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Über dieses Buch:

Frankreich im 18. Jahrhundert: Schon in ihrer Jugend entdeckt Mademoiselle Bleville, welches Feuer der Leidenschaft in ihr lodert. Von ihrem Verlangen getrieben, will sie mit ihrem Liebhaber heimlich nach England durchbrennen – doch ihre Flucht wird vereitelt und Bleville entehrt ins Kloster gesteckt. Auf der Suche nach einem Ausweg willigt sie notgedrungen in die arrangierte Ehe mit dem sittenstrengen Monsieur Vilfranc ein. Als er kurz nach der Eheschließung ums Leben kommt, beschließt sie, dass nun ihre Zeiten als artige Frau vorbei sind – und sie beschließt, als begehrteste Kokotte von Paris ihren wahren Leidenschaften nachzugehen …

Über den Autor:

Pierre Jean Nougaret (1742 – 1823) war ein französischer Autor. Zu seinen Werken zählen unter anderem Gedichte, Dramen, Parodien und Romane. Sein bekanntestes Werk „Die Liebesabenteuer der Madame von Vilfranc“ brachte ihm einen Ruf als Klassiker der erotischen Literatur ein.

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eBook-Neuausgabe Juni 2018

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die französische Originalausgabe erschien 1779 unter dem Titel Les faiblesses d’une jolie femme.

Unter dem Titel Die Schwachheiten einer artigen Frau: Oder Denkwürdigkeiten der Madame von Vilfranc erschien 1780 die erste deutsche Übersetzung in der Paulischen Buchhandlung Berlin.

Copyright © der Neuausgabe 2018 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz unter Verwendung von shutterstock/Svyatoslava Vladzimirska

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-95885-603-5

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Pierre Jean Nougaret

Die Liebesabenteuer der Madame von Vilfranc. Amouren einer artigen Frau

Erotischer Roman

venusbooks

VORREDE

Ich verabschiede mich nun vom Geschäft der Liebenden. Und ich nehme diesen Abschied auf dieselbe Art und Weise, mit der ich die meisten meiner Geliebten verabschiedet habe: ohne Leid dabei zu fühlen und ohne etwas dabei zu bereuen.

Die gefinkelten Ränke der Liebe, die geschickt erdachten Listen, mit denen sie ihr Ziel erreicht, der Kummer und der Schmerz, die mit ihr verbunden sind, und sogar die Lust und das Vergnügen, die sie bereiten – all das ziemt sich nicht länger für eine Frau, die im vierzigsten Lebensjahre steht. Hat man dieses Alter erreicht, muss man sich andere Tätigkeiten suchen, zum Beispiel den Klatsch, das Kartenspiel oder den Besuch von Teegesellschaften, um der Langeweile und der Eintönigkeit des Alltags zu entkommen.

Die Frömmigkeit, aufgrund derer die Enthaltsamkeit scheinbar geübt wird, ist nur eine Ausflucht. Sie ist im Grunde genommen höchst unerfreulich und ihre Scheinheiligkeit ist zu offensichtlich, als dass irgendwer den Reden der Betschwestern tatsächlich Glauben schenken würde.

Welchen Zeitvertreib ich später wählen werde, darüber werde ich zum gegebenen Zeitpunkt noch eingehend mit mir zu Rate gehen. Bisweilen werde ich mich damit beschäftigen, der Welt über die Ereignisse und die Abenteuer meines Lebens zu berichten und dabei auch die positiven und negativen Urteile, die ich bei dieser nachdenklichen Rückschau über sie treffen werde, nicht verschweigen.

Es obliegt nicht meinem Urteil und ist nicht meine Aufgabe, darüber zu urteilen, ob ich diese Berichte in eine angemessene und angenehme Erzählform kleide oder ob meine Schreibweise anstößig ist. Darüber zu urteilen, überlasse ich dem Leser, dem das Recht dieser Beurteilung viel eher zusteht. Selbstverständlich würde ich es sehr bedauern, ihn zu langweilen oder gar sein Missfallen zu erregen. Andererseits ist es aber auch nur gerecht, wenn ich als Autorin selbst einmal dazu beitrage, den Menschen zu einem gerechten Schlaf zu verhelfen, und dadurch mit gleicher Münze zurückzahle, was mir selbst bei der Lektüre zahlloser Bücher widerfuhr – gähnen zu müssen und müde zu werden.

Zahllose Briefe sind bis zum heutigen Tage alles, was ich mein schriftstellerisches Werk nennen kann. Ihre Empfänger beteuerten mir, entzückt und hingerissen davon gewesen zu sein und meinen schönen Stil auf das Höchste zu bewundern. Da es aber alle Männer – und ich meine alle, ohne Ausnahme alle – scheinbar als ihre vordringlichste Aufgabe auf der Welt ansehen, die Frauen zu betrügen und zu belügen, gebe ich auch auf ihre Schmeicheleien und ihre Lobesworte nichts mehr, sind sie doch nur das gewöhnliche und hinterhältige Mittel ihrer Verführungskünste. Das ist ein Vorzug, wenn möglicherweise auch nicht der einzige, den der Kontakt mit dem männlichen Geschlecht und unsere Liebesbeziehungen mit ihm mit sich bringen – wir können aus ihnen manche Lehren ziehen, die wir ohne diese Erfahrungen sicherlich missen müssten.

