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Leah Maschek

Vorhang auf!
Das Theater des Löwen

Copyright: © 2017: Leah Maschek

Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Umschlag & Satz: Erik Kinting

Titelbild: © Cepгeй Мироненко (fotolia.com)

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Teatro del Leone stand in goldenen Buchstaben über der Eingangspforte. Es war ein passender Name, denn die Gemäuer des alten Theaters hatten im untergehenden Sonnenlicht dieselbe Farbe wie die Mähne eines Löwen. Sogar die Wildheit des stolzen Tieres schienen die zerklüfteten Mauern in sich zu tragen, in den Rillen und Furchen der Steine, die einst von den Römern übereinander geschichtet wurden. Im leisen Rauschen des Windes war es, als würden die Stimmen der Erbauer wieder lebendig werden, das Ächzen und Stöhnen der Männer, welche die schweren Lasten und Materialien den Berg hinauftrugen. Pferde wieherten und Stimmen schallten durch die Luft, teils lateinisch, teils altgriechisch.

Das alles dauerte nur einen Augenblick, dann kehrte wieder Ruhe ein und hinterließ nur den Eindruck eines kurzen Tagtraumes.

Luna legte die Hand auf die rauen Flächen der Mauer und sah ins Tal hinab. Es war ein fantastischer Ausblick. Ein grüner Teppich aus Obstplantagen breitete sich bis zu der Stadt Catania aus, dazwischen tauchten immer wieder Hütten und Häuser auf. Manche waren Ruinen, die genau wie das Theater vor sehr langer Zeit errichtet wurden und deren Bewohner längst nicht mehr auf Sizilien weilten. Noch ein Stück hinter Catania waren das Meer und die Küste zu sehen, die sich irgendwo im Dunst verloren. Dort drüben dämmerte es bereits, denn der Sonnenuntergang fand genau gegenüber statt, auf der anderen Seite des Theaters. Über all dem schien der Ätna zu wachen, der Vulkan, aus dem eine feine Rauchsäule aufstieg.

Luna hätte noch länger in diesem Ausblick verweilen können, doch die Zeit drängte. Der Aufstieg hatte länger gedauert, als sie gedacht hatte, und es gab noch viel zu erledigen. Sie griff in die Tasche, in der sich neben einem Notizblock, einem Stift und einer Kamera auch noch ein Schlüssel befand. Es war ein alter Schlüssel, bestimmt genauso rostig und alt, wie das Tor aussah, doch er passte. Das schmiedeeiserne Tor sprang auf und gab knarrend und ächzend den Weg frei.

Sie trat betrat nun den gewölbten Tunnel, an dessen Seiten sich steinerne Sitzbänke befanden. Wie unheimlich es doch war, allein in diesem verlassenen Theater zu sein und dabei zu wissen, denselben Weg nachts wieder zurücklaufen zu müssen. Doch Decio, der Mann, von dem Luna den Schlüssel bekommen hatte; war sich sicher, dass die Glühbirnen im Saal noch funktionieren würden. Die Römer hatten damals Fackeln und Kerzen benutzt, um die Nacht zum Tag zu machen, doch Anfang des 20. Jahrhunderts wurden im Teatro del Leone wieder Stücke aufgeführt und zu diesem Anlass entschloss man sich, die Lichtquellen zu modernisieren. – nur in dem Gang davor war gegeizt worden. Das einzige Licht hier war das restliche Tageslicht.

Nach etwa fünf Metern endete der Gang an einer weiteren Tür, die aus Holz war. Hier passte der zweite Schlüssel, ein großer goldener. Lunas Hände zitterten ein wenig, als die Tür nach innen aufglitt.

Als sie den Lichtschalter fand, flammte die Pracht des alten Theaters auf. Eine Treppe, die direkt aus dem Felsen geschlagen war, führte an einer Reihe von samtenen Bänken vorbei zu einer großen Bühne. Der Prunk des Römischen Reiches blitzte Luna aus allen Ecken und Winkeln entgegen; sogar die Decke ließ wissen, was für wohlhabende Genies ihre Erfinder waren. Mit Ölfarbe bemalt stellte sie einen bewölkten Himmel dar, über den sich ein goldenes Muster zog. An einigen Stellen blätterte die Farbe ab, doch vieles war erstaunlich gut erhalten.

