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META OSREDKAR

Hochwürden stirbt grausam

Aus dem Slowenischen
von
Metka Wakounig

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Die Übersetzung dieses Werkes wurde gefördert durch die
Slowenische Buchagentur JAK sowie durch ein Arbeitsstipendium
der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes Österreich.

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A-9020 Klagenfurt/Celovec, 8.-Mai-Straße 12
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Copyright © dieser Ausgabe 2017 bei Wieser Verlag GmbH,
Klagenfurt/Celovec
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Dr. Carsten Schmidt
ISBN 978-3-99029-251-8
eISBN 978-3-99047-094-7

Inhalt

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

Epilog

Prolog

Eines sonnigen Sommermorgens, als verspielte Wolken sorglos über den Himmel zogen und niemand auch nur zu träumen gewagt hätte, welche finsteren Mächte in der Nacht in Šmihelska vas am Werk gewesen waren, band sich Frau Mica Lukež, genannt Alešovec-Mutter – obwohl schon Ende Juni – ihr bestes Kopftuch um und machte sich auf den Weg zum Pfarrhaus. Sie hatte es nicht weit, vielleicht knapp fünfzig Meter, doch leider waren Micas beste Jahre schon länger vorbei und das Atmen fiel ihr schwer, um von den höllischen Schmerzen, die ihr ihre Hüften bereiteten, ganz zu schweigen. Völlig außer Atem blieb Mica also vor der massiven dunkelbraunen Tür stehen und läutete. Niemand antwortete.

Frau Mica wartete ein paar Minuten und läutete noch einmal. Als wieder nichts geschah, läutete sie Sturm – sie wollte die Kirchenzeitung Družina1 holen und dieses andere Ding … wie sagt man noch? Eine CD, genau. Mit den schönsten Slomšek-Liedern. Und mit leeren Händen würde sie ganz bestimmt nicht nach Hause gehen.

Mica seufzte. Aus dem Pfarrhaus war noch immer kein Laut zu hören. Als wären der Herr Pfarrer nicht da; aber er hatte ihr doch gestern gesagt, dass er daheim sein würde, sie solle ruhig vorbeikommen. Zerstreut drückte sie die Klinke nach unten und die Tür gab zu ihrer Überraschung nach. Mica hielt kurz inne. Dann aber blickte sie verstohlen um sich, und als sie sah, dass niemand sie beobachtete – diese Schlussfolgerung war völlig falsch, denn sie hatte Matičet Francka übersehen, die ihr von hinter der Friedhofsmauer nachspionierte –, griff sie erneut nach der Klinke und machte die Tür weit auf. Die Klinke war alt, schwer, schmiedeeisern, so eine, wie sie in Kropa hergestellt und verschenkt werden, zu symbolischen Preisen oder ein paar Hundert Euro, und zwar nur an Stammkunden beim Kauf von äußerst wertvollen und vollkommen unnützen schmiedeeisernen Felgen für Audis. Natürlich lautet das schönere Wort für Felge »Radkranz«. Aber wer, liebe Leute, wer sagt schon Radkranz?

Frau Mica ging den Flur entlang und fragte sich, wie jedes Mal, wofür diese großen Metallteller an der Wand gut waren. Der Pfarrer war nicht in seinem Büro. Sie ging weiter in die Küche und erblickte am Tisch einen Teller mit halb verfaultem Obst, das munter von Ungeziefer umkreist wurde. Daneben stand ein Korb mit Brot, auf dem unedler Schimmel prangte. Das waren die Spuren der Jause, mit der der Pfarrer vergangenes Wochenende die Ministranten bewirtet hatte, die beim Dekanatsministrantenquiz über den seligen Anton Martin Slomšek gewonnen hatten.

»Ach, der Ärmste«, murmelte die Alešovec-Mutter beim Anblick der Abfälle, die irgendwo zwischen bio und toxisch einzuordnen waren, »so ist das, wenn man keine Köchin hat.«

Mica stieg, ihren Hüften zum Trotz, die Treppe hinauf. Vielleicht sind Hochwürden in der Bibliothek. Vor der Tür blieb sie stehen, um zu Atem zu kommen. Dann trat sie ein. Die Bibliothek war leer. Hochwürden sind anscheinend wirklich nicht zu Hause, schlussfolgerte Mica. Wahrscheinlich musste er schnell wohin, und verwirrt, wie er ist, hat er wohl vergessen, die Tür abzuschließen.

Die Alešovec-Mutter wollte schon zurück ins Erdgeschoß, als ihr auffiel, dass eine Tür auf der anderen Seite des Flurs halb offenstand. Sie schielte hinein. Dem Anblick nach zu urteilen, der sich ihr eröffnete, hatte sie die Garderobe des Pfarrers vor Augen. Zuerst erschrak sie ein wenig, doch die Neugier war stärker. Sie dachte daran, dass noch keine ihrer Freundinnen jemals so tief in den Eingeweiden des Pfarrhauses von Šmihelska vas gewesen war. Wenn sie schon so weit gekommen war, konnte sie zumindest die Garderobe gründlich unter die Lupe nehmen. Über diese Garderobe kursierten im Dorf die wunderbarsten Legenden. Als der jetzige Pfarrer seinen Dienst in Šmihelska vas angetreten hatte, stellte er im Schlafzimmer zuerst ein großes, einem futuristischen Sarg ähnliches Solarium auf, weswegen er in der ganzen Diözese und darüber hinaus in aller Munde war. Gleich darauf hatte er sich der Garderobe gewidmet. Die Stimme des Volkes wusste natürlich zu erzählen, dass dort zwölf Pelzmäntel hingen, einer pro Apostel. Die Stimme des Volkes neigte höchstwahrscheinlich zu Übertreibungen, denn verlässliche Zeugen hatten den Pfarrer bisher in vielleicht drei oder vier dieser Mäntel gesichtet. Der exquisiteste war aus den Fellen junger Eichhörnchen gefertigt und wurde nur zu Weihnachten und am Stefanitag getragen. Man muss hinzufügen, dass solcherlei Geschichten den Bewohnern von Šmihelska vas zuerst viel zu absurd schienen, um sie zu glauben. Später aber wurde dieser Glaube vertieft und bestärkt.

Mica blieb stehen und sah sich ehrfürchtig um. Sie sah zwar keine Mäntel, da sie über den Sommer sorgfältig verräumt waren, doch gegenüber der Tür prangte ein edles Kardinalsgewand, das sich Hochwürden unlängst in Rom bestellt hatten, für alle Fälle. Mica verlor sich in der Bewunderung der schweren Seide und in der Suche nach einem Fehler, um die Schneiderin zu tadeln und in sich hinein zu murren, dass sie es besser könnte. Sie kam erst wieder zu sich, als sie einen Geruch wahrnahm. Den Geruch nach Verbranntem.

Argwöhnisch ging Mica zur Tür ins Schlafzimmer, von wo der Geruch kam, wie ihr schien. Dort blieb sie wie angewurzelt stehen. Was ist das da am Boden, schwarz und einem Föhn ähnlich? Es erinnerte sie an die Bohrmaschine, mit der ihr verstorbener Gatte einst den Nachbarn attackierte, als sie wegen einer Sau gestritten hatten, die in den Klee entwischt war. Daraufhin musste Zupan Franci, der als Erster im Dorf einen Wagen der Marke Fičo besaß, den Nachbarn in die Notaufnahme fahren, wo er genäht wurde. Er war schon jähzornig gewesen, ihr verstorbener Berti. Darum hatte er ja auch so früh das Zeitliche gesegnet, zwanzig Jahre waren es nun schon, aber Mica trug seitdem nur Schwarz und war unbeschreiblich stolz darauf.

