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AUSSERDEM VON PANINI ERHÄLTLICH:

Star Wars: Leia, Prinzessin von Alderaan

(Journey to Star Wars: Die letzten Jedi)

Claudia Gray – ISBN 978-3-8332-3569-6

Star Wars: Die Legenden von Luke Skywalker

(Journey to Star Wars: Die letzten Jedi)

Ken Liu – ISBN 978-3-8332-3570-2

Star Wars: Rogue One – Jugendroman zum Film

Matt Forbeck – ISBN 978-3-8332-3449-1

Star Wars: Das Erwachen der Macht – Jugendroman zum Film

Matt Forbeck – ISBN 978-3-8332-3026-4

Star Wars: Ahsoka

E. K. Johnston – ISBN 978-3-8332-3450-7

Star Wars: Blutlinie

Claudia Gray – ISBN 978-3-8332-3354-8

Star Wars: Verlorene Welten

(Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht)

Claudia Gray – ISBN 978-3-8332-3194-0

Star Wars: Bewegliches Ziel – Ein Prinzessin Leia-Abenteuer

(Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht)

Cecil Castellucci, Jason Fry – ISBN 978-3-8332-3197-1

Star Wars: Die Waffe eines Jedi – Ein Luke Skywalker-Abenteuer

(Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht)

Jason Fry – ISBN 978-3-8332-3196-4

Star Wars: Im Auftrag der Rebellion – Ein Han Solo & Chewbacca-Abenteuer

(Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht)

Greg Rucka – ISBN 978-3-8332-3195-7

Star Wars: Shadow Games – Im Schatten

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-3158-2

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 1 – Im Zwielicht

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2906-0

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 2 – Straße der Schatten

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2983-1

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 3 – Schablonen der Macht

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2984-8

Nähere Infos und weitere Bände unter:

www.paninibooks.de

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CLAUDIA GRAY

Aus dem Englischen
von Timothy Stahl

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Titel der Amerikanischen Originalausgabe: „Star Wars: Leia, Princess of Alderaan“ by Claudia Gray, published by Disney, Lucasfilm Press, an imprint of Disney Book Group, 2017.

© & TM 2017 LUCASFILM LTD.

Design by Leigh Zieske

Deutsche Ausgabe 2017 by Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87,

70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: marketing@panini.de)

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Timothy Stahl

Lektorat: Robert Mountainbeau

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDSWJT005E

ISBN 978-3-7367-9992-9

Gedruckte Ausgabe:

1. Auflage, Oktober 2017, ISBN 978-3-8332-3569-6

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

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Der Tag des Thronanspruchs war schon vor Monaten angekündigt worden. Gäste von Welten aus der ganzen Galaxis waren bereits eingetroffen, und die köstlichen Düfte des vorbereiteten Banketts zogen durch die Gänge des Palastes. Das Wetter allerdings wollte nicht mit den Plänen für die Festlichkeiten kooperieren – dunkle Wolken hingen schwer und tief über der Stadt Aldera und drohten jeden Moment mit einem Regenguss –, doch auf gewisse Weise vermittelte selbst das bevorstehende Gewitter ein Gefühl von Erhabenheit und Dramatik.

Es war die perfekte Kulisse für eine Prinzessin, um ihr Recht auf die Krone von Alderaan geltend zu machen.

„Au!“ Leia verzog das Gesicht. „Das ziept.“

„Und es wird noch mehr ziepen“, versprach WA-2V, Leias persönliche Begleitdroidin. Ihre bläulichen Metallfinger flochten rasch einen letzten Zopf in die aufwendige traditionelle Frisur. „Gerade heute müsst Ihr einfach umwerfend aussehen.“

„Das sagst du doch jeden Tag.“ Als kleines Mädchen wollte Leia ihre Haare immer nur zu einem Pferdeschwanz binden. Ihre Eltern hatten gesagt, sie könne tun, was ihr gefiel. Doch 2V war standhaft geblieben. Ihre Programmierung gebot ihr, die Prinzessin stets prachtvoll zu präsentieren, und dagegen konnte nicht einmal die etwas tun.

„Es gilt ja auch für jeden Tag“, beharrte 2V, rollte den Zopf zu einer Schlaufe und steckte ihn fest. „Bei besonderen Anlässen liegen die Maßstäbe nur noch ein wenig höher!“

Leia verspürte ein leichtes Grummeln im Bauch, ein Anzeichen ihrer Nervosität und Spannung gleichermaßen. Dies war der größte Tag in ihrem Leben, jedenfalls seit ihrem ersten Namenstag. Damals waren ihre Eltern mit ihr im Thronsaal erschienen und hatten sie zu ihrer Tochter erklärt, per Adoption und aus Liebe …

Sie schüttelte den Gedanken ab. Damals hatte sie nichts weiter tun müssen, als das Baby in den Armen ihrer Mutter zu sein. Diesmal musste sie für sich selbst einstehen.

Sobald die Frisur fertig war, schlüpfte Leia dankbar in die Kleidung, auf die sie sich mit 2V geeinigt hatte – ein schlichtes weißes Kleid für sie, auffälliger Silberschmuck für 2V. Just als sie in ihre Seidenschuhe schlüpfte, ertönte aus dem Thronsaal die Orchesterfanfare und hallte durch die Palastflure. Es war ein Gefühl, als klopften ihre Eltern persönlich an die Tür.

„Eines noch!“, bat 2V. Sie rollte auf der kleinen Kugel, die ihren Fuß bildete, zum Schrank, dann schwang sie herum und kehrte mit einem silbernen Haarreif zurück, den sie so geschickt zwischen die Zöpfe der Prinzessin schob, dass der Perlanhänger mitten auf Leias Stirn zu liegen kam. „Ja. Ja, das ist es. Ihr seht absolut atemberaubend aus! Ich wirke wirklich Wunder.“

Leia schüttelte belustigt den Kopf. „Vielen Dank!“

Ohne diesen leisen Spott auch nur zu bemerken, scheuchte 2V ihren Schützling zur Tür. „Beeilung! Alle warten schon.“

„Ohne mich können sie ja schlecht anfangen, Zwovau.“ Trotzdem hob Leia den Saum ihres Kleides und eilte auf den Korridor hinaus. Sie wollte nicht zu spät kommen. Jene Prinzen und Prinzessinnen, die bisher ihren Anspruch auf den Thron erhoben hatten, waren bisweilen gezwungen gewesen, sich den Weg durch den Saal zu erkämpfen. Das Ganze war gedacht als ein Moment, um Stärke und Führungskraft zu demonstrieren – und nicht um allen zu zeigen, dass man nicht einmal in der Lage war, pünktlich zu sein.

