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Wissenschaftliche E-Book-Reihe, Band 17

Originalausgabe
© 2016 Hirnkost KG (vormals Archiv der Jugendkulturen Verlag KG), Berlin und bei den AutorInnen
Alle Rechte vorbehalten

Hirnkost KG
Fidicinstraße 3, D – 10965 Berlin
E-Mail: bestellung@jugendkulturen.de; www.jugendkulturen-verlag.de
Ansprechpartner für die Wissenschaftliche Reihe: Klaus Farin

Vertrieb: www.shop.jugendkulturen.de und alle einschlägigen Anbieter
eISBN: 978-3-945398-39-5

Lektorat: Gabriele Vogel

Die Wissenschaftliche Reihe

Alljährlich entstehen an Universitäten und Fachhochschulen Hunderte von wissenschaftlichen Arbeiten, die zumeist nur von zwei GutachterInnen gelesen werden und dann in den Asservatenkammern der Hochschulen verschwinden. Dabei enthalten viele dieser Arbeiten durchaus neues Wissen, interessante Denkmodelle, genaue Feldstudien. Das Archiv der Jugendkulturen, Fachbibliothek und Forschungsinstitut zugleich zu allen Fragen rund um Jugendkulturen, hat deshalb damit begonnen, wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Jugend zu sammeln. Mehr als 800 solcher Arbeiten enthält die Präsenzbibliothek des Archivs inzwischen – für jedermann kostenlos und frei zugänglich.

In der Wissenschaftlichen Reihe publiziert der 2003 aus dem Archiv der Jugendkulturen heraus entstandene Verlag (seit Oktober 2015 in Hirnkost KG umbenannt) zudem qualitativ herausragende wissenschaftliche Arbeiten zu jugendkulturellen Zusammenhängen. Die Arbeiten werden von fachkundigen GutachterInnen gelesen und für die Veröffentlichung professionell lektoriert und gestaltet. Da pro Jahr von ca. 50 eingereichten Arbeiten nur maximal zwei veröffentlicht werden, kann bereits die Aufnahme in den Verlagskatalog als Auszeichnung verstanden werden. Doch für die AutorInnen lohnt sich die Veröffentlichung auch materiell. Wir verlangen grundsätzlich keinerlei Kostenbeteiligungen! Im Gegenteil: Unsere AutorInnen erhalten bereits für die Erstauflage ein Garantiehonorar von 1.000 Euro!

Seit 2011 wird diese Reihe durch eine elektronische Schwester ergänzt. Denn immer wieder mussten wir hervorragende Manuskripte ablehnen, da ein kleiner Verlag wie der unsrige sich nicht mehr als zwei wissenschaftliche Titel mit den gesetzten Qualitätsstandards und dem bewusst niedrig angesetzten Ladenpreis (um möglichst viele Menschen zu erreichen) leisten kann. Die E-Book-Reihe soll dieses Manko ausgleichen. Was für die Printreihe gilt, gilt auch für unsere E-Books: Sie werden ebenfalls sorgfältig ausgewählt und lektoriert, die AutorInnen erhalten ein kleines Garantiehonorar und werden am Umsatz beteiligt.

AutorInnen einer unveröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit zum Fokus Jugendkulturen können sich um den Respekt!-Preis zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten über Jugendkulturen bewerben: www.respekt-stiftung.de.

Feminismus an und hinter der Fassade?

Eine qualitative Untersuchung des persönlichen Zugangs der Sprayer_innen von feministischen Werken im öffentlichen Raum

Masterthesis

Zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Arts (M.A.)

Eingereicht für die Studienrichtung „Joint Degree Gender Studies“ an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von
Katharina Schmied, B.A.

Betreut von
Ao. Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in phil. Anita Prettenthaler-Ziegerhofer

