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Über dieses Buch:

Frankreich, im 18. Jahrhundert: Behütet wächst die junge Laura bei ihrem Stiefvater auf, der alles daran setzt, um ihre Unschuld zu bewahren. Doch als Laura ihn dabei beobachtet, wie er ihre hübsche Gouvernante Lucette verführt, weckt dies eine unbändige Lust in ihr. Laura fleht Lucette an, sie auch in die Kunst der Liebe einzuweihen – doch was dann passiert, übersteigt selbst ihre wildesten Fantasien …

Das Skandalbuch des 18. Jahrhunderts: Entdecken Sie den prickelnden Zauber dieses Klassikers der erotischen Literatur.

Über den Autor:

Der Autor Honoré Gabriel Victor de Riqueti, Comte de Mirabeau (1749 – 1791) war einer der bekanntesten Wortführer der Französischen Revolution. In seinem Kampf für die Freiheit und gegen die verlogene Moral seiner Zeit verfasste er politische Schriften und veröffentlichte erotische Romane. Seinen freizügigen Lebenswandel musste er des Öfteren vor Gericht verteidigen.

Bei venusbooks erscheint ebenfalls der erotische Klassiker Der vornehme Wüstling – Meine Bekehrung von Mirabeau.

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eBook-Neuausgabe April 2018

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die französische Originalausgabe erschien 1786 unter dem Titel Le Rideau levé, ou l'Education de Laure.

Unter dem Titel Der gelüftete Vorhang oder Lauras Erziehung erschien 1907 die erste deutsche Übersetzung.

Copyright © der Neuausgabe 2018 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Svyatoslava Vladzimirska

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95885-608-0

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Im realen Leben dürfen Erotik, Sinnlichkeit und sexuelle Handlungen jeder Art ausschließlich zwischen gleichberechtigten Partnern im gegenseitigen Einvernehmen stattfinden. In diesem eBook werden erotische Phantasien geschildert, die vielleicht nicht jeder Leserin und jedem Leser gefallen und in einigen Fällen weder den allgemeinen Moralvorstellungen noch den Gesetzen der Realität folgen. Es handelt sich dabei um rein fiktive Geschichten; sämtliche Figuren und Begebenheiten sind frei erfunden. Der Inhalt dieses eBooks ist für Minderjährige nicht geeignet und das Lesen nur gestattet, wenn Sie mindestens 18 Jahre alt sind.

Mirabeau

Lauras erotische Erziehung

Erotischer Roman

venusbooks

Vorspiel

Brief von Sofie an den Chevalier d'Olzan

Ich schicke Euch, werter Chevalier, ein galantes Schreiben. Ihr werdet Euch kaum vorstellen können, wo ich selbiges entdeckt habe. Eine kleine, papierne Kostbarkeit, von hübscher Hand des weiblichen Geschlechts geschrieben, eine kurzweilige Spielerei für ruhige Stunden, die Eingang in ein Kloster gefunden hat.

Wie konnte ein solch schlüpfriges Buch in die heiligen Gemäuer eines Klosters gelangen und in die Hände einer unschuldigen Nonne, werdet Ihr Euch fragen? Nur mit Mühe konnten sich meine Augen davon überzeugen.

Und doch ist es die reine Wahrheit, mein Chevalier, ein wahrhaft seiner Bestimmung würdiges Geschenk.

Die Liebe kennt man auch hinter Klostermauern nur zu gut: Höchste, zarteste Gefühle zu erleben, gehört eben zur Natur auch des zarten Geschlechts, und die Empfindsamkeit ist der wichtigste Teil seines Wesens; auch die Wollust ist dem weiblichen Wesen mehr als vertraut und gehört ebenso in dessen Repertoire. Wenn man an die Abgeschlossenheit im Klosterleben denkt, an dies zwanghafte Entsagen aller weltlichen Genüsse, dann verwundert es kaum, wenn Frauen des Klerus sehr anfällig für alle Arten von erotischen Freuden sind.

