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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Die Reise

Einleitung

Warum Kuba?

Wie alles begann

Reisevorbereitungen

Vor der Abreise

Die Reise

Ein Jahr später

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2016 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-99048-449-4

ISBN e-book: 978-3-99048-450-0

Lektorat: Lucy Hase

Umschlagfoto: Patrizia Lörtscher

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Patrizia Lörtscher (14)

www.novumverlag.com

Die Reise

November 2013

Varadero – Havanna – Cienfuegos – Havanna

Dezember 2013

Viñales – Havanna – Cienfuegos – Cayo Largo –

Cienfuegos – Trinidad – Playa Larga – Havanna – Viñales

Januar 2014

Cienfuegos – Santiago de Cuba – Baracoa –

Santiago de Cuba – Havanna – Varadero

„Alle Reisen haben eine heimliche Bestimmung,

die der Reisende nicht ahnt.“

Martin Buber, Philosoph und Schriftsteller

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Einleitung

Die Passagiere des Fluges LX8024 verstauen ihr Handgepäck und blicken etwas gelangweilt auf die Landebahn des Flughafens von Varadero. Der Urlaub auf Kuba gehört bald der Vergangenheit an.

„Ja, ja, das Hotel war ganz in Ordnung, das Buffet meist üppig. Nur an drei Tagen gab es keine Butter, aber das kennt man ja in Kuba. Doch, wir sind ganz zufrieden. Den Kindern hat der Strand wirklich gefallen.“

Sehr großzügig. Meine Sitznachbarn aus Deutschland haben ihren Kubaaufenthalt in wenigen Worten zusammengefasst, viel mehr haben sie nicht zu berichten. Für ihr Schweigen bin ich ihnen dankbar, denn beim Abheben mit der Edelweiß-Maschine wirbeln in meinem Innern so viele Erinnerungen und Emotionen durcheinander, dass ich gegen aufsteigende Tränen kämpfen muss.

Unter mir verschwindet Kuba, jetzt ist auch mein Urlaub nach elf Wochen zu Ende.

Was soll ich denn berichten, wenn mich Freunde und Kollegen nach der üblichen Zusammenfassung fragen? Auch vier bis fünf Standardsätze? „Super, toll, wunderschön“ – oder eher „kompliziert, mühsam und verwirrend“?

Ich weiß, wie unmöglich das sein wird, es würde nicht funktionieren. So viel ist geschehen, was meine Sicht der Dinge neu geprägt hat.

Wenn ich später daheim vereinzelte Episoden erzähle, so wächst das Interesse und Erstaunen über dieses einzigartige Land im Gesicht meiner Zuhörer mit jedem Satz. Wenn dann aus Zeitmangel, einer typisch schweizerischen Eigenschaft, mein Bericht unterbrochen wird, bekomme ich Bemerkungen wie etwa: „Aber das ist ein unglaubliches Land, dieses Kuba, das ist wirklich spannend! Du musst mir unbedingt ein anderes Mal mehr darüber erzählen!“

„Schreib es auf, illustriere es mit deinen Aquarellen und Skizzen, überarbeite dein Tagebuch und mach was draus!“ Mit diesen Worten entlässt mich meine Freundin Gabriela, mit der ich einige Kubawochen teilen durfte, nach zwei Stunden am Telefon.

Warum Kuba?

Warum Kuba? Por qué1?

1 Warum/Wieso?

Wie oft ich mich das in diesen drei Monaten wohl schon gefragt habe? Warum tust du dir das an?

Gibt’s denn nicht einfachere Orte auf dieser Welt, um deinen einzigen längeren Urlaub zu verbringen? Alles ist hier ungleich komplizierter als in der modernen Welt. Der Alltag im sozialistischen Kuba ist für seine Bewohner und bald auch für mich immer öfter geprägt von Mühsal und lucha2.

2 Kampf

Als Touristin, hatte ich mich der Illusion hingegeben, hätte ich eine bevorzugte Rolle, so wie ich sie bei meinen drei vorgängigen Kubareisen genossen hatte.

„Warum Kuba?“, fragen Nachbarn und Bekannte erstaunt. „Was machst du denn drei Monate lang in Kuba? Und du gehst ganz allein dahin, kannst du denn Spanisch? Oder wie spricht man denn da?“ und „Das ist doch gefährlich?! Bist du aber mutig!“ Und meine Tochter meinte trocken: „Du spinnst.“

Meine Idee, mein Traum, eine Auszeit vom stressigen Schulalltag zu nehmen, wuchs langsam, aber immer drängender in mir heran. Aber wie und wo soll denn der Ort sein, wo ich ausspannen und gleichzeitig meine stillgelegten Talente ohne Zeitdruck ausleben kann? Wann hat es begonnen, was entzündete das kleine Fünkchen Interesse für diese ferne Insel?

