12. Andere Länder, andere Sitten

Sebastian war eigentlich kein ängstlicher Mensch. Wenn es aber um seinen Bruder ging, war das etwas ganz anderes. Marcos war nun einmal alles an Familie, das ihm geblieben war. Er kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er ein sehr vernünftiger und bedacht handelnder Mann war – eigentlich. Was er gerade eben erleben musste, erschreckte ihn. So kannte er Marcos nicht und vor allem, so hatte er ihn noch nie erlebt. Verdammt und zugenäht, wer war denn nun eigentlich der Erwachsene hier? So viel zu seiner lustigen Fiesta nach einem harten Arbeitstag.

Immer wieder Menschen beiseitestoßend, die seinen Weg kreuzten, rannte er durch die Menge. Endlich erreichte er, vollkommen außer Atem, die Pension und ruinierte fast die Glocke, so heftig zog er daran.

„Schon gut, schon gut! Ich komme ja. Was ist denn heute nur los?“ Barbaras Stimme klang so angespannt, wie er sich fühlte. Und sie sah auch so aus.

„Junge, ich dachte, du feierst nach Leibeskräften?“

„Hm, das dachte ich eigentlich auch. Ist Alex da?“

Barbara nickte. „Ja, sie kam vorhin total aufgelöst hier an. Was ist denn passiert?“

Er zuckte die Schultern. „Wenn ich das so genau wüsste. Aber es muss etwas Heftiges sein. Ich erkläre es, sobald ich mehr weiß. Können wir uns dein Auto leihen? Also Alex und ich, bitte?!“

Barbara fackelte nicht lange. „Natürlich, ich hol den Schlüssel.“

Einen Augenblick später rannte er hoch zu Alexandras Zimmer und riss, ohne anzuklopfen, die Tür auf. Alex lag auf dem Bett, den Kopf im Kissen vergraben, und schluchzte. Na prima, sie also auch. Sebastian setzte sich neben sie auf das Bett und streichelte ihr über die nass geschwitzten Haare.

„Alex, hör auf zu weinen, ich brauche dich. Bitte komm jetzt sofort mit mir. Es ist etwas passiert, das mir Angst macht.“

Wie es aussah, begriff sie nicht sofort, dann aber setzte sie sich schnell auf. „Sebastian, wie kommst du hierher?“

Er schüttelte heftig den Kopf. „Keine Zeit für Fragen, bitte komm mit mir. Ich kann das nicht alleine. Mach schon. Sorry, aber ich habe wirklich keine Zeit, um lange zu diskutieren.“

Alex wirkte noch immer verwirrt, stand aber doch auf, wenn auch laut schniefend. „Gut, ich hoffe, es ist wirklich wichtig.“

„Ich nehme doch an, dass das Leben meines Bruders wichtig genug ist, nicht wahr?“

Alex fragte nicht weiter. Sie wurde etwas blass und eilte ins Bad, von wo er Wasser laufen hörte. Sekunden später stand sie vor ihm. Noch immer mit rot geweinten Augen, aber wesentlich klarerem Blick.

Er griff nach ihrer Hand. „Wie viel hast du getrunken?“

„Zwei Cocktails und einen Honigrum mit Saft, warum?“

„Wann?“

Sie überlegte. „Vor gut vier Stunden.“

„Passt, los komm.“ Er zog sie ohne weitere Erklärung mit sich und an der verdutzten Barbara vorbei auf die Straße. Am Auto angekommen, wedelte er mit dem Schlüssel. „Wir müssen sofort nach Mogán.“

„Dann steig ein und fahr.“ Alex wollte schon auf den Beifahrersitz, als er antwortete.

„Können würde ich schon, nur dürfen tue ich nicht.“ Er warf ihr den Autoschlüssel zu.

„Wie? Warum nicht?“

„Kein Führerschein. Den muss ich mir selbst zusammensparen, klare Ansage meines Bruders. Und jetzt fahren wir bitte. Ich habe keine Lust, Marcos morgen tot im Straßengraben zu finden!“ Er schob Alex zur Fahrerseite.