Das neunmalkluge, das gezierte und scheinheilige Weibsbild, das sich zur Lektüre meines Buches hinreißen hat lassen, wird es bestimmt nicht versäumen, mein Werk und seinen anstößigen Inhalt zu verunglimpfen und als öffentliches Ärgernis zu bezeichnen. Bereits heute sehe ich dies mit Gelassenheit voraus und begegne ihm mit Verachtung, denn ich baue darauf, dass gescheitere Menschen auf die Worte dieser Weibsbilder nichts geben werden. Sind diese Frauen bei all ihrer scheinbaren Nächstenliebe und Sorge um ihre Mitmenschen sich doch nicht zu schade, in all ihrer frommen Beschränktheit andere mit diesen üblen Nachreden schmähen zu wollen.

Zu jedem guten Buch gehört eine Vorrede, habe ich mir sagen lassen. Dies sei die meine gewesen, wenn man sie als solche gelten lassen möchte. Und nun möchte ich zur Sache selbst kommen.

ERSTER TEIL

Aufgrund meiner guten Herkunft habe ich das Privileg genossen, sowohl eine umfangreiche und ordentliche Erziehung genossen zu haben, als auch mit ausreichend Besitz und Geld versehen zu sein, sodass ich mich zu den wohlhabenden Menschen rechnen darf. Meine Eltern waren durch den Handel in Amerika reich geworden und haben sich danach in Paris niedergelassen.

Ich bin die einzige Frucht ihres liebevollen Bundes geblieben, eines Bundes, dessen Glück niemals auch nur durch den kleinsten Schatten getrübt wurde. Sie behandelten mich immer mit größter Liebe und waren voller Zuneigung und Zärtlichkeit zu mir, während sie beide sich auch nach zwanzig Jahren Ehe weiterhin gegenseitig vergötterten. Und dies zu einer Zeit, in der es überhaupt nicht ungewöhnlich und unschicklich war, eine gute Ehe vor allem als eine sinnvolle Wirtschaft zu betrachten, in der die beiden Partner gut miteinander auskommen und sich das Leben gegenseitig nicht schwer machen.

Glücklicherweise haben sich diese Ansichten mittlerweile gemeinsam mit den Zeiten und den Gebräuchen geändert.

Das persönliche Lebensglück verlangt heute mehr als dies und das Leben ist inzwischen sehr viel besser eingerichtet. Die Lebensführung, für die ich mich entschieden habe, mag vielen romantischen Frauen verführerisch und höchst reizvoll erscheinen.

Ich bin jedoch der Meinung, dass sie weit weniger erstrebenswert ist, als der Seelenfrieden, der aus einer regelmäßigen, harmonischen und liebevollen Beziehung erwächst, in der die beiden Partner sich achten, lieben und anbeten.

Aber ist tatsächlich das Gemüt aller Frauen von der Natur so beschaffen worden, dass es die Ruhe und Süße dieser stillen Freuden würdigen kann? Die sanfte Glückseligkeit Und Beruhigung, die solch ein Zustand schenkt? Ich glaube nicht fürchten zu müssen, dass sich diese Frage entschieden verneinen lässt, und widme mich deshalb all jenen Frauen, die, wie ich, eine höchst empfindsame Seele besitzen.

Man unterstelle mir nicht, dass diese Behauptung lediglich ein Vorwand sei, um die zahllosen Sünden meines verruchten und schlechten Lebenswandels zu entschuldigen. Ich gestehe mein Unrecht ein, es treibt mir mitunter die Schamesröte ins Gesicht, aber durch mein Schreiben, dadurch, dass ich es vor aller Welt enthülle, büße ich dafür in aller Öffentlichkeit in einer angemessenen Weise.

Diese Bekenntnisse werden möglicherweise auch nicht völlig nutzlos sein, auch wenn sie in einer einfachen und manchmal etwas freizügigen Sprache verfasst wurden. Gestatteten die Spartaner nicht auch ihren Sklaven, sich hin und wieder der Trunksucht hinzugeben, um ihre Kinder die Vorzüge der Nüchternheit und des rechten Maßes zu lehren? Der Nutzen dieser Übung ist also offensichtlich. Wenn man das Laster all seines verführerischen Scheins, seiner anziehenden Hülle entledigt, die es für die Menschen so begehrenswert macht und ihnen den Verstand und ihr Urteilsvermögen raubt, und es in all seiner nackten Hässlichkeit präsentiert, verliert es seine Anziehungskraft. Dies ist der unbestrittene Nutzen solcher Erzählungen wie der hier vorliegenden.

***

Ich war noch keine dreizehn Jahre alt, als mein Vater starb. Und ich hatte noch nicht das fünfzehnte Lebensjahr vollendet, als sich eine unerklärliche Unruhe und Nervosität meiner bemächtigte, deren Ursprung mir verborgen blieb.

Ich gab mich jeden Tag verwirrenden Fantasien hin, die mein Herz mit ungekannten Wünschen füllten. All das schien mir sehr verworren und unverständlich, weil es mir bis dahin nie widerfahren war und mir seine Ursache nicht klar wurde. Mein Herz, dessen Schlag bis dahin ruhig und regelmäßig gewesen war, begann plötzlich heftig und schnell zu pochen und es entdeckte, dass es wohl nicht dazu geschaffen sei, weiterhin empfindungslos zu bleiben. Das Material, aus dem es einst geformt wurde, erwies sich von Tag zu Tag als leichter entzündlich – ein kleiner Funke genügte bald, um es lichterloh brennen zu lassen. Mittlerweile war ich fünfzehn geworden und hatte bis auf das Erlebnis einer milden Melancholie und einer nervösen Getriebenheit kaum Erfahrungen gesammelt, die als bekannte Vorboten bereits von kommenden, wilden Leidenschaft kündeten.

