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Für Uwe

 

 

 

 

Unser offener »Mittagstisch«, zu dem sich bei mir getroffen hat, wer am Mittwoch Lust auf »Pasta à la Uwe« hatte, ist mit ihm gestorben, aber vor allem eine wunderbare Kameradschaft.

Uwe, der uns mit seinen Kochkreationen verwöhnt hat, Uwe, unser baumstarker, gesundheitsbewußter Freund, lebenslustig und hilfsbereit, leidenschaftlich beim Segeln und im Leben, unser Uwe hat mit 46 Jahren den Kampf gegen die Leukämie verloren.

Wir trauern sehr um Dich, und ich widme Dir dieses Buch, auch wenn Du Dich nie auf ein Pferd getraut hättest … Aber zumindest waren Dir in Deiner Segler-Männerdomäne »Hengstparaden« nicht fremd. Darüber könnten wir uns jetzt stundenlang unterhalten, wenn Du noch da wärst.

So bleibt uns nur zu sagen, daß wir Dich sehr vermissen.

Gaby und alle Freunde

 

 

 

 

»Wer stört?« meldete Christiane sich und stellte den Ton am Fernseher leiser.

»Christiane Kinsik?«

»So ist es«, sagte sie und versuchte, der Handlung auf dem Bildschirm zu folgen.

»Ich wollte Sie nicht so spät stören«, sagte eine Frauenstimme, »ich habe Sie nur nicht eher erreicht. Mein Name ist Karin Fischer.«

»Schön. Und jetzt wollen Sie mir eine Nachtcreme verkaufen?« Christiane hörte ein gedämpftes Lachen.

»Nein, eigentlich über Ihren Exfreund reden.«

»Seltsamer Wunsch abends um neun!« Einen Moment lang überlegte sie, einfach aufzulegen. Dann siegte die Neugier. »Hat er was angestellt?«

»Er hat sich in mich verliebt!«

»Ach? Wie aufregend!« Christiane verzog das Gesicht. »Hören Sie, ich schaue mir gerade einen spannenden Film an und habe nicht die Absicht, wegen meines Exfreundes etwas davon zu verpassen!«

»Tatort? Schau ich auch gerade!«

»Ja, prima, dann verpassen wir ja wenigstens beide den wichtigsten Teil.«

»Ich rufe Sie morgen wieder an!«

»Noch mal wegen meines Ex? Das können Sie sich sparen!« Christiane griff nach ihrem Wasserglas und nahm einen tiefen Schluck. »Also, er hat sich in Sie verliebt. Gratuliere. Wollten Sie das hören?«

»Quatsch!« Die andere wurde ernster. »Ich bin vierunddreißig Jahre alt und habe keine Lust mehr auf mehrmonatige Forschungsreisen. Das ist alles!«

»Wie?« Christiane nahm die Beine von der Couch und setzte sich hin. »Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, ich will dieses Vorspiegeln falscher Tatsachen nicht mehr: Charmant, treu, endlos zärtlich, großzügig, gesprächig, weltoffen, liberal – nun, den ganzen Schmus eben.«

»Sorry, da komme ich nicht ganz mit!«

»Na ja, vielleicht könnten Sie mir in drei Sätzen seine wirklichen Seiten zeigen, bevor ich Monate in ihn investiere. Schließlich haben Sie ihn ja verlassen, das muß ja einen Grund gehabt haben.«

»Mehrere!«

»Ja, eben!«

Christiane überlegte und starrte dabei auf den Fernseher. »Sie meinen allen Ernstes, ich sollte Ihnen seine negativen Seiten aufzählen, damit Sie von der ersten Stunde an klarsehen?«

»Ist doch effektiv, oder nicht?«

Christiane mußte lachen. »Ich weiß nicht, ob das effektiv ist, aber ich glaube, so etwas habe ich noch nie gehört! Ich muß Sie kennenlernen!«

Karin legte auf. Sie hatte mit mehr Widerstand gerechnet, aber ihre Vorgängerin war offenbar eine recht unkomplizierte Frau. Hoffentlich stand Harry nach dem Gespräch mit seiner Ex nicht in allzu schlechtem Licht da, ein bißchen leid täte ihr das schon. Sie hatte sich ordentlich in ihn verliebt, in seinen dichten schwarzen Haarschopf, der so schön widerspenstig war und sich kaum bändigen ließ, in seinen Mund, der tausend Spielchen kannte, seine mokkafarbenen Augen mit dem verführerischen Glanz, in seine schlanken, aber kräftigen Hände, in seine dunkle Stimme. Und überhaupt war er das, was sie sich immer von einem Mann erträumt hatte. Aber gerade das machte sie mißtrauisch. Er war zu gut, er war intelligent, kannte sich aus, konnte überall mitreden, war charmant und brachte Blumen. Irgend etwas konnte nicht stimmen. Wahrscheinlich war er der größte Fremdgänger aller Zeiten. Oder ein unheilbarer Zocker. Oder sonst irgendwie verrückt.

Der Abspann zu Tatort lief, als Karin wieder in ihr Schlafzimmer ging. Sie war vor dem Telefonat eine Stunde auf und ab gelaufen und hatte sich ausgemalt, wie Christiane Kinsik reagieren würde. Sie hatte überlegt, wie sie selbst in einer solchen Situation reagieren würde. Aber schließlich war sie überzeugt, daß es keinen Grund gab, einen Ex zu schonen. Von alleine wurde schließlich keiner zum Ex.

Karin setzte sich mit einem Glas Rotwein auf ihr Bett. Entspann dich, sagte sie sich und atmete tief ein und aus, bevor sie den ersten Schluck nahm. Doch während sie sich noch selbst therapierte, spürte sie, wie sie innerlich vibrierte. Also war sie doch aufgeregter gewesen, als sie gedacht hatte. Hoffentlich hatte sie wenigstens nach außen gelassen gewirkt.

Sie waren in einem Straßencafé in der City verabredet. Christiane ging davon aus, in der anderen ihr Ebenbild zu sehen. Jünger, das war schon klar, möglicherweise vollbusiger und schlanker. Harry hatte sein Model nie gewechselt, schon seine Mutter war blond und hatte ihn bis ins zweite Lebensjahr an ihrer vollen Brust genährt. Von da an war er immer auf der Suche nach einer neuen Quelle gewesen, da war sich Christiane sicher.

Sie versuchte, das Kopfsteinpflaster mit ihren Absätzen mittig zu treffen, und mußte über ihre Gedanken grinsen. Wie klar man einen Menschen sehen konnte, wenn man ihn sich erst einmal aus dem Kopf geschlagen hatte. Sie ging vom Marktplatz kommend frontal auf die Bistrotische zu. Fast alle waren besetzt. Hoffentlich würde sie diese Karin Fischer überhaupt erkennen. Eine Schwertlilie war ausgemacht gewesen, quer über den Tisch. Sie vertraute darauf, daß Karin mit ihrer Lilie zuerst dasein würde. Wenn nicht, würde es ziemlich kompliziert werden, sie hatte keine besorgt.

