Über Christopher Morley

Christopher Morley (1890-1957), ein Amerikaner mit englischem Humor und englischen Wurzeln, war Mitbegründer der Saturday Review of Literature, die er von 1924 bis 1940 leitete, und schrieb für die New York Evening Post.Er ist Autor von mehr als 50 teils belletristischen, teils Sachbüchern und zahlreichen Essays.

 

Ein Brief an David Grayson, Esq. Gempfield, USA.

 

Sehr geehrter Mr. Grayson,

 

obwohl mein Name auf der Titelseite dieses Buches steht, ist die eigentliche Verfasserin Miss Helen McGill (die jetzige Mrs. Mifflin), die mir die ganze Geschichte in ihrer unnachahmlich lebhaften Art erzählt hat. Und in ihrem Namen möchte ich Ihnen auch diese wenigen Worte der Anerkennung übermitteln.

Mrs. Mifflin, das brauche ich wohl kaum zu betonen, ist keine routinierte Schriftstellerin. Dies hier ist ihr erstes Buch, und ich zweifle, ob sie jemals ein zweites schreiben wird. Ich glaube, sie weiß auch gar nicht, wie viel diese Geschichte Ihren köstlichen Arbeiten verdankt. Auf ihrem Tisch in der Sabine Farm lag stets ein abgegriffenes Exemplar der »Abenteuer eines Zufriedenen«, und ich habe oft gesehen, wie sie nach einem langen Arbeitstag in der Küche kichernd darin las. Oft sagte sie auch, dass die Geschichte von Ihnen und Harriet sie stets an sie selbst und Andrew erinnere. Sie murmelte dann etwas von »Abenteuer einer Unzufriedenen« und fragte, warum das Ganze nicht auch einmal vom Standpunkt Harriets aus erzählt worden sei. Als nun ihr eigenes Abenteuer begann und sie schließlich gedrängt wurde, es zu Papier zu bringen, nahm sie ganz unbewusst etwas von der Ihnen eigenen Art und Weise zu schreiben an.

Sicherlich werden Sie, verehrter Mr. Grayson, eine so unschuldige Anerkennung Ihrer Arbeit nicht zurückweisen. Auf jeden Fall wird Miss Harriet Grayson, deren ausgezeichnete Eigenschaften wir alle schon so lange bewundern, in Mrs. Mifflin eine verwandte Seele finden.

Mrs. Mifflin hätte Ihnen all das auch selbst in der ihr eigenen klaren und bestimmten Sprache gesagt, wenn sie nicht ganz außer Kontakt mit ihrem Verleger wäre. Sie und der Professor fahren in ihrem Parnassus irgendwo die Landstraße entlang und huldigen dem göttlichsten Zeitvertreib, den ein Mensch haben kann: Sie verkaufen Bücher. Und ich stelle mir vor, dass sie keine anderen Bände mit größerem Vergnügen empfehlen werden als jene erbaulichen, aufmunternden Bücher, die Ihren Namen tragen.

Ich verbleibe, sehr geehrter Mr. Grayson, mit den herzlichsten Grüßen

 

Ihr getreuer

Christopher Morley.

Erstes Kapitel

Ich frage mich, ob in der höheren Bildung nicht auch viel Unsinn steckt. Mir ist noch nie aufgefallen, dass Leute, die über Logarithmen und andere Formen der Dichtkunst Bescheid wissen, deshalb schneller Geschirr abwaschen oder Socken stopfen können. Ich habe, wenn ich Zeit dazu hatte, selber ziemlich viel gelesen und will nichts gegen Leute sagen, die Bücher lieben, aber ich kenne viele Menschen, die einmal tüchtig und praktisch waren, aber durch zu viel feines Druckwerk verdorben worden sind. Wenn ich Sonette lese, bekomme ich auch immer gleich Schluckauf.

