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Nr. 2870

 

Die Eiris-Kehre

 

Endspiel bei Tombaugh's Rock – Perry Rhodan trifft eine schwerwiegende Entscheidung

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Perry Rhodan ist von einer Expedition in vergangene Zeiten in die Gegenwart zurückgekehrt. Diese wird nicht nur von der Herrschaft der Atopen bedroht, sondern auch durch die brutalen Tiuphoren, die durch einen Zeitriss aus tiefster Vergangenheit zurückgekehrt sind. Immerhin scheint mit dem ParaFrakt eine Abwehrwaffe gefunden zu sein.

Doch zwei weitere Gefahren drohen der Menschheit: Eine Perforationszone bewegt sich direkt auf das Solsystem zu – und der gesamte Einflussbereich der Superintelligenz ES durchläuft eine EIRIS-KEHRE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan und Gucky – Die Aktivatorträger gehen bis dicht an die Grenzen ihrer Fähigkeiten.

Sui Dean – Die Habitat-Architektin bekommt es mit außergewöhnlichen Kollegen zu tun.

Ovaron Kilmacthomas – Der Terraner aus der Zukunft lässt sich auf einen Handel ein.

Benya Roshi – Der Kommandant über eine Gruppe von Individualisten erhält unerwünschten Besuch.

»Siebentausendfünfhundert Millionen Kilometer jenseits von Sol liegt Tombaugh's Rock. Jenseits von Tombaugh's Rock liegt nichts.«

Inschrift über dem Eingang zur Bar jeder Hoffnung

 

»Sehr groß und weit ist das Universum und vorwiegend schrecklich. Schrecklich leer, aber auch voll der Wunder: Winzige Eilande treiben, zitternd wie Seifenblasen, in der kalten, kalten Unendlichkeit.

Dünn gesät, von enormen Distanzen getrennt, ohne nennenswerten Schutz den kosmischen Gewalten preisgegeben, trotzen sie gleichwohl, hoffnungslos optimistisch, Tag für Tag aufs Neue der tödlichen Ödnis des Alls. Verstreute Oasen, Asyle, Hospize, Refugien ...

Ihre Bewohner wissen meist wenig bis gar nichts voneinander. Ebenso ignorant missachten sie die Gefahren, die alle zusammen bedrohen.

Kaum einer versteht, die Zeichen zu erkennen, geschweige denn, diese zu deuten.«

Levian Paronn (Tagebuch, wiederhergestellt)

 

 

Prolog

Die Neue

 

Ein Mann saß auf einem Felsbrocken im Weltall.

Um ihn war absolute Stille. Er hatte das Außenmikrofon des Raumanzugs nicht abgeschaltet. Dennoch störte kein noch so leises Geräusch das ewige Schweigen des Vakuums.

Von seinem Beobachtungsposten aus war Sol ein etwas hellerer Stern unter vielen; unzählbar vielen. Quer durchs Sichtfeld zog sich das Silberband der Milchstraßen-Hauptebene.

In welcher Richtung sein Heimatplanet lag, wusste der Mann nur ungefähr. Die Erinnerung daran verblasste. Er war lange nicht mehr dort gewesen.

Obwohl er Terraner war und im Dienst der LFT stand, fehlte ihm Terra nicht.

Das Multikom am linken Unterarm blinkte. Er legte den Handschuh der Rechten darüber und deckte das Blinken ab.

Der Mann schloss die Augen und atmete ein, aus, ein, aus. Was auf ihn zukam, ließ sich nicht aufhalten. Damit musste er sich abfinden, ob es ihm schmeckte oder nicht.

Als er die Augen wieder öffnete, war einer der Lichtpunkte größer geworden. Rasch schwoll er weiter an und vervielfältigte sich, als glitte ein Sternbild lautlos auf den Felsen im Nichts zu.

Seufzend aktivierte der Mann das Multikom.