Karin sah sie kommen. Es war ihr gleich klar, daß sie es sein mußte. Riesig und blond und vollbusig, ganz anders als sie selbst. Ihr Kostüm trug sie, als sei sie auf dem Laufsteg und nicht auf Kopfsteinpflaster, das sie jeden Augenblick einen Absatz kosten könnte. Ein Rasseweib, du lieber Himmel! Sie zog ihre Schwertlilie hervor und winkte leicht in Christianes Richtung. Harry und sie müssen rein optisch ein Traumpaar gewesen sein.

Christiane war erstaunt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Der Arm, der ihr mit der Lilie entgegenwinkte, gehörte zu einer sehnigen, jungenhaften Figur mit einem kurzgeschnittenen, dunkelbraunen Bubikopf und knallroten Lippen. Harrys neue Freundin trug Jeans und ein an den Ärmeln aufgekrempeltes weißes Herrenhemd und Marathonlaufschuhe. Sie mußte Harry bei Gelegenheit fragen, was in ihn gefahren war.

Karin stand auf, und sie begrüßten sich mit Handschlag. Christiane war gut einen halben Kopf größer.

»Ist jetzt vielleicht eine etwas komische Situation«, begann Karin, nachdem sich beide gesetzt hatten.

»Oh, nein«, lächelte Christiane und zog eine der schwungvoll gemalten Augenbrauen hoch. »Ich empfinde die Situation als hochspannend. Zwei Frauen, ein Mann …« Sie ließ den Satz in der Luft hängen.

»Nicht gerade neu«, vollendete Karin. »Ich geb’s zu!«

Sie mußten beide lachen.

»Gut«, sagte Christiane. »Bestellen wir, und dann werde ich Ihnen ein bißchen was über Harry erzählen. Ich habe nur eine Stunde Mittagspause, dann muß ich in die Bank zurück.«

»Reicht das?« fragte Karin sorgenvoll.

Christiane verzog den Mund spöttisch.

»Kommt darauf an, wie oft Sie mich unterbrechen. Zunächst einmal«, sie unterbrach sich aber selbst, weil der Kellner kam und die Bestellung von Cappuccinos entgegennahm, »liebt er blonde Frauen. Wie er auf Sie kommt, ist schwer nachvollziehbar.«

»Aha«, machte Karin.

»Dann wird er Sie relativ bald ausgrenzen. Alleine in Urlaub fahren, alleine ausgehen und solche Dinge.«

»Nett.«

»Was er da so genau macht, wenn er allein unterwegs ist, habe ich nie herausbekommen. Ich meine, ob er Affären nebenher pflegt oder so. Er behauptet nein. Ich denke ja. Das war nervig!«

Karin nickte langsam. Ihre Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten.

Christiane musterte sie. »Wie lange sind Sie schon zusammen?«

»Zwei Monate!«

»Ach, Gottchen!«

»Nun ja, eben! Zwei Monate und noch zwei Monate und noch zwei Monate, und nach zwei Jahren findet man dann heraus, daß es der völlig falsche Kerl ist! Dann bin ich sechsunddreißig! Ich habe mir gedacht, das muß schneller gehen!«

»Wo haben Sie ihn kennengelernt?« Christiane streckte ihre Beine aus und konfrontierte Karin mit ihrer gepflegten braunen Haut.

»Bei der Geburtstagsparty eines Freundes. Er kam ziemlich spät, aber alleine, und wir gingen dann, noch später, zu zweit.«

»Das ging schnell!«

»War aber schön!«

»Ich weiß …«

Sie schauten sich an. Christiane wippte mit ihrem Bein, ihr Schuh hatte sich von der Ferse gelöst und wippte mit.

»Haben Sie einen neuen Freund?« fragte Karin.

»Das wollen Sie doch nicht wirklich wissen!«

»Doch – warum nicht?«

Christiane zog ihr Bein zurück, um dem Kellner Platz zu machen. »Ich habe mich von Harry getrennt, weil ich einen Mann kennenlernte, der mehr Zeit für mich hat! Der das Leben zu zweit genießen wollte und nicht alleine mit zeitweiligem Anhang.«

»Hört sich gut an. Und?«

»Er hat zuviel Zeit.« Sie grinste schräg. »Ich hätte seine Ex fragen sollen. Er klammert!«

Karin mußte lachen, aber Christiane zuckte nur mit den Achseln und streute reichlich Zucker über ihren Milchschaum.

»Haben Sie noch Ambitionen?« fragte Karin und hielt unbewußt den Atem an.

»Nein! Das Experiment Harry ist vorbei. Ich gönne ihn Ihnen ganz und gar. Zudem ist er ein mitteilungsbedürftiger Aufschneider. Er wird Ihnen von seinen Reisen Ansichtskarten schicken, mit Kreuzchen auf dem Hotel, dem Boot oder dem Wasserflugzeug. Nach dem Motto: Schau her, ich bin der Größte, das alles kann ich mir leisten!«

»Hört sich nicht gut an!«

»Dabei hat er gar nicht so viel!«

»Das hört sich noch weniger gut an!«

Jetzt mußte auch Christiane lachen. »Sie wollten es wissen!«

Karin nickte und sah ihr zu, wie sie einen tiefen Schluck aus der Tasse nahm und diese dann mit rotem Lippenstiftabdruck wieder abstellte. Ihr war jetzt mehr nach Schnaps als nach Kaffee. Ein fremdgehender Aufschneider. Konnte man Christiane trauen?

»Hat er Ihnen noch keine Reise angekündigt, die er aus irgendwelchen Gründen allein machen muß?«

»Ja, doch, das ist es ja.« Karin holte tief Luft. »Er erzählte etwas von einem Reiterhof, den er schon gebucht hat. Mindestens zweimal im Jahr halte er sich aus Trainingsgründen dort auf. Und müsse sich immer lange im voraus anmelden.«

Christiane verzog das Gesicht. »Der Reiterhof! Na, bravo!«

»Kennen Sie den?« Karin schob den Cappuccino zur Seite.

»Die Geschichte schon. Aber ich war nie dabei!«

»Und was treibt er dort? Ihrer Meinung nach?«

»Na, was schon – reiten!«

Karin fühlte sich schlecht für den Rest des Tages. Vor dem Treffen hatte sie sich noch gesagt, daß Männer sich ja nicht bei allen Frauen gleich benehmen. Möglicherweise hatte Harry bei Christiane Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die er bei ihr nicht nötig hatte, weil sie ihm mehr geben konnte als ihre Vorgängerin. Aber jetzt wußte sie nicht mehr so recht, was das Mehr hätte sein sollen. Ihrem ganzen Auftritt nach hatte Christiane eine gute Position, war unabhängig und selbstbewußt. Und sicherlich auch sinnlich, so wie sie aussah. Was sollte sie mehr draufhaben? Zumal Harry ja nur auf Blonde stand, wie Christiane mehr als deutlich gesagt hatte. Das waren schöne Voraussetzungen. Und nun auch noch das exakt gleiche Muster. Reiterhof. Alleine. Viel Reiten. Was hatte sie sich eigentlich bei ihrem Anruf gedacht? Ab welcher Länge der Negativliste würde sie die Beziehung canceln? Waren seine schlechten Seiten ein Grund, um auf die guten zu verzichten?

Karin war quer durch die Stadt gestreift, hatte in Schaufenster gesehen, ohne etwas von der Auslage wahrzunehmen. Schließlich entschied sie, etwas Leckeres einzukaufen, um ein kleines Dinner zu richten. Harry wollte gegen acht dasein, und sie würde ihn sich heute mal etwas nüchterner ansehen. Und zwar, bevor sie mit Rotwein im Bett landeten.

