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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

Leseprobe: PERRY RHODAN NEO 75

Vorwort

1.

2.

Leserkontaktseite

Kommentar

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2762

 

Die Meister-Statue

 

Akonen im Untergrund – der Maghan enträtselt ein uraltes Geheimnis

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde.

Natürlich stößt ihr Herrschaftsanspruch nicht überall auf vorbehaltlose Zustimmung, aber dank ihrer technologischen Übermacht auf der einen und ihrer verlockenden Belohnung für Alliierte – die Unsterblichkeit – auf der anderen Seite ist ihre Position sehr gut.

Einer der bekanntesten Unterstützer des Tribunals ist Vetris-Molaud, der Herrscher über das tefrodische Imperium. Sein Ziel scheint zu sein, auf den Spuren Perry Rhodans zum Machtfaktor Nummer eins in der Galaxis aufzusteigen.

Dazu hat er unlängst einen Sonnentransmitter erobern lassen. Dort befindet sich auch DIE MEISTER-STATUE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Kajane Paxo – Die tefrodische Kommandantin steht unter großem Druck.

Lan Meota – Der Schmerzensteleporter gilt als Letzter der vier Eroberer.

Vertron Es-Solmaan – Der akonische Wissenschaftler stellt scheinbar seinen Forschungsdrang über seine Loyalität.

Vetris-Molaud – Der Tamaron der Tefroder verschafft sich sein eigenes Bild.

1.

Kajane Paxo

 

Der Austausch mit den Kommandanten der anderen gelandeten Raumer verlief wie immer über Funk: professionell, aber einsilbig. Man verständigte sich alle paar Stunden und unterhielt sich über die Fortschritte bei der Eroberung des Vengil-Trios. Darüber hinaus wäre es Kajane Paxo nicht eingefallen, ihre Kolleginnen und Kollegen zu einem Avastro-Kartendeck einzuladen. Auch wenn es ihr durchaus Spaß gemacht hätte, ihre Fingerfertigkeit im Spiel wieder mal unter Beweis zu stellen.

Spiel? Unterhaltung? Freizeitgestaltung? – Du solltest dich auf deine Aufgaben konzentrieren, Kajane! Die Lage auf Suaraan ist längst nicht stabil. Die Akonen begegnen uns mit Angst und mit Misstrauen. Sie verstehen nicht. Noch nicht. Und dann wäre da dieser Anruf, auf den ich schon so lange warte ...

Sie drehte ihren Kommandantenstuhl hin und her und behielt dabei stets den riesigen Panoramaschirm der Zentrale im Auge. Immer wieder wurden tefrodische Raumlandesoldaten gezeigt, die auf Suaraan ausschwärmten, auf dieser feuchten und waldreichen Welt, die hauptsächlich von Gliederfüßern besiedelt wurde.

Da waren Roboteinheiten zu sehen. Gleiter. Bodengebundene Fahrzeuge. Schweres Maschinenwerk, von zusätzlichen Truppen geschützt, das ihnen auf dieser Welt gute Dienste leisten sollte. Gruppen von Experten, die sich insbesondere mit altlemurischer Technik beschäftigten, mit Sonnentransmittern, mit Hypertechnologie. Diese Teams wurden von Angehörigen der Spezialeinheiten bewacht und sicher an ihre Ziele gebracht.

Das Pyramidendreieck und die Antennenturmringe, allesamt auf Äquatorhöhe und um jeweils 120 Grad zueinander versetzt, gehörten zu den primären Aufgabengebieten der tefrodischen Wissenschaftler.

Paxo empfand Stolz. Dieses Kommandounternehmen, die Eroberung des Vengil-Trios, hatte eine ganz besonders aufwendige Logistik erfordert. Sie und andere Mitglieder des Generalstabs an Bord hatten eine sensible Balance zwischen wissenschaftlichem, schiffssystemerhaltendem und militärischem Personal gefunden. Und sie hatten eine weitgehend friedliche Eroberung der wichtigsten Stellungen der Akonen geschafft ...