Zu dieser Zeit trug es sich zu, dass ich Derville begegnete, der von Amor, dessen würdiger Rivale er ohne weiteres hätte sein können, mit dem gefahrvollen und mächtigen Liebenspfeil ausgestattet wurde.

Er war damals in dem verheißungsvollen Alter, in dem die Albernheit und Befangenheit der Jugendzeit gerade überwunden ist, die Lasterhaftigkeit aber noch nicht an ihre Stelle getreten ist. Um es kurz zu sagen: Er war um die zwanzig Jahre.

Man stelle sich einen jungen Mann vor, dessen wohlproportionierte und imposante Statur mit höchst anmutigen, freundlichen und fröhlichen Gesichtszügen gepaart ist, verziert obendrein von einem frischen, jugendlichen Anstrich, der den Eindruck kraftstrotzender Gesundheit hinterlässt, sein ewig lächelndes Antlitz enthüllte außerdem die vollkommensten und strahlend weißesten Zähne, die die Welt je zu Gesicht bekommen hat.

Man stelle sich weiters, mit den entsprechend geneigten und zärtlichen Blicken, ein glühendfeuriges Augenpaar vor, Schenkel mit ein paar Waden, die jeden Maler entzückt hätten, weiters eine hinreißende, bezaubernde Lebendigkeit und Munterkeit und dazu eine gute Erziehung, die nur aus dem steten Umgang mit gebildeter und guter Gesellschaft entstehen kann – all das und man hat das Bild meines jungen Helden vor dem geistigen Auge.

Wir bemerkten einander zum allerersten Male auf einem Ball.

Kaum hatte ich seine Anwesenheit bemerkt, fühlte ich Beunruhigung und Furcht. Beides zusammen versetzte mein Herz in Trauer und in schmerzliche Empfindungen, ließ zugleich aber auch das Gefühl von Freude erwachen. Die vielen Vorzüge, die er beim Tanzen zur Schau stellte und auf seiner Person vereinigte, ließen meine bedingungslose Kapitulation unumgänglich werden. Er allein schien dazu bestimmt zu sein, den Keim der Liebe und der Zärtlichkeit in meinem Herzen zum Erwachen zu bringen und meinem Herz den ersten Vorgeschmack auf eine feurige Leidenschaft zu geben, Empfindungen, die immer qualvollem Schmerz und furchtbarem Kummer vorausgehen.

Er bat mich um einen Tanz und ich schenkte ihn ihm mit größtem Vergnügen. Dabei war ich nicht der einzige Mensch im Raume, dem es nicht entging, dass es mitnichten das Tanzen selbst war, auf das sich sein Interesse richtete. Seine Nervosität und Unaufmerksamkeit, seine zu schnell und holprig gesetzten Tanzschritte, seine Blicke, die unaufhörlich die meinen suchten, verrieten die Verwirrung seiner Empfindungen.

Mein Herz hatte begonnen, heftig zu klopfen und ich fürchtete, dass es mich verraten könne, und musste deshalb diese gefahrvolle Unternehmung beenden und befreite mich aus seinen Armen. Das Menuett war gerade zu Ende gegangen, da geleitete mich Derville schon in einen Nebenraum.

Der blinde und hämische Liebesgott, der mich zu seinem Opfer auserkoren hatte, veranlasste, dass wir dort ganz alleine und ungestört waren. Beide waren wir gleichermaßen verlegen und in Erregung und brachten kein einziges Wort über die Lippen. Derville berührte meine Hand mit seinen Lippen und dieser Kuss war von jener Sorte, die von dort direkt zum Herzen dringen, um es in eine leidenschaftliche und heftige Erregung zu versetzen, derweil seine Wohltuendheit und Süße von einer empfänglichen Seele, wenn es mir erlaubt ist, es so zu formulieren, mit unbeschreiblicher Freude gekostet werden.

Ich bemühte mich danach, eine unbeteiligte und abweisende Miene zur Schau zu stellen und diese unter keinen Umständen fallen zu lassen. Tatsächlich war ich aber viel zu bewegt und musste unwillkürlich und gegen meine Absicht lächeln. »Darf ich mich so glücklich schätzen, Mademoiselle«, fragte Deville mich daraufhin, »bei Ihnen dieselben Empfindungen hervorzurufen, die Ihr Anblick in meinem Herzen wachgerufen hat und die dort nun auf ewig bleiben werden?«

Nachdem er dies gesagt hatte, verstummte er wieder. Entweder, weil sich seine Empfindungen nicht in Worte fassen und erklären ließen oder weil er von mir eine Antwort erwartete.

Ich fühlte mich aber durchaus nicht in der Lage, ihm diese zu geben, denn ich wusste nicht, was ich ihm darauf antworten sollte. Vermutlich hätte er die Gelegenheit gehabt, sich eine gute Weile an meiner Verwirrung zu ergötzen, wäre ich nicht durch ein Geräusch aufgeschreckt worden, verursacht durch einige Personen, die den Raum betraten.

Eigentlich hätte ich ihn von diesem Moment an zweifellos meiden sollen oder ihm doch zumindest die Frechheiten, die er sich mir gegenüber herausgenommen hatte, verbieten sollen. Ich fand mich aber weder ausreichend vorbereitet und geübt darin, jede denkbare Miene zur Schau zu stellen, auch wenn sie meiner Gemütslage ganz und gar nicht entsprach, noch war ich in der Lage, ihn auch nur für einen Augenblick zu betrachten, ohne dass ich ihn sofort noch viel anziehender als zuvor fand. Bei jedem Blick auf ihn wünschte ich mir insgeheim, er möge mir weiterhin seine zärtliche Zuneigung versichern, nach der mein Herz sich sehnte wie nach nichts anderem.

