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Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

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10.

11.

12.

Kommentar

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PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2740

 

Griff nach dem Galaktikum

 

Der Tod kommt ins Halo-System – die Posbis greifen ein

 

Arndt Ellmer

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1516 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Milchstraße seit nunmehr zwei Jahren unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals, einer noch immer weitgehend rätselhaften Organisation. Diese gibt vor, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen.

Welche Auswirkungen die Atopische Ordo haben kann, erfährt Perry Rhodan am eigenen Leib: Ihn hat es in die Galaxis Larhatoon verschlagen, die Heimat der Laren, die vor über eineinhalb Jahrtausenden als Mitglieder des Konzils der Sieben Galaxien eine beträchtliche Zeitspanne in der Milchstraße herrschten.

In der Milchstraße regiert indessen nur noch formal das Galaktikum, die eigentliche Politik findet stets im Schatten der Onryonen statt.

Da ist es nur konsequent, wenn das Atopische Tribunal sich die galaktische Hauptwelt Aurora einverleiben will: Es erfolgt der GRIFF NACH DEM GALAKTIKUM …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Zahran Ushindi – Der Holorama-Hersteller entdeckt eine faszinierende Spezies.

UFo – Der Vorsitzende des Galaktikums setzt sich gegen die Onryonen zur Wehr.

Penccas Khelliod – Der Onryone brennt für seinen Auftrag.

Monkey – Der Lordadmiral der USO bietet Hilfe an.

1.

 

Penccas Khelliod wartete auf den Tag seines Lebens. Früh in seiner Kindheit hatte er bereits gehört, dass es etliche solcher Tage geben würde. Später, in der Flotte und unter dem Kommando alter, erfahrener Onryonen, war ihm der Irrtum bewusst geworden. Er hatte aus der Erfahrung und der Weisheit der anderen gelernt.

Einen Tag wie diesen gab es höchstens einmal, und an ihm verblassten die Erinnerungen an alle anderen schönen Tage des Lebens. Sein Pilotenpatent, sein Befähigungsnachweis zum Kommandanten eines Raumvaters – das waren die Tage, die ihm dann nichts mehr bedeuten würden.

Jeder Atemzug erschien ihm wie eine Ewigkeit, jeder Lidschlag wie ein Universum. Ungeduld erzeugte ein Vibrieren und Beben in seinem Körper. Er redete sich ein, dass seine Lebenszeit längst nicht reichte, um ein inneres Band zu den Mitgliedern der anderen Schlafrudel in der SHOYOO zu knüpfen.

Der Befehl – längst hätte er eintreffen müssen. Wie lange mussten sie warten? Einen weiteren Augenblick, zwei vielleicht? Nun waren diese bereits vorbei, und noch immer blieb der Funkspruch aus.

Khelliods eigenes Rudel raschelte und flüsterte irgendwo hinter ihm in den verwinkelten Gassen der Kommandozelle. Nur ein einziger Körper blieb in seinem Blickfeld, steif und in seinem Wolkensessel leicht zur Seite geneigt, als schliefe er. Die wuchtige Halbkugel des Helms verdeckte einen Teil des Kopfes. Lollo Gessorad hielt den geistigen Kontakt zu den Steuersystemen. Als diensthabender Genifer hoffte er auf denselben Augenblick des Glücks, allerdings deutlich gelassener als Khelliod.

Penccas Khelliod roch das und fand nicht einmal die Kraft, daraus einen Nutzen für sich selbst zu ziehen. Unablässig starrte er auf die Bildschirme, wo ein Pulk nach dem anderen materialisierte. Der Cluster wuchs und wuchs wie ein gigantisches Wesen, dessen Zellteilung extrem schnell verlief. Tausende aneinandergekoppelte Kugelschiffe warteten auf den Einsatzbefehl.

Über ihnen thronte der kommandierende Raumvater, durch mehrere Patronitschlingen mit den nächstliegenden Einheiten verwoben.

Kommandant Khelliod hielt seine Ungeduld kaum mehr aus. Es waren ausreichend Schiffe für ihr Vorhaben. Der Cluster hätte ausgereicht, ganze Sonnensysteme zu transformieren. Hätte es nicht eine Strafexpedition sein können?