Karin hatte einen Bauernsalat vorbereitet, die Pfanne vorgewärmt und zwei Steaks bereitgelegt. Jetzt stand sie an die Arbeitsplatte gelehnt da und wartete auf Harrys Klingeln. Sie hatte geduscht und sich zur Jeans eine schlichte schwarze Bluse angezogen, die ihr halb aus der Hose hing. Das mochte sie gern, barfüßig und ein bißchen unfertig, so als sei sie unentschlossen, ob sie sich an- oder ausziehen sollte. Sie sah sich in ihrer Küche um. Sie gefiel ihr noch immer, auch wenn sie sich so etwas heute nicht mehr leisten könnte. Vor vier Jahren aber, als sie die Wohnung einrichtete, sah es sogar aus, als würde sie ihre kleine Boutique vergrößern müssen. Sie dachte über Angestellte nach, so gut liefen die Kollektionen junger Modeschöpfer, die aus den ausgefallensten Stoffen die verrücktesten Teile schneiderten. Sie machte sie auf den Fachhochschulen ausfindig, aber auch in Schneiderwerkstätten, und hatte ein Händchen für den begabten Nachwuchs. Das sagten alle ihre Kundinnen, oftmals sogar gutsituierte Frauen, denen man eher ein Chanel-Kleidchen zugetraut hätte. Und dann ließ es plötzlich nach. Gut, ihre Auswahl war nicht billig, doch dafür war sie exklusiv, handgearbeitet, die meisten Teile Unikate. Keine mußte befürchten, bei der nächsten Vernissage einer anderen Frau im selben Fummel zu begegnen. Als die Bank moserte, mußte sie sich nach einer Alternative umsehen und spielte mit dem Gedanken, einen ausgewählten Secondhandladen daraus zu machen, befürchtete aber, ihre eigenen Teile zurückzubekommen – diesen Niedergang hätte sie nicht verkraftet. Dann schon eher Jeans und T-Shirts und Modeschmuck. Aber es war mühsam, weil sie sich mit dieser Massenware nicht mehr identifizieren konnte.

Doch die Küche blieb ihr. Und auch das gemütliche Wohnzimmer mit dem angrenzenden Schlafzimmer. Und der kleine Balkon mit dem malerischen Eisengitter, an dem sich die Blumen hochrankten. Wenn jetzt der Mann noch paßte, hätte sie das tägliche Bangen um die Kundschaft besser ertragen. Eigentlich brauchte sie einen Partner, keinen Beau.

Es klingelte, und ihr Herz tat einen Hüpfer.

Als sie die Tür öffnete, raste es. Zum Teufel mit den Vorbehalten, er sah einfach umwerfend gut aus! Unter Harrys linkem Arm klemmte eine Flasche Rotwein, mit der rechten Hand faßte er in Karins Nacken und zog sie an sich. Sie spürte, wie von dieser Stelle aus eine Gänsehaut zielstrebig unter ihren Slip lief.

»Danke für die Einladung«, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie spürte seinen heißen Atem und beschloß, den Bauernsalat hintanzustellen.

»Hast du großen Hunger?« wisperte sie.

»Ja, nach dir!« Die Antwort war stereotyp, das wußte sie selbst in diesem Moment, aber welcher Mann mit steigendem Blutdruck ist schon originell. Es war ihr in diesem Moment auch egal. Worauf sie jetzt abzielte, gehörte zu seinen besten Seiten, das wußte sie. Und er bewies es ihr auch gleich, indem er die Flasche abstellte und sie küßte, bis sie ihr Blut in den Ohren rauschen hörte. Wenig später lagen sie auf dem Fußboden, sie gierte nach ihm und trug die Gedanken an Christiane zu Grabe.

Der nächste Tag war ein Tag voller widersprüchlicher Gefühle. Zwischen Jeans und T-Shirts und Kundinnen gingen Karin ständig unterschiedliche Dinge durch den Kopf. Mal fand sie Christianes Berichte und Prophezeiungen völlig übertrieben, dann wieder spürte sie ein Zwicken in der Magengrube und befürchtete, genau so könnte es kommen. Vor allem die Sache mit dem Reiterhof ließ ihr keine Ruhe. Wer trieb sich auf Reiterhöfen herum? Mädchen. Und Frauen. Zumeist Frauen, die ihren Mann am liebsten durch ihr Pferd ersetzt hätten. Also frustrierte, vom Leben enttäuschte Weiber. Sie war zwar noch nie auf einem Pferdehof gewesen, aber genau so stellte sie es sich vor. Lauter ambitionierte Dressurreiterinnen und dazwischen, wie ein Gockel, der Reitlehrer. Ein Hühnerstall, die Eier in Samt und Seide geschlagen, mit rosa Schleifchen geschmückt. Was hatte ein Kerl wie Harry da verloren? Suchte sich klarerweise das hübscheste Hühnchen heraus!

Am Abend warf sie die letzte Kundin hinaus. Sie kam drei Minuten vor Ladenschluß, und es war genau so eine, die nach Zeit im Überfluß aussah und ausgerechnet jetzt noch zehn Jeans probieren wollte, nur um schließlich festzustellen, daß sie lieber noch einmal mit ihrer Freundin kommen möchte, weil sie sich alleine nicht entscheiden könnte.

»Tut mir sehr leid«, sagte Karin, »aber die Kasse ist schon geschlossen, ich muß Sie leider auf morgen vertrösten!«

»Sie wissen noch gar nicht, ob ich etwas kaufen will«, empörte sich die Frau.

»Auch das können Sie ja morgen entscheiden«, entgegnete Karin und zwang sich zu einem freundlichen Gesicht.

»Sehr wahrscheinlich ist das nicht«, sagte sie und rauschte grußlos ab.

Karin verkniff sich ein »auch recht« und schloß die Ladentür. Es gab Wichtigeres im Leben als Jeans.

Eine Stunde später klingelte sie bei ihrer Mutter. Karin war auf ihr verwundertes Gesicht vorbereitet und hatte vorsorglich eine Flasche Prosecco gekauft, die sie ihr nun auf der Türschwelle unter die Nase hielt.

»Mutti, guck nicht so, ich habe einen Anschlag auf dich vor!«

»Brauchst du Geld?«

Karin verzog unwillig das Gesicht, aber ihre Mutter setzte ein süffisantes Lächeln auf. »Wenn es kein Geld ist, dann ist’s ein Kerl!« Sie gab die Tür frei. »Komm rein, meine Kleine.«

Karin ging an ihrer Mutter vorbei ins Wohnzimmer. Sie fand es immer wieder seltsam, ins Reich ihrer Kindheit zurückzukehren, das nach der Scheidung ihrer Mutter so völlig verwandelt worden war.

Ihre Mutter hatte auf den Moment gewartet, da Karin ihren Auszug aus dem Elternhaus verkündete, um ihrerseits dem verdutzten Ehemann dessen eigenen Auszug zu vermelden. »Die Begründung habe ich hier aufgeschrieben«, hatte sie verkündet und ihm ein von breiten Spiralen zusammengehaltenes dickes Manuskript in die Hände gedrückt.