Daher verwundert es nicht, wenn das Weib, vom eifersüchtigen Manne gefangen gehalten, beobachtet und verfolgt, erst recht das Verlangen nach dem zuckersüßen außerehelichen Abenteuer in sich birgt, und dies als willkommenen Ausbruch aus ihrem Gefängnis ansieht und nur diesem einen Gedanken nachgeht, nämlich, wie aufregend es sein könnte, erotische Gelüste andernorts denn zu Hause auszuleben.

Selbst die sinnlichsten Frauen lassen sich gerne durch die mondänen gesellschaftlichen Vergnügungen und Leidenschaften zu solch oberflächlichem Tun verführen.

Die wahrhafte, die ungestüme Liebe bleibt der Einsamkeit vorbehalten. So verwundert es nicht, dass folgende niedergeschriebene Geheimnisse in einer finsteren Klosterzelle die Mußestunden auf die erotischste Weise auszufüllen verstanden.

Meine Schwester, welche Nonne ist, hat mich gebeten, einige Tage bei ihr zu verbringen, und da Ihr nicht bei mir wart, mein Chevalier, kam mir ihr Ansinnen gerade recht. Mein bester Freund, wie sehr kann ich die Qualen meiner Schwester verstehen, und wie sehr bin ich mittlerweile selbst davon durchdrungen und durchleide ihr Martyrium.

Sie ist eine anmutige Grazie voller Schönheit, gutem Geschmack und regem Geist. Sie hat ein sanftes, zartes Herz und ward verschlossen hinter Klostermauern, noch ehe sie sich ihrer selbst gewahr werden konnte. Ich, die ich viel weniger Recht auf das Glück habe, wäre an ihrer Stelle todunglücklich.

Sie erwartete voller Ungeduld eine Freundin, die alsbald zu ihr kommen sollte, um sie zu besuchen. Sie schwärmte von ihr, erzählte voller Liebe von deren zärtlich-anmutigem Wesen, von ihrer in allen Farben schimmernden Persönlichkeit.

Immer wieder fing sie damit an, mir von ihr zu erzählen. Sie konnte es kaum erwarten, sie wieder zu sehen. Eines Tages bekam sie von ihr ein Kästchen voller kleiner Dinge, die zu einer Nonne wohl passten; wie immer waren auch die Oberinnen und Schwestern sehr neugierig auf den Inhalt der kleinen Schatulle. Eine wertvolle Entdeckung jedoch entging ihrem Blick.

Ich selbst, von Neugier gepackt, nahm die erste Gelegenheit der Abwesenheit meiner Schwester wahr, die Schachtel näher zu untersuchen.

Dabei fiel mir auf dass der Boden für eine Schatulle dieser Größe reichlich dick geraten war. Er war gedoppelt, wie sich bald darauf herausstellte, und enthielt ein kleines Schriftstück.

Ich lasse es Euch hiermit zukommen. Während meiner Gebetsstunden in Klausur habe ich den Text heimlich abgeschrieben.

Vielleicht gelingt es mir, Euch mit dem Geschriebenen Euren Pariser Schönheiten zumindest für eine kurze Weile zu entreißen. Eure Abwesenheit bringt mich schön langsam um.

Bringt mir doch dies nette kleine Manuskript, samt meinem Herzen und meinem Leben. Auf dass wir es gemeinsam mit Liebe noch einmal lesen.

Chevalier d'Olzan hat das Manuskript drucken lassen, nicht ohne vorher die Namen der handelnden Personen zu verändern; im Stile allerdings hat er es genau so belassen, wie es von den zarten Händen einer Frau dem Papier überantwortet worden war.

Laura an Eugenie

Fort mit all diesen strohdummen Vorurteilen! Nur ängstliche Menschen und unsichere Seelen sind deren Untertan! Nichts soll mich länger davon abhalten, Euch nun, geliebte Eugenie, um diese zärtlichen Vergnügungen und Zuwendungen zu bitten.

Ja, meine Liebe, es handelt sich um jene Augenblicke, von denen ich Euch zuweilen an Eurem Bett erzählte. Es geht um all die Wonnen, die wir beide, wir zärtlichen Seelen, miteinander ausleben könnten, uns dem Sinnesrausche ergeben, um in Wollust unser Beisammensein zu zelebrieren.

