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INHALT

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ÜBER DIE AUTORIN

Hazel Brugger wurde 1993 in San Diego, Kalifornien, geboren und wuchs bei Zürich auf. 2013 gewann sie die Schweizer Meisterschaft im Poetry Slam, 2015 wurde sie für ihre Kolumne im Magazin des Tages-Anzeigers als beste Nachwuchsjournalistin ausgezeichnet. Sie moderiert Live-Talk in Zürich, tritt regelmäßig in der ZDF heute-show und bei Nuhr im Ersten auf und tourt derzeit mit ihrem Soloprogramm durch den deutschsprachigen Raum. Ich bin so hübsch ist ihre erste Buchveröffentlichung.

ÜBER DAS BUCH

Was tun, wenn man nicht schlafen kann? Warum sind Männer so witzig? Und warum mästen wir unsere Haustiere? Hazel Brugger kennt die Antworten, denn sie hat den Röntgenblick auf unseren Alltag. Schonungslos, detailverliebt und mit viel Charme zerlegt sie die Welt in Einzelteile und führt ihre Leser dabei stets über einen schmalen Grat, mal still, mal wild, aber immer sehr komisch. Ihre Texte sind wie eine Sahnetorte im Gesicht: lustig und schmerzhaft in einem, sehr süß und zugleich ein bisschen widerlich.

»Die Böseste!« Süddeutsche Zeitung

»Hazel Brugger hat nicht nur eine scharfe Zunge, sondern auch ein großes Herz.« Radio SRF 2

»Hazel Brugger kombiniert Beobachtungsgabe und Sprachbewusstsein mit einem eigenwilligen Blick auf die Welt.« Neue Zürcher Zeitung

Buch lesen

Und Sie so?

Ich bin kein guter Mensch. Ich kaufe im März Erdbeeren aus Spanien, weil ich Lust darauf habe. Und wenn sie dann nicht schmecken, denke ich: »Mann, hey, wie schwierig ist es denn, Erdbeeren so hinzukriegen, dass sie schmecken, verspackte spanische Gewächshausspacken.« Ich bin total nachträglich und beantworte manchmal monatelang meine Mails nicht. Wenn jemand anruft, gehe ich nicht ran – ganz egal, wer es ist, ich hasse Telefonieren. Wenn ich mit jemandem rede und der hat was zwischen den Zähnen, dann sage ich nichts. Ich stelle mir lieber vor, wie er durchs Leben läuft mit einem halben Teppich in der Fresse und sich wundert, warum alle ihn unsympathisch finden.

Wenn ich mich hinsetze, ziehe ich meine Jeans bis zum Bauchnabel hoch, damit mein unteres Bauchfett unter dem Hosenbund verschwindet. Ich bin total unbeweglich, mit meinen Fingerspitzen komme ich nicht einmal bis zu den Knöcheln. Überhaupt habe ich ein wahnsinnig schlechtes Körpergefühl und habe keine Ahnung, was jenseits meines Kopfes abgeht. Manchmal vergesse ich zu essen und raste nach zwanzig Stunden komplett aus, weil ich fast in Ohnmacht falle. Dann bin ich widerlich zu allen, die mit mir unterwegs sind, und behandle sie schlimmer, als wenn sie der letzte Dreck zwischen den Zähnen von einem unfähigen Erdbeerbauern wären.

Wenn mein Hotelzimmer eine Badewanne hat, schneide ich mir darin die Fußnägel und lasse sie anschließend einfach liegen. Manchmal checke ich nicht aus, sondern stecke den Schlüssel in die Tür und gehe dann. Wenn ich mir am Ende des Tages die Sockenflusen unter den Zehennagelecken hervorpule, rieche ich an meinen Fingern, finde es ekelhaft und höre trotzdem nicht auf. Männern mit gezupften Augenbrauen gegenüber bin ich total voreingenommen, mit denen rede ich nicht, weil ich sie tief in mir drin ernsthaft für nicht intelligent halte. Überhaupt bin ich elitär, und wenn mir jemand einreden will, dass ich irgendwas besser machen könnte, zitiere ich Adorno – es gibt kein richtiges Leben im falschen –, und ich fühle mich super.

Ich sage immer, ich hätte mit allen leidenden Menschen Mitleid, aber eigentlich habe ich überhaupt keine Ahnung, wie die sich fühlen, und darüber bin ich froh. Wenn ich einen Hundebesitzer kennenlerne, der seinen Hund nicht erzogen hat, hasse ich ihn und den Hund gleich mit. Wenn jemand mit mir flirtet, merke ich das nie. Obwohl ich erst Anfang zwanzig bin, schaue ich auf Leute herab, die mir einen Futon ernsthaft als »Gästebett« verkaufen. Wenn ich ein Selfie mache, lösche ich manchmal die ersten vier Versuche, weil ich nicht zufrieden bin mit meinem Aussehen. Ich habe mir ein Paar Schuhe für dreihundert Franken gekauft und es erst einmal getragen.