Der königliche Palast von Alderaan war das Werk von über einem Jahrtausend. Die hiesige Monarchie ergab sich ganz in den Dienst an ihrem Volk, weshalb man nie hohe, trutzige Türme mit spitzen Dächern errichtet hatte, um damit die Landschaft zu dominieren. Stattdessen baute man im Abstand einiger Jahrzehnte immer neue Trakte an und schuf so ein sich ausweitendes Labyrinth, in dem moderne Datenzentren und Holokammern neben alten, aus Stein gehauenen Räumen existierten. Leia kannte jeden Gang und jede Tür – als Kind hatte es ihr großen Spaß gemacht, auch die düstersten und abgelegensten Winkel zu erkunden. Vielleicht, so glaubte sie, war sie seit Hunderten von Jahren die Einzige, die jemals jeden einzelnen Raum des Palasts gefunden hatte.

Zum Glück kannte sie die Abkürzung durch die alte Waffenkammer. So erreichte sie die Vorhalle des Thronsaals mehr als nur rechtzeitig. Die königlichen Wachen lächelten, als sie Leia sahen, und sie grinste zurück, während sie den Umhang ihres Kleides zurechtzog. Dem größeren Wächter flüsterte sie zu: „Wie geht es dem Baby?“

„Schläft nachts schon durch“, antwortete er. Leia klatschte lautlos Applaus, und er zog beinahe schamhaft den Kopf ein.

Genau genommen wusste sie nicht viel über Babys, abgesehen davon, dass Eltern sehr stolz auf sie waren, obwohl die Kleinen nachts jedermann wach hielten. Aber wenn der Wächter sich freute, ein müdes Baby zu haben, dann freute sie sich eben mit ihm.

„Wir auf Alderaan können uns glücklich schätzen“, hatte ihr Vater einmal gesagt, als sie in der Bibliothek am Kamin gesessen hatten. „Wir werden von unserem Volk geliebt. Wir können auf seine Loyalität zählen. Das liegt daran, dass auch wir das Volk lieben und ihm gegenüber loyal sind. Sollten wir je aufhören, unsere Mitmenschen wertzuschätzen – vom höchsten Lord bis hin zum einfachsten Arbeiter –, würden wir diese Loyalität verlieren. Wir würden es verdienen, sie zu verlieren.“

Das Rascheln des Vorhangs an der Tür riss Leia zurück ins Hier und Jetzt. Schnell ging sie zu der Wand, an der das Rhindonschwert hing und nahm es in die Hand. Sie hatte ein paarmal damit geübt, doch das Gewicht der Waffe überraschte sie jedes Mal wieder.

Position: Mitte der Türöffnung. Schwert: beide Hände am Griff, Arme dicht am Körper, die Klinge nach oben gerichtet. Die Rede …

Ich kann die Rede, sagte sie sich. Ich kann sie ganz bestimmt. Ich habe nur gerade einen Aussetzer, aber sie fällt mir ganz sicher wieder ein, wenn ich vor Hunderten von Leuten stehe …

Der Vorhang wurde zur Seite gezogen. Strahlendes Licht fiel auf sie, getönt durch riesige Buntglasscheiben. Zweihundert Gäste drehten sich gleichzeitig um. Alle standen sie beiderseits eines blau-goldenen Teppichs, der schnurgerade durch den Saal auf die goldenen Throne zu verlief, wo Breha und Bail Organa saßen.

Leia schritt voran, das Schwert hoch erhoben. Donner grollte leise, und sie war dankbar für die Beleuchtungsdroiden, die Licht durch die Fenster projizierten, sonst wäre es im Saal nämlich nahezu stockfinster gewesen. Sie hatte das alles zwar geübt, glaubte jedoch nicht, dass sie es auch mit geschlossenen Augen geschafft hätte.

Ich weiß nicht, vielleicht wäre es ja leichter, wenn ich nicht sehen könnte, wie mich die Gäste alle anstarren. Leia hatte ihr ganzes Leben damit zugebracht, vor großen Mengen aufzutreten, doch heute würde man ihre Stimme zum ersten Mal in offizieller Funktion hören, nämlich als die der zukünftigen Königin.

Breha Organa trug ein Kleid aus bronzener Seide, das Haar hatte sie zu Zöpfen geflochten, die zu einer Turmfrisur aufgesteckt und mit Perlenketten durchwebt waren. Neben ihr saß Bail Organa in der traditionellen langen Jacke des Vizekönigs. Die Krone hatte man aus dem Museum geholt und auf eine Marmorsäule gesetzt, die von einem eigenen Beleuchtungsdroiden illuminiert wurde. Ihre Eltern, fand Leia, sahen heute noch majestätischer aus als sonst. Beinahe bedrohlich. Hatten sie etwa Spaß an dieser Scharade?

Leia glaubte, dass sie Spaß daran hätte haben können, wenn ihre Eltern weniger Leute dazu eingeladen hätten. Normalerweise wären nur eine Handvoll Außenweltler dabei gewesen, doch diesmal hatte ihr Vater viele seiner diplomatischen Verbündeten aus dem Imperialen Senat hergebeten – Tynnra Pamlo von Taris, Cinderon Malpe von Derella sowie Winmey Lenz und Mon Mothma von Chandrila. Mon Mothmas Lächeln wurde breiter, als Leia an ihnen vorbeikam. Vielleicht war es als Ermutigung gedacht.

Solange sie nur nicht fand, dass Leia süß aussah. Am Tag des Thronanspruchs ging es nicht darum, ein reizendes kleines Kind zu sein. Heute ging es um das Erwachsenwerden.

