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Das Buch

Achtsam sein, wenn sich die Ideen zeigen. Das ist das Wichtigste beim Schreiben aus meiner Sicht.

Geschichten stellen sich dann als lediglich geordnete Wörterketten heraus. Bunter Feenstaub wird zum Zuckerguss für Ziele. Zum Schluss eine Erkenntnis für alle, die es noch nicht wussten: Liebe ist ein unzuverlässiger Begleiter.

Fünfzehn literarische Erzählungen und ein Gedicht zur Achtsamkeit. Die Geschichten streicheln die Seele, um die Achtsamkeit zu wecken. Sie sind voller Fantasie und Humor, unterhaltsam und manchmal nachdenklich. Wer die Kurzgeschichten ein zweites oder drittes Mal liest, wird weiterhin neue Facetten in ihnen entdecken.

Die Autorin

Angela Thormann wuchs in Norddeutschland auf. Seit mehreren Jahrzehnten lebt sie in Bayern. Bereits während des Anglistikstudiums faszinierten sie amerikanische und englische Kurzgeschichten. Ihre Liebe gilt dem Schreiben. Als Schreibcoach begleitet sie Menschen, die den tiefen Wunsch haben, ein Buch im fiktionalen Genre zu schreiben. Darüber hinaus veranstaltet sie Seminare zum literarischen Schreiben.

Mehr Informationen unter: www.angelathormann.de

Angela Thormann

Der Gedankenwald

✰ Erzählungen und ein Gedicht zur Achtsamkeit ✰

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© 2018 Angela Thormann

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40 - 44, 22359

Hamburg

ISBN

Paperback:978-3-7469-0944-8

Hardcover:978-3-7469-0945-5

e-Book:978-3-7469-0946-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

✰ Taschentücher und eine Dose Mitleid

✰ Die Stress - Elstern

✰ Liebe ist ein unzuverlässiger Begleiter

✰ Bunter Feenstaub ist der Zuckerguss für Ziele

✰ Wahrheit – gefangen im Halbdunkel

✰ Vom ersten Blick zu mehr

✰ Ein Gärtner allein im Wald - Gedicht

✰ Schlüssellochgeschichten

✰ Kermits Stimme

✰ Rubinhochzeit im Klassenzimmer

✰ Veilchenblau

✰ Geschichten sind nur geordnete Wörterketten

✰ Der Gedankenwald

✰ Für immer Tango

✰ Mit Zauberkraft auf Wolke sieben

✰ Ein Ficus ist auch nur ein Mensch

Für

Auguste, Ottilie und Hedwig

Klopf` an den Himmel und hör` auf den Klang.

(Zen-Weisheit)

✰ Taschentücher und eine Dose Mitleid

»Für dich ist das Glas immer halbvoll.«

Die letzten Worte gingen im Weinen unter. Ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch landete auf dem Tisch bei den anderen.

Louisa betrachtete ihre Freundin auf der Couch. Diese hatte die Knie vor dem Bauch hochgezogen, die Schultern leicht nach vorne gebeugt, so dass die Brust eingefallen war, aber die Augen … Sie blickten wild entschlossen wie ein Dackel vor dem Zubeißen.

»Ich habe nicht gesagt, dass die Situation leicht für dich ist. Inzwischen sitzen wir die gesamte Nacht beisammen. Die ganze Zeit jammerst du und weinst dir die Augen aus dem Kopf. Es wird Jahre dauern, bis sie nicht mehr rot sind. Hast du vergessen, wie oft du bei mir warst und über ihn geschimpft hast? Wie häufig er dich bei Verabredungen versetzt hat? Oder wenn er vergessen hatte, für den Abend einzukaufen? Sei froh, dass du ihn los bist. Du bist endlich frei. Schluss damit! Ich gehe in die Küche und mache uns Frühstück.«

Ein Aufheulen war die Antwort. Ein weiteres Taschentuch flog an Louisa vorbei auf den Wohnzimmertisch.