Obwohl ich weiß, dass es nicht korrekt ist, nenne ich manchmal Sachen »behindert« oder »schwul«, einfach weil ich zu faul bin, um präzise zu denken. Wenn ich gefragt werde, sage ich immer, dass ich total für Gay Rights bin, aber ehrlich gesagt, habe ich noch nie aktiv etwas gegen die Unterdrückung von irgendeiner Gruppe getan. Ich knirsche mit den Zähnen, tagsüber und nachts, und muss im Bett eine Schiene tragen, mit der ich total behindert aussehe. Anstatt zu arbeiten, schaue ich fast immer Serien, die ich zum größten Teil schon einmal gesehen habe. Wenn andere mit mir arbeiten, delegiere ich gerne. Wenn ich weiß, dass ich fotografiert oder gefilmt werde, versuche ich, meine Zunge so zu platzieren, dass meine Wangenknochen möglichst gut zur Geltung kommen. Manchmal stelle ich am Ende von Vorträgen Fragen, die eigentlich kurze Reden sind und unterstreichen sollen, wie viel ich über das Thema weiß. Aber ich denk mir dann immer, hey, irgendwie muss ich ja sein.

Die Akte Topinambur

Ich weiß nicht, wie oft meine Eltern sich schon fast scheiden ließen. Zwanzig, vierzig, hundert Mal.

Irgendwann in den späten Neunzigerjahren grub – scharrte, pflügte, wühlte auf allen vieren – mein Vater die hintere linke Ecke unseres Gärtchens um. Ich glaube, er wollte sich und allen anderen beweisen, dass auch Akademiker ab und zu mit dreckigen Fingernägeln einem tieferen, naturgegebenen Ruf folgen sollten. Und dass Väter, die für ihre Familie im fruchtbaren Dreck graben, keine furchtbaren Väter sind.

Nach stundenlanger Arbeit hatte der Vater neben Tierskeletten vor allem esoterische Überreste des Mobiliars der Vorbesitzer (»Wenn ein Spiegel auf dem Rasen liegt, wird er den Regen abwehren!«) und ein paar erdverkrustete Knollen zutage gefördert. Die Knollen sahen so aus wie das, was rauskäme, wenn ein Albino-Ingwer einen Nacktmull schwängern würde. Topinambur. Jerusalem-Artischocke, Erdbirne, die total bekloppte, sozial schwache Cousine der Sonnenblume. Zwittriger Blütenstand, dünne Haut, temperaturbeständig bis zu minus dreißig Grad. Angeblich reichen schon winzig kleine Brocken davon aus, dass diese Pflanze im Boden erhalten bleibt. Topinambur wird man so schnell nicht wieder los, nein, Topinambur ist der Herpes des Reihenhausgartens.

Der Vater kochte die Wurzeln dann und verarbeitete sie zu einem kleinen, selbst gefangenen Gaumenschmaus. Breiig, schleimig, faserig. Erwärmter Ohrenschmalz mit Stückchen, eine Plörre, die verstörte und gleichzeitig neugierig machte. Die Masse sah aus, als hätten alle räudigen Hauskatzen der Region uns aufs Tellerset gekotzt und ihr Œuvre anschließend mit einem Stückchen Petersilie garniert. Der Vater war stolz, wir Kinder schockiert, die Mutter hin- und hergerissen zwischen »Oh, ich wurde bekocht!« und »Oh … Ich wurde bekocht …«.

Zwanzig, vierzig, hundert Mal. Es war nie nur schlecht, wenn meine Eltern sich fast scheiden ließen. Einer dieser Fälle war, als sich der mittlere Bruder schließlich weinend über den halben Esstisch hinweg erbrach. Die Akte Topinambur. Es war ein beeindruckender Schwall des rosaroten Entsetzens, man hörte Schluchzen, Schmatzen und Röcheln. Er war unser Held, ein Märtyrer, der sich nicht mehr alles gefallen lassen wollte. Einer, der mit allen Eingeweiden gegen die elterliche Unterdrückung rebellierte. Er war unser Reich-Ranicki, er nahm dieses Abendmahl nicht an. Liter für Liter, Knolle für Knolle zeigte er seine Missgunst. Gut, zugegeben, vielleicht war die Menge auch gar nicht so furchtbar beeindruckend gewesen, aber in einem Alter, in dem es mir Mühe bereitete, auf einen Stuhl zu klettern, konnten Mengenverhältnisse schon mal durcheinandergeraten.