Als sie die Stirnseite des Thronsaals erreichte und nur ein paar Meter vor ihren Eltern stehen blieb, rief Breha den ersten Satz der Zeremonie: „Wer ist da? Wer stört die Königin auf ihrem Thron der Macht?“

„Ich bin es, Leia Organa, Prinzessin von Alderaan.“ In der Tat war ihr der Text aufs Stichwort wieder eingefallen. „Ich komme zu Euch, um Euch anerkennen und verkünden zu hören, dass ich an diesem Tag mein sechzehntes Lebensjahr erreicht habe.“

Die Bitte um Verkündigung war eine schlichte Ergänzung des Rituals, die nur benutzt wurde, wenn das älteste Kind des Königs oder der Königin adoptiert war. Leia war vor drei oder vier Tagen sechzehn geworden. Ihren genauen Geburtstag kannte sie nicht, und er war ihr eigentlich auch egal. Sie war an ihrem Namenstag eine Prinzessin von Alderaan geworden, und die Wiederkehr dieses Tages feierten sie.

„Wir erkennen an, dass du volljährig bist“, sagte Bail. Nur die kleinen Fältchen in seinen Augenwinkeln verrieten das Lächeln, das er mühsam zu verbergen suchte. „Doch warum trittst du bewaffnet vor unseren Thron?“

„Ich komme, um mein Recht auf die Krone zu beanspruchen.“ Leia kniete sich in einer geschmeidigen Bewegung hin und hielt das Schwert mit einer Hand in die Höhe. Ferner Donner grollte und ließ den Boden sacht erbeben. „Am heutigen Tag sollt Ihr mich als Erbin anerkennen.“

Brehas Stimme schallte durch den Thronsaal. „Die Krone von Alderaan wird nicht einfach nur vererbt. Sie muss verdient werden. Der Erbe muss sich ihrer würdig erweisen, mit Leib, Herz und Geist. Bist du dazu bereit?“

„Das bin ich, o Mutter und Königin.“ Leia empfand es als Erleichterung, wieder aufstehen und das schwere Schwert senken zu können. „Ich habe drei Herausforderungen gewählt. Wenn ich mich diesen Herausforderungen gestellt und sie bestanden habe, müsst Ihr mich als Kronprinzessin von Alderaan einsetzen.“

„Offenbare uns diese Herausforderungen, dann werden wir entscheiden, ob sie genügen“, erwiderte Bail, als würde er sie nicht alle schon kennen. Einen Moment lang war sie versucht, sich an Ort und Stelle etwas aus den Fingern zu saugen. Ich möchte Jonglieren lernen und als Federfeuertänzerin auf die Bühne. Seid Ihr stolz auf mich?

Aber sie hatte ihre Rede so oft geübt, dass sie ihr fast automatisch über die Lippen kam. „Als Herausforderung an den Körper werde ich den Gipfel des Appenza Peak erklimmen.“ Diesen Berg konnte sie von ihrem Schlafzimmerfenster aus sehen. Seine Silhouette vor dem Hintergrund des Sonnenuntergangs bot immer wieder einen spektakulären Anblick. „Als Herausforderung an den Geist werde ich meinem Vater im Imperialen Senat nicht länger nur assistieren, sondern unsere Welt auch in der Nachwuchslegislatur repräsentieren. Und als Herausforderung an das Herz werde ich humanitäre Missionen auf notleidende Planeten unternehmen und sämtliche Kosten aus meinem Anteil am königlichen Vermögen bezahlen. Mittels dieser Herausforderungen werde ich mein Recht auf die Krone beweisen.“

Breha neigte den Kopf. „Diese Herausforderungen genügen dem Anspruch.“ Sie erhob sich von ihrem Thron, und Leia stieg auf das Podium hinauf und brachte das Schwert wieder vor sich in Position. Breha legte ihre Hände um den Griff der Waffe, ihrer beider Finger überlappten sich für einen Moment, dann ließ Leia los. „Mögen alle Anwesenden Zeuge sein! Wenn meine Tochter diese Herausforderungen besteht, soll sie als Kronprinzessin eingesetzt werden und Thronerbin von Alderaan sein.“

Jubel erfüllte den Saal. Leia knickste vor ihren Eltern, die dermaßen stolz strahlten, dass sie einen Augenblick lang das Gefühl hatte, es sei alles in Ordnung. Als hätte die Zeremonie bewirkt, dass ihre Eltern sie wirklich wieder sahen …

… bis die Gäste mit ihren Glückwünschen herandrängten und ihre Eltern sich abwandten, um die anderen zu begrüßen, anstatt ihrer Tochter zu gratulieren.

Bail war ins Gespräch mit Mon Mothma und ihrem chandrilanischen Senatskollegen Winmey Lenz vertieft. Breha hatte die Hände von Senatorin Pamlo ergriffen und dankte ihr nachdrücklich für ihren Besuch.

Leia war bereits vergessen.

„Leia, mein liebes Mädchen!“ Lord Mellowyn von Birren kam zu ihr. Er lächelte unter seinem buschigen weißen Schnurrbart. Aufgrund von komplexen Strukturen innerhalb der Abstammungslinie der Alten Häuser, die zu entwirren sich niemand mehr die Mühe machte, waren sie Vettern. „Du warst ganz wunderbar.“

„Danke!“ Sie erwiderte sein Lächeln, so gut sie konnte.

Es ist wahr. Ich bilde es mir nicht nur ein. Sie beachten mich gar nicht mehr.

Habe ich etwas falsch gemacht?

Oder kümmert es sie einfach nicht?

*

Sie glaubte nicht, dass sie ihren Unmut erregt hatte. Sie hatten sich nicht wütend von ihr abgewandt. Stattdessen waren sie in den vergangenen sechs Monaten … wie verebbt.

Leia hatte nie viele Freunde in ihrem eigenen Alter gehabt. So egalitär die alderaanische Monarchie auch sein mochte, es würde immer eine Trennlinie geben zwischen denen innerhalb des Palasts und jenen außerhalb seiner Mauern. Sie hatte in den hügeligen Gärten mit einigen Kindern des Küchenpersonals herumgetollt, aber zumeist hatte sie nur ihre Eltern als Kameraden gehabt.