»Kontakt!«, unterbrach Arma Tessok ihre Gedanken. Die Frau, eine der diensthabenden Funk- und Ortungsspezialistinnen in der Zentrale, wandte sich ihr zu. »Eine Nachricht des Maghan«, sagte sie lächelnd und zeigte dabei ein Gebiss, das ohne Weiteres in einer Trivid-Werbung für hochqualitative Zahnblend-Restrukturate hätte eingesetzt werden können.

»Einen Augenblick.« Paxo schottete sich vom Rest der Zentralebesatzung ab und gab erst dann der Funkerin Zeichen, die Botschaft auf den kleinen Schirm vor ihren Augen zu schalten. Sie saß in einer Intim-Sphäre, die niemandem sonst zugänglich war.

Das Bild flackerte. Der Bordrechner hatte Anlaufschwierigkeiten, die Nachricht des Maghan in Text und Bilder umzuarbeiten. Kein Wunder; schließlich lag das Vengil-Trio in einem Gebiet, das inselgleich im Epizentrum seit langer Zeit tobender Hyperstürme lag. Die Jülziish hatten eine Umschreibung für diese Spielwiese höherdimensionaler Effekte gefunden, die Paxo trotz ihrer Ressentiments gegenüber den Tellerköpfen gefiel. Sie nannten sie die rote Kreatur der Todesschlünde.

Endlich fielen Bild- und Tonelemente passend zusammen, das Bild Vetris-Molauds erschien. Er zeigte sich im Profil, von seiner besten – und beeindruckendsten – Seite.

»Du hast ausgezeichnete Arbeit geleistet«, sagte der Maghan grußlos und deutete ein Nicken an. »Ich danke dir und deinen Leuten für Einsatz und Willen. Aber lass uns niemals vergessen, dass bloß ein erster, kleiner Etappensieg erreicht ist.«

Vetris-Molaud holte Luft und machte eine längere Pause, als Paxo es von ihm gewohnt war. Sein Verhalten hatte sich in letzter Zeit geändert. Womöglich übte der Zellaktivator, den der Maghan seit Kurzem trug, einen Einfluss auf Verhalten und Gehabe aus.

»Man sagte mir«, fuhr Vetris-Molaud fort, »dass die Rückeroberung dieses Stücks lemurischen Besitzes elegant und ohne Blutvergießen vor sich gegangen sei. Ich begrüße das.« Er verschränkte die Arme ineinander. »Das war eine militärische Operation wie aus dem Lehrbuch. Sehr gut, Kajane! Du hast in der Tat ein Kunstwerk der Strategie geschaffen und den anderen Mächten in Apsuhol bewiesen, wozu das Volk der Tefroder imstande ist.«

»Noch ist die Lage auf Suaraan nicht sicher«, schränkte Paxo ein. »Es gibt viele Unwägbarkeiten, die vor allem die Steueranlagen des Sonnentransmitters betreffen. Und auch die Akonen ...«

»Ich weiß, ich weiß.« Vetris-Molaud machte eine wegwerfende Handbewegung. »Darum kümmere ich mich höchstpersönlich.«

»Du wirst uns tatsächlich besuchen, Maghan?« Paxo wollte es noch immer nicht so recht glauben. »Was ist mit der Konferenz in Apsuma? Die Neuordnung Apsuhols, die Aufteilung der Machtbereiche in Domänen ...«

»Zerbrich dir nicht meinen Kopf, Kommandantin! Ich werde via Hochleistungstransmitter von meinem Schiff zur LAHMU überwechseln. So rasch wie möglich.«

Er erhob sich, die Kamerasonde folgte seinen Bewegungen. Für Sekunden ging die Verbindung verloren. Als der Maghan wieder zu sehen war, stand er über einen Kartentank gelehnt. »Mein technischer Berater an Bord hat die Transmittersendestation bereits optimiert. Wie sieht es auf der LAHMU aus? Ist Auf der Zeitwaage an der Arbeit?«

