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Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

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Kommentar

Glossar

Risszeichnung MVH-Sublicht-Geschütz

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2755

 

Der Schuldmeister

 

Perry Rhodan soll zum Verräter werden – es kommt zu einer unverhofften Begegnung

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Seit 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – bereits über zwei Jahre lang – steht die Milchstraße unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dies behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen und den Weltenbrand aufzuhalten, der anderenfalls der Galaxis drohe.

Wie sich herausstellt, beherrscht das Tribunal schon seit Jahrhunderten die Galaxis Larhatoon, die Heimat der Laren – dorthin hat es auch Perry Rhodan verschlagen. Während Reginald Bull der Fährte seines Freundes mit dem neuesten Raumschiff der Menschheit – der RAS TSCHUBAI – folgt, befindet sich Perry Rhodan in einer prekären Situation:

Er ist erneut in die Gewalt des Atopischen Tribunals geraten. Dessen Exekutivorgane, die Onryonen, fordern von ihm Informationen über den Verbleib des obersten larischen Rebellen und Gaumarol da Bostichs. Als Rhodan die Zusammenarbeit verweigert, erscheint eine neue Figur auf der Bühne: DER SCHULDMEISTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner wird an einen Experten überstellt.

Guol Chennyr – Der Onryone kontaktiert den Schuldmeister.

Tontosd – Der Schuldmeister empfängt einen neuen Gast.

Scoltermon – Ein weiterer Gast des Schuldmeisters erweist sich als widerspenstig.

1.

 

»Der Hetork Tesser beehrt uns also an Bord eines Schiffs der Atopischen Ordo. Gut, gut ...«

Guol Chennyr drehte sich nicht um, als Perry Rhodan in seinen Privatraum geführt wurde. Er starrte gegen die Wand, als gäbe es dort etwas besonders Interessantes zu sehen, und vielleicht war es auch so: Biolumineszierende Wurmtierchen bewegten sich zögernd durch ein Labyrinth, das in dunkel lasierte Holztäfelungen geätzt worden war. Dünnes, kaum reflektierendes Glas hinderte die Tiere daran, aus der Wand zu kippen.

Die gesamte Wand war ein Wirrwarr an Wegen, die die Tiere nehmen konnten. Ihr Ziel blieb rätselhaft. Vielleicht war es das abgedunkelte Kreiselement im Zentrum der Wand, das sie suchten. Vielleicht ein Bereich in der linken oberen Ecke, wo sich ein etwa doppelt so langes Wurmgeschöpf unruhig bewegte. War dies das Muttertier – oder ein Fressfeind?

Guol Chennyr trat einen Schritt beiseite, sodass Rhodan sein Profil gegen das karge Licht ausmachen konnte, das die Menge der Wesen warf.

»Diese Menwogues stehen sinnbildlich für viele Völker«, sagte der Onryone mit nachdenklich klingender Stimme und winkte vage in Richtung der Wurmwand. »Sie irren durch ihr eng begrenztes Reich, ohne Weg und Ziel zu kennen. Sie wissen nicht, wo Freund und Feind auf sie warten oder lauern. Sie sind sich stets nur eines kleinen Ausschnitts ihres Lebensbereiches bewusst. Und sie haben keine Ahnung davon, dass sie gelenkt werden.« Guol Chennyr klopfte gegen einen der Rahmen, Unruhe kam über die Tiere, und das Leuchten ihrer Körper nahm geringfügig zu.

»Was willst du mir damit sagen, Kommandant?«

»Ich betreibe lediglich Konversation, Hetork Tesser.«

»Warum gibst du mir dann diesen Hassnamen der Laren? Für eine einfache Konversation ist das psychologisch sehr ungeschickt.« Rhodan lächelte. Sein Gegenüber wusste bestimmt genug über die Möglichkeiten der menschlichen Physiognomie und würde sein Verhalten richtig einschätzen.