Bail und Breha Organa hatten lange auf ein Kind gewartet. Das hatten sie ihr viele Male erzählt, oft beim Zubettgehen, als Teil jener Geschichte darüber, wie ihr Vater von einer geheimnisvollen Mission zurückgekehrt war, um ihre Mutter mit dem kleinen Mädchen in seinen Armen zu überraschen. Doch Leia hätte es auch dann gewusst, wenn sie ihr die Geschichte nicht erzählt hätten. Ganz gleich, wie viele Fragen sie auch stellte, ihre Eltern wurden nie müde, für sie nach Antworten zu suchen. Wenn sie spätnachts schlecht träumte, überließen sie Leia nie einem menschlichen Kindermädchen oder einem Pflegedroiden – einer von ihnen kam immer zu ihr, manchmal auch beide. Wann immer sie einen Raum betrat, in dem ihre Eltern waren, lächelten sie. Sie hatte das Gefühl, die beiden durch ihre bloße Existenz glücklich zu machen.

Viele Kinder wären dadurch hoffnungslos verzogen worden. Doch Leia wollte stets hilfsbereit sein, vor allem jenen gegenüber, die ihr etwas bedeuteten, und sie liebte ihre Eltern mehr, als sie sich vorstellen konnte, irgendjemanden sonst zu lieben. Deshalb versuchte sie, sich für alles zu interessieren, was sie taten. Breha pflanzte malastarianische Orchideen, also pflanzte auch Leia Orchideen und lernte, sie so zu pflegen, dass sie rosafarbene Blüten trugen. Bail tanzte gern – Leia studierte Tanz und übte mit ihrem Vater, bis ihre Füße schmerzten.

Hinsichtlich der Arbeit ihrer Mutter als Königin hatte sie keine so großen Fortschritte erzielt. Breha Organa hatte die königliche Buchführung inne, sie bilanzierte die vielen Konten und beaufsichtigte persönlich die Finanzierung aller öffentlichen Arbeiten des Planeten. Leia hatte tapfer versucht, sich Grundkenntnisse der Buchführung anzueignen, und sich nicht schlecht geschlagen, aber sie hatte es einfach nur gehasst. Binnen einer Woche hatte ihre Mutter sie mit einer Umarmung und einem Lachen davon entbunden.

„Aber muss ich das nicht lernen, wenn ich Königin werden will?“, hatte Leia protestiert.

„Nicht wenn du dich in jemanden verliebst, der Buchhaltung mag.“ Breha hatte ihr zugezwinkert. „Dann kannst du diese Arbeit deinem Vizekönig aufhalsen.“

Ihre Eltern hatten ihre Pflichten so organisiert, dass ihre Mutter sich um die Angelegenheiten auf Alderaan kümmerte, während ihr Vater Alderaan im Imperialen Senat vertrat und die diplomatischen Bemühungen übernahm. In den Klonkriegen war er auch ihr militärischer Führer gewesen, und als kleines Mädchen hatte Leia sich von seinen abenteuerlichen Geschichten mitreißen lassen – und als sie heranwuchs, bekam sie einige der dunkleren, traurigeren Geschichten zu hören, die den größten Teil eines jeden Krieges ausmachten.

Aber es hatte nun seit einer ganzen Generation schon keinen großen Krieg mehr gegeben. Die Galaxis war geeint, wenn auch auf die schlimmstmögliche Weise, nämlich unter der Tyrannei von Imperator Palpatine. Als Repräsentant einer der einflussreichsten Kernwelten war Bail Organa eine der wenigen Stimmen im Imperialen Senat, die Palpatines despotische Herrschaft zügeln konnten. In der Politik wurden eigene Schlachten geführt, und Leia fand schon früh heraus, dass sie für einen guten Kampf etwas übrighatte. Als Praktikantin im Senatsbüro ihres Vaters hatte sie in den vergangenen zwei Jahren seine Reden Korrektur gelesen, übungsweise Debatten über verschiedene Themen mit ihm geführt und ihm geholfen, sich zu entspannen, wenn sie nach den Sitzungsperioden auf der königlichen Jacht oder der Tantive IV die Heimreise antraten. Sie hatte das Gefühl gehabt, für Bail Organa nicht nur eine Tochter, sondern auch eine Kollegin zu sein, und das hatte sie mit mehr Stolz erfüllt, als es ihre Krone jemals könnte.

Sie hatte ihren Teil beigetragen. Sie war eine gute Tochter gewesen. Warum also gaben sie sich keine Mühe mehr, ihre Elternrolle zu erfüllen?

Sie schlugen sie nicht etwa oder waren auf sonst eine Weise hinterhältig zu ihr. Es war schlimmer.

Sie ignorierten sie.

Ihr Vater hielt peu à peu mehr private Sitzungen in seinen Büros ab, Diskussionen mit Senatoren von Uyter oder Mon Cala, an denen Leia nicht teilnehmen konnte. Solche Konferenzen hatte es schon immer gegeben, aber die Zahl stieg von einigen wenigen im Monat auf mehrere am Tag. Und danach war Bail dann jeweils stundenlang ganz zerfahren. Wenn Leia versuchte, ihn darüber auszuhorchen, wies er sie streng zurecht, sie solle sich um ihre eigenen Pflichten kümmern. Es war, als wären ihm Machtverhandlungen wichtiger geworden als alles andere, inklusive seiner eigenen Tochter.

Ihre Mutter war sogar noch schlimmer. Sie hatte sich plötzlich in eine Gastgeberin der führenden Gesellschaft verwandelt. Sie lud Würdenträger aus der ganzen Galaxis zu üppigen Banketten ein, wo bis zum Morgengrauen gefeiert wurde. Manchmal ertappte Leia ihre Mutter dabei, wie sie anderntags über ihren Geschäftsbüchern eindöste. Ihre Verantwortung gegenüber ihrem Volk bedeutete ihr offenbar nichts mehr, jedenfalls nicht im Vergleich zur Organisation einer tollen Festivität.

Leia spürte, wie ihr Bereich, den sie in der Welt ihrer Eltern einnahm, immer weiter schrumpfte, bis sie in ihrer Gegenwart kaum mehr atmen konnte. Nichts, was sie sagte oder tat, schien die beiden noch im Geringsten zu berühren. Und obgleich sie längst zu alt war, um noch nach ihren Eltern zu rufen, wenn sie einmal schlecht träumte, wollte sie es gelegentlich dennoch am liebsten tun.