All dies Sehnen nach dem in unserer Jugend nicht ausgelebten Sinnesrausch schreibe ich hier nun für Euch nieder.

All die Fantasien meiner Jugend, all das schlüpfrige Ansinnen, diese wollüstig-unreinen Gedanken, all dies übergebe ich nun der geduldigen Obhut dieses Papiers.

All mein Empfinden möge so vor Euren Augen wieder erstehen und Euch nicht minder in seinen Bann schlagen. Ich werde all die Regungen in Euch wiedererwecken, die mich selbst beinah um den Verstand gebracht haben, mich in einen Strudel aus Wollust und Leidenschaft gezogen und nie wieder losgelassen haben.

Wahrhaft, natürlich und beherzt sollen meine Worte sein, so werde ich auch versuchen, meine Sehnsüchte und Wunschträume zu gezeichneter, wahrer Gestalt erstehen zu lassen. Ihr, geliebte Eugenie, seid die Venus, die Liebesgöttin, die mir die Kraft gibt, das Wesen, welches mich immer weiter vorantreibt.

Gebt jedoch Acht, dass meine vertraulichen Eröffnungen Euch niemals aus den zarten Händen gleiten; vergesst nie, dass Ihr Euch in Euren intimsten Fantasien befindet, allein in Eurem Kopf, und nur dort! Denn nichts ist gefährlicher, als die Schleier der Wollust zu genießen!

Die einen werden Euch schlicht und einfach eine Sünderin nennen, doch andere werden Euch als schlampig und verworfen anklagen! Dies Papier ist jedenfalls nicht dazu gedacht, jemals große Öffentlichkeit zu erlangen, vielmehr soll es gut verwahrt nur Euch und Eurer Unterhaltung dienen.

Das Glück von uns Frauen liegt ja immer nur im geheimnisvollen Dunkel und die wahre Lust entspringt dem Heimlichen, dem Verbotenen. Jene Mischung aus Sittsamkeit und Furcht ist es, die erst Freude entstehen lässt.

Selbst die größten Freigeister unter den Männern würden uns diese Fantasie und Vertraulichkeiten niemals vergönnen. Sie würden uns am liebsten nur all die Vergnügungen gestatten, die sie uns selbst zukommen lassen.

Wir sind in ihren Augen ja nichts weiter als Handlanger, Sklavinnen, die nur aus ihrer Hand etwas zu empfangen haben – nur von dem Herrn, der uns bezwungen hat. Alles ist auf den Mann gerichtet und eingeschworen, alles muss ihm gehören. Sie werden zu Tyrannen, wenn man es nur wagt, ihre Freuden auch nur im Ansatz zu teilen. Ihr Egoismus zwingt sie dazu, einen anderen auch nur in Gedanken nicht zu dulden. Nur den allerwenigsten von ihnen fällt ein, die Lust, die sie ja eigentlich nur durch uns empfinden können, auch nur im Geringsten mit uns zu teilen.

Es gibt welche unter den Männern, denen es größte Lust verschafft, uns zu quälen, uns Schmerzen zuzufügen! Ihre Torheit treibt sie zu dem perversesten Tun. So leicht sie sich entzündet, so leicht erlischt ihre absonderliche Lust dann auch wieder; ihre pervertierten Gedanken und Taten schweifen von einem Gegenstand zum anderen. Wir dürfen uns keines erotischen Privilegs erfreuen, welches sie sich selbst herausnehmen, und das, obwohl wir von unserem natürlichen Empfinden, Einbildungskraft und Begehren weitaus besser geeignet wären als sie, dies zu tun.

Oh diese Grausamen! Sie wollen unsere Fähigkeiten zu Grunde richten, während leblose Kälte ihnen zu Qual und Not gereichen würde. Manche schlagen vom ganz normalen Treiben abweichende Wege ein, doch es wäre ziemlich unvorsichtig, würden wir uns ihnen offenbaren.