Ich, die ich zu meiner Überraschung ein Buch geschrieben habe, wollte niemals Schriftstellerin werden, aber ich glaube, dass die Geschichte von Andrew und mir, und wie Bücher unser behagliches Leben zerstörten, unterhaltsam genug ist, um erzählt zu werden. Als Johannes Gutenberg, dessen wirklicher Name (so sagt der Professor) Johannes Gensfleisch war, sich das Geld ausborgte, um seine Druckerpresse aufzustellen, ahnte niemand, wie viel Unheil er damit über die Welt bringen würde.

Bevor Andrew Schriftsteller wurde, verlebten wir auf unserer Farm nur glückliche Tage, und ich hätte sein erstes Manuskript bestimmt im Küchenofen verbrannt, wenn ich damals geahnt hätte, was seine Schreiberei für Unannehmlichkeiten mit sich bringen sollte.

Andrew McGill, der Autor jener Bücher, die alle Welt liest, ist mein Bruder. Mit anderen Worten, ich bin seine Schwester – seine um zehn Jahre jüngere Schwester. Vor Jahren war Andrew Geschäftsmann, aber er begann zu kränkeln und floh – wie so viele Leute in Romanen – aufs Land, oder, wie er sagte: »an den Busen der Natur«. Andrew und ich waren die letzten Nachkommen einer ziemlich erfolglosen Familie. Ich war nahe dran, als allzu gewissenhafte Erzieherin im Sandsteinmeer von New York unterzugehen. Er aber rettete mich davor. Wir kauften mit unseren Ersparnissen eine Farm und wurden richtige Bauern. Wir standen mit der Sonne auf und gingen mit ihr zu Bett. Andrew trug Overalls und bunte Flanellhemden und wurde braun und zäh. Meine Hände wurden durch Seifenlauge und Frost rot und blau; jahrelang sah ich nicht einmal die Reklame eines Kosmetiksalons. Meine Küche wurde zu einem Schlachtfeld, auf dem ich mit zusammengebissenen Zähnen die harte Arbeit lieben lernte. Unseren Lesestoff bildeten Regierungsberichte über Ackerbau, Bücher über Naturheilkunde, Broschüren für den Sämann und Preislisten für landwirtschaftliche Geräte. Wir abonnierten die Zeitschrift Hof und Heim und lasen einander den Fortsetzungsroman vor. Hie und da, wenn wir etwas wirklich Spannendes wollten, lasen wir auch das Alte Testament, so zum Beispiel das heitere Buch Jeremia, von dem Andrew geradezu begeistert war. Die Arbeit auf der Farm brachte nach einiger Zeit tatsächlich Erfolg. Andrew pflegte sich bei Sonnenuntergang an den Zaun zu lehnen, der die Weide umschloss, und an der Art, wie seine Pfeife brannte, das Wetter für den nächsten Tag abzulesen.

Wir waren also, wie gesagt, sehr glücklich – bis Andrew den unglückseligen Einfall hatte, der Welt zu erzählen, wie glücklich wir waren. Leider muss ich zugeben, dass er schon immer eine Art Büchernarr gewesen war. Auf der Universität hatte er die Studentenzeitung herausgegeben, und wenn ihm jetzt manchmal der Hof und Heim-Fortsetzungsroman nicht gefiel, dann holte er die gebundenen Exemplare jenes Blattes und las mir einige seiner Jugendgedichte vor. Dabei brummte er, dass er eines Tages wieder selbst schreiben würde. Mich interessierten brütende Hennen mehr als Sonette, und ich muss gestehen, dass ich diese Drohungen nicht sehr ernst nahm. Dann starb Großonkel Philipp, und wir erbten eine Wagenladung Bücher. Großonkel Philipp war Universitätsprofessor gewesen. Er hatte den kleinen Andrew sehr gern gehabt und ihm später das Studium ermöglicht. Wir waren seine einzigen Verwandten, und so erhielten wir eines schönen Tages seine Bücher. Ich ahnte nicht, dass das der Anfang vom Ende war. Andrew hatte großen Spaß daran, in unserem Wohnzimmer Bücherregale zu bauen; damit jedoch noch nicht zufrieden, verwandelte er anschließend den alten Hühnerstall, wo er einen Ofen aufstellte, in ein Lesezimmer, in dem er abends saß, wenn ich schon schlafen gegangen war. Dann änderte er den Namen unseres Hauses. Er nannte es Sabine Farm (obwohl der Hof seit Jahren als »Sumpfloch« bekannt war), weil er das für »literarisch« hielt. Wenn er nach Redfield hinüberfuhr, um etwas einzukaufen, nahm er jetzt gewöhnlich ein Buch mit. Manchmal kam der Wagen nun zwei Stunden später nach Hause. Andrew hatte unterwegs gelesen und gar nicht bemerkt, dass die alte Mähre einen falschen Weg einschlug.