Aber sie rief nie nach ihnen. Sie wollte nie erfahren müssen, dass sie nicht kommen würden.

*

„Weg da vom Fenster!“, schalt 2V, als sie an Leias Bett rollte und die seidene Decke darüber breitete. „Ihr könntet vom Blitz erschlagen werden.“

Leia rührte sich nicht von ihrem Sitzplatz am offenen Fenster. Die stürmische Brise fuhr herein, der Wind spielte mit ihrem Haar, das offen über ihren Rücken fiel. Ihr weißes Nachthemd bauschte sich und bedeckte ihre Knie, die sie an die Brust gezogen hatte und mit den Armen umschlang, während am Horizont ein weiterer Blitz herabzuckte.

2V rollte herbei, die Gelenkarme auf die steife Schürze gestützt, die ihre Hüften bildete. „Hoheit, bitte! Das ist zu gefährlich.“

„Ich werde schon nicht getroffen“, sagte Leia. „Und ich mag Gewitter.“

2V kam bedrohlich nahe. „Meine Programmierung erlaubt es mir, Euch nötigenfalls mit Gewalt vor großen körperlichen Risiken zu bewahren.“

„Schon gut, schon gut. Ich komme ja schon. Siehst du?“ Leia hüpfte vom Fensterbrett und ging zu ihrem Bett. Es war ein Artefakt aus einem prachtvolleren Zeitalter, aus kostbaren Glee-Anselm-Harthölzern geschnitzt und mit dünnen, geschwungenen Einlegearbeiten aus reinem Gold und Silber verziert. Heute vergeudete das Königshaus kein Geld mehr für solchen Prunk, aber Breha hatte immer gesagt, es wäre dumm, wenn man ein Bett, eine Tiara oder auch einen Palast, die alle noch tadellos waren, nicht auch benutzen würde.

„Wie ich von den Protokolldroiden gehört habe, sollt Ihr heute ganz fabelhaft gewesen sein.“ 2V machte Ordnung auf der Frisierkommode und legte jede Bürste und jeden Kamm wieder dorthin, wo sie hingehörten. „Ich bin sicher, Euer Aussehen hat für große Bewunderung gesorgt.“

Leia musste lächeln. „Alle haben gesehen, was du für gute Arbeit geleistet hast, Zwovau. Du kannst stolz auf dich sein.“

Zufrieden strahlend machte 2V eine leichte Verbeugung, dann rollte sie aus dem Zimmer. Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, schlug Leia erneut die Decke zurück und ging wieder zum Fenster. Halb verborgen hinter dem Appenza Peak schlug ein weiterer Blitz im Boden ein. Für eine Sekunde zeichnete sich der Berg scharf umrissen im grellen Licht ab.

Es war so schön, sagte sie im Geiste beim Frühstück zu ihren Eltern – auch wenn sie natürlich nicht mehr mit ihr frühstückten. Sie waren schon vor Sonnenaufgang damit beschäftigt, ihre nächste Festlichkeit zu planen.

Leia riss abermals das Fenster auf und ließ den Wind durchs Zimmer wehen. Auf ihren Wangen und Armen spürte sie die Kühle einiger Regentröpfchen. Die Zeremonie hatte nicht ihren Kindheitsvorstellungen entsprochen, aber ein solches Gewitter könnte sie nie enttäuschen. Ihr gefiel diese Wildheit, die Unberechenbarkeit, selbst die vage Gefahr, die davon ausging. Das war ein Zug, den sie erst unlängst an sich entdeckt hatte, diese Liebe zu Stürmen, und sie schätzte sie, weil sie zu den wenigen Dingen gehörte, die sie nicht mit ihren Eltern geteilt hatte. Diese Liebe gehörte ihr ganz allein.

Trotzdem wollte sie ihnen eines Tages davon erzählen, wenn alles endlich wieder so war, wie es früher einmal gewesen war.

Morgen, gelobte sie sich, morgen stelle ich mich meiner ersten Herausforderung. Ich werde mich beweisen.

Ich werde etwas tun, das zu groß ist, als dass sie es ignorieren könnten.

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Drei Wochen blieben noch bis zum Beginn der nächsten Sitzungsperiode der Nachwuchslegislatur. Leia hätte sich eigentlich darauf vorbereiten sollen – die großen Themen recherchieren, potenzielle Gesetzesentwürfe skizzieren, die sie vorschlagen wollte. All diese Dinge tat ihr Vater immer, bevor er in den Imperialen Senat zurückkehrte. Sie hatte ihm jetzt zwei Jahre lang dabei geholfen, lange genug, um selbst zu wissen, wie man diese Vorbereitungen anging. Also hätte sie sich im Arbeitszimmer vergraben sollen, verschanzt hinter allen möglichen politischen Unterlagen.

Stattdessen eilte sie durch den Hauptraumhafen von Aldera, und 2V sirrte neben ihr her.

„Ihr müsst den imperialen Offiziellen dort Euren Respekt erweisen“, beharrte 2V, als sie einem Gozantifrachter auswichen, wo Arbeitsdroiden Kisten in den Laderaum hoben. „Ihr reist als Diplomatin auf einer humanitären Mission und müsst Euch entsprechend präsentieren. Eine Prinzessin muss immer dem Anlass gemäß gekleidet sein.“

„Das mach ich schon“, seufzte Leia. Es war Jahre her, seit sie dagegen protestiert hatte, Kleider zu tragen oder ihr Haar hochzustecken, doch 2V war überzeugt, dass sie sofort wieder in ihre Kinderoveralls schlüpfen und sich einen Pferdeschwanz binden würde, sobald sie sie aus den Augen ließ. „Wir liefern Lebensmittel an notleidende Flüchtlinge auf Wobani. Dazu brauche ich mir keine Perlen in die Haare zu flechten.“

2Vs Torso ruckte auf eine Weise nach hinten, für die Leia nur der Begriff affektiert einfiel. „Es gibt keinen Grund, albern zu sein. Perlen sind so was von passé.“