Eine hohe, etwas undeutlich artikulierende Stimme sagte: »Benya? Bist du da draußen?«

»Wo sollte ich sonst sein?«

»Das Zubringerschiff ist im Anflug.«

»Ich kann es sehen.«

»Sie sind eine halbe Stunde früher dran als angekündigt.«

Überpünktlich. Das auch noch. »Macht die Andockstelle klar. Ich komme gleich.«

»Aber bitte wirklich. Es wäre unhöflich und kein guter Einstand, wenn der Kommandant ...«

»Ja doch. Bin schon unterwegs.« Benya Roshi stand auf, ohne dabei den Anfängerfehler zu begehen, sich zu stark abzustoßen. An der Außenseite des Trümmerstücks herrschte nahezu Schwerelosigkeit.

Selbstverständlich hätten Mikropositronik und Gravo-Paks des SERUNS sofort korrigierend eingegriffen. Benya zog es jedoch vor, sich nicht fremdgesteuert zu bewegen, und wann immer möglich aus eigener Kraft.

Mit kontrollierten, weiten Sätzen überquerte er einen ausgedehnten, von zahlreichen Spalten zerklüfteten Gletscher, den eine Hügelkette säumte. Auf der Kuppe der höchsten Erhebung lag Benyas Ziel, die Zugangsschleuse.

Während er, mehr schwebend als laufend, den vollständig vereisten, spiegelglatten Hang überwand, näherte sich das anfliegende Schiff rasch: ein Frachter mit Abmessungen vergleichbar der terranischen MINERVA-Klasse, der mitsamt dem kantigen Ringwulst 240 Meter durchmaß.

Die TREMAINE klapperte in regelmäßigen Abständen die transneptunischen Stützpunkte der LFT ab. Benya Roshi und seine Bastion besuchte sie dabei normalerweise nicht, da weder Waren- noch Personalaustausch vonnöten war.

Normalerweise.

Diesmal aber brachte sie Fracht, auf die Benya lieber verzichtet hätte.

 

*

 

Sui Dean verabschiedete sich von Bobin, dem Steward, und bedankte sich für die hervorragende Betreuung. »Du hast mir das Gefühl gegeben, auf einer Erholungsreise zu sein.«

»Nichts zu danken. Ich tue nur meinen Job, und das gerne«, antwortete der junge Ferrone, den neben perfekten Manieren auch ein sehr knackiger Hintern auszeichnete. »Außerdem hast gerade du es ganz besonders verdient, verwöhnt zu werden. Vor dir liegt alles andere als ein Urlaub.«

»Den hat mir ohnehin niemand versprochen. Im Gegenteil, so gut wie jeder versuchte, mir die Stelle auf Tombaugh's Rock wieder auszureden.«

»Trotzdem trittst du sie an.«

»Auch ältere Damen suchen Herausforderungen ...« Sie zwinkerte ihm zu, was er mit einem entzückenden, halb schamhaften, halb verschwörerischen Lächeln erwiderte.

Dieses harmlose Flirten würde sie vermissen, das wusste Sui bereits in diesem Moment. »Hier steigt wirklich niemand außer mir aus?«

Bei den bisherigen Zwischenstationen hatten jedes Mal zahlreiche Passagiere die TREMAINE verlassen, und war es nur für ein paar Stunden. Darum dauerte die Reise ja so lange, trotz der geringen Distanzen: Es war der reinste Bummelflug durch den Kuiper-Edgeworth-Gürtel.

Bobin lachte hellauf. »Garantiert nicht. Auf Tombaugh's Rock hat niemand Verwandte, Geschäfts- oder sonstige Partner. Und die Besatzung vergrault selbst die leidensfähigsten Touristen binnen weniger Minuten. So etwas spricht sich rum.«

Soeben erschienen auf den Holoschirmen der Passagierlobby Livebilder der Außenbordkameras. Sie zeigten den Himmelskörper, der Suis neues Zuhause sein würde – und zwar für mindestens drei Monate. Früher kam die TREMAINE nicht wieder vorbei.