Drei Wochen war die Trennung her. Jeder Morgen begann mit dem Blick auf das Handy. Keine SMS, kein verpasster Anruf. Rena drückte ihr Gesicht ins Kopfkissen. Sie spürte die Nässe des Stoffes. Warum meldete er sich nicht? Zugegeben, sie hatten sich gestritten. Das kam in letzter Zeit häufiger vor. In der Vergangenheit hatten sie sich bereits zweimal getrennt. Danach rief er sie jedes Mal zerknirscht an und bereute die Trennung. Gleichzeitig versprach er, sich zu bessern. Und dieses Mal? Nichts! Funkstille! Er liebte sie doch! Wie lang 24 Stunden sein können! Bei der Arbeit am Schreibtisch war es am ehesten auszuhalten. Schlimmer wurde es in der Mittagspause oder auf dem Nachhauseweg. Überall glückliche Paare – eng umschlungen, küssend, lachend, strahlend. Sie konnte den Anblick kaum ertragen. Gleichzeitig wurden ihre Augen scheinbar magisch angezogen. Genauso fühlte sich eine selbstverordnete Folter an.

Wieder saß Rena auf Louisas Couch und wieder warf sie Taschentücher auf den Wohnzimmertisch. »Es ist wie verhext. Alles geht schief.« Sie hielt Louisa den zerknitterten Brief hin. »Warum tut er das? Was habe ich ihm getan?«

»Ja, du Arme. Das Leben hat sich gegen dich verschworen. Erst verlässt dich Sebastian und jetzt kündigt dir dein Vermieter wegen Eigenbedarf die Wohnung. Es ist so ungerecht. Warte einen Augenblick. Ich komme gleich zurück.«

»Wo willst du hin?«

»Ich hole eine Dose Mitleid für dich aus dem Kühlschrank. Ich habe sie vor Tagen kühl gestellt, weil ich wusste, dass du sie irgendwann brauchen wirst.«

Renas Blick schien Louisa zu durchbohren.

»Stell` dir vor, wie gut es dir geht«, begann Louisa. »Endlich bist du Sebastian los und dazu deine Wohnung. Du bist in der glücklichen Lage, neu anzufangen. Suche dir deine Traumwohnung in einer Umgebung, die dir gut gefällt, mit netten Nachbarn. Vielleicht ist sogar dein Traummann unter den Mitbewohnern?«

Fast unmerklich zog Rena die Mundwinkel nach oben.

»Siehst du, dir gefällt die Vorstellung», fiel Louisa sogleich ein. »Wie soll deine neue Wohnung sein? Was ist dir wichtig und vor allem, in welchem Stadtteil möchtest du wohnen?«

»Du stellst Fragen. Darüber habe ich mir bislang nie Gedanken gemacht. Ich suche irgendeine Wohnung, die ich mir leisten kann.«

»Täterätä! Dann beginnt heute Tag eins deines neuen Lebens! Male dir die neue Wohnung in allen Einzelheiten aus, wie du sie haben willst. Du wirst sie finden. Dabei unterstütze ich dich.«

Rena schüttelte den Kopf. »Wie kann man nur in allem ständig das Positive sehen? Du bist echt anstrengend. Weißt du das? Passiert dir nie irgendetwas, was dir nicht gefällt?«

»Doch, natürlich. Aber dem schenke ich nicht allzu viel Beachtung. Irgendeine Lektion lerne ich aus einer negativen Situation. Davon bin ich überzeugt.«

«Ach, Louisa. Mit deinem ›Rosarot-Gemüt‹ bist du einfach unverbesserlich.«

Louisa saß auf Renas Couch und blickte sich um. Auf dem weißen Sideboard standen in der Mitte zwei pinkfarbene Vasen mit weißen Orchideenblüten. Rechts an der Seite befand sich eine weiße Laterne mit einer höheren pinkfarbenen Kerze darin. Die Bilder über dem Sideboard zeigten eine lachende Rena am Strand von Bali. Auf dem ebenfalls weißen Schreibtisch stapelten sich an einer Ecke Bücher, akkurat zu einem fragilen Turm errichtet. Auf Augenhöhe war auf der Wand in Italic Lettern zu lesen: Love what you are doing or leave it! Die weiße Ledercouch passte sich mit ihrer Farbe den anderen Einrichtungsgegenständen an. Die bunten Kissen auf ihr strahlten Lebendigkeit aus. Der aus Patchworkteilen gehäkelte Teppich komplettierte das Bild. Eine grüne Wand aus lebenden Pflanzen war der absolute Eyecatcher in dem Raum.