Wen wundert’s, dass es über die Musik geschah? Im Chor der Nationen sangen wir 2011 in unserem Konzert ein Lied aus Kuba: „Dulce embeleso3“. Es ist ein bittersüßes Liebeslied, ein Klassiker von Miguel Matamoros.

3 Süßer Schwindel

Neben den Gesängen aus Afrika, China und allen möglichen Herkunftsländern meiner Mitsingenden war „Dulce embeleso“ mein absolutes Lieblingslied. Jede Note ließ einen leisen Schauer über meinen Rücken rieseln. Wie kann man so berührende Worte und Melodien über das Mysterium der Liebe schreiben?

Meine Neugierde war geweckt. Aus dem Fünkchen war ein Flämmchen geworden. Als unser Dirigent Bernhard Furchner interkulturelle Musikwochen in Kuba ausschrieb, stand mein Entschluss definitiv fest:

Da bin ich dabei! Darauf habe ich gewartet!

Leider vergebens, denn mangels Interessenten fiel das Projekt ins Wasser.

Seit diesem ersten leisen Wunsch, dieses einzigartige Land kennenzulernen, ereigneten sich immer wieder erstaunliche „Zufälle“. Jetzt, nach meiner Reise, betrachte ich sie schon als selbstverständlich. Das Schicksal führte mich schlussendlich am 6. November 2013 nach Kloten, wo meine dreimonatige Auszeit beginnen sollte.

Wie alles begann

Wie nennt man das wohl, wenn man in Italien in einem Malkurs eine Person kennenlernt, die vom exakt gleichen „Kuba-Virus“ befallen ist und ebenfalls neugierig darauf, mit eigenen Augen und Ohren Fidel Castros Insel kennenzulernen? Zufall? Oder Schicksal?

Gabriela kommt aus Zürich, ist Finanzchefin, Malerin, Sportlerin und Tänzerin. Und sie ist wie ich, trotz reiferen Alters neugierig geblieben. So steht schon nach kürzester Bekanntschaft spontan fest:

Wir werden gemeinsam Kuba besuchen.

Zufälligerweise hatte ich in jenem Jahr 2012 mein Dienstaltersgeschenk zugute. Ich konnte also beliebig über die Reisedaten verfügen. Die Hauptprobe für unsere große Reise fand in Barcelona statt. Wir ließen uns dort von Kunst, Tanz und Architektur faszinieren und stellten dabei erfreut fest, wie kurzweilig und konfliktfrei unsere gemeinsame Probereise verlief.

Im November 2012 flog ich mit Gabriela via Frankfurt erstmals Richtung Kuba. Sehr spät nachts kamen wir in einem Luxushotel in Varadero an. Es sollte bis heute die einzige Nacht in einem Hotelbett bleiben, denn seither habe ich immer in einer casa particular, einem Privathaus bei einer Familie gewohnt.

Als particular bezeichnen Kubaner alles, was nicht dem Staat gehört und deshalb nicht von ihm betrieben wird, wie zum Beispiel Taxis oder kleinere private Restaurants, paladares genannt. Diese casas4 haben für mich sehr viele Vorteile: Sie sind sehr günstig (zwischen 20 und30 Schweizer Franken pro Nacht), man hat Einblick in die kubanische Familie, wird oft verwöhnt und liebevoll umsorgt und lernt gleichzeitig Spanisch. Die Einrichtung ist oft schrill und kitschig, darüber kann man großzügig hinwegsehen. Die Wände werden außen und innen regelmäßig und liebevoll gestrichen. Die Farben Weiß und Schwarz meiden die Kubaner. Jeder möchte das schönste Häuschen besitzen.

4 Wohnungen/Häuser

Besonders sonntags sieht man überall Männer und Frauen, die malen, streichen und pinseln. Schmirgeln gibt’s nicht, es wird immer nur übermalt, was bei Türen und Fenstern zwangsläufig irgendwann zu Problemen führt. Da man in Kuba aber prinzipiell nicht langfristig plant, interessiert das niemanden so wirklich.

Mit gleicher Begeisterung bekommen so auch die Autos Schicht um Schicht verpasst. Auf dem ohnehin schon stabilen Blech der Autos aus den Fünfzigerjahren kleben noch unzählige Farb-und Lackschichten.