„Wie meinst du das?“ Sie setzte sich zwar, sah aber nach wie vor verunsichert aus.

„Mann, Alex. Er ist vorhin sturzbetrunken in seinen Wagen gestiegen und losgefahren. Ich hatte keine Chance, ihn aufzuhalten. Die Straße nach Mogán ist im Dunkeln gefährlich. Ich habe Angst um ihn, so habe ich ihn noch nie erlebt. An sein Handy geht er auch nicht.“

Alex wurde noch etwas blasser. „Dann lass uns fahren.“

Er hätte sich gewünscht, dass der Käfer schneller gewesen wäre. Immerhin holte Alex alles aus dem Gefährt heraus, was machbar war. Während der Fahrt sah er angestrengt hinaus und scannte die Umgebung, um im Notfall sofort reagieren zu können. Doch seine Befürchtung, der Rover könnte im Graben gelandet sein, bewahrheitete sich nicht, worüber er sehr glücklich war.

Sie erreichten das Haus – und dort stand der Geländewagen, mit offener Fahrertür und eingeschalteten Scheinwerfern in der Einfahrt. Alex stellte den Motor aus und beide stiegen eilends aus dem Auto. Von Marcos war weit und breit nichts zu sehen. Sebastian beugte sich in den Rover, schaltete das Licht aus, zog den Schlüssel ab und schloss die Fahrertür. „Gott sei Dank! Immerhin ist er wohl lebend hier angekommen. Komm mit, er muss drinnen sein.“

Sie fanden Marcos vollständig bekleidet in einem ohnmachtsähnlichen Schlaf auf dem Bett. Ihn zu wecken erwies sich als unmögliches Unterfangen, und so zog Sebastian seinem Bruder nur die Schuhe aus und deckte ihn zu.

„Du liebst ihn schon sehr, nicht wahr?“

Er nickte. „Er ist meine Familie. Gehen wir runter, ich brauch jetzt was zur Beruhigung.“ Sein Herz schlug so schnell, dass er befürchtete, es könnte stolpern.

In der Küche kochte er Kaffee mit viel Milch und kippte einen guten Schuss Rum hinein. Eines der Gläser reichte er Alex. „Da, koste, schmeckt echt gut. Jetzt setzen wir uns auf die Veranda und du erzählst mir, was passiert ist.“

Sebastian hörte ihr aufmerksam zu. Als sie fertig war, sah er ihren um Verständnis bittenden Blick, aber so leicht kam sie ihm nicht davon.

„Wer zum Donnerwetter ist hier eigentlich der Vernünftige? Ihr beiden macht es mir schon sehr schwer. Und du momentan ganz besonders, meine Liebe.“

„Ich? Aber ich habe dir doch meine Gründe erklärt.“ Alex sah ihn mit großen Augen an.

„Ja, aus deiner Sicht. Aber hast du dir einmal die Mühe gemacht, dich in Marcos hineinzuversetzen? Dios mio, Alex! Er ist Spanier, Latino durch und durch, das aber im besten Sinne des Wortes. Alex, er hat dir sein Herz zu Füßen gelegt, nachdem er es dir sperrangelweit geöffnet hat. Hast du eine Ahnung, was ihn das an Vertrauen kostet? Nach seiner letzten Tussi dachte ich, dass er nie wieder eine Frau an sich ranlassen würde. Sie war eine dermaßen falsche, raffgierige Braut, dass dir übel wurde. Sie hat ihn ausgenommen wie einen frisch geangelten Fisch. Dass sie ihn dann auch noch betrogen hat, kam erschwerend dazu. Ewig lange hat er niemanden an sich rangelassen. An dem Morgen, nachdem er dich in der Nacht beim Tanzen das erste Mal gesehen hat, war er wie verzaubert. Mann, mir ist fast übel geworden bei so viel Liebe zum Frühstück. Mein Bruder, mein rationaler Bruder, hat von Liebe auf den ersten Blick geredet. Ich musste zweimal hinsehen, um sicher zu sein, dass er es auch wirklich war.“