Von nun an entwickelte ihre Mutter ein Eigenleben, das Karin manchmal schon fast unheimlich war. Sie baute das kleine Häuschen um, entdeckte das Kulturleben und war mit ihren Freundinnen ständig auf Achse. Zwischendurch versuchte sie, ihrer Tochter ein Familiengefühl zu vermitteln, indem sie ihr erzählte, daß sie mit ihrem Vater nett essen gegangen sei oder daß er sich reizend um sie bemüht habe und ihr gerade wieder beim Kauf eines neuen Wagens geholfen hätte.

Nun bot sie ihr einen Platz auf dem kleinen, roten Sofa an, doch Karin winkte ab und ging in die Küche. Auf der runden Marmorplatte des Stehtischs stellte sie die Flasche ab und nahm zwei Gläser aus dem Wandschrank. Ihre Mutter war ihr gefolgt, blieb aber im Eingang stehen und lehnte sich gegen den Türrahmen.

»Dich muß es ja mächtig erwischt haben«, sagte sie forschend.

»Ach, Quatsch!« Karin kämpfte mit dem Korken.

»Ist er überhaupt kalt?«

»Glaubst du, ich bringe dir warmen Sekt? Mutti!«

Hella Fischer strich ihr graumeliertes kurzes Haar aus der Stirn. Sie war achtundfünfzig Jahre alt und sah in Karins Augen unternehmungslustiger und besser aus als je zuvor. Sie hatte einen klatschmohnroten Lippenstift aufgetragen, die Augenbrauen dunkel nachgezogen und trug ein weites, kornblumenblaues Herrenhemd, das sie über ihrer Hose geknotet hatte.

Jetzt löste sie sich vom Türrahmen, nahm ein Küchenhandtuch und hielt es Karin hin. »Versuch’s damit!«

Mit einem trockenen Knall löste sich der Korken, und der Sekt schoß schäumend aus dem Flaschenhals und perlte über Karins Finger.

»Üben«, sagte Hella grinsend, nahm ihr die Flasche ab und schenkte ihnen ein. »Was ist denn los?«

»Du wirst es nicht glauben …« Karin lehnte sich mit einer Pobacke an den nächsten Barhocker und griff sich eines der beiden Gläser zum Zuprosten.

»Sicherlich nicht, wenn du es mir nicht sagst …«

»Du kannst doch reiten, Mutti, oder?«

»Ich habe mal als Sechzehnjährige auf einem dicken Ackergaul gesessen, weil ich bei meinem Onkel auf dem Bauernhof in der Sommerfrische war. Wenn du das mit Reiten meinst!«

»Ich wußte, daß du mir helfen würdest!«

Hella schaute an ihrem Glas vorbei mißtrauisch zu ihrer Tochter.

»Soll ich dir aufs Pferd helfen, oder was?«

Karin lachte. »Nein, ich würde dir gern einen Urlaub spendieren, wenn ich das Geld dafür hätte. Da ich das Geld aber nicht habe, möchte ich dich nur bitten, für mich in Urlaub zu fahren.«

»So«, machte Hella. »Ich soll also an deiner Stelle in Urlaub fahren. Willst du einen Kerl loswerden?«

»Das genaue Gegenteil ist der Fall!«

Hella fand Karins Idee total abwegig, völlig verrückt und obendrein eine pure Geldverschwendung. Aber nach zwei Stunden und einer ganzen Flasche Sekt hatte sie sich anstecken lassen und fand den Gedanken nicht mehr völlig, sondern bereits so abwegig, daß er schon wieder reizvoll war. Karin war davon überzeugt, daß ihre Mutter als Spionin bestens geeignet war. Harry kannte sie nicht, und sie würde ihn beobachten können, ohne in diesem Stall voller Pferdefrauen groß aufzufallen.

»Die heißen nicht Pferdefrauen, sondern Amazonen«, korrigierte Hella sie kopfschüttelnd.

»Siehst du«, lachte Karin, »ich wußte, daß du dich auskennst!«

Harry hatte Karin seinen Abreisetermin mitgeteilt, ohne sich weiter darüber auszulassen.

»Was machst du da denn so?« wollte sie beim Italiener wissen, während ihr die Spaghettini immer wieder von der Gabel glitten.

»Mich entspannen«, sagte er nur. »Es gibt keine größere Entspannung, als eine Woche auf meinem Hof zu sein. Pferde von morgens bis abends, das tut meiner Seele gut.«

»Du mußt mutiert sein«, sagte Karin mit einem schrägen Blick.

»Wie meinst du das?«

»Sind nicht sonst die Frauen die Pferdebegeisterten?«

»Schon«, bestätigte Harry, nahm ihr die Gabel mit den endlich aufgerollten Spaghettini aus der Hand und steckte sie sich selbst in den Mund, »die gibt’s dort auch. Jede Menge sogar!«

»Nur gut, daß ich nicht eifersüchtig bin!«

»Auf die Pferde? Kein Grund!«

»Vielleicht auf die Frauen?«

»Haben alle einen dicken Hintern und O-Beine. Kein Grund!«

Karin zog die Stirn kraus und schwieg ihn an.

»Ich kann ja ein paar Fotos machen«, verkündete Harry mit Kleiner-Junge-Miene.

Hella kam einen Tag nach Harry an. Sie hatte nur einen leichten Reisekoffer gepackt, darauf vertrauend, daß sie vor Ort eine Reitausrüstung würde leihen können, und war frühmorgens in den Zug gestiegen. Am Nachmittag kam sie in Osnabrück an, spielte noch kurz mit dem Gedanken, einen Kaffee trinken zu gehen, gab dann aber ihrem Wunsch nach, möglichst schnell ihr Ziel zu erreichen. Das Taxi roch feucht und quietschte, während es durch unendlich weite, grüne Ebenen und riesige Felder fuhr, zwischen denen vereinzelte Höfe mit roten Backsteinhäusern standen. »Sind Sie sicher, daß wir hier richtig sind?« fragte Hella ein ums andere Mal, denn in dieser Einöde konnte sie sich beim besten Willen keine wilde Party auf einem wie auch immer gearteten Pferdehof vorstellen.

»Ich bin hier geboren«, teilte ihr der Taxifahrer mit und schwieg für den Rest der Fahrt. Hätte dieser Harry nicht an den schönen Niederrhein fahren können? Gab’s dort keine Pferdehöfe?

Dann grunzte der Fahrer etwas, und Hella blickte auf. Der dicke Zeigefinger seiner breiten Hand deutete auf ein großes Areal, weit ausgestreckt im Grün liegend, von Koppeln und kleinen Gebäuden umgeben. Auf die Entfernung hätte es auch ein Golfplatz sein können.

»Das ist es jetzt also«, sagte Hella mehr zu sich als zu ihrem Fahrer, der weiter schwieg. Er fuhr in einem großen Bogen auf das Anwesen zu. Hella war sich nicht sicher, ob er auf mehr Geld aus war oder ob dies tatsächlich der schnellste Weg war, doch so konnte sie sich wenigstens an die Aussicht gewöhnen, in dieser Einöde die folgende Woche verbringen zu müssen. Ihre Aufregung wuchs, sie fühlte, wie ihre Handflächen feucht wurden.