Die Liebe zu diesem Überfluss an Farben bei Häusern, Autos und Kleidern unterscheidet Kuba schon sehr stark von unserer schweizerischen Zurückhaltung, die sich lediglich in allen Schattierungen von schwarz bis weiß äußert.

Bei der Abreise von meiner Lieblingsfamilie in Viñales waren die Männer gerade damit beschäftigt, die vielen Schichten, die sich auf Großvaters Auto mit Jahrgang 1949 angehäuft hatten, zu entfernen. Das nötige Werkzeug: ein Bunsenbrenner und ein Spachtel! Einem Schweizer Karosserie Spengler würde die Luft wegbleiben. Aber das Ungetüm sah so stabil aus, es würde auch diese Tortur überstehen. Strahlend wurde mir erklärt, dass in die gähnende Leere des Motorraumes ein chinesischer Motor eingebaut werde. „Und wenn du im Herbst wiederkommst, fahren wir damit spazieren“, versprach mir Adalberto. Meinen skeptischen Blick wischte er beiseite.

Kuba ist das Land der Allrounder: Jeder ist Maler, Maurer, Gärtner, Metzger, Lackierer, Mechaniker, Lebenskünstler und Problemlöser in einer Person. Und wenn’s mal nicht klappt, dann hat man Nachbarn und Freunde mit ebenso vielen Talenten.

Verzeihung, ich schweife ab.

Zurück zu meiner ersten Begegnung mit Kuba im November 2012:

Varadero hat mit dem echten Kuba wenig zu tun, zu touristisch und angepasst ist diese schöne Halbinsel mit ihren Traumstränden und Luxushotels. Es ist für mich nur eine Art „Schwachstrom-Kuba“ für die Leute, die sich einen wohlverdienten Traumurlaub gönnen und aus sicherer Distanz im Oberdeck des Touristenbusses einen Tagesausflug nach Havanna buchen. Nach einem Varadero-Urlaub gibt es sicher kein umfangreiches Tagebuch, dafür gebräunte Haut und entspannte Nerven.

Der erste Tag in Havanna hingegen wird mir immer in Erinnerung bleiben: Völlig überrumpelt von den Eindrücken, dem Lärm, den Abgasen der Oldtimer, dem Gewimmel von Menschen in allen Hautfarben schien ich nicht nur auf einen anderen Kontinent, sondern in eine andere Zeit katapultiert worden zu sein. Der malerische Zerfall von kolonialen Palästen und Bauwerken, die seit dem Sieg der Revolution 1959 leise vor sich hinbröckeln, faszinierte mich, wie die meisten Besucher Havannas, auf den ersten Blick.

Am ersten Abend machten Gabriela und ich uns auf die Suche nach der berühmten kubanischen Musik. In der calle Obispo5 vibrierte die Luft von der lauten Musik, die aus all den Lokalen schallte. Genau so hatte ich mir dieses Land vorgestellt, für diesen Moment war ich über den Atlantik geflogen! Ein besonders quirliger Sänger nutzte die Gunst des Augenblicks und sang sich direkt in mein Herz. Angel blieb so lange darin, es waren sechs Monate, bis seine Liebe zum kubanischen Nationalgetränk Rum uns wieder trennte.

5 Bischofsstraße (Flaniermeile in Havannas Altstadt)

Die Zeit mit ihm war so verrückt und für eine solide Luzerner Lehrerin so surreal, dass ich heute noch öfter das Gefühl habe, ich hätte all das nur geträumt.

Eigentlich wollte ich die drei Monate am Ende des Jahres mit ihm verbringen, in Havanna einen vernünftigen Spanischkurs belegen und einfach disfrutar la vida6.

6 Das Leben genießen

Nach den missglückten Frühlingsferien war ich also wieder auf dem Boden der Realität gelandet. Kuba? Ohne Angel?

Natürlich ging das! Wer mich fragte, dem erklärte ich: „Kuba ist nicht Angel, er ist nicht Kuba!“

Doch so ganz überzeugt war ich selbst davon noch lange nicht. Was sollte ich denn so lange alleine in Kuba? Leise Zweifel hatte ich innerlich, aber nach außen gab ich mich selbstbewusst. „Claro, ohne den verrückten musico7 kann ich viel freier durch die ganze Insel fahren. Havanna ist sowieso nicht mein Lieblingsort, zu laut, zu schmutzig, zu hässlich“, war meine Begründung. Doch meine Tochter kannte mich zu gut. Sie wusste sehr genau, dass ich überhaupt nicht so überzeugt von meinem Vorhaben war, wie ich mich gab. Aber sie schwieg und beobachtete den Verlauf der Dinge.

