbe. Diese Atome selbst aber sind an sich unveränderlich, unzerstörbar, heute, in dieser, morgen in jener Verbindung bilden sie durch die Verschiedenartigkeit ihres Zusammentritts die unzählig verschiedenen Gestalten, in denen der Stoff unseren Sinnen entgegentritt, in einem ewigen und unaufhaltsamen Wechsel und Fluß dahineilend. Dabei bleibt die Menge der Atome eines einfachen Grundstoffes im großen ganzen unveränderlich dieselbe; kein einziges Stoffteilchen kann sich neu bilden, keines, das einmal vorhanden, aus dem Dasein verschwinden. Die Beispiele und Beweise hierfür ließen sich in Menge beibringen. Es genüge, zu bemerken, daß die Wanderungen und Wandlungen, welche der Stoff im Sein des Alls durchläuft und welchen der Mensch zum Teil mit Waage und Maß in der Hand gefolgt ist, millionen- und abermillionenfach, daß sie ohne Ziel und Ende sind. Auflösung und Zeugung, Zerfall und Neugestaltung reichen sich aller Orten in ewiger Kette einander die Hand. In dem Brot, das wir essen, in der Luft, die wir atmen, ziehen wir den Stoff an uns, der die Leiber unserer Vorfahren vor tausend und abertausend Jahren gebildet hat; ja, wir selbst geben tagtäglich einen Teil unseres Stoffs an die Außenwelt ab, um denselben oder den von unseren Mitlebenden abgegebenen Stoff vielleicht in kurzer Zeit von neuem einzunehmen.

Von den Engländern kann man wörtlich sagen, daß sie ihre Voreltern, die im Kampfe für sie und ihre Freiheit gegen die französische Herrschaft gefallen sind, zum Danke dafür in ihrem täglichen Brote aufessen. Man hat die Knochen des Schlachtfeldes von Waterloo in großer Menge nach England geführt, um die Felder damit zu düngen, und den Ertrag derselben dadurch um das Doppelte erhöht. – Diesen ewigen und unaufhaltsamen Kreislauf der kleinsten Stoffteilchen hat der Gelehrte den Stoffwechsel genannt, und die kühne Phantasie des britischen Dichters hat den Stoff, der einst des großen Cäsar Leib bildete, bis zu dem Punkte verfolgt, wo er ein Loch der Wand verklebt. So sind auch die Atome, welche einst »Romeo und Julie« dichteten, heute durch alle Winde zerstreut, und durchlaufen, nie ruhend, ihre ewigen, bald in den niedersten, bald in den höchsten Gestalten sich bewegenden Bahnen.

Wie eine Tatsache, so einfach und von einer durch die Chemie so überzeugend dargetanen Wahrheit, heutzutage noch von Naturforschern und Ärzten verkannt oder übersehen werden kann, erscheint kaum begreiflich und beweist, wie wenig noch im allgemeinen die großen Entdeckungen der Naturwissenschaften sich in weiteren Kreisen Bahn gebrochen haben. So spricht Schubarth von freiwilliger Entstehung des Wassers bei plötzlichen Wolkenansammlungen. Röbbelen meint, der tierische Organismus erzeuge Stickstoff usw. Wie kann man es verkennen, daß aus nichts – nichts entstehen kann? Der Stoff muß vorhanden sein, wenn auch vorher in anderer Gestalt oder Verbindung, um irgendeine Bildung erzeugen oder an ihr teilnehmen zu können. Ein Sauerstoff-, ein Stickstoff-, ein Eisenatom ist überall und unter allen Umständen ein und dasselbe Ding, begabt, mit denselben und ihm immanenten Eigenschaften, und kann nie und in alle Ewigkeit nicht etwas anderes werden. Sei es, wo es wolle, überall wird es das nämliche Wesen sein; aus jeder noch so heterogenen Verbindung wird es bei dem Zerfall derselben als dasselbe Atom wieder austreten, als das es eintrat. Nie und nimmer kann aber ein Atom neu entstehen oder aus dem Dasein verschwinden; es kann nichts, als seine Verbindungen wechseln. Aus diesen Gründen ist der Stoff unsterblich, und aus diesem Grunde ist es, wie schon früher dargetan, unmöglich, daß die Welt eine gewordene sei. Wie könnte etwas geschaffen worden sein, das nicht vernichtet werden kann! Der Stoff muß ewig gewesen sein, ewig sein und ewig bleiben.