Er solle es mit Himbeersirup hinunterspülen, so schlimm sei das nicht, hatte der Vater noch gesagt, bevor es losging. Es wurde schließlich gegessen, was auf den Tisch kam – verdammt noch mal. Der Vater schimpfte über das System, die Welt und die Familie als kleine Version einer eigenen Gesellschaft. Die Mutter sorgte sich um die Kinder, um den Haussegen und schimpfte mit dem Vater. Es war ja schließlich kein Krieg mehr, und Zwang macht keine gute Liebe. Der große Bruder und ich lachten, und der mittlere weinte und weinte, worüber wir natürlich noch mehr lachen mussten. Denn Geschwister hat man ja hauptsächlich, um das eigene Leid in der Familie weniger absolut wirken zu lassen.

Zwanzig, vierzig, hundert Mal. Es gibt Dinge, die sollte man nicht ausgraben. Und schon gar nicht auftischen.

Läuft bei mir

Läuft bei dir« war 2014 in Deutschland das Jugendwort des Jahres. Wenn ich jetzt mal großzügig darüber hinwegsehe, dass das ja eigentlich überhaupt kein Wort ist, sondern eine Ellipse, also der verkrüppelte kleine Bruder des Satzes, glaube ich trotzdem niemandem, der wirklich jugendlich ist und so etwas zu anderen Jugendlichen sagt. In der Jugend läuft nämlich überhaupt nichts. Die Jugend ist der beschissene, unvermeidliche Wartesaal zwischen Flachbrüstigkeit und Gesieztwerden.

Die Zeit von zwölf bis sechzehn war für mich wie ein einziger pochender Tumor, durch den ich mich irgendwie wühlen musste. Die wenigen Jungen, die mich überhaupt interessierten, dachten, ich stünde auf Mädchen, und die Mädchen dachten, ich wäre ein Junge. Ich selbst war fest davon überzeugt, dass das komplette Leben gar nicht echt war, und wartete darauf, dass hinter dem nächsten Busch der Moderator von Verstehen Sie Spaß? hervorspringen würde, damit ich ihm ordentlich eine reinhauen könnte.

Während sich meine Weltansicht stündlich änderte, sah meine eiterdurchpflügte Haut konstant furchterregend aus. Mit einem Teppich aus triefenden Mortadellascheiben über einer langsam entstehenden Kraterlandschaft als Gesicht musste ich mir von allen Seiten anhören, dass dies »die beste Zeit des Lebens« sei und ich meine Jugend gefälligst genießen solle. Ich solle weniger Süßigkeiten essen, sagte man, und alle waren sich einig, dass das mit ein bisschen warmem Wasser, Seife und »ab und zu mal ’nem Apfel« wieder weggehen würde. Natürlich hätte ich mir auch dreizehn überfahrene Katzenföten aufs Gesicht legen, fünf saure Essiggurken bei Vollmond im Gegenuhrzeigersinn in den Popo drehen und aus voller Lunge Vicky Leandros’ »Ich liebe das Leben« singen können.

Die einzig schönen Momente waren die Phasen zwischen den Beulenwachstumsschüben. In regelmäßigen Abständen entleerte sich das Pockengeflecht auf meinem Gesicht nämlich, und die Haut platzte unter lautem Knacken. Ich möchte gar nicht zu sehr ins Detail gehen, aber: Es war ein geradezu durchchoreografiertes Sekretfeuerwerk. Am Schluss sah der Badezimmerspiegel jedes Mal aus wie ein Jackson-Pollock-Gemälde aus suppig gelbem Talg und blutigen Schlieren. In Sachen Eiter konnte man über mich eigentlich ganz ehrlich sagen: »Läuft bei dir.«

Fast noch schlimmer als das, was passierte, waren all die Dinge, die auf sich warten ließen. Als alle anderen Mädchen schon lange »richtige Frauen« waren, war ich immer noch so fruchtbar wie die Bergsteiger-Mumie Ötzi. Und so attraktiv wie DJ Ötzi. Ich stellte mir die Periode als eine Mischung aus Nasenbluten und Sich-unkontrolliert-in-die-Hose-Scheißen vor. Und ich war überzeugt davon, dass es bei mir tausendmal schlimmer sein würde als bei allen anderen. Während sie den Maler im Keller hatten, hätte ich dort mindestens den Metzger. Während ihre Tante Rosa nur zu Besuch kam, würde meine Tante mit einem ganzen Filmteam anreisen und ein europäisches Dorf-Remake des Texas Chain Saw Massacre drehen.