„Ja schon, aber …“

Er war sonst nicht so unhöflich, aber jetzt war erst einmal er an der Reihe. „Nein, Alex, nichts aber! Du legst andauernd deinen deutschen Maßstab an, du nimmst deinen Holger und scherst alle Männer über einen Kamm. Das kannst du nicht tun. Du bist hier in Spanien, wir ticken anders. Ja, wir sind schnell mit Schmeicheleien bei der Hand, aber wenn wir lieben, dann richtig. Aus ganzem Herzen und mit allem, was wir haben. Von dem Augenblick an möchten wir nur noch eines: die Frau, die wir uns ausgesucht haben, auf Händen tragen, sie beschützen, für sie da sein. Ja, wir schwingen markige Sprüche, na und? Mein Gott, so sind wir eben. Vergiss bitte nicht, dass ich es war, dem du in jener Nacht dein Herz ausgeschüttet hast. Dein zukünftiger Exmann ist ein Idiot par excellence und du misst Marcos immer wieder mit diesem Maß. Damit tust du ihm nicht nur schrecklich Unrecht, du tust ihm auch weh.“

„Aber ich will ihn doch nicht ausnutzen.“ Alex kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum.

„Humbug! Das tust du doch nicht, wenn du seine Hilfe annimmst. Por dios, Marcos ist absolut misstrauisch in Sachen Geld. Denkst du, er hätte einen Teil deiner Finca bezahlt, wenn er dir nicht vollkommen und von ganzem Herzen vertrauen würde?“

„Er hat was?“ Nun sah sie schon wieder so aus, als würde sie sich darüber aufregen.

„Komm runter, Alex! Das ist ein Zeichen seiner Liebe. Er hatte Angst, dass du, wenn die Probleme zu groß würden, in die nächste Maschine nach Deutschland steigst. Er weiß zwar, dass er dich liebt, bei dir ist er sich da aber nicht so sicher.“

Ah, das schien gesessen zu haben. Zumindest sah Alex ziemlich betroffen aus. „Aber das muss er doch wissen. Das habe ich doch gefühlte hundert Mal gesagt. Ohne ihn wäre ich gar nicht erst nach Gran Canaria gekommen.“

„Du hast eine komische Art, ihm das zu zeigen. Andauernd an ihm und seinen Beweggründen zu zweifeln ist eine seltsame Liebeserklärung, findest du nicht?“

„Wie viel hat er bezahlt?“ Sie sah unglücklich aus, unglücklich und traurig.

„Fünfzigtausend Euro. Und er hat stundenlang mit Donna Rosa und Ricardo verhandelt, um sie auf den Boden der Tatsachen zu holen. Alles, was er sich wünschte, war einfach nur, dass du bleibst und glücklich wirst. Verstehst du das? Er will, dass du endlich glücklich bist.“ Sebastian holte tief Luft. „Ist dieser Wunsch wirklich so grauenvoll, dass du ihn immer wieder von dir stößt, sobald er dich näher zu sich holen möchte? Die Aktion mit der Trulla vorhin war doch bloß eine dumme Trotzreaktion … und auch nur, weil er total betrunken war.“ Ach, verflucht, nun weinte sie. Das wollte er ja nun auch nicht.

