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Nr. 2823

 

Auf dem Ringplaneten

 

Atlan und die Transterraner erforschen Andrabasch – eine Welt voller Überraschungen

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben Teile der Milchstraße besiedelt, Tausende Welten zählen zur Liga Freier Terraner. Man treibt Handel mit anderen Völkern der Milchstraße, es herrscht weitestgehend Frieden zwischen den Sternen.

Doch wirklich frei sind die Menschen nicht. Die Galaxis steht unter der Herrschaft des Atopischen Tribunals. Seine Gesandten behaupten, nur sie könnten den Frieden in der Milchstraße sichern.

Wollen Perry Rhodan und seine Gefährten gegen diese Macht vorgehen, müssen sie herausfinden, woher die Richter kommen. Ihr Ursprung liegt in den Jenzeitigen Landen, in einer Region des Universums, über die bislang niemand etwas weiß.

Dorthin unterwegs ist der unsterbliche Arkonide Atlan mit einem ehemaligen Richterschiff, der ATLANC. Vorläufige Endstation ist die seltsame Welt Andrabasch, und so landet Atlan AUF DEM RINGPLANETEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan da Gonozal – Der letzte Ritter der Tiefe gewinnt ein Spiel und einen neuen Freund.

Lua Virtanen – Sie schläft kaum, weshalb sie auch Unschläferin genannt wird.

Shukard und Vogel Ziellos – Die ungleichen Brüder kämpfen mit Anpassungsschwierigkeiten.

»Andrabasch ist Ton und Klang, Musik und mehr.«

»Es ist eine Stimme in einem Chor?«

»Es ist die Stimme des Chors.«

Atlan im Gespräch mit dem Tolocesten RaumRandloser, vor langer Weile und keiner Zeit

 

 

Prolog

Ankunft

 

Diese Erleichterung ...

Ich weiß nicht, ob höhere Wesen auch ein höheres Glücksgefühl empfinden können.

Mit einigen hatte ich zu tun. Leider kam ich nie auf die Idee, sie diesbezüglich auszufragen.

Vielleicht erinnere ich mich bloß nicht mehr daran. Zwar habe ich ein fotografisches Gedächtnis, aber ich vertraue ihm nicht mehr hundertprozentig.

Beispielsweise fehlt mir die Erinnerung an meinen Aufenthalt jenseits der Materiequellen. Es gibt also Lücken. Möglicherweise ziemlich viele.

Das beunruhigt mich.

Überdies befallen mich seit der Begegnung mit der Atopischen Richterin Saeqaer gelegentlich Anwandlungen. Kurze Visionen.

Sie verwehen, sobald ich mich darauf zu konzentrieren versuche. Wie Nebelfetzen, vom jähen Sturmwind meines Interesses zerstreut; sofort hinweggeblasen, wenn ich bewusst danach greifen will.

Schemenhafte Ahnungen sind es, die ich nicht konkret zu erfassen vermag: dass damals meine Anwesenheit, meine Mission, nicht vollendet worden ist. Dass ich eines Tages dorthin zurückkehren müsse ...

Bin ich eben auf diesem Weg? Ist mein Ziel mit jenem identisch, das ich beim ersten Mal anscheinend verfehlt habe?

Ich kann mir die drängenden Fragen nicht beantworten; noch nicht.

Mein Extrasinn, der Logiksektor, ist keine Hilfe. Er wurde ebenso geblendet – von wem?, warum? – wie mein eigentliches Selbst-Bewusstsein.

Etwas wurde gelöscht. Definitiv.

Aber: wie viel?

Keine Chance, das festzustellen. »Blinde Flecken« heißen nicht zufällig so.

Quälen mich diese Überlegungen?

Nein. Ganz im Gegenteil!

Ich genieße es, sie wieder anstellen zu können, relativ unbeschwert. Eine ungeheure Belastung ist von mir abgefallen, nachdem wir die raumzeitliche Blase um Andrabasch erreicht hatten.