Unglücklicherweise siegte aber meine Zurückhaltung und ich hielt es für klüger, ein abweisendes Gesicht zu machen, was ich unmittelbar darauf aber sehr bedauern musste. Derville ging nämlich zu meiner Mutter, nahm neben ihr Platz und zeigte fortan nicht das geringste Interesse mehr an dem Ballgeschehen, das ihn bis dahin doch ganz in den Bann gezogen hatte.

Und schon begann ich damit, junge Mannsbilder, das heißt die Männer im Allgemeinen, zu verfluchen, denn die Unbeständigkeit ihrer Gefühle schien mir durch das Verhalten jenes jungen Mannes bewiesen, der eben noch mein Herz in solche Erregung versetzt hatte und sich nun in dieser Weise benahm. Ich war auch bemüht, ihn meinen Verdruss durch einen enttäuschten und bösen Blick spüren zu lassen, was ihm auch nicht entging.

»Denken Sie nicht schlecht von mir«, wandte er sich eindringlich an mich, »auch wenn mein Verhalten solch ein Urteil nahe zu legen scheint. Ich bin lediglich bemüht, Mittel und Wege zu finden, mich Ihrer Gunst und eines Beweises Ihrer Zuneigung zu versichern und Ihnen zu zeigen, wie sehr ich mich danach sehne. Ich fürchte aber zugleich, dass mich mein quälender Verdacht nicht trügt, dieses Glückes doch unwürdig zu sein.«

Man brauchte nicht sonderlich viel Scharfsinn, um zu erkennen, dass er sich durch diese Worte das Vertrauen meiner Mutter sichern wollte, und auch mir entging dies nicht. Er hoffte augenscheinlich darauf, mit diesem Vertrauen auch die Erlaubnis zu erhalten, mir in meinem Elternhaus in Zukunft seine Reverenz erweisen zu dürfen.

Er konnte meinen stillen und überschwänglichen Dank für diese Schliche wohl auch in meinen Augen ablesen, denn kaum eine Sprache ist wahrscheinlich so viel sagend wie die Sprache der Augen, vor allem, wenn sie über unsere Empfindungen und die Gefühle unseres Herzens berichtet.

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Als der Abend weit fortgeschritten und die Stunde gekommen war, zu der wir uns anschickten, den Heimweg anzutreten, bat Derville meine Mutter um die Erlaubnis, uns nach Hause geleiten zu dürfen. Meine Mutter gestattete es ihm. Wir setzten uns zu dritt in den Wagen und ich nahm neben ihm Platz. Durch das Dunkel des Wageninneren geschützt, traute er sich, nach meiner Hand zu greifen, und erdreistete sich sogar, sie in seine zu nehmen und sie zärtlich zu umschließen. Mich durchlief daraufhin ein starkes Beben und mein Zittern war so heftig, dass es auch von meiner Mutter nicht unbemerkt blieb. Ich stotterte einige Entschuldigungen und schob die Kälte als Grund vor – glücklicherweise schenkte meine Mutter mir Glauben. Es war dies das allererste Mal, dass mich Verliebtheit zum Lügen brachte, und es sollte nicht das letzte Mal bleiben.

Schließlich erreichten wir unser Haus, wo Derville sich von uns beiden verabschiedete. Er entfernte sich jedoch nicht, ohne sich vorher von meiner Mutter die Erlaubnis erbeten zu haben, uns zuweilen seine Aufwartung machen zu dürfen.

Meine Gedanken kreisten weiter um ihn, mein Kopf und mein Herz waren übervoll von den vergangenen Erlebnissen, sodass ich mich ohnehin mit nichts anderem beschäftigen konnte und mich deshalb gleich in unsere Wohnstube begab, um mich dort ungestört und nach Herzenslust meinen schwärmerischen Fantasien hingeben zu können.

Ich trachtete danach, herauszufinden, welcher Art die unerwarteten und unbekannten Veränderungen meiner Gedanken und meines Fühlens waren, die ich an mir beobachten konnte. Aber meine Anstrengungen blieben erfolglos, ich konnte mir selbst nicht erklären, was in mir vorging. Zwar empfand ich die ganze Macht der intensiven Anziehung, die mein Herz ergriffen hatte und an das Herz des jungen Mannes binden wollte, aber eine hinreichende Erklärung für diese wundersamen Phänomene vermochte ich mir nicht zu geben.

Darum beschränkte ich mich darauf, mir jeden Moment des vergangenen Abends ins Gedächtnis zu rufen: Wie unbeschreiblich reizend er doch ist! Aber auch dieser Zeitvertreib gab mir keinen Aufschluss darüber, weshalb er mir teurer als alle anderen Männer war, dieses Rätsel zu lösen, hätte wohl alleine Derville selbst vermocht.

Meine Unruhe folgte mir bis in mein Schlafgemach, und als ich dort vergeblich den Schlaf suchte, überkam mich eine Vorahnung des Schmerzes und all der unerfreulichen Verwicklungen, die der Lust und der Freude allzu häufig auf dem Fuße folgen, und dies bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem ich die Vergnügungen überhaupt noch nicht gekostet hatte, zu denen die Liebe mich trieb.

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Die Gefühle, die in meinem Herzen tobten, waren natürliche Vorgänge und so hatte die Natur auch Sorge dafür getragen, dass sie mir tief im Inneren nicht gänzlich unverständlich blieben.

