CRISTINA GOMES BOELK

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BERICHTE EINER
UNBEKANNTEN

LEBEN LIEBEN LOSLASSEN

Mein besonderer Dank gilt Nils Hinze
und meinem Ehemann.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Seila

Miguelito, Vitor und Enrico

Unbeschwerte Zeit

Die Unschuld in Schuld verwandeln

Begegnung mit Gott

Meine perfekte Welt

Das Schlimmste ist die Gewöhnung

Omas Mantra

Engel und Teufel

Hörner und Flügel

Enge, Respekt, Freiheit, Unfreiheit

Ausdehnung des Geistes

Der Sog in den Strudel

Wer bin ich?

Spiel auf dünnem Eis

Verloren im Labyrinth

Das Aufwachen

Die Kriegerin

Begegnungen

Dem Brunnen auf den Grund schauen

Die Schutzengel

Dies ist der Anfang

Epilog

Vorwort

Mit dem Buch Berichte einer Unbekannten gibt das Nachwuchstalent Cristina Gomes Boelk ihr Debüt als Sachbuchautorin. Sie verknüpft die alltäglichen Lebenserfahrung ihrer Hauptdarstellerin mit den philosophischen Einsichten der großen Denker. Dadurch zeichnet die Autorin ein einfaches und einprägsames Bild unserer Zeit und der menschlichen Beziehungen, die sich widerspiegeln in den Wesenszügen einzelner Persönlichkeiten.

Das vorliegende Buch fesselt mit seiner einfachen und deutlichen Sprache. Der Eindruck, den es beim Leser hinterlässt, wird dadurch umso nachhaltiger und führt ihn durch ein Wechselbad der Gefühle.

BUCH I

Seila

Alice: “Wie lange ist für immer?“ Weißer Hase: „Manchmal nur für eine Sekunde.“ (Alice im Wunderland)

Als ich angefangen habe zu schreiben, fragte ich mich, worüber ich schreiben sollte. Über Lebensphilosophie, Esoterik, Religion, Erotik oder Yoga? Oder über mein Leben? Oder was möchte man als Leser vor die Augen bekommen? Ich habe mich für eine Mischung aus allem entschieden. Besser gesagt: ich habe einfach darüber geschrieben, was mir in den Sinn kam.

Ich beginne mit meiner Lebensgeschichte. Leider ist sie nicht einfach nur außergewöhnlich, wie man sie in einem Roman erwartet. Aber sie kann sogar ganz tief gehen. Es gibt Lebenssituationen, die man am liebsten unterdrücken möchte, Geschichten, die man am liebsten gar nicht hören möchte. Keine Angst, in diesem Chaos gibt es auch wunderschöne Momente, Momente der Hingabe und der Erkenntnis.

Wie oft hört man: “Das Leben ist hart.“ Aber ich sage, es kann auch einfach, witzig und sensationell sein. Wir sind verflucht zu leben und haben angeblich eine einzige Aufgabe im Leben: glücklich zu sein, dieses Gefühl zu entwickeln und anzuerkennen.

Also, ich beginne es so zu beschreiben: Ich kam zu Welt. Wurde größer und - so wie man mir erzählt - sehr niedlich, und wie es jedem zusteht, mit einem gewissen Grad an Verstand und Intelligenz. Leider war ich nicht so gesprächig. Jeder versuchte, aus mir Sätze herauszuholen, denn man fand es sehr niedlich, wenn ich sprach. Doch ich machte es Verwandten und Freunden nicht so leicht: Meine Lippen waren versiegelt. In Ruhe sollten sie mich lassen. Alle.

Ich war vier oder fünf Jahre alt und, wie das Leben so spielt, habe ich angefangen zu trinken. Jawohl. Punkt eins in meiner Erziehung: Ich durfte trinken, so viel ich wollte. „Schluck es runter.“ sagte Großvater. Opa meinte es nur gut mit mir und in seiner bewussten Lebensweise war dieses Verhalten unschädlich. Können Sie sich vorstellen, in welcher Gesellschaft ich mich befand und wie glücklich ich mich fühlte? Soll ich lieber lügen und nur schöne Sachen schreiben, damit jeder zufrieden ist? Nein. Willkommen in der Wirklichkeit.

