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Gerhard Scheucher

Tu es!

Die Welt braucht dich.

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A-9020 Klagenfurt am Worthersee / Celovec | 8.-Mai-Strase 12
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Copyright © dieser Ausgabe 2016 bei Wieser Verlag GmbH,
Klagenfurt/Celovec
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Waltraud Barton, MA
ISBN 978-3-99029-223-5
eISBN 978-3-99047-084-8

Moral

Es gibt nichts Gutes,
außer: man tut es!

(aus: Doktor Erich Kästners
Lyrischer Hausapotheke, 1936)

Für Valentina, Hannah und Gerhard

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Eine Art Einführung: Bayreuth und seine Folgen

Taten statt Worte!

Ins Schwarze getroffen

Arbeit an uns selbst

Die Wegschau-Kultur?

Von der Theorie zur Praxis

Prüffrage zur Zivilcourage

Was du nicht willst …

Die Menschenrechte

Die Menschenpflichten

Politik als Beruf

Tue Gutes und schreibe darüber

Vom Himmel geschickt

Sie können viel tun

Menschen aus unserer Mitte

Nicht aller Tage Abend

Die Welt ist ein Dorf

Wer reich stirbt, stirbt in Schande

Großes Anliegen, große Wirkung

Mit offenen Augen

Wetten, dass …?

Aus Überzeugung

Vorbildwirkung

Nur noch kurz die Welt retten

Geben statt Nehmen

Heute die Welt von morgen ändern

Stop talking! Start planting!

Make a Wish

Lichtblicke für die Gesellschaft

Solidarität leben

Etwas verändern

Natur pur

Frage, was du tun kannst …

Engagement: Nicht reden, handeln!

Gründen Sie eine Initiative, aber bitte mit Plan!

Ohne Geld keine Musik – Geld lukrieren

Ideen mit Nachdruck – Wie Sie Petitionen erstellen

Ein Brief für …

Auf die Straße gehen

Organisierter Druck – der Boykott

„Schwarzhändler“ – Lobby für die gute Sache

Information ist Macht – informieren Sie (sich)!

Not only bad news are good news!

Erzählen Sie Geschichten!

Zwischen Exekutive und Legislative – Politik und ziviler Ungehorsam

Ziviler Ungehorsam

Aktiv statt passiv – der Aktivismus

Hausbesetzungen

Signale der Kunst

Gehorsame Kunst?

Zeitloser Protest

Gratis, aber nicht umsonst?

Kunst der Provokation

Engagiert euch!

Never give up!

Ungerechtigkeit lauert hinter jeder Tür

Halb so schlimm oder doppelt so gut

Es geht ja doch!

Helfende Hände

Jeden Tag eine gute Tat

Abseits des Mainstreams

Verantwortung für sich und andere übernehmen

Engagement würdigen

Dem Leben Sinn geben

Einfach tun

Gut geplant, besser geholfen

Das Tellerrand-Prinzip

Epilog

Amhang

Kontaktadressen

Tu es! Adressverzeichnis

Literaturverzeichnis

Vorwort

Sehr viele Menschen in Österreich, Deutschland und der Schweiz engagieren sich gesellschaftspolitisch und ehrenamtlich, oftmals in Vereinen. Sie helfen, wenn es ein Unglück gibt, sie setzen sich für ihre Mitmenschen ein, sie suchen das Gespräch in der Nachbarschaft. Wir brauchen diese Frauen und Männer, junge und alte, denen es nicht egal ist, was rund um sie passiert und wohin sich die Gesellschaft entwickelt. Und wir brauchen noch mehr. Es gibt so viele Bereiche, von der Umwelt bis zur Kultur, vom Sozialen bis zum Sport, wo Engagement gebraucht wird, damit unser Gemeinwesen gut funktioniert. Verantwortlich für das Funktionieren des Staates oder des unmittelbaren Lebensraumes ist eben nicht, wie oft reflexartig genannt, die Politik, sondern wir alle, die wir Teil des großen Ganzen sind. Immer nur die anderen zu kritisieren, um von ihnen all das einzufordern, was man selbst nicht bereit ist zu tun, bringt nicht den gewünschten Erfolg.