Guol Chennyr drehte sich weg, wurde zur dunklen Silhouette vor diesem seltsam anmutenden Hintergrund eines leuchtenden, unruhigen Gebrodels. »Du hast schon viele Dinge gesehen, nicht wahr, Perry Rhodan? Und deshalb meinst du, etwas Besseres als ich zu sein, dank deiner Erfahrungen, deiner Einsätze, deiner ... Unterhaltungen mit kosmischen Entitäten und der Sonderstellung, die du in mehreren Fällen innehattest. Du hast mehr erlebt und getan als jedes andere Mitglied deines Volkes, warst in vergangenen und potenziell zukünftigen Zeiten ... «

»Es hört sich so an, als wolltest du mir das zum Vorwurf machen.«

Der Onryone drehte sich abrupt um. Seine Augen leuchteten golden, das Emot auf seiner Stirn zeigte einen seltsam schimmernden Silberglanz. »Ja, das tue ich!«, sagte er laut. »Du hast auf all deinen sorglosen Reisen nichts begriffen, und schlimmer noch: Durch deinen unruhigen Lebenslauf bist du zu einem Fraktor in der Geschichte geworden. Du hast viel zu oft in Geschehnisse eingegriffen, die weit über deine Bedeutung als Anführer eines ansonsten unwichtigen Volkes hinausgingen.«

»Sind das deine Worte oder die des Atopischen Tribunals? Erhebst du eine eigene Stimme oder plapperst du bloß nach, was dir deine Herren eingegeben haben?«

Guol Chennyrs Emot veränderte rasch seine Farbe. Es entstand eine Melange aus Rot und Orange, die langsam aufhellte und zu einem strahlenden Gelb wurde. »Suchst du den Tod? Bist du deshalb daran interessiert, mich mehr und mehr zu reizen?«

»Du wirst mir nichts tun, weil du jenes Wissen benötigst, von dem du glaubst, es sei in meinem Kopf verborgen.«

»Du nimmst dich viel zu wichtig.« Der Onryone verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber es stimmt: Ich möchte, dass du mir einige Informationen gibst.«

Rhodan sah sich nach einer Sitzgelegenheit im Raum um, und als ihn die beiden Wächter, die ihn in diesen Raum geführt hatten, nicht daran hinderten, ließ er sich auf einem Ledersessel nieder. Er machte es sich bequem.

»Ich helfe gern, wenn ich kann.«

Ich muss Stärke zeigen, dachte er. Es schadet nichts, den Onryonen mal zu beweisen, dass ich mich keinesfalls vor der Atopischen Ordo fürchte.

Der Kommandant der SPINYNCA nahm diese weitere Provokation ungerührt hin. »Du bist ein Kardinal-Fraktor der Galaxis GA-yomaad, die du Milchstraße nennst. Gaumarol da Bostich ist ein weiterer ...«

»Es gibt also weitere?«, unterbrach Rhodan neugierig.

»... dein Fluchtgefährte ist also ein zweiter, und wir legen sehr viel Wert darauf, ihn wieder in unsere Hände zu bekommen. Genauso wie Avestry-Pasik.« Der Onryone nahm ihm gegenüber Platz. Er saß nun steif da, die Beine parallel zueinander gestellt, die Hände ruhten auf den Oberschenkeln. »Ich stelle dir dieselbe Frage wie bereits vor einigen Stunden, wie gestern und wie vorgestern. Ich möchte wissen, wo sich diese beiden Flüchtigen aufhalten. Wohin sie entkommen sind.«

»Vorgestern haben mir zwei deiner Wächter einige Ohrfeigen verpasst. Zur Aufmunterung, meinten sie. Gestern hatte ich in meiner Zelle Besuch von einem Onryonen, der mir von einigen seiner widerlichen Phantasien erzählte. Und vor einigen Stunden wurde ich von Taccea Sperafeco bedrängt, nun endlich das Maul aufzumachen und die Wahrheit zu sagen.«

Rhodan hob die Schultern. »Ich kann mich nur wiederholen: Ich weiß nicht, wo sich Avestry-Pasik und Bostich aufhalten.«

Nun, das war nur die halbe Wahrheit. Er ahnte, wo sich der Arkonide herumtrieb. Avestry-Pasik hingegen hatte Rhodan zur Flucht durch einen Transmitter verholfen, ohne zu wissen, wohin den Laren die Reise führen würde.