Ich lachte und spielte, sah aber, wenn ich im Bett lag, oft die Decke vom Schafzimmer um mich herum kreisen. Gott möge meinen Opa im ewigen Schlaf ruhen lassen, aber: Danke Opa.

Über den Rest der Verwandten kann ich nur sagen: Sie genossen die gleiche Art von Erziehung. Mit anderen Worten, mit vier Jahren waren wir so weit, wir hatten die Erlaubnis zu trinken.

Bei jedem Fest oder Hochzeit erlebte ich, wie Seila, meine Cousine und Spielgefährtin, jede Flasche anschaute und jeden Rest, ob Wein, Sekt oder Bier, in einer Flasche zusammen kippte. Was für ein Cocktail. Seila war älter, sie war schön und in meinen Augen sehr klug. Ich habe alles mitgemacht. Egal, wie verrückt ihre Ideen waren. Heute weiß ich, wie naiv sie manchmal war, aber damals war sie meine Heldin. Heute denke ich, dass sie ein freier Geist war. Sie stand nicht unter strenger Aufsicht. Wir haben viel erlebt; sie stahl gerne Obst. Ja, Obst. Sie war süchtig danach. Sie konnte nie abwarten, dass das Obst reifte, sie musste es sofort essen. Der Geschmack war unerträglich sauer und bitter, aber sie war meine Heldin und ich aß mit. Es war anstrengend, keine Grimassen zu ziehen; aber Schwäche wurde nicht gezeigt, sonst hätte man als Feigling dagestanden und wäre ausgelacht worden. Es galt, immer neue Mutproben zu bestehen. Obst wurde weiterhin gestohlen. Die Nachbarn regten sich häufig auf und in den Momenten, in denen wir sie am wenigsten erwarteten, standen sie plötzlich vor uns und schimpften; sie schimpften laut und schrecklich. Seila lief immer weg und versteckte sich wie ein wilder Hund, der weiß, dass sein Leben in Gefahr ist. Ich war immer diejenige, die zurückblieb und uns beide entschuldigte: „Entschuldigen Sie bitte, das machen wir bestimmt nicht noch mal,“ sagte ich in der Hoffnung, wir würden in Ruhe gelassen und Seila käme endlich aus ihrem Versteck heraus. Als sie endlich wieder hervorkam lachte sie schrecklich laut und euphorisch. Wohingegen die Nachbarn brüllten: „Verschwindet jetzt.“. Und so ging es weiter. Jeden Frühling.

Ich weiß nicht, ob sie zu Hause gehungert hat, denn sie war immer auf der Suche nach etwas Essbarem. Die Nachbarschaft hatte richtig Mühe, Obst übrig zu behalten, denn Seila ließ das Obst nicht reifen. In meinen Augen durfte sie alles: gehen wohin sie wollte, spielen mit wem sie wollte. Ohne Grenzen. Sie hatte vier Geschwister, und für meine Tante war ein bisschen Ruhe ein kostbares Geschenk.

Die Verrücktheiten von Seila und mir waren sehr fantasiereich. Ich kann sogar sagen, sie waren sehr gewagt. Oma hatte einen riesigen Garten, in dem nicht nur eine große Wiese war, die durch einen Hügel geteilt wurde, sondern auch reich an vielen alten Eichenbäumen, Pflaumenbäumen, Feigenbäumen sowie unterschiedlichen Arten von Büschen und Rosen. Diese Welt war wie unser Zuhause. Nein. Es war unser Zuhause. Da haben wir geschlafen, gegessen, getrunken, Musik gemacht. Trommeln waren unsere Lieblingsinstrumente, die großen, alten, rostigen Metallfässer, die Opa besaß. Dort haben wir getanzt und gelacht. Da waren wir die Guten und die Bösen. Da haben wir uns gezankt und uns wieder vertragen. Lustig waren unsere Toilettengänge. Wir suchten uns jeden Tag eine neue. Eine schöne Ecke des Gartens. Mal zwischen den Büschen, den Rosen, mal neben den Eichenbäumen, oder mal auf der freien Wiese. Wir bückten uns und sahen, wie wir Pippi machten. Natur pur ohne Vorurteile. Der Urin fiel, der Dampf war zu sehen. „Ich wette mit Dir, ich kann weiter pinkeln als Du,“ sagte Seila. „Das glaube ich nicht. Warum sollst Du?“ Ich reagierte auf die Herausforderung. Sie lachte, schaute mich an, ließ das Gesäß tiefer auf den Boden herunter sinken und startet damit den Wettbewerb. „Schau… kannst Du es weiter?“ Ohne Worte bereitete ich mich vor. Ich sprach meine Blase an und sagte ihr, sie solle mich jetzt nicht im Stich lassen. Und dann kam mein Urinstrahl mit aller Macht. Wir hielten Stand bis kein Tropfen mehr kam. Danach fielen wir beide entleert auf den Boden und konnten nicht aufhören zu lachen… Ein köstlicher Moment unter Tausenden.