Penccas Khelliod hatte an diesem Tag eine außergewöhnliche Aufgabe. Das, worum ihn alle Onryonen beneideten, hing draußen an der Außenhülle der SHOYOO: eine dreiseitige Pyramide mit einem ovalen Gebilde darunter, das ein Drittel der Gesamtlänge ausmachte. Die beiden Enden des Körpers waren abgeschnitten und flach, eine Kreisfläche unten, eine Dreiecksfläche oben. Das komplette Gebilde bestand aus Patronit und leuchtete aus sich heraus in einem tiefen Rot.

Dieses Gebilde, diese Krönung seiner Laufbahn – wo blieb der Marschbefehl? Penccas Khelliod spürte, wie Geist und Körper sich verzehrten. Er würde den Zeitpunkt nicht mehr erleben! Der Gedanke versetzte ihm einen Stich in der Brust. Er stöhnte leise.

Es musste geschehen. Jetzt!

Die erste Ordische Stele für die Milchstraße – das höchste aller Geschenke!

Die nächsten Schiffe trafen ein. Fast unheimlich war es anzusehen, wie sie sanft aus dem Linearraum glitten, sich in den Cluster einreihten und ihren Ortungsschutz aktivierten.

Das Flüstern des Wolkensessels lenkte Khelliod ab. Der Genifer richtete sich halb auf, schob die Beine über den Rand und ließ sie neben der Lehne herabbaumeln.

Penccas Khelliod hastete zu ihm. »Ist er da?«

»Der Befehl? – Nein!«

Lollo Gessorad musterte ihn mit einem Ausdruck der Besorgnis, der Khelliod irritierte.

»Zu viel Nervosität schadet dem Rudel«, sagte der Genifer.

»Ich weiß das«, beschwichtigte Khelliod. »Aber je schneller es geht, desto eher sind die alten Organisationsstrukturen der Milchstraße Geschichte.«

Sie waren veraltet. Penccas Khelliod wusste das, Lollo Gessorad wusste es auch. Nur die Ordo konnte diese Galaxis retten.

»Ich will die alten Regime stürzen sehen, lieber heute als morgen«, fuhr der Kommandant fort. »Meine wichtigste Aufgabe ist, die Milchstraße in Domänen aufzuteilen und diese den Wächtern der Ordo zu übergeben. Das alles will ich zu meinen Lebzeiten erreichen.«

»Es hört sich an, als rechnetest du mit einem frühen Tod, Khelliod.«

Der Kommandant lauschte der bescheiden und gleichmütig klingenden Stimme des Genifers. Hörte er da etwa Ironie heraus? Machte Gessorad sich über ihn lustig?

Der Genifer blickte ernst drein. Er schloss die Augen und widmete sich wieder der Kommunikation mit den positronischen Systemen der SHOYOO.

Auf den Bildschirmen zeichneten sich neue Pulks aus Kugelschiffen ab. Drei Raumväter tauchten aus dem Linearraum auf und brachten ihre Verbände mit. Die Zahl der Schiffe wuchs um mehr als tausend Einheiten an.

»Ich glaube, solange weitere Verbände eintreffen, ist noch keine Zeit für den Befehl«, sagte Lollo Gessorad leise.

In Khelliods Ohren klang es wie ein Todesurteil.

 

*

 

Der Kommandant der SHOYOO beschäftigte sich mit dem Zielsystem, insbesondere mit den Planeten der gelben Sonne. Khelliod wusste noch nicht, was ihn und seine Flotte dort erwartete. Da es sich um eines der bedeutendsten Sonnensysteme der westlichen Milchstraße handelte, musste er mit einer starken Frequentierung der Flugrouten am und um das System rechnen.

Nicht alle Völker zeigten sich einsichtig angesichts eines Vorgangs, von dem sie zuvor nie gehört hatten. Dabei musste der Weltenbrand der Milchstraße unbedingt verhindert werden. Nur die Atopische Ordnung konnte das erreichen.

Die Ordo war die oberste Richtschnur, das wusste Penccas Khelliod seit seiner Kindheit. Die Atopischen Richter fungierten als Lotsen, deren Anweisungen Folge zu leisten war, wenn die Völker und Welten nicht in einer bislang faktischen Zukunft wie Schiffe an einem Riff zerschellen sollten.