„Alex, nicht weinen. Bitte, ich sorge mich doch nur um ihn. Ah Blödsinn, ich sorge mich um euch beide, ihr seid mir beide wichtig.“ Er stand auf, setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. „Na komm schon, ich habe es nicht böse gemeint.“

„Das weiß ich, ich heule ja auch wegen meiner eigenen Dummheit. Ich dachte immer, ich sei was weiß ich wie aufgeschlossen, emanzipiert und erfahren. Aber du hast ja recht, ich messe alles an meinen Erfahrungen mit Holger. Ich wollte Marcos doch nie verletzen.“

Er streichelte ihr beruhigend über den Rücken. „Der kriegt sich wieder ein. Er liebt dich viel zu sehr, um lange herumzuzicken. Ich kenne ihn doch.“

Sie nickte unter Tränen. „Ich würde gerne zu ihm hinaufgehen. Ich möchte bei ihm sein, wenn er aufwacht, okay?“

„Aber so was von! Guter Plan.“ Er stand auf, reichte ihr eine Hand und lächelte sie aufmunternd an. „Ich geh dann auch mal schlafen und träume von heißen Liebesnächten, die ich nie erleben werde, wenn ihr nicht bald Vernunft annehmt und ich mich andauernd nur um euch kümmern muss. Ist doch wahr!“

Sehr gut, Alex konnte wieder lachen. „Ich gelobe Besserung, versprochen. Die Fiesta dauert ja noch ein paar Tage, dir steht also alles offen.“

Er umarmte sie und wuschelte ihr durch die Haare. „Wehe, wenn nicht, dann bist du fällig, meine Geliebte.“

Ihr Blick, ehe sie auf Marcos’ Zimmer verschwand, war Gold wert.

Sie legte sich vorsichtig neben ihn auf sein Bett, stützte den Ellbogen auf und beobachtete Marcos’ unruhigen Schlaf. Obwohl er betrunken war, schnarchte er nicht. Holger sägte in dem Zustand immer halb Kanada ab.

Unter seiner Bräune wirkte er blass und vor allem sehr müde. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen und der Zug um seinen schönen Mund war ernst und verspannt.

War das wirklich ihre Schuld? Je länger sie nachdachte, umso mehr wurde ihr klar, dass Sebastian recht hatte. Ja, sie maß alle Männer an Holger, etwas, das tatsächlich dumm und – im Fall von Marcos – auch noch schrecklich ungerecht war. Marcos dachte und fühlte gänzlich anders als ihr berechnender, kühler Angetrauter, dem es immer zuerst um sich selbst und dann, nach langer Zeit, um andere ging. Behutsam glitt ihr Zeigefinger über Marcos’ Lippen. Nein, sie wollte ihm weder wehtun noch ihn verlieren. Blieb nur zu hoffen, dass es nicht zu spät war. Wer konnte sagen, wann selbst ihm der Geduldsfaden riss.

Alex schmiegte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine harte Brust. Sie lauschte fasziniert seinem etwas zu schnellen Herzschlag und seinen einigermaßen gleichmäßigen Atemzügen.

„Sieh einer an, wen haben wir denn da?“

Alex schreckte hoch und wusste im ersten Moment nicht, wo sie war. Dann fiel ihr alles wieder ein. Die vergangene Nacht, ihr Streit, die Szene auf dem Schiff, Sebastians Angst um seinen Bruder und seine anschließende Gardinenpredigt. Sie hob den Blick und suchte, ein wenig verunsichert, den von Marcos.

„Rat mal. Es ist die Frau, die endlich lernen muss, mit der Vergangenheit abzuschließen und ihre Ängste ein für alle Mal über Bord zu werfen.“

Marcos musterte sie eine Weile schweigend. „Denkst du, es wird dir gelingen? Ich sagte ja, dass ich dich nicht drängen will, aber andererseits will ich dich auch bei mir haben. Nur bin ich mir nicht sicher, ob du das überhaupt willst.“

Nun kamen ihr schon wieder die Tränen. „Natürlich will ich das. Ich war so dumm. Bitte sei mir nicht böse. Holger hat in mir so viel kaputt gemacht. Bitte, Marcos, hab ein wenig Geduld mit mir. Vor allem, wenn ich in zwei Wochen hier einziehe.“

„Natürlich habe ich Geduld … Sekunde einmal, was hast du gerade gesagt?“ Nun war sein Blick so richtig wach.

