Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2017

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Covergestaltung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

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Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2017

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-681-3

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-702-5 (EPUB), 978-3-95571-704-9 (PDF), 978-3-95571-703-2 (MOBI).

Vorwort und „Gebrauchsanweisung“ für dieses Buch

Wir freuen uns sehr darüber, liebe Leserinnen und liebe Leser, Ihnen in diesem Buch eine innovative Form des Businesscoachings präsentieren zu dürfen. Dabei möchten wir Ihnen gerne insbesondere zwei Themenbereiche näherbringen: Emotionen und Embodiment.

Wirksames Coaching orientiert sich am Bauplan unserer Psyche. Dabei müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir Menschen zutiefst emotional sind – und dies vielleicht mehr, als manchem lieb ist. Moderne neurobiologische Forschung belegt, dass wir z. B. ohne Emotionen weder entscheidungs- noch handlungsfähig sind. Andererseits gilt: Wir verfügen über eine große Menge an „emotionalem Kapital“. Es ist ein Geschenk der Evolution, aber wir greifen viel zu wenig darauf zurück – und schon gar nicht in systematischer Weise. Wir können dieses hochintelligente Navigationssystem wieder in Betrieb nehmen. Es arbeitet sehr schnell und taugt zur Orientierung in den viel zitierten komplexen Situationen. Allerdings müssen wir es justieren und die Sprache der Emotionen entschlüsseln lernen. In diesem Buch wird gezeigt, dass problematische Situationen mit mehreren Emotionen oder Gefühlen (beide Begriffe werden im Buch synonym verwendet) verbunden sind. Dabei vermittelt jede dieser Emotionen eine für uns wichtige Botschaft. Würden wir diese Vielfalt übersehen, so verhielten wir uns wie ein Berater, der auf völlig unterschiedliche Fragen immer die gleiche Antwort gibt. Mithilfe des Strategischen Coachings entwickeln wir deshalb ein differenzierteres Bild dieser Situation. Dabei entsteht das Emotionale Feld. Dies ist die Ausgangslage zur Entwicklung ebenso origineller wie stimmiger Problemlösungen.

In unserem Ansatz verwenden wir die um den Körper erweiterte, aktuellere Konzeption von „Kognition“ so, wie sie durch die moderne Embodimentforschung repräsentiert wird. Diese wiederum ermöglicht sowohl einen direkteren Zugang zu den Emotionen als auch eine neuartige, noch betonter erlebnisorientierte Arbeitsweise beim Umgang mit emotionalen Prozessen zunächst im Coaching und dann in der Führungspraxis.

Im Coaching kann die Energie, die aufgebracht werden muss, um eine Veränderung zu bewirken, aus den Emotionen unserer Klienten geholt werden.

Emotionen bewegen uns physiologisch und psychologisch. Strategisches Coaching nutzt diese Energien, um in schwierigen und verfahrenen Situationen ein umfassenderes Portfolio alternativer Reaktionsweisen zu entwickeln. Wir sehen die Emotionen als die stärksten Verbündeten der Führungskraft und wollen Vertrauen in ihr Potenzial wecken. Zu diesem Zwecke bieten wir Klienten die Möglichkeit, mithilfe von Embodimenttechniken vertrauter mit verschiedenen für sie relevanten Emotionen zu werden. Dabei werden Emotionen in Absprache mit unserem Coachee bottom-up hergestellt, erlebt und erforscht. Erst danach wird darüber gesprochen. Sprache ist und bleibt natürlich ein wesentlicher Aspekt in verschiedensten Formen des Coachings (Hauke et al., 2016). Mit unserer Arbeitsweise wollen wir jedoch sicherstellen, dass auch vorsprachliche Inhalte einbezogen werden. Unser Bewusstsein, d. h. der sprachlich gefasste Bereich – unsere „willkürliche“ Psyche –, ist, im Vergleich zum vorsprachlichen, unbewussten Bereich, relativ naiv, unwissend und intellektuell völlig unzureichend in Hinblick auf die Komplexität anspruchsvoller Situationen des Managementalltags. Logisch-rationales Herangehen ist eine Form der eng begrenzten Rationalität und befasst sich deshalb oft nicht mit den wirklichen Bestimmungsfaktoren menschlichen Erlebens und Verhaltens. Strategisches Coaching geht darüber hinaus, erschließt jene vorsprachlichen Inhalte und nutzt sie als Ressource für das Erreichen von Zielen, Wachstum und Entwicklung.

Wie nutze ich dieses Buch am effektivsten?

Wir empfehlen Ihnen, zunächst das erste Kapitel zu lesen. Es vermittelt Ihnen anhand eines konkreten Fallbeispiels einen Überblick über Philosophie und Praxis des Strategischen Coachings. Wir haben hier eine Form der Darstellung gewählt, die ohne größere Voraussetzungen verständlich sein sollte. Dabei ist es uns ein Anliegen, möglichst viele Leserinnen und Leser anzusprechen, egal, in welcher Coachingphilosophie sie sich beheimatet fühlen. An dieser Stelle gibt es neben dem systematischen Durchlesen mehrere Möglichkeiten des Einstiegs in die Lektüre:

Falls Sie unser Fallverständnis im ersten Kapitel gewinnbringend finden, so können Sie ein solches Interesse in den nachfolgenden Kapiteln noch vertiefen. Hier beschreiben wir – wiederum anhand konkreter Fälle aus der Praxis – ausführlicher unsere Arbeit im Strategischen Coaching. Dabei werden Sie allerdings auf Aspekte stoßen, die ohne die Lektüre der vorherigen Kapitel möglicherweise nicht mehr ohne Weiteres verständlich sind. Aber vielleicht haben Sie ja nun Lust, die vorherigen Kapitel auch zu lesen.