Du bist achtundfünfzig Jahre alt, sagte sie sich, reiß dich zusammen! Aber sie hatte eine höllische Angst vor Pferden und verdammte schon jetzt ihren Mut. Wahrscheinlich würde ihre Erfahrung auf dem Ackergaul eben doch nicht ganz ausreichen.

Der Taxifahrer strich ordentlich Euros ein, und Hella gab ihm sogar noch ein Trinkgeld in der Hoffnung, die Götter milde zu stimmen. Dann stellte er ihren Koffer neben den Wagen und ließ sie stehen. Sie sah dem davonfahrenden Taxi mit dem Gefühl hinterher, sämtliche Brücken zur Außenwelt abgebrochen zu haben.

Nach einer Weile fiel ihr auf, daß sie tatsächlich allein war, und es kümmerte offenbar niemanden, ob ein angereister Gast auf dem Weg stand oder nicht. Sie stellte den Koffer auf seine Rollen und überlegte, was zu tun sei. Der Fußweg führte, durch ein Tor hindurch, ganz offensichtlich zum Eingang des Hauses, das sich weiter hinten idyllisch in rotem Backstein und mit grünen Türen präsentierte. Sah nett aus, das mußte Hella zugeben. Nur an den Geruch mußte sie sich noch gewöhnen, Pferdeduft lag in der Luft.

Sie zog ihren Koffer über die holprigen Steinplatten, bis sie vor dem Hoteleingang stand und nun im Hintergrund auch die Stallungen, die Reithallen und vor allem Menschen und Tiere erkennen konnte. Eine Gruppe machte sich eben zum Ausritt bereit. Hella blieb kurz stehen. Vielleicht war er ja schon dabei, dieser Harry, aber auf die Entfernung war kaum etwas zu erkennen. Und sie hatte auch nur ein einziges Foto zur Identifizierung, zudem ein recht verwackeltes, das Karin von ihnen beiden in Weinlaune gemacht hatte, indem sie die Kamera auf Armeslänge von sich weg gehalten und abgedrückt hatte. Dabei kam Harry nicht besonders gut weg, eine zu lange Nase und ein zu massiges Kinn, wie Hella fand, aber Karin hatte beteuert, daß dies an der verkürzten Perspektive und nicht an ihrer Geschmacksverirrung liege.

Während Hella noch darüber nachdachte, war sie entdeckt worden. Ein junger Mann trat aus der Eingangstür und fragte, ob ihr zu helfen sei.

»Ob mir noch zu helfen ist?« fragte Hella zurück und mußte lachen, weil ihr Gegenüber offensichtlich nach einer diplomatischen Antwort suchte.

»Nein, lassen Sie mal«, kam sie ihm zuvor, »mir ist nicht mehr zu helfen. Höchstens mit dem Koffer da!«

Dankbar bückte er sich und trug ihren Koffer ins Haus.

»Er hat Rollen«, fügte Hella hinzu, aber der Mann eilte ihr so schnell voraus, daß sich die Frage von selbst erledigte. Sicherlich waren solche Rollen etwas für Weicheier oder alte Damen, dachte sie amüsiert und folgte seiner schmalen Hüfte.

An der Rezeption blieb er kurz stehen, weit und breit war niemand zu sehen. »Wenn Sie mir Ihren Namen sagen, kann ich schnell selbst nachschauen«, schlug er schließlich halbherzig vor.

Hella schaute sich ihn genauer an. Was er hier wohl sonst tat? Pferdeboxen misten? Heu abladen? »Hella Bauer«, sagte sie. Sie hatte unter falschem Namen gebucht, schließlich hätte Harry bei ihrem Nachnamen aufhorchen können – sollten sie sich überhaupt je über den Weg laufen, bei dem weitläufigen Gelände bekam sie allmählich ihre Zweifel.

»Koppelkieker«, sagte der Kleine und nahm einen Schlüssel vom Brett. »Eintragen können Sie sich später, der Chef scheint gerade unterwegs zu sein. Ich komme mit rauf!«

Immerhin. Hella begann sich zu entspannen. Sollte sie Harry nicht begegnen, brauchte sie auch nicht zu reiten, würde eine Woche Feld und Wiese schnuppern und dann bestens erholt wieder die Heimreise antreten. Was ging sie eigentlich Harry an?

Ihr Zimmer war einfach, aber gemütlich. Viel Holz, viele Pferdebilder, sogar Bettwäsche mit einem Pferdekopf darauf. Es war zu sehen, daß hier jemand mit Herz agierte und mit allerhand Nippes versuchte, den Gast auf einen wohligen Aufenthalt einzustimmen. Der Junge stellte ihren Koffer am Schrank ab und war sofort wieder draußen. Hella ließ sich aufs Bett sinken. Auch recht. Sie würde sich einige gute Bücher kaufen, es sich gemütlich machen, vom Fenster aus Pferde und Reiter beobachten und dabei Rotwein trinken. Sie betastete das Oberbett: Daunen, das war schon mal vielversprechend. Die Matratze war nicht zu weich, die Nachttischlampe sah brauchbar aus. Es könnte tatsächlich ein netter Urlaub werden. Sie beschloß, sich ein Nachmittagsschläfchen zu gönnen, bevor sie ihren guten ersten Eindruck durch eine weitere Inspektion des Anwesens womöglich zunichte machte.

Für Karin war dieser Sonntag ein fürchterlicher Tag gewesen. Sie hatte ihre Mutter zu nachtschlafender Zeit zum Bahnhof gefahren, und seitdem war sie ruhelos umhergelaufen. Von Harry hatte sie gegen neun Uhr eine fröhliche »Guten Morgen«-SMS erhalten, seitdem war der Herr verschollen. Ebenso wie ihre Mutter, die natürlich kein Handy besaß, weil sie fand, daß sich die Erde vor dem Handy-Zeitalter auch gedreht habe.

Am Abend rief endlich Harry an. Er schwärmte von dem Schimmel, den er immer ritt, einem ehemaligen Crack aus dem deutschen Springkader, und war so angetan von allem, daß Karin kaum zu Wort kam.

»Freut mich, daß es dir gutgeht«, sagte sie zum Abschluß, und er legte auf mit einem beschwingten: »Das ist lieb von dir, mein Schatz, aber jetzt muß ich schnell zum Abendessen.« Karin saß auf dem Sofa und schaute ihr Telefon an, als müßte sie es in die nächste Ecke pfeffern. War das nicht ganz einfach ungeheuerlich? Was hatte sie sich denn da für einen unsensiblen Idioten geangelt? Mutti, jetzt ruf doch endlich an!

Hella hatte eine Stunde geruht, ausgepackt, sich in dem kleinen Badezimmer frisch gemacht und war dann die enge Treppe nach unten in die kleine Halle hinabgestiegen.

Diesmal herrschte reger Betrieb. Einige Frauen standen zusammen und prosteten sich unter lautem Gelächter zu.

»Ja, ja, lacht nur«, sagte eine von ihnen, »im Hals soll’s euch steckenbleiben!«

Wieder lachten alle, und als eine »Prost Reiter« rief, wechselten sie flugs das kleine Schnapsglas von der rechten in die linke Hand.

Hella schaute ihnen zu, überlegte, wozu das wohl gut sein könnte, und ging dann zur Rezeption.