Sui hatte sich gründlich über Tombaugh's Rock informiert. Trotzdem wurde sie nun ein wenig nervös, als sie den unregelmäßig geformten, unwirtlichen, mehrheitlich von ewigem Eis bedeckten Gesteinsklumpen sah, den die TREMAINE im Landeanflug umkreiste.

Über alles etwa 175 Kilometer lang und mit einem Durchmesser von bis zu vierzig Kilometern, war der annähernd zapfenförmige Splitter einer der größten, die von Pluto nach dessen Zerstörung im Zusammenhang mit der Invasion der Takerer im Jahre 3438 Alter Zeitrechnung verblieben waren. Sämtliche Überreste bildeten seitdem einen ausgeprägten Asteroidenring in der ehemaligen Umlaufbahn des Zwergplaneten.

Tombaugh's Rock, benannt nach dem antiken Astronomen, der Pluto entdeckt hatte, war von den größeren Trümmern am weitesten nach außen gedriftet. Deshalb hatte es sich angeboten, darauf eines der Raumforts zu errichten, welche die Peripherie des Solsystems sichern sollten.

Im starken Scheinwerferlicht des Frachtschiffes zeigte die Oberfläche bizarre, blauweiß schimmernde oder spiegelnde Geländeformationen, die von Tümpeln aus blassrotem Stickstoff-Staub aufgelockert wurden. Sui sah nur wenige künstlich geschaffene Aufbauten, hauptsächlich Geschützkuppeln und -türme.

Eine Art Landezone schob sich ins Bild; »Raumhafen« wäre zu viel der Ehre für diese einzige größere, einigermaßen ebene Fläche gewesen. In den Boden waren kreisförmige Andockflansche eingelassen. Die TREMAINE hielt auf den größten davon zu, ging tiefer, setzte auf.

»Es ist so weit. Mach's gut, Bobin!«

»Du auch, Sui. Viel Glück!«

Sie ahnte, dass sie das brauchen würde ... Leuchtsignale zeigten an, dass ein Verbindungsgang zwischen der Bodenschleuse und dem Inneren des Pluto-Fragments errichtet worden war.

Gefolgt von dem Schwebecontainer, der ihre Arbeitsutensilien und Privatsachen enthielt, durchschritt Sui Dean den schmucklosen, schmutzig grauen Korridor. Eine weitere Schleuse, eine weitere, jähe Änderung des Schwerkraftvektors, dann stand sie ihrem Empfangskomitee gegenüber.

Ein hochgewachsener, breitschultriger Hüne, möglicherweise ein Ertruser-Mischling, salutierte zackig und schmetterte abgehackt: »Willkommen auf Tombaugh's Rock!«

Er trug die prunkvollste Uniform, die Sui je gesehen hatte, über und über bedeckt mit Orden und Rangabzeichen mindestens eines Flottenadmirals. Links flankierte ihn eine umso schmuddeligere, humanoide Gestalt in einem fleckigen Arbeitsmantel, rechts ein Matten-Willy.

»Äh ... Hallo. Stützpunkt-Kommandant Roshi, nehme ich an?« Sui streckte ihre Hand aus.

»Das bin ich«, korrigierte missmutig der gedrungene, etwas verwachsen Wirkende zur Linken. Er machte keine Anstalten, die Hände aus den Manteltaschen zu nehmen. »Und du bist ...?«

 

*

 

»Habitat-Architektin Sui Dean. Ich komme im Auftrag von Sykonpha.«

»Hm. Dass eine Expertin des Syndikats zur Konstruktion planetarer Habitate bei uns herumschnüffeln möchte, wurde uns mitgeteilt«, sagte Benya. »Aber nicht, warum.«

Die blässliche Frau, deren helmartige, streng fixierte, brünette Frisur von grauen und weißen Strähnen durchzogen war, öffnete den Mund zur Antwort.