Ein guter Weg ist auch, nach dem ersten Kapitel die ausformulierten Handlungsanleitungen in den Kapiteln 4 und 5 anzuschauen. Fragen Sie sich dabei: „Wie würde ich mich in meiner Rolle und Arbeitsweise als Coach fühlen, und wie würde ich mich als Klientin bzw. Klient angeleitet fühlen?“ Auch dies kann Motivationsquelle für ein systematischeres Lesen sein.

Wir möchten Sie aber auch dazu ermutigen, beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses oder beim ersten Durchblättern des Buches schlicht und einfach Ihren „somatischen Markern“ zu vertrauen.

Danksagung

Die Reise von den gegenwärtigen Wissensbeständen der Emotionspsychologie und des Embodiments bis hin zu den dargestellten Möglichkeiten ihrer klinischen Anwendung glich gelegentlich einer Expedition durch zähes Dickicht und unsicheres Terrain. Hier musste eine zuverlässige Landkarte erstellt werden. Ohne die großzügige Unterstützung von Prof. Dr. Manfred Holodynski, Universität Münster, wäre dies nicht gelungen. Er hat sich viel Zeit genommen und uns sehr dabei geholfen, eine erste Vogelperspektive einzunehmen. Wir sind ihm sehr dankbar für diese großzügige Geste. Ebenso danken wir ganz herzlich Prof. Dr. Fritz Strack, Universität Würzburg, für freundliche Hinweise zum Verständnis des von ihm konzipierten „Reflective-Impulsive-Model (RIM)“. Unsere Kollegin aus der „Embodiment Resources Academy“ (http://www.era-europa.com) Frau Dipl.-Psych. Beverly Jahn hat uns durch intensive Diskussionen in unsrem Denken weitergebracht. Herr Dr. Carsten Suckrow hat uns als erfahrener Businessstratege immer wieder darin gefordert, die Bedürfnisse der Geschäftswelt noch deutlicher zu fokussieren. Sein Beitrag war uns unerlässlich. Frau Dipl.-Psych. Ellen Flies, Coach und Supervisorin in Bonn, hat uns lange auf unserem konzeptionellen Weg begleitet. Wir sind ihr sehr dankbar sowohl für ihre unterstützende Energie als auch für ihre wertvollen inhaltlichen Impulse. Ganz besonders danken wir den Kollegen der Coaching Academy CIP Frau Dipl.-Psych. Carolin Graf, Frau Dipl.-Kauffrau Bärbel Kress und Herrn Prof. Dr. Dr. Serge Sulz. Diese Zusammenarbeit war stets ein wichtiges inhaltliches und emotionales Fundament.

Sowohl freundschaftliche als auch fachliche Unterstützung verdanken wir Prof.Dr. Bernd Birgmeier, dem Psychotherapeuten PD Dr. Martin Fegg, dem Geschäftsführer und therapeutischen Leiter von ANAD Dipl.-Psych. Andreas Schnebel, dem Psychotherapeuten Dipl.-Psych. Jan Spreemann, dem Psychotherapeuten und Psychoonkologen Dr. Dr. Gérard Tchitchekian.

Wir danken sehr herzlich unseren zahlreichen Coachingklienten, Supervisanden und Teilnehmern unserer Coachingausbildung. Das Feedback war sehr unterstützend bei unserem Bemühen, das Verfahren noch besser an die Anforderungen der Praxis anzupassen und weiterzuentwickeln.

Ebenso danken wir dem Fotografen Shahin Shokati, dessen Bilder für eine lebendige Darstellung der Emotionsmuster unerlässlich sind.

Die Lektorin des Junfermann Verlages, Frau Katharina Arnold, hat uns kompetent und umsichtig betreut. Dafür sind wir ihr herzlich dankbar.

München und Melbourne im Frühjahr 2017

Dr. Gernot Hauke 

Dr. Christina Lohr 

Dr. Tania Pietrzak

1. Strategisches Coaching: Emotionale Überlebensstrategien, Emotionales Feld, Embodimenttechniken

Zu Beginn, liebe Leserin, lieber Leser, wollen wir Ihnen gewissermaßen aus der Vogelperspektive das Gelände zeigen, in das wir Sie dann mittels der folgenden Kapitel dieses Buches tiefer hineinführen möchten. Wir werden hier auch ein erstes Fallbeispiel beschreiben, das Ihnen Arbeitsweise und Potenzial des Strategischen Coachings konkreter veranschaulicht. Zuerst wollen wir Ihnen aber einige wesentliche Merkmale dieses Ansatzes vermitteln.

1.1 Erster Überblick: konzeptuelle Grundlagen und Fallverständnis

Wir orientieren uns an einem Verständnis von Coaching, das von Birgmeier (2006) beschrieben wurde. Es ist eine interaktive Form der Arbeit, wobei Klienten die Experten für ihre Tätigkeit und Coaches die Experten für verhaltensorientierte Zusammenhänge sind. Das Coaching ist fallbezogen, d. h., es wird an konkreten problematischen Situationen gearbeitet. Der Arbeitsstil ist prozessorientiert und will mithilfe bestimmter Interventionen nicht nur problemlösend und entwicklungsfördernd wirken, sondern auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion anreichern und verbessern. Coaches sind dabei auch Begleiter für individuell gestaltete Veränderungsprozesse. Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungstendenzen im Coachingdiskurs zeigt eindrucksvoll, dass wir mit dem verstärkten Bemühen um eine wissenschaftliche Fundierung auch zu einer ausgeprägteren Professionalisierung dieses Feldes gelangen (Birgmeier, 2011; Greif, 2011; Graf, 2014).