»Deine Wohnung könnte glatt in ›So wohnt die Prominenz‹ aufgenommen werden. Sie spiegelt eine weibliche Hand wider. Am besten gefällt mir der vertikale Wandgarten. So etwas habe ich noch nie gesehen. Und die Aussicht: Über die Dächer fällt der Blick direkt auf den See. Ich hatte dir zwar geraten, dir deine Traumwohnung vorher in allen Einzelheiten auszumalen, aber, dass dir das auf Anhieb so grandios gelingt, hätte ich nicht gedacht. Kompliment, super!«

»Du siehst, ich habe mir die Standpauke zu Herzen genommen. Außerdem lebt es sich mit einer positiven Einstellung wirklich leichter. Weißt du übrigens, dass ich in der Firma auf der Karriereleiter eine Sprosse höher gestiegen bin? Ich habe nach der Pensionierung von der Brandnerin deren Stelle übernommen. Allerdings liegt das wahrscheinlich weniger an der positiven Lebenseinstellung als vielmehr daran, dass ich mich nach der Trennung von Sebastian in die Arbeit gestürzt habe.«

Louisa stand demonstrativ auf und verbeugte sich vor Rena.

»Muss ich dich ab jetzt siezen?«

Beide lachten.

Julian zappelte auf Renas Schoß hin und her, als er versuchte, mit seinen kurzen Beinchen die Erde zu erreichen. Endlich hatte er es geschafft und lief in den Sandkasten zu Maria.

Louisa folgte Renas Blick.

»Kannst du dich daran erinnern, als du heulend auf meiner Couch saßest und dir die Augen wegen Sebastian ausgeweint hast? Du meine Güte, was warst du böse, als ich dir sagte, dass du dich freuen solltest, weil du frei warst. Nie hättest du zu dem Zeitpunkt geglaubt, dass es nach ihm einen anderen Mann geben könnte.«

»Ja.« Rena verschluckte sich fast vor Lachen. »Und jetzt, zirka zehn Jahre und gefühlte 1.000 Männer später, sitzen wir beide auf einer Bank und schauen unseren Kindern auf dem Spielplatz beim Sandkuchenbacken zu. Dabei ist die Situation von damals genau umgekehrt. Du bist verlassen worden und musst Maria alleine großziehen.«

«Was soll ich mit einem Mann, der mich betrügt? Dann lebe ich lieber allein mit Maria. Zudem bin ich Anfang dreißig. Ich werde bestimmt nicht bis an mein Lebensende ohne Partner bleiben. Vielen Männern geht es ähnlich.«

Rena blickte Louisa von unten an. »Habe ich irgendetwas verpasst?«

✰ Die Stress-Elstern

Um Haaresbreite hätte sie mich erwischt! Jetzt tat sie ganz unschuldig und hockte mit ihrer Beute auf einem Zaunpfahl. Allein ihr Anblick machte mich wahnsinnig! Ich wusste, warum ihr bei den Germanen der Ruf des Unheilsboten vorauseilte. Im Mittelalter war sie sogar als Hexentier verschrien. Sie hatte mich als ihr Opfer ausgespäht. Ganz bestimmt!

