Personen:

Inhaltsverzeichnis

Emilia Galotti

Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia

Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla

Marinelli, Kammerherr des Prinzen

Camillo Rota, einer von des Prinzen Räten

Conti, Maler

Graf Appiani

Gräfin Orsina

Angelo und einige Bediente

Achter Auftritt

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Camillo Rota, Schriften in der Hand. Der Prinz.

Der Prinz. Kommen Sie, Rota, kommen Sie. – Hier ist, was ich diesen Morgen erbrochen. Nicht viel Tröstliches! – Sie werden von selbst sehen, was darauf zu verfügen. – Nehmen Sie nur.

Camillo Rota. Gut, gnädiger Herr.

Der Prinz. Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilia Galot.. Bruneschi will ich sagen. – Ich habe meine Bewilligung zwar schon beigeschrieben. Aber doch – die Sache ist keine Kleinigkeit. – Lassen Sie die Ausfertigung noch anstehen. – Oder auch nicht anstehen: wie Sie wollen.

Camillo Rota. Nicht wie ich will, gnädiger Herr.

Der Prinz. Was ist sonst? Etwas zu unterschreiben?

Camillo Rota. Ein Todesurteil wäre zu unterschreiben.

Der Prinz. Recht gern. – Nur her! geschwind.

Camillo Rota (stutzig und den Prinzen starr ansehend). Ein Todesurteil – sagt' ich.

Der Prinz. Ich höre ja wohl. – Es könnte schon geschehen sein. Ich bin eilig.

Camillo Rota (seine Schriften nachsehend). Nun hab ich es doch wohl nicht mitgenommen! – – Verzeihen Sie, gnädiger Herr. – Es kann Anstand damit haben bis morgen.

Der Prinz. Auch das! – Packen Sie nur zusammen; ich muß fort – Morgen, Rota, ein Mehres! (Geht ab.)

Camillo Rota (den Kopf schüttelnd, indem er die Papiere zu sich nimmt und abgeht). Recht gern? – Ein Todesurteil recht gern? – Ich hätt' es ihn in diesem Augenblicke nicht mögen unterschreiben lassen, und wenn es den Mörder meines einzigen Sohnes betroffen hätte. – Recht gern! Recht gern! – Es geht mir durch die Seele dieses gräßliche Recht gern!

Eilfter Auftritt

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Appiani. Claudia Galotti.

Appiani. Geh, Nichtswürdiger! – Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist in Wallung gekommen. Ich fühle mich anders und besser.

Claudia (eiligst und besorgt). Gott! Herr Graf – Ich hab einen heftigen Wortwechsel gehört. – Ihr Gesicht glühet. Was ist vorgefallen?

Appiani. Nichts, gnädige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli hat mir einen großen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum Prinzen überhoben.

Claudia. In der Tat?

Appiani. Wir können nun um so viel früher abfahren. Ich gehe, meine Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes auch fertig.

Claudia. Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf?

Appiani. Ganz ruhig, gnädige Frau. (Sie geht herein und er fort.)

Achter Auftritt

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Claudia Galotti. Marinelli.

Claudia. Dein Herr? – (Erblickt den Marinelli und fährt zurück.) Ha! – Das dein Herr? – Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und Sie, Sie sollen mich zu ihr führen?

Marinelli. Mit vielem Vergnügen, gnädige Frau.

Claudia. Halten Sie! – Eben fällt mir es bei – Sie waren es ja – nicht? – der den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte? mit dem ich ihn allein ließ? mit dem er Streit bekam?

Marinelli. Streit? – Was ich nicht wüßte: ein unbedeutender Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten –

Claudia. Und Marinelli heißen Sie?

Marinelli. Marchese Marinelli.

Claudia. So ist es richtig. – Hören Sie doch, Herr Marchese. – Marinelli war – der Name Marinelli war – begleitet mit einer Verwünschung – Nein, daß ich den edeln Mann nicht verleumde! – begleitet mit keiner Verwünschung – Die Verwünschung denk ich hinzu – Der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen.