Heutzutage haben sich Coaches mit Anfragen und Aufgabenstellungen zu befassen, die sich nicht allein mit dem viel zitierten „Werkzeugkoffer“ behandeln lassen. Professionelles Coaching verlangt nach fundierten Ansätzen, die der Komplexität der Aufgabe gerecht werden können. Was aber ist fundiert? Im Zentrum jeden Coachings steht der Mensch. Wenn also Coaching wirken soll, dann orientiert sich seine Konzeption am besten an der Arbeitsweise unserer Psyche. Wie sonst können angestrebte persönliche Veränderungen im beruflichen Kontext realisiert werden?

Strategisches Coaching hat sich aus einer innovativen Form der Verhaltenstherapie, namentlich der Strategisch Behavioralen Therapie (SBT), heraus entwickelt (Sulz & Hauke, 2010; Hauke, 2013). Die Bezeichnung „Strategisch“ bezieht sich auf ein wesentliches Arbeitselement in unserem Coachingverfahren. Es handelt sich dabei um die Emotionale Überlebensstrategie. Wir wollen diese Begrifflichkeit kurz mit Inhalt füllen.

Emotionale Überlebensstrategie. Wir arbeiten, weil wir unsere Bedürfnisse befriedigen wollen. Unser Verhalten ist strategisch darauf ausgerichtet, zentrale Bedürfnisse z. B. nach Willkommensein, Anerkennung, Neugier, Selbstbestimmung usw. zu befriedigen. Dies soll dazu führen, dass wir möglichst oft unser gefühltes inneres Gleichgewicht wiederherstellen bzw. aufrechterhalten. Die dazu notwendigen psychischen Prozesse werden weitgehend automatisch, überwiegend unbewusst aktiviert und gesteuert. Dabei bedienen wir uns keineswegs immer der gesamten Palette möglicher Verhaltensoptionen. Frühere Lernprozesse führten bereits zur Internalisierung bestimmter Regeln, Gebote und Verbote, die „erfahrungsgemäß“ eingehalten werden sollten, damit eine wenigstens minimale Bedürfnisbefriedigung möglich ist und die Homöostase einigermaßen erhalten bleibt. Solche Verhaltensanweisungen bezeichnen wir als „Emotionale Überlebensstrategien“. Es handelt sich dabei um automatisierte, nicht bewusstseinspflichtige Schemata. Sie stellen sehr schnell eine Verhaltensantwort zur Verfügung, die in vielen Fällen ausreicht, um mit bestimmten Situationen umgehen zu können. Generell sind Affekte und Emotionen die treibenden Kräfte bei der raschen Aktivierung und Steuerung von Verhaltensweisen. Darauf bezieht sich der Zusatz „Emotional“ in der Bezeichnung „Emotionale Überlebensstrategie“.

Im Arbeitsalltag können jedoch Situationen eintreten, in denen solche Strategien nicht mehr greifen und für den Coachee massiv dysfunktional werden. Selbst erhöhte Anstrengungen, danach zu handeln, scheitern bald. Meistens ist genau dieser Fall eingetreten, wenn Klienten ins Coaching kommen. Daher ist es von größter Bedeutung, dass die Überlebensstrategie möglichst schnell im Coaching erarbeitet wird. So viel zum Namen unseres Ansatzes. Wie wird hier gearbeitet?

In unserem Coachingansatz sind jene globalen Wirkfaktoren verankert, die sich grundsätzlich in verschiedensten Therapieformen bewährt haben (Sulz & Burkhardt, 2014). Da wir ein Coaching anbieten wollen, das auch tatsächlich wirkt, beachten wir die fünf essenziellen Merkmale, die sich in der Therapiewirkungsforschung von Grawe et al. (2001) insbesondere auf empirischem Wege als wesentlich herauskristallisiert haben. In unserem Coachingansatz wird dies folgendermaßen realisiert (Hauke, 2014):

Qualität der Beziehung zwischen Coach und Coachee. Der Aufbau einer vertrauensvollen, unterstützenden Beziehung auf Augenhöhe ist die Basis. Nur wer sich in einer solchen Arbeitsbeziehung wohlfühlt, wird dort gut arbeiten und letztlich auch Erfolge für sich verbuchen können. Klienten sind die Experten für ihre berufliche Aufgabe und ihr Fachgebiet, der Coach ist Experte für psychologische und betriebliche Zusammenhänge, kennt die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit, stellt sich als Resonanzboden zur Verfügung und ist engagierter Reflexionspartner. Gelegentlich werden Deutungen angeboten.

Aktivierung von Ressourcen im Verlauf der Arbeit. Ein Beispiel für wertvolle Ressourcen sind die persönlichen Werte unserer Klienten. Sie helfen den Coachees immer wieder, den roten Faden zu behalten und deutlich zu spüren, warum sie sich dieser Mühe eines Veränderungsprozesses überhaupt unterziehen wollen. Die innere Antwort auf dieses „Warum“ besteht am besten in einer vitalisierenden, affektiv positiven Bewertung. Das Commitment für Zielsetzungen wird durch das Implementieren dieser Haltungsziele gestärkt (Hauke, 2010). Werte in Körperhaltungen und -bewegungen zu verankern ermöglicht, ihnen eine konkrete Gestalt zu geben und sie als kraftvolle Begleiter für die Veränderungsprozesse im Arbeitsalltag unserer Klienten nutzbar zu machen.

