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Inhalt

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Epilog

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2016 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-99048-443-2

ISBN e-book: 978-3-99048-444-9

Lektorat: Isabella Busch

Umschlagfoto: Anna Feldmann

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

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„Tschüss“, rief ich über die Schulter, schnappte mir noch einen Blaubeermuffin und zog die alte Holztür hinter mir ins Schloss. Das Sonnenlicht blendete mich, als ich aus dem Schatten des Lofts trat. Ich schloss meine Augen und hielt mein Gesicht in die Sonne. Endlich Frühling. Und mit dem Winter war nun auch endgültig der Albtraum vorbei. Mit einem Lächeln auf den Lippen überquerte ich die Straße, wich einigen hupenden Autos aus und steuerte das „Cupcake“ an, ein kleines Café, in dem Lilja und ich uns jeden Morgen trafen, seit wir aufs Gymnasium gingen.

Wie immer war ich die Erste, denn meine beste Freundin kam konsequent mindestens fünf Minuten zu spät. „Zweimal Latte Macchiato mit Vanillearoma?“, fragte Jana die fröhliche, leicht rundliche Besitzerin des Cafés. Sie gab mir das Gefühl, als hätten zwischen meinem letzten Besuch und heute nicht zwei Monate gelegen, und ich war dankbar dafür. Ich nickte und setzte mich auf einen der Barhocker. Nachdem ich meinen Latte Macchiato zur Hälfte ausgetrunken und mit Jana über Gott und die Welt gequatscht hatte, läutete die Türglocke und Lilja wirbelte mit zerzausten Haaren und offenen Schnürsenkeln ins Café. Sie küsste mich zur Begrüßung auf beide Wangen, wünschte Jana einen guten Morgen und griff nach ihrem Latte. Gemeinsam verließen wir das Café und machten uns auf den Weg zur Schule. Seit ich denken konnte waren Lilja und ich beste Freundinnen. Sie war zwar unpünktlich und schusselig ohne Ende, aber ich wusste, dass ich mich auf niemanden mehr verlassen konnte als auf meine hübsche blonde Seelenschwester. Genau wie ich umgekehrt alles für sie tat. „Weißt du schon, was du heute Abend anziehst?“, fragte Lilja, während wir die Straße entlangschlenderten. Heute Abend fand die angesagteste Gartenparty des Jahres bei Gereon, einem der heißesten Typen der Schule, statt. In Anbetracht der Tatsache, dass alle über mich reden würden, hatte ich eigentlich zu nichts weniger Lust, aber ich war froh, dass meine alten Freunde mich größtenteils unproblematisch wieder aufgenommen hatten, also konnte ich auf keinen Fall absagen. „Mhm, vielleicht das süße weiße Cocktailkleid mit der Spitze, das ich mir letztes Jahr im Sommerschlussverkauf gekauft habe“, überlegte ich. „Oder den Rock, den wir in Italien gekauft haben.“ „Nimm das Kleid“, entschied Lilja. „Mir ist schon wieder alles zu klein geworden“, jammerte sie gleich darauf. Ich lachte. Obwohl wir mittlerweile 17 waren, hatte Lilja noch immer nicht aufgehört zu wachsen. Sehr zu ihrem Leidwesen, da sie bereits 1,80 Meter groß war. „Freu dich doch, Lil“, sagte ich. „Ich sehe aus wie eine Giraffe“, stöhnte sie. Das war gelogen und Lilja wusste das genau. Mit ihren langen Beinen und den großen blauen Augen könnte man sie locker für ein Model halten. „Was soll ich denn sagen?“, empörte ich mich gekünstelt. „Schließlich sehe ich aus wie ein Zwerg.“ „Ich wäre gerne nur 1,65 Meter“, blieb Lilja stur.

Pünktlich mit dem ersten Gong erreichten wir das Schulgelände. Ich schlürfte den letzten Schluck Kaffee aus meinem Plastikbecher und warf ihn im Vorbeigehen in einen Mülleimer. Vor dem alten Backsteingebäude trennten wir uns. Lilja hatte in der ersten Stunde Mathe. Ich schloss die Augen, atmete noch einmal tief durch und machte mich auf den Weg zu Geschichte.