Dennoch hatte meine Erziehung, die solcherlei Dinge wohlweislich ausgespart hatte, mich darüber in so vollständiger Unwissenheit gelassen, dass meine Vorstellungen und Urteile in einen Dunst gehüllt waren, den ich nun nur zu gerne durchdrungen hätte. Welch wundersame Wirkung der Liebe!

Derville, den ich kaum einige Stunden kannte, Derville, der ein Geschlecht hatte, von dem man mir zeit meines Lebens nur die fürchterlichsten Dinge erzählt und mir eingeschärft hatte, stets vor ihm auf der Hut zu sein, Derville, dessen Wesen, Gewohnheiten und Betragen mir in ihren Einzelheiten noch vollkommen unbekannt waren, dieser Derville schien mir das einzige Geschöpf, der einzige Mensch auf Erden zu sein, der es wert war, von meinen geheimsten Empfindungen und Gedanken zu erfahren, und der alleine in der Lage zu sein schien, mich vollkommen glücklich zu machen.

Meine Grübeleien und Schwärmereien hielten mich bis zum darauf folgenden Morgen wach. Dem Morgen eines denkwürdigen Tages, war er doch der erste einer Lebensphase, in der ich eine zahllose Reihe von Verwicklungen, unbedachten Unternehmungen und regelrechten Eskapaden absolvieren sollte.

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Kaum war der Tag angebrochen, ließ ich mich m Fenster nieder, in der Gewissheit, dass Derville keinesfalls lange auf sich würde warten lassen. Schließlich hatte er uns nach Hause begleitet, sich sodann die Genehmigung von meiner Mutter geben lassen, uns jederzeit willkommen zu sein, und jetzt, so sagte ich mir, forderten es einfach der Anstand und die gute Erziehung, heute auch gleich tatsächlich bei uns vorzusprechen und sich danach zu erkundigen, ob wir wohl geruht hätten.

Recht besehen, waren dies außerordentlich gewitzte Überlegungen für eine junge Person von gerade einmal fünfzehn Jahren.

Aber es ist ja kein Geheimnis, dass die Liebe ein vorzüglicher Lehrmeister ist, in dessen Schule wir auch die kompliziertesten Sachverhalte und Fertigkeiten im Nu erlernen und der uns immer weiter zur Vervollkommnung unserer Künste anleitet und antreibt. Es sei hier auch nicht verschwiegen, dass ich überdies zahlreiche der kurzen Erzählungen gelesen hatte, die damals erhältlich waren und uns mit aufschlussreichen Geschichten über die Liebe amüsierten und in ihre Ränke einführten.

Ich saß voller Ungeduld bald eine ganze Stunde dort am Fenster, die meine Ruhelosigkeit und Gespanntheit unerträglich lange machte und die mir eine ganze Ewigkeit zu dauern schien. Dabei vergaß ich vollends, dass es für einen Besuch ja noch viel zu früh am Morgen war.

Und endlich, endlich erblickte ich ihn! Welche Freude mich bei seinem Anblick augenblicklich ergriff, welch heftige Erregung sich sofort meines Herzen bemächtigte, lässt sich nicht in Worte fassen!

Meine Mutter lag noch im Schlummer und ich rannte, bevor ich irgendetwas anderes tat, so schnell ich konnte zu ihrer Kammerzofe, um sie zu bitten, die Herrin auf gar keinen Fall aufzuwecken, da sie nach dem Tanzvergnügen des langen Schlafes wohl dringend bedürfe.

Kaum hatte ich meine Bitte – die einer jungen Frau meines Alters ganz bestimmt niemals eingefallen wäre, hätte nicht die Lehrmeisterin Liebe sie ihr eingeflüstert – der Zofe vorgetragen, da betrat Derville auch schon das Haus.

Wir trafen einander im Vorzimmer und ich überlegte fiebrig, wohin ich ihn bitten sollte. Ich scheute davor zurück, ihn in mein eigenes Wohnzimmer zu laden, denn ich war mir der Missbilligung meiner Mutter gewiss, würde sie ihn dort antreffen. Dennoch glaube ich mittlerweile, dass meine starke Neigung zu Derville letztlich wohl siegreich gewesen wäre und ich mit ihm trotzdem dorthin gegangen wäre, hätte nicht besagte Zofe vorgeschlagen, dass wir beide am besten einen Spaziergang im Garten machen sollten, bis meine Mutter erwacht sei – ein Vorschlag, dessen Unbesonnenheit sie wohl bereuen mag.

Die Zofe besaß wohl zuvorkommendes und höfliches Betragen, durch besondere Gewitztheit zeichnete sie sich jedoch nicht aus.

Der Morgen war äußerst kühl, dennoch luden die gerade emporsteigende Sonne und der blanke Himmel zu einem ausgedehnten Gang ein, so schien es uns zumindest, die wir gegenüber jeden äußeren Umständen, und wären sie auch äußerst widrig, völlig unempfindlich waren. An die möglichen Folgen dieses Plans und die gefahrvollen Situationen, in die mich solch ein unbeaufsichtigter Ausflug möglicherweise bringen könnte, verschwendete ich keinen einzigen Gedanken. Ich war durch meine unschuldige Unwissenheit und meine Verliebtheit völlig verblendet.

Wir stiegen also hinab in den Garten, der sehr weitläufig war. Eine blühende, große Wiese, die von alten, mächtigen Kastanien umstanden war, erschien uns beiden als idealer Ort, um uns dort niederzulassen.