Kajane Paxo zögerte. »Der Toloceste tut sein Möglichstes. Aber die Justierungsarbeiten sind sehr umfangreich, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Er hat bisher keinen endgültigen Vollzug gemeldet.«

Vetris-Molaud hob beruhigend die Arme. »Das ist kein Problem. Ich bin geduldig, ich warte.«

Oh ja. Geduld hatte der Maghan immer schon bewiesen. Er wartete manchmal über Schmerzgrenzen hinaus auf seine Chance – und nutzte sie dann erbarmungslos. »Darf ich dir eine Frage stellen, Maghan?«

»Warum sollte ich meiner erfolg- und ruhmreichen Schiffsführerin einen Wunsch abschlagen?« Der Mann lächelte.

»Warum kommst du nicht mit deinem Flaggschiff, der VOHRATA? Warum nimmst du das Risiko einer Transmitterverbindung in Kauf?«

»Ich glaube nicht, dass das Risiko an Bord eines Raumers wesentlich geringer wäre.« Vetris-Molaud lachte kurz, wurde aber gleich wieder ernst. »Aber um deine Frage zu beantworten: Die VOHRATA ist unterwegs. Sie befindet sich auf einer Mission, die die Posbis betrifft. Die Anwesenheit meines Schiffs andernorts soll den Eindruck erwecken, als wäre ich mit diesem Thema beschäftigt.«

»Ich verstehe.« Nun, sie begriff bloß in Grundzügen. Vetris-Molaud gab sich gern als omnipräsent. Er spielte mit dem Ruf, den er sich während der letzten Jahrzehnte erarbeitet hatte, und präsentierte sich als Stratege, der stets alle Eventualitäten im Blickfeld behielt. Um einer einzigen Sache zu dienen, die er im Kopf zu haben schien: die Besserstellung der Tefroder.

Die Besserstellung ihres Volkes. Ruhmreiche Vergangenheit und eine glorreiche Zukunft sind die Teile jener Spange, deren Enden Vetris-Molaud miteinander verbinden möchte. Diese Aufgabe fällt uns zu, den Tefrodern der Gegenwart.

»Wie lange, glaubst du, muss ich noch auf die Verbindung warten?«

Kajane Paxo zuckte zusammen. Vetris-Molaud ließ sie wissen, dass er Resultate sehen wollte. Ihr gegenüber gab er sich verbindlich und freundlich. Doch es war nicht gut, als allzu zögerlich zu erscheinen.

Sie kreiste in einem recht engen Orbit um diese Lichtgestalt der tefrodischen Geschichte, und sie hatte nicht vor, ihren Platz so rasch wieder aufzugeben. Der Maghan war ein ... Werkzeug der Geschichte. Das wichtigste Werkzeug tefrodischer Kultur der Neuzeit.

»Ich kümmere mich persönlich darum«, sagte sie und erhob sich.

»Ich danke dir. Ich würde gerne heute noch Suaraan erreichen.«

»Selbstverständlich.« Paxo murmelte eine Grußformel und wartete, bis das Holo vollständig erloschen war. Dann erst schaltete sie die Intim-Sphäre weg.

Das übliche Gemurmel umfing sie, das leise Surren und Klicken, das aus keinem tefrodischen Raumschiff wegzudenken war. Die Aggregate und Geräte der LAHMU hätten auch geräuschlos arbeiten können. Doch völlige Stille irritierte Raumfahrer und sorgte für ein höheres Maß an Fehlleistungen, wie Verhaltensforscher festgestellt hatten.

»Sieh zu, dass die Leitung stabil bleibt«, wies sie Arma Tessok an und machte sich auf den Weg, hinab in den zentralen Transmitterraum der LAHMU. Sie würde sich höchstpersönlich mit Auf der Zeitwaage unterhalten und dafür sorgen, dass er die Verbindung zu Vetris-Molaud herstellte.