Die ATLANC, das riesige, mächtige, letztlich unbegreifliche Richterschiff, das mich – und meinen Namen – trägt, durchstieß eine Grenzschicht, eine Art Umhüllung. Seither befinden wir uns in einer ... Einschnürung, die einen Durchmesser von rund 400 Millionen Kilometern aufweist.

An diesem Ort, diesem unerwarteten Knoten im Nichts, herrscht fast normale Raumzeitstruktur.

Fast.

Die Ortungssysteme haben allerhand Brauchbares geliefert, jedoch auch völlig surreale, einander widersprechende Werte. Insbesondere je näher sie sich an die Grenzfläche zur Synchronie herantasteten.

Im Inneren der Blase verschwimmen ebenfalls immer wieder Parameter. Als duckten sie sich weg, wenn sie beobachtet werden. Als würde jede Messung das Ergebnis beeinflussen.

Tauro Lacobacci, einer meiner derzeitigen Stellvertreter als Schiffskommandant, hat es pointiert formuliert: »Dies ist kein Teil des Einstein-Universums. Wenn überhaupt irgendwas, ist es ein ›Schrödinger-Kontinuum‹.«

Ein Physiker-Scherz mit wahrem Kern. Simpler ausgedrückt: Nichts Genaues weiß man nicht.

Wie auch immer. Die partiellen Unsicherheiten halte ich aus. Damit kann ich leben.

Leben!

Erst jetzt fällt mir auf, was ich vermisst habe, jahrhundertelang. Mindestens. Mit jedem Atemzug genieße ich es, den gefühlt endlosen Entbehrungen der Synchronie entronnen zu sein. Den permanenten, unangenehmen mentalen Berührungen des ANC. Und zuletzt der, sehr zu Recht, sogenannten Zehrzone.

Ich kann frei atmen. Frei denken! Und sei es nur für eine kurze Zeitspanne ...

Freilich, Zeit spielt keine Rolle. Schon ewig nicht mehr.

Oder die einzige.

Wer könnte das noch unterscheiden? Ich nicht.

Viel zu lange schon währt unser Flug. Ins Nichts. Ins Nirgendwo.

Ins Niemals.

Ins Immer.

Gleichwohl. Da wir nun – endlich! – den Limbus von Andrabasch erreicht haben und ich auf die Raumstation ANNDRIM übergewechselt bin, fühle ich mich wesentlich besser. Anstelle der Last, der unaufhörlichen, körperlichen wie geistigen Bedrückung, ist eine Euphorie getreten, die ich nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Ja. Ich scheue mich nicht, dies mit den gegebenen Mitteln der Aufzeichnung festzuhalten: Ich bin glücklich.

Glücklicher, wahrscheinlich, als je zuvor.

Momentan.

 

*

 

ANNDRIM senkt sich hinab auf den Ringplaneten Andrabasch.

Die Form der Raumstation entspricht grob einer Doppelpyramide: einem leicht schiefen, verzerrten Oktaeder mit eingedellten Seitenflächen und unregelmäßig abgeflachten Kanten.

Wenigstens diese Werte schwanken nicht: Gesamthöhe 750 Meter. Kantenlänge der mittleren Querschnittsfläche 340 mal 340 Meter. Überwiegend mattweiße Außenhülle – sieht man von gelegentlichen, flüchtig dahinhuschenden Schattierungen ab.

In den Räumlichkeiten, die der Konfigurator mir und meinen drei jugendlichen Begleitern zur Verfügung gestellt hat, gibt es Holomonitoren. Sie haben Andrabasch zuerst schematisch dargestellt. Nun aber zeigen sie unverkennbar Livebilder der Außenbordkameras.

»Hui!«, stößt Lua Virtanen aus.

»Das kannst du laut sagen«, kommentiert Shukard Ziellos mit belegter Stimme.