In den Untiefen von Zeit und Raum bedurfte es der Ordo als einem Regelwerk für alle Lebewesen. Nur so konnten sie trotz ihrer unterschiedlichen Lebensräume und Lebensauffassungen in Frieden zusammenleben.

Nicht jedes Lebewesen brachte die Intelligenz und die Einsicht mit, um den Sinn der Atopischen Ordnung zu begreifen. Die äußeren Umstände verhinderten oft den reibungslosen Übergang in ein neues Leben.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte das Volk der Ertruser ein abschreckendes Beispiel gegeben. Es hatte einen hohen Blutzoll gezahlt, über den es nicht so schnell hinwegkommen würde.

Andere Völker nahmen die Ordo ohne Widerstand an.

Penccas Khelliods Gedanken blieben bei der USO hängen, einst die interstellare Polizei in der Milchstraße. Die USO kämpfte gegen die Atopische Ordnung, wo sie auftauchte, und galt deswegen als terroristische Vereinigung. Die Einheiten der Ordo machten Jagd auf sie.

Kommandant Khelliod fragte sich, ob die USO auch im Zielsystem einen Stützpunkt hatte und wie sich die Besatzung beim Eintreffen des Clusters verhalten würde.

»Der Funkverkehr wird stärker«, sagte Lollo Gessorad. Er saß noch immer auf dem Rand des Wolkensessels, lehnte sich aber nun zurück, damit er sich besser auf die Impulse der positronischen Systeme konzentrieren konnte.

In den Gassen hinter der Kommandozelle kehrte absolute Ruhe ein.

Penccas Khelliod spürte, wie die Muskelfasern seiner Hand vibrierten. An manchen Stellen liefen Wellen über die schwarze Haut.

»Wenn die Stele erst errichtet ist, werden die Völker erkennen, dass sie bisher kein lebenswertes Leben geführt haben«, sagte der Kommandant. Ein halblautes Brummen des Genifers verstand er als Zustimmung.

Wenn sie erst die Milchstraße befriedet hatten, würde sich die Ordo schnell über alle Galaxien der kleinen Ballung ausbreiten. Wie nannten die Einheimischen sie gleich? Lokale Gruppe!

Der Name klang so harmlos … wenn man nicht um das Jahrtausend der Kriege wusste oder vom Weltenbrand oder … Die Realität war weitaus banaler: Erlebt hatten sie Raumschlachten und einen Widerstandswillen, der mancherorts weiterhin ungebrochen schien.

Fünfhundert Jahre Verbannung für die Unsterblichen, die in der bislang faktischen Zukunft den Weltenbrand auslösen würden, waren nach Khelliods Auffassung eine viel zu unsichere Strafe. Um den kontrafaktischen Zustand des Weltenbrandes herbeizuführen, wäre es bestimmt einfacher und wirkungsvoller gewesen, Rhodan und Bostich sofort zu töten.

Nun gut, der Atopische Richter hatte anders entschieden. Sein Wort war Gesetz, sein Wissen um ein Vielfaches größer als das eines einfachen Kommandanten. Penccas Khelliod verschwendete keinen weiteren Gedanken daran und kümmerte sich lieber um das, was er für die kommenden Stunden und Tage erwartete.

»Noch immer nichts?«

Gessorad murmelte etwas von Funksprüchen anderer Cluster-Kommandanten. Schiffe sollten kommen, die jedoch kurzfristig an ein anderes Ziel umgeleitet wurden. Khelliods Stimmung hob sich ein wenig.

Es konnte nur bedeuten, dass die Flotte ihre vorbestimmte Größe erreicht hatte.

Der Befehl – wann kam endlich der Befehl?

Der Name Penccas Khelliod würde in den Geschichtsbüchern seines Volkes stehen. Er brachte der Galaxis Milchstraße die Atopische Ordo.

Die Zahl der ihm unterstellten Raumväter seines Clusters überschritt die Fünfhunderter-Marke.

Kommandant Khelliod klammerte sich an die Lehne seines Sessels. Er senkte den Kopf und stellte sich vor, wie auf einem der Bildschirme der Atopische Richter erschiene.

Nichts geschah.

