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Im vierzehnten Jahrhundert in Nordschleswig war es, als dort im tiefen Buchenwalde der Ritter Claus Lembeck auf seiner Höhenfeste Dorning saß. Sie war ihm nach dem Tode seines jütischen Weibes zugefallen; er hatte sein Wappen, einen Geierkopf in rotem Felde, über die Einfahrt des Außentores nageln lassen und zog Wall und Gräben doppelt stark um sich herum. Denn Waldemar Atterdag, der Dänenkönig, trug heimlichen Groll gegen den gewaltigen Mann, der einst aus seinem grimmigsten Feinde sein dienstbeflissener Kanzler geworden war, dann aber wiederum ihm abgesagt und sich zu den Grafen von Holstein, den Schauenburgern, und zum Herzog Waldemar von Schleswig gestellt hatte.

Es war damals gar wilde Zeit bei uns; der König berannte, wiewohl vergebens, die Feste Dorning mit seinem Kriegsgeschwader; dann schloß er Frieden und legte, mit Untreue im Herzen, seine Hand in die des Ritters. Als dieser aber bald danach der tödlichen Nachstellung des Atterdag nur kaum entronnen war, da zog er nach der Insel Föhr, um dort sich eine Burg zu bauen, und ließ die Feste Dorning seinem ältesten Sohne. Das aber war nicht, wie ein Chronist dem andern es nachgeschrieben hat, der Henneke Lembeck, welcher späterhin die Kieler in Not brachte, weil sie einigen seiner straßenräuberischen Burgleute den Kopf hatten vor die Füße legen lassen; es stand noch einer zwischen ihnen, von dem jede Kunde fast verschollen scheint: der älteste Sohn des vielberufenen Ritters war Rolf Lembeck und saß, wenn auch nur wenig Monde, auf Schloß Dorning. Er war nur halb vom Eisenstoffe seines Geschlechtes, und lieber als im Harnisch ging er auf leichten Sohlen und in zierlichen Gewändern von Samt oder Seiden; von ihm war nur ein jäh zerrissenes Minneabenteuer zu berichten, das wie Mondlicht in die Wirrnis dieser finsteren Zeiten fällt; doch damit hatten die Chronisten nichts zu schaffen. Und obschon sein Leben ein Vierteljahrhundert kaum erreichte, so war er doch ein deutscher Ritter, blauäugig und mit blondem Haupthaar, von froher, leichter Jugend und von heißer Lebenslust.

Ich aber weiß von ihm; und was ich weiß, das drängt mich heut, es zu erzählen.


Claus Lembeck wollte keinen Gelehrten aus seinem ältesten Sohne machen; aber gleich ihm, ja besser noch, sollte er Kopf und Faust gebrauchen können, und dazu mußte beides gleich geübt werden. So hielt er ihm einen Klerikus, der den leichtlebigen Gesellen in den Wissenschaften des Quadriviums umherführte; so sandte er ihn danach – es war noch während der Pestzeit – auf die Universität Paris, und der Junker begann sogleich ein eifrig Studium: er lernte höfisch fechten, er lernte tanzen und die Laute spielen, auch klingende Schanzunen dazu flechten, und was der schönen Künste sonst noch waren; die schwereren ließ er den andern. Dann ward ihm noch ein fröhlich Jugendjahr auf der neuen universitas zu Prag, wo derzeit der deutsche König Karl seinen Hof hielt. Hier lernte er die großen deutschen Dichter kennen, den Iwein und den Armen Heinrich Hartmanns von Aue, die Lieder des Österreichers von der Vogelweide, sogar ein Stück von Wolframs Parzival hatte er gelesen; was aber ganz sein Herz gefangen hatte, das war des Straßburger Meisters Liebeslied von Tristan und Isolde.

Von dem weitreichenden Namen seines Vaters tat manch edles Tor, sogar das edelste, sich auf. Bei einem großen Tanzfest im Hradschin, das auch des Königs Gegenwart verherrlichte, war Rolf Lembeck der gewandtesten Tänzer einer und flog in den hohen kerzenhellen Sälen von einer Schönen zu der andern. Der König stand an einem Fenster mit der jungen Gräfin von Jülich im Gespräch; die braunen Augen der Dame aber folgten einem Tanzpaar. »Ei, Majestät, so sehet doch den feinen Junker«, rief sie, »der tanzet ja wie ein Franzos!«

Des Königs Augen waren dem Tanzenden eine Weile gefolgt; dann hatte er genickt und einen Pagen abgesandt, den jungen Tänzer herzufordern.

Rolf Lembeck aber hatte bei seiner Partnerin um Urlaub gebeten und dann, sein blondes Haar zurückstreichend, mit höfischer Verneigung sich dem König vorgestellt. Der betrachtete ihn wohlgefällig; dann aber schüttelte der den Kopf, und sich zur Gräfin wendend, sprach er: »Ihr irrt, schöne Frau! Von ferne möcht man’s glauben; doch – nicht so, Junker, Ihr seid nimmer ein Franzose?«

»Da Majestät mich solcher Frage würdigen«, entgegnete Rolf Lembeck, »ich bin ein Holste, königlicher Herr; aber ich war zwei Jahre auf der Universität Paris.« Und lächelnd fügte er hinzu: »Bonarum artium causa, der schönen Künste halber!«

»Und studieret«, sprach der König, »die bonas artes jetzt in unserm Prag?«

Der Junker machte eine schweigende Verbeugung. Dann durfte er erzählen, daß er Claus Lembecks Sohn im fernen Schleswig sei, von dessen Händeln mit König Waldemar das Gerücht auch hieher an des Königs Hof gedrungen war.