 

*

 

Der Toloceste rollte in seinem Inklusorium gemächlich dahin. Ein ums andere Mal umrundete er die Transmitterstation und gab dabei Laute von sich, die unübersetzt blieben.

Sprache und Ausdruck dieses seltsamen Volks blieben rätselhaft. Es bedurfte besonderer Wesen und besonderer Einfühlungskraft, um die Worte, die Auf der Zeitwaage von sich gab, zu interpretieren und ihnen einen erkennbaren Sinn zu geben.

»Sprachstabiles Phobienpotenzial reglementiert«, sagte der Toloceste. Und: »Maximallaterale Verbindungsunruhe in zerebraler Genugtuungsstringenz.«

Sinnentleerte Worte und Zusammenfügungen. Kajane Paxo verstand nicht einmal andeutungsweise, was Auf der Zeitwaage sagen wollte. Oder doch?

»Das macht er nun bereits seit mehreren Minuten«, sagte Ianz-Ampare, einer der diensttuenden Transmittertechniker.

»Und warum, bitte schön, wurde ich nicht schon früher darüber informiert?«

»Weil er mehrmals am Tag in einen derartigen Zustand verfällt.« Der Tefroder, sechzig Jahre oder älter, kratzte fahrig über seinen licht werdenden Haarschopf. »Er bewegt sich dann eine Weile im Kreis, um irgendwann anzuhalten und etwas zu tun, wovon ich, ehrlich gesagt, nicht das Geringste verstehe. Dann nehme ich die Messgeräte zur Hand und stelle fest, dass er die Verbindungen weiter stabilisiert und die Empfangs- sowie Sendesignale verstärkt hat. Ich würde ihn am liebsten in den Leerraum schießen, wenn er wieder mal sinnlose Erklärungen abgibt – und gleichzeitig vor ihm auf die Knie fallen, um ihn anzubeten ... Wenn jemals der Begriff wahnsinniges Genie angebracht war, dann bei diesem Tolocesten.«

»Sie sind allesamt so«, mischte sich ein Neuankömmling ein, ein klein gewachsener Mann von dunkler Hautfarbe. »Es braucht viel Zeit und noch mehr Geduld, um eine Verbindung zu ihnen herzustellen.«

Guldhyn Yoccorod. Der Onryone. Ein notwendiges Übel an Bord der LAHMU, das stets von Ce-Qesh begleitet wurde, dem tefrodischen Ethnolinguisten.

Und da war Ce-Qesh auch schon. Einem großen Schatten gleich, kam er hinter dem Onryonen her in den Transmitterraum geschlichen.

»Würdest du uns bitte schön übersetzen, was Auf der Zeitwaage uns sagen möchte?«, richtete Paxo ihre Frage an Guldhyn Yoccorod.

Der Onryone verbeugte sich. Er trug Sonnenbrillen, die ihn vor dem für seine empfindlichen Augen zu starken Licht schützten. Das Emot hingegen blieb unbedeckt. Es leuchtete matt. Gelbgolden.

Yoccorod hörte dem Tolocesten eine Weile zu und stellte dann eine ebenso unverständliche Frage, die eigentlich wie ein Befehl klang: »Das Wesen ist ergründbar, wenn es Hufe hat?«

Auf der Zeitwaage rollte nun langsamer in seiner Technikklause und bremste schließlich zur Gänze ab. Die »Rhönräder« leuchteten ein wenig nach, dann endete das nervtötende Blinken, das von ihnen ausging.

»Multistrukturelle Bedrängnis im Regelkreismodell des tripolaren Hyperhorizonts«, sagte der Toloceste prononciert.