Guol Chennyr starrte ihn regungslos an. Lange. Das Emot nahm einen sanften Braunton an, der womöglich Gleichmut vermitteln sollte. »Du weißt, dass ich diese Antwort nicht hinnehmen kann.«

»Aber das ist die Wahrheit!«

»Das Wort Wahrheit aus deinem Mund ist für sich genommen bereits ein Frevel.« Guol Chennyr blieb gelassen. »Ich habe mich eingehend mit dir und deinem Lebenslauf beschäftigt. In all den Jahren deiner Existenz gab es kaum eine Phase, da du nicht von Lüge und Betrug lebtest. Von dem Tag an, da du das auf dem Mond gestrandete Arkonidenschiff entdecktest, hast du ein falsches Spiel gespielt. Mit Arkoniden, mit Springern, mit Aras ...« Er gab ein schnalzendes Geräusch von sich. »Du lebst mit und von der Lüge. Aber nicht hier. Nicht im Einflussbereich der Atopischen Ordo. Und das wirst du begreifen müssen. Bald.«

»Das heißt?«

»Begreifst du es nicht, wird dir rasch deine kühle und überhebliche Art vergehen. Es gibt Spezialisten, die sich deiner annehmen werden und die wissen, wie sie dir jedes kleine bisschen Wissen entlocken können.« Guol Chennyr gab ein seufzendes Geräusch von sich. »Warum bist du bloß so dumm?«

Rhodan richtete sich auf und deutete mit einem Zeigefinger in Richtung seines Gegenübers. »Wenn du meinst, dass mein Vertrauen in Moral und Ethos Dummheit genannt werden sollte, gebe ich dir recht. – Ich kann nicht oft genug wiederholen, dass ich wirklich nicht weiß, wo sich Bostich und Avestry-Pasik aufhalten.« Er zögerte, legte sich seine weiteren Worte sorgfältig zurecht. »Ich habe gelernt, eine Despotie wie die der Atopischen Ordo daran zu erkennen, dass sich Worte und Taten gehörig voneinander unterscheiden. Du redest von Rechtschaffenheit, von einem funktionierenden, glückselig und zufrieden machenden System. Und ich sehe, dass ich als Andersdenkender gejagt und eingesperrt werde. Und nun soll ich auch noch der Folter ausgesetzt werden!«

»Du bist ein Kardinal-Fraktor.«

»Nenn es, wie du willst – Kardinal-Fraktor, Verdächtiger, Hauptverantwortlicher –, es sind nur leere Worthülsen – und das ist auch schon alles, was ich seit Monaten zu hören bekomme!«, sagte Rhodan, lauter als beabsichtigt. »Ich weiß nicht einmal, was das eigentlich bedeuten soll! Ihr baut einen furchtbaren Popanz auf, der aber vollkommen substanzlos ist. Wäre es nicht besser, gemeinsam daran zu arbeiten, Schaden von allen Bewohnern aller Galaxien abzuwenden? Mit allen zusammen und nicht von oben herab?«

»Diese Entscheidung obliegt nicht dir. Du bist solange aus dem Lauf der Ereignisse zu entfernen, wie deine Taten gewaltigen Schaden anrichten werden. Die Ekpyrosis der Milchstraße wird Schreckliches bewirken ...«

»Du redest von einer möglichen Zukunft, für deren Eintreten es keinerlei Belege gibt. Die vielleicht auch nur deswegen eintritt, weil ihr euch einmischt.« Rhodan stand auf, seine beiden Wächter umklammerten ihre Waffen und richteten sie auf ihn. »Ich habe genug von dieser Farce, ich habe genug von dir. Lass mich in meine Zelle zurückbringen. Wenn du meinst, mich einer Folter unterziehen zu müssen, kann ich dich nicht davon abhalten.« Er lächelte. »Die Atopische Ordo, wie edel sie vom Konzept her auch sein mag, zeigt sich meiner Heimat und mir gegenüber als etwas Widerliches und Lebensverachtendes. Danke dafür, dass du mich in meiner Abscheu weiter bestärkst.«

»Führt ihn ab!«, befahl Guol Chennyr, dessen Emot nun rot glühte und dessen Hände sich schlossen und öffneten, schlossen und öffneten, immer wieder.