»Ich dachte nicht«, sprach dieser, »Ihr wäret auf so hartem Stamm gewachsen; doch« – und er winkte huldvoll mit der Hand – »tanzet jetzt weiter und erfreuet unser Schönen durch Eure bonas artes! Ihr sollet mir später noch von Paris erzählen!«

Und Rolf Lembeck flog wieder in den Tanz zurück; wie begehrend war sein roter Mund geöffnet, und seine Augen sprühten blaues Feuer, wie er nach der Schönsten im Saale ausschaute, und als er mit demütigem Neigen vor die Erwählte trat, schoß ein helles Freudenrot durch ihre Wangen.

Der König, der einen Teil seiner Knabenjahre in Paris verbracht hatte, hörte an späteren Festen dann des Junkers heitere Geschichten, und als dieser das prächtige Prag verließ, nahm er den Ritterschlag von des höchsten Herrn Hand als einen weiteren Schmuck mit auf die Heimreise. Der König aber, als später die alte Oberhofmeisterin ihn darum angegangen, warum er dem jungen Holsten solche Ehre angetan, hatte lächelnd erwidert: »Bonarum artium causa, Gräfin; er hat sie trefflich ausstudiert.«


Rolf Lembeck war nicht aus eigenem Willen heimgegangen, sein Vater hatte ihn gerufen; er hatte um ein ehelich Gemahl für ihn geworben, »denn« – so hatte er gesagt – »der Vogel muß eingefangen werden, die Flüchten wachsen ihm zu geile.«

Das Weib war die junge Witib eines holsteinischen Ritters Hans Pogwisch, der in den Kämpfen der Schauenburger Grafen wider König Waldemar vom Pferd gehauen worden; sie selbst aber war aus einem Nebenzweige der regierenden Schauenburger und mit Land und Sand nicht übel angesessen. Ihr Sinn stand wohl darauf, ihr leeres Witwenbett zu füllen; aber mit Augen sehen wollte sie zuvor den jugendlichen Ritter, nicht nochmals einen Ehegespons gleich dem Verstorbenen.

Sie hatte während des Krieges sich auf ihren holsteinischen Hof zurückgezogen, und als ihr Eheherr ihr dort sterbenswund ins Haus gebracht war, saß sie in Geduld an seinem Lager. Der Scharfrichter aus der nächsten Stadt war da gewesen, hatte verbunden und mit dem Apolloniuspflaster zusammengeklebt; aber er hatte dabei den Kopf geschüttelt. Frau Wulfhild legte immer wieder nasse Binden auf; sie tat das wie ein andres Geschäft, das sich von selbst verstand; die Ruhe auf ihrem schönen Antlitz aber war nicht die sichere Hoffnung auf Genesung des Verwundeten, denn es wurde heiterer, je bleicher Tag für Tag der Kranke wurde. Sie nickte und sprach unhörbar zu sich selber: »Geduld, noch eine kurze Weile!« Denn der jetzt unmächtig vor ihr lag, er hatte in Trunk und Spiel und wüstem Lärm sein Leben hingebracht; um grobhaariger Dirnen willen hatte er offen sein schönes Weib verachtet.

Nur über einzelne Worte hatte er jetzt mitunter noch Gewalt; auch die, so hoffte sie, sollten bald verstummen. Harrend saß sie in dem dumpfen Krankenzimmer und hörte gleichgültig auf die Ratten, die in Scharen über ihnen auf dem Boden rannten. Aber der Sterbende wollte Ruhe haben: er griff jäh nach seines Weibes Hand und wies mit kaum erhobenem Finger nach der Zimmerdecke; das Wort vermochte er nicht zu finden. Sie sah ihn ruhig an: »Soll ich sie töten?« frug sie; und nach einer Weile brachte er es zusammen; sein Kopf versuchte ein stummes Nicken: »Die Ratten!« stammelte er.

Und sie ließ Rattenkraut vom Schäfer holen, nahm ein Teil davon und legte das übrige in ihre Truhe. Darauf wurde es still über dem Schlafgemach; die Ratten lagen, im Todeskampfe zuckend, in den Bodenwinkeln.