Doch Melba war schneller, brüllte: »Neuzugang identifiziert. Abteilung – ruht!«, und stampfte krachend mit dem Stiefel auf.

Dean war sichtlich erschrocken, fasste sich jedoch sogleich wieder. »Ich, äh... bin in ein Projekt mit dem Namen Shalim eingebunden.«

»Shalim, shalim«, nuschelte Ödögö und kratzte sich mit einem Pseudopodium zwischen den Augenstielen. »Woran erinnert mich das bloß? – Oh pardon, ich wollte dich nicht unterbrechen. Bitte, fahre fort!«

»Sykonpha plant ein neues Großhabitat für einen der Lagrange-Punkte der Umlaufbahn meiner Heimatwelt, der Venus. Ich soll ein Gutachten erstellen, ob und inwieweit Tombaugh's Rock als Kern eines neuen Habitats taugen würde.«

Etwas in diese Richtung hatte Benya befürchtet. Ohne sein Missfallen zu verbergen, fragte er: »Wieso denkt unser Oberkommando auch nur darüber nach, dieses Raumfort an das Syndikat zu übergeben? Unsere Waffensysteme mögen nicht die allerneuesten sein, aber sie gehören zu den stärksten im ganzen Gürtel.«

»Vielleicht ist ja ein moderneres Fort in Planung.« Die Venusierin hob die Schultern. »Keine Ahnung. Ich bin nicht in militärische Geheimnisse eingeweiht.«

»Richtig so!«, blaffte Melba, sodass Dean erneut zusammenzuckte. »Weitermachen!«

Kurz erwog Benya, seine Begleiter vorzustellen und den Neuankömmling über deren Eigenheiten aufzuklären. Aber dann dachte er: Das soll Frau Wichtig selbst herausfinden. Wozu ist sie Gutachterin?

Laut sagte er: »Ich vermute mal, dass du im Vorfeld über Tombaugh's Rock recherchiert hast.«

»Das stimmt.« Ihr Gesicht war zu puppenhaft makellos, um wirklich attraktiv zu erscheinen. Die Körperspannung ließ Rückschlüsse auf einen verklemmten Charakter zu, wie er für Kontrollfreaks typisch war.

Nicht sein Fall. Ganz abgesehen davon, dass Benya Roshi seit Jahrzehnten an nichts und niemandem sexuelles Interesse hatte. »Aber du willst dir bestimmt vor Ort ein Bild machen.«

»Ich muss. Mir wurde Kartenmaterial über die aktuellen Verteidigungsanlagen sowie einige Relikte der älteren, subplanetaren Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Letzteres ist allerdings unvollständig. Hättet ihr vielleicht ...«

Benya sah aus dem Augenwinkel, dass Funkoffizier Ödögö, der Matten-Willy, ein Sprechorgan ausbildete, und kam ihm zuvor. »Hör mal, wir können nicht verhindern, dass du dich hier herumtreibst. Aber erwarte nicht, dass wir dich dabei unterstützen.«

Jetzt wird sie gleich darauf pochen, dass ihr vonseiten des Flottenkommandos Kooperation zugesichert worden ist.

Aber Dean überraschte ihn, indem sie stattdessen amüsiert einen Mundwinkel hochzog und leise, jedoch mit Betonung, sagte: »Hör du mal zu, Kommandant. Mir ist völlig klar, dass du ein Gegner des Sykonpha-Projekts bist. Du und deine zwei Handvoll Verschworener, ihr wollt eure selbst gewählte Eremitage nicht verlieren. Das kann ich nachvollziehen.«

Widerwillig nickte er. Immerhin brachte sie Verständnis für seine Position auf.