Aktualisierung bzw. die Möglichkeit des Lebendigwerdens problematischen Erlebens in der Sitzung. Unser gegenwärtiges Wissen über den Aufbau der Psyche macht deutlich: Reden allein reicht nicht! In unserem Ansatz verwenden wir die um den Körper erweiterte, aktuellere Konzeption von „Kognition“ so, wie sie durch die moderne Embodimentforschung (Hauke, 2014) repräsentiert wird. Sie ermöglicht sowohl einen direkteren Zugang zu den Emotionen als auch eine neuartige, noch betonter erlebnisorientierte Arbeitsweise beim Umgang mit emotionalen Prozessen. Mit dem sog. Emotionalen Feld wird ein strukturiertes Vorgehen eingebracht, das anhand konkreter Problemsituationen grundlegende Regulationsprobleme offenlegt und die Funktion von primären und sekundären Emotionen verstehen hilft. Diese Art zu arbeiten nutzt Fertigkeiten der Achtsamkeit sowie aktuelle Befunde zum Embodiment von Emotionen, wie z. B. Angst, Ärger, Scham, Trauer, Ekel usw. Die Änderungen von Körperhaltung, Mimik, Gestik, Atemrhythmus und Stimme erzeugen und regulieren emotionale Zustände und beeinflussen auch, wie diese verarbeitet werden. Dabei werden auch vorsprachliche Inhalte elegant erfasst.

Motivationale Klärung, d. h., der Klient gewinnt mehr Bewusstsein in Bezug auf die Zusammenhänge seines problematischen Verhaltens. Diese spiegeln sich eben gerade in der Emotionalen Überlebensstrategie wider. Sie wird erlebnisorientiert erarbeitet und in einer sinnfälligen Syntax ausformuliert. Sie beschreibt, auf welche Weise Klienten gerade in schwierigen Situationen ihre zentralen Bedürfnisse zu befriedigen versuchen, ihre Ängste möglichst in Schach halten – kurz: ihr inneres Gleichgewicht aufrechterhalten. Sie wird im Arbeitsalltag überprüft und gegebenenfalls noch ergänzt oder verfeinert. Dabei stellt sich insbesondere heraus, unter welchen Bedingungen die Überlebensstrategie nicht zielführend ist und verändert werden könnte.

Positive Bewältigungserfahrungen, die dem Klienten mithilfe geeigneter Maßnahmen vermittelt werden. Aufgrund der Erfahrungen im Emotionalen Feld und der „Versprachlichung“ der Überlebensstrategie können gemeinsam Veränderungsprojekte entwickelt werden. Erarbeiten von wohlgeformten Zielen, Zwischenzielen, Verhaltensplänen und Experimenten sind zentrale Bestandteile dieser Phase im Coaching. Relevante Erfahrungen sammeln Klienten in ihrem Arbeitsalltag, die dann in der Coachingsitzung gemeinsam ausgewertet werden. Wird der Körper hier gezielt eingebunden, können Hürden effektiver überwunden und die Veränderungsmotivation dauerhaft gestärkt werden.

1.2 Ein Fallbeispiel: die Bürde, eine Geheimwaffe zu sein

Anhand eines Fallbeispiels wollen wir kurz skizzieren, wie wir im Strategischen Coaching zu einem angemessenen Fallverständnis gelangen und daraus eine Änderungsstrategie ableiten.

Dr. K., Abteilungsleiter Finanzen in der IT-Branche. K. ist 38 Jahre alt, gelernter Betriebswirt und hat in diesem Fach mit Prädikat promoviert. Er ist unverheiratet, lebt aber mit seiner Partnerin, einer Lehrerin, zusammen. Leistungsorientierung habe in seiner Herkunftsfamilie stets als ein hoher Wert gegolten. Ständig hätte der Vater, Direktor eines Handelsunternehmens, ihm und seinen Brüdern vor Augen geführt, dass Pflichtvergessenheit und Bequemlichkeit nicht nur die Wurzel aller gesellschaftlichen Probleme, sondern auch Ursache für persönliches Versagen und sozialen Abstieg sein. Es gäbe eine sichere Straße zum Erfolg: harte Arbeit und Disziplin. Schon im Studium hätte er nichts anderes getan als gelernt. „Wenn sich andere mit Partys und Besäufnissen abgelenkt haben, dann habe ich mich mit weiterführender Literatur beschäftigt.“

Das Coaching wurde über die Personalabteilung vermittelt. Im Erstkontakt wirkt K. interessiert und aufgeschlossen, gleichzeitig aber etwas gehetzt und erschöpft: „Ich möchte einen Blick auf meine Arbeitssituation werfen!“, lässt er zunächst knapp wissen. Auf die Bitte hin, mehr über seine momentane Situation zu erzählen, berichtet er Folgendes:

Vor zwei Jahren sei er in diese Position aufgestiegen, und er spüre einen großen Erwartungsdruck: Gerade in diesen schwierigen Zeiten solle er als Führungskraft zeigen, was in ihm stecke. Voller Stolz berichtet er über seinen Start. Anfangs habe er verschiedene Ideen und Projekte entwickelt. Sein Vorgesetzter hätte dies durchaus positiv und wohlwollend vermerkt, ihn als seine Geheimwaffe in dieser schwierigen Zeit bezeichnet, wolle aber momentan in Ruhe gelassen werden. Seit einiger Zeit fühle er sich von ihm durch ständig neue Zielvorgaben unter Druck gesetzt, verfasse bis spät in die Nacht Berichte. Das Bild seiner Mitarbeiter bleibt blass. Er beschreibt sie als wenig engagiert und defensiv, unzufrieden und verunsichert, viele würden nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Er allerdings sei am Ende seiner Kräfte: „Ich komme nicht mehr zur Ruhe, arbeite täglich 12 bis 14 Stunden, kann dann aber nicht abschalten, bin zu Hause immer online. Ich kann mich auch auf andere Gespräche, z. B. mit meiner Partnerin oder mit Bekannten, die anrufen, nicht einlassen. Ich schlafe sehr schlecht, gehe völlig unausgeruht zu den Meetings.“ Seine Partnerin reagiere irritiert und gehe immer mehr auf Abstand. „Ich rudere nur noch, um den Kopf über Wasser zu halten. Ich bemühe mich immer mehr, verliere aber rapide das Gefühl, überhaupt etwas zu bewirken.“