Nachdem er sich eine halbe Stunde lang die Beine in den Bauch gestanden hatte, verließ endlich ein Mädchen das Loft. Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Er zog das Foto aus der Tasche. Das darauf abgebildete Mädchen stimmte mit dem, das nun die Straße überquerte, überein, darin bestand kein Zweifel. Hübsch sah sie aus, mit ihren langen braun-blond- gesträhnten Haaren, die zu einem unordentlichen Pferdeschwanz hochgebunden waren, der bei jedem ihrer schwungvollen Schritte auf und ab wippte. Auch er überquerte die Straßen und beobachtete, wie sie ein kleines Café betrat. Einige Minuten später verließ sie es mit einem Latte Macchiato in der Hand und einem blonden Mädchen an ihrer Seite. In gebührendem Abstand folgte er den beiden Mädchen, die quatschend und lachend den Bürgersteig entlangschlenderten. Jede ihrer Gesten und Bewegungen prägte er sich genauestens ein, analysierte sie. Es ging ganz von alleine, schließlich war er im Observieren kein Anfänger. Die beiden Mädchen verkörperten das typische hübsche it-girl-Duo, das es an jeder Schule gab. Hübsch, unzertrennlich und wahrscheinlich genauso beliebt wie beneidet. Vor dem Lessing-Gymnasium verabschiedeten sie sich lachend voneinander und betraten das alte Backsteingebäude durch unterschiedliche Eingänge. Das Lachen wird dir noch schnell genug vergehen, Florina O’Dell. Endlich hatte er eine Spur und fast bedauerte er ihren sicheren Untergang. Ärgerlich wischte er dieses Gefühl beiseite. Schließlich war er kein Anfänger.

„Kommst du heute Abend auch zu Gereons Party, Flori?“, rief Mia mir quer über den Schulhof zu. „Klar“, antwortete ich, „du auch?“ Das Mädchen mit den kinnlangen dunkelbraunen Haaren nickte mit leuchtenden Wangen. „Er hat mich gerade gefragt“, berichtete sie. „Hoffentlich erlauben meine Eltern, dass ich hingehe.“ „Ach bestimmt, Mia“, beruhigte ich sie. „Es ist schließlich eine Gartenparty, sogar seine Eltern sind da.“ Mia gehörte nicht wirklich in die Gruppe der beliebten Mädchen, aber sie war lieb und ich hatte mich schon am Anfang der Fünften mit ihr angefreundet. Nicht so eng wie mit Lilja, aber wir verstanden uns noch immer gut. Auch, dass sie sich heute sofort neben mich gesetzt hatte, rechnete ich ihr hoch an. Mia und ich unterhielten uns noch ein wenig über die Party, während ich auf Lilja wartete, die mal wieder zu spät kam.

Die Hälfte ihrer Bücher noch unter den Arm geklemmt, kam sie schließlich in unsere Richtung. Ich verabschiedete mich von Mia und hakte mich bei Lilja unter. „Hast du schon gehört, dass Marius und Lena sich getrennt haben?“, fragte sie mich aufgeregt. Egal worum es ging, Lilja war immer die Erste, die Bescheid wusste. „Vernünftig von ihr“, lautete meine Einschätzung dazu. Marius war ein ekelhafter Typ. „Ich hab eh nicht verstanden, was die von dem wollte“, fügte ich hinzu. „Wir sind mal wieder einer Meinung“, sagte Lilja. „Wir sehen uns heute Abend.“ Ich umarmte Lilja zum Abschied und stieß die Tür zum Loft auf.

Zu Hause angekommen, ließ ich mich erst einmal völlig fertig auf mein Bett fallen. Der erste Schultag war doch heftiger als erwartet gewesen. Gaffende Blicke und Getratsche, wo man nur hinguckte. Wenigstens meine Clique hatte mich nicht fallen gelassen, dachte ich. Findus, mein kleiner Kater, tapste auf mich zu und begann wohlig zu schnurren, als ich meinen Kopf in seinem Fell vergrub. Was die anderen dachten, brauchte mich ja nicht zu interessieren. Doch in meinem Inneren wusste ich, dass es nicht das Gerede war, das mir zu schaffen machte, sondern meine eigenen Schuldgefühle.

Auch wenn sie alles tat, um es zu verbergen, sah er Florina die Last an, die sie mit sich herumschleppte. Als ihre Freundin sich vor dem Loft umgedreht hatte, war sie regelrecht in sich zusammengesackt.

Das Mädchen mit den kurzen dunkelbraunen Haaren war Gold wert gewesen. Ihretwegen und ihrer Vorliebe, über dermaßen große Distanzen hinweg zu schreien, wusste er nun, wo Florina sich heute Abend aufhalten würde. Alles, was er noch brauchte, war Gereons Adresse.