Perry Rhodan wurde aus dem Raum geführt, wurde vorwärtsgestoßen. Auf dem Gang warteten drei Roboter, überdimensionierten Kreiseln ähnlich, die ihn in die Mitte nahmen und ihn den Weg zu seiner Rechten entlangschubsten.

Das Sicherheitsschott zu den privaten Räumlichkeiten des Schiffskommandanten schloss sich leise, und noch bevor es sich endgültig zuschob, meinte Rhodan, einen Wutschrei zu vernehmen.

Er lachte auf. In seiner verzweifelten, ja, aussichtslosen Lage musste er sich selbst an den kleinsten Triumphen laben.

2.

 

Sein Aufenthaltsraum war karg und zweckmäßig eingerichtet. Das Bett hart, die beiden Stühle unbequem, die Temperatur zu kühl und das Wasser in den Nassräumen viel zu kalt. Das Essen war genießbar und meist in Breiform, von den Getränken gab es ausreichend. Man behandelte Perry Rhodan gut, aber nicht zu gut.

Er setzte sich an das Infoterminal und versuchte einmal mehr, Nachrichten auszufiltern, die ihm wichtig erschienen. Rhodan wusste mittlerweile genügend über die onryonische Schrift, um sich die meisten Dinge zusammenreimen zu können.

Doch die Schiffszensur war rigoros; er erhielt lediglich Auskünfte, die keinerlei Bedeutung für ihn besaßen. Über die ausgezeichnete Getreideernte auf der Welt Specas III konnte er sich ebenso informieren wie über eine soziologische Studie, die mehreren Ameisenvölkern auf demselben Planeten galt. Auch über das Sexualverhalten einer Laubfroschart, die sich epidemieartig über mehrere Welten ausgebreitet hatte, wurde eifrig berichtet. Doch sobald Rhodan mehr über das Atopische Tribunal, politische Strukturen in der Larengalaxis oder das Volk der Onryonen wissen wollte, erhielt er Fehlermeldungen.

Stundenlang suchte und forschte er. Er unternahm alles, um im vorhandenen Material Matrizen und Muster zu entdecken und so viele Informationen wie möglich zu gewinnen. Wissen, so hatte ihn langjährige Erfahrung gelehrt, konnte man nie genug besitzen.

Darüber hinaus hielt ihn die Beschäftigung am Terminal davon ab, Angst zu empfinden.

Rhodan hatte es darauf angelegt, Guol Chennyr zu reizen und ihn aus der Reserve zu locken. Um dessen Reaktionen zu testen und Charakterschwächen auszuloten, die ihm in weiteren Gesprächen vielleicht zugutekommen würden.

Du bist ein Idiot, dachte er und öffnete eine weitere Datenrubrik, die ihn über ein Luftvolk in den Zystolen von Larmakac informierte; über halbintelligente Geschöpfe, deren Gedanken- und Lebenswelten eins waren und die in einer fototropen, jupiterähnlichen Atmosphäre miteinander verwoben waren.

Du hast den Onryonen gereizt und verärgert. Wenn er bis jetzt noch keine Abneigung dir gegenüber empfunden hat, hast du's jetzt geschafft.

Rhodan suchte weiter, war jedoch mit seinen Gedanken kaum bei der Sache. Die erzwungene Untätigkeit steigerte seine Ungeduld. Rhodan war im Geiste längst alle Möglichkeiten zu einer Flucht durchgegangen. Umsonst.

Seit er an Bord der SPINYNCA gebracht worden war, erfolgte eine lückenlose Beobachtung und Überwachung. Nicht das kleinste Stück Privatsphäre wurde ihm gegönnt.

Selbst während seiner kurzen Schlafperioden hielten sich kegelförmige Roboter in seiner unmittelbaren Nähe auf. Einige von ihnen, winzig klein, hockten auf seiner Brust. Andere umringten das Bett und starrten ihn aus riesigen Linsenaugen an. Jeder Atemzug wurde angemessen, jede Bewegung registriert.

Rhodan stand auf, desaktivierte das Infoterminal und streckte seine steifen Glieder durch. Er ging auf und ab. Zehn Schritte vorwärts. Zehn Schritte zurück.