Die königliche Familie nutzte bevorzugt die öffentliche Raumflugzentraleinrichtung von Aldera. Unzählige Male war Leia mit ihren Eltern hierhergekommen und an Bord geleitet worden, aber jetzt befehligte sie zum ersten Mal persönlich ein Schiff auf einem interplanetaren Flug. Den Antrag über Tarrik, den Majordomus des Palastes, einzureichen, war noch Routine gewesen. Doch als sie nun die Tantive IV sah, wie sie da auf sie wartete, machte die Größe des Schiffes einen ganz neuen Eindruck auf sie. Der Gedanke, dass es ihr zur Verfügung stand – das Wissen, dass über zwei Dutzend Crewmitglieder ihre Befehle erwarteten –, durchdrang sie bis ins Mark. Seit Monaten, ach, seit Jahren hatte es sie nach echter Verantwortung verlangt. Nun war dieser Tag gekommen.

Sie erkannte den Mann im grauen Hemd, der ihr entgegenkam, und richtete sich auf, die Hände in den weiten Glockenärmeln ihres Kleides gefaltet. „Captain Antilles. Danke, dass Sie das Schiff so schnell bereit gemacht haben. Wann können wir starten?“

„Noch zur Stunde, Hoheit.“ Er lächelte auf sie herab, den Kopf leicht zur Seite gelegt. „Ihr könnt Euch auf uns verlassen.“ Damit salutierte er zackig und kehrte strammen Schrittes an seine Arbeit zurück. Leia blieb stehen und fragte sich, warum ihr diese Antwort nicht gefiel. Captain Antilles war höflich gewesen, respektvoll, ja, sogar freundlich. Sie zweifelte weder an seiner Loyalität noch an seiner Dienstbereitschaft. Aber wie er den Kopf zur Seite geneigt hatte …

Er sieht in mir keine Führungspersönlichkeit. Für ihn bin ich immer noch ein kleines Mädchen. Ihre Miene verdüsterte sich. Er findet mich süß.

Es war albern, davon überrascht zu sein, geschweige denn gekränkt. Der Captain kannte sie, seit sie ein Baby gewesen war, und sie hatte gerade erst den Tag ihres Thronanspruchs gefeiert. Außerdem war Leia auch körperlich noch im Wachsen begriffen – jedenfalls hoffte sie es. Wie ihre Mutter stets zu sagen pflegte: Autorität kann man verleihen, aber Führungsstärke muss man sich verdienen.

Und damit würde sie heute beginnen. Schon bald würden weder Captain Antilles noch ihre Eltern mehr daran zweifeln, wozu sie fähig war.

*

Die Reise nach Wobani verging schnell und ereignislos. Leia verbrachte ihre Zeit in den Frachträumen und vergewisserte sich, dass alle Vorräte ordentlich verstaut waren und die Offiziere klare Anweisungen hatten, wie die Verteilung vonstattengehen sollte. Als sie den Planeten erreichten, musste Leia nur einen Blick auf die Skizze der Umsiedelungsstation werfen, um zu entscheiden, wo sie am besten landeten.

„Ein Kinderspiel. So einfach, wie einen Mon Calamari unterzutauchen“, murmelte sie vor sich hin. Das war eine alte Redensart, aber sie hatte beim Spielen mit Mon-Calamari-Kindern in den Swimmingpools des Senatskomplexes herausgefunden, dass die eigentliche Schwierigkeit darin bestand, sie erst einmal an die Oberfläche zu bekommen. Jemanden, der bereits unter Wasser war, konnte man ja schlecht untertauchen.

Auf Wobani brauchte man keine besondere Überlebensausrüstung. Es handelte sich um eine gemäßigte Welt des Mittleren Randes, schwül, ansonsten jedoch unauffällig, und sie würden sich so nah am Äquator befinden, dass sie sich über Schnee keine Sorgen zu machen brauchten. Der Planet war nie sonderlich begütert oder dicht besiedelt gewesen, die Selbstversorgung erfolgte in erster Linie durch die Grundfertigung von Kleinteilen und Rüstungsbedarf sowie den Anbau von Getreide und Gewürzen, die unter sumpfigen Bedingungen gediehen. Wie viele andere Welten überall in der Galaxis reichte es auf Wobani gerade für den Lebensunterhalt und ein bisschen mehr. Am intragalaktischen Handel war man nur in bescheidenem Maße beteiligt, und man hegte keinerlei Ambitionen auf einen höheren Rang in der Galaxis.

Doch dann, vor sechs Jahren, rief Palpatine das „Programm zur Rohstofferhöhung“ ins Leben, das galaxisweit besseren Marktzugang für Nahrungsgüter und andere organische Rohmaterialien versprach. Wie so viele andere Versprechungen des Imperators war auch dies eine Lüge, die nur dazu diente, andere Pläne zu verhehlen. Leias Eltern hatten ihr beigebracht, wie man derlei Dinge durchschaute. Wobani wurden Produktionsquoten auferlegt, die unmöglich zu erreichen waren, und wenn die Farmer des Planeten sie nicht erfüllten, mussten sie Strafe zahlen. Große Teile gemeinschaftlichen Landbesitzes wurden nun zerstückelt und an Offizielle des Imperiums verteilt, die sich angeblich um ein „besseres Management“ kümmern würden. In Wahrheit hieß das nichts anderes, als dass sie nun direkt davon profitieren konnten, während die Bewohner von Wobani immer ärmer und die Not immer größer wurde.

Jede Welt, die unter das Rohstofferhöhungsprogramm fiel, hatte damit zu kämpfen, doch auf Wobani war ein völliger Zusammenbruch die Folge gewesen. Überall litt man Hunger. Als die Landwirtschaft kollabierte, wurden die Produktionsstätten von verzweifelten Umsiedlern auf der Suche nach Arbeit überrannt, und das hieß im Gegenzug, dass die Fabriken niedrigere Löhne zahlen und die Leute zwingen konnten, unter riskanteren Bedingungen zu arbeiten. Inzwischen waren die Wobani zu allem bereit, um zu überleben. Angeblich gab es Pläne zum Bau imperialer Arbeitslager für Gefangene auf dem Planeten. Das war buchstäblich die einzige Industrie, die sich auf Wobani noch halten konnte, und die Bevölkerung war so demoralisiert, dass sie solche Lager in ihrer Mitte duldete. Bewegungsfreiheit zwischen den Sternensystemen war zwar die Norm, doch das Imperium hatte Wobani strenge Reisebeschränkungen auferlegt, um „die Ausbeutung zu verhindern“. Im Senat ging man weithin davon aus, dass die Beschränkungen vor allem ein Versuch waren zu verschleiern, wie schlimm die Lage auf Wobani tatsächlich war.