Graz, im März 2014

INHALT

KURZZUSAMMENFASSUNG

ABSTRACT

DANKSAGUNG

1. EINLEITUNG

2. THEORETISCHE DEFINITIONEN

2.1 THEORETISCHER HINTERGRUND DER WERKE

2.1.1 Graffiti sind …

2.1.2 Street Art ist …

2.1.3 Mögliche Motivation

2.2 FEMINISMEN

2.2.1 Geschichte des Feminismus

2.2.2 „Frau“ als universaler Begriff

2.2.3 Der Versuch einfacher Definitionen

2.2.4 Kategorisierungsversuche

2.3 EIN FEMINISTISCHES GRAFFITO BZW. FEMINISTISCHE STREET ART IST

2.3.1 Die Betrachtenden entscheiden

2.3.2 Vorschläge in der Literatur

2.3.3 Begriffsdefinition „feministisches Werk“

2.4 ÖFFENTLICHER RAUM

2.4.1 Graffiti/Street Art im öffentlichen Raum

2.5 BERÜHRUNGSPUNKTE MIT DEM GESETZ

3. EMPIRISCHE FORSCHUNG

3.1 INTERVIEW MIT EXPERTIN

3.1.1 Methodenvorstellung Expert_inn_eninterview

3.1.2 Ergebnisse des Interviews mit der Expertin

3.2 INTERVIEWS MIT AKTEUR_INN_EN

3.2.1 Methodenvorstellung „Problemzentriertes Interview“

3.2.2 Ergebnisse der problemzentrierten Interviews

4. RESÜMEE

QUELLENVERZEICHNIS

ONLINE-QUELLEN

GRAFIKEN

INTERVIEWTRANSKRIPTE

ANHANG

INTERVIEWLEITFADEN EXPERTENINTERVIEW

INTERVIEWLEITFADEN AKTEUR_INN_E_N

KURZFRAGEBOGEN: SOZIALE POSITIONIERUNG DER AKTEUR_INN_E_N

STATISTIK: VERURTEILTE DELIKTE NACH GESCHLECHT UND ALTER ZUM TATZEITPUNKT 2012

Kurzzusammenfassung

Der Fokus dieser Abschlussarbeit liegt in der Untersuchung der Hintergründe der – von der Verfasserin als feministisch deklarierten – Werke im öffentlichen Raum. Es geht darum herauszufinden, welche Gedanken hinter feministischer Street Art bzw. feministischen Graffiti stehen.

Zunächst wird im Theorieteil der Arbeit Einblick in Definitionen von Graffiti und Street Art gegeben. Des Weiteren setzt sich dieses Kapitel mit dem Begriff „Feminismus“ auseinander und bespricht außerdem die Bereiche öffentlicher Raum und mögliche Berührungspunkte mit dem österreichischen und deutschen Gesetz.

Um tatsächlich die Gedanken hinter den Werken zu erfahren, wurden Gespräche mit in der Szene aktiven Sprayenden und Street-Art-Artists geführt. Die dafür angewandten Forschungsmethoden umfassen leitfadengestützte Interviews, einmal in Form eines Expert_inn_eninterviews, die weiteren sechs als problemzentrierte Interviews mit benannten Künstler_innen.

Die Ergebnisse zeigen, dass verschiedene Motivationen hinter diesen Kunstwerken stehen. So wird feministisches Handeln genauso angeführt wie die Rückeroberung des öffentlichen Raumes oder die Lust, etwas Verbotenes zu machen. Es kann festgehalten werden, dass das Anbringen von feministisch-einlesbaren Werken nicht gleichbedeutend mit einer feministischen Einstellung der Künstler_innen sein muss. Es konnte jedoch nachgewiesen werden, dass hinter dem Feminismus an der Fassade oft auch eine feministische Grundhaltung steht.

Abstract

The purpose of this master thesis is to examine the background of art in the public sphere that has been declared as feminist. It will investigate the motives behind feminist street art and feminist graffiti.

The theoretical part of this thesis will present different definitions of graffiti and street art and the word ‘feminism‘. It also deals intensively with the areas considered public space and their potential points of contact with Austrian and German law.

In order to ascertain the incentive of the artwork‘s creation, conversations with active members of the graffiti and street art scene were sought out. The methods used to do this include guideline-based interviews, one of which was an expert interview. The remaining six were problem-centred interviews with named artists.

The results show that multiple motivations lie behind the works of art. Feminist action was listed among the incentives, as well as reclaiming of the public space and the thrill of doing something illegal. It can be said that art that can be analysed through a feminist lens does not necessarily require feminist motivation on the part of their creator. However, feminist artwork on public facades did reveal feminist intentions in many cases.