Gleichzeitig aber gibt es viele, die sich gerne stärker in die Gesellschaft einbrächten, aber in Resignation verfallen, weil sie nicht genau wissen, wo und wie sie sich engagieren können und ob ihr Einsatz für ein Anliegen überhaupt die Chance hat, eine Wirkung zu erzielen. Sicher führt nicht jeder Einsatz für eine Sache sofort zum Erfolg, aber ich bin fest davon überzeugt, dass Überzeugung Berge versetzen kann und kleine Schritte eines Tages große Spuren hinterlassen oder einer positiven Veränderung zum Durchbruch verhelfen. Dieses Buch will dazu animieren, sich gesellschaftlich zu engagieren, und mit zahlreichen Beispielen Mut machen, die ersten Schritte in diese Richtung zu setzen.

In diesem Sinn sollen die folgenden Kapitel dazu anregen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Der amerikanische Präsident John F. Kennedy1 brachte schon in seiner Antrittsrede am 20. Jänner 1961 den Kern der Menschenpflichten zum Ausdruck: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst!“ – Für unser soziales Miteinander bedeutet das: „Frag nicht, was deine Mitmenschen für dich tun können, sondern frag, was du für sie tun kannst.“

Würde es nicht viele helfende Hände geben, hätte auch ich vermutlich noch nie ein Buch geschrieben. Denn die Idee ist eine Sache, die praktische Umsetzung eine andere. Inhaltlich hat mich, wie schon bei anderen Buchprojekten, Andrea Hermann-Trost begleitet, in der praktischen Umsetzung stand mir Nicole Meisterl viele Stunden zur Verfügung. Klaus Brunner war mir ein hervorragendes Korrektiv, Waltraud Barton gab dem vorliegenden Buch den letzten Schliff und Lojze Wieser hat mit seinem Verlag die Basis geschaffen, dass Sie meine Gedanken in gedruckter Form in Händen halten. Ihnen allen gilt mein besonderer Dank!

Gerhard Scheucher

Wien und Graz, im November 2016

1(*1917 †1963) von 1961 bis 1963 der 35. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Eine Art Einführung:
Bayreuth und seine Folgen

2009 wurde ich eingeladen, im Rahmen der „Bayreuther Dialoge“ einen Vortrag zum Thema gesellschaftliche Verantwortung zu halten. Einige Tage brauchte ich, um einen Zugang und einen für das Publikum interessanten Spannungsbogen zu finden. Am Ende betitelte ich mein Referat: „Wie viel Verantwortungskultur braucht der Mensch?“. Der rote Faden bestand darin, den Zuhörenden aufzuzeigen, dass und wie es sich lohnt, sich gesellschaftlich einzubringen, etwas zu tun und nicht wegzuschauen.

Aus meiner Auseinandersetzung mit dem Thema „Scheitern“ weiß ich, dass es für viele Menschen ein großes Problem ist, Verantwortung zu übernehmen. 2008 habe ich mich erstmals mit dem „Scheitern“ in publizistischer Form beschäftigt und mit dem Buch „Die Kraft des Scheiterns“1 eines der ersten Sachbücher zu diesem Thema im deutschen Sprachraum auf den Markt gebracht. 2011 folgte mit „Die Aufwärtsspirale“2 ein weiteres Werk zu dieser Thematik und 2013 bildete „Ein Irrer schreitet die Parade ab“3 den vorläufigen Abschluss zu diesem gesellschaftlichen Tabuthema, zum Umgang mit Niederlagen. Denn dabei ist immer die Angst vorhanden, dass bereits ein misslungener Versuch zu Stigmatisierung führt und dass jene, die selbst nur von der zweiten Reihe aus beobachten, am Ende immer schon gewusst haben, was vorher zu tun gewesen wäre. Im Falle gesellschaftlichen Engagements ist Scheitern nie heimlich, denn Verantwortung zu übernehmen, bedeutet, Position zu beziehen und Inhalte zu vertreten, beispielsweise in sozialen oder umweltpolitischen Fragen. Mit meinem Vortrag hatte ich von der ersten Minute das Publikum an der Universität in Bayreuth in meinen Bann gezogen: Ein Österreicher, der ihnen „die Leviten las“ und aufforderte, die Position der Bequemlichkeit zu verlassen und „etwas“ zu tun! Zu tun – nicht für sich selbst, sondern für die Gesellschaft. Auf der Leinwand hinter mir hatte ich ein Chart projiziert, auf dem groß zu lesen stand: „Wie lebt es sich im Reich der Stellvertreter-Mentalität?“ Diese Frage hat – für mich deutlich erkennbar – bei einigen Gästen im Publikum eine spürbare Emotion ausgelöst.