Leia fand das lächerlich. Jeder Senator und sämtliche Mitarbeiter wussten über die fürchterlichen Zustände auf Wobani Bescheid, aber keiner sprach sie an. Wenn die Leute einfach nur die Wahrheit sagen würden, dann hätte die Nachricht auf jedem Planeten alle erreicht, überall, und dann hätte es gar keinen Sinn mehr ergeben, überhaupt erst etwas verheimlichen zu wollen.

Nicht einmal ihr Vater hatte etwas gesagt. Sein Schweigen machte sie noch wütender als die Blockade.

Deshalb hatte sie ihren Eltern nicht verraten, wohin diese Mission führte. Leia war mit den Reiseprotokollen vertraut und ersuchte erst um eine diplomatische Landeerlaubnis. Jemand, der das Königshaus von Alderaan vertrat, bekam diese Erlaubnis sozusagen automatisch. Captain Antilles mochte zwar noch ein Kind in ihr sehen, aber er würde sich nicht darüber wundern, dass sie die Tantive IV auf einer vorab genehmigten Mission befehligte. Wahrscheinlich ging er sogar davon aus, dass ihre Eltern den Antrag gestellt hatten, aber seine Vermutungen waren nicht ihr Problem.

Sie malte sich aus, wie sie nach Alderaan zurückkehrte, in den Speisesaal des Palastes spazierte und ihren Eltern wie beiläufig erzählte, dass sie persönlich auf Wobani gewesen war, jawohl, dem politischen Hotspot, über den selbst Angehörige des Senats – wie ihr Vater – nicht zu sprechen wagten. Da würden sie Augen machen …

Aber Leia wollte gar nicht, dass sie Augen machten. Sie wollte nur, dass ihre Eltern sie wieder wahrnahmen.

Die Melancholie verschwand aus ihren Gedanken, als Captain Antilles’ Stimme über das Bordkomm erklang: „Hoheit, wir beginnen mit dem Landeanflug.“

„Danke, Captain! Ich bin gleich da.“ Damit schlug sie die Kapuze ihres Kleides hoch, sodass ihre Zöpfe darunter verschwanden, und machte sich auf den Weg zum Ausstieg. Jetzt lagen nur noch wenige Momente zwischen ihr und ihrer ersten und vielleicht wagemutigsten humanitären Mission, und sie verspürte das brennende Verlangen, etwas zu tun, das zählte, sowohl für ihre Eltern als auch die ganze Galaxis, sowie die Zuversicht, dass sie dazu imstande war.

Dieses Gefühl hielt an, bis die Luke der Tantive IV aufglitt und die Hölle offenbarte.

Leia öffnete entsetzt die Lippen, als sie ausstieg. Die hügelige Landschaft, die einst mit den frischen grünen Stielen des Frühjahrsgetreides bedeckt gewesen war, bestand jetzt nur noch aus Schlamm und ein paar gelben Pflanzenstängeln, die nicht mehr gedeihen konnten. Der Himmel über Wobani hatte jene schmuddelige Färbung angenommen, wie sie nur Luftverschmutzung verursachte, ein Dunst, der sich vielleicht nie mehr lichten würde. Dennoch, die Trostlosigkeit des Planeten reichte in keiner Weise an die seiner Bevölkerung heran.

Rund um das Landefeld, in jede Richtung bis zum Horizont, standen billige Unterschlupfe aus Fertigteilen, wie man sie auf eine lange Wanderung mitnahm, um in der Wildnis darin zu kampieren. Sie waren nicht zur täglichen Nutzung gedacht, aber allem Anschein nach lebten in diesen seit Monaten Tausende von Leuten.

Tiefe Furchen durchzogen die matschigen Wege, die als Straßen zwischen den Unterkünften dienten. Jedes einzelne dieser klapprigen Quartiere beherbergte eine ganze Familie oder auch zwei. Ringsum standen hagere Leute in fleckiger, abgetragener Kleidung und mit einer fiebrigen Bedürftigkeit in den Augen, die Leia ebenso sehr ängstigte wie berührte. Noch bevor sie die Rampe hinunterging, fingen die Leute draußen schon an, zu schreien und zu rufen und um Hilfe zu flehen.

Doch niemand trat vor, weil die Landeplattform von Sturmtruppen umringt war. Sie hielten Blastergewehre in den Händen, ihre weißen Rüstungen waren schmuddelig und mit Schlamm bespritzt.

Ein imperialer Offizieller stieg die kurze Rampe zur Tantive IV hinauf. Seine Augen waren so ausdruckslos wie sein Tonfall. „Die ‚humanitäre‘ Mission von Alderaan?“

„Ja.“ Leia hatte sich einige Worte zurechtgelegt, die sie sagen wollte – zum einen vornehm, zum anderen kühn, je nachdem, wie ihr Empfang ausfallen würde. Doch jede dieser sorgsam geplanten Ansprachen hätte hohl geklungen vor dieser hungrigen Menge. „Wir … äh … können gleich anfangen.“

Der Offizielle hob die Schultern. „Meinetwegen.“ Er machte eine knappe Handbewegung, und die Sturmtruppen rührten sich und senkten die Waffen.