Penccas Khelliod wusste, dass er sich verrückt machte. Er versank in einen seltsamen Zustand zwischen Wachen und Schlafen und sah sich dem Ende seines Lebens entgegendriften.

Und der Befehl war immer noch nicht ergangen.

Die Augen des Kommandanten fraßen sich an der Abbildung der Ordischen Stele fest. Sie würde es richten. Wenn sie erst einmal an ihrem vorbestimmten Platz stand, drehte sich die Westside der Milchstraße um sie. Die Stele würde jeden Widerstand im Keim ersticken.

Manchmal musste man Völker und Lebewesen zu ihrem Glück zwingen.

»Kommandant?«

Penccas Khelliod ignorierte den Genifer. Da, wo er gerade noch die Ordische Stele gesehen hatte, prangte nun das Siegel des Atopischen Richters. Aus dem Nichts erklang eine Stimme, von der Khelliod nicht wusste, ob sie Matan Addaru Dannoer gehörte oder Chuv oder einem untergeordneten Offizier.

»Startfreigabe«, sagte die Stimme. »Bring die Stele an ihren Bestimmungsort, Kommandant Khelliod.«

»Verstanden!«

Mit einem Streicheln seiner Finger über eine der Sensorflächen setzte Penccas Khelliod die Flotte in Bewegung. Wie die Pollen einer Blüte, die der Wind davontrieb, lösten sich die einzelnen Schiffe aus dem Cluster und wechselten in den Überlicht-Modus.

Die SHOYOO folgte zuletzt.

2.

 

Einmal im Leben einem Erinn hautnah zu begegnen, davon träumte Zahran Ushindi seit Jahren. Die Flugwesen von Noros faszinierten ihn mehr, als er sich vor ihrer Gefährlichkeit fürchtete.

Erinn waren die Giganten unter den Flittern, die in der Atmosphäre von Noros lebten. Es waren Wesen der Luft – keine Vögel, eher Schlangenähnliche, die mit den Stürmen trieben und überall dort zu finden waren, wo die niedrige Schwerkraft, die Sturmböen und der Auftrieb ihnen den Aufenthalt ermöglichten. Manchmal kam es vor, dass ein alter Flitter abstürzte, weil seine Sinne ermatteten. Dort, wo er auf den Boden schlug, assimilierte der Planet ihn sofort.

Wenn Ushindi die Flitter studieren wollte, musste er sie in ihrem luftigen Lebensraum aufsuchen.

»Ich steige jetzt aus«, sagte er. An der offenen Tür knatterte der Fahrtwind.

»Alles klar«, antwortete der Autopilot. »Wenn du mich brauchst, rufe mich.«

Zahran Ushindi löste die Arretierung der Schiene. Das Katapult schoss ihn hinaus in den Himmel und verpasste ihm die nötige Mindestgeschwindigkeit. Mit einem lauten Rascheln öffnete sich über ihm der Gleitschirm, während das Fahrzeug schräg nach unten wegraste, der Oberfläche des zweiten Planeten entgegen.

Den Effekt kannte er vom Fallschirmspringen während der Ausbildung. Der wuchtige Schirm bremste ihn ab. Die 0,36 Gravos der planetaren Anziehung trugen nicht viel zu seinem Sinkflug bei. Als Ushindi das gewohnte Segeltempo erreichte, faltete sich ein Teil des Schirms automatisch zusammen. Das war ein vollkommen anderes Gefühl, als einfach den Antigravantrieb seines Anzuges zu nutzen. Ein lohnenderes Gefühl, wie er fand.

»Zielgebiet voraus«, meldete sich die Mikropositronik im Gestänge des Schirms. »Alle Kameras sind aktiviert.«

Vier Kameras assistierten ihm. Flitter konnten aus allen Richtungen kommen. Meist bewegten sie sich in Schwärmen.

Der Terraner prüfte den Stopper auf seine Funktionsfähigkeit. Im Fall der Konfrontation mit einem Erinn musste er sich auf das Gerät verlassen können. Die Aufschrift am Brustteil seines Schutzanzugs hatte allenfalls humoristischen Charakter: »Kein Futter!«

Zahran Ushindi musterte den Zoombereich der Helmscheibe. Die Atmosphäre über Noros war milchig, immer wieder von Schwaden aus Wasserdampf unterbrochen und für Menschen giftig. Die Schlieren und Flitter darin ließen sich nur schwer voneinander unterscheiden. Wenn er in diesem Umfeld überleben wollte, durfte er die Anzeigen für Luftdruck und Luftdichte keinen Augenblick aus den Augen lassen. Für die Videoaufnahmen der Flitter sorgte die Automatik von allein, sobald eines der geflügelten Schlangenwesen auftauchte.