Ich machte mir aber über all das nicht viel Gedanken, denn ich bin eine gutmütige Frau, und solange Andrew die Farm in Gang hielt, war mir alles recht. Ich hatte ja genug zu tun. Frisches Brot und Kaffee, Eier und Eingemachtes zum Frühstück, Suppe und Braten, Gemüse, Knödel, Sauce, Schwarz- und Weißbrot, Preiselbeerpudding, Schokoladenkuchen und Buttermilch zum Mittagessen, Muffins, Tee, Wurstsemmeln, Brombeeren mit Sahne und Krapfen zum Abendessen … Das ist so ungefähr das Menu, das ich jahrelang täglich zubereitete. Ich hatte gar keine Zeit, mir über Dinge, die mich nichts angingen, den Kopf zu zerbrechen.

Dann erwischte ich Andrew eines Morgens dabei, wie er ein großes, flaches Paket für den Postboten verschnürte. Er schaute dabei so betreten drein, dass ich ihn einfach fragen musste, was er da fortschicken wollte.

»Ich habe ein Buch geschrieben«, sagte Andrew und hielt mir ein Blatt vor die Augen, auf dem zu lesen war:

DAS WIEDERGEWONNENE PARADIES

von

Andrew McGill

Sogar darüber war ich noch nicht sehr beunruhigt, weil ich davon überzeugt war, dass es niemand drucken würde. Aber – heiliger Himmel! – ungefähr vier Wochen später schrieb ein Verleger, dass er es – annehmen wollte! Hier ist der Brief, den Andrew einrahmen ließ und noch heute über seinem Schreibtisch hängen hat. Nur um zu zeigen, wie so ein Brief lautet, schreibe ich ihn ab:

 

Verlag Decameron, Jones & Co.

Union Square, New York

13. Januar 1907

 

Sehr geehrter Mr. McGill!

 

Mit besonderer Freude haben wir Ihr Manuskript »Das wiedergewonnene Paradies« gelesen. Wir zweifeln nicht daran, dass ein derartig geistreicher Bericht über die Freuden des gesunden Landlebens den Beifall des Publikums finden wird, und würden uns freuen, das Buch – von einigen Änderungen abgesehen –, praktisch so wie es ist, herauszubringen. Wir würden es gerne von Mr. Tortoni, dessen Arbeiten Sie sicher kennen, illustrieren lassen und möchten nun wissen, wann er Sie aufsuchen darf, um sich mit dem Lokalkolorit Ihrer Umgebung vertraut zu machen.

Wir sind bereit, Ihnen 10 % vom Einzelverkaufspreis des Buches zu bezahlen, und fügen für den Fall Ihres Einverständnisses Vertragsformulare in duplo zur Unterschrift bei.

 

Wir verbleiben, usw. usw.

Decameron, Jones & Co.