Schwäche habe ich bei ihr nur einmal gesehen, als sie in der Grundschule an der Tafel stand; sie konnte eine Matheaufgabe nicht lösen und wurde von der Lehrerin mit einem feinen Stock für jeden falsche Antwort derart gegen ihre nackten Beine geschlagen, dass sie durch diesen Missbrauch plötzlich einnässte. Sie war erniedrigt und ich war schockiert, als ich ihre nassen Beine sah. Das Bild wird mich immer verfolgen. Das Bild der Heldin für mich verlor sie niemals…

Miguelito, Vitor und Enrico

„Der Freund ist einer, der alles von dir weiß, und der dich trotzdem liebt.“ (Elbert Hubbard)

Nun, da war noch jemand: Miguelito, mein Milchbruder und Nachbar, und Vitor, auch ein Familienmitglied. Cousin ersten Grades. Sie hatten aber keine Ahnung, welche Rollen sie für mich spielten. Gut so. Miguelito war, manchmal freiwillig, manchmal gezwungen, einer meiner Lieblingsspielgefährte. Vitor war, beim Ausfall von Miguelito, eine Art Stellvertreter. Vitor war aber nicht so wild und frei wie Miguelito. Er war eher der Hübsche, Feine und Gepflegte. Für ihn empfand ich eine Art Liebe, falls ich überhaupt in der Lage war, Liebe zu erkennen und zu beschreiben. Ich bewunderte ihn auch. Jedes Mal, wenn ich ihn sah oder an ihn dachte, musste ich immer an Miami Vice denken. Eine der Krimiserien, die damals sehr beliebt waren. Ich schätze, er war innerlich auch einer von denen, denn er ging genau so.

Dann gab es auch noch Enrico, Seilas Bruder. Enrico war zwar geistig normal, aber er war anders und übte ein ganz schräges Hobby: Mutproben. Was er damit beweisen wollte, habe ich bis heute nicht verstanden. Wahrscheinlich wollte er eine Art Stärke zeigen, denn etwas Besonderes konnte er nicht. Er konnte gar nichts, war nur eine gute Seele. Die Ärmsten der Armen und diejenigen, die am meisten leiden, gehören unserem lieben Gott. Das haben wir in unserem Glauben jedenfalls gelernt. So gesehen war Enrico eines der Lieblingskinder von unserem lieben Gott.

Eine der Mutproben hat Seila fast die Hand gekostet. Einer der beiden hielt abwechselnd eine Axt in der Hand und versuchte, die Hand des anderen, die auf einem Holzstück lag, zu treffen. Bei einem der Versuche, bei dem Seila ihre Hand wegziehen sollte, war sie überraschenderweise nicht schnell genug und Enrico traf sie genau in den Mittelfinger. Dieser teilte sich fast entzwei. Die Narben trägt sie heute noch. Sie trägt sie auch in ihre Seele.

Zu meinem Milchbruder kann ich nur sagen, dass er kein leiblicher Bruder ist. Das ist klar. Ich habe nur eine Schwester. Was heißt nur eine? Eigentlich habe ich väterlicherseits mehrere Geschwister. Ich kenne sie aber nicht, und falls es irgendwann, irgendein Interesse gegeben hat, sie kennenzulernen, ist dieser Wunsch, der kein großer Wunsch gewesen sein kann, nun komplett verschwunden, ich würde sagen, uninteressant geworden.