Homöostasezustände wurden von dem Neurobiologen Damasio (2010) als der wertvollste Besitz eines Lebenswesens bezeichnet. Um das erreichte innere Gleichgewicht zu erhalten oder wiederherzustellen, müssen schwierige Situationen gemeistert und die Steuerung des eigenen Lebens möglichst optimiert werden. Insbesondere ist Verhalten darauf ausgerichtet, wichtige Grundbedürfnisse (z. B. nach Geborgenheit, Selbstbestimmung, Sexualität usw.) zu befriedigen, um gesund zu bleiben und zufrieden leben zu können. Bedürfnisse bezeichnen das, was eine Person zu ihrer Erhaltung und Entfaltung braucht. So entwickelte K. im Lauf seiner Lerngeschichte verschiedene Strategien der Annäherung und Vermeidung, die ihm immer zielgenauer das väterliche Interesse und dessen Zuwendung einbrachten. Im Wesentlichen waren es herausragende Leistungen, kluge Fragen und Konzentration auf Bereiche, die dem Vater gefielen. Er zeigte sich dabei als Musterschüler des Vaters. Die Befriedigung solcher grundlegenden Bedürfnisse – selbst unter toxischen Bedingungen – läuft so ab, dass das Ausmaß frustrierender Erfahrungen minimiert und das Auftauchen von Ängsten möglichst vermieden wird. Kann auf diese Weise das Stressniveau des Kindes gering gehalten werden, so ist innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite das emotionale Überleben gesichert. Solche Lernprozesse passieren in anfangs noch recht eng umschriebenen Situationen, generalisieren aber im Lauf der Zeit entlang eines Ähnlichkeitsgradienten. Ihre Quintessenz findet sich in der sog. Emotionalen Überlebensstrategie wieder (Sulz, 1994; Hauke, 2013). Sie wird im Verlaufe der ersten Stunden durch Auswerten von Imaginationsübungen mithilfe einer spezifischen Syntax ausformuliert.

1.2.1 Einstieg

Zu Beginn wollen wir mehr über die wirtschaftliche Situation, die Kunden, die Struktur der Organisation, Abteilungen und Vorgesetzte erfahren. Besondere Aufmerksamkeit schenken wir der Organisationseinheit und dem Team von Dr. K., dessen Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Ausrichtung operativer und strategischer finanzieller Unternehmensentscheidungen leistet. Dabei entsteht ein lebendigeres Bild des Systems, in dem K. arbeitet. Hier fällt sein ausgeprägter Humor auf, wenn er verschiedene Personen beschreibt, karikiert und auch spontan schauspielerisch darstellt. So beschreibt er seinen Vorgesetzten als eine Person, die sakrale Farben trägt, z. B. einen violetten Pullover, und der wie ein Bischof würdevoll Weihen vergibt.

Auswahl konkreter Problemsituationen

Im Strategischen Coaching sprechen wir nicht in abstrakter oder globalisierender Weise über relevante Themen und Probleme. Bedingungen von Verhalten und Wirkfaktoren psychologischer Prozesse können nur zuverlässig identifiziert werden, wenn sie anhand ganz konkreter Situationen (Zeit, Ort, Handlung, anwesende Personen, Beleuchtung und Geruch im Raum etc.) erschlossen werden. Wie kommt man zu den aufschlussreichen Situationen? Wir beginnen damit, einen Überblick über die komplexen Verhältnisse in seiner Abteilung zu erstellen. Dabei legen wir schon an dieser Stelle besonderen Wert darauf, eine möglichst emotional geprägte Darstellung zu erzielen. Zu diesem Zweck wird Dr. K. gebeten, das Netzwerk seiner Beziehungen in Form eines Soziogramms zu entwickeln. Nachdem K. kurz die Perspektive jeder Person eingenommen und auch verbal dargestellt hat, ergibt sich in der Bilanz, dass momentan sein Vorgesetzter, der „Bischof“, ihm als relevante Bezugsperson die meisten Bauchschmerzen macht. K. wählt nun eine konkrete Gesprächssituation aus, die für ihn emotional besonders aufgeladen war.

1.2.2 Der Elefant und sein Reiter

Das Hineintauchen in die Gesprächssituation mit dem „Bischof“ bringt K. in Wallung. Ein Auszug: „Ich habe mich völlig verausgabt und komme mit ganz wichtigen Ergebnissen. Er schaut dabei immer wieder auf sein Handy! Mit dem erneuten Hinweis, dass er mich eigentlich als eine Art ‚Geheimwaffe‘ eingestellt habe, erhebt er sich von seinem Thron und stellt sich ans Fenster und schaut hinaus. Er wendet mir den Rücken zu und erteilt mir noch zusätzliche Anweisungen. Ich bin völlig perplex und fassungslos, verlasse den Raum und fühle mich absolut mickrig und richtig dämlich! Ich mache das, was ich immer mache. Ich gehe in mein Büro und arbeite wieder die ganze Nacht hindurch – wie ein Sklave bis zum Umfallen – und beanspruche natürlich auch massiv mein Team! Das fängt auch allmählich an zu meutern. Wenn ich dann wieder liefere, nimmt er das gnädig zur Kenntnis. Es gibt mageres Lob, und ich gehe immer mehr auf dem Zahnfleisch!“