»Eine Bedrängnis?«, wiederholte Paxo das einzige Wort, dem sie Bedeutung zumaß. »Was hat das zu bedeuten?«

»Eine Bedrängnis ist in diesem Zusammenhang als ein Problem zu verstehen«, sagte Guldhyn Yoccorod. »Offenbar stört etwas oder jemand die Steuerprozesse des Vengil-Trios.« Bedächtig fügte er hinzu: »Meiner Meinung nach handelt es sich um eine sanfte und nur wenig spürbare Irritation. Einen Anflug von etwas. Andernfalls hätte Auf der Zeitwaage wesentlich heftiger reagiert. Ich vermute, dass er ... hm ... freudig erregt ist. Er fühlt eine Herausforderung, der er unbedingt begegnen möchte.«

»Soll das heißen, dass die Transmitterverbindung zwischen dem Schiff des Maghan und der LAHMU derzeit nicht geschaltet werden kann?«, hakte Paxo nach. »Weil sich Auf der Zeitwaage bemüßigt fühlt, einem geringfügigen Problem nachzuforschen?«

Wiederum unterhielten sich Onryone und Toloceste, wiederum verstand Paxo kein Wort. Ungeduldig wartete sie, bis sich ihr Guldhyn Yoccorod endlich wieder zuwandte und sagte: »Die Transmitterverbindung zwischen der LAHMU und dem Schiff des Tamarons kann bald aufgenommen werden, voraussichtlich innerhalb der nächsten beiden Stunden. Die Irritation, von der Auf der Zeitwaage redet, betrifft ausschließlich die Steuerprozesse des Vengil-Trios.«

»Dennoch werde ich mit dem Tamaron über diese Probleme sprechen.«

»Tu das. Auf der Zeitwaage legt übrigens Wert darauf, von Vetris-Molaud die Erlaubnis zu bekommen, den Primären Steuerraum aufzusuchen. Er ist in seiner ... hm ... Begeisterung kaum zu bremsen.«

Dem Wesen, das gekrümmt in seiner fahrbaren Technikklause, in seinem Inklusorium, saß, bewegte mehrmals ruckartig seinen Unterkörper, die bis fast zu den Knien hinab zusammengewachsenen Beine, die seine Fremdartigkeit betonten.

Soll das etwa der Ausdruck seiner Freude sein?

Als hätte Guldhyn Yoccorod ihre Gedanken erraten, erklärte er: »Wenn die Tolocesten mental in ihren Aufgaben aufgehen, wenn sie von ihren Konstruktionen und Tätigkeiten eingenommen werden, verweht ihr Ich-Bewusstsein. Sie sind dann ganz bei der Sache. Sie suchen nicht nur Lösungen, sondern sie sind Frage und Lösung gleichermaßen. So lange, bis sie diese beiden Faktoren einer Gleichung in Gleichklang gebracht haben.« Yoccorod fuhr sich sachte über das Emot auf seiner Stirn. »Bis dahin gilt ihnen das Ich-Bewusstsein als minderwertig. Als moralisch anstößig und als verabscheuungswürdig. Wesen wie wir stören und behindern die Tolocesten in diesem mentalen Zustand. Sie ziehen sich äußerlich wie innerlich zurück und bergen sich in den Klausen.«

Paxo nickte. Diese Erklärung war neu, und sie verstand sie bloß in Ansätzen. Sie konnte die Worte des Onryonen nicht nachvollziehen. Wie kann jemand sein Ich verleugnen und stattdessen den Geist mit selbst gestellten Aufgaben verschmelzen?

»Ich werde mit dem Maghan über die Bitte von Auf der Zeitwaage reden. Aber ich bin zuversichtlich, dass er ihm Zutritt zum Primären Schaltraum erteilt.«

Yoccorod sagte einige wenige Worte, an den Tolocesten gewandt. Das Inklusorium setzte sich erneut in Bewegung, die Räder leuchteten. Wieder fuhr es im Kreis. Eine weitere Reaktion erfolgte nicht.

Es war frustrierend. Sie war befehlsgebende Kommandantin über die LAHMU, eines der mächtigsten Kampfschiffe der tefrodischen Flotte. Und dennoch war sie in gewisser Weise abhängig von den Befindlichkeiten eines Tolocesten. Eines Geschöpfs, das sein Ego in manchen Lebenslagen zutiefst verachtete.