Was für Irre sind das also, die Sätze von sich geben wie »Läuft bei dir« und dabei komplett ignorieren, dass die Jugend doch die Blüte der Beschissenheit ist? Ist Erwachsenwerden heute so viel besser als noch vor wenigen Jahren? War ich vielleicht wirklich einfach ein Alien und das Leben eigentlich gar nicht so furchtbar schlimm? Zerstören WLAN – Hotspots Eiterbeulen im Gesicht?

Nein. Wahrscheinlich hatte ich sogar noch Glück, versuche ich mir einzureden. Wenn es bei mir nämlich beschissen war, dann wars halt einfach beschissen. Da wollte dann niemand von mir hören, dass es bei mir läuft. Da musste ich keine Fotos von mir so lange bearbeiten, bis man mir dafür ein Däumchen nach oben geben würde. Und die Beliebtheit des Einzelnen war noch daran messbar, zu wie vielen Geburtstagspartys er eingeladen wurde, und nicht an einer konkreten Zahl von unkonkreten virtuellen Freunden. Bis vor Kurzem wurde also gescheitert und geschwiegen, heute wird gescheitert und gelogen.

Jedem zahnbespangten Jungen mit wucherndem Flaum, tanzender Stimme und willkürlicher Erregung, jedem bucklig-beschämten Mädchen, das versucht, seine schmerzenden, wachsenden Kinderbrüste zu verstecken, möchte ich am liebsten einen Haufen Geld ins Gesicht schmeißen und schreien: »Da. Kauf dir was Schönes. Es wird so schnell nicht besser.«

Heute freue ich mich manchmal noch beim Aufwachen darüber, endlich nicht mehr in die Schule gehen zu müssen. Ich fahre mir dann mit den Fingern über mein trockenes Gesicht und den ein oder anderen Restpfropfen und denk mir dann ganz ehrlich: »Na ja. Langsam läuft bei mir so mittel.«

Ein echter Klassiker

Kleinkunst.« Ein bisschen klingt das wie eine Behinderung. »Habt ihr schon gehört? Die Hazel macht jetzt Kleinkunst.« – »Oh nein, warum das denn? Geht es ihr gut?« – »Sie scheint trotzdem recht glücklich zu sein. Das ist ja die Hauptsache.«

Das Brot des Kleinkünstlers sind der Applaus und das Geld des Publikums, sein Schicksal ist, dass er niemals einen echten Klassiker kreieren wird. Irgendwie schade, irgendwie auch total legitim.

Bald trete ich in der Tonhalle Zürich auf. Wieder mal so ein Experiment, wo Großkunst auf Kleinkunst trifft und man mich vermutlich urteilend beäugen wird, bis mir vor lauter Hochkultur ganz schummrig wird. Das ist, als würde sich der Sternekoch nachts heimlich ein kaltes Happy Meal reinstopfen. Schön angezogene Figuren, die von Konservatorium zu Conservatoire gepeitscht wurden, ihr Instrument so lange spielten, bis sie es zu hassen lernten, faule Genies und fleißige Motivierte, werden auf der Bühne brillieren. Und als Opening Act: ich, die ich stetig davon ablenken muss, dass seit dem Schulabschluss bildungstechnisch rein gar nichts mehr mit mir passiert ist.

Kleinkunst eben, der flüchtige Furz im Universum des Kulturgeschehens.

Und es stimmt. Ein Kabarettist ist kein Orchester, eine Comedy-CD kein Bild von Gerhard Richter. Und Facebook-Likes sind als Währung nicht annähernd so hart wie aufgeweichte Feuilletonworte. Es wird die Welt auch sicher nicht verändern, wenn ich abends um halb sieben im Dezember, kurz bevor Tschaikowski einsetzt, sichtlich unwohl ein paar sudelige Worte zum Besten gebe. Schließlich bin ich keine Marina Abramovi´c, die im New Yorker MoMA stundenlang darüber schweigt, wie Frauen im Balkan ihre Vulva in den Regen halten – das ist Hochkultur, Baby, und wehe, einer lacht!

Die Komödie hat zu Recht eine viel kleinere Halbwertszeit als der Pinselstrich auf dem Sarg des Pharaos. Weil Lustigsein den aktuellen Zeitgeist einfängt und selten die großen, urmenschlichen Fähigkeiten, die auf ein gesamtes Weltbild schließen lassen. Emil Steinberger ist zwar wieder erfolgreich mit seinen Klassikern unterwegs, aber in dreitausend Jahren wird auch eine solide einstudierte Emil-Nummer nicht mehr funktionieren.