Alex lächelte ihn unsicher an. „Ich sagte, wenn ich hier einziehe.“

„Ernsthaft? Willst du das denn auch?“

Sie nickte. Ja, sie war sich sogar sehr sicher. „Und ob ich das will. Es ist schön, neben dir aufzuwachen.“

Seine Arme schlossen sich so fest um sie, dass sie leise nach Luft japste. „Das zu hören ist wunderbar.“ Er suchte erneut ihren Blick. „Und du bist mir nicht auf ewig böse, wegen der Aktion mit Ramona? Es tut mir so leid, wirklich.“

„Nein, ich bin nicht böse. Ich weiß ja, dass es nichts zu bedeuten hatte. Aber wenn das noch mal passieren sollte, dann hat die Gute ein Problem, nämlich mich.“

Marcos umschloss ihren Kopf mit seinen Händen. „Bist du etwa eifersüchtig?“

„Davon darfst du getrost ausgehen.“ Sie strahlte ihn glücklich und herausfordernd zugleich an.

„Sehr gut! So mag ich das.“

Sich von ihm zu trennen, fiel ihr unendlich schwer, aber Barbara brauchte sie und sie war sowieso schon spät dran. Mit einem wunderbar leichten, freien Gefühl im Bauch düste Alex zurück nach Puerto de Mogán, parkte den Käfer und eilte im Laufschritt zur Pension. Es war nach halb sieben und Barbara stand bereits in der Küche. Sie warf ihr einen sehr besorgten Blick zu.

„Alles wieder gut? Muss ich mir noch Sorgen machen?“

„Nein, ich erzähl dir alles später. Ich war einfach nur dumm. Na ja, wohl eher voreingenommen und stur – auch nicht viel besser.“ Ihr gelang ein schiefes Lächeln. „Ich zieh mich nur schnell um, dann bin ich bei dir.“

Barbara klopfte ihr beruhigend auf die Schulter. „Keine Hektik, ich bin ja schon froh, dass offenbar alles wieder im Lot ist.“

Sie meisterten das Frühstück und die Zimmer mit Bravour und kurz vor Mittag saßen sie gemeinsam mit Brigitte im Patio. Alex berichtete von den Ereignissen des vergangenen Tages.

„Nun, was sagt ihr? Denkt ihr, Sebastian liegt richtig? Tue ich das Richtige, wenn ich einfach auf mein Herz höre und mich entscheide, Marcos bedingungslos zu vertrauen?“

Die zufriedenen, lächelnden Gesichter waren Antwort genug.

Gerade genossen sie einen heißen Café con leche, als der Briefträger sie unterbrach. Er reichte Alex mit besorgter Miene einen dicken braunen Umschlag, und sie musste den Empfang doppelt quittieren.

Nervös riss sie das Kuvert auf. Sie kannte den Namen des Anwalts auf dem Absender nur zu gut: Holgers absolut skrupelloser Freund Robert von Heiden, ein Mann, der sich nicht scheute, über Leichen zu gehen. Sie hatte geahnt, dass es früher oder später geschehen musste, nun aber die Scheidungspapiere vor sich zu sehen und die eng beschriebenen Seiten zu lesen, war doch nicht einfach. Sie fürchtete nicht die Scheidung, denn sie sehnte sich nach einem Leben, aus dem Holger endgültig verschwunden sein würde. Was ihr Angst machte, war das Wie.

„Alexandra, falls es das ist, was ich denke, also die Ankündigung der Scheidung, du willst es doch. Hab keine Angst, das geht sicher alles vernünftig über die Bühne“, versuchte Brigitte, sie zu beruhigen.

Alex zog mit zitternden Fingern eine handbeschriebene Karte aus dem Bündel an Papieren und reichte sie den Freundinnen über den Tisch.

„Du hast es so gewollt. Ich habe dir geschworen, dich fertigzumachen. Sei versichert, dass ich dafür sorgen werde, dass du kein Bein mehr auf den Boden bekommst und deines Lebens nie wieder froh wirst.“

To be continued …

Cover

Kurzbeschreibung:

Aus einer lieblosen Ehe auszubrechen kostet Mut, viel Mut. Alexandra hat es geschafft, ihr altes Leben mit Holger ist Vergangenheit. Die Gegenwart heißt Puerto de Mogán.