Derville hatte meine Hand genommen und führte mich liebevoll zu diesem lauschigen Platze, der wie geschaffen war für geheime Zärtlichkeiten und kleine Freiheiten, und bat mich, mich neben ihn auf den Rasen zu setzen. Im nächsten Augenblick überschüttete er mich bereits mit schmeichelnden Worten, liebevollen Komplimenten und küsste meine Hand wohl Abermillionen Mal. Und obgleich ich sie verschämt und mechanisch immer zurückzog, nachdem er sie mit seinen Lippen berührt hatte, ließ ich sie mir gleich darauf von ihm auch schon wieder rauben und das Spiel begann von neuem.

»Ich vergöttere Sie, meine liebreizende und betörende Bleville«, brachte er hervor, »mein Herz birst von der ganzen Stärke einer glühenden und wahrhaftigen Leidenschaft, die meine Zärtlichkeit für Sie in mir entfacht hat. Wächst denn die wahre Liebe erst? Hat sie derlei nötig? Entwickelte sie sich nach und nach? Oh nein! Sie trifft uns mit ihrer ganzen Wucht und Größe schon im ersten Augenblick, da wir des geliebten Geschöpfes ansichtig werden, von dem wir auf der Stelle wissen, dass es uns bis ans Ende unserer Tage das Wichtigste auf der Welt sein wird.«

Ich wusste keine rechte Antwort auf diese Reden, vor allem, weil sie mit solch ungeheurer Inbrunst und in verliebter Ekstase von meinem Geliebten gesprochen wurden, und ein viel sagendes Schweigen breitete sich daraufhin zwischen uns aus und ließ unsere Unterhaltung verebben. Ein Schweigen jedoch, in dem wir uns prächtig verstanden und die Gedanken und Gefühle des anderen weit besser ergründen konnten, als es uns je in einem Gespräch möglich gewesen wäre.

Die Liebe hat ihre eigene Sprache und ein einziger Moment genügt vollauf, um sie zu erlernen und zu verstehen. Eine wundervolle Sprache! Die Sprache des gekosteten Glückes und der wahrhaftige Begriff für ehrlich gefühlte und doch scheue Zuneigung, die gerade erst damit beginnt, die neuen Freuden zu genießen.

Schließlich war es Derville, der das schöne Schweigen unterbrach und den wonnevollen Momenten ein Ende machte.

»Weshalb nur antworten Sie mir nicht, Mademoiselle?«, schrie er fast und warf sich mir dabei zu Füßen.

»Muss ich Ihr Schweigen als Gefühlskälte deuten oder gar daraus schließen, dass Sie mich verachten? Und wenn das so wäre – darf ich zumindest weiterhin hoffen, Sie noch von meinen besten Absichten überzeugen zu können? Ein einziger Blick von Ihnen wie der gestrige, der voll Zorn und Missfallen war, genügt, um mir das schlimmste Geschick anzukündigen und mich in Verzweiflung zu stürzen. Wodurch habe ich das verdient? Denken Sie etwa, dass ich es übers Herz gebracht hätte, auch nur für eine Sekunde von Ihrer Seite zu weichen, wenn nicht unser zukünftiges Glück dieses große Opfer von mir gefordert hätte? Oh nein, angebetete Bleville! Die Regung, die sich meines Herzens bemächtigt hat, ist keine, die wieder weicht, so schnell wie sie es ergriffen hat.

Dieser eine schreckliche Augenblick, von dem ich eben sprach, nötigte mich dazu, mir die allergrößte Gewalt anzutun, mich mit allen Kräften zu beherrschen, um nicht sofort zu Ihren Füßen niederzusinken und Ihnen zu schwören, dass mein Herz Ihnen gehört. Dieser eine Augenblick, in dem Sie selbst mich der Gleichgültigkeit und Wankelmütigkeit verdächtigten.

Lassen Sie mir Gerechtigkeit widerfahren, bezaubernd schöne Bleville, und gewähren Sie mir die Gunst, nachdem Ihnen meine Liebe die Lauterkeit meiner Absichten und die Unbegründetheit ihrer Verdächtigungen bezeugt hat, meinen Liebesbekundungen nun auch eine Antwort zu schenken.«

Die Feurigkeit und Ernsthaftigkeit, mit der Derville dies alles vorgebracht hatte, ließ keinen Zweifel an seiner Zuneigung. Unverkennbar lag darin der Ausdruck zärtlichster Gefühle für mich. Und obgleich ich mich liebend gerne geäußert hätte und ihm keine Antwort schuldig bleiben wollte, errötete ich heftig und konnte mich nur stammelnd und in halben Sätzen an ihn wenden.

Daraus lässt sich leicht ersehen, dass es mir einfach nicht mehr länger möglich war, seinem leidenschaftlichen Drängen und dem Feuer seines Herzens länger Widerstand zu leisten.

Wie schon erwähnt, lag Derville bereits vor mir auf den Knien. Diese höchst gefahrvolle Position, in der er sich so eingerichtet hatte, die glühende Schwachheit, die in meinen Augen stand, ermutigten ihn, sich gewisse Freiheiten herauszunehmen, die meinen Willen nun gänzlich brachen.

Meine Tugendhaftigkeit bäumte sich noch ein letztes Mal für einige Momente auf, bevor sie sich geschlagen geben musste. Meine schwindende Abwehr und mein Schwachwerden waren ihm nun Beweis genug für die leidenschaftliche Liebe, die ich ihm entgegenbrachte.