Auch wäre dieses Werk nicht weniger unpassend in den Händen jener Wesen, welche die Liebe nicht anzurühren vermag: hier spreche ich von den gefühlstauben, tumben Frauen, die durch keine auch noch so zärtliche Berührung durch einen Mann erregt werden wollen oder sich von Schönheit nicht wenigstens ein klein wenig bewegen lassen.

Und es gibt auch jene groben, undurchsichtigen Menschen, liebste Eugenie, die sich mit dem edlen Namen eines Virtuosen oder gar Philosophen schmücken, die jedoch der Melancholie preisgegeben sind, den dunklen Ausdünstungen der Galle; sie entfliehen der Welt, welche sie verachtet: diese Art Leute missbilligen, geradeso wie das Alter, jedwede Art von Vergnügungen.

Andere, die von leidenschaftlichem Temperament sind, sind durch Erziehung und vorgesagte Vorurteile für eine Tugend begeistert worden, deren eigentliches Wesen ihnen verborgen geblieben war: sie rücken von der Stimme ihres Herzens ab, um die Oberflächlichkeit ihr Leben bestimmen zu lassen. Die Liebe ist für sie ein göttliches, unerreichbares Wesen, das ihr Opfer nicht verdient, und wenn sie im geheiligten Namen der Ehe dann doch ihr Opfer bringen, so werden sie zu Fanatikern, welche die Ehe als Mantel für nichts anderes als ihre Besitzsucht missbrauchen. Sie halten es für blasphemisch, der Liebe wahrhaft reinen Ausdruck zu verleihen.

Behalten wir also unsere unkonventionelle Vertraulichkeit für uns und vergnügen wir uns in der Stille. Wir wollen ja niemanden vor den Kopf stoßen, meine geliebte Eugenie! Nur Euch führe ich meine Bilder unverhüllt und unbeschönigt vor Augen, nur für die Anregung Eurer Fantasien sollen diese meine intimen Zeilen dienen.

All den anderen sollen die Worte verborgen bleiben, genauso wie all die Freiheiten, die wir beide gemeinsam genossen haben!

Nur Freundschaft und die Liebe vermögen wohlgefällige Blicke auf all den freimütigen Dingen ruhen zu lassen, die meine Feder mit Tinte hier auf dem Papier für Euch auszudrücken versucht.

Lauras Erziehung

Ich war gerade einmal zehn Jahre alt geworden, als meine Mutter in eine tiefe Schwermut verfiel, die sie keine acht Monate später unter die Erde, ins kalte Grab, brachte. Mein Vater, über dessen Tod ich bis heute die bittersten Tränen vergieße, hat mich auf das zärtlichste geliebt, und ich erwiderte seine Zuneigung auf das heftigste!

Ich kann mich noch sehr lebhaft daran erinnern, dass meine Mutter ihm seine gar intensive und nahe Beziehung zu mir vorhielt, worauf er mit einer Antwort reagierte, deren Kraft ich damals noch nicht zu erkennen vermochte; doch einige Jahre später wurde mir dies Rätsel enthüllt:

»Worüber beklagen sich gnädige Frau? Wenn sie meine leibliche Tochter wäre, so wären Eure Vorwürfe berechtigt, und ich würde mich noch nicht einmal auf das Beispiel von Lot in der Bibel berufen; glücklicherweise jedoch empfinde ich, was sie betrifft, die Zuneigung, die Sie hier an mir sehen; was die Gesetze und Regeln des Zusammenlebens errichtet haben, ist ja eigentlich gegen die Natur; also lassen wir es dabei bewenden ...«

Diese seine Antwort habe ich nie aus meinen Gedanken verloren. Und das damalige Schweigen meiner Mutter hat mir viel zu Denken gegeben; allerdings gelangte ich mit meinen Gedankengängen nie wirklich ans Ziel. Aus diesem Gespräch ergab sich für mich, dass ich mich fürderhin an ihn zu halten hatte. Ich begriff zumindest soviel, wie dass ich seiner Freundschaft wirklich viel – und eigentlich alles – zu verdanken habe.