Marinelli. Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani? – Sie hören, gnädige Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffällt. – Des sterbenden Grafen? – Was Sie sonst sagen wollen, versteh ich nicht.

Claudia (bitter und langsam). Der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen! – Verstehen Sie nun? – Ich verstand es erst auch nicht, obschon mit einem Tone gesprochen – mit einem Tone! – Ich höre ihn noch! Wo waren meine Sinne, daß sie diesen Ton nicht sogleich verstanden?

Marinelli. Nun, gnädige Frau? – Ich war von jeher des Grafen Freund; sein vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben nannte –

Claudia. Mit dem Tone? – Ich kann ihn nicht nachmachen; ich kann ihn nicht beschreiben: aber er enthielt alles! alles! – Was? Räuber wären es gewesen, die uns anfielen? – Mörder waren es; erkaufte Mörder! – Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen! Mit einem Tone!

Marinelli. Mit einem Tone? – Ist es erhört, auf einen Ton, in einem Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen Mannes zu gründen?

Claudia. Ha, könnt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton! – Doch, weh mir! Ich vergesse darüber meine Tochter. – Wo ist sie? – Wie? auch tot? – Was konnte meine Tochter dafür, daß Appiani dein Feind war?

Marinelli. Ich verzeihe der bangen Mutter. – Kommen Sie, gnädige Frau – Ihre Tochter ist hier; in einem von den nächsten Zimmern, und hat sich hoffentlich von ihrem Schrecken schon völlig erholt. Mit der zärtlichsten Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschäftiget –

Claudia. Wer? – Wer selbst?

Marinelli. Der Prinz.

Claudia. Der Prinz? – Sagen Sie wirklich der Prinz? – Unser Prinz?

Marinelli. Welcher sonst?

Claudia. Nun dann! – Ich unglückselige Mutter! – Und ihr Vater! ihr Vater! – Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich verfluchen.

Marinelli. Um des Himmels willen, gnädige Frau! Was fällt Ihnen nun ein?

Claudia. Es ist klar! – Ist es nicht? – Heute im Tempel! vor den Augen der Allerreinesten! in der nähern Gegenwart des Ewigen! – begann das Bubenstück, da brach es aus! (Gegen den Marinelli.) Ha, Mörder! feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden, aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich! – Denn warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Gesicht speien? – Dich! Dich Kuppler!

Marinelli. Sie schwärmen, gute Frau. – Aber mäßigen Sie wenigstens Ihr wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind.

Claudia. Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin? – Was kümmert es die Löwin, der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie brüllet?

Emilia (innerhalb). Ha, meine Mutter! Ich höre meine Mutter!

Claudia. Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehört, sie hat mich gehört. Und ich sollte nicht schreien? – Wo bist du, mein Kind? Ich komme, ich komme! (Sie stürzt in das Zimmer und Marinelli ihr nach.)

Achter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Claudia Galotti. Die Vorigen.

Claudia (die im Hereintreten sich umsiehet und, sobald sie ihren Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget). Erraten! – Ah, unser Beschützer, unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da? – Aus ihren Wispern, aus ihren Mienen schloß ich es. – Was soll ich dir sagen, wenn du noch nichts weißt? – Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles weißt? – Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig!

Odoardo (der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht). Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig – und antworte mir. (Gegen die Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte – Ist der Graf tot?

Claudia. Tot.

Odoardo. Ist es wahr, daß der Prinz heute morgen Emilien in der Messe gesprochen?

Claudia. Wahr. Aber wenn du wüßtest, welchen Schreck es ihr verursacht, in welcher Bestürzung sie nach Hause kam –

Orsina. Nun, hab ich gelogen?

Odoardo (mit einem bittern Lachen). Ich wollt' auch nicht, Sie hätten! Um wie vieles nicht!

Orsina. Bin ich wahnwitzig?

Odoardo (wild hin und her gehend). Oh – noch bin ich es auch nicht. –

Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig. – Bester Mann, darf auch ich – ich dich bitten –

Odoardo. Was willst du? Bin ich nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.) Weiß es Emilia, daß Appiani tot ist?