Wir sind alle Kinder des Triebes, der Verantwortungslosigkeit, des Egoismus und der eigenen Dummheit. Noch trauriger war und ist es, dass dieser Erzeuger wirklich einen hohen Intellekt besaß, den viele im Umfeld neidvoll anerkennen mussten. Hätte er sich doch anders verhalten. Alle sahen nur den Glanz in ihm, nicht die animalische Seite. Eine menschliche Schwäche, aber für das Ziel der Fortpflanzung von Mutter Natur eine Stärke.

Bin ich enttäuscht? Wo ist die Liebe? Liebe nicht nur zur Natur, sondern Liebe, die durch die Verschmelzung zweier Seelen und zweier Körper entsteht. Liebe, die in jedem Atom, das unser Sein bildet, vorhanden ist.

Unbeschwerte Zeit

„Die Schönheit der Dinge lebt in der Seele dessen, der sie betrachtet.“ (David Hume)

Als Miguelito und ich Babys waren, haben unsere Mütter uns ab und zu ausgetauscht. Wenn eine zu viel Milch hatte, durfte sie das andere Baby mit stillen. So gesehen, waren wir einfach nur Gottes Kinder und wir wurden als solche geliebt.

Miguelito liebte alle Frauen des Dorfes. Sogar mich. Er war ein Romantiker, wie man oft sagt, ein hoffnungsloser Romantiker. Er verfolgte mich ständig und guckte mich an, als ob er eine an der Birne hätte. Seine Augen hielt er kaum geöffnet wann er zu mir schaute, und er stand immer da, als ob er ständig zur Heiligen Maria beten würde. Mir wurde es langsam peinlich, vor allem, weil alle Leute schon sagten, wir würden heiraten. Hallo! Ich war noch ein Kind! Immer versuchte ich zu beweisen, dass ich ihn gar nicht mochte. Ich bin ihm ständig aus dem Weg gegangen. Aber leid tat er mir schon und damit litt unsere Freundschaft auch. Eines Tages habe ich, um ihn etwas zu beruhigen, seine Einladung angenommen, Himbeeren und Äpfel zu pflücken. Es war angenehm und gar nicht langweilig. Wir aßen viele Himbeeren vor Ort und die gepflückten Äpfel transportierte ich in meinem Kleid; dazu hob ich das Kleid hoch und bastelte so eine Art Tasche, damit alle Äpfel reinpassten.

Seila würde sich bestimmt freuen. Keiner von uns bemerkte, dass ich mein Kleid so hochgezogen hatte, dass meine Unterwäsche zu sehen war. Wir gingen zusammen die Straße runter. Miguelitos Mutter, die sehr für unsere künftige Verbindung war, kam uns entgegen. Als sie mich sah, lachte sie laut und sagte: „Hallo Ihr beiden.“ und zu mir gewandt: „Weißt Du, Ana Sofia, man kann dein Höschen sehen.“ In diesem Moment wünschte ich mir, die Erde würde mich verschlucken. Ich lief schnell nach Hause und warf die Äpfel in eine Ecke auf den Boden. In Tränen lief ich ins Badezimmer. Meine Schwester kam und fragte, warum ich weinte. „So schlimm ist das nicht, aber…“ sagte meine Schwester und lächelte ironisch. Sie war immer ironisch zu mir. „Hast Du dein Gesicht schon gesehen? Hast Du vielleicht Himbeeren gegessen?“ fragte sie. Ich schaute gespannt in den Spiegel. Oh, nein. Fast überall im meinem Gesicht waren Saftflecken, vor allem im Mundbereich zu sehen. Es gab keine Hoffnung mehr. Jetzt wollte ich nur noch sterben. Gut. Sterben vielleicht nicht. Verstecken. Verstecken wäre gut. Für die nächsten zwei Jahren, wenn es geht. Miguelito hat das nicht erschreckt, denn Jahre später war er immer noch in mich verliebt, oder wieder verliebt.

