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Titelseite

 

 

 

 

 

Für Louis de Wolf-Stein,

der mich bat,

über Pompeji zu schreiben

Zerbrochener Krug

Eine Geheimsprache

Philipp zog die Schublade auf und holte seine geheime Bibliothekskarte hervor. Er strich mit den Fingern über das dünne Holzplättchen, auf dem die Buchstaben MB schimmerten. „Meister-Bibliothekar“, flüsterte er vor sich hin.

Philipp konnte es immer noch nicht fassen, dass er und seine Schwester Anne jetzt wirklich Meister-Bibliothekare waren. Endlich!

Ob er die Karte mit in die Ferien nehmen sollte? Die Eltern wollten nämlich mit Philipp und Anne eine Woche in die Berge fahren.

Anne steckte den Kopf in sein Zimmer.

„Wollen wir noch mal kurz in den Wald?“, fragte sie.

Philipp und Anne gingen jeden Morgen in den Wald von Pepper Hill, um nachzusehen, ob Morgan, die Zauberin, mit ihrem magischen Baumhaus zurückgekehrt war.

„Geht aber nicht!“, antwortete Philipp. „Wir wollen doch gleich losfahren.“

„Und wenn Morgan da ist?“, fragte Anne. „Wenn sie auf uns wartet?“

„Also gut“, gab Philipp nach. „Lass uns nachschauen. Aber wir müssen schnell machen.“

Er schnappte seinen Rucksack, stopfte sein Notizbuch, einen Stift und seine geheime Bibliothekskarte hinein und lief nach unten.

„Wir sind gleich wieder zurück!“, rief Anne.

„Geht aber nicht so weit“, mahnte ihr Vater. „Wir wollen in zwanzig Minuten fahren.“

„Keine Bange“, sagte Anne. „Wir sind in zehn Minuten wieder da.“

„Stimmt!“, dachte Philipp. „Fünf Minuten brauchen wir, bis wir im Wald sind, und wieder fünf Minuten für den Weg nach Hause zurück.“ Und selbst wenn Morgan sie auf eine Zeitreise schickte, würden sie genau zum gleichen Zeitpunkt wiederkehren, zu dem sie aufgebrochen waren.

Philipp und Anne liefen zur Haustür hinaus. In der hellen Morgensonne rannten sie erst über den Rasen und dann die Straße entlang.

„Ich hatte letzte Nacht einen Albtraum“, erzählte Anne.

„Was hast du denn geträumt?“, fragte Philipp.

„Ich habe von Feuer geträumt“, berichtete Anne. „Alles war dunkel und verraucht und die Erde hat gebebt. Glaubst du, das war eine Vorwarnung?“

„Nein.“ Philipp schüttelte den Kopf. „Albträume sind auch nur Träume. Die werden nicht wahr.“

Sie verließen die Straße und bogen in den Wald von Pepper Hill. Dort war es ruhig und friedlich. Sie gingen durch den sonnigen Wald, bis sie zur höchsten Eiche kamen.

„Juchhuh!“, rief Anne.

Und tatsächlich, da war es, das Baumhaus. Morgan winkte ihnen aus einem Fenster zu.

„Seid gegrüßt, Meister-Bibliothekare!“, rief sie den Geschwistern zu.

Philipp und Anne machten den Spaß mit und verbeugten sich anmutig.

„Stets zu Ihren Diensten“, entgegnete Anne.

„Dann kommt doch hoch“, sagte Morgan.

Sie packten die Strickleiter und kletterten nach oben. Als sie ins Baum-haus krabbelten, sahen sie, dass Morgan ein Buch und ein Blatt Papier in der Hand hielt.

„Ich habe eine wichtige Aufgabe für euch“, sagte sie. „Seid ihr bereit?“

„Klar!“, antworteten alle beide.

Philipps Herz schlug schneller. Schon seitdem sie von Morgan zu Meister-Bibliothekaren ernannt worden waren, hatte er dieser ersten Aufgabe entgegengefiebert.

„Ihr wisst ja, dass ich Bücher für die Bibliothek in Camelot sammle“, begann sie.

Philipp und Anne nickten.

„Nun, im Laufe der Jahrhunderte sind viele große Bibliotheken zerstört worden“, berichtete die Zauberin. „Und mit ihnen gingen viele wunderbare Geschichten für immer verloren.“

„Wie traurig“, sagte Anne.

„Das ist es“, stimmte Morgan ihr zu. „Aber ihr zwei Meister-Bibliothekare könnt mithilfe des magischen Baumhauses einige dieser Geschichten retten. Zum Beispiel diese hier.“

Sie hielt das Blatt Papier hoch. Seltsame Worte standen darauf.

„Ist das eine Geheimsprache?“, fragte Philipp.

Morgan lächelte. „Irgendwie schon“, antwortete sie. „Aber eigentlich ist es der Titel einer verloren gegangenen Geschichte. Der Titel ist in Latein, das ist die Sprache der alten Römer in Italien.“

„Alte Römer?“, wiederholte Philipp völlig begeistert. Ihn faszinierte alles, was mit Römern zu tun hatte.

„Ja“, bestätigte Morgan. „Diese Geschichte war in einer Bibliothek in einer römischen Stadt. Ihr sollt sie für mich holen, ehe diese Bibliothek zerstört wird.“

„Machen wir“, sagte Anne.