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„Lara, darf’s für dich noch ’ne Cola sein?“, fragt Tom, der hinter dem provisorischen Tresen in Jonas’ Wohnzimmer steht und heute Abend den Barkeeper spielt.

„Klar doch“, antworte ich ganz locker und schenke ihm ein strahlendes Lächeln. Meine Frisur sitzt perfekt, genauso wie mein neues rotes Neckholder-Top. Und ausnahmsweise hat sich weder am Kinn noch auf der Stirn ein fieser Pickel breitgemacht, der mir den Partyabend vermiesen könnte. Ich lehne lässig zwischen Katja und meiner besten Freundin Miriam an der Theke und lasse meinen Blick über die anderen Partygäste schweifen. Einige tanzen, andere stehen in Grüppchen zusammen und zwei knutschende Pärchen teilen sich die Couch in der Ecke.

Schräg neben uns an der Wand sehe ich Natalie, die Schreckschraube aus der 10a, wie immer top gestylt und wie immer umgeben von ein paar Typen, die sabbernd an ihren Lippen beziehungsweise ihrem tiefen Ausschnitt hängen.

Blöde Kuh! Was die Jungs nur alle an der finden? Na, wenigstens tänzelt Jonas nicht mehr um sie herum. Warum der so lange mit dieser platinblondierten Zicke zusammen war, hab ich nie ganz verstanden. Die passen doch null zusammen …

„Hey, Lara, willst du vielleicht tanzen?“, reißt mich da eine Stimme aus meinen Gedanken.

Ich zucke zusammen. Katja ist verschwunden und stattdessen steht Jonas plötzlich neben mir. Wie immer sieht er einfach zum Niederknien aus in seinen abgetragenen Jeans und dem engen weißen T-Shirt. Mit seinem Augenbrauenpiercing, den kinnlangen braunen Haaren und diesem leicht spöttischen Lächeln auf den Lippen hat er irgendwie was Verwegenes, Geheimnisvolles, weswegen die Mädchen in unserer Schule wahrscheinlich auch reihenweise in ihn verschossen sind – mich eingeschlossen. Und wie er duftet! Ich krall mich an meinem Colaglas fest. Jetzt bloß keinen Fehler machen, denke ich. Du siehst toll aus, hast dich in endlosen Gesprächen mit Miriam auf diesen Abend vorbereitet und wirst ihm heute endlich sagen, was du für ihn empfindest.

„Ich … äh, ja, sehr gerne“, hauche ich und versuche, meiner Stimme einen sexy Tonfall zu verleihen, begleitet von einem wochenlang vorm Spiegel erprobten unwiderstehlichen Augenaufschlag. Na, geht doch!

Jonas zwinkert mir zu und nimmt meine Hand. ER NIMMT MEINE HAND!!! Dann führt er mich zur Tanzfläche und ich schiele noch einmal kurz zu Miriam, die den Daumen triumphierend in die Höhe reckt und mir aufmunternd zunickt.

Wie auf Kommando ertönt jetzt aus der Anlage auch noch ein langsamer Kuschelsong: Angels von Robbie Williams hat zwar schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, dient aber immer wieder als nützliche Untermauerung romantischer Momente. Jonas zieht mich zu sich heran und blickt mir dabei tief in die Augen. Oh Gott, meine Beine fühlen sich wie Pudding an und in meinem Bauch scheint heute die Pingpong-WM ausgetragen zu werden. Los jetzt, Lara, reiß dich zusammen, zeig ihm, dass du ihn auch magst! Mutig lege ich meine Arme um Jonas’ Nacken.

Larissa Wegmann und Jonas Berger, eng umschlungen vor den Augen der halben Schule. Ich kann es kaum fassen.

Während wir uns im Takt wiegen, sehe ich aus dem Augenwinkel Natalie, die uns vernichtend fixiert und deren knallrot angemalter Schmollmund sich zu einem dünnen Strich verzogen hat. Ich schmiege mich noch etwas enger an Jonas.

„Lara“, flüstert er und sein warmer Atem an meinem Ohr verursacht bei mir eine Gänsehaut, „ich wollte dir schon längst etwas sagen.“

„Jahaaa?“, hauche ich zurück und muss mich noch fester an ihn klammern, um nicht besinnungslos vor ihm auf den Boden zu sinken.