Sein Drillingsbruder Vogel klappert, ebenfalls hörbar ergriffen, mit dem Schnabel. »Jetzt bin ich langsam bereit zu glauben, dass es dieses ... Ding wirklich gibt.«

»Du hegtest Zweifel?«, frage ich.

»Mit Holografiken kann man viel darstellen«, antwortet Lua für den Mitschüler. »Nicht, dass ich den Ortern misstraute, aber ... Ich war mir, ehrlich gesagt, gar nicht hundertprozentig sicher, dass tatsächlich Planeten existieren, geschweige denn ein solcher.«

»Ihr traut meinen Berichten also nicht?«

»Doch, doch. Meistens. Äh ...« Sie schüttelt den Kopf, dass die langen, blonden Haare fliegen. »Praktisch immer.«

»Mhm.«

Die drei Geniferen sind an Bord der ATLANC geboren und aufgewachsen, erinnert mein Logiksektor. Als jüngste von rund zwanzig Generationen, die zeitlebens keine andere Umgebung kennengelernt haben als die diversen Sektoren des Richterschiffes. Also gib acht, Narr, dass du die drei nicht überforderst!

Als hätte ich meine jeweiligen Mitstreiter nicht stets mit höchstmöglicher Rücksicht behandelt ...

Ha!, höhnt meine innere Zweitstimme.

Schnell wird die Ringwelt größer. Andrabasch hat die Form eines deutlich abgeflachten Toroids.

Ungefragt wie immer füttert mich der Extrasinn mit den Daten, die wir den Ortungssystemen der ATLANC sowie den Informationen des Konfigurators von ANNDRIM verdanken. Der äußere Äquator durchmisst 39.860 Kilometer, der innere ist rund 8630 Kilometer vom Zentrum entfernt.

Daraus ergibt sich eine Äquatorringdicke von 11.300 Kilometern, während die »Pol-zu-Pol«-Dicke 8140 Kilometer beträgt. Der »Pol-zu-Pol«-Umfang erreicht mit knapp 31.000 Kilometern lediglich drei Viertel des Wertes von Terra, während der Umfang der Polkreise mit über 125.000 Kilometern mehr als dreimal so groß ist wie der Äquatorumfang der Erde.

»Die theoretische Möglichkeit der Existenz eines solchen Himmelskörpers«, sage ich leise, um den Zauber des Moments nicht zu sehr zu zerstören, »wurde sowohl von arkonidischen als auch terranischen Denkern schon früh erörtert.«

»Aha?«, sagt Shukard, ohne den Blick vom Holoschirm abzuwenden. Es klingt eher höflich als interessiert.

»Ja«, setze ich unverdrossen fort. »Aufseiten meines Volkes war es Srdan da Gerbens, der als Erster die dafür nötigen Parameter errechnet hat. Bei den Terranern wiederum geht diese spekulative Tradition über Dyson und Kowalewsky zurück bis auf Maclaurin und Newton.«

»Newton, wie die antike, abgeleitete Maßeinheit für die physikalische Größe Kraft?«

»O ja.«

Beherrsch dich!, ermahnt mich der Logiksektor. Dozier bitte um aller Himmels willen nicht über Isaac Newton, die Apfel-Legende und wer den guten Mann damals angestachelt hat, sich von der Alchemie ab- und den Naturwissenschaften zuzuwenden!

Ich beherzige den Rat und sage stattdessen: »Ein reifenförmiger Planet widerspricht nicht grundsätzlich den Gesetzen der Normal- und Hyperphysik. Dass ein solches Objekt jemals natürlich entstanden sein sollte, ist aber äußerst unwahrscheinlich. Ebenso, dass es für längere Zeit stabil bleiben würde.«

»Andrabasch ist also vermutlich künstlichen Ursprungs?«, klappert Vogel Ziellos.