Nicht nur ich ging am Strand spazieren und genoss das Spiel des Windes mit meinen Haaren, nahm gierig den Salzgeruch des Meeres auf. Andere Menschen taten es mir gleich. Die Stimmung war entspannt, geradezu leicht, bis zu dem Augenblick! Wenn mir jemand so eine Geschichte erzählt hätte, ich hätte sie nicht geglaubt. Von Möwen hatte ich gehört. Jetzt also auch die Elstern! Nie hätte ich gedacht, dass eine Elster ein Fischbrötchen stiehlt! Wahrscheinlich hatte es sich bei den Vögeln herumgesprochen, wie leicht sich auf die Art Beute machen ließ. Von einem Moment auf den anderen hatte sich mein Befinden geändert. Blutdruck: kurz vor der Explosion/Pulsschlag: bis zum Hals/Befinden: auf einer Skala von null bis zehn : bei 11. Dabei mochte ich Elstern bis zu dem Vorfall. Mit ihrem schwarzweißen Gefieder stachen sie aus den anderen Vogelarten hervor. Gern beobachtete ich die Elster in meinem Garten. Je nach Lichteinfall bildete sich auf dem Schwanz und den Flügeln ein metallisches Farbspiel. Es changierte von Blautönen bis zu unterschiedlichen Grünnuancen.

Natürlich hätte ich mir eine neue Fischsemmel kaufen können. Das war allerdings nicht dasselbe. Mein Vergnügen, entspannt am Strand entlang zu schlendern, hatte einen gehörigen Knacks bekommen. Mit Wut im Bauch und hungrig kehrte ich zu meiner Pensionswirtin zurück. Sie war im Ort aufgewachsen und als sogenannte Spökenkiekerin bekannt. Doch ich glaube, um meinen Gemütszustand zu erkennen, brauchte man nicht in die Zukunft schauen zu können. Der war offensichtlich.

»Tja, so is das nu mal«, meinte sie. »Die Vögel wollen auch leben. Die Menschen machen es ihnen leicht, zu Nahrung zu kommen.«

»Aber … «, fing ich an. Gleichzeitig brach ich ab, denn ich ahnte, dass ich bei ihr nicht auf Verständnis für meine Lage hoffen durfte.

»Nun beruhig` dich mal, min Deern.«

Wir kannten uns nicht, abgesehen von den paar Tagen, die ich inzwischen bei ihr wohnte. Sie besaß die Angewohnheit, jeden zu duzen. Das Verhalten gefiel mir überhaupt nicht. Ich duzte nur Menschen, die ich zum einen länger kannte und zum anderen mochte.

Entschieden drückte sie mich auf einen Stuhl in ihrer Küche. Mit der rechten Hand griff sie nach hinten und stellte einen Teller mit Bratkartoffeln auf den Tisch. Bratkartoffeln und Fischsemmel lassen sich zwar nicht miteinander vergleichen, jedoch waren die Kartoffeln kross gebraten, wie ich sie liebte. Und der Geruch stieg mir in die Nase, wobei mein Magen Freudensprünge vollführte. Während ich aß, setzte sie sich zu mir.

»Weißt du, ich muss dir mal eine Geschichte erzählen. Es war im Jahre 3025. Es gab viel mehr Menschen als jetzt. Jeder arbeitete nur drei Stunden am Tag, weil es niemand am Arbeitsplatz länger aushielt. Das, was wir heutzutage das ›Digitale Zeitalter‹ nennen, hatte sich rasant weiter entwickelt. In den drei Arbeitsstunden gab es keine einzige Pause. Alle Menschen hatten 24 Stunden am Tag erreichbar zu sein, nicht nur für den Chef, sondern ebenfalls für die Familie, die Freunde und Bekannten. Sofern sich jemand entspannen wollte, machte sich dessen Smartphone mit einem durchdringenden Piepen bemerkbar. Nun wirst du fragen, warum es überhaupt an war? Ganz einfach. Es ließ sich nicht ausschalten. Jeder Erdenbürger erhielt bei seiner Geburt ein Smartphone, das sich erst mit dessen Tod automatisch abschaltete. Nur während einer fünfstündigen Schlafpause, die jedem zugestanden wurde - vom Baby bis zum Greis - war der Ton deaktiviert. Du kannst dir vorstellen, wie die Menschen sich fühlten. Die meisten waren reine Nervenbündel. Der tägliche Stress war übermächtig. Sie sehnten sich nach Entspannung in der grünen Natur. Wälder und ebenso Parks in den Städten besaßen Seltenheitswert, denn aufgrund der Bevölkerungsdichte wurde jeder verfügbare Grund mit Hochhäusern bebaut. Sogar die Vögel zogen sich in «