Ab und zu kamen Touristen nach Noros und betrieben das Flitter-Fliegen als Zeitvertreib. Vereinzelt wurden sie zur Beute von Erinn – keine optimale Voraussetzung für einen Dokumentarfilmer und Wissenschaftler wie Zahran Ushindi. Wenn ein Erinn einen Menschen gerissen und dieser ihm geschmeckt hatte, würde er es immer wieder tun.

Die Mikropositronik meldete einen Schwarm Friedflitter. Der Terraner sah sie erst im letzten Augenblick, als sie dicht vor ihm aus dem Nebel auftauchten. Keiner von ihnen war größer als eine Handspanne.

Hunderte waren es oder Tausende, die in einem Schwarm durch die Luft trieben, grazile Körper mit gefiederten Flossen und Gasmägen, mit deren Hilfe sie die Körpermitte fast bis zur Kugelform aufblähten. Wie phantasievoll ausgeschmückte Montgolfieren sahen sie aus, und ihre dünne, adrige Haut schillerte in Regenbogenfarben. Der Schwarm wuchs vor dem Terraner zu einer undurchdringlichen Wand auf.

Ushindi kniff die Augen zusammen. Er konzentrierte sich auf dunkle Flecken oder Streifen in dem Schwarm, die auf einen größeren Körper hindeuteten. Auszuschließen war es nicht, dass sich ein Erinn in einem solchen Schwarm versteckte. Die Friedflitter wichen dem Fressfeind jedoch meistens aus. Selbst ernährten sie sich vom Sämstaub der Luft und durch Fotosynthese.

Dicht vor Zahran Ushindi teilte sich der Schwarm und bildete einen Hohlraum, der den Terraner und seinen Prallschirm wie eine enge Haut umgab. Um den Hohlraum herum glitten die Flitter unbeirrt weiter. Dicht hinter Ushindi flossen sie zusammen und setzten ihren Weg fort.

»Hast du alles drauf?«, fragte der Terraner.

»Alles«, antwortete der Automat. »Du wirst staunen. – Vorsicht, Zahran, deine Konzentration lässt nach!«

Ushindi richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schwaden. Sie verloren nach und nach an Substanz, wurden durchsichtiger und lösten sich schließlich ganz auf.

Der Terraner nahm es erleichtert zur Kenntnis. Schräg unter seiner Flugbahn entdeckte er mehrere Aasflitter von ein bis zwei Metern Länge.

Sie tauchten in wellenförmigen Bewegungen abwärts und hielten nach Aas Ausschau. Fanden sie welches auf dem Weg nach unten, zuckten sie um die Wette, damit sie das Futter erwischten, bevor die Planetenoberfläche es ihnen wegschnappte.

Dort unten zwischen dem Erdboden und der tragenden Thermik der höheren Luftschichten lauerten Erinn. Sie nutzten die meist kleinen und oft irregulären Sturmbereiche, in denen sie sich trotz ihres hohen Körpergewichts in der Schwebe halten konnten.

Ein halbes Dutzend Aasflitter versammelte sich um die Überreste von kleineren Friedflittern. Teilweise zuckten deren Körper noch.

Zahran Ushindis Puls beschleunigte sich. Er spürte das Pochen am Hals. Die blutigen Reste der Flitter deuteten auf eine unterbrochene Mahlzeit hin. Der Terraner versetzte sich mithilfe des Gleitschirms in eine leichte Drehbewegung, sodass er den Luftraum hinter sich besser überblicken konnte. Weit und breit war kein Erinn zu sehen. Ushindi schätzte, dass er sich mit seinem Gleitschirm ungefähr eine halbe Stunde in der Luft halten konnte, vorausgesetzt, er erwischte den einen oder anderen Aufwind.