7 Der Musiker

Reisevorbereitungen

Unter völlig anderen Umständen als ursprünglich gedacht, begannen im Sommer meine Vorbereitungen für den großen Urlaub.

Wie ein Star auf Tournee würde ich also lange Zeit aus dem Koffer leben. Darum war die erste Anschaffung zweifellos mein Ersatz-Zuhause: ein superstabiler, jedoch leichter Koffer in meiner Lieblingsfarbe Orange. Schlussendlich ist er unbeschadet, nach zwanzig Mal umpacken und ohne je vermisst zu werden, am 23. Januar 2014 wieder in Kloten gelandet.

Schwieriger war es mit seinem Inhalt, der nicht schwerer als 23 Kilogramm sein durfte. Durch meine drei Kurzurlaube in Kuba wusste ich in etwa, was das Land bot, aber auch, was es definitiv nicht hatte …

No hay8

8 Haben wir nicht (wichtiger Satz, den jeder Kubareisende kennen sollte)

kultureller Überfluss – aber keine Papiertaschentücher

Millionen Palmen – aber kein Deodorant

Korallenriffe – aber kein Surfbrett

Weltklasse Balletts – aber keine Halswehtabletten

Lebensfreude und Musik – aber keinen bezahlbaren guten Rotwein

Galerien voller Bilder – aber kein Aquarellpapier

Die Liste lässt sich beliebig verlängern …

volle Konzertsäle – aber keine gesetzliche Dezibelgrenze und keine Ohropax

Millionen Bücher über Che – aber nicht eines vom Schriftsteller Leonardo Padura

Rum, Mojito und Piña Colada – aber kaum einen Tee

subtropisches Klima – aber keine Sonnencreme

Was nehme ich also mit? Denn ich will ja malen, lesen, schreiben, baden, schnorcheln, segeln, tanzen, entdecken, fotografieren, Spanisch lernen, ja sogar reiten …

aber auch nicht einsam in einer casa sitzen und von Salsa träumen.

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Wie soll ich also meine drei Monate in meinem Paradies der Karibik planen? Nur schon eine Woche ausschließlich Strand und Hotel wäre mir ein Graus. Umgeben von saufenden Russen und Italienern, die sich für 20 CUC9 die hübschesten chicas10 anlachen. Ich weiß, dass auch das hier zum Alltag gehört, aber das will ich mir nicht anschauen müssen.

9 Kubanische Touristenwährung (ein Franken entspricht etwa einem CUC, das Kürzel CUC steht für peso cubano convertible, ausgesprochen einfach „CU“-QU)

10 Mädchen/Girls

Vor zwanzig Jahren war es den Kubanern noch unter schwerer Strafe verboten, überhaupt Kontakt mit Touristen zu haben. Der Staat wollte auf keinen Fall, dass sich Ausländer und Kubaner näherkamen.

Erst seit Kurzem ist es ihnen gestattet, mit Freunden oder Partnern eine Reise außerhalb ihrer Heimatprovinz zu machen. Wahrscheinlich hat die kommunistische Regierung geahnt, dass sich ihr Volk so schnell wie möglich aus Cuba linda11 mittels Heirat davonmacht, wenn sich die erstbeste Möglichkeit bietet.

11 Schönes/hübsches Kuba

Als allein reisende Frau ist es unter diesen Umständen nicht so einfach, sich sämtliche ausreisewilligen und heiratslustigen Männer vom Halse zu halten. Es kann schon vorkommen, dass ein Salsatänzer nach geschätzten dreiundzwanzig Takten gemeinsamen Tanzes von ewiger Liebe zu säuseln beginnt und einem die Sterne vom Himmel zu holen verspricht. Sehr oft wird man aber auch als Heiratsvermittlerin angesehen: „Kennst du denn keinen netten Schweizer, den ich heiraten könnte?“ Diese Frage von verzweifelten Frauen hörte ich mehr als einmal.

Ein goldbezahnter Profifußballer fragte unverblümt, ob ich ihm Kontakte zu einem Schweizer Fußballklub vermitteln könne. Irgendwie ist ein/e Schweizer Bürger/in in Fleisch und Blut für viele Kubaner schon der erste Schritt ins Paradies. Was ist es denn, das die Menschen aus ihrem Land treibt?