Dieser sanftmütige, gebildete Mann, mit seinen vielen Talenten, war wie geschaffen dafür, in mir die herzallerliebsten und heißblütigsten Gefühle zu erwecken!

Von der Natur war ich begünstig, denn ich war dem Schoß der Liebe entsprungen. Das Bild, das ich Euch, geliebte Eugenie, von mir vermitteln möchte, hat er mit seinen Worten vorgezeichnet.

Wie oft hattet ihr mir gesagt, dass er mir nicht geschmeichelt hat; der süße Traum, in dem ihr mich führtet und der mich dazu bringt, das zu wiederholen, was er über mich sehr oft gesprochen hat! Von frühester Kindheit an war meine Statur weiblich, anmutig und wie man im Allgemeinen sagen würde: wohlgeraten. Schon damals ließ mein Auftreten Grazie erahnen, meine edle geschmeidige Taille, meine schimmernde, porzellanweiße Haut. Eine Impfung bewahrte mein Gesicht vor unansehnlichen Pockennarben und meine braunen Augen, im Ausdruck zwischen lebhaft und sanftmütig, sowie das aschbraune Haar fügten sich von Anbeginn auf das Vorteilhafteste zusammen. Von Natur aus war ich eher nachdenklich, jedoch nicht ohne die notwendige Portion Fröhlichkeit, die mich für alle anderen unwiderstehlich lebensfroh erscheinen ließ.

Mein Vater machte sich ein genaues Bild von mir, ja er studierte mich förmlich, und förderte meine Anlagen sorgfältig und voller Stolz. Besonders wichtig war ihm, dass ich mit bescheidener Aufrichtigkeit aufwuchs. Ich sollte niemals die Unwahrheit sagen und ihm nichts verschweigen. Mein zärtlich liebender Vater behandelte mich mit größtmöglicher Sanftmut, so dass es mir unmöglich war, mich gegen seine Erziehung und Wünsche zu wehren. So beschränkten sich seine allerstrengsten Strafen darauf, mir seine Zuneigung für eine kurze Weile zu entziehen – allerdings kränkte mich nichts mehr, als mich von ihm nicht mehr geliebt zu fühlen.

Unmittelbar nachdem meine Mutter das Zeitliche gesegnet hatte, nahm er mich in seine Arme: »Laurette, geliebtes Kind, du bist nunmehr beinahe zwölf Jahre alt, so dass deine Tränen langsam versiegen sollten; nunmehr sollten Beschäftigungen und Studien deinen Kummer verfliegen lassen: es ist an der Zeit, sie wieder aufzunehmen.

***

Alles, was zu meiner Erziehung beitragen konnte, erfüllte die folgenden Tage, Wochen und Monate. Mein Vater war mein einziger, mein ausgezeichneter Lehrer, der über so gut wie alle Wissensgebiete exzellent Bescheid wusste: ob dies nun Tanz, Musik, Malerei, oder die Wissenschaften sein mochten.

Es kam mir so vor, als habe er sich relativ leicht über den Tod meiner Mutter hinweggetröstet – was mich sehr überraschte, und so musste ich dieses Thema einfach eines Tages ansprechen.

Und Vater blieb mir eine Antwort nicht lange schuldig:

»Meine Tochter, deine Imagination entwickelt sich sehr frühzeitig, so kann ich also bereits heute frei und wahrhaft mit dir sprechen, da du sie zu verarbeiten fähig bist. In dieser Gemeinschaft, in welcher Charakter und Gemüter einander sehr ähneln, ist der Augenblick, der das Herz zerreißt, derjenige, der auch diese Gemeinschaft zerschmettert, sie für immer zerstört und dem Menschen Schmerz in sein Dasein flicht: für empfindsame Seelen gibt es keine Festigkeit, keine Weisheit, die es ermöglichte, solch ein Unglück ohne Kummer zu ertragen, und auch keine Zeit, welche die Trauer darüber auszulöschen vermag.