»Ich bin nicht eure Feindin«, setzte sie fort. »Außerdem wäre ich gar nicht dazu autorisiert, eine Entscheidung zu treffen, wie es mit Tombaugh's Rock weitergehen soll. Das können nur die Verantwortlichen auf Terra beschließen. Ich werde bloß Fakten liefern.«

»Fakten!«, blaffte Melba. »Fakten, Fakten, Fakten! Wer so anfängt, hat längst verloren. Ab-tei-lung – kehrt!« Die schwungvolle, wiewohl im Endeffekt etwas wacklige Drehung um zirka 180 Grad ging nicht ohne heftiges Getrampel ab.

Benya Roshi hätte einlenken können. Nüchtern betrachtet, lag die ungebetene Besucherin nicht völlig falsch.

Aber im spärlichen Licht der weit entfernten Sonne, deren Leuchtkraft immerhin noch ein Mehrfaches des von Terra aus betrachteten Erdmondes betrug, schlugen die Gebirgszinnen von Tombaugh's Rock lange Schatten. Zu lange, als dass Benya hätte darüberspringen mögen.

Daher sagte er abschließend: »Du hast Pläne, also findest du dich zurecht. Im bewohnbaren Bereich stehen Hunderte Räume leer. Such dir einen davon aus, niste dich ein. Bleib, von mir aus; solange es halt unbedingt nötig ist, um deinen Job zu erledigen. Nur lass bitte mich und meine Leute in Frieden!«

»Das«, erwiderte die Venusierin, »kann ich nicht versprechen.«

Während er sich zum Gehen wandte, sagte Benya Roshi grollend, um einige Dezibel drohender, als er es beabsichtigt hatte: »Komm lieber keinem von uns in die Quere, altes Mädchen. Sonst wirst du sehen, was du davon hast.«

1.

Einladung zum Rendezvous

21. Oktober 1518 NGZ

 

Perry Rhodan nahm einen dringlichen Hyperfunkanruf von Tonio Bonzani entgegen, dem Kommandanten des PONTON-Tenders GALILEO GALILEI. »Sei gegrüßt. Was gibt's?«

»Neue, bedenkliche Entwicklungen.«

»Sag an!« Innerlich wappnete sich Rhodan gegen eine weitere Hiobsbotschaft.

Die RAS TSCHUBAI, sein Omniträgerschiff, mit dem er intergalaktische Distanzen und zweimal eine Zeitspanne von nicht weniger als zwanzig Millionen Jahren überwunden hatte, folgte dem Tender, der den Transporthof GALILEI in Richtung Tombaugh's Rock beschleunigt hatte. Mittlerweile war der Hof vollständig in einen fremdartigen, unbestimmbaren energetischen Kokon eingesponnen und kaum noch anzumessen. Die Ortungsabteilung des PONTON-Tenders konnte davon nicht mehr übermitteln als ein flüchtiges, milchiges Wabern.

Bonzani, ein laut Flottenstatistik fünfzigjähriger, auf Titan geborener Terraner, in dessen dunklen Pupillen jenes gewisse Etwas funkelte, das geborene Führungsoffiziere auszeichnete, antwortete knapp: »Jemand wünscht, mit dir Verbindung aufzunehmen.«

»Ah. Wer? Und von wo aus?«

»Das ist es ja: aus dem Polyport-Hof!«

Rhodan war reaktionsschnell – und nicht leicht zu schockieren. Nicht umsonst hatte man ihn schon zur Frühzeit des Aufbruchs der Terraner zu den Sternen als Sofortumschalter betitelt.

Aber Gucky war dieses Mal schneller. »Gibt's da jetzt eine Kommunikationsmöglichkeit zu GALILEO«, piepste er schrill, »oder gibt es keine?«

»Für uns«, sagte Bonzani trocken, »ist der Polyport-Hof nach wie vor nicht vernünftig erfassbar. Gleichwohl hat uns jemand aus dieser Richtung ange...« Er hüstelte. »Normal- oder Hyperfunk kann man das laut meinen Ortungsoffizieren nicht nennen. Jedenfalls, der Absender wollte vordringlich wissen, ob du, Perry, noch lebst.«

»Was hast du geantwortet?«

Damit entlockte Rhodan dem Kommandanten des Tenders ein ebenso ton- wie humorloses Lachen. »Ich überspiele dir den Mitschnitt.«

 

*

 

Das Holo wechselte.