Sie nickte dem Onryonen zu und kehrte in die Zentrale zurück.

2.

Zwischenspiel: Eine bunte Angelegenheit

 

Die Gänge waren öde und leer. Sie vermittelten das Gefühl von Unendlichkeit. Womöglich war seit Tausenden von Jahren niemand mehr an diesem Ort gewesen, hatte niemand diese allmählich verblassenden Schriftbilder gesehen, die ihn links und rechts entlang ihres Weges begleiteten.

Koke-Manade wandte sich den anderen Mitgliedern des kleinen Erkundungstrupps zu. »Was sagen die Spionsonden?«, fragte er.

»Sie zeigen, dass der Weg etwa zweihundert Meter voraus endet«, antwortete Lippa Dornguc. »Uns erwarten bloß weitere Räume voll Gerümpel und Technikschrott.«

Koke-Manade nickte schicksalsergeben. Patrouillengänge wie diese brachten nur selten etwas Aufregung mit sich. Im Laufe ihrer Schicht, die sie bis in die 430. Etage unter den Pyramiden geführt hatte, waren sie bloß jahrzehntausendealten Abfällen begegnet.

Rekonstrukteure, die in den tefrodischen Schiffen auf ihren Einsatz warteten, erhielten das Bild- und Tonmaterial des kleinen Trupps zugestellt. Sie würden darüber entscheiden, ob es Sinn hatte, die zerfallenden Reste einer uralten Zivilisation persönlich zu sichten. Bislang hatten Koke-Manade und seine Leute nichts entdeckt, das die Rekonstrukteure zu einem Verlassen ihrer gemütlichen Kabinen bewegt hatte.

Links. Rechts. Über einen Müllhaufen hinweg. Zwei kleine Räume sichern und markieren.

Die Spionsonden kehrten zu ihnen zurück. Ihre Arbeit war getan. Sie schlüpften in den Blecheimer, den Lippa Dornguc auf dem Rücken trug. In dieser mikrominiaturisierten Umwelt würden sie sich an winzigen Anschlüssen mit neuer Energie aufladen, die erbeuteten Daten ablagern und untereinander abgleichen, um dann bald wieder auszuschwärmen.

Zwei Stunden noch. Dann war ihre Schicht zu Ende.

Koke-Manade drückte die Schiebetür zum letzten Raum beiseite. Wie von den Sonden angekündigt, enthielt er bloß Schrott und Müll. Einige Leuchtroboter schwebten voraus. Sie ließen ihr Licht selbst die verborgensten Winkel des Zimmers erhellen.

»Wieder mal nichts«, brummte Zec-Diffulid, der Analytiker ihres Trupps. »Lass uns umkehren.«

»Du kennst unsere Befehle.« Er achtete nicht weiter auf seinen Stellvertreter. Vorsichtig betrat er den Raum. Sah sich um. Suchte nach Gefahrenpunkten. Nichts erschien außergewöhnlich.

Halt! Da und dort waren Fußspuren in der dünnen Staubschicht zu erkennen. Die Akonen waren also doch vor ihnen hier gewesen.

»Seht euch um!«, wies Koke-Manade seine Leute an. Er behielt die Rechte am Griff seiner Waffe. Die Anspannung ließ nur selten nach. Dies war fremdes, gefährliches Gelände; auch wenn die oberen Chargen davon überzeugt waren, dass von den Akonen keinerlei Gefahr mehr ausging. Doch wer wusste schon, welche Fallen die Lemurer angelegt hatten? Schließlich hatten die Justierungsstationen zu den sensibelsten Orten ihres gewaltigen, zwei Galaxien umspannenden Reiches gehört.