Einige Situps, einige Liegestütze, dann Kniebeugen. Dehnungsgymnastik. Auslockern, Sprünge aus dem Stand, dann Yoga-Übungen.

In Bewegung bleiben. Die körperliche Fitness und Beweglichkeit erhalten. Und dabei kühlen Kopf bewahren. Du wirst ihn brauchen.

Eine halbe Stunde verging, dann eine ganze. Rhodan schwitzte und atmete rascher, die Belastungen des Trainings machten sich allmählich bemerkbar. Er hielt inne und wartete, bis sich sein Puls wieder beruhigt hatte. Es dauerte nicht allzu lange. Einen Großteil dieser Übungen machte er seit, nun, seit mehreren Tausend Jahren, und dank der ihm eigenen Disziplin bewegte er sich auf einem sehr hohen körperlichen Level.

Er zog sich aus und begab sich unter die Dusche. Blicke aus künstlichen Augen verfolgten ihn, und selbst unter dem spärlich plätschernden Wasser hatte er keine Ruhe. Zwei winzige konusförmige Roboter seilten sich an spinnennetzähnlichen Seilen von der Decke ab und beobachteten ihn.

»Ein nackter Terraner ist kein sonderlich schöner Anblick.«

Rhodan zuckte zusammen und drehte sich rasch zum Ausstieg aus der Nasszelle um, die Hände abwehrbereit erhoben. Doch da war niemand. Bloß ein Schwebe-Holo, das ihn das Antlitz Guol Chennyrs sehen ließ.

»Das Thema Gute Manieren und Respekt vor der Intimsphäre eines anderen Wesens sind wohl nicht Teil deiner Ausbildung gewesen!«, sagte er gereizt.

»Gibt es etwas, wofür du dich schämen musst?«

»Ich rede von Respekt, Kommandant, und nicht davon, dass ich irgendetwas zu verbergen hätte.«

»Jeder von uns hat seine eigene Vorstellung davon, was er als despektierlich empfindet.«

Rhodan hatte genug von diesem Geplänkel. »Du störst mich sicherlich nicht wegen irgendwelcher Nichtigkeiten. Was willst du von mir?«

»Du sollst wissen, dass dein Schicksal nicht länger in meiner Hand liegt. Dein störrisches Verhalten zwingt mich dazu, dich mit einem besonders fähigen Schuldmeister bekannt zu machen.«

»Mit einem Schuldmeister?«

»Tontosd ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der ... Befragung. Er freut sich drauf, sich mit dir zu unterhalten.«

Rhodans Herz klopfte laut. »Ich habe, ehrlich gesagt, keine gesteigerte Lust auf ein Gespräch und noch weniger auf eine Befragung.«

»Es hat dich niemand um deine Meinung gefragt, Hetork Tesser. Durch deine Sturheit hast du alle Chancen auf mein Entgegenkommen in dieser Hinsicht verwirkt.«

»Das bedeutet?«

»Tontosd lebt auf der Welt Kaidhan im Haoshall-System. Die SPINYNCA macht sich gerade auf den Weg und wird Kaidhan in etwa achtunddreißig Stunden erreichen.« Guol Chennyr öffnete weit den Mund. »Bereite dich auf eine weitere spannende Episode deines Lebens vor, Perry Rhodan. Ich bezweifle allerdings, dass du viel Gelegenheit erhalten wirst, deinen Freunden und Anverwandten jemals davon zu berichten. Tontosd ist dafür bekannt, bei seinen Befragungen nicht allzu zimperlich vorzugehen.« Der Onryone nickte. »Ruh dich aus, Terraner. Du wirst alle Kraft benötigen.«

Das Holo erlosch, Rhodan starrte teilnahmslos vor sich hin. Es dauerte eine Weile, bis er registrierte, dass betäubend kaltes Wasser auf seinen Rücken prasselte und er vor Kälte schlotternd dastand.

3.

 

Das Infoterminal hatte keinerlei Informationen zum Haoshall-System geliefert, und so war Rhodan auf seine eigenen Beobachtungen angewiesen, als er den Boden der Welt Kaidhan betrat. Er wurde wie immer von einer Armada konusförmiger Kleinstroboter umschwirrt, drei bewaffnete Onryonen hielten sich überdies in seiner Nähe auf.