»Vermutlich. Um Srdan da Gerbens zu paraphrasieren: ›Vielleicht erschaffen von einer hochstehenden Zivilisation, die mehr Wert auf Ästhetik denn auf Vernunft legt.‹«

»Hui«, sagt Lua Virtanen.

 

*

 

Meine ältesten Freunde, die ich schmerzlich vermisse – allen voran Perry Rhodan, Reginald Bull und Gucky –, haben mich oft wegen meines »Erzählzwangs« gutmütig verspottet.

Tatsächlich wecken starke Assoziationen in mir den Drang, Episoden aus meinem langen Leben auszubreiten, oft stundenlang. Jedoch vermag ich ihn normalerweise im Zaum zu halten.

So auch diesmal. Nicht gänzlich verkneifen kann ich mir jedoch den Hinweis, dass die Sonne, die Andrabasch bescheint, mir fast noch verdächtiger vorkommt als der Ringplanet selbst.

»Das Gestirn im Zentrum des Limbus wirkt wie ein Weißer Zwerg. Es hat fast die Masse von Sol – das ist der Heimatstern der Terraner ...«

»Und zuvor der Lemurer«, wirft Shukard ein.

»Richtig.« Sage noch mal jemand, Geschichtslektionen bereiteten nicht auf die Zukunft vor! »Bei einem Durchmesser von knapp 23.000 Kilometern und einer Oberflächentemperatur von fast 25.000 Grad. Aber: Trotz der eigentlich kleinen Leuchtkraft, nämlich nur null Komma null zwei des Solwertes, erhält Andrabasch Licht und Wärme wie von einer normalen G-Sonne.«

»Ein weiteres Indiz«, sagt Vogel Ziellos. Er fährt sich mehrmals mit den Handflächen über die Unterarme, die mit winzigen, feucht schillernden Flaumfedern bedeckt sind, fast wie bei einem frisch geschlüpften Küken.

Der Junge hat zu 31 Prozent terranische Anteile, zu 14 Prozent onryonische; die restlichen Prozent stammen aus den Gen-Tresoren von Richter Chuv. Vogels Haut ist leicht grünlich, was vom dunkelgrünen Blut herrührt. »Da hat jemand dran gedreht, oder?«

»Wir werden es herausfinden.« Lua legt ihm die Hand auf den Rücken; sanft, dennoch zuckt er zusammen. »Mir persönlich ist es jedenfalls allemal lieber, dass jemand die wilde, blöde Natur nach seinem Willen geformt hat. Jemand mit höherer intellektueller Kapazität.«

»Wer auch immer«, sage ich.

Dann schweigen wir und schauen.

Im Außenbordholo schwillt Andrabasch weiter an, füllt den Erfassungsbereich aus, verdeckt vollständig die Schwärze des Limbus. Strukturen werden erkennbar: weiße Wolken, braunes und grünes Land, große Meere.

Ein blauer Planet. Erstaunlich erdähnlich, wenn man die ungewöhnliche Form beiseitelässt.

Die Gesamtoberfläche ist fast fünfmal so groß wie jene Terras. Das Volumen erreicht mit etwa 6,5 mal 10 hoch 12 Kubikkilometern sogar den sechsfachen Erdwert.

Licht gibt es, mangels Achsneigung, nur auf der Ringaußenseite, nicht auf der Oberfläche im dem zentralen Loch zugewandten Bereich. Die Eigenrotation ist fast siebenmal schneller, bei einer »Tageslänge« von nur 3,53 Stunden.

Bezeichnend, dass du ständig Vergleiche zu Terra ziehst, stichelt mein Lästersinn. Anstatt zu Arkon.

Ich bin ein Terraner!, gebe ich in Gedanken zurück; zigste Neuauflage einer Jahrtausende währenden Abfolge immer gleicher Scharmützel.

Die Replik des Logiksektors kommt prompt. Du bist ein Narr.

Er hat recht. Ein seliger, endlich wieder tatendurstiger Narr.