Ich habe seither oft gedacht, Das verlorene Paradies wäre ein besserer Titel für das Buch gewesen. Es wurde im Herbst des gleichen Jahres veröffentlicht, und seither ist unser Leben nie wieder so gewesen, wie es einmal war. Unglückseligerweise wurde das Buch zum Kassenschlager der Saison. Man besprach es weit und breit als ein »Evangelium des gesunden Lebens«, und Andrew erhielt fast mit jeder Post Angebote von Buch- und Zeitschriftenverlegern, die sein nächstes Buch veröffentlichen wollten. Es ist schier unglaublich, zu welchen Kriegslisten solche Verleger Zuflucht nehmen, um einen Autor herumzukriegen. Andrew hatte in seinem Wiedergewonnenen Paradies von den Landstreichern, die bei uns vorbeikommen, geschrieben. Er erzählte, wie bemitleidenswert manche von ihnen sind (lassen Sie mich hinzufügen: wie schmutzig) und dass wir niemals einen wegjagen, der ein anständiger Kerl zu sein scheint.

Eines Tages im Frühling, nach dem Erscheinen des Buches, tauchte ein übel aussehender Vagabund mit Rucksack bei uns auf, schmierte Andrew wegen seines Buches Honig um den Bart, blieb die Nacht über bei uns und stellte sich – unglaublich, aber wahr – dann beim Frühstück als einer der führenden New Yorker Verleger vor. Er hatte zu dieser List nur gegriffen, um leichter Andrews Bekanntschaft machen zu können.

Sie können sich vorstellen, dass es nicht lange dauerte, bis Andrew vollends verdorben war. Im nächsten Jahr verschwand er plötzlich (für mich ließ er nur eine kurze Nachricht auf dem Küchentisch zurück) und strich sechs Wochen lang durchs Land, um Material für ein neues Buch zu sammeln. Ich hatte die größte Mühe, ihn davon abzuhalten, nach New York zu fahren, um mit Verlegern und ähnlichen Leuten zu reden. Stundenlang beschäftigte er sich mit Zeitungsausschnitten, die ihm geschickt wurden, wenn er eigentlich das Maisfeld hätte pflügen sollen. Glücklicherweise kommt der Briefträger erst am späten Vormittag vorbei. Andrew war um diese Zeit meist schon außer Haus, und so las ich die Briefe gewöhnlich zuerst. Nachdem sein zweites Buch (Glück und Heu) erschienen war, wurden die Briefe von den Verlegern so dick, dass ich die meisten sofort in den Ofen steckte. Vorsichtiger ging ich mit den Briefen der Decameron-Jones-Leute um, denn die enthielten manchmal Schecks. Es kamen jetzt auch immer mal Leute von der Zeitung, die Andrew interviewen wollten, aber im Allgemeinen gelang es mir, sie rasch loszuwerden.

Andrew war jedoch weniger und weniger Bauer und wurde mehr und mehr Literat. Er kaufte sich eine Schreibmaschine. Und dann hockte er vor dem Schweinestall und notierte sich Adjektive, um damit die Schilderung eines Sonnenuntergangs auszuschmücken, anstatt die Wetterfahne auf der Scheune zu reparieren, die sich verklemmt hatte, sodass der Nordwind für uns aus Südwest kam. Er warf kaum noch einen Blick in die schönen Preislisten für landwirtschaftliche Geräte, und nachdem uns Mr. Decameron besucht und Andrew vorgeschlagen hatte, einen Band ländlicher Gedichte zu schreiben, war es mit dem Mann überhaupt nicht mehr auszuhalten.

Ich aber zählte Eier, bereitete drei Mahlzeiten täglich und verwaltete die Farm, während Andrew einen literarischen Koller bekam und herumvagabundierte, um Abenteuer für ein neues Buch zu sammeln. (Ich wünschte, Sie hätten gesehen, in welchem Zustand er von diesen Ausflügen zurückkam, nachdem er ohne Geld und mit schmutzigen Socken die Landstraßen entlanggezogen war. Einmal hatte er sich dermaßen verkühlt, dass man ihn noch auf der anderen Seite der Scheune husten hören konnte, und ich musste ihn drei Wochen lang pflegen.) Erst als jemand ein Büchlein über den »Weisen von Redfield« schrieb und mich darin als »bäuerliche Xanthippe« schilderte, »als das häusliche Steuerrad, das den großen Schriftsteller aus dem Himmel seiner Träume ins nüchterne Leben des Alltags lenkt«, beschloss ich, Andrew mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Und hier ist meine Geschichte.