Solcherart in seinem Verhalten bestätigt, wurde Derville, der mein Herz weiter mit unzähligen Küssen in brennende Leidenschaft, flammende Inbrunst und feurige Liebe versetzt hatte, die auch sein Herz zum Lodern brachten und mir glühend zugeneigt machten, wurde nun noch ein wenig dreister. Und als mich nun auch noch das letzte Quäntchen Widerstand verließ, ließ ich mich glücklich in seine Arme sinken.

***

Es ist euch vermutlich ebenfalls nicht unbekannt, ihr zart fühlenden und sensiblen Seelen von meinem Geschlecht, dass es erst eure bedingungslose Kapitulation war, die euch zu liebevoller Zärtlichkeit und wahrhaftigem Liebesglück verhalf! Und ihr allein könnt beurteilen, ob es ähnlich süße Freuden auf dieser Welt gibt, die auch nur annähernd an jene heranreichen, die mit diesem Zustand einhergehen. Einem Zustand, in dem sich das Herz in Frohlocken preisgibt und sich vollständig in dieser Verzückung verliert.

Jede kleinste Geste des Geliebten löst in diesen Momenten unweigerlich Entzücken aus, die geringsten seiner Bewegungen verschaffen wollüstige Freuden, alles verwandelt sich in das reinstes Vergnügen, das uns mit unbekannten Gefühlen überschwemmt und unsere Herzen und Seelen mit größter Lust und Leidenschaft erfüllen. Und die nachfolgenden Momente erst! Sind sie nicht beinahe noch süßer als die vorangegangenen Freuden selbst? Gewähren sie nicht noch reinere Vergnügungen? Das allerletzte der lustvollen Gefühle ist die größte Steigerung, der letzte Gipfel intensiver Empfindungen und ihr Überfluss.

***

Aufgrund falsch verstandener Scham, die nicht aus Reue entsprang, senkte ich danach meine Blicke und war mir kaum mehr bewusst, wer ich war und was aus mir geworden. Ja, noch weniger wusste ich, was nun aus mir werden sollte, hatte ich dergleichen doch nie zuvor erlebt. Nie zuvor hatte ich mich in einer ähnlich außergewöhnlichen Situation befunden, kein Ereignis meines Lebens hatte mich je derart in Verlegenheit gebracht wie dieses und keine Bestürzung war mit der vergleichbar, die ich nun empfand.

»Meine Freundin!«, brachte Derville hervor, »bereuen Sie das Vorgefallene etwa? Bereuen Sie etwa, dass Sie Ihren Geliebten glücklich gemacht haben? Ihren Geliebten, dessen Herz Ihnen vollkommen ergeben ist, dessen Gefühle Ihnen aufrichtig und ungeheuchelt vollständig gehören und der sich inniglich nach Ihrer Gunst verzehrt hat? Der voller Begierde danach schmachtete, diese Bezeugungen Ihrer Leidenschaft zu empfangen und der nun in ihren Genuss kam und dadurch die höchsten Wonnen und das größte Glück gekostet hat?«

»Aber nein, mein geliebter Derville«, gab ich ihm beruhigend zur Antwort. »Genießen Sie weiterhin Ihr Glück und leben Sie allein, um diese süße Glückseligkeit in vollen Zügen zu genießen. Das wünsche Ich Ihnen von ganzem Herzen, denn nur von Ihrem Glück hängt auch das meinige ab. Seien Sie darum auf immer und ewig glücklich! Aber versprechen Sie mir, dass Sie Ihr Glück, Ihre höchsten Freuden und reinsten Vergnügungen stets nur in der Erfüllung Ihrer Liebe zu mir suchen.«

»Teure Geliebte!«, entgegnete er mir sogleich. »Schmähen Sie das junge Glück, die zarte Liebe nicht! Trüben Sie nicht unbedacht die reinen Freuden dieser zärtlichen Empfindungen durch Ihre Verdächtigung, sie könnten jemals von Treulosigkeit oder Wankelmut beeinträchtigt werden.«

Und mit zwei leidenschaftlichen und glühenden Küssen besiegelte er diesen Schwur und bewies er mir seine ungeteilte Liebe, die er mir dazwischen immer wieder aufs Neue beteuerte.

Meine Frisur hatte unter seinen ungestümen Zärtlichkeiten sichtbar gelitten und auch meine Kleidung war in schreckliche Unordnung geraten. Kaum machte ich mich jedoch daran, diese Verwüstung wieder zu beseitigten, entfachte ihr Anblick erneut Dervilles Verlangen und er suchte mit seinen Lippen meinen Mund. Kurz darauf sanken wir zurück in die trunkene Süße unserer Leidenschaft, einer wilden Leidenschaft, wie sie nur wahrhaft Liebenden vertraut ist, deren Herzen einander vollkommen gehören. Meine Seele gehörte in diesen Augenblicken alleine Derville, so wie auch seine mir allein zu gehören schien.

***

Wir rissen uns schließlich aus diesem Taumel und es war auch höchste Zeit, den Garten zu verlassen und ins Haus zurückzukehren. Dabei versuchten wir, so gut wir es nur vermochten, unser Glück geheim zu halten und uns unsere Freude nicht anmerken zu lassen.

Meine Mutter war in der Zwischenzeit erwacht und aufgestanden. Die Kammerzofe hatte es unterlassen, ihr zu berichten, dass Derville uns seine Aufwartung gemacht hatte. Deshalb glaubte meine Mutter, als sie mich und Derville gemeinsam das Zimmer betreten sah, wir hätten uns soeben erst im Vorzimmer getroffen.