Aber was machte eine Bohrmaschine in der Garderobe des Pfarrers? Wenn es was zu reparieren gäbe, würden Hochwürden doch die Handwerker rufen, so wie immer. Und wieso ist die Bohrmaschine mit irgendeinem roten Zeug beschmiert? In Mica regten sich böse Ahnungen, die aber immer noch recht vage waren. Ihr Blick wanderte auf das gebohnerte Parkett und sie sah, dass die Tröpfchenspur von der Bohrmaschine zur Schlafzimmertür verlief. Sie folgte ihr. Die Tropfen setzten sich bis zu dieser riesigen Truhe fort, die Hochwürden zum Bräunen hatten, oder was auch immer das war. Mica holte tief Luft und ging weiter.

Die Truhe fürs Bräunen leuchtete blau und summte leicht. Mit zittrigen Beinen ging Mica ein paar Schritte auf sie zu. Sie sah, dass der Deckel auf einer Seite nicht ganz verschlossen war. Als sie sich bückte, spürte sie einen starken Schmerz im Kreuz, aber sie kümmerte sich kaum darum, so sehr pochte ihr Herz und so viel Adrenalin wogte durch ihre Adern. Und da erblickte sie im Solarium das knusprig braune Gesicht des Pfarrers, mit Lippen, die – so schien ihr – in einem verzweifelten, zum Scheitern verurteilten Versuch zu sprechen erstarrt waren.

Mica brach ohnmächtig auf dem glänzenden Parkett zusammen.

Die Leiche klebte wegen des vielen geronnenen Blutes an der Liegefläche des Solariums fest. Sie war medium bis gut durch.

1 Familie

1. Kapitel

Inspektor Bojan Kos saß in seinem Büro in der Polizeiinspektion in Novi trg bei Ig und steckte mitten in einer Midlife-Crisis. Diese hatte beschlossen, Kos – der schon gefährlich nahe an der Fünfzig war – ganz besonders auszulaugen. Das merkte man ihm an. Das hellbraune Haar wurde langsam schütter und grau. Er kam unrasiert zur Arbeit – zumindest sah es so aus. In Wirklichkeit rasierte sich Kos jeden Morgen mindestens zweimal. Aber es nützte nichts. Er sah noch immer stoppelig, verwahrlost und unausgeschlafen aus. Hatte er einst eine Packung Zigaretten pro Tag geraucht, so hatte sich diese Menge in der letzten Zeit nahezu verdoppelt, und den Gedanken, aufzuhören, hatte er schon vor geraumer Zeit resigniert aufgegeben.

Wie zum Trotz brachte das böse Schicksal den gutgelaunten Edi an der offenen Bürotür vorbei. Dieser hatte vor nicht ganz einem Jahr bei der Polizei angefangen, sofort nach seinem Psychologiediplom. Er trug ein Buch so harmlosen Aussehens bei sich, dass es sich keinesfalls um Fachliteratur handeln konnte.

»Oh, Chef!«, rief Edi freundlich. »Bedrückt Sie was? Sie sehen aus, als hätte Sie ein Panzer überfahren.«

»Nein, nein, nicht doch, Kollege Čeh, alles in Ordnung«, versicherte Kos wenig überzeugend.

»Ach, kommen Sie.« Edi war schon im Büro, auf halbem Wege zu Kos’ Schreibtisch. »Mir können Sie’s doch sagen.«

»Ach, nein, nein, es ist nichts«, winkte Kos mit jämmerlichem Blick ab, der nicht einmal ein schläfriges Kind getäuscht hätte.

»Ich bin doch dafür da, um Ihnen zu helfen!«, rief Edi, als wäre er ein amerikanischer Pop-Prediger auf einer Tournee durch Texas. »Dafür bezahlt mich der Staat schließlich. Von Ihren Steuern.«

Die letzten Fünkchen von Kos’ Stolz erloschen langsam. Noch vor einigen Monaten hätte sich Kos allein bei dem Gedanken selbst geohrfeigt, seine persönlichen Leiden vor diesem milchgesichtigen, kleinen, sommersprossigen Rotzlöffel auszubreiten. Doch diesen alten Kos gab es nicht mehr. Er war in die mittleren Jahre gekommen. Und er erinnerte sich an einen Artikel aus der Tageszeitung Delo, die der Kommandeur an das Schwarze Brett gepinnt hatte. Polizeibeamte müssen Stresssituationen angemessen verarbeiten, lautete die Schlagzeile. Es ist wichtig, die Mitarbeiter zu motivieren, dass sie über ihre Probleme sprechen und dies nicht länger als ein Tabuthema behandeln, stand geschrieben.

»Kollege Čeh, in letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass ich verfalle«, begann er. Edi nickte ermutigend. »Mein Bauch wird größer und größer. Allein seit dem ersten Mai habe ich vier Kilo zugenommen. Ich hatte schon seit dem dreizehnten Dezember keinen Sex mehr.«

Das letzte Geständnis war dem Inspektor wie von selbst aus dem Mund gerutscht, gegen seinen Willen. Er wusste nicht, ob er sich deswegen besser oder dümmer fühlen sollte. Über Edis Gesicht legte sich kurz Entsetzen, doch er tauschte es sofort gegen einen Ausdruck vollsten Verständnisses und bedingungslosen Mitgefühls, das den Inspektor zu weiteren Enthüllungen dunkler Geheimnisse seines Privatlebens anspornen sollte.

»War dieser dreizehnte Dezember ein Freitag?«, fragte Edi.

»In der Tat.«

»Aha.«

»Ist das wichtig?«

»Überhaupt nicht.«

»Ich glaube, meine Frau betrügt mich«, gestand Kos nach kurzem Kampf mit sich selbst. »Naja, eigentlich weiß ich es. Ich habe sie mit ihrem Liebhaber erwischt. Ich wollte ihn erschießen, aber alles, was ich zusammenbrachte, war, ihm einen Kaffee anzubieten.« Kos schüttelte den Kopf und streifte seine Dienstwaffe mit einem traurigen Blick. Edi nickte ernst.

Kos hatte das Gefühl, eine schwere Last abgelegt zu haben. Die Worte sprudelten jetzt nur so aus ihm heraus. »Vlasta … Vlasta respektiert unseren Beruf nicht. Sie bevorzugt die Gesellschaft von Geschäftsmännern und Prominenten … Und jetzt ist sie zu diesem Musikproduzenten gezogen …« In Kos’ Stimme lag so viel Ekel und Verachtung, dass sich die Vorhänge bewegten, und Edi zuckte zusammen und wechselte voll Unbehagen den Platz. Kos starrte nachdenklich auf das Mousepad, von dem ihn ein Hundeführer etwas unheimlich angrinste.