Rund sechzig Minuten habe ich mit meinen Thesen, Aussagen und Aufforderungen uns allen einen Spiegel vor das Gesicht gehalten. Die Bereiche, wo es sich zu engagieren lohnt, sind vielfältig, aber meist kommen wir über die theoretische Analyse nicht hinaus, wo doch praktisches reales Handeln gefordert wäre. Viele gute Taten könnten von uns im alltäglichen Leben gesetzt werden, wenn wir es nur wollten. Es liegt an uns, welche Nahrungsmittel wir kaufen, es ist unsere Verantwortung, welche Produkte wir unser Eigen nennen und unter welchen Bedingungen irgendwo auf der Welt diese Güter hergestellt werden.

Gleichzeitig versuchte ich dem Publikum begreiflich zu machen, dass wir uns, die wir uns oft – gesellschaftlich gesehen – in der Position der „Stärkeren“ befinden, manchmal die Frage stellen sollten, was passiert, wenn wir eines Tages zu den „Schwachen“ gehören. Eine Gesellschaft, die immer häufiger das Recht des Stärkeren zum Prinzip erklärt, wird auf Dauer nicht gewinnen können. Wir haben eine Schutzfunktion gegenüber jenen, die sich selbst nicht helfen können. Es kann uns nicht egal sein, wenn Menschen Hilfe brauchen. Tote Menschen, die oft monatelang unentdeckt in ihren Wohnungen liegen, Personen, die vor den Augen vieler Passanten auf offener Straße niedergeschlagen werden, die Verwahrlosung von immer mehr Kindern – das sollte uns nachdenklich stimmen. Und dass wir in einer Welt leben, die sich immer mehr vernetzt, insbesondere durch „soziale“ Medien, aber dass wir Menschen in Wirklichkeit häufig einsamer sind als je zuvor.

Als ich meine Gedanken zu Ende geführt hatte, war Erleichterung bei den Anwesenden richtig spürbar. Endlich gab ich vorne am Rednerpult Ruhe. Es gab verhaltenen Applaus, im Raum war die Betroffenheit richtig greifbar. Plötzlich aber erhob sich eine Frau im Publikum, die mich regelrecht anbrüllte und sagte: „Wenn Sie uns schon auf diese Art und Weise belehren, haben Sie jemals etwas selbst von all dem gemacht, was Sie von uns einfordern?“ – Sie war gar nicht mehr zu beruhigen, denn offensichtlich hatte ich bei ihr einen wunden Punkt getroffen.

Ich hatte in der Tat im gesamten Vortrag sehr wenig über mich und meine Person erzählt. Die Frage der aufgebrachten Zuhörerin war für mich Anlass, um ein wenig von meinem bisherigen konkreten gesellschaftlichen Engagement zu erzählen.

Taten statt Worte!

Ich kann nicht sagen, ob mir das in die Wiege gelegt oder durch Erziehung nähergebracht wurde: Mein Gerechtigkeitsinn ist besonders ausgeprägt. Wenn irgendwo in meinem Blickwinkel Dinge passieren, die Menschen zum Nachteil gereichen, muss ich einschreiten. Schon in meiner frühesten Jugend ging ich dazwischen, wenn Streitigkeiten ausgetragen wurden und zu eskalieren drohten. Argumente zählten damals wenig, wir ließen in den Siebzigerjahren ganz nach Wildwestmanier die Fäuste sprechen. Und dennoch haben wir immer wieder zueinandergefunden und unser soziales Leben mit Gleichaltrigen verbracht, da es im Gegensatz zu heute damals ganz normal gewesen ist, seine freie Zeit bei jeder Wetterlage im Freien zu verbringen. Meine Heimatstadt Köflach4 westlich der steirischen Landeshauptstadt Graz hatte ein eher bescheidenes Angebot für Kinder und Jugendliche und so blieb uns nichts anderes übrig, als uns selbst zu organisieren.