Alles verlief glatt und besser, als wir erhofft hatten. Derville machte ihr höflich seine Komplimente und erneuerte seine Bitte, uns doch wieder besuchen zu dürfen, was meine Mutter ihm auch gnädig gestattete – wann immer und so oft es ihm genehm sei.

Unterdessen verabschiedeten wir beiden uns alleine mit Blicken, die von der heftigsten Erregung unserer Herzen begleitet waren. Doch was unsere Augen einander mitteilten, verhehlten sie zugleich vor den Augen meiner Mutter: unsere bedingungslose Zuneigung. Kaum hatte ich Liebe erfahren, hatte sie mich auch schon die Kunst der Täuschung gelehrt. Wie schnell und umfassend vermitteln sich solche Künste doch, erhält man die entsprechenden Lektionen nur von einem solch kundigen Lehrmeister, wie die Liebe einer ist.

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Vermutlich werden nicht wenige meiner Leser zu Recht finden, dass ich als Halbwüchsige von kaum fünfzehn Jahren schon recht ansehnliche Fortschritte auf diesem Gebiet vollbracht hatte. Dennoch hoffe ich sehr, dass Sie gerade meine Unerfahrenheit und mein zartes Alter zu meinen Gunsten anführen werden.

Mein mangelnder Widerstand gegen die Freiheiten meines Geliebten erklärt sich vor allem daraus, dass ich, unerfahren wie ich war, gar nicht hatte voraussehen können, wohin seine Bemühungen uns führen würden. Zudem setzten die unbekannten Regungen, die mein Herz ergriffen hatten, meinen Verstand völlig außer Gefecht, sodass ich außer Stande war, vernünftige Überlegungen über meine Lage anzustellen.

Und obendrein – ein jeder betrachtet schließlich die Dinge auf die ihm eigene Art und Weise und ich für meinen Teil halte es nicht für verwerflicher, die Geschichte zu einem raschen Abschluss gebracht zu haben, als mein ganzes Bemühen darauf zu verwenden, sie immer weiter hinauszuzögern und ungebührlich in die Länge zu ziehen.

Lässt sich denn tatsächlich sagen, dass es besser ist, nach und nach und nur ganz allmählich schwach zu werden, statt sich plötzlich und ohne Zaudern hinzugeben? Verfolgt man erstere Strategie, so richtet man sich nach den Regeln der guten Sitte, mit deren Vorschriften sich das Spiel der Verliebten tarnt. Im zweiten Fall folgt man den Regeln und dem Anraten der Natur und der Liebe und überlässt sich ganz den Forderungen seiner Leidenschaften.

Die strenge und reine Morallehre wird zwar dafür plädieren, dass das eine wie das andere verfehlt sei und man keines der beiden tun sollte, dies ist mir durchaus klar. Doch es bleibt eine unumstößliche und ewige Wahrheit (wie ich in weiterer Folge noch einige Male bestätigt gefunden habe), dass sowohl die schlimmsten Vergehen und die furchtbarsten Fehler als auch die besten Handlungen und die großherzigsten Taten beide zumeist aus Situationen entstehen, über die wir keinerlei Macht haben und die wir keineswegs in unserer Gewalt haben und nach unserem Gutdünken entscheiden können.

So kann beispielsweise eine Frau, die über ein ganzes Jahr hinweg die Versuchung bekämpft hat – was beinahe schon eine Sache der Unmöglichkeit ist –, sich dabei auch sehr viel Ehre und gutes Ansehen erworben hat, all das, was sie durch ihr tugendhaftes Verhalten, ihren ausdauernden Widerstand und ihre vorbildliche Willensstärke gewonnen hat, in einem einzigen schwachen Moment auch schon wieder verlieren.

Ein einziger Augenblick der Schwäche, den sich ein gewiefter und durchtriebener Liebhaber zunutze zu machen weiß, der im rechten Moment zur Stelle ist, genügt, um all das wieder zunichte zu machen.

Schwachheit gehört zum weiblichen Geschlecht, die Natur hat es damit ausgestattet und deswegen droht ihm von jedem Mannsbild unweigerlich Gefahr, solange dieses nur ein wenig Verstand und dazu vielleicht auch noch ein ansehnliches Äußeres besitzt und beides durch die richtige Anleitung auch anzuwenden und einzusetzen weiß. Sich auf seine Tugend zu stützen und sich auf diese in solchen Situationen zu verlassen – damit ist es also schlecht beraten. Schlecht beraten auch deshalb, weil die Aussicht, durch eisern aufrechterhaltene und in allen Lebenslagen beibehaltene Sittsamkeit jemals Glückseligkeit zu erreichen, nur jenen vergönnt ist, die entweder vollkommene Weisheit erlangt haben oder, ganz im Gegenteil, gänzlich ungebildet und dumm sind. Diese Wahrheit wird all jenen, die sie für wert befinden, sich ein paar Gedanken über sie zu machen, nicht unwahrscheinlicher und abwegiger erscheinen, nur weil sie von einer jungen Frau aus gutem Hause vorgebracht wurde.

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Da ich hier nun schon einmal dabei bin, Betrachtungen allgemeiner Natur anzustellen, so will ich auch nicht länger damit hinter dem Berg halten, dass ich der Ansicht bin, dass es schicksalhafte Zusammenfügungen gibt.

Die These, dass derlei vorkommt, wird tagtäglich wohl mindestens zehnmal bestätigt, durch Ereignisse, die sich immer wieder unter genau denselben Bedingungen zutragen.