Was als Nächstes geschah, kam Leia vor wie eine Lawine im Grindelgebirge oder vielleicht auch eine Sturzflut. Ein Strom von Leuten, größer und schneller, als sie es sich je hätte vorstellen können, brandete auf die Landeplattform zu und brach sich an den Rändern, wo die Menschen hochkletterten oder hinaufsprangen und teils andere hinter sich herzogen. Innerhalb von Sekunden waren sie und ihre Crew umringt von großen Augen und ausgestreckten Händen. Sie hörte nichts außer den Rufen dieser Menschen: „Wir brauchen etwas zu essen!“ – „Wasseraufbereitungssysteme? Habt ihr welche dabei?“ – „Irgendetwas, bitte, gebt uns nur irgendetwas!“

Captain Antilles versuchte, die Leute zurückzudrängen. Aus dem Augenwinkel sah Leia, wie ein anderes Crewmitglied sich bemühte, den ersten von vielen vorgesehenen Verteilungstischen aufzustellen – und an der Rampe stand der imperiale Offizielle wie ein Stein inmitten der wogenden Menge und grinste angesichts des Gewühls.

Und es war dieses Grinsen, das das Fass zum Überlaufen brachte. Leias Angst verbrannte in aufflammender Wut zu Asche. Sie sprang auf den Tisch und rief aus vollem Hals: „Alle herhören! HALT!“

Und alle gehorchten. Wahrscheinlich nur aus Überraschung darüber, dass ein zierlicher Teenager Befehle gab, aber das war Leia egal. Captain Antilles nahm ein Lautsprechermodul von seinem Gürtel und reichte es zu ihr hinauf.

„Hören Sie mir zu“, sagte sie, das Modul auf volle Lautstärke gestellt, damit man sie auch in den hintersten Reihen noch verstehen konnte. „Sie müssen nicht drängeln. Sie brauchen nicht zu streiten. Wir haben für alle Lebensmittel dabei.“

Das war übertrieben. Sie hatte geglaubt, die Vorräte, die ihren Laderaum füllten, würden reichen, um die Leute hier für eine Saison oder länger zu ernähren. Aber die Zahl dieser Menschen war so groß, und vor allem waren sie so ausgehungert, dass sie diese Vorräte binnen allerhöchstens einiger Wochen verzehrt haben würden. Trotzdem, es war besser als nichts … und Nichts war alles, was diese Menschen im Moment hatten.

Leia fuhr fort: „Lassen Sie uns kurz Zeit, um unsere Verteilstationen einzurichten. Vielleicht … vielleicht könnten Sie in dieser Zeit feststellen, wer unter Ihnen am bedürftigsten ist, die älteren Leute zum Beispiel oder die Kranken. Lassen Sie diese Menschen vor, damit sie als Erste drankommen und nicht lange anstehen müssen, denn alle anderen werden trotzdem alles erhalten, was sie brauchen. Verstanden?“

Ein Raunen ging durch die Menge, und im ersten Moment fürchtete Leia, die Leute würden die Tantive IV trotzdem stürmen. Doch dann wichen diejenigen, die am nächsten standen, zurück, um ihnen für den Aufbau Platz zu schaffen. In der Ferne machte sie Leute aus, die ein paar kleine Kinder und eine ältere Frau nach vorn führten, und weitere würden sicherlich folgen.

„In Ordnung.“ Leia sprang vom Tisch, wobei der Saum ihres Kleides auf eine Weise in die Höhe flog, die 2V undamenhaft genannt hätte. Auch auf einem Tisch zu stehen und aus vollem Hals in eine Menge zu rufen, galt wohl als undamenhaft – so wollte sie als Führungspersönlichkeit nicht unbedingt wahrgenommen werden.

Aber als sie Captain Antilles das Lautsprechermodul zurückgab, schaute er sie mit anderen Augen an. Kein Schieflegen des Kopfes mehr. Offenbar bedeutete Führungsstärke ab und zu auch, dass man auf die Etikette pfiff und einfach mal so laut schrie, wie man konnte. Der Captain sagte: „Ein paar Minuten, Hoheit, dann ist alles bereit.“

Leia nickte ihm zu und machte sich an die Arbeit.

Sie hätten Droiden programmieren und die Verteilung übernehmen lassen können, aber Leia ließ sie lieber die Vorratskisten ausladen. Sie wollte, dass diese Menschen ein lebendiges Gesicht sahen, das ihnen zulächelte, lebende Hände, die ihnen etwas gaben. Ihr seid nicht vergessen, dachte sie, während sie einer Person nach der anderen eine Ration reichte. Das Imperium erlaubt uns nicht, euch zu retten, aber helfen können wir euch trotzdem.

Derlei Dinge konnte sie nicht laut aussprechen, solange sie von bewaffneten Sturmtruppen umgeben war. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass ihre Botschaft ankam.

Nach dem Ansturm auf die Verteilung blieben ein paar Leute, um den Medidroiden des Schiffes zu konsultieren. Der 2–1B konnte gebrochene Knochen flicken und Wunden nähen, und Leia war froh, dass wenigstens dies alles möglich war. Aber was diese Leute wirklich brauchten, war eine Linderung ihrer verzweifelten Lebensumstände. Das hatte sie nur im kleinsten Maße vermocht, und es würde auch nur kurze Zeit anhalten.

„Ein schrecklicher Anblick.“ Captain Antilles stand neben ihr, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. „Da weiß man, wie glücklich wir uns auf Alderaan schätzen dürfen.“

„Allerdings.“

Leia war immer der Ansicht gewesen, sie sei sich der Missstände in der Galaxis sehr wohl bewusst. Ihre Eltern waren ehrlich zu ihr gewesen, was die Grausamkeit der Herrschaft Palpatines anging. Doch von einem Leid zu wissen, war etwas ganz anderes, als es mit eigenen Augen zu sehen. Als sie sich auf den Weg hierher machte, hatte sie sich redlich gefühlt, rechtschaffen. Doch jetzt, da sie hier war, wusste sie um ihre Hilflosigkeit.

Wie soll ich alldem hier den Rücken zukehren? Wie soll ich von Wobani mit dem Wissen nach Hause fliegen, dass ich diese Leute hier zurücklassen muss?

Die Antwort kam ihr wie ein Geistesblitz: Ich werde sie nicht zurücklassen.

Das Imperium hatte ihr die Erlaubnis erteilt, hier zu landen. Als Nächstes würde man ihr die Erlaubnis geben, die Tantive IV mit so vielen Flüchtlingen zu beladen, wie nur hineinpassten, um sie ein für alle Mal von hier fortzuschaffen.