In dem malerischen Ort wartet das nächste Abenteuer. Sie möchte die alte, verfallene Finca zu neuem Leben erwecken. Nur wie mit viel zu wenig Geld, ohne Job und nichts als einem aberwitzigen Plan im Kopf?

Der Canario Marcos, attraktiver Flamencotänzer und Cafébesitzer, steht ihr geduldig zur Seite. Trotzdem kommt es zu Spannungen, denn während sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen will, möchte der stolze Spanier sie ganz für sich. Als die Eigentümerin der Finca ein Vermögen für das alte Gemäuer fordert, droht Alex‘ Traum vom glücklichen Leben zu platzen, ehe er richtig begonnen hat. Obwohl sie weiß, dass Marcos die Liebe ihres Lebens ist, lehnt sie seine Hilfe ab. Bei der alljährlichen Fiesta im Ort kommt es schließlich zur Katastrophe ….

Gabriele Ketterl

Puerto de Mogán

Tapas, Träume und ein Macho



Ein Cran-Canaria-Roman

Edel Elements

1. Schön bunt

Puerto de Mogán, September 2016

„Das ist … wirklich bunt.“ Alex legte den Kopf in den Nacken und versuchte, das komplette Gebäude zu erfassen. Jetzt, nach Einbruch der Nacht, war das eine Herausforderung. Alleine der Weg zu ihrem neuen Domizil war recht abenteuerlich gewesen.

Die Casa Vista lag mitten in der verwinkelten Altstadt von Puerto de Mogán. Hier kam man mit dem Auto nicht mehr voran, pedes und schiere Muskelkraft waren gefragt. Ohne Marcos wäre es schlecht um Alex bestellt gewesen. Er schleppte ihre beiden Riesenkoffer ohne Probleme über zahllose Treppen, durch enge Gässchen und über verwinkelte Wege, bis er leise stöhnend stehen blieb.

„Hier wären wir. Hier wirst du wohnen … nachdem du ja nicht nach Mogán möchtest. Unser schönes Bergdorf hat natürlich nicht den mediterranen Flair des Hafenortes, verstehe schon.“ Den Seitenhieb schien er sich nicht verkneifen zu können.

Alex ignorierte ihn vorsichtshalber und trat einen Schritt zurück, um das Haus besser sehen zu können.

Ja, bunt war es wirklich, herrlich bunt, herrlich verrückt. Im Licht zahlloser Laternen, in denen Kerzen vor sich hinflackerten, konnte man erkennen, dass dieses Haus alles andere als normal war mit seinen bunten Mauern und den eingearbeiteten Mosaiken. Ein gelb gestrichenes Holztor, auf dem in großen Holzbuchstaben der Name „Casa Vista“ prangte, machte erst recht neugierig auf das, was dahinterlag.

„Also, was ich bis jetzt sehen kann, gefällt mir gut.“

Marcos kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Wirklich? Freut mich. Ich hoffe, dass es innen auch so ist. Mein Hintergedanke war, dass du nach den ganzen supertollen, eleganten Dingen in deinem Leben wieder etwas Farbe brauchst.“

„Nicht schlecht gedacht, wirklich nicht. Du überraschst mich immer wieder. Das kann gerne so weitergehen.“

„Nur nicht übertreiben. Nun komm erst einmal anständig an. Ich bin sicher, dass Barbara und Brigitte schon vor Neugier platzen.“ Marcos drehte den großen kupferfarbenen Knauf in der Mitte der Pforte und diese öffnete sich mit leisem Knarzen.