Zweites Kapitel

Es war ein schöner, frischer Herbstmorgen – ich glaube im Oktober –, und ich schälte Äpfel, um Apfelmus zu machen. Zum Essen sollte es Schweinebraten mit gekochten Kartoffeln und – wie Andrew sagte – sepiafarbenem Bratensaft geben. Andrew war in die Stadt gefahren, um Mehl und Futtermittel zu holen, und würde erst gegen Mittag zurückkommen.

Ich weiß noch, dass es ein Montag war, denn wir hatten Waschtag, und Mrs. McNally, die Wäscherin, kam nur montags zu uns. Ich erinnere mich auch, dass ich gerade ein paar Birkenscheite vom Holzstoß holte, als ein Wagen in unseren Hof einfuhr. Es war ein sonderbares Gefährt. Es glich einem Möbelwagen und wurde von dem dicksten Schimmel gezogen, den ich je gesehen hatte. Auf dem Kutschbock saß ein merkwürdig aussehender kleiner Mann. Er beugte sich vor und sagte etwas. Aber ich verstand nicht, was er wollte; gebannt starrte ich seinen lächerlichen Wagen an. Der war im blassen Blau von Wanderdrossel-Eiern gestrichen, und auf der Seite stand in großen scharlachroten Buchstaben:

R. MIFFLINS

REISENDER PARNASSUS

 

Verkauf guter Bücher von William Shakespeare, Charles Lamb, Robert Louis Stevenson, William Hazlitt und allen anderen

Unter dem Wagen hing neben einer Laterne, einem Eimer und anderen Kleinigkeiten etwas, das wie ein Zelt aussah. Im Dach des Wagens war eine Art Fenster, das offen stand, und aus einer Ecke stieg ein Ofenrohr in die Höhe. Auf der Rückseite gelangte man über eine Treppe und durch eine Flügeltür mit kleinen Fenstern ins Innere des Wagens.

Während ich noch über diese seltsame Aufmachung staunte, kletterte der kleine Mann vom Kutschbock herunter und kam auf mich zu. Sein Gesicht war freundlich-drollig und doch voll wettergegerbtem Zynismus. Er hatte einen kleinen rotbraunen Bart und trug einen schäbigen Samtrock. Sein Kopf war sehr kahl.

»Wohnt hier Andrew McGill?«, fragte er.

Ich nickte und erklärte:

»Aber er ist den ganzen Vormittag unterwegs. Zum Mittagessen kommt er bestimmt, schließlich gibt es Schweinebraten.«

»Mit Apfelmus?«, fragte das Männchen.

»Mit Apfelmus und braunem Bratensaft«, sagte ich. »Deshalb bin ich sicher, dass er pünktlich sein wird. Wenn es Schweinebraten gibt, kommt er niemals zu spät. Als Rabbi wäre Andrew absolut ungeeignet.«

Ein plötzlicher Verdacht stieg in mir auf.

»Sie sind doch nicht etwa einer dieser Verleger, oder?«, rief ich. »Was wollen Sie denn von Andrew?«

»Ich wüsste gern, ob er diesen Wagen kaufen will«, erklärte der kleine Mann. Er beschrieb mit seiner Hand einen Kreis um Schimmel und Wagen, löste irgendwo einen Haken und schlug eine Seite des Gefährts wie eine Klappe hoch. Irgendetwas schnappte ein, und die Klappe blieb oben wie ein Dach. Es zeigte sich, dass diese Seite des Wagens nichts anderes als ein großer Bücherschrank war.