Es zeigte nun einen überschlanken, fragilen Humanoiden, dessen marmorweißer Schädel unbehaart und von einem kunstvoll wirkenden, tintenblauen Muster gezeichnet war. Reliefartig; eher ein Bewuchs als eine Tätowierung.

»Mein Name ist Ovaron Kilmacthomas«, sagte der Fremde mit wohltemperierter Stimme, in einem Interkosmo, das völlig akzentfrei und doch irgendwie verfälscht klang.

Kilmacthomas?, dachte Rhodan. Da war doch etwas gewesen ... Und als Vorname ausgerechnet – Ovaron?

»Ich bin ein Präterital-Kontaktler der INSTANZ.« Seine weinrote, ärmellose Montur mutete zeitlos schlicht und dennoch hypermodern an. Die schlanken Hände steckten in transparenten Handschuhen. Winzige Bewegungen und fließende, interne Umschichtungen erweckten den Eindruck, als schaute man in das Innere einer komplizierten Maschine.

»Etwa so«, hauchte Gucky, hörbar fasziniert, »könnte das Äquivalent unserer SERUNS in ferner Zukunft aussehen. Falls endlich wieder mal was weiterginge mit der terranischen Technologie.«

»Pst!« Perry Rhodans Gedanken rasten. Eine ganze Serie von Assoziationen stürmte auf ihn ein.

Zudem beeindruckte ihn der mysteriöse Mann im Holo. Dessen Augen waren groß und ausdrucksstark und leuchteten intensiv grünlich. Ein ebenso strahlendes, zwei Finger breites Band zog sich von Schläfe zu Schläfe. Es wirkte, als gewährte es Einblick in den Schädel und seltsame, dort schwebende technische Zusatzorgane.

»Der kommt aus der Zukunft«, zischte Gucky. »Jede Wette!«

In der Tat deutete einiges darauf hin: Eine sogenannte INSTANZ von fremdartigen Wesen, die aus einer mindestens fünf Milliarden Jahre entfernten Zukunft stammten, war in die Krise involviert gewesen, die zur Abschaltung des Polyport-Netzes geführt hatte. Und der Kommandant des terranischen Kolonistenraumers, der während einer Transition mit dem Schiff der INSTANZ kollidiert war, hatte Tyrone Kilmacthomas geheißen ...

»Ich bin hier, um die Menschheit dieses Äons vor der Eiris-Kehre zu warnen«, sagte der Kilmacthomas im Holo. »Lebt Perry Rhodan noch?«

Aus dem Off erklang Tonio Bonzanis Antwort. »Ja.«

»Befindet er sich in Kontaktreichweite?«

Abermals bejahte Bonzani.

»Dann unterrichte ihn bitte davon, dass ich ihn so bald wie möglich treffen möchte. Es ist sehr wichtig.«

»Könntest du vielleicht ein wenig deutli...«

»Vergeude keine Zeit! Perry Rhodan erreicht mich über den Polyport-Hof. Ich danke dir.«

Das Holo erlosch und blendete gleich darauf wieder um in die Zentrale der GALILEO GALILEI.

 

*

 

»Das war's«, sagte Tonio Bonzani. »Darf ich fragen, wie du zu reagieren gedenkst?«

»Was empfiehlst du?«

»Auf keinen Fall würde ich versuchen, an Bord des Polyport-Hofs zu gehen. Oder gar dorthin zu teleportieren.«

»Pffft!«, machte Gucky, ließ es jedoch bei dieser Missfallensäußerung bewenden. Teleportationen in Richtung hyperphysikalisch indifferenter Ziele hatte der Ilt bereits mehr als einmal bitter bereut.