Danksagung

Ein herzliches Danke

an Ina Mastnak von Lost Space? – die frau im öffentlichen raum! und an Sarah, Valerie und Melle für die Hilfe bei der Ideenfindung. Danke an Anja, Sonja, Miri, Caro und die beiden Bochumer_innen Anja und Valerie für ihr fleißiges Korrekturlesen. Danke an Tini für deine Englischkenntnisse. Danke Sonja für deine Grafiken und die moralische Unterstützung im Endspurt. Danke Nora für deine Tippschnelligkeit und den Biss, das durchzuziehen. Danke Lann und der Seminargruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin für den Input und das gemeinsame Reflektieren. Danke dem kleinen Etwas im Bauch meiner Schwägerin, du hast mich sehr motiviert. Danke Nora, Jenny und danke der ganzen Runde für die gute Freizeit während des Schreibprozesses. Danke Frau Prettenthaler-Ziegerhofer für die Freiheit, diese Arbeit so zu verfassen. Und nicht zuletzt danke liebe Mama und lieber Papa, dass Ihr mir die Freiheit gegeben habt, das zu studieren.

1. Einleitung

Welche Sprayer_innen1 stehen hinter feministischer Street Art oder feministischen Graffiti? Was wollen sie mit den Bildern erreichen? Wollten sie eine feministische/frauenpolitische Aussage vermitteln? – Beim Entdecken von Werken im öffentlichen Raum, in welchen die Verfasserin einen gewissen frauenpolitischen Anspruch, eine Aufforderung oder etwas Aufdeckendes bemerkt, hat sich diese Frage schon oft gestellt.

Es sind Werke, wie etwa das folgende Schablonenwerk aus Istanbul, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Dieses Bild war einer der Auslöser dafür, dass diese Arbeit von der Verfasserin in dieser Form angedacht wurde. Insofern soll es hier auch für die Lesenden als Einstieg dienen und schon zu Beginn eine konkretere Vorstellung von dem, was unter feministischen Stencils verstanden wird, geben. Im Zuge dieser Arbeit werden keine weiteren Bilder präsentiert werden, da es sich die Verfasserin nicht zur Aufgabe gemacht hat, eine wissenschaftliche Bildinterpretation zu machen. Außerdem kann durch das Vermeiden der Bilder die Anonymität der Befragten besser gewahrt werden. Im Laufe der Arbeit wird dennoch detailliert erklärt, warum die Werke jener als feministisch deklariert wurden.

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Grafik 1 – Stencil: Istanbul – „killers are in our households”

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die eigene Faszination der Verfasserin rund um feministische Werke im öffentlichen Raum zu nutzen, um so mittels Forschung in der Steiermark, Wien, Oberösterreich, Niederösterreich und auch in Berlin durch Interviews mit Akteur_inn_en als/und Expert_inn_en Erkenntnisse über die Gedanken beim Erstellen der Werke zu erlangen. Der Fokus auch in Bezug auf Literatur liegt demnach in Österreich und Deutschland. Es gilt zu erforschen, was hinter den Werken steht, was die Künstler_innen damit erreichen wollen und ob Formen bzw. welche Form von Feminismus dahinter verborgen ist.

In der Vergangenheit wurde zum Thema feministische Graffiti/Street Art kaum geforscht. Wird nach Literatur in diesem Bereich gesucht, so werden durch die Kombination von „feministisch“ und „Graffiti“ bzw. „Street Art“ kaum sinnvolle Treffer erzielt. Dies soll nun mit der Beantwortung der folgenden Frage innerhalb dieser Abschlussarbeit geändert werden:

Forschungsfrage

Welche Gedanken der Akteur_inn_e_n stecken hinter dem Sprayen und Platzieren von durch die Verfasserin als feministisch deklarierten Werken im Bereich Graffiti und Street Art im öffentlichen Raum?

Soziale Positionierung und kritische Ver_Ortung2

Ich3 selbst kenne die Graffiti- oder auch die Street-Art-Szene nur als außenstehende Betrachterin und dennoch möchte ich genau diese Kunst zum Thema meiner Abschlussarbeit machen. Sowohl das politische Statement als auch die Tatsache, dass beispielsweise Sprayen gegen das Strafgesetzbuch verstößt, aber gleichzeitig den Anspruch hat, Flächen zu verschönern und sie vor Kommerzialisierung zu bewahren, stehen im Zentrum meiner Begeisterung für diese Art von Kunst. Die Faszination und die Neugier treiben mich an, einen Zugang in die Szenen zu finden und den Akteur_inn_en mit ihren Gedanken Raum zu geben.