Was passiert hier? Verhalten wird von zwei unterschiedlichen Systemen der Psyche generiert (Kahnemann, 2003; Strack & Deutsch, 2004). Die Arbeitsweise des sog. Impulsiven Systems ist typischerweise schnell, assoziativ, automatisiert, nicht bewusst und bietet rasch Verhaltensantworten an. Demgegenüber sind Arbeitsweisen des zweiten Systems, es wird als Reflexives System bezeichnet, eher langsam, seriell und regelgesteuert. Es beruht auf bewusstem Überlegen, Gesetzen der Logik und Sprache. Es benötigt unsere bewusste Aufmerksamkeit sowie entsprechende Motivation und vergleichsweise sehr hohe Verarbeitungskapazität. Die Beziehung dieser beiden Systeme zueinander bringt der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt (2006) mit der Metapher vom Elefanten und seinem Reiter auf den Punkt. Dabei repräsentiert der Elefant den größten Teil unseres Verhaltens, das ja automatisiert und nicht bewusst ist. Affekte und Emotionen sind hier die treibenden Kräfte. Der Elefant kann deshalb auch als eine Art emotionales Zielverfolgungssystem gesehen werden: Er will sein Lusterleben maximieren und Unlust und Unangenehmes möglichst vermeiden. Er weiß längst, wo es langgeht, weil sehr schnell unsere Bauchgefühle eine Richtungsentscheidung nahelegen, die sich kraftvoll – wir haben es schließlich mit einem Elefanten zu tun – durchsetzt. Der Reiter, so Haidt, gibt dann nachträglich eine sprachlich gefasste Begründung für dieses Verhalten. Anders ausgedrückt: Wir tun nicht das, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun. Er repräsentiert den evolutionär jüngeren Teil unseres Gehirns, der rational denken, abwägen und aufgrund seiner Analysen auch bewusste Vorsätze fassen und Pläne entwickeln kann. Jedoch könnten Menschen in unserer komplexen Umwelt kaum funktionieren oder überleben, wenn sie bewusst über jedes Verhalten im Dienste der Homöostase nachdenken müssten. Verhaltenswissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass ca. 96 bis 98 Prozent unseres Verhaltens vom Impulsiven System gesteuert werden, also nicht bewusst sind (Bargh, 1997). Unsere Emotionale Überlebensstrategie kommt aus dem Impulsiven System, sie ist zwar oft passend und führt zur ersehnten Bedürfnisbefriedigung, kann aber in neuartigen Situationen, z. B. wenn ein bestimmter Typus Chef ins Spiel kommt, versagen und zu verschiedenen Symptomen führen: Stress und Erschöpfung, Burn-out, Rückzug, körperliche Symptome usw. stellen sich bald ein. Die Überlebensstrategie von Dr. K. aus dem obigen Fallbeispiel lautet:

Nur wenn ich immer ...

und wenn ich niemals ...

dann bewahre ich mir ...

und verhindere ...

Reden allein reicht nicht!

Wir müssen davon ausgehen, dass wir meistens – um in dem Bild zu bleiben – vom Elefanten gesteuert werden. Der Verstand hat dabei eine eher dienende und nicht etwa die bestimmende Funktion. Verhaltensänderung läuft also darauf hinaus, den Elefanten davon zu überzeugen, dass er einen anderen Pfad wählen sollte, damit er sich längerfristig sein Lusterleben bewahrt. Reicht es aus, mit ihm zu reden und vernünftige Argumente zu finden, ihm etwa zu beweisen, dass er sich irrational verhält? Mitnichten. Denken Sie daran, wie schwierig es ist, auf ein leckeres Stück warmer, duftender Pizza zu verzichten, obwohl Sie beschlossen haben, Diät zu halten, oder wie schwierig es ist, nach der letzten Zigarette endlich das Rauchen aufzugeben. Der Reiter hat dabei nicht immer allzu viel zu melden, zumal er mit seiner Sprache den emotionalen Elefanten kaum erreicht. Wie aber kann man ihn erreichen? Was ist die passende Sprache? Es ist die Sprache der Emotionen. Nur ein Coaching, das dem Impulsiven System mit seinen affektiven Ladungen und Emotionen gerecht wird, ist in der Lage, nachhaltig eine Richtungsänderung anzustoßen. Zu diesem Zweck stellen wir im Strategischen Coaching eine Methodologie bereit, die dort ansetzt, wo Sprache allein kaum etwas bewirkt.

1.3 Das Emotionale Feld: im Netzwerk der Gefühle und Probleme

Wenn Dr. K. über seine Gefühle spricht, so kann er nur das aussprechen, was ihm bewusst ist. „Ich empfinde einen inneren Druck und Anspannung, was alles in allem irgendwie sehr stressig ist!“ Genauso oder ähnlich erleben dies die meisten Klienten zu Beginn des Coachings. Tatsächlich ist jedoch jede Problemsituation meistens mit einem Netzwerk verschiedenster Gefühle verknüpft. Dies entspricht auch dem Bauplan unseres Impulsiven Systems – wir gehen im nächsten Kapitel näher darauf ein. Die Aufgabe besteht nun darin, diese Gefühle zu ermitteln und ihre Botschaft zu dechiffrieren. Dieses emotionale Erleben ist hier noch weitgehend vorsprachlich. Es ist im Impulsiven System enthalten und verkörpert. Strategisches Coaching bereitet den Weg, dafür eine Sprache zu finden und es damit differenzierter zu verstehen. Dabei hilft das Reflexive System.

1.3.1 Von innen nach außen: das emotionale Geschehen im Raum dargestellt

Das Erlernen und Üben einer einfachen Achtsamkeitsübung, die auf den Atem fokussiert, ist eine wichtige Voraussetzung für einen günstigen Einstieg in die Arbeit. Sie zielt darauf ab, das Gewahrsein für Körpersignale, wie z. B. ein Ziehen im Bauch, ein Kribbeln im Nacken, ein Gefühl der Verengung im Hals usw., zu verbessern. Der Entspannungseffekt, den die Achtsamkeitsübung mit sich bringt, erleichtert zusätzlich den Zugang zum Impulsiven System. Außerdem wird dabei verdeutlicht, dass solche Signale keineswegs „Störgeräusche“ des Körpers sind. Sie sollten ernst genommen werden, da sie wertvolle Hinweise auf wichtiges Erfahrungswissen liefern. Dr. K. wird gebeten, die obige Begegnung mit dem „Bischof“ erneut zu imaginieren. Danach wird das Emotionale Feld entwickelt. Dabei wird das Erleben von K. in den Raum gebracht. Hier wird eine zunächst offene, leere umgrenzte Fläche – ein Feld – zur Verfügung gestellt. Es bietet Platz für verschiedene räumliche Positionen. Diese repräsentieren einerseits verschiedene Emotionen, die auftauchen, und darüber hinaus wichtige Arbeitspositionen (Abb. 1.1).