»Zum Musikproduzenten? Das ist derselbe, dem Sie Kaffee angeboten haben, wenn ich Ihnen richtig folge?«

Kos nickte finster. »Finden Sie nicht, Kollege Čeh, dass wir Polizisten früher viel mehr geschätzt wurden? Damals, als ich meinen Dienst antrat, war es sicher so. Damals waren wir noch Milizionäre.«

»Damals, als Sie angefangen haben zu arbeiten, war ich noch gar nicht auf der Welt. Ich kann mich aber daran erinnern, wie mir mein Großvater später viele Polizeiwitze erzählt hat. Heute hört man kaum noch welche.«

Kos fühlte sich plötzlich wirklich alt.

»Haben Sie die Scheidung eingereicht?«, fragte Edi.

Kos schüttelte den Kopf.

»Es hat keinen Sinn, sich selbst zu belügen«, zuckte Edi die Achseln. »Ihre Ehe ist ruiniert und Sie sind nun mal in einem Alter, in dem man das physische Optimum überschritten hat. Es geht nur noch bergab.« Kurzes Schweigen. »Kein Wunder, dass Sie sich fühlen, wie Sie sich fühlen.«

Kos wollte etwas sagen, hatte aber vergessen, wie man das tat.

»Midlife-Crisis. Erwartet uns alle. Beziehungsweise nein, seien Sie sich lieber im Klaren darüber, dass Sie Glück haben. Ein Großteil aller Menschen, die je gelebt haben, hatte nie die Gelegenheit, eine Midlife-Crisis zu erleben. Weil sie schon vorher von der Tuberkulose oder der Syphilis dahingerafft wurden. Oder von beidem. Ist das nicht großartig? Dass Sie in der Krise stecken, meine ich, wenn man es so betrachtet.«

Kos schien es nicht gerade großartig, aber dank Edis Worten genierte er sich doch ein wenig. Einem echten Mann steht es schließlich wirklich nicht, so über Dinge zu jammern, die unvermeidbar sind im Leben.

Edi lächelte ihm aufmunternd zu und war im nächsten Moment schon verschwunden. Doch gleich darauf steckte er seinen Kopf wieder durch die Tür.

»Wenn Sie zu einem meiner Privatkollegen gehen«, sagte Edis Kopf von der Tür aus, »wird er Ihnen geneigt zuhören und Ihnen sagen, wie Sie sich fühlen. Was Sie aber selbst nur zu gut wissen. Was er Ihnen Nützliches erzählen würde, kann auch ich Ihnen in drei Sätzen sagen, und das umsonst. Rauchen Sie weniger. Machen Sie mehr Sport. Und lassen Sie sich, um Gottes willen, endlich von dieser Vlasta scheiden!«

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Edi kam gutgelaunt zum Diensthabenden am Empfang angetänzelt, der nach einer schlaflosen Nacht entsprechender Laune war. »Du brauchst auch Hilfe, was, Vinko?«, sagte er mit der freundlichen Stimme eines Pfadfinders, der beschlossen hatte, an diesem Tag die Welt zu retten.

Vinko hob den Kopf, sah Edi und murrte: »Wage es ja nicht, Čeh.«

»Dann eben ein andermal«, winkte Edi ab, setzte sich in einen Plastikstuhl, schlug sein Buch auf und begann zu lesen. »Falls mich wer braucht, bin ich im Büro«, sagte er.

Vinko war nicht grundlos schlechter Laune. Er hatte eine harte Nacht hinter sich. Kurz vor Mitternacht – Oder war es kurz vor eins? – waren drei richtig schön bediente junge Leute in den Empfang gestürmt und hatten behauptet, sie seien ein Gesangschor. Sie wollten ihm etwas von diesem Mozart vorsingen, dem mit den Kugeln, bekamen aber keine Intonation zusammen. Schließlich hatten sie ihm Pozimi pa rožice ne cveto2 vorgesungen. Ungefähr fünfeinhalbstimmig. Vinkos Unterkiefer zitterte. Bevor sie gingen, hatten sie lachend zu ihm gesagt: »Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.« – »Nein«, hatte Vinko entschlossen versichert, »tun wir nicht.« Wenn er sich da mal nicht täuschte.

Jetzt dauerte es nur noch eine halbe Stunde, bis er nach Hause gehen und in seinen wohlverdienten Schlaf fallen konnte. Da klingelte das Telefon.

»Polizei«, bellte er und horchte, was der Nichtsnutz zu sagen hatte.

»Verarschen kann ich mich selber.« Vinko knallte den Hörer zurück aufs Telefon und gähnte wie ein Nilpferd. Da erschien Inspektor Kos, der sich gerade genug erholt hatte, um sich zum Kaffeeautomaten begeben zu können.

Vinko nickte Kos müde zu und hatte den Mund soeben halb geöffnet, um etwas Nettes zu brummen, als das Telefon erneut klingelte. »Sapperlot!«, sagte Vinko. »Sie schon wieder?«

Im Hörer sagte jemand etwas.

»In Ordnung, in Ordnung«, seufzte Vinko. »Was ist denn los?«

Vinkos Augenbrauen sträubten sich stark. »Die Nachbarin raubt das Pfarrhaus aus. Sie verscheißern mich.«

Der Hörer sagte wieder etwas. Es konnte nicht gerade etwas Schönes sein, denn Vinko begann so zu fluchen, dass wir das an dieser Stelle nicht erwähnen wollen. Der Fluch beinhaltete jedenfalls Blut und ein Brett. Dann legte er auf.

»Was ist passiert?«, wollte Kos wissen, der, immer noch schwer deprimiert, das Gebräu im Plastikbecher beschnüffelte.

»Eine alte Schachtel aus Šmihelska vas behauptet, dass ihre Nachbarin in diesem Moment das Pfarrhaus ausraubt.«

»Und wer ist diese Nachbarin?«

»Die achtundachtzigjährige Alešovec-Mica.«

»Nein, die Einbrecherin.«

»Ja, die meine ich.«

Kos zog die Augenbrauen hoch und trank den Kaffee in einem langen Zug aus. Er konnte nicht wissen, dass sich Mica Lukež, die wir schon kennengelernt haben, am Vortag mit ihrer Freundin, Matičet Francka, zerstritten hatte. Francka hatte am Morgen hinter der Friedhofsmauer beobachtet, wie Mica das Pfarrhaus betreten hatte, und um sie vor dem ganzen Dorf bloßzustellen, rief sie die Polizei und zeigte die Alešovec-Mutter an, dass sie uneingeladen ins Pfarrhaus eingedrungen war, und zwar, wie sie unschuldig hinzufügte, ganz bestimmt nicht mit redlichen Absichten.

»Ich schicke die beiden Jungspunde hin. Die sollen sich ein bisschen die Beine vertreten«, sagte Kos. Vinko nickte und Kos beäugte gierig seine Zigarette, rollte sie zwischen den Fingern hin und her und erinnerte sich nostalgisch an die Zeiten, als er noch Milizionär war und man in der Polizeiinspektion rauchen durfte. Vinko tippte eine interne Nummer ins Telefon und reichte es Kos.

»Toni, komm mit Anja her. Wir haben eine Anzeige reinbekommen, dass irgendeine Großmutter ins Pfarrhaus in Šmihelska vas eingebrochen ist. Schaut euch das mal an.«

»Ach, du machst dich also gerade auf den Heimweg, weil du dich schon in der Nacht im Gebüsch versteckt und Alkotests gemacht hast?« Kos zog die Brauen hoch und seine Stimme sank um eine halbe Oktave. »Glaubst du etwa, mich interessiert das? Wir sind unterbesetzt. Wenn du nicht gehorchst, gehst du nächstes Mal mit Edi auf Patrouille. Die ganze Woche lang!«

Edi hob den Blick kurz vom Buch und verzog seine Lippen zu einem bösartigen Grinsen.