Ist man aber nicht vom Schicksal damit gesegnet, die Verbindung auch mit großer Liebe und Zuneigung füreinander erlebt zu haben, so ist diese Trennung ein despotisches Gesetz der Natur, dem schlicht jedes Lebewesen unterworfen ist und das keiner weiteren Trauerminute bedarf.

Die Vernunft lässt solcherlei Menschen dies Geschick geziemend und mit Gleichmut ertragen. So ist diese Zeit in diesem Falle also voller Ruhe und frei von Heuchelei und Verklärung. So nimmt der Mensch alles an, was ihn den schweren Ketten, die er trug, entreißt.

Geht es zu weit, geliebte Tochter, wenn ich dir in deinen jungen Jahren noch mehr darüber erzähle? Lerne frühzeitig, dich von den Fesseln der Vorurteile zu befreien, nachzudenken und dir dein eigenes Urteil zu bilden. Lass den Geist dir nicht vernebeln – stell dir zwei Geschöpfe vor, die in ihrem Wesen gegensätzlich sind und durch eine sinnlose Macht miteinander verbunden wurden, die durch Umstände wie Vermögen und Stand oder auch durch vorübergehende schwärmerische Gefühle füreinander verbunden sind und so den Anschein von Glückseligkeit vermitteln.

Dieser Zauber verliert jedoch alsbald seine Macht, braucht doch nur einer der beiden die Maske fallen zu lassen, die seine natürliche Gesinnung bis dato verborgen hatte.

Wie glücklich wären die beiden, endlich getrennt zu sein! Welch ein Gewinn wäre es, könnte man die verbindenden, zwingenden Ketten einfach zerreißen, die ihnen nur Qualen und endlosen Schmerz bereiteten. Endlich frei sein, um sich mit einer gleich gesinnten und hoffentlich auch freien Seele erneut, und diesmal aufrichtig liebend, und dadurch auch glücklich, zu verbinden.

Wer sich mit diesem oder jenem Menschen nicht verträgt, kann sehr wohl mit einem anderen übereinstimmen, geliebte Laurette, und auf Grund ihrer Neigungen und Ähnlichkeiten des Geistes herrscht zwischen den beiden dann auch letztlich allerbestes Einvernehmen.

Nur viele Berührungspunkte gewisser Gedanken, Gefühle, Orientierungen und Charakterzüge führen zu einer süßen und damit auch dauerhaft glücklichen Vereinigung. Der Gegensatz, in dem zwei Personen sich befinden, wird durch die Unmöglichkeit, sich zu trennen, noch verstärkt, und so wird Unglück heraufbeschworen, das die Qualen derlei Zwangsverbundener beinah unerträglich macht. Schuld daran ist allein der gesellschaftliche Zwang, und nichts weiter!«

»Liebster Papa, welch ein schauderhaftes, Angst einflößendes Bild! So wird mir ja bereits im Vorfeld eine Eheschließung als nicht wahrhaft erstrebenswert erklärt. Liegt dies wahrlich in Eurer Absicht, mir die Bande der Ehe gänzlich zu vergraulen?«

»Nein, meine geliebte Tochter; allerdings könnte ich diesem, meinem Beispiel noch viele andere, sehr ähnliche hinzufügen. Ich darf mit einiger Sachkenntnis und Erfahrung darüber sprechen und kann zur Untermauerung meiner durchaus vernünftigen Ansicht zur Lektüre des hundertsechzehnten Persischen Briefes von Präsident Montesquieu raten.

Sollte das Alter und die so erworbene Kenntnis dich in die Lage versetzen, diese Ansicht der vorgeblichen Fehler, welche man in ihr findet, zu bekämpfen, wäre es mir ein Leichtes, diese zu widerlegen und dir Mittel an die Hand zu geben, dich ihrer zu erwehren. Ich könnte dir wirklich sämtliche Überlegungen, die ich, diesen Sachverhalt betreffend, angestellt habe, übermitteln. Doch deine Jugend erlaubt mir einfach nicht, mich noch genauer darüber auszulassen.«

Damit beendete mein Vater das Gespräch.