„Ja also, um ehrlich zu sein, bin ich schon seit fast einem Jahr unsterblich in dich verl–“

„Happy birthday to you, happy birthday to youuu“, schallt es da plötzlich aus den Boxen und Jonas und ich fahren erschrocken auseinander. Irgendjemand macht das Licht an und …

Mama??!!

Verwirrt blicke ich in das strahlende Gesicht meiner Mutter, die mit einer riesigen Sahnetorte an meinem Bett steht. Hinter ihr taucht der rote Kopf von Paps auf.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Schätzchen!“

Seufzend lasse ich mich zurück in mein Kissen fallen.

Aus der Traum. Herzlich willkommen zurück im wirklichen Leben!

„Sechzehn Jahre“, trällert meine Mutter. „Mein Gott, Walter, wie lange ist das her!“

Paps nickt und lächelt. „Ja, da war die Welt noch in Ordnung. Keine Geldsorgen, kein Stress im Büro, keine Frau, die einen ständig anmeckert …“

Mama knufft ihn empört in die Seite.

Wie kann man um diese Uhrzeit nur schon so munter sein? Ich seufze genervt, was meine Eltern aber gekonnt ignorieren.

„Nein, im Ernst, genieß deine Jugend, Kleines, es wird nicht leichter, glaub uns!“

Wenn die wüssten! Eltern haben doch keine Ahnung!

„Larissa, es ist schon nach neun! Nun zieh dich mal an und komm schnell runter zum Frühstück, wir haben eine tolle Geburtstagsüberraschung für dich!“, jauchzt meine Mutter und wirft Paps einen verschwörerischen Blick zu. Sie wuschelt mir durch die Haare und kichernd verschwinden die beiden aus meinem Zimmer.

Was für ein Samstagmorgen!

Immer noch ganz benommen von meinem schönen Jonas-Traum schäle ich mich aus der Bettdecke und blicke in den Spiegel über meinem Nachttischchen. Ein frischer, riesengroßer roter Pickel leuchtet mir hämisch vom Kinn aus entgegen.

„Na toll, dir auch happy birthday, mein eitriger Freund“, knurre ich, strecke ihm die Zunge raus und schlurfe ins Bad.

„Waaaaaaas?“ Entsetzt starre ich auf die Karte in meiner Hand. Über einer selbst gemalten Bergkette mit grünen Almen und einer aufgeklebten lila Milka-Kuh vor einer Holzhütte steht in einer weißen Schäfchenwolke geschrieben:

Gutschein für 2 Übernachtungen in Tante Hedwigs Pension Edelweiß am ersten Ferienwochenende!

Viel Spaß und alles Gute unserer großen Kleinen!

Mama und Papa

Meine Eltern schauen mich erwartungsvoll an.

„Wir dachten, weil wir doch wegen dem neuen Haus dieses Mal auf einen größeren Sommerurlaub verzichten müssen …“, beginnt Paps.

„Und außerdem wird es bestimmt aufregend für dich, endlich mal ganz allein und ohne Eltern zu verreisen, oder was meinst du?“, fügt Mama strahlend hinzu. „Tante Hedwig und deine Cousine Verena können es kaum erwarten, dich wiederzusehen. Sie haben das schönste Zimmer in der Pension für dich frei gehalten – und das, obwohl Hauptsaison ist.“

Ich schlucke. Tante Hedwig und meine Cousine Verena … Ich kann mich kaum mehr an die beiden erinnern. Sie waren das letzte Mal vor sieben Jahren bei uns gewesen, als Paps’ älterer Bruder, Tante Hedwigs Mann, noch gelebt hat. Ich weiß nur noch, dass Verena, die ein Jahr älter ist als ich, ziemlich pummelig war und dicke Pausbacken hatte, alle meine Spielsachen blöd fand und die ganze Zeit nur rumgequengelt hat. Und sie hat sich so mit Torte vollgestopft, dass sie kotzen musste – und zwar in meine Playmobilkiste. Dieser Vorfall hatte schwerwiegende Folgen. Danach habe ich nämlich aufgehört, mit Playmobil zu spielen. Ein für alle Mal.