»Du bist also kein Kriminalist? Pass auf, Toni, eine demente Alte nach Hause zu begleiten, würde sogar unser Staatsanwalt zusammenbringen. Und jetzt keine Diskussion mehr!«

Toni protestierte anscheinend nicht mehr. Kos legte das Telefon aufs Pult und stapfte, wütend in sich hinein murmelnd, zurück zu seinem Büro. »Einmal Verkehrspolizist, immer Verkehrspolizist«, hörten Vinko und Edi noch, bevor die Tür hinter dem Inspektor ins Schloss fiel.

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Das idyllische Dorf Šmihelska vas lag in der Nähe von Ljubljana; an der Straße, die Ižanka mit dem nicht so idyllischen Novi trg bei Ig verband. Die große Straße, wie ältere Generationen sie nannten. An ihr standen dicht gedrängt die Häuser des alten Stadtkerns, und dort befanden sich auch die wichtigsten Gebäude des Dorfes, das Gasthaus und das Feuerwehrhaus. Ein Stück weiter lagen das Lebensmittelgeschäft und die Post und anschließend die Schule. Das stellte eine kleinere Problemquelle dar, denn im Gasthaus wurden gern alkoholische Getränke an Unter-Vierzehnjährige ausgeschenkt.

Von der Hauptstraße zweigte mitten im Dorf eine kleinere Straße nach Süden ab, die nach guten hundert Metern zur Kirche führte und auf der anderen Seite irgendwo bei einem Bauernhof endete, von wo aus ein sehr schlechter Fahrweg durch die Wälder verlief. Die Kirche, mit der sich Šmihelska vas rühmte, war altertümlich und dem Erzengel Michael geweiht, und die Lokalpatrioten wollten in ihr eine Urpfarrkirche sehen und ließen sich dabei nicht sonderlich von Historikern stören (Ach, was denn für eine Urpfarre, um Himmels willen, jetzt hören Sie doch auf!).

Die Kirche war wirklich altertümlich, war im Laufe der Zeit jedoch zweimal renoviert worden, das erste Mal im Barock, als die Menschen der Meinung waren, dass die Engelsstatuen zu wenig golden und die Teppiche nicht scharlachrot genug seien. Das wurde rasch repariert. Ob die neue Kirche gefälliger war als die alte, ist natürlich eine Frage von Diskussion und künstlerischem Geschmack, auf jeden Fall aber wäre die renovierte Kirche ganz nach dem Geschmack jenes Pfarrers, der ein gutes Vierteljahrhundert später dort einziehen sollte, jenes Pfarrers, von dem bereits kurz im Prolog die Rede gewesen ist, falls Sie sich erinnern. Die alte Holzstatue des heiligen Michael, die damals noch im Hauptaltar stand, hatte es ganz gut erwischt, da nur ihr Umhang und die Flügel vergoldet wurden.

Zum zweiten, größeren Eingriff kam es, als die Kirche während des Krieges von einer Granate getroffen wurde – von dem Ereignis zeugen nur mündliche Quellen, und manche behaupten, dass ein Blitz in den Gottestempel einschlug, weil der Pfarrer Umgang mit den Partisanen pflegte – und das Loch in der Wand geflickt werden musste. Bei dieser Gelegenheit wurde an der Stelle des geflickten Lochs ein Baptisterium errichtet, und im Eifer der Renovierung bekam die Michaelsstatue einen neuen Platz über der Kanzel, und für den Hauptaltar bestellte man ein neues Gemälde bei dem damals sehr beliebten Dorfmaler. Warum der Blitz damals kein zweites Mal in die Kirche einschlug, weiß niemand, nicht einmal böse Zungen.

Die Kirche war auf zwei Seiten vom Friedhof umgeben, um den eine Steinmauer verlief, und danach erstreckten sich nach Osten hin Wiesen und Wälder. Südlich der Kirche stand das Pfarrhaus, und dazwischen war ein gepflasterter Platz mit einem Springbrunnen. Hinter dem Pfarrhaus lag noch der Parkplatz, und auf der anderen Straßenseite stand ein altes Haus, in dem die Rentnerin Mica Lukež, vulgo Alešovec-Mutter, wohnte. Neben Micas Haus stand die zweihundert Jahre alte Kaplanei, in der sich vor dem Krieg die Volksschule befunden hatte, bevor sie zu Religionsunterrichtsräumen umfunktioniert worden war.

Im Pfarrhaus herrschte an jenem schönen Sommermorgen das Chaos. Die Polizistin Anja hockte auf dem Boden und nahm sich mit Erste-Hilfe-Grundlagen gerade Frau Mica vor, die noch immer bewusstlos war und von der sie annahm, dass ihre – im Gegensatz zu der des Typen im Solarium – Chancen ganz gut standen. Der Polizist Toni taumelte um das Solarium herum und versuchte, beim Anblick der knusprigen Kruste auf dem Gesicht des Pfarrers nicht ohnmächtig zu werden. Nach der dritten Runde schaffte er das nicht mehr. Mit schlotternden Knien schleppte er sich aus dem Schlafzimmer und erreichte durch die Garderobe gerade noch das Badezimmer, wo er neben der Toilette zu Boden sank. Seine verschwitzte Hand griff nach dem Toilettenpapierhalter, der an einer äußerst praktischen Stelle angebracht war, und er erbrach sich in die Schüssel.

Anja hatte gerade festgestellt, dass die bewusstlose alte Dame atmete und ihr Herz schlug, dass sie sich beim Fall jedoch den Kopf gestoßen hatte und leicht blutete. Sie drehte sie auf die Seite und lief ins Bad, um Verbandszeug zu holen, und rief gleichzeitig: »Rufen Sie den Krankenwagen!« Das galt der Nachbarin Francka, jener, die vom Friedhof aus spioniert und daraufhin nach Hause geeilt war, um einen mutmaßlichen Einbruch anzuzeigen. Jetzt stand sie neben der Tür und wiederholte wichtig: »Ich hab’s Ihnen ja gesagt, aber Sie wollten nicht kommen. Und jetzt sind Sie zu spät.« In Wahrheit war es so, dass – wie wir bereits gesagt haben – Francka ganz genau wusste, dass Mica die Družina und diese neue Slomšek-CD holen und wahrscheinlich noch die Messe zahlen und sich vielleicht noch ein bisschen darüber unterhalten wollte, mit welchen Blumen die Kirche zum Peter-und-Paul-Feiertag geschmückt werden würde.

Frau Francka trödelte noch eine Weile, denn ihr war nicht im Geringsten danach, ins Büro zu gehen, wo es doch im Schlafzimmer so interessant und gesellig war. Da entdeckte sie auf dem Nachtkästchen ein Mobiltelefon. Sie ging näher, doch das Telefon war von einer anderen Marke als jenes zu Hause, das sie nur mit den Kurzwahltasten bedienen konnte. Die Eins für ihre Tochter, die Zwei für den Sohn, die Drei für den Arzt, die Vier für den Pfarrer … Mürrisch drehte sie das Telefon in ihren Händen hin und her.