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Und nun, liebste Eugenie, meine süße Freundin, sollt Ihr sehen, wie die Szenerie sich verändert. Ach Eugenie! Sollte ich darüber hinweggehen? Das Gebrüll, das ich rings um mich zu vernehmen glaube, lässt die Hand mit der Feder stocken, doch Liebe und Freundschaft zu Euch vereinigen sie sogleich wieder mit dem geduldigen Stück Papier: so fahre ich also fort.

Nach zwei oder drei Monaten, in denen er sich einzig und allein nur meiner Erziehung gewidmet hatte, bemerkte ich Nachdenklichkeit und Unruhe im guten Wesen meines Vaters. Irgendetwas schien ihm für seinen wahrhaften Seelenfrieden zu fehlen.

Wir hatten nach Mutters Tod den Wohnort gewechselt, waren in eine größere Stadt verzogen, wo er sich ganz auf die Fürsorge um mich konzentrieren konnte. Da er dort so gut wie keine Zerstreuung finden konnte und die Möglichkeiten der Ablenkung nicht sonderlich groß waren, konzentrierten sich all seine Gedanken und Mühen einzig und allein auf meine Person.

All seine Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit widmete er ausschließlich seiner einzigen Tochter. Die Liebkosungen, mit denen er mich überschüttete, schienen ihn zu beflügeln; seine Haut wurde röter, seine Augen lebendiger, strahlender, seine Lippen wurden glühender, wenn er sich mir widmete. So fasste er meinen kleinen, drallen Po mit beiden Händen, drückte ihn und ließ einen Finger vorsichtig zwischen meine Beine gleiten, küsste mir Hände, Mund und Brust!

Oft entkleidete er mich, tauchte mich nackt ins Bad, und nachdem er mich liebevoll abgetrocknet, und mich mit wohlriechendem Öl eingerieben hatte, drückte er seine liebevollen Lippen an sämtliche Stellen meines Körpers und ließ mit seinem Munde keine einzige Zone aus! Er studierte, ja er verschlang mich, mit seinen Augen. Seine liebevollen Hände berührten, streichelten mich – nichts wurde vergessen, nichts vernachlässigt.

Seine Brust schien dabei vor Aufregung zu beben, sein Atem wurde heftig, doch sein Blick war ganz sanft und ruhig dabei. Oh wie erregend war für mich seine Unruhe, seine reizenden Tändeleien, seine Verwirrung in diesen Momenten. Doch inmitten dieser Tätigkeiten stürmte er dann auch plötzlich und ganz unvermittelt aus dem Zimmer.

Eines Tages, nachdem wir einander mit glühenden Küssen bedeckt hatten, unsere Zungen die Lippen mit feuchter Leidenschaft benetzt hatten, fühlte ich mich plötzlich irgendwie ganz anders. Ich war bekümmert, da er mich im Augenblick tiefsten Empfindens so urplötzlich verlassen hatte. Nun wollte ich wissen, was er in dem Zimmer trieb, dessen Glastür er mit so großer Heftigkeit zugeworfen hatte, nachdem er fliehenden Fußes dorthin gerannt war. Eingesperrt in seiner Kammer – was mochte er wohl dort tun? So spähte ich neugierig durch das Glas, doch der Vorhang hinter der Tür, er versperrte mir die Sicht. So wurde meine Neugier jedoch angestachelt und umso größer!

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Am übernächsten Tag gab man meinem Vater einen Brief, der ihm zu gefallen schien. Nachdem er ihn gelesen hatte, sagte er zu mir: »Meine liebste Laura, du kannst einfach nicht länger ohne Erzieherin bleiben; mir wurde eine ebensolche angekündigt, die morgen im Laufe des Tages hier im Hause ankommen sollte. Über sie wurde mir sehr viel Lobenswertes berichtet, es wird jedoch notwendig sein, sie persönlich in Augenschein zu nehmen, um beurteilen zu können, ob die Beschreibungen der anderen nicht doch vielleicht zu schwärmerisch ausgefallen sind.«

Auf eine derartige Neuigkeit war ich nun in keinster Weise gefasst. Ich gestehe Euch, liebe Eugenie, dass es mich traurig machte: die Gegenwart einer Erzieherin störte mich bereits im Vorfeld, ohne dass ich über ihre Persönlichkeit wirklich Bescheid wusste. Sie missfiel mir noch bevor ich sie näher in Augenschein genommen hatte.