Vor zwei Jahren hat Tante Hedwig dann irgendwo im Alpenvorland eine kleine Pension aufgemacht. Alpenvorland, wie das schon klingt! A wie am Arsch! Und wie a…a…aber

„A…a…aber am ersten Ferienwochenende kann ich nicht“, stottere ich, „da ist doch die Feier von Jonas!“

Seit Tagen freue ich mich schon auf die Party und bin mit Miriam bis ins letzte Detail sämtliche Situationen durchgegangen, die an diesem Abend eintreten könnten. Wir haben mich sozusagen flirtfest gemacht. Leider hab ich nämlich, bis auf das bisschen Rumgeknutsche und Händchenhalten mit Torsten aus meiner Parallelklasse, in Sachen Jungs kaum Erfahrung. Und das mit Torsten hat sich auch nur deshalb ergeben, weil wir uns im Skilager beim Flaschendrehen küssen mussten. Danach haben wir einfach beschlossen, dass wir miteinander gehen. Oder besser gesagt: Alle anderen haben das beschlossen. Ich weiß nicht mehr, jedenfalls war seitdem klar, dass wir ein Paar waren, und für vier Monate hat es auch ganz gut funktioniert. Bis Torsten dann auf einer Party, zu der ich nicht kommen konnte, Susanne beim Flaschendrehen küssen musste. Seither geht er mit ihr. Allerdings hat mir das nicht wirklich etwas ausgemacht, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon längst in Jonas verschossen war.

Jonas, Jonas, Jonas … Ein absoluter Traumtyp! Schon achtzehn, einmal sitzen geblieben, immer cool, immer lässig, immer etwas unnahbar und dadurch extrem sexy. Macht eben sein eigenes Ding und kümmert sich nicht darum, was andere sagen. Mit ihm könnte ich mir so einiges vorstellen. Und seit ich ihm vor Kurzem zwei Euro für ein Busticket geliehen habe, zwinkert er mir jedes Mal zu, wenn er mich sieht. Miriam behauptet, er würde auf mich stehen und ich müsse langsam mal in die Puschen kommen, wenn ich ihn mir nicht von einer anderen vor der Nase wegschnappen lassen wollte. Denn, nachdem er mit Schreckschraube Natalie Schluss gemacht hat, stehen die Mädchen in unserer Schule Schlange bei ihm.

Leider bin ich nur immer total schüchtern, wenn mir ein Junge gefällt. Miriam ist da komplett anders. Wenn sie jemanden toll findet, unternimmt sie alles, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, und hat damit echt Erfolg. Sie hat es auch geschafft, dass wir überhaupt zu Jonas’ Party eingeladen wurden, indem sie sich an seinen besten Freund Tom rangeschmissen hat. Und Tom war es dann auch, der Miriam gesteckt hat, dass sich Jonas anscheinend tatsächlich für mich interessiert. Zumindest hat er sich ein paarmal nach mir erkundigt.

Ich könnte heulen! Ich wollte dieses Mal wirklich in die Offensive gehen und Jonas zeigen, dass ich ihn auch mag. Ich hab mir sogar einen neuen Jeansrock und ein süßes rotes Oberteil gekauft, das mich ein halbes Vermögen gekostet hat.

„Ach Lara-Schätzchen, diese Partys sind doch alle gleich“, setzt meine Mutter an. „Du wirst noch auf Tausende solcher Feiern gehen, aber was du nach dem Umzugschaos der letzten Wochen dringend brauchst, ist ein bisschen Urlaub, frische Luft und Spaß, und davon wirst du bei deiner Tante jede Menge bekommen. Du bist viel zu blass. Außerdem ist das Bahnticket schon gebucht. Du wirst sehen, es wird großartig.“

„Warum lässt du dir das gefallen, Lara?“ Miriam schnappt empört nach Luft, als ich ihr am Telefon die Neuigkeiten berichte.

„Was soll ich denn bitte schön machen?“, erwidere ich gereizt. „Meine Eltern haben schon alles festgemacht!“

„Dann verpass eben den Zug und übernachte bei mir oder sag, dir ist ganz furchtbar schlecht oder du hast Angst, allein so weit zu fahren, oder …“

„Miriam, vergiss es, ich bin nicht gut im Lügen, das weißt du doch. Ich ärgere mich ja auch, aber jetzt kann ich’s nicht mehr ändern. Du musst eben allein auf die Party und mir berichten, was passiert. Vor allem, wenn irgendwas mit dieser blöden Kuh von Natalie ist, hast du verstanden? Dann musst du mir gleich ’ne SMS schicken oder mich anrufen.“

„Wie du meinst!“ Miriam klingt eingeschnappt. „Aber beschwer dich nachher nicht, wenn er ’ne andere Freundin hat. Der fackelt nicht lange. Außerdem fährt Jonas nach seiner Party drei Wochen lang in Urlaub und ich an deiner Stelle hätte die Sache vorher klargemacht.“

Ich seufze. Warum ist im wirklichen Leben nur immer alles so kompliziert? Und warum, warum, warum müssen einem die Eltern ständig dazwischenpfuschen?