Ich bin mir darüber bewusst, dass ich in dieser Arbeit durch meine soziale Positionierung und meine Auswahl keinem Anspruch von Objektivität gerecht werden kann. Insofern versuche ich anhand einer kritischen Ver_Ortung darzulegen, aus welcher Position ich schreibe. Kritische Ver_Ortungen „sind Ver_Suche [...] soziale Positionierungen bei der Produktion von Wissen zu reflektieren und zu hinterfragen bzw. empowernd einzusetzen, auf verschiedenen Ebenen der Wissensproduktion zu explizieren und zu theoretisieren und Intervention in Effekte gesellschaftlicher Macht- und in Diskriminierungsverhältnisse daraus abzuleiten.“4

Ich, als weiße, mittelschichtsangehörige Frau,5 die in Mitteleuropa aufgewachsen und ableisiert6 ist und die das Privileg hat, innerhalb ihres Studiums und dieser Arbeit über vieles nachzudenken, kann nur versuchen, Blicke verschiedener Theoretiker_innen auf die in Kapitel 2 folgenden Themenbereiche in mein Schreiben mit einzubringen.

In dieser Arbeit möchte ich ein besonderes Augenmerk darauf legen, strukturelle Diskriminierungsformen dieser Gesellschaft – insbesondere jene, die mich im letzten Studienabschnitt am meisten beschäftigt haben, nämlich Sexismus und Rassismus – nicht fortzuführen. Meine kritische Ver_Ortung ist demnach anti_genderistisch und contra_rassistisch. Eine „mit >anti< benannte kritische ver_ortung bezieht sich auf personen, die strukturell diskriminiert sind, wohingegen eine kritische ver_ortung mit >contra< eine positionierung über strukturelle privilegierung in eine kritische ver_ortung umsetzt.“7 Das heißt im konkreten Fall „anti-sexistisch“ weil ich als weiße, akademisierte Frau teilweise von Sexismus betroffen bin; „contra_rassistisch“ deshalb, weil ich als weiße Frau nicht von Rassismus betroffen bin, aber ich mich vor allem aus meiner privilegierten Position heraus gegen Rassismus stellen möchte.

Mir ist es wichtig, meine Ver_Ortung in der Gesellschaft dieser Arbeit voranzustellen, damit den Lesenden bekannt ist, aus welcher (meist privilegierten) Position heraus ich schreibe und dass ich versuche, mir dies im Bewusstsein zu halten, um nicht durch diese Privilegierung strukturelle Diskriminierung fortzusetzen.

Ich befinde mich im Reflexionsprozess; viele Dinge sind mir noch nicht bewusst. Insofern kann ich nur versuchen, dieses Vorhaben möglichst gut umzusetzen.

Die Verfasserin bestimmt den Aufbau dieser Arbeit und prägt auch die Ergebnisse mit, insofern war es wichtig darzustellen, welche Positionierung hinter dem Schreiben steht.

Während der intensiven Beschäftigung mit dem Thema entwickelte die Verfasserin Hypothesen, die innerhalb dieser Arbeit verifiziert bzw. falsifiziert werden sollen.

Hinter den von der Verfasserin als feministisch wahrgenommenen Werken steckt oft ein Aktivismus, der nicht als feministisch deklariert wird.

Feminismus hat eine negative Bedeutung für die Künstler_innen.

Feministische Werke werden oft „nur“ als Nebentätigkeiten gemacht; der Hauptfokus der Akteur_inn_e_n liegt bei anderen Motiven.

2. Theoretische Definitionen

In diesem Kapitel finden sich vor allem Inhalte aus der Literatur mit Fokus auf den deutschsprachigen Raum. Da allerdings besonders der Bereich der untersuchten Kunst in Verbindung mit Feminismus in der Literatur kaum behandelt wird, werden auch Informationen aus den in Kapitel 3 näher erläuterten Interviews mit der Expertin I und den Akteur_inn_en , JMP, image, image, B. und feminist production8 dazu verwendet, das Wissen aus der Literatur zu erweitern.

2.1 Theoretischer Hintergrund der Werke

Dieses erste Unterkapitel beschäftigt sich mit den Werken und den Künstler_inne_n dahinter. Graffiti und Street Art werden definiert und die Frage nach dem Unterschied zwischen den beiden Begriffen wird gestellt. Des Weiteren wird die Motivation der Sprayenden theoretisch thematisiert.