Es ist eine bis zum Überdruß gehörte und wiederholte Redensart vom »sterblichen Leib« und »unsterblichen Geist«. Eine etwas genauere Überlegung würde den Satz vielleicht mit mehr Wahrheit umkehren lassen. Der Leib in seiner individuellen Gestalt ist freilich sterblich, nicht aber in seinen Bestandteilen. Nicht bloß im Tode, sondern auch im Leben verwandelt er sich, wie wir gesehen haben, ohne Aufhören; aber in einem höheren Sinne ist er unsterblich, da nicht das kleinste Teilchen von ihm vernichtet werden kann. Dagegen sehen wir das, was wir Geist nennen, mit dem Aufhören der individuellen stofflichen Zusammensetzung schwinden, und es muß einem vorurteilsfreien Verstande scheinen, als habe dieses eigentümliche Zusammenwirken vieler kraftbegabter Stoffteilchen einen Effekt erzeugt, der mit seiner Ursache aufhören muß. »Wenn wir mit dem Tode nicht vernichtet werden«, sagt Fechner, »unsere bisherige Existenzweise können wir doch im Tode nicht retten. Wir werden sichtbarlich wieder zu der Erde, von der wir genommen worden. Aber indes wir wechseln, besteht die Erde und entwickelt sich fort und fort; sie ist ein unsterblich Wesen und alle Gestirne sind es mit ihr.«

Heute ist die Unsterblichkeit des Stoffs eine wissenschaftlich festgestellte und nicht mehr zu leugnende Tatsache. Es ist interessant, zu wissen, daß auch frühere Philosophen eine Kenntnis dieser großen Wahrheit besaßen, wenn auch mehr in unklarer und ahnender, als wissenschaftlich sicher erkannter Weise. Den Beweis dafür konnten uns erst unsere Waagen und Retorten liefern.

Sebastian Frank, ein Deutscher, welcher im Jahre 1528 lebte, sagt: »Die Materie war von Anfang an in Gott und ist deswegen ewig und unendlich. Die Erde, der Staub, jedes erschaffene Ding vergeht wohl; man kann aber nicht sagen, daß dasjenige vergehe, woraus es erschaffen ist. Die Substanz bleibt ewig. Ein Ding zerfällt in Staub, aber aus dem Staube entwickelt sich wieder ein neues. Die Erde ist, wie Plinius sagt, ein Phönix und bleibt für und für. Wenn er alt wird, verbrennt er sich zu Asche, daraus ein junger Phönix wird, aber der vorige, doch verjüngte.«

Noch unumwundener drücken die italienischen Philosophen des Mittelalters diese Idee aus. Bernhard Telesius (1508) sagt:

»Der körperliche Stoff ist in allen Dingen gleich und bleibt ewig derselbe; die finstere, träge Materie kann weder vermehrt noch vermindert werden.«

Und endlich Giordano Bruno (der im Jahre 1600 in Rom verbrannt wurde):