Mitte der Achtzigerjahre hatten drei Freunde und ich die Idee, ein Jugendzentrum zu gründen. Einrichtungen dieser Art gab es damals in großen Städten, aber am Land waren sie vollkommen unüblich. Wir hatten alle wenig Geld und wollten einen Treffpunkt schaffen, wo wir uns ohne Konsumationszwang zum Reden, Diskutieren und Philosophieren treffen konnten. An die Reihenfolge der gesetzten Handlungen kann ich mich nicht mehr exakt erinnern, aber „plötzlich“ hatten wir einen Verein gegründet (1988: JUKO5), finanzielle Förderung von der Stadt Köflach, vom Land Steiermark beantragt und bekommen und einen kleinen Dachboden gemietet, der zu unserem Begegnungszentrum werden sollte.

Zum damaligen Zeitpunkt wurde in Österreich unter dem legendären Sozialminister Alfred Dallinger6 aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben, so dass Arbeitslose mit besonders großzügiger Unterstützung des Staates in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten. Wir suchten das Arbeitsmarktservice7 (AMS – damals noch Arbeitsamt genannt) auf, ließen uns beraten, reichten in weiterer Folge dort ein Projekt ein und plötzlich bekamen wir einen Mitarbeiter für unser Jugendzentrum finanziert. Ich war damals 22 Jahre alt und Vorsitzender des Vereins, den es heute noch immer gibt. Es sprach sich schnell unter Jugendlichen herum, dass es ein eigenes Jugendlokal neben Wirtshäusern und Diskotheken mit ihrer Konsumationspflicht gibt, und plötzlich war unser kleiner Dachboden, den wir in Eigeninitiative ausgebaut hatten, unter Gleichaltrigen ein „Hotspot“, wie man heute sagen würde. Es war interessant zu beobachten, wie unser Impuls, eine Begegnungsstätte zu etablieren, die Veränderung der Gemeinschaft unter Jugendlichen zur Folge hatte. Plötzlich reichte es nicht mehr, sich „nur“ zu treffen, sondern Mitglieder des Jugendzentrums begannen, Veranstaltungen zu organisieren oder andere beim Lernen zu unterstützen.

Damals haben wir nicht lange diskutiert oder gefragt, was wir wie tun sollen, sondern einfach gehandelt. Ein Glücksfall war sicherlich, dass in diesen Jahren für Projekte, die Arbeit und Beschäftigung brachten, tatsächlich Geld von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt wurde. Nicht nur um eine zusätzliche Arbeitskraft, sondern auch um für unseren Verein als Arbeitsgeber Infrastrukturkosten zu bezahlen. Das war, wenn man so will, das „goldene Zeitalter“ für Förderansuchen. Und so konnten wir unser Jugendzentrum weiter voranbringen.

Wir hatten weit und breit keine Konkurrenz, und so wurden wir, wenn es um das Thema Jugend ging, schnell zu einer fixen Einrichtung und erlangten auch eine gewisse Marktführerschaft in der gesamten Region mit insgesamt ca. 50.000 Einwohnern und Einwohnerinnen. Der Bürgermeister, der unsere Initiative anfangs belächelt und die politischen Parteien, die uns kritisch beäugt hatten, begegneten uns plötzlich respektvoll. Auch die Medien hatten wir auf unserer Seite, und wenn wir eine neue Initiative starteten oder Veranstaltungen durchführten, hatten wir immer „eine gute Presse“. Neben unseren sozialen und kulturellen Jugendprojekten orteten wir rasch den großen Bedarf nach schulischer Nachhilfe, die sich damals wie heute viele Familien einfach nicht leisten konnten. Wir konzipierten ein Projekt mit dem Ziel, durch die Anstellung arbeitsloser Lehrkräfte Nachhilfestunden zu einem besonders attraktiven Preis anbieten zu können. So konnten wir dank öffentlicher Förderung drei Lehrkräfte in Vollzeit beschäftigen und an drei verschiedenen Standorten in unserer Region Nachhilfe zum Sozialtarif anbieten. Umgerechnet bezahlte man im JUKO für eine Nachhilfestunde nicht einmal einen Euro, der marktübliche Preis lag damals zwischen 4 und 5 Euro. Wir wurden förmlich „überrannt“.