Am Freitag, eine Woche später, ist Ferienbeginn und ich sitze mit meinem Trekkingrucksack und einer Zeitschrift im Zug nach Neuenbach. Eigentlich muss ich ja nach Oberneuenbach, aber natürlich hat das Kaff, in dem meine Tante wohnt, keinen eigenen Bahnhof. Puh, morgen Abend werde ich die coolste Party des Jahres verpassen und die Chance auf die Liebe meines Lebens. Stattdessen werde ich wahrscheinlich mit meiner missmutigen Pausbacken-Cousine Sahnetorte essen und erzählen, was ich die letzten sieben Jahre so alles getrieben habe – und das war nicht gerade viel. Tolle Aussichten!

Die Reise hat schon ziemlich stressig angefangen: Zuerst kam mein Zug zu spät und dann hab ich den Anschluss verpasst und musste mich in diese Bummelbahn setzen, in der es muffelt und keine Klimaanlage gibt. Die Oma neben mir futtert seit gut einer Stunde Kekse in sich hinein und fegt in regelmäßigen Abständen die Krümel von ihrem Rock auf meinen Schoß.

Ich lege die Zeitschrift beiseite und blicke durch die schmierige Scheibe hinaus in den blauen Sommerhimmel. Schön ist es hier schon, das muss ich zugeben. Ein wunderbares Bergpanorama und saftige grüne Wiesen ziehen an mir vorüber. Wenn Miriam doch nur bei mir wäre. Oder Jonas. Mit Jonas auf einer Decke, irgendwo auf so einer Wiese. Nur leicht bekleidet und mit –

„Verehrte Fahrgäste, in Kürze erreichen wir Neuenbach“, ertönt da die Durchsage des Schaffners.

Zum Glück, das wäre geschafft! Ich ernte eine letzte Ladung Kekskrümel und ein Lächeln der alten Dame.

„Schönen Aufenthalt, junges Fräulein“, meint sie und kneift mir in die Backe. „Erholen Sie sich gut. Sie sehen viel zu blass aus.“

Ich nicke folgsam und lächle gequält. Dann schiebt sich die Frau vor mir aus dem Zugabteil.

Endlich frische Luft! Ich atme tief ein und blicke mich am Bahnsteig um. Als ich vorhin den Anschlusszug verpasst habe, habe ich kurz meine Tante angerufen und ihr mitgeteilt, dass ich wohl ein bis zwei Stunden später als geplant eintreffen würde. Tatsächlich ist es nun schon vier Uhr nachmittags. Eigentlich sollte ich mich noch mal melden, wenn ich angekommen bin, dann wollte mich Tante Hedwig abholen. Aber im Moment genieße ich es so, diesem stickigen Zug und dem Krümelmonster neben mir entkommen zu sein, dass ich überlege, zu Fuß zur Pension nach Oberneuenbach zu laufen. Laut meiner Tante sind es nur 1,7 Kilometer und viel Gepäck hab ich ja nicht.

Andererseits kann ich mir auch gut vorstellen, mich nach dieser Höllenfahrt erst mal in Ruhe frisch zu machen, mich möglichst schnell unter die Dusche zu stellen und krümelfreie Klamotten anzuziehen.

Was würdet ihr an meiner Stelle tun?

Soll ich …

oder

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„Na klar helfe ich dir, gar keine Frage“, sage ich und bekomme dafür einen spontanen Kuss von Flo auf die linke Backe.

„Du bist ein Schatz“, sagt er und ich merke, wie es in meiner Magengegend gehörig kribbelt.

Dann nimmt mich Flo bei der Hand und zieht mich hinter sich her in die Küche, wo mich Hunderte Schüsseln, Brettchen, Messer, Kisten voller Salat, Karotten, Gurken und Tomaten und diverses anderes Grünzeug erwarten. An den Wänden sind Haken angebracht, an denen Töpfe in allen Größen hängen.

Flo schiebt mich zum Waschbecken. „Regel Nummer eins: Vor dem Kochen Hände waschen!“ Dann stellt er mir einen Stuhl an den Küchentisch und legt mir ein großes Brett und ein Messer vor die Nase. „Vorsicht, das ist ziemlich scharf“, sagt er, schnappt sich ein paar leere Schüsseln und stellt sie ebenfalls auf den Tisch.