Meine Befürchtungen in Bezug auf die Party waren ziemlich unbegründet gewesen. Die Anwesenden waren größtenteils Freunde von mir und die anderen hielten sich zurück, weil sie das genau wussten. Ich nahm ein Glas Sekt und steuerte eine um einen Stehtisch versammelte Gruppe an, bei der auch Lilja stand. „Heißes Kleid, O’Dell“, ließ Jack verlauten, der von seinen Äußerungen auf dem Niveau der achten Klasse stehen geblieben, im Grunde aber ein netter Kerl war. Ich sparte mir einen Kommentar dazu und lächelte in die Runde. „Die Deko ist wieder unübertroffen“, stellte Lea fest. Ich konnte ihr nur zustimmen. Stilvolle Lampions hingen in den Bäumen, auf dem an das riesige Grundstück angrenzenden See schwammen Windlichter, die in der leicht einsetzenden Dämmerung leuchteten, und die Stehtische waren mit geschmackvollen zarten Blumengeflechten dekoriert. Auf der großen freien Rasenfläche begannen einige Leute zu tanzen und am Ufer des Sees stand ein eng umschlungenes Pärchen. Ich schloss die Augen und wiegte mich leicht im Rhythmus der Musik. Das alles hatte mir in den vergangenen zwei Monaten gefehlt. Dies hier war meine Welt. Nur die Unbeschwertheit, die ich früher verspürt hatte, wollte sich nicht einstellen.

„Nicht einschlafen, Flori!“, sagte Lilja und stieß mich scherzhaft in die Seite. Ertappt zuckte ich zusammen und beeilte mich, wieder dem Gespräch zu folgen. Lea und Mia diskutierten mit Philip darüber, welche der Universitäten, für die sie sich eingeschrieben hatten, die beste Wahl war. Ich würde wohl kaum die Wahl haben. Lilja merkte, dass das Thema mich traurig machte, und zog mich Richtung Tanzfläche. Wir begannen zu tanzen und nach einiger Zeit merkte ich, wie ich mich langsam entspannte. Zum ersten Mal nach langer Zeit hatte ich einfach Spaß.

Sich auf die Party zu schmuggeln war leichter gewesen, als er erwartet hatte. Das Grundstück war weitläufig, sodass er den vorgesehenen Eingang nicht benutzen musste. Und sobald er erst einmal auf dem Grundstück war, fiel er gar nicht auf, zumal er sich überwiegend im Schatten der Bäume am See aufgehalten hatte. Sie war auf die Party gekommen, kaum dass er sich einen Überblick verschafft und einen geeigneten Platz gefunden hatte, von dem er einen Großteil des Grundstückes überblicken konnte. Sie trug ein kurzes cremefarbenes Cocktailkleid mit Spitze. Ihre langen Haare flossen in einer sanften Welle ihren Rücken hinab und umspielten ihre Schultern. Unter anderen Umständen hätte er sie anziehend gefunden. Vielleicht hätte er sie angesprochen, nur um aus der Nähe zu sehen, wie sie ihre Haare zurückstrich und ihre Worte mit lebhaften Gesten untermalte. So jedoch hielt er sich in sicherer Entfernung auf, beobachte sie und ihre Freunde. Er rief sich in Erinnerung, was dieses Mädchen getan hatte und spürte erleichtert, wie die Zuneigung, die er gegen seinen Willen bei ihrem Anblick empfand, wieder in den vertrauten Hass umschlug. Er musste Abstand wahren, und dass ihm das so schwerfiel, war er nicht gewohnt, es machte ihm Angst.

Die Zeit verstrich und er merkte, wie er langsam schläfrig wurde. Um nicht einzunicken, lief er ein paar Schritte das Ufer entlang. Schließlich ließ er sich auf einem umgestürzten Baumstamm nieder und suchte das Gelände nach Florina ab. Vorhin war sie noch mit einigen anderen auf der Tanzfläche gewesen. Er hätte sich ohrfeigen können dafür, dass er sie aus den Augen verloren hatte. Systematisch durchkämmte er die Tanzfläche mit seinem Blick, konnte aber nur Lilja und die anderen finden. Als er Schritte hörte, die am Ufer entlangliefen, hob er den Kopf. Und begegnete dem Blick von Florina O’Dell.