Luna hatte noch nie ein Theater wie dieses gesehen. An den Wänden waren große Torbögen eingebaut, die mit einem schweren, roten Stoff zugezogen worden waren, um die Gemälde vor der Sonne zu schützen. Sie ließ den Blick schweifen und entdeckte dabei kunstvoll verzierte Säulen, welche die Decke abstützten und zugleich als Augenweide dienten. Egal wohin man sah – überall funkelte, blitzte und schimmerte die verstaubte Schönheit des Theaters. Es mochten wohl an die fünftausend Menschen hineingepasst haben.

Die obersten Reihen sahen dabei nicht mehr gar so prunkvoll aus: Die Sessel hatten sich in einfache Bänke verwandelt, an denen hier und da ein Kissen fehlte. Das waren die Plätze der Armen, die sich die besseren nicht leisten konnten oder wollten.

Langsam schritt Luna die Treppe hinunter und blieb auf halber Höhe stehen, um sich noch einmal umzuschauen. Dabei ließ die Begeisterung nach, mit der sie das Theater vorher noch betrachtet hatte. Es lag allerdings nicht an der Umgebung, die sah noch genauso aus wie vorher, sondern an dem eigentlichen Grund, weswegen sie den weiten Weg hier hinaufgegangen war.

Als Journalistin schrieb sie Artikel und Reportagen über alte Gebäude, vergangene Zeiten, die Römer und Griechen, das Aktuelle aus der Welt und einfach alles, was sich gerade finden ließ. Hauptsächlich schrieb sie aber über die alten Gebäude. Schon lange wollte sie sich das einst so berühmte Teatro del Leone anschauen, welches sich auf der Spitze eines Hügels befand, direkt gegenüber des Vulkans Ätna.

Eine Stunde hatte es gedauert, um hier hinaufzugelangen. Den Weg, den die Leute damals benutzten, hatte sich die Natur zurückerobert und da die rebellischen Römer von damals friedlich unter der Erde ruhten, unternahm auch niemand etwas dagegen. So kamen nur hin und wieder neugierige Fotografen herauf und alle, die sich gerne als Entdecker fühlen.

Luna hingegen suchte nach alten Theaterdrehbüchern und Hinweisen, wie es hier damals zuging. Hatten sich die Menschen von Catania und alle anderen begeistert von den Plätzen erhoben und applaudiert? Welche Stücke wurden aufgeführt? Von wem wurde das Theater erbaut? Wer kam auf die Idee, in dieser Höhe diesen prachtvollen Saal zu errichten? Kurz gesagt: Was für eine Geschichte verbarg sich hinter dem Namen Teatro del Leone?

Das war also der Grund, weswegen Luna hier war. Die nächste halbe Stunde verbrachte sie damit, den Saal und die Nebenräume zu durchsuchen, aber nirgendwo fand sich etwas zu der Vergangenheit des Theaters. Es war, als würden die schweren Mauern das Geheimnis bewahren und dabei amüsiert zusehen, wie Luna vergebens danach suchte.

Sie entschloss sich dazu, wieder in die Stadt zu gehen, auch wenn es zwei Stunden dauern würde; in der Dunkelheit wahrscheinlich noch länger. Als Luna jedoch die oberen Stufen erreichte, ließ sie sich stattdessen auf eine Bank fallen, um ein letztes Mal den imposanten Blick auf das Bauwerk zu genießen. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, was für eine beeindruckende Stille im Inneren des Theaters herrschte. Durch den offenen Gang konnte sie sehen, dass die Dämmerung schnell voranschritt. Schwach zeichneten sich in dem Zwielicht die vertrockneten Büsche und zerklüfteten Mauern ab.

Lunas Finger glitten über den samtigen Stoff der Bank, als sie sich wieder der Bühne zuwandte. Es schien, als würde das Theater nur darauf warten, dass die Schauspieler zurückkämen. Wie traurig es doch war, dass hier nicht mehr gespielt wurde! Aber warum nur? Was hatte Decio, der Schlüsselhüter, doch gleich erzählt? Er meinte, dass zwar niemand die Wahrheit über den sagenumwobenen Eröffnungsabend wusste, doch es