Abbildung 1.1: Das Emotionale Feld von Dr. K. Die Gestalt des Chefs als „Bischof“ wird in der Vorstellung auf eine freie Wandfläche projiziert.

Die Positionen im Feld sind durch kleine Zettel markiert, die vom Klienten entsprechend beschriftet und auf den Boden gelegt werden. Das Motto dieser Arbeitsweise könnte lauten: Alles bekommt seinen Platz. Unterschiedliche Positionen im Raum helfen dabei, verschiedene Emotionen zu unterscheiden. Zuerst konzentriert sich die Arbeit aufs unmittelbare Wahrnehmen, Spüren und einfache Beschreiben von Körperreaktionen, die als Reaktion auf die Imagination der Situation entstehen. Dieses Ansetzen an den körperlichen Empfindungen wird als Bottom-up-Methode bezeichnet. Sie ist dazu geeignet, den Zugang zum „Elefanten“ zu bekommen. Die traditionelle Methode des Coachings, das Ausdrücken und Formulieren von Gedanken und Zusammenhängen, eine Aufgabe des Reiters, wird als Top-down-Methode bezeichnet. Beide Arbeitsweisen ergänzen sich im Strategischen Coaching. Sie werden auch auf unterschiedlichen Positionen im Emotionalen Feld durchgeführt. Die top-down-orientierte Arbeit findet nach dem Erleben auf der „Expertenposition“ statt, auf die sich bei passender Gelegenheit sowohl der Coachee als auch der Coach gemeinsam hinstellen. Hier sind wir im Reflexiven System aktiv: Das zuvor im Hier und Jetzt Erlebte wird nicht nur besichtigt, sondern auch eingeordnet und analysiert. Damit wird ein präziseres Verstehen des eigenen Verhaltens angeregt. Oder anders ausgedrückt: Der „Reiter“ differenziert und hinterfragt bisherige Sichtweisen und sein Wissen. Dr. K. soll sich hier unter Anleitung besser verstehen lernen und somit zum „Experten“ für sein Erleben werden.

1.3.2 Emotionen und Embodiment

Nach der Imagination zeigte er als erste spontane Körperreaktion ein Zurückweichen des gesamten Oberkörpers in Verbindung mit hoher Anspannung und beschleunigtem Atem. Er konnte diese unmittelbare körperliche Reaktion als Angst benennen. Diese wird auf einem Zettel notiert und von ihm im Raum platziert. Hier wurde Dr. K. gefragt, ob er bereit wäre, die Angst noch etwas genauer zu erforschen. Er stimmte interessiert zu und wurde dann gebeten, sich auf den Platz für die Angst zu stellen. Mithilfe einer Embodimenttechnik, die durch willkürliches Einstellen eines spezifischen Atemmusters, einer Körperhaltung und passender Mimik – also bottom-up – Gefühle von Angst zu erzeugen vermag, wird eine Emotionsexposition erzielt. Nach einiger Zeit und mehreren Durchgängen passierte eine Veränderung. Immer deutlicher entwickelte sich eine Vorwärtsbewegung im Oberkörper, begleitet von starker Anspannung in den Unterarmen und im Bereich der Kaumuskulatur. Normalerweise nur sehr schwach gefühlt, vermochte er dieses starke körperliche Erleben als Gefühl der Wut zu benennen. Somit konnte ein weiteres Kärtchen mit der Benennung „Ärger / Wut“ in das Feld gelegt werde. K. war sehr überrascht, die Klarheit und Kraft seiner Wut zu erleben. Die Möglichkeit, aus diesem aufwühlenden Geschehen auszusteigen, wollte K. nicht wahrnehmen. Dafür gibt es im Emotionalen Feld nämlich einen eigenen Ort: die Position „Ich-mag-nicht“. Mit der Einführung dieser Position machen wir deutlich, dass es bei dieser Art der Arbeit absolut legitim ist, an die Grenzen des Wollens zu gelangen. Der Klient kann sich also jederzeit entscheiden, diese Arbeit vorläufig zu beenden. Somit verfügten wir nach einiger Zeit über fünf verschiedene emotionale Benennungen (vgl. Abb. 1.1). Jede dieser Emotionen wird nun in Hinblick auf ihre Bedeutung genauer untersucht. Da das Erleben und das verbale Einordnen im Emotionalen Feld auch räumlich voneinander getrennt sind, wird nun in wechselnden Positionen auf das jeweilige Gefühl eingegangen. Dabei unterstützen wir den Coachee mithilfe unserer Embodimenttechniken (willkürliche Einstellung von Körperhaltung, Gesichtsausdruck und gegebenenfalls Atemrhythmus) darin, diese verschiedenen Emotionen selektiv in ihrer Qualität und insbesondere in ihrem körpernahen Handlungsimpuls zu spüren. Das körpernahe Erleben bringt nicht nur Präzision in das Gespräch. Tatsächlich kommt man auch schneller auf den Punkt. Manchmal handelt es sich dabei um Emotionen, die ihm an sich bekannt sind, die er aber in diesem Zusammenhang nicht vermutet hätte, z. B. die Trauer. Weiterhin konnte er Emotionen deutlicher wahrnehmen, die ihm in seinem Alltagserleben wenig bewusst waren, wie z. B. die Scham. Im nächsten Schritt – wir befinden uns nun wieder auf der Expertenposition – wird das zeitliche Auftauchen der Emotionen noch genauer unter die Lupe genommen. Dabei spielt das Konzept primärer und sekundärer Emotionen eine zentrale Rolle. Das erste Gefühl, das auftauchte, war Angst, die sich wie eine Erstarrung anfühlte. Unsere Intervention hielt ihn zunächst in der Angst. Wir handelten damit entgegen dem impulsiven Verhalten des „Elefanten“, nämlich das zu tun, was die Angst ihm sagt: „Zieh dich zurück und mach dich klein, sonst droht dir Gefahr!“ Das Provozieren und Aushalten dieser Angst und des Bedrohungsgefühls ist ein zutiefst körperlicher Prozess. Das geht unter die Haut, und wir spüren bis in die Fingerspitzen, mit welcher Kraft uns der Elefant auf den Pfad der Vermeidung ziehen will. Argumente der Vernunft, rationale Analysen usw. – selbst wenn sie objektiv zutreffen – haben dabei keine Bedeutung. Diese Vermeidungstendenz ist gelernt. Sie prägte sich ins Erfahrungsgedächtnis ein und war wahrscheinlich der sicherste Weg für K., das zu bekommen, was er zum emotionalen Überleben brauchte. Diese Reaktion diente seinem Schutz. Nur durch das Aushalten dieses Gefühls kann unsere Psyche prüfen, ob und inwieweit die „Warnung“ noch relevant ist. Wenn während dieser Erfahrung das Befürchtete nicht passiert, dann kann unsere Psyche Entwarnung geben. Der Angstlevel geht im Idealfall zurück auf null, und unser Elefant kann vom Reiter nun eher motiviert werden, neue Wege auszuprobieren. Nach dem Absinken des Angstniveaus tauchte wie hinter einem Vorhang die Wut auf – ein Phänomen, das Dr. K so nicht kannte. Dieser Arbeitsabschnitt wurde nun auf der Expertenposition sortiert. Dabei ergab sich das folgende Bild (Tab. 1.1):