»Wissen Sie, Fräulein, ich kenne mich überhaupt nicht aus mit diesem modernen Zeug«, wandte sie sich mit vorwurfsvoller Stimme an Anja, die mit dem Erste-Hilfe-Kasten, den sie im Badezimmerschrank gefunden hatte, ins Schlafzimmer zurückgekommen war. »Rufen Sie lieber dort an.«

»Eins eins zwei, und dann auf den Hörer drücken.«

»Ja, ich drücke ja drauf.« Francka schüttelte den Kopf und meinte, das Telefon sei bestimmt kaputt.

»Den Knopf mit dem grünen Hörer!« Anja verlor dank Frau Francka die Nerven, überließ ihre bewusstlose beste Freundin dem Schicksal und den Schutzengeln und rief völlig außer Atem selbst Krankenwagen und Verstärkung.

2 Im Winter blühen keine Blumen

2. Kapitel

Eine knappe Viertelstunde später standen die Planeten vor dem Pfarrhaus wieder in einer Reihe; fast zeitgleich quietschten die Reifen des Krankenwagens, des Polizeikombis, aus dem ein Trupp Polizisten sprang, eines Fahrrads, von dem Edi abstieg, und des glänzenden, fast neuen Polizeipassats, aus dem Inspektor Kos und sein Assistent Simon Kovačič kletterten. Kurz nach ihnen allen parkte noch die Pathologin Jana Zorman ihren silbernen Clio. Die Polizisten umstellten das Gebäude und bahnten sich den Weg zum Schlafzimmer. Frau Francka murrte noch immer, und einer der Polizisten, der keinen Respekt vor den Älteren hatte, brüllte sie grob an und drohte ihr mit dem Knüppel, zumindest erzählte Francka das später.

Die Rettungskräfte trugen Frau Mica davon und halfen Toni an die frische Luft. Die Polizisten sicherten den Tatort ab. In der oberen Etage begannen Inspektor Kos, Jana Zorman und Simon Kovačič mit der Untersuchung des Mordschauplatzes.

»Fräulein Zorman, wie lange ist er schon tot?«, fragte Inspektor Kos.

»Seit etwa sieben, acht Stunden, Herr Inspektor.«

Jana ging um das Solarium herum, öffnete und schloss unentwegt ihren Mund, entsetzt über die Grauenhaftigkeit des Mordes und begeistert von der Faszination des Falles. Es war noch nicht lange her, seit sie nach abgeschlossener Spezialisation die Stelle in Novi trg angetreten hatte; dieser Mord war ihr erster. Aber sie war schon gut bekannt mit den Polizisten, da sich in diesen paar Monaten eine hübsche Zahl an Bürgern aufgehängt hatte. Dabei ist noch gar nicht Selbstmordsaison, dachte Jana. Was wird da erst im Winter zu den Feiertagen los sein?

Ins Schlafzimmer platzte Edi, der sich verspätete, weil er Matičet Francka ein therapeutisches Gespräch angeboten hatte. Matičet Francka hatte lieber beschlossen, dass auch sie sich unwohl fühlte und etwas Zeit brauchte, um zu sich zu kommen.

Edi sah sich am Schauplatz des Verbrechens um. »Es war eine Frau. Hundertprozentig.«

Inspektor Kos zog ein Diktiergerät aus der Hosentasche und begann: »Die Leiche weist sichtbare Verletzungen am ganzen Körper auf. Alles deutet darauf hin, dass sie mit einer Bohrmaschine der Marke Black & Decker zugefügt wurden. Der Mörder hat das Werkzeug am Tatort zurückgelassen. Und das Opfer im eingeschalteten Solarium.« Er musste kurz innehalten, so bizarr war das Ganze.

»Was machen Sie hier, Čeh? Niemand hat Sie gerufen«, blaffte er Edi an.

»Ach, ich hatte keine Lust mehr zu lesen und dachte mir, dass ihr es hier sicher nett habt und dass ich mal nachsehen komme, was ihr so treibt.«

»Nett, aber sicher doch«, brummte Simon.

Kos beschloss, lieber weiter ins Diktiergerät zu sprechen. »Vorläufig ist unklar, ob das Solarium der Tatort war oder das Opfer nachträglich dorthin gebracht wurde …«

»Herr Inspektor«, mischte sich Jana ein, »ich sehe ein paar Verletzungen, die wahrscheinlich mit einem stumpfen Gegenstand zugefügt wurden. Hier am Kopf, schauen Sie. Obwohl daneben auch Bohrlöcher sind. Ich kann mehr sagen, wenn ich das ganze Blut von ihm entfernt habe. Es ist so viel da, dass man nichts sieht.«

Kos hatte nicht das geringste Bedürfnis, sich das geronnene Blut und die geröstete Leiche anzusehen. Aber Jana war noch nicht fertig.

»Und schauen Sie, wie seine Hände über der Brust gefaltet sind. Als hätte man ihn auf eine Bahre gelegt. Komisch … Jedenfalls, finden Sie mir außer der Bohrmaschine noch ein Werkzeug, das …«

»Meinst du das hier?«, streckte sich Simon zur Wand, an der ein nobler Spazierstock mit einem silbernen Knauf lehnte und den er ihr reichte.

»Ja, das meine ich. Ausgezeichnet. Schau, ob du zufällig noch was Ähnliches findest. Ein hübscher Stock.«

»Alle raus!«, donnerte eine Stimme bei der Tür. Kos sah sich um und erblickte die Kollegen vom Nationalen Forensischen Labor. An einen konnte er sich flüchtig erinnern, Boris Robavs, vor etwa einem Jahr waren sie nach einem Seminar noch zusammen auf ein Bier gegangen. Er nickte ihm zu.

»Ausgezeichnet, die Leiche gehört euch. Und Fräulein Zorman«, sagte Kos, der beschlossen hatte, dass er mehr als genug hatte und er an die Luft musste, um eine, noch besser zwei Zigaretten zu rauchen. »Und du, Simon, hilf auch ein bisschen mit, falls sie was brauchen, und halte die Augen offen. Ich gehe raus an die Luft, nachdenken.«

»Und damit ich nicht kotze. Und weil ich die Midlife-Crisis habe«, ergänzte Edi, als Kos außer Hörweite war. Danach verabredete er sich noch schnell mit Jana auf ein Getränk bei Hubert, und dann verscheuchten ihn die Forensiker aus dem Pfarrhaus und machten sich gemeinsam mit einem etwas wütenden Simon an die Arbeit. Während Simon sich nun also dort aufhielt, wollen wir etwas über ihn erzählen. Zum Beispiel, warum er wütend war.

Simon arbeitete seit nunmehr sieben Jahren bei der Polizei. Der Laibacher aus guter, bürgerlicher Familie hatte zum Amüsement der gesamten Verwandtschaft zu viele Filme gesehen, die Polizeischule in Tacen abgeschlossen und in einem schwachen Moment die Entscheidung gefasst, Jus zu studieren. Nach einem Jahr braver Besuche von Vorlesungen und gewissenhaften Skriptenschreibens wollte es nicht so recht mit den Prüfungen klappen. Simon versuchte es eine Zeit lang und verzweifelte schließlich. Er beschloss, dass seine berufliche Laufbahn doch bei der Polizei lag. Er begann, in Novi trg bei Ig zu arbeiten, und man muss hinzufügen, dass Inspektor Kos mit seiner Arbeit viel zufriedener war als er jemals zugeben würde.