„Am besten, du fängst mit den Gurken an“, sagt er. „Hier, ich hab sie schon geschält, du musst sie nur noch in Scheiben schneiden.“

„Etwa so?“, frage ich und Flo nickt zufrieden.

„Perfekt“, sagt er und klopft mir auf die Schulter. Dann dreht er an einer kleinen Anlage und es ertönt Silbermond. „Ich habe einen Schatz gefunden, der schneidet Gurkenscheiben“, singt Flo in ein Schneebesen-Mikro und geht dabei theatralisch vor mir auf die Knie.

Ich muss lachen und es macht richtig Spaß, zusammen mit ihm Gemüse zu schnippeln, sich zu unterhalten und Musik zu hören. Ich stelle mich überraschenderweise gar nicht mal so ungeschickt an. Wenn mich jetzt meine Mutter sehen könnte!

Es dauert keine Stunde, da sind Flo und ich mit allem fertig. Während ich die letzten Tomaten schneide, beginnt Flo schon, den Salat kunstvoll auf die einzelnen Teller zu verteilen und mit Petersilie und Radieschenscheiben zu garnieren.

„Und das hier ist deine Portion“, sagt er und stellt mir einen Teller vor die Nase, auf dem die verschiedenen Zutaten in Herzform angeordnet sind.

Ich merke, wie es wieder ganz doll in mir drin kribbelt, und schaue zu Flo auf.

„Danke, das ist echt lieb von dir“, sage ich leise und versinke fast in seinen strahlend blauen Augen.

„Ja, was sehe ich denn da?“, ertönt es plötzlich von der Tür und ich fahre vor Schreck von meinem Stuhl auf. Meine Tante kommt in die Küche gerauscht. „Dein erster Ferientag und dann gleich Küchenarbeit? Also Florian, wirklich. Lara ist doch unser Gast!“

„Nein, nein, das hat echt Spaß gemacht“, sage ich, „Flo und ich waren ein richtiges Dreamteam.“

„Na, dann bin ich ja beruhigt. Sieht auch ganz fantastisch aus“, freut sich meine Tante. „Aber bevor es gleich zum Abendessen geht, habe ich noch eine kleine Überraschung für dich, Lara. Sozusagen ein Willkommensgeschenk. Komm mal mit.“

Tante Hedwig nimmt mich an der Hand und zieht mich aus der Küche.

Ich kann mich nur noch kurz zu Flo umdrehen und „Bis später dann!“ rufen, schon sind wir draußen. Schade, was wäre wohl passiert, wenn sie nicht dazwischengefunkt hätte? Bei der Vorstellung, Flo zu küssen, wird mir ganz warm. Seltsam, ich kenne ihn doch noch gar nicht so lange. Aber trotzdem ist er mir fast schon vertrauter als Jonas. Wie kann das sein?

Tante Hedwig öffnet einen alten Bauernkleiderschrank auf dem Flur im Eingangsbereich und angelt etwas heraus. „Tadaaaa! Herzlich willkommen in den Bergen!“, ruft sie freudestrahlend und hält mir – ein rosarotes Trachtenkleid mit weißem Blümchenmuster und hellblauer Schürze entgegen.

Ich starre erst das Kleid an und dann sie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

„Ein Dirndl ist ein Muss, wenn man hier Urlaub macht“, sagt Tante Hedwig. „Und ich weiß, das wird dir prächtig stehen. Gerade diese Farben zu deinen blonden Haaren … Und hier noch eine passende Bluse zum Drunterziehen. Du wirst reizend aussehen und zum Glück hast du ja auch oben rum ein bisschen was“, fügt sie augenzwinkernd hinzu. „Das muss nämlich sein, sonst sieht es nichts aus. Zieh es am besten gleich mal zum Abendessen an. Wenn du willst, mache ich dir auch noch eine passende Frisur – vielleicht geflochtene Zöpfe?“

„Äh, ja, mal sehen. Vielen, vielen Dank, Tante Hedwig, das wäre aber doch wirklich nicht nötig gewesen“, stottere ich und bemühe mich um ein dankbares Lächeln. Dabei ist mir nur zum Heulen. Ich werde wie Heidi von der Alm aussehen, total albern. Und neben mir wird meine schnieke Cousine in topmodernen Superklamotten sitzen und sich ins Fäustchen lachen. Warum tut mir meine Tante das an?