Lange habe ich das nicht begreifen können, jedoch nach drei Monaten in Kuba war es mir klar. Stück für Stück rutschte ich in die Rolle der Landsleute, übernahm ihre Sichtweise und die allerletzte Woche auch ihre Lebensweise, da mir das Geld ausgegangen war …

Aber langsam, ich bin ja erst bei der Planung. Aus der Bibliothek las ich sämtliche Bücher aus und über Kuba, Reiseführer, Literatur, Comics, Biographien. Im Internet schaute ich mögliche Ziele an, druckte Fahrpläne der Touristenbuslinie Viazul aus (stets ohne Gewähr), befragte jeden Mitmenschen, der im Entferntesten etwas mit Kuba am Hut hatte. Mit Enrique, einem Nachbarn, der aus Havanna stammt, polierte ich etwas mein Spanisch auf und ich nutzte sein großes Wissen als studierter Historiker und Reiseleiter. Stück für Stück baute ich mir so mein Kuba-Puzzle zusammen.

Die Hinreise und die ersten beiden Wochen würde ich mit Gabriela verbringen. Wir wollten schon daheim die casas in Varadero, Havanna und Cienfuegos reservieren. Nur die letzten Tage ließen wir noch offen. Schwerpunkt sollten die Tage in Cienfuegos sein, wo wir an der malerischen Landzunge an der Punta Gerda eine Bleibe übers Internet ausgesucht hatten. An diesem Ort genoss übrigens auch schon Fidel Castro seine Freizeit, als er noch reisefähig war.

Die privilegierte Lage lassen sich die casa-Besitzer auch gnadenlos bezahlen. Statt der üblichen 20 bis 25 CUCpro Nacht waren es dann stolze 35 CUC. Aber wann hat man denn die Möglichkeit, schon vor dem Frühstück im Meer, in diesem Fall der Bahia-Bucht, zu baden und abends hinter dem Haus die Sonne ins Meer versinken zu sehen?

Auch die casas in Varadero sind überdurchschnittlich teuer, denn der Ort der „Ureinwohner“ ist eher klein wie das Angebot auch. An allen anderen Orten kann man problemlos einfach aus dem Bus aussteigen und von den vielen sich anbietenden casa-Besitzern, die bereits am Busbahnhof warten, eine Bleibe auswählen. Sie führen einen gleich zum Haus, wo man mit offenen Armen empfangen wird.

Am günstigsten wohnt man demzufolge also, wenn man sich zu Hause eine Liste von möglichen casas heraussucht und direkt selbst anruft (wenn möglich auf Spanisch!).

Natürlich war ich ganze Abende im Internet auf der Suche nach möglichen Unterkünften, Reisezielen und Tipps. Dabei stieß ich auf ein Angebot einer deutschen Reiseagentur, die einen einwöchigen Segeltörn von Cienfuegos aus anbot. Meine kurzen Zweifel wegen fehlender Erfahrung und drohenden Seekrankheiten schob ich rasch beiseite. Die betörenden Bilder des Katamarans im Karibischen Meer, die Gelegenheit bei den Trauminseln von Cayo Largo zu segeln, zu baden und zu schnorcheln, all dies überzeugte mich, diese spezielle Woche fest in mein Programm aufzunehmen.

Wie viel Zeit vergeudet man vor dem Laptop ohne Ergebnisse? Offen gesagt, schon die Vorbereitungen führen dich in die hintersten und verstecktesten Winkel deiner Seele. Was ist es denn, das ich brauche? Was suche ich denn auf „meiner Insel“? Den schönsten Strand oder den lebendigsten Ort? Die malerischste Landschaft oder die mitreißendste Musik? Suche ich Gesellschaft oder Ruhe und reise ich wirklich so gerne alleine mit Maximalfreiheit?

Je näher der Abreisetermin rückte, umso mehr Zweifel nagten an mir. Vielleicht hatte meine Tochter wirklich recht und ich war auf dem Weg ins Unglück. Aber die meisten Mitmenschen sahen hinter den vier Buchstaben KUBA nur Sonne, Strand, Palmen, Tanz und Musik und beneideten mich.

Ich hatte in diesem Land schon einiges erlebt, ich wusste, wie viele gegensätzliche Emotionen mich erwarteten, und versuchte mich vorzubereiten. Alles war möglich. Erholung pur und Wellnessoase waren wirklich nicht zu erwarten. Ebenso wenig Langeweile. Drei Monate lang Glückseligkeit? Wohl kaum.