Regale türmten sich in die Höhe und waren mit Büchern angefüllt – mit neuen wie mit alten. Während ich staunend diesen Bücherladen betrachtete, zog das Männchen von irgendwo eine gedruckte Karte heraus und überreichte sie mir:

ROGER MIFFLINS

REISENDER PARNASSUS

 

Werte Freunde! Dieser Wagen

bringet Bücher, die euch sagen

und erklär’n, was Ihr nicht wisst,

was Ihr aber wissen müsst.

Wühlt nur in dem Bücherpack,

wählet dann ganz nach Geschmack:

Prosa, schwer, doch nicht zu schwierig,

leichtre Kost und goldne Lyrik,

Kochbuch, Rätselheft und Bibel,

Lehrbuch oder Gartenfibel …

Keiner braucht sich abzuwenden

und zu geh’n mit leeren Händen.

Hier gibt’s was für jeden Kasus:

 

MIFFLINS REISENDER PARNASSUS.

 

R. Mifflin, Buchhändler

Stern-Lohndruck, Celeryville, Va.

Während ich noch darüber lachte, hob er auch auf der anderen Seite eine Klappe hoch, und nun boten sich meinen Augen auch hier mit Büchern beladene Regale.

Ich fürchte, ich bin eine sehr prosaische Natur.

»Na«, sagte ich, »Ihr Gaul muss aber sehr kräftig sein, um diese Ladung ziehen zu können! Die muss ja mehr wiegen als eine Fuhre Kohlen!«

»Peg schafft das schon«, antwortete er. »Wir fahren nicht sehr schnell. Aber wissen Sie, ich möchte das alles verkaufen. Meinen Sie, Ihr Mann kauft das Ding? Ich meine den Parnassus samt Pegasus und mit allem Drum und Dran. Er hat Bücher doch gern, nicht?«

»Einen Augenblick!«, rief ich. »Erstens ist Andrew mein Bruder und nicht mein Mann, und außerdem hat er Bücher viel zu gern. Sie werden der Ruin dieser Farm sein. Andrew hockt schon jetzt viel zu oft wie eine brütende Henne über seinen Büchern, wenn er doch eigentlich Zaumzeug flicken sollte. Du lieber Gott, wenn er Ihre Wagenladung zu Gesicht bekäme, wäre er eine Woche lang ganz aus dem Häuschen. Ich muss jedes Mal den Briefträger auf der Straße abfangen und alle Verlagskataloge aus der Post heraussuchen, damit Andrew sie nicht sieht. Glauben Sie mir, ich bin wirklich froh, dass er jetzt gerade nicht zu Hause ist.«

Ich verstehe, wie gesagt, nicht viel von Literatur, aber wie wohl jedermann weiß ich ein gutes Buch zu schätzen, und so betrachtete ich, während ich sprach, die gefüllten Regale. Sie enthielten wirklich eine große Auswahl. Ich sah Gedichtbände, Erzählungen, Jugendbücher, Romane, Kochbücher, Bibeln, Schulfibeln – alles bunt durcheinander gewürfelt.

»Nun gut, hören Sie mir zu«, sagte der kleine Mann – und dabei bemerkte ich, dass er die hellen Augen eines Fanatikers hatte. »Sieben Jahre lang bin ich nun mit meinem Parnassus herumgekreuzt. Ich habe das Gebiet von Florida bis Maine abgeklappert und eine ganze Menge guter Bücher unter die Leute gebracht. Jetzt aber will ich einen Ausverkauf machen. Ich werde ein Buch über Literatur unter Farmern schreiben und will mich deshalb bei meinem Bruder in Brooklyn niederlassen – mit einem Koffer voller Notizen. Ich werde also warten, bis Mr. McGill nach Hause kommt. Dann wird sich ja zeigen, ob er mir nicht alles abnimmt. Ich würde den ganzen Klimbim, Pferd, Wagen und Bücher für 400 Dollar verkaufen. Ich habe Andrew McGills Sachen gelesen, und ich rechne damit, dass ihn mein Vorschlag interessieren wird. Mir hat dieser Parnass mehr Spaß als eine Horde Affen gemacht. Früher einmal war ich Schullehrer. Aber der Arzt hat mir Landluft empfohlen, und da habe ich mich umgestellt. Es hat sich gelohnt. Es war die schönste Zeit meines Lebens.«