Seit sie im Jänner begonnen hatten, mit der neuen Pathologin Jana Zorman zusammenzuarbeiten, versuchte Simon all seinen Mut zusammenzunehmen und sie auf einen Automatenkaffee einzuladen. Bisher war es ihm nicht gelungen, die nötige Menge an Mut aufzubringen. Und ja, der Grund seiner momentanen Wut war Edi.

Es war nicht so, dass sich Simon vor Frauen fürchtete. Auch Kaffeeautomaten erfüllten ihn nicht mit besonderem Schrecken, auch wenn die daraus kommenden Heißgetränke noch so grauenerregend waren. Schuld waren, wie immer, nur Kindheitstraumata. Simon hatte den Eindruck, dass sich Jana hervorragend in die Runde beim sonntäglichen Mittagessen mit seiner Familie einfügen würde. Und das erfüllte ihn zumindest mit Unbehagen, wenn nicht sogar mit purem Horror. Und all das war schuld an den unzähligen Blockaden sprachlicher und kognitiver Funktionen in seinem Gehirn, wenn er sich Fräulein Zorman auf fünf Meter oder weniger näherte.

Inspektor Kos marschierte inzwischen im Hof auf und ab und rauchte wie ein Schlot. Es erschien ihm ungerecht, dass so ein schrecklicher Mord auf dem Gebiet des kleinen Novi trg bei Ig geschehen war anstatt in der Hauptstadt, wo normalerweise alle großen Dinge passierten. »Auch das noch«, polterte er in sich hinein. »Die Idioten in Ljubljana faulenzen und fahren ans Meer, während ich schuften muss – und das ausgerechnet jetzt. Ich hätte mich ein bisschen mir selbst und meiner Gesundheit widmen können, da sowieso alles danebengeht. Das, was Čeh in der Früh gesagt ist, ist ja gar nicht mal so dumm. Aber jetzt muss ich bis spät in die Nacht seltsame Leute verhören und nach Spuren suchen, wo keine sind.«

Inspektor Kos lag diesmal, in all seinem Elend, mit dem Großteil der Dinge richtig, nur der Gedanke, dass er sich im Falle eines ruhigen Sommers seiner Gesundheit gewidmet hätte, war pure Illusion.

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Während Inspektor Kos draußen rauchte und Simon die Arbeit des Forensikteams überwachte und dabei erfolglos versuchte, nicht an Jana und Edi zu denken und jedes Mal unbewusst schnaubte, wenn ihm Edi einfiel, was oft der Fall war, wurde Frau Matičet Francka langweilig und sie beschloss, dass sie sich nicht mehr unwohl fühlte. Simon befand, dass es sinnvoller wäre, wenn er und Kos sich ein wenig mit Francka unterhielten, anstatt dass er den Forensikern im Weg war. Vielleicht hatte die Dame ja etwas Brauchbares zu erzählen. Er eilte in den Hof hinaus.

»Chef, diese Nachbarin, die uns gerufen hat, sagt jetzt, dass sie wieder bei Kräften ist. Sehen wir sie uns mal an, bevor Edi sie wiederfindet.«

Kos war einverstanden und folgte Simon ins Pfarrhaus. Frau Francka wirkte wieder frisch wie ein Gänseblümchen. Drei Polizisten bewachten sie. »Wo ist der gefallene Engel?«, rief sie prompt, als sie die beiden erblickte. Der Inspektor verstand nicht wirklich, aber Simon erklärte ihm, dass Francka Edi mit Luzifer verwechselte.

»Gnädige Frau, wir stehen hier alle auf der richtigen Seite«, versuchte Simon sie zu beruhigen. »Luzifer ist bei einer Verabredung mit der Pathologin. Und Sie erzählen uns jetzt, was Sie gesehen haben.«

Frau Francka beruhigte sich allmählich, blickte sich um, ob der Fürst der Finsternis es sich nicht vielleicht doch überlegt hatte und wartete noch ein bisschen, um die Spannung zu steigern. »Wie sagten Sie noch mal, heißen Sie?«

»Kriminalinspektor Bojan Kos. Und das ist Simon Kovačič, mein Kollege. Ich leite die Ermittlungen zu diesem Mordfall.«

»Kovačič wer? Ich höre schlecht, wissen Sie …«

»Simon«, antwortete Simon selbst, etwas lauter und mit einem großen, jedoch noch immer nicht genügenden Maß an Geduld. »Ist aber nicht so wichtig –«

»Natürlich ist es wichtig, junger Mann, natürlich. Unsere Taufnamen sind bei Gott geschrieben und überaus wichtig«, erklärte Frau Francka resolut.

»Schon gut, schon gut«, sagte der Inspektor ein klein wenig ungeduldig und widerstand der Versuchung, diesem reaktionären Geschwätz etwas hinzuzufügen. »Wo wir schon bei Namen sind, wie hieß der verstorbene Pfarrer überhaupt?«

»Lampič, Kajetan Lampč. Sein Namenstag war der siebte August. Letztes Jahr kauften wir ihm …«

»Schon gut, gnädige Frau, das interessiert uns jetzt nicht. Könnten Sie uns nur sagen, was Sie gesehen haben?«

»Ja, natürlich, junger Mann, natürlich. Aber wir haben es doch nicht eilig, nicht wahr?«

Der Inspektor hätte so etwas sagen können wie: Natürlich haben wir es eilig, oder: Wäre toll, wenn wir das schnell hinter uns bringen könnten, aber er hatte schon eingesehen, dass alle Überredungsversuche ohnehin sinnlos wären. Außerdem fühlte es sich auch ein bisschen gut an, dass Francka ihn einen jungen Mann nannte. Im Gegensatz zu Francka war er das schließlich auch.

»Ich habe so einiges gesehen«, begann Frau Francka verheißungsvoll, und die Augen der Ermittler begannen zu leuchten. Simon schaltete das Diktiergerät ein und zückte Kugelschreiber und Notizheft.

»Sie hätten sehen sollen, wie wir letztes Jahr einen siebzehn Meter langen Palmbuschen für die Osterprozession angefertigt haben. Aus Fichtenzweigen … Oder doch aus was anderem, ich weiß es wirklich nicht mehr. Es gibt so viele Dinge, dass man sich nicht alles merken kann …«

»Macht man Palmbuschen denn nicht für den Palmsonntag?«, mischte sich Simon ein. Francka gefiel es gar nicht, dass er ihre spannende Geschichte unterbrach.

»Du sei still, du Rotzlöffel! Jedenfalls, der Herr Pfarrer hatte die Idee, dass sein Auto bei der Prozession mitfahren sollte. Ach, war das schön. Hochwürden waren ganz in Rot. Auch das Auto war ganz rot. Und auf der Motorhaube war der Leib Christi angebracht. Und hinter sich zogen sie den Palmbuschen her. Mit roten Bändern. Ja ja, so schön war das.«

Hier musste sie Luft holen, und der Inspektor nahm all seinen Mut zusammen und fragte, was das mit den heutigen Vorkommnissen zu tun habe.