Ein blonder Mann Mitte Vierzig sah ihr entgegen und lächelte breit. »Schön, anscheinend haben Sie sich auch alleine zurechtgefunden. Frau Bauer, stimmt’s?«

Im ersten Moment wollte Hella den Kopf schütteln, als ihr einfiel, daß sie ja Frau Bauer war. Zumindest für diese Woche.

Sie füllte das obligatorische Formular aus und fühlte sich dabei wie eine Geheimagentin. Es fehlte nur noch das Objekt ihrer Spionage.

»Darf ich Ihnen in der Lobby einen Begrüßungsdrink servieren lassen?« fragte der Herr in der Rezeption.

»Nur wenn ich weiß, wer Sie sind«, entgegnete Hella mit einem spitzbübischen Lächeln. »Von fremden Männern laß ich mich nicht einladen!«

Er lachte und stellte sich ihr mit Handschlag als Markus Bacher vor, Schwiegersohn des Besitzers Olaf Lex. »Und jetzt darf ich Sie vielleicht an den Kamin geleiten«, fügte er hinzu und führte sie an der Damenrunde vorbei in den angrenzenden Raum. Auch hier dunkles Holz, Reitutensilien an der Wand, ein prasselndes Kaminfeuer, um das einige Clubsessel aus dunkelrotem Leder gruppiert waren, im Hintergrund die ersten Tische zum angrenzenden Restaurant. Markus Bacher rückte Hella einen Sessel zurecht, stellte ein Beistelltischchen daneben und verbeugte sich leicht. »Darf ich Ihnen etwas anbieten, einen trockenen Sherry vielleicht?«

Hella überlegte. »In so einer Atmosphäre ist es mir eher nach einem Whisky!«

»Einen besonderen Wunsch?«

»Führen Sie Isle of Jura?«

Es war ihm anzusehen, was er dachte.

Hella kam ihm zuvor. »Ich weiß, daß er nicht gerade billig ist, setzen Sie ihn mir bitte auf die Rechnung, auf Ihre Kosten trinke ich dann einen einfachen Sherry!«

»Es ist mir eine Ehre, eine Whiskysachverständige zu beherbergen«, sagte er mit einem kleinen Lächeln. »Selbstverständlich gilt meine Einladung!«

Ist mir auch recht, dachte Hella und erwiderte sein Lächeln.

Die Frauen strömten herein, mit ihnen einige Hunde und zwei Kinder, die aber gleich wieder verschwanden. Die Frauen waren bester Laune, wenn auch in Hellas Augen nicht alle vorteilhaft gekleidet. Die engen Reithosen wiesen gnadenlos auf die Problemzonen hin, und damit nicht genug, hatten einige auch noch ihre Pullover unter die Hosengürtel gestopft. Das sah weniger nach einer Sportleistungsgruppe als nach einem Hausfrauenausflug aus, entschied Hella, und befand, daß sich Karin keine Sorgen zu machen brauchte. Das waren keine wirklichen Gegnerinnen. Hella entspannte sich, ihr Whisky kam, und sie prostete den Flammen zu. Auf einen schönen Urlaub, sagte sie sich und glaubte, aus dem Knistern des brennenden Holzes ein »Kriegst du« herauszuhören.

Die Frauenrunde hatte sich inzwischen an einen runden Tisch gesetzt und bestellte. Hella schaute auf die Uhr, es war gerade mal sieben Uhr vorbei. Reichlich früh fürs Abendessen, sie jedenfalls empfand noch keinen Hunger, sie wollte jetzt erst mal ihrem aufkommenden Tatendrang nachgeben und Haus und Hof kennenlernen.

Es war ein schöner Spätsommerabend, und ein lauer Wind strich über die weiten Felder und Koppeln. Überall standen Pferde und Ponys, jagten sich von einem Gatter zum nächsten oder zerzausten sich liebevoll die Mähnen. Manche standen allein, ließen den Wind im Schweif spielen und grasten, ohne aufzublicken. Hella war an den großen Reitanlagen vorbei und durch eine hohe Hecke hindurch nach draußen aufs freie Land gelaufen, dorthin, wo sie die Seele der Pferde zu finden hoffte, falls es so etwas überhaupt gab. Sie stand eine ganze Weile an einen der Zäune gelehnt und schaute nur zu. Es waren schon edle Geschöpfe, das mußte sie sich nach einer Weile eingestehen. Diese majestätische Selbstverständlichkeit, diese Eleganz, mit der sie sich bewegten, dieser Stolz, mit dem sie die Häupter trugen und den Schweif stellten. Warum läßt ein so herrliches Geschöpf überhaupt einen Menschen auf seinen Rücken, fragte sie sich. Warum mußten die Menschen überhaupt auf alles kraxeln, was ihnen irgendwie lohnens- oder begehrenswert vorkam? Harry fiel ihr wieder ein. Sie hatte ihn total vergessen. Vielleicht sollte sie jetzt nach ihm suchen, damit sie heute abend wenigstens einen ordentlichen Rapport abliefern konnte. Karin tigerte sicherlich schon mit dem Telefon durch die Wohnung.

Hella lief zurück zum Haus, vor der Reithalle blieb sie stehen. Eine ganze Delegation von Reitersleuten war offensichtlich von einem Ausritt zurückgekommen. Es wuselte plötzlich von Pferden und Menschen, alle saßen ab, schleiften Sättel herum, drängten ihre Pferde zu Wasserstellen, hantierten mit spritzenden Schläuchen, was nicht jedem der Vierbeiner zu gefallen schien, denn einige wehrten sich standhaft. Plötzlich schoß ein kräftiger Pferdeleib zwischen den anderen hindurch, der Zügel schlug ihm gegen den Hals. Flüche, Schreie, das Tier reagierte nicht, auf dem Weg zu seinem Stall stieß es um, was ihm im Weg war. Eine kleine braune Stute keilte zickig nach ihm aus, aber selbst dieser Schlag gegen seine Brust beeindruckte den Schimmel nicht, er hatte nur ein Ziel vor Augen.

»El Matador!« Der Schrei übertönte das Getümmel, und Hella sah einen Mann, der mitten auf dem Platz mit seinem Sattel auf dem Arm etwas verloren wirkte. Er rief noch einmal lautstark nach seinem Pferd, aber El Matador suchte offensichtlich nicht den Kampf, sondern den Futtertrog.

Hella wagte sich kaum zu rühren. Der ganze Platz schien ihr von bedrohlichen Pferdeleibern beherrscht, und sie hatte keine Ahnung, wie sie sich da durchschlängeln sollte. Mißtrauisch beobachtete sie einen Ziegenbock, der sie ganz offensichtlich als leichtes Opfer ausgemacht hatte. Er kam langsam näher, und sein gesenkter Kopf gefiel Hella ganz und gar nicht. Sie überlegte krampfhaft, ob es auf dem Bauernhof bei ihrem Onkel vor vierzig Jahren auch schon einen Ziegenbock gegeben hatte und welche Verhaltensmaßregeln sie aus dieser Zeit hatte behalten können. Keine. Es fiel ihr absolut nichts ein. Derweilen war das graue Zotteltier mit dem schwarzen Aalstrich und den langen Hörnern vor ihr stehengeblieben. Verdammt, der wollte sicherlich irgendeine Leckerei. Nur, sie hatte nichts bei sich. Versuchsweise griff sie in ihre Hosentasche, was ihn veranlaßte, einen Schritt näherzurücken, worauf sie ihre Hand schnell wieder hervorzog und er stehenblieb. Sie schaute sich nach Hilfe um, doch auf dem Hof hatte sich die Lage überraschend schnell verändert: Plötzlich schien alles versorgt, war alles geordnet, so als hätte es hier nie ein wildes, panikartiges Durcheinander gegeben. Genaugenommen war sie sogar ziemlich allein, sie und dieser bärtige Geselle vor ihr.