 

*

 

ANNDRIM landet auf dem Kontinent Phaaol, in der ausgedehnten Bucht einer Stadt namens Yooning.

Dort befindet sich ein schwimmendes Dock. ANNDRIM-Port ist eine Plattform mit neun flachen, strahlenförmigen Piers von je 400 Metern Länge. Das kegelförmige Hauptgebäude hat einen Durchmesser von 340 Metern und eine Höhe von 260 Metern.

Aus der Kegelspitze ragt ein, im oberen Drittel zweigeteilter, Ausleger 300 Meter schräg in die Höhe. Dreieckige Flügel sind dafür bestimmt, gemeinsam mit dem Hauptauslegerarm die Raumstation ANNDRIM zu empfangen und zu fixieren.

Den eigentlichen Andockvorgang bekommen wir nicht mit. Gewiss verläuft er mit der erschütterungsfreien Eleganz, die wir aus der ATLANC gewohnt sind. Dass die eingesetzten Technologien verwandt sind, steht außer Frage.

Vorher schon hat uns eine synthetische, emotions- und nahezu klanglose Stimme mitgeteilt: »Wir sind da. Ihr mögt aussteigen und euer wunschloses Glück finden.«

Merkwürdige Wortwahl ...

Wir folgen den Anweisungen, durchschreiten einige verwaiste, unspektakuläre Korridore der unteren Außensektionen, die wohl überwiegend aus Beiboot-Hangarhallen bestehen. Schließlich stolpern wir mehr, als wir gehen, eine sehr steile Rampe hinab. Dann öffnet sich vor uns eine Bodenschleuse.

Und wir setzen unseren Fuß auf Andrabasch. Ein kleiner Schritt ...

Ach, komm!, weist mich der Logiksektor zurecht. Ich bitte dich! Könntest du wenigstens einmal auf abgelutschte Querverweise und Zitate verzichten?

Sicherlich. Aber warum sollte ich?

Helles Licht empfängt uns, und feuchte, von vielerlei Duftnoten durchzogene Meeresluft. Ich atme tief ein.

Ja.

Bei allen Helden des Tai'Arbaraith – ein Planet! Wie verschroben er auch sein mag ...

Meine jungen Begleiter empfinden anders. Shukard Ziellos keucht und würgt. Sein Bruder Vogel übergibt sich. Was dem allgemeinen Geruchspanorama eine Komponente hinzufügt, die ich trotzdem nicht missen möchte.

»Abartig«, sagt Lua Virtanen in angewidertem Tonfall. »Das fühlt sich ja alles grauenvoll an. Diese unübersichtliche Weite! Ist das überall so? Auf Planeten, meine ich?«

»Nein«, beschwichtige ich. »Aber ... ähnlich. Häufig. Auch eure Reaktion. Der Schock eines fremden Ambientes ...«

»Kann mir gestohlen bleiben.« Sie greift sich an den Hals, an die Spirale, gebildet aus reiskornkleinen, hellblauen Schuppen. Die sichtbare Folge einer Genmanipulation stellt eine stilisierte Helix dar, das Symbol für die von den Markleuten verehrte Genolution.

Vogel Ziellos wischt sich mit den regenbogenfarbenen Flaumfedern seines Handrückens den Schnabel ab. »Bitte entschuldige, Kommandant Atlan.«

»Ich bitte vielmehr euch um Entschuldigung dafür, dass ich zu wenig bedacht habe, welche Reaktionen eine Welt, eine echte Welt, bei euch auslösen könnte.«

»Das ist schon in Ordnung.« Shukard, der andere der beiden verbliebenen Drillinge, wirft mir einen versöhnlichen Blick zu, nicht ohne gleichzeitig an seinem Multifunktionsarmband herumzutippen.