Aber anstatt einfach zu sagen, dass mir das Kleid nicht gefällt und ich mich darin unwohl fühle, halte ich meinen Mund. Das ist wieder mal typisch. Miriam würde sich das nicht bieten lassen. Aber ich bin nicht Miriam, sondern die stets anständige und höfliche Lara, mit der man alles machen kann. Mit dem Kleid unterm Arm trotte ich in mein Zimmer und lasse mich aufs Bett fallen. Meine gute Laune von eben ist verschwunden und ebenso mein Appetit auf den Herzsalat und die Lust, Flo wiederzusehen – zumindest in diesem Aufzug.

Ich muss mir etwas überlegen. Entweder, ich stelle mich jetzt nicht so an, zieh das Ding durch und zwänge mich eben Tante Hedwig zuliebe in dieses Kleid, oder ich ignoriere ihr Anliegen und ziehe an, was ich will. Ist zwar peinlich, wenn ich ihr erst jetzt sage, dass mir das Dirndl nicht gefällt, aber was soll’s? Schließlich bin ich in zwei Tagen wieder weg.

Was würdet ihr an meiner Stelle tun?

Soll ich …

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Ihr habt recht, ich hab einfach keine Ruhe, wenn ich nicht endlich Bescheid weiß, was zu Hause los ist.

Ich wähle also Miriams Nummer und es dauert keine zwei Klingeltöne, da hat sie schon abgehoben.

„Mensch, Lara, warum rufst du denn erst jetzt an?“

Miriam klingt ungeduldig, fast sogar beleidigt. Und sie nennt mich Lara und nicht Süße – das sagt schon alles.

„Tut mir leid, bis jetzt war ständig irgendwas los. Und du, ich hätte es echt nicht für möglich gehalten, aber hier laufen auch ganz schnuckelige Typen rum …“

Miriam scheint das nicht besonders zu interessieren. Sie legt sofort mit den Neuigkeiten los:

„Stell dir vor“, fängt sie an, „als ich mit meiner Mutter in die Stadt gegangen bin, um Schuhe zu kaufen für mein neues Kleid – ich hab dir doch von dem Kleid erzählt, oder? Das rote mit den weißen Sternchen, zu dem ich mir den megasuper Push-up gekauft habe, den mein Vater dann zufällig in meiner Schreibtischschublade entdeckt hat, wie peinlich, und ihn mir dann –“

„Miriaaaaaam“, unterbreche ich den Redefluss meiner Freundin, „jetzt komm endlich zur Sache, du machst mich ganz nervös mit deinem Geplapper. Was oder wen hast du in der Stadt gesehen?“

„Also“, Miriam holt Luft, „ich habe Jonas und Natalie zusammen entdeckt, in Paolos Eisdiele.“

So. Das ist es, was ich unbedingt hören wollte. Jetzt ist es raus und ich merke, wie mir leicht übel wird. Meine Stimme ist ganz zittrig, als ich nachfrage: „Und? Was haben sie getan? Haben sie sich – geküsst?“ Das Ende meiner Frage ist nur noch ein leises Krächzen. Und ich will die Antwort eigentlich gar nicht hören. Nicht die Antwort. Nicht die …

„Ich weiß nicht, ich glaube nicht“, meint Miriam und hört sich jetzt auch ganz betreten an. „Als ich die beiden beobachtet habe, jedenfalls nicht. Aber sie sahen schon sehr vertraut aus, ich meine, sie saßen ziemlich eng beieinander und sie hatte ihre Hand auf seinem Knie. Und sie haben gelacht. Wer weiß, vielleicht haben sie sich auch nur als Freunde getroffen oder so …“

Ja klar, als würde Miriam das selbst glauben. Jeder weiß, dass Natalie wieder bei Jonas landen will. Die verschwendet keine Zeit damit, mit einem Jungen nur befreundet zu sein.

„Ach, Miriam, was soll ich denn jetzt machen? Natalie ist doch ein völlig anderer Typ als ich. Wenn er auf Mädchen wie sie steht, dann hab ich sowieso keine Chance. Vielleicht hab ich mir das auch nur eingeredet und er hat sich nie für mich interessiert. Mal ganz ehrlich, wir haben doch nur über drei Ecken erfahren, dass er mich mag.“

„Jetzt hör mir mal gut zu, Lara.“

Miriams Stimme hat wieder ihren energischen Reiß-dich-endlich-mal-zusammen-Ton angenommen, den sie mir gegenüber in letzter Zeit ziemlich häufig anwendet, wenn es um das Thema Liebe geht.