»Ja, ja seien Sie doch nicht so ungeduldig. Dann wollte unser Chor ein Lied anstimmen, aber Hochwürden haben just in diesem Moment gehupt. Es klang so grandios. Und die Sänger haben ganz falsch begonnen, weil sie das Hupen so aus dem Konzept brachte … Ach, das war toll«, schwelgte Frau Francka in Erinnerungen. Simon und Kos blickten sich ratlos an, doch noch bevor sie etwas sagen konnten, fuhr sie schon fort.

»Und dann wurde es erst richtig lustig. Hochwürden fanden, dass sich die Prozession ein bisschen zu langsam fortbewegte und gaben ein wenig Gas. Die ganze Prozession rannte hinter Hochwürden her. Das war ein Spaß! Der Palmbuschen aber verkeilte sich in Novaks Harpfe, und dem Auto riss es die Stoßstange runter. Aber wir haben noch in derselben Woche für eine neue gesammelt, sodass es nicht so tragisch war.«

Jetzt hatten der Herr Kriminalinspektor Bojan Kos die Nase voll von diesen Geschichten. »Frau Matičet! Sagen Sie uns, was Sie HEUTE gesehen haben!«, brüllte er.

»Ach so, heute?«, erwiderte Frau Francka völlig unbeeindruckt. »Hätten Sie das doch gleich gesagt.«

Simon war mit seiner Geduld fast am Ende, und von Kos wissen wir bereits, dass er eine Midlife-Crisis durchmachte, die ihm in diesem Augenblick nicht im Geringsten behilflich war.

»Naja, nicht viel«, seufzte Francka. »Meine Nachbarin Alešovec Mica, eigentlich heißt sie ja Lukež mit Nachnamen, seit sie nach dem Krieg diesen Holzkopf geheiratet hat, davor hieß sie Žagar, als die noch ein Sägewerk hatten, ging in der Früh ins Pfarrhaus, um die Družina und diese Platte mit den Slomšek-Liedern zu holen. Ach, ich ärgere mich wirklich ein bisschen, wissen Sie, weil man ihn noch nicht heiliggesprochen hat, unseren Slomšek. Rode könnte sich jetzt, da er Kardinal ist, ein bisschen mehr darum kümmern. Tja, ich habe diese Platte schon seit einer Woche, wissen Sie. Mein Enkelsohn stellt mir das Gerät so ein, dass ich sie abspielen kann. Mica hat sie erst heute geholt. Weil aber Hochwürden nicht geantwortet haben, rüttelte sie an der Türklinke, die Tür öffnete sich und Mica ging einfach hinein.« Francka schüttelte missbilligend den Kopf.

»Und wieso haben Sie dann die Polizei wegen eines Einbruchs gerufen?«, wollte Kos wissen.

»Ja weil Hochwürden doch freitagmorgens nie zu Hause sind! Freitags haben sie frei und fahren schon donnerstags nach der Messe nach Hause nach Tolmin. Und Mica weiß das genau!«

Kos und Simon tauschten einen Blick.

»Wo waren Sie denn, als Sie diese Frau … Mica … ins Pfarrhaus gehen sehen haben?«, fuhr Simon nach einer kurzen Pause fort. »Zu Hause?«

Francka schüttelte den Kopf. »Von meinem Haus sieht man die Eingangstür vom Pfarrhaus nur von der obersten Kammer aus, die im letzten Hauseck liegt. Sie glauben doch nicht, Herr Milizionär, dass ich dort oben auf der Lauer liege und spioniere, was so vor sich geht? Das sind zweiundvierzig Stufen, und meine Krampfadern …«

»Schon gut, schon gut!«, fuhr Kos einen Hauch zu panisch auf, denn für einen Moment schien es, dass Francka ihren Rock heben und die erwähnten Krampfadern auch zeigen würde.

»Ich ging auf den Friedhof, die Stiefmütterchen umgraben«, fuhr Frau Francka fort. »Zwischendurch hab ich mich ein bisschen aufgerichtet, weil ich Kreuzschmerzen hatte, und sehe über die Mauer, wie Mica mir nichts, dir nichts einfach allein ins Pfarrhaus geht. Dieses freche Früchtchen!«

»Und in der Nacht«, fragte Kos, »haben Sie da was gehört? Lärm, Stimmen, irgendwas aus dem Pfarrhaus?«

»Nein«, schüttelte Francka entschlossen den Kopf. »Wissen Sie, ich gehe mit den Hühnern schlafen. Ich nehme ein Pulver ein und mache den Apparat aus. Ich habe überhaupt nichts gehört. Anständige Leute schlafen nachts.«

Simon wusste nicht, was für ein Pulver und was für ein Apparat das sein sollten. Der erfahrene Kos hätte ihm erklären können, dass es sich um einen Hörapparat und ein Schlafmittel handelte.

»Können Sie mir noch sagen, ob der Verstorbene mit jemandem zerstritten war? Stand er in letzter Zeit mit irgendwem in Konflikt?«, wollte Kos noch wissen. »Können Sie uns irgendwas in dieser Richtung sagen?«

Diese Frage war wie gemacht für Francka. »Ja, Žlogar Ančka, vulgo Jurk, hat sich immer geärgert, dass Hochwürden zu leise predigen. Und Kovač Fani vom anderen Ende der großen Straße hat auch gesagt, dass die Blumen vorm Altar die Engelsstatue zu sehr verdecken und dass Hochwürden sowieso keine Ahnung davon haben …«

Kos und Simon mussten sich fast noch eine halbe Stunde lang verzweifelt und mit aller Kraft gegen ähnliche Verdächtige wehren. Die Matičet-Mutter war so in Fahrt, dass nicht einmal ein schwer bewaffnetes Bataillon, geschweige denn der Rotzlöffel und das Nervenbündel von einem Inspektor, der obendrein noch jähzornig war, ihren Erzählfluss hätten aufhalten können. Das Ende der Befragung fühlte sich für die beiden in etwa so an, wie sich das Ende eines Kanonenfeuers für das erwähnte Bataillon im Graben anfühlt.

»Ich dachte, das hört nie auf«, presste der Inspektor hervor, als die arme Anja die Aufgabe ereilte, Matičet Francka nach Hause zu begleiten und dafür zu sorgen, dass sie das Pfarrhaus auch wirklich verließ.

»Aber Chef«, packte Simon jetzt, da Frau Francka schon weit weg war und er sich sicher fühlte, jene Begeisterung wieder, die er vorhin verspürt hatte. »Wenn es stimmt, dass das Opfer, dieser Herr Lampič, nicht zu Hause hätte sein dürfen … Was, wenn ihn ein Einbrecher umgebracht hat, der dachte, dass das Pfarrhaus leer sein würde? Und Lampič hat ihn überrascht!«

»Und er hat ihn mit dem Stock erschlagen … mhm. Aber wieso sollte er dann in ihn hineinbohren und ihn ins Solarium legen? Ins Solarium, Kruzifix nochmal!«

Simon nickte nachdenklich. Darauf wusste er wirklich keine Antwort. »Und außer dieser Frau, wie heißt sie noch … Mica Lukež, gibt es keine anderen direkten Nachbarn.«

»Die verhören wir, wenn sie aufwacht«, seufzte Kos in prophetischer Vorahnung, dass ihn noch schlimme Dinge erwarteten.