Auslösende Situation

Gespräch mit dem Vorgesetzten, um Verbesserungsvorschläge zu machen

Primäre Emotion

Wut / Ärger

Primärer Impuls

Ausrasten, anschreien

Sekundäre Emotion

Angst, Erstarrung

Sekundärer Impuls

Schrumpfen, verstecken, abhauen

Symptom

Fühlt sich wie „abgeschaltet“ an, dumpf und gelähmt, eingeschränkte Wahrnehmung, Wortlosigkeit

Konsequenzen

Der Vorgesetzte behält die Führung im Gespräch und dirigiert dieses schnell zu einem Ende

Tabelle 1.1: Primäre und sekundäre Emotionen

Das erste Gefühl, das angesichts des Verhaltens seines Vorgesetzten auftaucht, sind also eigentlich massive Gefühle des Ärgers (primäre Emotion). Aufgrund des frustrierenden und entwertenden Verhaltens des Bischofs eine geradezu natürliche Reaktion von K.. Diese wird jedoch sofort angesichts des mächtigen Gegenübers ausgebremst durch starke Angst (sekundäre Emotion). Sie hält ihn auf dem Pfad des submissiven Leistungsträgers. Die Gebote und Verbote seiner Überlebensstrategie bekräftigen dies: Dr. K. war es stets wichtig, ein effizienter Leistungsträger zu sein, der sehr belastbar ist, keine Fehler macht und bei dem auch schwierige Aufgaben besser als bei anderen aufgehoben sind. Kein Wunder, dass der Bischof von „seiner Geheimwaffe“ spricht! Gleichzeitig zettelt K. keine Konflikte an oder reagiert auch nicht ärgerlich. Er ist geradezu pflegeleicht für seinen Vorgesetzten. Sich den Ärger zu erlauben und das Risiko einzugehen, dass sein mächtiges Gegenüber dann unwirsch oder gar mit Gegenaggressionen auf ihn reagiert, kommt nicht infrage. Das ist zu bedrohlich. Die vierte Zeile der Überlebensstrategie gibt dazu genauer Auskunft. Er will mit diesem Verhalten weitere Entwertungen, den Verlust seines hart erarbeiteten Status, den Verlust seines Arbeitsplatzes mit allen damit verbundenen und ihn beschämenden sozialen Konsequenzen vermeiden. Zunächst versucht er, dem Anwachsen dieses Bedrohungsgefühls durch Mehrarbeit entgegenzuwirken. Selbst ein noch angestrengteres Anwenden seiner Überlebensstrategie führte nur zu spärlichem Lob des Bischofs. Dieser hat ihn mit seiner Strategie der subtilen Entwertung fest am Haken. Mit großer Anstrengung erzielt K. doch immer noch ein wenig Bedürfnisbefriedigung. Anstatt irgendwie alternativ zu verfahren, versucht er mehr vom Gleichen, indem er seine Überlebensstrategie noch strenger und konsequenter anwendet. Doch das Motto „Viel hilft viel“ taugt nur kurzfristig. Viele Menschen kommen bald ans Ende ihres Lateins. Die Psyche greift dann zu einer Notfallreaktion: Symptome stellen sich ein, wie z. B. Energiebankrott und Burn-out, Kopfschmerzen und andere psychosomatische Beschwerden.

1.4 Die Emotionen zeigen den Weg: Strategie des Coachings

Sekundäre Emotionen stoppen die primäre Emotion und bremsen ein kraftvolles Handeln aus. Angst, Scham und Schuld sind solche Stoppergefühle. Das Gefühl der Trauer verlangsamt zusätzlich alle Prozesse. Diese sekundären Emotionen sind ebenfalls wertvoll. Sie enthalten wichtige Informationen für einen persönlichen Wandel (Tab. 1.2).