»Was hältst du von dem so unvermutet aufgetauchten Fremden?«, fragte Rhodan den Tender-Kommandanten.

»Offen gesagt, ist mir der Kerl hochgradig suspekt. Ich meine, wir erreichen den Transporthof nicht mal mehr ortungstechnisch, und unsere Einsatzteams konnten nur mit Ach und Krach entkommen, bevor er sich abgekapselt hat. Hingegen Kilma...dingsbums ...«

»Kilmacthomas«, half Rhodan aus.

»Wie auch immer. Der Kerl scheint sich dort pudelwohl zu fühlen! Da liegt wohl der Verdacht nahe, dass er etwas mit den jüngsten, signifikanten Veränderungen zu tun hat. Falls er nicht sogar selbst der Auslöser war.«

»Rein gefühlsmäßig glaube ich das zwar nicht, aber du hast völlig recht: Wir dürfen diese Möglichkeit beim jetzigen Wissensstand nicht ausschließen. Andererseits sind ein paar Stichwörter gefallen, die es unerlässlich machen, dass ich der Einladung demnächst Folge leiste.«

»Nämlich? Es wäre nett und eventuell hilfreich, wenn du einen unbedeutenden Untergebenen einweihen könntest.«

Perry Rhodan schmunzelte. »Ich schicke dir in Kürze ein Dossier. Vorher muss ich jedoch noch ein paar Dinge klären. Dann werden wir auch wieder Kontakt mit Ovaron Kilmacthomas aufnehmen.«

»Um was zu vereinbaren?«

»Ein Rendezvous. Allerdings nicht im Transporthof; da stimme ich dir voll und ganz zu.«

»Sondern wo?«

»Rate mal.«

»Raten im Sinne von mutmaßen, oder ... Oh. Na logisch. Tombaugh's Rock, nicht wahr? Auf unserem eigenen Terrain.«

»Unser kleiner Konvoi ist so gut wie dort. – Irgendwelche Einwände?«

»Nein, nicht im Mindesten. Das Raumfort ist nicht das jüngste, und über die Rumpfbesatzung kursieren allerlei Gerüchte. Sinngemäß: lauter ...« Bonzani wischte vielsagend mit der Handfläche vor dem Gesicht auf und ab. »Aber wenigstens könnten wir die paar Leutchen notfalls ruckzuck evakuieren und die Waffensysteme fernsteuern.«

»Zumal diese stark genug wären, um den Transporthof, falls davon Gefahr ausgehen sollte, mittels gestaffelter Energieschirme von der Außenwelt zu isolieren.«

»Ihn aus dem Raumzeit-Kontinuum zu ballern geht ja leider nicht.«

»Das hat schon die Frequenz-Monarchie vergeblich probiert«, bestätigte Rhodan.

Die Polyport-Höfe bestanden aus Formenergie und schluckten alles, was an energetischer Wirkung auf ihrer Oberfläche ankam.

Man hätte einen Hof sogar im Zentrum einer Sonne parken können. Nachhaltigen Schaden nähme er nicht. Die auftreffende Energie würde einfach in den Hyperraum abgeleitet.

»Gut«, sagte Tonio Bonzani. »Sonstige Anweisungen?«

»Haltet die Ohren steif. Und bleibt wachsam. Die Gemengelage scheint momentan verworren, aber ich bin zuversichtlich. Wir kriegen das hin.«

Der Tender-Kommandant feixte und tippte sich salopp an die Schläfe. »So oder so. Bonzani, over. «

 

*

 

Kaum war sein Bild verblasst, ging der nächste Funkanruf ein.

Perry Rhodan grüßte das Holo der Solaren Premier, die zur Residentin der Liga Freier Terraner aufgestiegen war. »Cai.«

»Perry.« Sie deutete ein Kopfnicken an.