Sehr hohe, für mich kaum hörbare Töne geben ihm Antwort. »Die Umstände stellen keine reale Gefahr dar.« Er grinst übers ganze, sowohl kindliche als auch viel zu abgeklärte, von widerspenstigen, brünetten Locken umrahmte Gesicht. »Wir brauchen nur ein bisschen, um uns körperlich – und vor allem geistig – anzupassen.«

»Na eben. Sicher. Schön, dass du es so pragmatisch siehst.«

»Braver Junge«, sagt Lua Virtanen schnippisch. »Allzeit strebsam, stets ein Vorbild. – Und jetzt, Kommandant?«

»Wir besorgen uns eine Fähre nach Yooning.«

Man hat uns erklärt, dass äußerst selten Besucher nach Andrabasch kommen. Nicht verwunderlich, angesichts der exponierten Lage ... Aber Fähren stünden permanent bereit, obwohl sie nur alle heiligen Zeiten in Anspruch genommen wurden.

Am Ende der langen, schlanken Mole vor uns liegen Boote verankert. Viel kann ich nicht erkennen. Die Luft ist diesig, als wäre sie gesättigt von ...

»Ballons«, sagt Vogel Ziellos. Seine Schnabelhälften klicken dabei irritierend, da das Wort Ballons doch eigentlich keinerlei harte Laute enthält.

Der Transterraner deutet nach vorne, nach oben, zum Himmel. Er hat recht. Kreisförmige Muster überziehen das Firmament, überdecken, verbergen jeglichen Horizont.

Manche sind riesig wie kugelförmige Schlachtraumer. Andere, winzige, vereinen sich zu Blasen, zu abstrusen Schaumgebilden.

Selbst die dunklen, nachtschwarzen Lücken dazwischen passen ins Gesamtbild. Faszinierend perfekt.

Oder eben nicht. Oder eben doch.

Mein Blickfeld verengt sich. Schwindel erfasst mich. Mühsam darum bemüht, die Beherrschung zu wahren, konsultiere ich meinen Logiksektor.

Der meldet sich nicht sofort. Verzögert und beschleunigt zugleich, stockend und doch überhastet, versetzt er: Was hast du erwartet? Einen Spaziergang in vertrauten Gefilden?

 

*

 

Shukard Ziellos hebt die rechte Hand und schüttelt sie. Die Perlenkette an seinem Arm glüht brennrot auf.

Ich lehne mich unwillkürlich zurück, weil eine plötzliche Sturmbö über uns hinwegrauscht. Die Ballons zerplatzen – oder besser: implodieren – alle auf einmal, unter ohrenbetäubendem Donnern, das abrupt abreißt. Gleich darauf klärt sich die Sicht.

»Dacht ich's mir«, sagt Shukard, fast beiläufig. »Billige Illusionen. Eine erste Schranke, um Unwürdige zu verschrecken. Hätte ich im Wesentlichen nicht anders angelegt.«

»Gut gemacht.«

»Nichts zu danken, Kommandant. – Meine Armbänder verzeichnen keine weiteren ungewöhnlichen Emissionen. Ich schlage dennoch einen sensitiven Abgleich vor. Nehmt ihr dasselbe wahr wie ich?«

Wir schildern einander unsere Sinneseindrücke. Sie stimmen überein: ANNDRIM und ANNDRIM-Port; die Meeresbucht, die sanfte, würzige Brise, angenehm kühl auf der Haut ... Es gibt keine Anzeichen dafür, dass unsere Wahrnehmung behindert oder sonst wie manipuliert würde.

»Erhöhte Vorsicht ist trotzdem angebracht«, sage ich. Eine Floskel, die hauptsächlich dazu dient, meine Autorität herauszustreichen. »Wir müssen jederzeit auf Überraschungen gefasst sein.«

»Das kennen wir gut.« Lua lächelt, hart an der Grenze zur Arroganz. »Wachsamkeit, meine ich. Wir sind schließlich ausgebildete Geniferen.«

Sonst hätte ich nicht ausgerechnet euch auf diese Mission mitgenommen. Aber das sage ich nicht laut.