Zum Autor

Wolfgang Hermann, geboren 1961 in Bregenz, studierte Philosophie und Germanistik in Wien. Lebte längere Zeit in Berlin, Paris und in der Provence sowie von 1996 bis 1998 als Universitätslektor in Tokyo. Zahlreiche Preise, u. a. Anton-Wildgans-Preis 2006, Förderpreis zum Österreichischen Staatspreis 2007; zahlreiche Buchveröffentlichungen, unter anderem Abschied ohne Ende (2012), Die Kunst des unterirdischen Fliegens (2015) und Herr Faustini bleibt zu Hause (2016). Bei Limbus: Paris Berlin New York (erstmals erschienen 1992, Neuauflage 2008, als Limbus Preziose 2015), Konstruktion einer Stadt (2009), Schatten auf dem Weg durch den Bernsteinwald (2013), Die letzten Gesänge (2015) und Das japanische Fährtenbuch (2017).

 

 

© 2017 Limbus Verlag

ISBN 978-3-99039-107-5

www.limbusverlag.at

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Johanna Rüdisser

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Reinhard Kaiser-Mühlecker

Zu Wolfgang Hermanns Japanischem Fährtenbuch

 

 

 

Es fällt mir nicht leicht, etwas, und sei es nur wenig, zu Wolfgang Hermann zu schreiben. Vor allem fällt es mir deshalb nicht leicht, weil ich ihm – nicht bloß als einer, der schreibt, aber auch das – sehr viel verdanke. Und während Dankbarkeit andere zum Reden bringt, lässt sie mich verstummen. Und da soll ich der Richtige sein für die Aufgabe, ein Nachwort zu verfassen?

Wolfgang Hermanns Arbeit, nicht nur ein einziges Buch, sondern eine ganze Reihe von Texten, zu entdecken, war für mich etwas Bedeutendes, etwas Entscheidendes. Ich war Anfang zwanzig, hatte selbst vor wenigen Jahren zu schreiben angefangen, und wenn ich nicht schrieb, war ich in einem fort auf der Suche nach – wonach? Es war, glaube ich, Juli, als ich auf ihn kam. Wahrscheinlich war es warm. Jedenfalls, das weiß ich noch, gab es keinen Regen. Zumindest nicht an dem Tag, an dem ich das erste Hermann-Buch aus dem Regal der städtischen Bibliothek zog und dorthin trug, wo ich damals wohnte. Helles Licht in der schmalen Straße, auf die die beiden Fenster meiner Erdgeschoßwohnung gingen. (Denn ich glaube jetzt, dass es ein sehr verregneter Sommer war.) Und ich rauchte noch.

Monate später, nach einer ersten persönlichen Begegnung in Deutschland, schickte er mir diejenigen seiner Bücher, die vergriffen waren und auch in der Bibliothek nicht zu haben waren, beziehungsweise von denen ich nichts gewusst hatte, darunter das vorliegende. Es ist schmal, umfasst ungefähr hundert Seiten. Ich habe es im Lauf der Jahre mehrmals gelesen, und wenn ich jetzt daran denke und mich an einzelne Passagen erinnere, bin ich mir nicht ganz sicher, ob sie tatsächlich aus diesem Buch stammen; schon daran kann ich sehen, wie sehr die Prosa von Hermanns ersten beiden Veröffentlichungsjahrzehnten eine Einheit, ein, wie mir vorkommt, fast unauflösbares Ganzes bildet.

Manche Autoren prägen einen, und man merkt es unter anderem daran, dass man Dinge mit ihnen in Verbindung bringt. Höre ich Südstaaten, denke ich an William Faulkner und Carson McCullers; höre ich Journalismus, denke ich nicht zuerst an eine bestimmte Zeitung, sondern an Hjalmar Söderberg; denke ich an eine verschneite Landschaft, fallen mir Stifter und Tolstoi ein – und so könnte ich nicht ewig, aber noch eine Zeitlang weiter aufzählen, bis hierher: Denke ich an die Stadt, keine bestimmte, die Stadt an sich, auch das Leben in der Stadt, das mir nie selbstverständlich geworden ist, denke ich unweigerlich an die Bücher von Wolfgang Hermann. Er, in Dornbirn geboren und aufgewachsen, ist ein Schriftsteller der Stadt, genauer der Großstadt, ein Schriftsteller der Metropole als Wesen, als Organismus, den er als je eigen atmendes und pulsierendes Wesen betrachtet, wahrnimmt und beschreibt – und, bilde ich mir ein, liebt. Manchmal werden beim Lesen von Hermanns Stadt-Büchern auch mir diese Orte zu etwas Liebenswürdigem, Liebenswertem, immer aber werden sie mir zu etwas Gegenwärtigem, Bekanntem, sogar die namenlosen.

Stadt als Raum der Verwandlung. „Tägliche Verwandlung: Morgens die nüchternen Gesichter, die ausdruckslos zur Arbeit fahren; abends, nach zehn, überall gerötete Augen, Sake-Dunst, enthemmte Gesten.“ Oder anders: „In einer großen Stadt [gibt es] die anderen Farben […], in die du an jeder Ecke gehst, Fremdheits- und Vertrautheitsfarben, die einen von Schritt zu Schritt in andere Leben führen.“ Und ganz handfest: „Aber ich war nicht mehr der, der die Stadt vor zwei Jahren verlassen hatte […] Die Städte […], sie haben mich verwandelt.“ Nur den Blick verwandeln sie nicht; er bleibt immer gleich – auch im, wie hier und in noch einer Handvoll weiterer Veröffentlichungen (In Wirklichkeit sagte ich nichts oder Fliehende Landschaft), fremden Kulturraum. Der fast zwanghaft alles gleichzeitig wahrnehmende Blick eines Naturmenschen und Überall-Fremdlings, der zugleich überall zu Hause sein will.

Ja, und Stadt auch als ein – oder etwa der einzige? – Ort der Begegnung und der Sehnsucht oder der zusammenfindenden oder nicht zusammenfindenden Sehnsüchte und der Liebe. Ort der Möglichkeit zur Liebe. Der Mensch ist in Wolfgang Hermanns Büchern, und zwar bis heute, einer, der liebt, oder, wenn er es nicht kann, lieben möchte. (Und zwischen all den Sätzen scheint mir immer wieder dieser zu stehen: Geduld!, das Leben ist lang …)

Das Erzählen, zumindest das zusammenhängende, ist in dem vorliegenden Band trotz mancher Andeutung in weiter Ferne. Es sind Beobachtungen, Betrachtungen, Reflexionen, kleine Geschichten, die sich selbst genügen, abgeschlossen dastehen. Kein um-zu. Das Erzähler-Ich wird zu -Er und wieder -Ich. Es spielt keine Rolle, heißt das, wer hier schreibt. In dieser Zurücknahme zeigt sich mir das Können; was so entsteht, ist das genaue Gegenteil von eitler Prosa. Auch wegen all dem ist wohl das erste Wort, das mir immer dazu einfällt, Reinheit oder Klarheit: Perfekt stehen die Sätze da, perfekt kommen sie daher, in einer Weise aufrecht, ja erhaben, wie sie mir einzigartig erscheint.

 

Januar 2017