Während er ihre Koffer in den Hof rollte, betrachtete Alex staunend den Patio, in dem sie sich wiederfand. Ihr direkt gegenüber, erhellt von zahlreichen Kerzen und einer kleinen Lampe, befand sich eine Sitzgruppe aus Korbmöbeln, die sich um einen runden Tisch gruppierte. Der Tisch war ein Kunstwerk per se. Die Einfassung aus Schmiedeeisen, die Tischplatte ausgelegt mit knallbuntem Mosaik, sogar Bruchstücke eines Spiegels waren eingearbeitet, was ihm im Kerzenlicht einen fast schon magischen Schimmer verlieh. Hinter den Stühlen befanden sich drei bunt gestrichene Türen. Auf einer vierten prangten ein gezeichneter Delfin sowie die Aufschrift „Banjo“, also verbarg sich dort das Badezimmer für die Gäste. Rechts neben Alex führte eine schmale, knallblau gestrichene Treppe in die erste Etage. Überall standen Blumenkübel und Blumenkästen, in denen die gewagtesten Pflanzenkombinationen, die Alex jemals gesehen hatte, bunt durcheinander wuchsen. Aber mochte es auch ein wildes Durcheinander sein, es war herrlich farbenprächtig und passte zu der fröhlichen Stimmung, die das ganze Haus verbreitete.

„Da seid ihr ja. Wir warten schon seit Stunden.“ Das Spanisch hatte einen herrlich fränkischen Akzent.

Alex drehte sich neugierig in die Richtung, aus der die Stimme kam, um. Am oberen Ende der Treppe stand eine Frau in einem bodenlangen, türkisfarbenen Kleid, die Arme in die Hüften gestemmt, und musterte sie und Marcos mit strengem Blick. Ihr langes Haar, das im Licht einer Lampe silbern leuchtete, war zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr fast bis zur Hüfte baumelte. An ihren Ohren blitzten silberne Ringe und ihre Füße steckten in rosaroten Leinenschuhen. Alex schätzte sie auf gut über fünfzig, und soweit man das im Licht erkennen konnte, hatte sie ein ausnehmend schönes Gesicht. Sie konnte sich vorstellen, dass die Frau in ihrer Jugend so manches gebrochene Herz auf dem Gewissen hatte.

„Stunden? Barbara, ich glaube dir ja beinahe alles, das aber nicht. Du erinnerst dich? Delfine?“ Marcos sah mit schief gelegtem Kopf zu ihr nach oben.

Mit schnellen und sehr eleganten Schritten eilte Barbara die Treppe nach unten. Fast schien es, als würde sie schweben.

„Ihr könnt mir ja viel erzählen. Jetzt möchte ich aber erst einmal unseren neuen Gast begrüßen.“ Barbara blieb vor Alex stehen und streckte ihr die Hände entgegen. Nun, da sie so nah war, erkannte Alex, dass der ernste Blick täuschte. Winzige Lachfalten in den Augenwinkeln und ein warmherziger Ausdruck in den blauen Augen ließen Barbara gleich wesentlich sympathischer wirken. Als sie nun noch lächelte, hatte sie gewonnen. Alex ergriff freudig die ihr dargebotene Hand.

„Ich freue mich sehr, ich bin Alexandra. Es tut mir wirklich leid, dass wir so spät kommen.“

„Ach, nicht der Rede wert. Ich musste nur ihn da ein wenig ärgern. Ich wusste doch, dass er dir zuerst unser Naturschauspiel zeigen wollte. Es ist aber auch zu schön, nicht wahr? Es fördert, zumindest bei mir, jedes Mal die Demut im Angesicht von so viel Schönheit.“ Barbara drückte fest ihre Hand. „Bitte verzeih, dass ich dich einfach duze, das tun hier alle. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel.“

Alex war nun nicht gerade klein, Barbara überragte sie aber trotzdem um ein paar Zentimeter. Knapp einen Meter achtzig dürfte sie wohl messen. Die Frau war wirklich beeindruckend. Alex blickte lächelnd zu ihr auf.

„Aber nein, sehr gerne. Wie gesagt, Alexandra, Freunde nennen mich Alex.“