Ich war darauf vorbereitet, die Perlen des Glücks suchen zu müssen und die unzähligen Kieselsteine des Frusts aus den Sandalen zu klauben.

Und genau so war es.

Vor der Abreise

Ende Oktober 2012 durfte ich im KKL (Kultur- und Kongresszentrum Luzern) mit meinem Chor wieder ein Lied aus Kuba singen: Juramento12.

12 Schwur/Eid

Der Text bringt einem in kubanischen Rhythmen bei, dass die Liebe aus lebenslangem Leiden besteht. Dazu möchte ich an dieser Stelle schweigen.

An der Hauptprobe nahm ich das Lied mit meiner Kamera auf, denn ich wollte meinen Freunden in Kuba zeigen, wie weit über ihre Insel hinaus ihre Kultur noch Wellen schlagen konnte. Tatsächlich lauschten dann viele dem Lied, mitgebracht aus der Schweiz, völlig verblüfft. Am glücklichsten zeigte sich die zweiundneunzigjährige Urgroßtante meiner Gastfamilie in Viñales, die mit mir das ganze Lied auswendig mitsang.

In Havanna begegnete ich dem Lied Ende November wieder, gesungen vom Spitzenchor „Coralina“. Mit einem kleinen Kloß im Hals sang ich mit. Ein unglaublich berührender Moment meiner Reise. Anfang Januar traf ich dann auch auf die Bronzeskulptur des Komponisten Miguel Matamoros. Geduldig steht sie in der Altstadt Santiagos und lässt sich mit seinen Fans ablichten.

In der Schule rückte der letzte Arbeitstag näher. Ich nahm alle gut gemeinten Ratschläge meiner Kollegen lächelnd entgegen und versprach, den Urlaub zu genießen.

„Und komm ja wieder, wir brauchen dich hier!“

Mit überraschenden Geschenken, Plakaten und Abschiedsbriefen vieler Schüler machte ich mich gerührt auf den letzten Heimweg. Nico, ein Sechstklässler, hatte mir ein Mini-Notfallset mitgegeben:

einen Schutzengel, etwas Schokolade und blaue Ohropax.

Ohne Schokolade lässt sich’s meiner Meinung nach leben, aber nie und nimmer ohne das Gefühl, beschützt und vermisst zu werden. Der kleine Gehörschutz war immer in Reichweite, obwohl meine Lärmtoleranz sich erstaunlich rasch an kubanische Gepflogenheiten anpasste, verlieh mir nur schon die Aussicht auf etwas Ruhe die nötige Gelassenheit.

Zwischen dem letzten Schultag und der Abreise hatte ich lockere fünf Tage vorgesehen: Fertig packen, Listen überprüfen und letzte Anleitungen für die Pflanzenpflege an meine Tochter zu geben.

Am Dienstag, dem Tag vor dem Abflug, war also alles planmäßig fertig, als mein Arzt mir sagte:

„Ich muss Ihnen dringend abraten, morgen nach Kuba zu fliegen!“

Das fing ja gut an. Ich war also noch nicht mal gestartet und schon schien mein Projekt zu scheitern.

Was war passiert?

Ein paar Tage vor Reisebeginn meldeten sich immer wieder diffuse Bauchschmerzen. Mit positivem Denken alleine waren sie aber einfach nicht wegzubekommen. Bald wurde jeder Schritt zur Qual, so konnte ich wirklich nicht seelenruhig abreisen. Ich hatte mir selber auch schon eine Diagnose gestellt, Eileiterentzündung, diesen Schmerz hatte ich vor ein paar Jahren nämlich schon einmal gehabt.

Also kein Grund zur Panik, eine Schachtel Antibiotika und schon bald wäre wieder alles beim Alten.

Zwanzig Stunden vor dem Abflug teilte der Frauenarzt meine laienhafte Diagnose nicht. „Die Möglichkeit besteht, dass es Divertikel im Darm sind. Daher ist eine genaue Abklärung notwendig. Sie gehen ein viel zu hohes Risiko ein, wenn sie morgen nach Kuba reisen. Ich kenne dieses Land!“

„Sie machen einen Witz? Das können Sie nicht im Ernst von mir verlangen! Seit Monaten bereite ich alles für diese Reise vor.“

Ich war geschockt, blieb aber ruhig. Für mich stand fest: Ich fliege morgen nach Kuba!

„Wären Sie meine Frau, würde ich Sie nicht reisen lassen“, meinte er ernst.

Das war deutlich, aber zum Glück waren wir ja nicht miteinander verheiratet.