»Was erst Samen war, wird Gras, hierauf Ähre, alsdann Brot, Nahrungssaft, Blut, tierischer Same, Embryo, ein Mensch, ein Leichnam; dann wieder Erde, Stein oder andere Masse und so fort. Hier erkennen wir also etwas, was sich in alle diese Dinge verwandelt und an sich immer ein und dasselbe bleibt. So scheint wirklich nichts beständig, ewig und des Namens Prinzip würdig zu sein, denn allein die Materie. Die Materie als absolut begreift alle Formen und Dimensionen in sich. Aber die Unendlichkeit der Formen, in denen die Materie erscheint, nimmt sie nicht von einem andern und gleichsam nur äußerlich an, sondern sie bringt sie aus sich selbst hervor und gebiert sie aus ihrem Schoß. Wo wir sagen, daß etwas stürbe, da ist dies nur ein Hervorgang zu einem neuen Dasein, eine Auflösung dieser Verbindung, die zugleich ein Eingehen in eine neue ist.«

Unendlichkeit des Stoffs

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Die Welt ist unbegrenzt, unendlich.

Cotta

Ist der Stoff unendlich in der Zeit, d.h. unsterblich, so ist er nicht minder ohne Anfang oder Ende im Raum; die unserem endlichen Geiste äußerlich anerzogenen Begriffe von Zeit und Raum finden auf ihn keine Anwendung. Einerlei ob wir nach der Ausdehnung des Stoffes im kleinsten oder im größten fragen oder suchen – nirgends finden wir ein Ende oder eine letzte Form desselben. Als die Erfindung des Mikroskops früher unbekannte Welten aufschloß und eine bis da nicht geahnte Feinheit der organischen Formelemente dem Auge des Forschers entdeckte – da näherte man die kühne Hoffnung, der letzten organischen Form, vielleicht dem Grunde des Entstehens, auf die Spur zu kommen. Diese Hoffnung schwand in dem Maße, als sich unsere Instrumente verbesserten. In dem hundertsten Teile eines Wassertropfens zeigt uns das Mikroskop eine Welt kleiner Tiere, oft von den feinsten und ausgeprägtesten Formen, welche sich bewegen, fressen, verdauen, leben wie jedes andere Tier und mit Organen versehen sind, über deren genauere Struktur uns jede Vermutung fehlt. Die kleinsten derselben sind auch der stärksten Vergrößerung kaum ihren äußeren Umrissen nach erreichbar; ihre innere Organisation bleibt uns natürlich vollkommen unbekannt, noch unbekannter, welche noch kleinere Formen lebender Wesen existieren können. Wird man bei noch verbesserten Instrumenten, fragt Cotta, die Monaden als Riesen unter einer Zwergwelt noch kleinerer Organismen erblicken? Das Rädertier, welches den zehnten oder zwanzigsten Teil einer Linie groß ist, hat einen Schlund, gezahnte Kiefer, Magen, Darm, Drüsen, Gefäße und Nerven. Die pfeilschnell dahinschießende Monade mißt den 2000sten Teil einer Linie, und in einem Tropfen Flüssigkeit finden sich Millionen derselben; dieses Tier muß Bewegungsorgane haben, und die Art seiner Bewegungen läßt keinen Zweifel darüber, daß es Empfindung und Wille besitzt, daß es also auch Organe haben muß, welche solche zu vermitteln imstande sind. Wie aber diese Organe beschaffen sind, welche stofflichen Elemente ihrem Baue zugrunde liegen, darüber hat uns bis jetzt unser Auge noch keinen Aufschluß geben können. Die Samenkörner eines in Italien vorkommenden Traubenpilzes sind so klein, daß ein menschliches Blutkörperchen unter dem Mikroskop als ein Riese gegen dieselben erscheint: die Blutkörperchen selbst aber sind von solcher Kleinheit, daß ein Tropfen Blut mehr als fünf Millionen derselben enthält. In jenem Samenkorne lebt die organische Kraft der Fortpflanzung, eine besondere komplizierte Zusammenordnung der stofflichen Elemente, von der wir uns keinen Begriff machen können, da unsere Sehkraft hier ein Ende hat. – Ein Atom nennen wir einen kleinsten Stoffteil, den wir uns als nicht mehr teilbar vorstellen, und denken uns allen Stoff aus solchen Atomen zusammengesetzt und durch gegenseitige An- und Abstoßung derselben existierend und seine Eigenschaften erhaltend. Aber das Wort Atom ist nur ein Ausdruck für eine uns notwendige und von uns äußerlich an den Stoff herangebrachte Vorstellung, eine Vorstellung, welcher wir für gewisse äußere Zwecke bedürfen. Ein wirklicher Begriff von dem Dinge, das wir Atom nennen, geht uns vollkommen ab; wir wissen nichts von seiner Größe, Form, Zusammensetzung usw. Niemand hat es gesehen. Und die spekulativen Philosophen leugnen die Existenz der Atome, weil sie nicht zugeben, daß ein Ding existieren könne, das man sich nicht als weiter teilbar vorstellen könne. Somit führen uns weder Beobachtung, noch Nachdenken in der Betrachtung des Stoffes im kleinsten an einen Punkt, an dem angelangt wir haltmachen könnten, und es fehlt uns alle Aussicht, daß dies jemals geschehen werde. Daher können wir nicht anders als sagen: der Stoff und damit die Welt ist unendlich im kleinsten; und es kommt nicht darauf an, ob unser Verstand, der überall ein Maß oder Ziel zu finden sich gewöhnt hat, in seiner endlichen Beschränkung vielleicht einen Anstoß an solcher Idee nimmt.