»Na, du Hübscher«, begann sie mit unsicherer Stimme. »Was bist denn du für einer?«

»Ein ziemliches Mistvieh namens Wurzel«, sagte eine derbe Stimme hinter ihr.

Ihr Kopf flog herum, ein Mann in blauer Arbeitskleidung stand hinter ihr, auf eine Mistgabel gestützt. Der Ziegenbock warf ihm einen schrägen, beleidigten Blick zu und trollte sich.

»Ich dachte schon, er greift mich an«, gestand Hella und griff sich unwillkürlich an den Hals.

»Er boxt höchstens ein bißchen.« Die wettergegerbten Gesichtszüge des Mannes verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. »Ich bin Hannes, falls Sie mich mal brauchen …«

»Vielen Dank.« Hella nickte ihm zu. »Ich hoffe, nicht noch einmal!«

In der Lobby ließ Hella sich wieder in einen der Sessel sinken. Sie saß alleine und sah Markus auf sich zukommen.

»Na, wie war der erste Eindruck?« wollte er mit einem kleinen Augenzwinkern wissen.

»So, daß ich einen zweiten Whisky bestelle!«

»Donnerwetter! So schlimm?«

»Vier Beine, ein Gamsbart und zwei Hörner!«

»Da sind Sie ja gleich von dem Richtigen begrüßt worden, der Whisky geht noch mal auf uns, aber ich bitte Sie, den anderen Tieren mehr auszuweichen, sonst werden wir arm dabei!«

»Gibt’s davon denn noch mehr?«

»Ludmilla, das Hängebauchschwein, eine Abordnung aus Gänsen, Enten und Hühnern jeder Couleur, ein Pfau mit Weibchen, Hunde und Katzen und was sonst noch so herumfleucht. Mücken zum Beispiel!«

»Schon gut.« Hella schloß die Augen. »Ich werde aufpassen!«

Als Hella endlich anrief, war Karin auf ihrem Sofa schon fast eingeschlafen. Sie mußte am nächsten Morgen früh aufstehen, und in diesem Bewußtsein hatte sie nur den ersten Teil des Spielfilms nach acht mitgekriegt. Aber jetzt war sie mit einemmal hellwach.

»Ja, Mutti, warum meldest du dich denn die ganze Zeit nicht, ich sitze hier wie auf Kohlen!«

»Und ich erst! Fast hätte ich auf den Hörnern eines Geißbocks gesessen, da redest du von Kohlen!«

Karin mußte erfahren, daß Hella ihren Harry noch nicht einmal von weitem zu Gesicht bekommen hatte.

»Höchstens der, dem das Pferd durchgebrannt ist, aber dann hätte er eine etwas lächerliche Figur abgegeben!«

»Nein, das kann er nicht gewesen sein!«

»Gut, war er es nicht. Also muß ich morgen weitersuchen!«

»Und warum nicht jetzt? In der Bar? Am Tresen? Im Reiterstüble, oder was es sonst noch so gibt?«

»Soll ich vielleicht auch noch in die Disco?«

»Mutti, das ist eine glänzende Idee!«

»Tochter, du spinnst!«

Olaf Lex war zu einem letzten Rundgang über seinen Hof aufgebrochen. Er war gerade sechzig Jahre alt geworden, ein Pferdemann mit Haut und Haaren. Er war auf diesem Hof, den schon sein Großvater besessen hatte, aufgewachsen, hatte ihn in jungen Jahren gemeinsam mit seinem Vater durch geschickte Landverkäufe vergrößert und, als er ihn endlich ganz übernehmen konnte, durch den weiteren Ausbau zu einem beliebten Pferdehof mit hochqualifizierten Reitkursen gemacht. Von den Pensionspferden und den Reitstunden allein konnte er das Anwesen jedoch nicht halten, so hatte er sich auf Pferdeankauf und Pferdeverkauf spezialisiert. Für die Basis handelte er mit Hobbypferden für jedermann, zum eigenen Vergnügen aber mit vielversprechenden jungen Pferden, die ihm entweder durch ihre Abstammung oder durch ihr überdurchschnittliches Talent aufgefallen waren. Susan, seine jüngere Tochter, ritt die Zöglinge ein und versuchte, aus unbeholfenen, nach ihrem eigenen Gleichgewicht suchenden Dreijährigen starke Springpferde zu formen. Gemeinsam waren Tochter und Vater ein erfolgreiches Paar, beäugt und kommentiert von vielen anderen, die in dieser Gegend mit dem Pferdehandel ihr persönliches und finanzielles Glück suchten.

Olaf dachte derzeit über sein Dilemma nach, aus dem er momentan noch keinen Ausweg sah. So führten ihn seine Schritte auch an diesem Abend in den Privatstall, der etwas entfernt von den anderen Stallungen auf einem sanften Hügel lag. In der Zwischenzeit war es dunkel geworden, der Mond schob sich zwischen den Wolken hervor, aber es war trotzdem eine schwarze Nacht. Olaf war das egal, er liebte seinen Hof und kannte jede Unebenheit auf dem Weg. Zudem brannten, wie jede Nacht, kleine Lampen rund um das Areal. Das verlieh dem Anwesen etwas Heimeliges, Einladendes, so daß sich auch der Spätheimkehrer wohl fühlte.

Eigentlich war Olaf Lex ein glücklicher Mann. Seine Frau Barbara sah seine Leidenschaft als die ihre an, kümmerte sich um das Hotel und war bei fast jedem Springturnier ihrer Tochter Susan dabei, seine ältere Tochter Tanja hatte sämtliche hier einfallenden reitenden Horden unter Kontrolle und in Markus einen Mann gefunden, dem das Familienunternehmen ebenfalls am Herzen lag. Eigentlich gab es keinen Stachel im Herzen von Olaf Lex – bis auf einen. Und der stand auf vier teuren und begnadeten Beinen im Stall, zu dem er jetzt unterwegs war, und war in Olafs Augen ein hochkarätiger Rohdiamant.

Olaf rechnete damit, Marga dort oben anzutreffen. Marga hatte sich nach ihrer Scheidung von ihrem ersten eigenen Geld dieses Pferd gekauft, ausgerechnet dieses Pferd, das Flügel besaß und sich unter seiner Tochter zur Teilnahme an der nächsten Olympiade qualifiziert hatte, jetzt aber nicht starten durfte. Es sei noch zu jung, hatte Marga beschieden, sie lasse es nicht verheizen.