2.1.1 Graffiti sind ...

Der Wortursprung des Begriffes „Graffiti“ (Singular: „Graffito“) entstammt dem Griechischen; später wurde unter dem italienischen „Sgraffito“ eine spezielle Kratzputztechnik zur Fassadengestaltung verstanden.9 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde von Altertumsforschenden und Archäolog_inn_en das Wort „Graffiti“ zur Benennung der Zeichnungen und Inschriften, welche sie gefunden hatten, verwendet.10

In jüngerer Zeit wird die Verbreitung des Begriffes auf einen New Yorker Boten zurückgeführt. Dieser hatte auf seinen Wegen durch die Stadt überall das Pseudonym „Taki 183“ hinterlassen. Die New York Times berichtete darüber am 21.07.1971 und sorgte dadurch für die weitere Verbreitung des Phänomens. Filme wie etwa Wildstyle von George Lucas trugen auch ihren Teil dazu bei.11

Die Kultur des Graffiti-Writings und der Aufbau der Spray-Szene begann um die 1970er Jahre in den USA, erreichte Europa über Amsterdam und Berlin in den 1980er Jahren und wird heute zusammen mit Breakdance, DJ_ane-ing und Rap der HipHop-Bewegung zugeordnet. Als Entstehungsort der Graffiti-Kultur wird manchmal auch Philadelphia genannt. Die (meist männlichen) Jugendlichen platzierten ihre Namensabkürzungen, persönlichen Logos oder Pseudonyme im Allgemeinen an allen Orten, an welchen sie sich aufhielten, in der Hoffnung, durch diese bekannt und berühmt zu werden.12

Der Drang der Jugendlichen, ihre Namen möglichst weit zu verbreiten und dadurch stärker wahrgenommen zu werden, führte dazu, dass sie auch mobile Flächen wie U-Bahnen und Züge nutzten, um diese Schriftzüge auf die Reise zu schicken.

Mit der Zeit kam ein qualitativ-ästhetischer Anspruch dazu: Die Werke wurden mehrfarbig und sorgfältiger ausgestaltet.13

Im Lexikon Britannica wird der Begriff im Jahr 2007 stark in Zusammenhang mit Banden-Identität und Illegalität gesetzt:

graffiti, singular GRAFFITO, a form of visual communication, usually illegal, involving the unauthorized marking of public space by an individual or group. Although graffiti are commonly thought of as stylistic symbols or phrases spray-painted on walls by members of street gangs, some graffiti are not gang-related. Graffiti can be understood as antisocial behaviour performed in order to gain attention or as a kind of thrill seeking, but they also can be understood as an expressive art form.14

In der vorliegenden Arbeit wird der Fokus nicht auf Illegalität oder Bandenidentität, sondern vielmehr auf die Inhalte der Graffiti gelegt.

Norbert Siegl spricht von „Graffiti“ als einem Oberbegriff für viele Erscheinungsformen von visuell wahrnehmbaren Elementen, welche ohne zu fragen und meist anonym von Einzelpersonen oder Gruppen auf fremden oder in öffentlicher Hand befindlichen Oberflächen angebracht werden. Siegl meint damit alle Werke, die durch Sprühen entstehen, aber auch Sprüche, die mit anderen Schreibutensilien in öffentlichen Toiletten angebracht wurden. Bei dieser Definition wird davon ausgegangen, dass Graffiti niemals auf Flächen, die sich beispielsweise im Eigentum der Sprayenden befinden, entstehen können. Dies ist umstritten, denn umgangssprachlich werden mittlerweile auch legale Formen, wie etwa Auftragsarbeiten oder käufliche künstlerische Produktionen, als Graffiti bezeichnet, obwohl dies der zuvor dargelegten klassischen Definition nicht entspricht.15

In Wien kann erstmals ab 1984 – wenn sie auch nur aus 20-30 Personen bestand – von einer Graffiti-Szene gesprochen werden. Nachdem die erste Szene von der Polizei zerschlagen worden war,16 fand sich erst 1992 eine zweite Generation. Als Grund für die späte Manifestation der Graffiti-Kultur in Österreich wird die geografische Lage im Osten, weit weg von New York, genannt. Nach wie vor finden sich in Wien im Vergleich zu anderen Großstädten relativ wenig Graffiti. Hierfür wird das des Weiteren oft genannte Motiv der Sprayenden, die Stadt verschönern zu wollen, herangezogen. Für Gabriele Matzinger setzt dieses Argument der Verschönerung bei ohnehin gut restaurierten, alten Fassaden aus. Sie erklärt:

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