Aber der wunde Mann begann an einem Morgen schier verständlicher zu reden, und seine Flüche wurden kräftiger; da erschrak sein Weib und fürchtete, das böse Leben mit dem Gesunden könne wohl aufs neue beginnen. Darum ließ sie von dem Scharfrichter, dessen geheimes Wissen ihr solche Sorge machte, und statt seiner wurde ein Chirurgus beigeschafft, dessen Kunst noch keinem Wundem aufgeholfen hatte. Der brachte andre Pflaster und Heilmittel, und als er wieder auf seinen Klepper stieg, sprach er mit rückgewandtem Kopf: »Seid frohen Mutes, edle Frau! Euer Ehebett soll nicht verwaiset werden! Und morgen bin ich wieder da!«

Dann ritt er fort; das schöne Weib aber blieb am Torpfosten stehen und sah noch lange ihn ins Land hinausreiten. Ihr blondes Goldhaar zog sie langsam durch die Finger, und ihre weißen Zähne zerbissen einen Strohhalm, den sie aufgegriffen hatte. »Die Rattern!« brach es plötzlich von ihren Lippen, und sie fühlte, wie jählings ihre das Blut zum Hals hinaufstieg. Aber sie wurde es nicht los; es kam ihr immer wieder: »Die Ratten!« Es verfolgte sie auf Trepp und Gängen, und in der Krankenkammer war es unverjagbar. Und als der Abend kam, da trieb es sie im Dunkeln zu der Truhe, und ihre zitternde Hand tappte nach dem Rest des Pulvers. In dem Trunke, den Frau Wulfhild an diesem Abend ihrem Eheherrn gab, trank er den Tod hinunter.

Zwei Tage später war in dem düsteren Hausgang die Leiche ausgestellt; doch nur Frau Wulfhild stand hochaufgerichtet mit untergeschlagenen Armen an der Totenlade und sah mit immer größer werdenden Augen auf das harte Leichenantlitz: »Leb wohl, Hans Pogwisch!« sprach sie; »der Kampf ist aus, auch zwischen uns! Ich hab’ deiner Hand mich schwer erwehrt! – Ein andermal – doch, das kümmert dich nicht mehr!«

Eine Dienerin war eingetreten mit den Trauergewändern auf den Armen; und schweigend wandte sich die Witwe von dem Toten und schritt mit ihr zur Kammer, wo noch das Ehebett für sie und den Gefallenen stand. Die Kammerfrau tat ihr das lange, mit schwarzen Tränen bestickte Skapulier an und knüpfete die mönchsartige Hüftschnur um den geschmeidigen Leib; sie aber hatte dessen nicht weiter acht. Erst als die Dienerin ihr zur Beschau den Metallspiegel vorhielt, fuhr sie wie aus Träumen auf: »Das sei Gott geklagt, der mich zur Witwe machte!« rief sie. »Ich habe darum doch nicht den Tod gefreit!« Damm, mit rascher Hand den Gürtel lösend, schleuderte sie ihn von sich und zerriß das feierliche Gewand mit einem Ruck von oben bis fast zum untern Saume: »Bring mir mein braunes Wollenkleid, das mag genügen!« Und die erschrockene Dienerin schritt schweigend aus der Kammer, um den Befehl der strengen Herrin zu erfüllen.

Des Toten Sippe, da solches kund ward, sah die Witib drob mit scheelen Augen an; Claus Lembeck aber hatte zu sich selber gesprochen: »Das ist das Weib für Rolf Lembeck; die wird den flüggen Vogel halten!« Er sah wohl, daß erst jetzt die Lebensfülle dieses Weibes sich völlig auszuwachsen begann: die blauen Glutaugen ließ sie froh umherschweifen, und das wellige Goldhaar fiel ihr frei über den stolzen Nacken; doch so viele ihrer auch begehrten, sie sah noch keinen, dem sie sich jetzt ergeben mochte.

Da, an einem Frühlingsmorgen, trat Rolf Lembeck mit seinem Vater zu ihr ins Gemach. Die Stunde war vorher bestimmt, und lange, mit steigendem Herzschlag, war sie auf und ab geschritten; doch als die jugendlichen Gestalten sich jetzt gegenübertraten, fehlte nach der feierlichen Verneigung beiden das Wort der Anrede; wie erschrocken über ihre Schönheit schauten sie sich an.

Claus Lembeck lächelte in seinen Bart: »Mein Sohn Rolf Lembeck, edle Fraue!« sagte er, »dem, wie ich sehe, der Anblick Eurer Schöne schier den Mund verschlossen hat.«

Sie atmete tief auf: »Ihr scherzet, Herr Marschall; Euer edler Sohn hat der Frauen wohl schönere gesehen zu Paris und draußen in dem Reich!«

Aber Rolf Lembeck rief: »Verzeihet, viel schöne Frauen; doch keine Schauenburgerin!« Und beider Blicke sanken ineinander.

Dem alten Ritter gefiel es wohl, daß er eine Weile schier vergessen dastand. Dann aber sprach er: »Ich seh schon Euren Willen; nur der Schreiber ist noch vonnöten!«

Frau Wulfhild langte nach einer Schelle, die auf dem Tische stand.

»Was wollt Ihr, Fraue?« frug der Ritter.

»Euch den Schreiber rufen«, sprach sie lächelnd, »denn einen Vater möcht ich, wie Ihr seid, Ritter!«

»Dank, holde Fraue!« rief der Alte. »Nun, Rolf, willst du dieses Weib aus deines Vaters Hand?«