Er entdeckte einen Schatten auf dem Schirm. Einen Augenblick später tauchte die Schwanzspitze hinter dem Schirmrand auf. Sie zuckte wild hin und her.

»Ich will ihn groß draufhaben, von allen Seiten«, instruierte Ushindi den Automaten.

»Es hängt unter anderem davon ab, wohin du den Schirm steuerst«, sagte die Mikropositronik.

Ushindi drehte nach rechts ab. Der Erinn war nunmehr in seiner ganzen, beeindruckenden Länge von dreizehn Metern zu sehen. Das leise Zischen des Jägers verriet den Fressrausch.

Zahran Ushindi prüfte den Sitz des Strahlers. Wenn nichts mehr half, musste er sich mit der Waffe gegen den Angreifer zur Wehr setzen. Es würde ihn jede Menge Videomaterial kosten, um seine Notwehrsituation zu beweisen. Eine saftige Strafe würde ihm dennoch nicht erspart bleiben. Die Flitter von Noros standen unter Artenschutz.

Der Erinn über Ushindi wechselte sein Verhalten. Er schob den Kopf tief unter den Körper und schraubte sich rasant auf einer Spiralbahn abwärts, bis er sich auf der Höhe des Terraners befand. Eine Weile flog er neben Ushindi her.

Die Kameras hielten voll auf den Erinn. Zahran Ushindi leckte sich in Gedanken bereits die Finger, wenn er an die spätere dreidimensional aufbereitete Holodarstellung dieser Flugsequenz dachte. So nah war einem Erinn noch nie einer gekommen.

Der Jäger schien einen Augenblick in der Luft stillzustehen, dann schnellte er vorwärts und war verschwunden. Einen Augenblick später sah Ushindi das Schlangenwesen von vorn auf sich zurasen. Die wulstigen Lippen des Mauls zitterten, aus den Mundwinkeln tropfte Speichel. Vereinzelt blitzten messerscharfe Zähne im Sonnenlicht.

Wieder hielt der Erinn für einen Moment an.

Der Erinn streckte sich. Trotz des geschlossenen Helms glaubte der Terraner den fauligen Atem des Flitters zu riechen. Die Flugschlange ließ sich Zeit. Sie entfernte sich ein Stück und umrundete ihr Opfer. Dabei öffnete sie weit ihre Nüstern.

Und dann war sie plötzlich wieder verschwunden, irgendwo im Dunst.

Diesmal entdeckte Zahran Ushindi sie unter sich. Sie schlängelte sich mit nach oben gerecktem Kopf vorbei. Eine blitzschnelle Bewegung, die er mit den Augen kaum nachvollziehen konnte, und schon war sie wieder vor ihm.

Die Lust nach der Beute dominierte das Verhalten dieses Wesens. Der fremdartige Gleitschirm schien es nicht zu beeindrucken. Dieser Erinn hatte wahrscheinlich bereits einmal einen Flieger gerissen.

»Wenn du es nicht anders willst, dann komm!«

Der Erinn stülpte seinen Fangkranz nach vorn. Fingerlange Reißzähne kamen Ushindi entgegen, der den Stopper aktivierte. Das Gerät identifizierte den Angreifer im Bruchteil einer Sekunde und entschied sich für einen gerichteten Infraschallimpuls als Abwehr.

Die Flugschlange klappte das Maul zu. Ihre Sinne reagierten auf den Schall. Offensichtlich bereitete er ihr Unbehagen. Der Erinn drehte ab und schnellte davon. Das Sirren der schnell schlagenden Stummelflügel hörte sich an wie das Jaulen der Motoren eines abstürzenden Düsenjets.

Aber noch gab das Wesen nicht auf. Es suchte nach einem Weg, trotz Infraschall an Ushindi heranzukommen. Es näherte sich durch Wippen des Körpers. Dabei versuchte es, die aufkommenden Turbulenzen zu nutzen und den Kopf möglichst seitlich weg zu halten.

Die Beobachtung machte den Terraner nachdenklich.

Der Erinn schaffte es nach mehreren Versuchen, ein paar Meter näher heranzurücken.

»Der Stopper braucht sofort eine stärkere Dosierung«, sagte Zahran Ushindi schnell.

»Ist nicht verfügbar. Ich werde mich vor dem nächsten Ausflug darum kümmern.«