Ab und zu vergaß Miguelito seine platonische und besessene Liebe für mich, spürte den Drang nach sexueller Erleuchtung, legte sich auf den Rücken von irgendwelchen Freunden während wir im Wald spielten und tat so, als ob er einen Orgasmus bekäme. Alles nur gespielt, zum Wohl der Gemeinschaft. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Jungs waren wirklich nicht zu verstehen. Am Ende seiner kurzen Veranstaltung lachte er so, als ob gerade jemand eine unglaublich lustige Anekdote erzählt hätte. Ja, nun… damit war er zufrieden. Abgesehen von solchen Verrücktheiten waren wir alle normale Kinder und wollten nur das Glück spüren. Ich denke, wir waren glücklich. Die ganzen Nachbarkinder verstanden sich gut und nachmittags spielten wir voller Freude zusammen bis zur Abenddämmerung. Eines unserer Lieblingsspiele war Rolha, der Flaschenverschluss. Bei dem Spiel rannten und verfolgten wir uns gegenseitig. Zwei oder drei von uns waren die Verfolger, der Rest oder die Mehrheit waren diejenigen, die frei waren und frei bleiben sollten. Wer gefangen wurde, musste unbeweglich mit geöffneten Armen stehenbleiben, wie Christus am Kreuz. Wir waren Festgenommene, konnten aber von denjenigen befreit werden, die sich immer noch frei bewegten. Metaphorisch gesehen: Nur wer frei ist, kann befreien. Normalerweise ging alles ganz gut, außer mein „Crazy“ Cousin Vitor kam plötzlich auf die Idee, mich mit meinem Lieblingstier zur verfolgen. Es ist eklig, glitschig, bewegt sich langsam, besitzt keine Beine und lässt sich nur blicken, wenn es regnet. Ja, genau. Würmer. Regenwürmer. Er nahm sie in die Hand und rief laut nach mir. „Ana Sofia, schau, was ich hier habe.“ Ich mochte nie laufen, aber in diesen Moment lief ich schneller als der beste Läufer der Olympiade. Vitor meinte, er müsse mir noch hinterher laufen, und weil es ihm nicht reichte, lachte er mich auch noch aus. Erwischte er mich nicht, steckte er mir die ekligen Viecher, die ich nicht benennen kann oder möchte, in meine Schuhe, denn ich lief oft barfuß. Arme Tiere. Sie hatten mit Sicherheit mehr Angst als ich.

Doch zurück zu Cousine Seila, meine Pippi Langstrumpf. Sie konnte diese Grausamkeiten vergessen, wenn wir draußen waren und zusammen in die Welt unserer Fantasie eintauchten. Richtig glücklich und komplett waren wir, wenn Miguelito Tom's Rolle übernahm. Die Abenteuer konnten beginnen. Manchmal waren wir alle drei zusammen, manchmal waren wir nur zu zweit; manchmal waren alle Kinder des Dorfes dabei und wir spielten alles mögliche um den See herum.

Wir spielten Fangen mit dem Ball, wir lachten viel und erzählten uns, wenn die Dämmerung kam, gruselige Geschichten. „Da saß ich bei meinem Onkel abends vor dem Kamin. Ich hörte draußen große und laute Schritte, so laut, dass ich meine Ohren zuhalten musste. Es hat sich angehört, als ob ein Riese mit Stiefeln aus Metall Richtung Haus käme.“ Ich weiß nur, dass ich in diesem Moment sehr viel Angst verspürte, und Miguelito fuhr fort: „…als mein Onkel nachts mit dem Fahrrad durch den Wald fuhr, hörte er lautes Lachen aus allen Ecken. Das waren die bösen Hexen, die ihn verfolgten. Ich drehte meinen Pulli um, denn wenn man das tut, wird man von den Hexen nicht verfolgt.“ Unser Miguelito. Clever, oder?

Immer, wenn wir bei seinem Onkel zu Besuch waren, hatte ich solche Angst. Vor allem, weil mir alle versicherten, dass alles wirklich passiert sei. Mit circa sieben Jahre alt war ich die jüngste, leicht zu beeinflussen und ich glaubte immer noch an der magischen Begegnungen mit den sprechenden Glühwürmchen. Es amüsierte alle zu wissen, wie glaubwürdig alles für mich war. Diese Horrorgeschichten haben mich bis heute geprägt. Oh ist das Leben wunderbar.