»Also, Mr. Mifflin«, antwortete ich, »wenn Sie durchaus hier bleiben wollen, kann ich Sie nicht davon abhalten. Aber es tut mir leid, dass Sie mit ihrem alten Parnassus hier vorbeigekommen sind.«

Ich machte kehrt und ging in die Küche zurück. Ich wusste ganz genau, dass Andrew beim Anblick dieser Unmenge an Büchern und jener verrückten Karte, die Mr. Mifflins Dichtkunst offenbarte, vor Freude in die Luft springen würde.

Ich muss gestehen, dass ich sehr beunruhigt war. Andrew ist so unpraktisch und versponnen wie ein Backfisch. Er träumt immerzu von neuen Abenteuern und Streifzügen durchs Land. Wenn er diesen Parnassus auf Rädern sehen würde, er wäre ihm mir nichts, dir nichts verfallen. Obendrein wusste ich, dass Mr. Decameron wegen eines neuen Buches hinter Andrew her war. (Ich hatte erst vor ein paar Wochen einen seiner Briefe, in dem er eine neue »Glück- und Heu-Fahrt« vorschlug, heimlich verbrannt. Als ob Andrew nicht genug zu tun gehabt hätte! Sollte er wieder umherwalzen wie ein Kesselflicker, nur um ein Buch darüber zu schreiben?)

Inzwischen ließ sich Mr. Mifflin im Hof häuslich nieder. (Ich konnte ihn vom Küchenfenster aus beobachten.) Er spannte sein Pferd aus, band es an den Zaun, setzte sich neben den Holzstoß und zündete sich eine Pfeife an. Jetzt saß ich in der Tinte. Was sollte ich tun? Ich ging hinaus, um mit dem kahlköpfigen Hausierer zu reden.

»Hören Sie«, sagte ich. »Sie müssen aber ein ziemlich dickes Fell haben, dass Sie es sich in meinem Hof so gemütlich machen. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Sie und Ihre komische Bücherlotterie hier nicht brauchen kann. Ich rate Ihnen, zu verschwinden, bevor mein Bruder zurückkommt. Zerstören Sie nicht unser glückliches Familienleben.«

»Miss McGill«, antwortete er (verflixt noch einmal, er war eigentlich ein netter Kerl – mit seinen hellen, zwinkernden Augen und seinem blöden, kleinen Bärtchen), »ich will bestimmt nicht unhöflich sein. Wenn Sie mich hier nicht wollen, werde ich natürlich gehen. Dann werde ich auf der Straße auf Mr. McGill warten. Ich will diese Kulturkutsche nun einmal loswerden, und, bei Swinburnes Gebeinen, ich glaube, Ihr Bruder ist der Mann, der sie mir abkaufen wird.«

Ich war wütend, und so kam es, dass ich das Folgende sagte, ohne vorher darüber nachzudenken:

»Bevor ich Andrew Ihren alten Karren kaufen lasse, kaufe ich ihn selbst. Ich gebe Ihnen 300 Dollar dafür.«

Das Gesicht des kleinen Mannes hellte sich auf. Er nahm mein Angebot weder an, noch schlug er es aus. (Dabei zitterte ich schon, dass er mich beim Wort nehmen würde – denn ich setzte alles aufs Spiel, was ich in drei Jahren für einen Ford gespart hatte.)

»Kommen Sie und schauen Sie sich den Wagen noch einmal an«, meinte er.