»Da oben!«, rief Lippa Dornguc. Sie deutete auf die Spitze eines meterhohen Müllhaufens »Etwas bewegt sich!«

Koke-Manade zog den Strahler und richtete ihn auf das Ziel aus. Die Visierfunktion klappte aus, der Stabilisator sprang an. Er neutralisierte das geringfügige Zittern seiner Hand.

Da war ... eine Kugel. Eine Art Luftballon, faustgroß, der herabgerollt kam, da und dort mit dem Schrott in Berührung kam, aber nicht platzte. Dahinter ein weiterer. Noch einer und noch einer. Sie leuchteten in den unterschiedlichsten Farben.

»Was soll das?«, fragte Zec-Diffulid, der sich zur einzigen Tür zurückgezogen hatte.

»Keine Gefahr«, meldete Lippa Dornguc kurz angebunden. »Das sind bloß ... bloß ...«

Ein Knall. Eine Explosion. Etwas traf Koke-Manade. Flüssigkeit, sämig und patzig. Sie benetzte sein bloßes Gesicht, quoll über seinen Anzug. Er schloss die Augen. Eine Säure?!

Entsetzte Aufschreie. Das Knallen eines Schusses. Aufregung. Seine Leute schrien durcheinander, suchten nach dem Gegner, warfen sich in Deckung, aktivierten die Energieschirme, zu spät, viel zu spät ... Warum hatten die Positroniken nicht reagiert, warum hatten sie die Gefahr nicht erkannt?

Wo blieb der Schmerz? Handelte es sich doch nicht um Säure, die sein Gesicht zerfraß?

Koke-Manade öffnete ein Auge, dann das zweite und wischte sich das Zeug aus dem Gesicht. Sachte, auf die Erstanalyse der Medoabteilung seines Anzugs wartend. Doch die Positronik schwieg, offenbar überfordert.

Ein weiterer Schuss löste sich aus einer Waffe. Er fuhr gegen die Wand, die Raumtemperatur erhöhte sich spürbar.

»Aus!«, schrie Koke-Manade, so laut er konnte. Er betrachtete seine Hände. »Seid ruhig, weg mit den Waffen!«

Seine Leute reagierten rasch. Das monatelange Einsatztraining machte sich bezahlt. Binnen weniger Sekunden herrschte Stille.

Sie standen auf, blickten sich an, sahen an sich hinab. Und wandten sich dann ihm zu, dem Anführer des kleinen Trupps, als könnte er ihnen erklären, was gerade eben geschehen war.

»Farbe«, sagte Koke-Manade. »Man hat uns Farbbomben hinterlassen. Grüne, rote, blaue und gelbe.«

»Und pinkfarbene.« Lippa Dornguc kroch unter einem Abfallhaufen hervor, ein Leuchtpunkt inmitten eines vielfarbigen Haufens an tefrodischen Elitesoldaten.

»Und die wirklich schlechte Nachricht ist: Die Farben werden so rasch nicht abgehen«, sagte Lippa Dornguc, die verzweifelt versuchte, gelbgrüne Flecken von ihren Unterarmen zu wischen und sie dabei noch tiefer in die Haut einmassierte.

So wie es aussah, leisteten die Akonen also doch noch Widerstand.

3.

Vertron Es-Solmaan

 

Ein Kekkouride. Eines dieser hässlichen, aggressiven Viecher, die in immer größeren Mengen unter den Pyramiden ihr Unwesen trieben. Angewidert schnappte er nach dem fast handflächengroßen Käfer-Dings und zerquetschte es. Grüngelber Schleim tropfte von der Handschuhfläche ab. Dessen Oberflächenbeschaffenheit sorgte dafür, dass nichts haften blieb. Nur der übelerregende Geruch nach Kot würde Es-Solmaan noch eine Weile begleiten.

Er zertrampelte einen weiteren Kekkouriden und vertrieb durch festes Aufstampfen drei oder vier von ihnen. Die Insekten kamen ihm gerade recht. Sie gaben ihm Gelegenheit, sich abzureagieren.