»Mein Gott, Marga, das ist vielleicht seine einzige Chance! Welches Pferd bringt es so weit? Freeman ist zehn Jahre alt, er ist kein Baby mehr! Er hat sich durch alle Turniere hindurch qualifiziert, höher wird’s bei der Olympiade auch nicht!«

Wie auf eine Schwerhörige hatte er auf sie eingeredet, aber Marga hatte ihren Standpunkt. »Möglicherweise ist es die einzige Chance für deine Tochter, aber es ist immer noch mein Pferd!«

Marga war Olafs ältere Schwester und in der Erbfolge von ihrem Vater unberücksichtigt geblieben. Insgeheim hegte Olaf den Verdacht, daß sie ihn deswegen haßte. Aus Gründen der Landzusammenführung war ihr damals nahegelegt worden, ihren späteren Mann zu heiraten. Das hatte ihr zunächst wenig Freude, dann einen untreuen Mann und schließlich, bei der Trennung, Land beschert, das sie nicht haben wollte und deshalb einen ersten, wenn auch vergleichsweise kleinen Teil davon sofort in Freeman umsetzte. Daß Freeman nicht nur außergewöhnlich schön war, sondern ihre eigenen reiterlichen Fähigkeiten überforderte, war bald klar. Daß er aber zu einem internationalen Spitzenpferd wurde und dann nicht starten sollte, brachte Olaf schier um den Verstand.

Wie zu einem Heiligenbild pilgerte er also auch diesen Abend wieder zum Stall, sah Freeman gegen den Nachthimmel als Schatten im Paddock stehen, und seine Haltung verriet ihm, daß er nicht alleine war.

Er behielt recht.

»Kommst du schon wieder?« hörte er eine Stimme, die vom Rauschen der Bäume und Knarzen der Äste am Rande des Grundstücks fast überdeckt wurde.

»Ich kann nicht anders«, sagte er wahrheitsgetreu und legte seine Hände auf die weißen Holzstangen, die den kleinen Auslauf vor dem Stall begrenzten. Freeman schaute ihn mit seinen großen Augen an und sog die Luft geräuschvoll ein.

»Ich kann es einfach nicht verstehen«, begann er wieder. »Stell dir doch mal vor, Freeman, in der ganzen Welt bekannt, ein Hoffnungsträger in der deutschen Springmannschaft. Olympiade, Marga, da geht einem doch das Herz auf!«

»Mir geht das Herz auf, wenn ich ihn hier so stehen sehe!«

»Marga! Jedes Pferd steht so!«

»Er steht anders!«

Olaf Lex schwieg. Es hatte einfach keinen Sinn. »Ich stelle dir jedes andere Pferd dafür hin!« Er hatte es schon so oft versucht, obwohl er wußte, daß es zwecklos war.

»Wenn ich tot bin, könnt ihr ihn haben! Aber erst dann!«

»So ein Blödsinn, Marga. Der stirbt lange vor dir, so oder so. Du bist dreiundsechzig.«

»Alt genug, um zu wissen, was ich will!«

Olaf atmete tief durch und löste sich von der Stange. »Ist ja gut, Marga, ist ja gut«, sagte er leise, dann lief er auf sein Elternhaus zu, das inmitten der großen Gebäude kaum noch zu erkennen war, aber den Kern des Ganzen bildete.

Hella hatte wunderbar geschlafen. Besser als je zuvor, so empfand sie es wenigstens, und auch viel länger. Sie erschrak, als sie einen ersten Blick auf die Uhr riskierte. Kurz nach zehn. Nicht zu fassen. Kein Pferdegewieher, kein Hufgetrappel, überhaupt nichts hatte sie in ihrer Ruhe gestört. Lag es am Klima oder am Whisky? Sie hatte sich gestern vor dem Schlafengehen einen dritten gegönnt, denn sie fand, daß ihr das in ihrer Rolle als Meisterspionin zustand. Von Harry hatte sie zwar nach wie vor nichts gesehen, aber das lag vielleicht auch daran, daß sie sich keine wirkliche Mühe gegeben hatte. Eine Dame ihres Alters war ihr über den Weg gelaufen, und die hatte sie während eines gemeinsamen Abendessens über die Familienverhältnisse inklusive Klatsch und Tratsch aufgeklärt. »Es ist hier eben alles sehr kommerzialisiert«, hatte sie ihr gesagt. »Von den wahren Wundern der Erde bekommt man nicht mehr sehr viel mit. Bäuerlich«, fuhr sie fort, »bäuerlich ist vielleicht noch die Umgebung, aber sobald man ein bißchen an der Fassade kratzt, ist es wie eine Theaterkulisse. Alles weg. Darunter glänzt nur noch der blanke Mammon.«

Hella fand sie amüsant. Sie hatte etwas von einer harmlos Verrückten, aber was sie sagte, klang so plausibel, daß Hella sich nicht sicher war, ob sie die Frau nicht vielleicht doch unterschätzte. »Waren Sie je in Nepal?« hatte sie unvermittelt gefragt. »Nein? Das sollten Sie aber. Dort lebt die Erde noch!«

Hella überlegte, ob sie die Antarktis oder vielleicht Afrika als Gegenbeispiel in die Waagschale werfen sollte, denn sicherlich gab es auf der Erde auch noch andere Flecken, wo die Erde lebte, aber sie befürchtete, den kürzeren zu ziehen. Möglicherweise würden ihr die Argumente ausgehen, so genau hatte sie darüber ja auch noch nicht nachgedacht. Sie würde sich von Karin zu Weihnachten ein Geo-Abonnement wünschen, das brächte sie naturwissenschaftlich wieder auf Vordermann. Sie grinste über diesen Gedanken, bis ihr einfiel, daß Karin überhaupt kein Geld hatte. Sie mußte das umdrehen: Sie würde Karin das Abo schenken und die Hefte im Anschluß selbst lesen, das war eine elegante Lösung.

Gut gelaunt stand Hella schließlich auf und ging unter die Dusche. Das Wasser hielt die Temperatur nicht, womöglich war der Mischer defekt, aber das beeinflußte ihre Laune nicht. Halb gekühlt und halb verbrannt ist immer noch besser als gar kein Land, sang sie vor sich hin, stieg aus der Duschkabine und schaute im beschlagenen Spiegel die Umrisse ihres Gesichts an. Sie wischte mit dem Unterarm über das Glas und betrachtete sich eingehender. Schade, daß das Äußere dem Inneren einfach davonläuft, dachte sie und zog an der Falte neben ihrem Mund. Heute fühle ich mich wie zwanzig, und dabei sehe ich aus wie eine alte Dattel. Das Leben ist nicht gerecht!

Ein kleiner Tisch mit einem einsamen Stuhl war an den Kamin geschoben worden, der Tisch war gedeckt, aber weit und breit war außer ihr niemand zu sehen. Sie war sich nicht sicher, ob das Arrangement ihr galt, deshalb stand sie etwas zögerlich da und versuchte, die kleine Mißstimmung, die ihr das eigene Spiegelbild zugefügt hatte, wieder loszuwerden.

»Guten Morgen, Frau Bauer, Sie scheinen ja gut geschlafen zu haben!«

Sie drehte sich um, Markus Bacher stand in der Tür zur Küche. »Tee, Kaffee, was darf ich Ihnen bringen? Spiegelei mit Speck? Oder lieber kleine Pfannkuchen mit Marmelade?«

»Wie bitte?« Hella mußte nachfragen. »Bin ich nicht viel zu spät, es ist doch schon weit nach zehn?«