Claudia. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fürchte, daß sie es argwohnet, weil er nicht erscheinet. –

Odoardo. Und sie jammert und winselt. –

Claudia. Nicht mehr. – Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig, aber nach der geringsten Überlegung in alles sich findend, auf alles gefaßt. Sie hält den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem Tone – Mache nur, Odoardo, daß wir wegkommen.

Odoardo. Ich bin zu Pferde. – Was zu tun? – Doch, Madame, Sie fahren ja nach der Stadt zurück?

Orsina. Nicht anders.

Odoardo. Hätten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu nehmen?

Orsina. Warum nicht? Sehr gern.

Odoardo. Claudia – (ihr die Gräfin bekannt machend) die Gräfin Orsina, eine Dame von großem Verstande, meine Freundin, meine Wohltäterin. – Du mußt mit ihr herein, um uns sogleich den Wagen herauszuschicken. Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir.

Claudia. Aber – wenn nur – Ich trenne mich ungern von dem Kinde.

Odoardo. Bleibt der Vater nicht in der Nähe? Man wird ihn endlich doch vorlassen. Keine Einwendung! – Kommen Sie, gnädige Frau. (Leise zu ihr.) Sie werden von mir hören. – Komm, Claudia. (Er führt sie ab.)

Achter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen.

Der Prinz (im Hereintreten). Was ist das? – Ist Emilien nicht wohl?

Odoardo. Sehr wohl, sehr wohl!

Der Prinz (indem er näher kömmt). Was seh ich? – Entsetzen!

Marinelli. Weh mir!

Der Prinz. Grausamer Vater, was haben Sie getan!

Odoardo. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. – War es nicht so, meine Tochter?

Emilia. Nicht Sie, mein Vater – Ich selbst – ich selbst –

Odoardo. Nicht du, meine Tochter – nicht du! – Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt. Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein unglücklicher Vater!

Emilia. Ah – mein Vater – (Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den Boden.)

Odoardo. Zieh hin! – Nun da, Prinz! Gefällt sie Ihnen noch? Reizt sie noch Ihre Lüste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache schreiet? (Nach einer Pause.) Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus soll? Sie erwarten vielleicht, daß ich den Stahl wider mich selbst kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragödie zu beschließen? Sie irren sich. Hier! (Indem er ihm den Dolch vor die Füße wirft.) Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und liefere mich selbst in das Gefängnis. Ich gehe und erwarte Sie als Richter – Und dann dort – erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller!

Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli). Hier! heb ihn auf. – Nun? Du bedenkst dich? – Elender! – (Indem er ihm den Dolch aus der Hand reißt.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht mischen. – Geh, dich auf ewig zu verbergen! – Geh! sag ich. – Gott! Gott! – Ist es, zum Unglücke so mancher, nicht genug, daß Fürsten Menschen sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?

Gotthold Ephraim Lessing

Emilia Galotti


e-artnow, 2017
Kontakt: info@e-artnow.org

ISBN 978-80-268-7055-5


Inhaltsverzeichnis
Personen:
Erster Aufzug
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Zweiter Aufzug
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Neunter Auftritt
Zehnter Auftritt
Eilfter Auftritt
Dritter Aufzug
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Vierter Aufzug
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Fünfter Aufzug
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt

Erster Aufzug

Inhaltsverzeichnis

Die Szene: ein Kabinett des Prinzen.

Erster Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Der Prinz (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere, deren einige er durchläuft). Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! – Die traurigen Geschäfte; und man beneidet uns noch! – Das glaub ich; wenn wir allen helfen könnten: dann wären wir zu beneiden. – Emilia? (Indem er noch eine von den Bittschriften aufschlägt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) Eine Emilia? – Aber eine Emilia Bruneschi – nicht Galotti. Nicht Emilia Galotti! – Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel gefodert, sehr viel. – Doch sie heißt Emilia. Gewährt! (Er unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer?

Der Kammerdiener. Nein.

Der Prinz(Der Kammerdiener geht ab.)