Diese Initiative war der erste Versuch, mich mit Freunden gesellschaftlich einzubringen. Die Region Köflach-Bärnbach-Voitsberg hatte in den 1980er-Jahren eine Jugendarbeitslosigkeitsrate von über zehn Prozent und zählte damit zu den strukturschwachen Gegenden des Landes. Unser Verein entwickelte sich immer weiter, sodass wir uns einen neuen Standort in der Stadt suchen mussten. Der Dachboden war längst zu klein geworden, ein aufgelassenes Ausflugsgasthaus mit einem Veranstaltungssaal wurde daher ab Beginn der Neunzigerjahre der neue Treffpunkt. Neben Serviceleistungen wie Sozialberatung, Nachhilfe und Lernbetreuung hatte sich ein richtiger Kulturbetrieb entwickelt. Die Frequenz in unserem „Gasthaus“ war bald so groß, dass wir uns gezwungen sahen, zusätzlich auch eine Servierkraft Vollzeit beschäftigen zu müssen.

Ins Schwarze getroffen

Wir hatten bereits verschiedenste Leute „ausprobiert“, aber so richtig zufrieden waren wir mit keiner Thekenkraft. Die gesuchte Person musste unbedingt im Sinne des Arbeitsmarktservice „förderbar“ sein, damit es unserer Sozialeinrichtung das Gehalt für sie finanzierte. Einige Leute wurden uns vom AMS vorgeschlagen, darunter auch ein Mann afrikanischer Herkunft, der über Umwege in meiner weststeirischen Heimat gelandet war und eine Beschäftigung suchte. In unserem Vorstand beschlossen wir, diesem Mann eine Chance zu geben, was zu einer Reihe von Problemen führte. Der Bürgermeister drohte uns mit dem Entzug der Unterstützung der Stadt, wenn wir einen Ausländer – noch dazu afrikanischer Herkunft! – bei uns beschäftigten. In einer Stadt, in der so viele einheimische junge Menschen Arbeit suchten, schien es nicht zu zählen, dass auch der junge Schwarz-Afrikaner eine offizielle Arbeitserlaubnis hatte. Die Gewerkschaft drohte uns, sich beim Arbeitsmarktservice gegen uns zu verwenden und richtete sogar einen offenen Brief an die regionalen Medien, in dem wir auf das Heftigste kritisiert wurden. Wir haben uns jedoch nicht einschüchtern lassen und Samuel – so der Name des jungen Afrikaners – in unserem Verein angestellt. Er war der erste dunkelhäutige Beschäftigte in meiner Heimatstadt Köflach und wurde von vielen Menschen mehr als nur skeptisch betrachtet. Verwundert hat mich damals, dass viele Menschen, die ich als liberal eingeschätzt hatte, große Berührungsängste im Umgang mit dem „Fremden“ oder sogar ihre Ablehnung offen zeigten.

Aber oft sind es die kleinen Ereignisse, die Großes bewirken oder Sichtweisen korrigieren. Wir hatten im Jugendzentrum auch eine eigene Fußballmannschaft, die sogar bei Turnieren mitspielte. Einmal durfte ausfallsbedingt Samuel „als Notnagel“ bei einem dieser Turniere mitspielen und hat nahezu im Alleingang die Spiele entschieden. Von diesem Zeitpunkt an war er auch bei jenen hoch angesehen, die ihm vorher ablehnend begegnet waren. Samuel konnte sich durch das Gehalt, das er bei uns bezog, eine bescheidene Wohnung leisten, die stark renovierungsbedürftig gewesen war. Ironischerweise haben dann viele seiner „ersten“ Kritiker in ihrer Freizeit als Anerkennung für seine fußballerischen Leistungen „schwarz“ bei ihm gearbeitet, um seine Wohnung zu renovieren.