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Nachdem sich Kos und Simon einigermaßen vom ersten Verhör im Fall des durchlöcherten Pfarrers von Šmihelska vas erholt hatten, beschlossen sie, sich im Pfarrhaus umzusehen, soweit ihnen das die finster dreinblickenden Forensiker erlaubten. Das Pfarrhaus war alt und wäre auch hübsch gewesen, wäre es nicht so extrem vergoldet. Es war voll mit rundlichen Engeln und Spiegeln mit Rokokorahmen. Die beiden begannen bei der Eingangstür.

»Unser Täter muss hier reingekommen sein«, überlegte Kos laut. »Wenn diese Frau, Mica Lukež, heute einfach allein hineingehen konnte, musste die Tür durchgehend offen gewesen sein.« Simon nickte. Die Tür wies keine Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen auf.

»Puh, aber schauen Sie mal da, Chef«, rief Simon bewundernd und bestaunte eines der abschreckendsten Sicherheitstürenmodelle, die am Markt erhältlich waren. »Keine Chance, dass die jemand öffnet, ohne Spuren zu hinterlassen.«

»Und es gibt auch noch eine Kamera, schau«, deutete Kos mit einer Kopfbewegung. Neben der Klingel gab es eine Gegensprechanlage, mit der der Verstorbene mit Ankömmlingen kommunizieren konnte, und eine Kamera, die ihm die Gesichter dieser Ankömmlinge in Farbe und hoher Auflösung zeigte.

»Lass uns rausfinden, wo die Daten gespeichert werden«, schlug Kos vor. Etwas sagte ihm, dass das Schicksal ganz bestimmt nicht so wohlwollend sein und ihnen den Täter mithilfe der Aufnahmen der Überwachungskamera auf der Stelle präsentieren würde.

»Wer auch immer in der Nacht durch die offene Tür hineingekommen ist und so etwas getan hat, hat die Aufnahme bestimmt zerstört«, war auch Simon skeptisch.

»Los, ruf unseren IT-ler an«, trug ihm Kos auf. »Er muss sowieso den Computer des Opfers durchforsten, dann soll er noch ein bisschen mit dieser Kamera spielen.« Kos hielt nicht besonders viel von ihrem IT-Spezialisten und wusste selbst nicht einmal, ob das an Marjans schütterem langen Haar lag, seinen T-Shirts von obskuren Metalbands oder daran, dass der junge Mann nicht redete, wenn er es nur irgendwie vermeiden konnte. Simon tat, wie ihm geheißen.

»Lampič hat gestern höchstwahrscheinlich vergessen, die Tür abzuschließen«, überlegte Kos laut, als sie das Büro betraten.

»Aber Chef, es ist schwer zu glauben, dass jemand, der so paranoid war, dass er die neueste Sicherheitstür und obendrauf eine Kamera hatte, vergisst abzuschließen«, wandte Simon ein.

Kos zuckte die Achseln. »Was ist mit den Fenstern?«, fragte er dann. »Könnte jemand durch die Fenster ins Haus einsteigen?«

Im Erdgeschoß befanden sich neben dem Büro noch die Küche, der Heizraum und der Salon. So stand es in goldenen Lettern an der Tür. Alle Fenster hatten goldene Gitter aus Kropa, die stilistisch mit den Felgen an der Wand harmonierten. Zwischen der Treppe ins Obergeschoß und dem Heizraum führte noch eine Tür vom Flur weg. Auch diese war fest und massiv und von innen verriegelt. Simon schob den Riegel zurück und die Tür öffnete sich auf den Innenhof des Pfarrhauses. Auf zwei Seiten umgab ihn eine Mauer und dem Pfarrhaus gegenüber lagen die Garagen. Sie betraten den Hof.

»Der Täter hätte ohne Weiteres über die Mauer klettern können«, sagte Kos, und Simon stimmte ihm zu. Kos blickte zum ersten Stock hoch. »Und ins Pfarrhaus hätte er durch eines der oberen Fenster kommen können. Soweit ich sehe, sind sie nicht vergittert.«

»Schauen Sie, dort ist eine Leiter!«, rief Simon. Er lief hin, lehnte sie gegen die Wand und begann zu klettern, während Kos zurück ins Haus ging und die Treppe ins Obergeschoß hinaufkeuchte. Sie stellten fest, dass auch oben alle Fenster verschlossen und von außen unmöglich zu öffnen waren, ohne dabei die Scheibe einzuschlagen.

»Dann kann er nur durch den Haupteingang hereingekommen sein. Vielleicht hat ihn Lampič sogar selbst reingelassen«, murmelte Kos nachdenklich. »Ich kann die Auswertung der Kameraaufnahmen kaum erwarten.«

Simon warf ein, dass der Mörder auch durch die Hintertür eingestiegen sein könnte, sollte der Pfarrer vergessen haben, sie zu verriegeln – und wenn der Täter sie später hinter sich verriegelt hätte. Oder aber er hätte durch ein offenes Fenster in den ersten Stock klettern, es hinter sich schließen und später noch einmal über die Mauer klettern und die Leiter wegtragen können.

»Rein theoretisch schon möglich«, sagte Kos. »Aber er musste trotz allem durch die Eingangstür raus.« Er schwieg kurz, und mit einem verächtlichen Blick streifte er das Kardinalsgewand, das sich protzig durch die offene Garderobentür präsentierte. »Auch wenn der Mörder nicht durch die Eingangstür gekommen ist«, schloss er dramatisch, »musste er doch dort hinaus.«

Es folgten drei Sekunden ehrerbietigen Schweigens, danach gingen die beiden wieder die Treppe hinunter. Kos betrat das Büro und öffnete die zwei Schreibtischladen. Dort befand sich nicht viel. In der ersten fand er ein kleines, in Leder gebundenes Büchlein mit Goldschnitt, und als er darin blätterte, stellte er fest, dass es sich um ein Adressbuch handelte. Er fand auch ein paar Papiere mit verschiedenen Plänen und Listen. Kos steckte sie ein, um sie später unter die Lupe zu nehmen. Simon sah sich in der Zwischenzeit im Büro um. Es war relativ geschmackvoll mit dunklen Stilmöbeln und einigen weniger geschmackvollen Ziergegenständen eingerichtet, die in den Regalen standen, ansonsten aber war es praktisch leer. Das nahezu Einzige, das er fand, war eine beträchtliche Menge an CDs mit den schönsten Slomšek-Liedern sowie viele Autozeitschriften. Nationale und internationale.

Kos blickte in die zweite Schublade und stieß einen Pfiff aus. »Na sieh mal einer an«, brummte er. Die Lade war voller Geldkuverts. Ein hübsches Sümmchen, wie er auf den ersten Blick abschätzen konnte.

Dann nahm er das Adressbuch in seine schaufelgroßen Pranken und nahm es in Augenschein. Auf der ersten Seite war in kalligrafischer Schrift ein Name zu lesen. »Kajetan Lampič«, murmelte Kos. »Ich wüsste nur zu gerne, ob in diesem Adressbuch auch der Name des Mörders steht.«

Simon wusste nicht, was er darauf Kluges erwidern sollte. Vielleicht etwas über Steinzeitmenschen, die noch immer Adressbücher aus Papier verwendeten. Aber einer von ihnen war auch Inspektor Kos, weswegen er sich lieber auf die Zunge biss.