Lucette, so ihr Name, kam nun tatsächlich am angekündigten Tag bei uns an.

Ein großes, gut gebautes Mädchen, so um die neunzehn Jahre alt, mit schöner, schneeweißer Brust, von einnehmender Gestalt, ohne wirklich hübsch zu sein; regelmäßig an ihr war nur ein wundervoll sinnlich geschwungener Mund, mit blutroten Lippen und kleinen, geradlinigen Zähnen mit strahlend weißem Lächeln.

Ich war von ihr sofort beeindruckt. Mein Vater hatte mich wohl hunderte Mal zu meinen schönen Lippen beglückwünscht und lehrte mich so, auch bei anderen einen schönen Mund zu schätzen.

Lucette vereinigte all dies mit vortrefflichem Charakter, viel Sanftmut, Güte und einer unendlich bezaubernden Gemütsart in einer Person. Trotz all meiner Ressentiments fühlte ich mich alsbald sehr zu ihr hingezogen und es geschah, dass ich sie aufrecht und aus tiefstem Herzen zu lieben begann.

In meines Vaters Augen sah ich strahlende Heiterkeit, wenn er sie mit größtem Wohlwollen empfing und dabei lange und intensiv anblickte.

Nun sind Neid und Eifersucht meinem Herzen vollends unbekannt. Nichts scheint mir unbegründeter als den Mann mit Argwohn zu verfolgen. Das, was die Begierde der Männer erweckt, hängt weder von unserer Schönheit noch von unserem Verdienste ab: lassen wir sie frei, zum eigenen Glück und ohne innere Unruhe.

Oftmals ist die Untreue ein kleines, kurzes, vielleicht gar heftiges Feuer, das wieder erlischt, noch ehe es richtig zu lodern begonnen hat. Innerhalb kürzester Zeit kehren diese fehlgeleiteten Männer wieder zu ihren Frauen zurück, deren verständnisvolles Wesen es ihnen unmöglich macht, sie zu verlassen. Und wenn sie nicht weiter nachdenken, ist auch der Verlust gering. Es wäre doch töricht, sich deswegen selbst zu martern.

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Damals war es mir einfach noch nicht möglich, mit all dem nötigen Scharfsinn zu urteilen! Dennoch: ich empfand keinerlei Eifersucht gegenüber Lucette. Freilich konnte auch ob der Liebkosungen, die mein Vater mir weiterhin zukommen ließ, und ob ihrer Freundschaft und auch der Zärtlichkeiten, die sie mir angedeihen ließ, keinerlei Zweifel und auch nicht der geringste Anflug von Eifersucht aufkommen.

Einzig meines Vaters Zurückhaltung in Gegenwart von Lucette hätten mich ein wenig mehr an seinen Gefühlen zweifeln lassen sollen. Doch schrieb ich dies Verhalten einfach seiner üblichen Vorsicht zu. So verging eine ganze Weile, bis ich dann doch seine Absichten bezüglich Lucette entdeckte. Er ließ kaum eine Gelegenheit verstreichen, die sich ihm bot, ihr zu begegnen, und bald schon empfand auch ich ähnliche Zuneigung zu ihr wie mein Vater.

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Lucette wollte unbedingt in meinem Zimmer schlafen, und mein Vater war sofort damit einverstanden. Am Morgen, nachdem ich erwacht war, kam er in mein Zimmer, um uns zu umarmen; ich lag in meinem Bett, welches unmittelbar neben dem ihren stand.

Dies, und der Vorwand, mich besuchen zu wollen, machten es ihm leicht, sich mit uns beiden zu vergnügen, und vor allem auch Lucette jede Art des Entgegenkommens zu zeigen, welches er halt gerade noch vor meinen Augen riskieren konnte, ohne in Verdacht zu geraten.