Er blinzelte in den Himmel und entdeckte zwei Sonnen, die er für Rote Zwerge hielt. Eine stand links von ihm und wirkte riesig, die andere näherte sich in einem Winkelabstand von 75 bis 80 Grad dem gegenüberliegenden Horizont. Sie war klein, kaum mehr als ein Lichtpünktchen, dessen Licht bedeutungslos wirkte angesichts der Kraft der anderen Sonne. Eine Art Gelbschleier, den Rhodan sich nicht erklären konnte, trübte die Sicht ein wenig ein.

»Die Sonnen heißen Haoscadar und Haoshall«, sagte Guol Chennyr. »Lass dich von den Größenverhältnissen nicht täuschen. Sie verändern sich im Laufe der Jahreswanderung der beiden Gestirne.«

Der Onryone ging in einem Respektabstand neben ihm her. Rhodan hatte Schwierigkeiten, eine gleichmäßige Schrittlänge beizubehalten. Die Schwerkraft war niedrig und bereitete Koordinationsschwierigkeiten.

Etwa null Komma sieben Gravos, schätzte Rhodan. Ich bin also kräftemäßig im Vorteil gegenüber den hiesigen Bewohnern.

Die Umgebungsfarben waren gewöhnungsbedürftig. Der Himmel leuchtete türkis, die darüber hinwegtreibenden Wolkenhäufchen rosa. Gelbe Kondensstreifen gaben dem Firmament eine ungewöhnliche Musterung. Sie stammten von dreieckigen Flugkörpern, Drachengleitern nicht unähnlich. Sie glänzten im Licht der beiden Sonnen silbern.

»Weiter!«

Einer der Wächter stieß ihn vorwärts, die Landerampe des kleinen Beiboots hinab. Rhodan stolperte und wäre beinahe zu Fall gekommen, behindert von knöchelhohem Gestrüpp, das zwischen Betonblöcken des unruhigen Bodens der Landepiste emporwuchs. Der kleine Raumhafen wirkte schäbig und mehr schlecht als recht in Schuss gehalten.

»Willkommen auf Kaidhan«, sagte Guol Chennyr, ohne sich am Verhalten des Wächters zu stoßen. »Wollen wir hoffen, dass es nicht die letzte Welt ist, die du zu Gesicht bekommst, Terraner.«

»Glaubst du tatsächlich, mich nervös machen zu können?«, fragte Rhodan und richtete sich wieder auf. »Ich bin bestens befreundet mit dem Universumsmeister der Psychospielchen. Und von Zeit zu Zeit gelingt es mir gar, ihn auf diesem Gebiet zu schlagen.« Betont gelassen ordnete er den Kragen der hellgrauen Borduniform, die er seit Beginn seiner Gefangenschaft trug.

»Du redest von Atlan, nicht wahr? Vom Arkoniden, von dem man so lange nichts mehr gehört hat in GA-yomaad. Vielleicht ist er ja tot? Hat er dich im Stich gelassen?«

Rhodan winkte ab. »Zerbrich du dir nicht den Kopf über dieses Thema.« Er fühlte sich leicht, fast euphorisch, und am liebsten hätte er Luftsprünge getan. Die geringe Gravitation eines Planeten hatte mitunter auch Auswirkungen auf die Psyche, wie Rhodan nur zu gut wusste. »Und nun?«, fragte er.

»Wir warten«, gab Chennyr einsilbig zur Antwort. »Du wirst abgeholt.«

In größerer Entfernung erstreckten sich Gebäudekomplexe, wohl die Verwaltungsgebäude des Raumhafens. Sie wirkten einfach und zweckmäßig, wie Containerbauten, auf die jemand in unregelmäßigen Abständen Glaskuppeln gesetzt hatte. Davor bewegten sich Gestalten, groß und hager. Die Beine zu lang, die Oberkörper kugelrund, die Köpfe wie Suppenteller, die ein Artist mit Hilfe eines Holzstäbchens balancierte – und damit dem Schädel eines Blue nicht unähnlich.