Wie das Mikroskop im kleinen, so führt uns das Fernrohr im großen Weltall. Auch hier dachten die Astronomen in kühnem Mute an das Ende der Welt vorzudringen, aber je mehr sich ihre Instrumente vervollkommneten, um so unermeßlicher, unerreichbarer dehnten sich neue Welten vor ihrem erstaunten Blick aus. Die leichten, weißen Nebel, welche bei hellem Himmel dem bloßen Auge am Firmamente erscheinen, löste das Fernrohr in Myriaden von Sternen, von Welten, von Sonnen und Planetensystemen auf, und die Erde mit ihren Bewohnern, welche man sich so gern und selbstgefällig als Krone und Mittelpunkt des Daseins vorgestellt hatte, sank von ihrer eingebildeten Höhe zu einem im Weltenraume schwimmenden Atom herab. Die Entfernungen, welche die Astronomen im Weltall berechnet haben, sind so maßlos, daß unser Verstand bei deren Betrachtung schwindelt und sich verwirrt. Das Licht, welches eine so ungeheuere Schnelligkeit besitzt, daß es Millionen Meilen in einer Minute zurücklegt, bedurfte dennoch nicht weniger als 2000 Jahre, um von der Milchstraße bis auf unsere Erde zu gelangen! Konnten wir also keine Grenze für den Stoff im kleinen finden, so sind wir noch weniger imstande, an eine solche im großen zu gelangen, wir erklären ihn für unendlich nach beiden Richtungen, im Größten wie im Kleinsten, und unabhängig von der Beschränkung durch Raum oder Zeit. Wenn die Gesetze des Denkens eine Teilbarkeit der Materie ins Unendliche statuieren, wenn es weiter nach ihnen unmöglich ist, eine Endlichkeit des Raums und demnach ein Nichts auch nur vorzustellen, so sehen wir hier eine merkwürdige und befriedigende Übereinstimmung logischer Gesetze mit den Resultaten unserer naturwissenschaftlichen Forschungen. Wir werden später Gelegenheit finden, die Identität der Denkgesetze mit den mechanischen Gesetzen der äußeren Natur auch an anderen Punkten nachzuweisen.

Würde des Stoffs

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Die Zeiten sind vorbei, in welchen man den Geist unabhängig wähnte vom Stoff. Aber auch die Zeiten verlieren sich, in denen man das Geistige erniedrigt glaubte, weil es nur am Stoffe sich äußert.

Moleschott

Materialistentunredenmateriellen