Ich weiß nicht, ob es heute noch so leicht geht, Einrichtungen wie das von mir mit-initiierte Jugendzentrum JUKO zu gründen. Aber nachdem es immer noch besteht, weit über dreißig Jahre nach seiner Gründung, scheint es nach genau diesem einen Bedarf gegeben zu haben und immer noch zu geben. Ich will mit dieser Geschichte zeigen, wie einfach es sein kann, Dinge zu bewegen. Etwas „Not-wendiges“, das man selbst als wichtig erachtet, zu unterlassen, dafür gibt es keine Entschuldigung, nur Ausreden. Außer man ist mit einem ähnlichen Projekt tatsächlich schon einmal selbst gescheitert. Dieses Beispiel dient als pars pro toto für viele Initiativen, für das viele Engagement, mit dem irgendwo auf der Welt Kleines wie Großes passiert. Wenn wir uns darauf verständigen, dass wir alle einen Beitrag für das gesellschaftliche Wohlergehen zu leisten haben, dann braucht es viele engagierte Bürgerinnen und Bürger, die nicht im Stillstand verharren, sondern praktisch handeln. Dazu will dieses Buch einen Anstoß geben!

Arbeit an uns selbst

Wer über gesellschaftliches Engagement schreibt, der muss vorleben, was er von anderen einfordert. Neben dem beschriebenen Jugendzentrumsprojekt habe ich in verschiedenen Bereichen immer wieder versucht, mich für das Wohlergehen von Mitmenschen einzusetzen. Sei es, dass ich Kulturinitiativen in Entwicklungsländern unterstützt habe (u. a. im Kapitel „Signale der Kunst“ nachzulesen) oder auf der anderen Seite des Spektrums mich für den Bundesliga Eishockey-Club Graz99ers8 engagiert habe. Diese Aktivitäten fern vom Geschäftsleben haben mir nicht nur mehr innere Zufriedenheit gebracht, sondern mich auch unterschiedliche Menschen kennenlernen lassen. Ich finde es wichtig, etwas abseits des Berufsalltags für die Gemeinschaft zu tun. Viele Menschen leiden darunter, keine fordernde Aufgabe zu haben, manche empfinden ihr Leben sogar als sinnentleert. Die Möglichkeiten, sich für die Gemeinschaft zu engagieren, an gesellschaftlichen Themen zu arbeiten, sind vielfältig und werden in weiterer Folge auch in diesem Buch besprochen.

Ich möchte aber an dieser Stelle auch von einer weiteren Form gesellschaftlichter Mitwirkung erzählen. Sie dient beispielhaft dafür, dass es neben dem praktischen Einsatz für gesellschaftliche Weiterentwicklung auch noch Formen des gemeinschaftlichen Austausches gibt, die zwar vom theoretischen Diskurs bestimmt sind, aber dennoch die Menschheit weiterbringen. Seit vielen Jahren bin ich als Vortragender tätig; ich referiere nicht nur vor Unternehmen oder Organisationen, sondern habe auch immer wieder Anfragen, meine Gedanken vor Institutionen wie den „Rotariern“9 oder dem „Lions Club“10 zu formulieren. In solchen Organisationen trifft man viele Persönlichkeiten, die sich abseits ihres Berufsalltages mit brennenden Fragen der Zeit beschäftigen, sie diskutieren und zusätzlich immer wieder karitativ tätig werden für jene in der Gesellschaft, die eher auf der Schattenseite leben.

Auch ich wurde für diese erweiterte Form gesellschaftlichen Engagements entdeckt. 2008 saß ich mit einer Geschäftspartnerin in einem italienischen Lokal in der Wiener Innenstadt. Bei der Nachspeise fragte sie mich: „Bist du bei den Freimaurern11 wie ich?“ – Diese Frage war einigermaßen überraschend: Damals dachte ich noch, dass es bei den Freimaurern keine Frauen gibt. Sie sagte mir aber, dass sie seit vielen Jahren der in den meisten Augen für einen reinen Männerbund gehaltenen Organisation angehöre. Seit Ende des 19. Jahrhunderts seien in Frankreich Frauen freimaurerisch aktiv und Logen, denen Frauen und Männer angehören, gäbe es auf der ganzen Welt. Aber nach wie vor existierten auch noch reine Männerbünde, die sich bis zum heutigen Zeitpunkt Frauen gegenüber nicht geöffnet hätten. Ich hatte mich für diese Bewegungen bisher nicht wirklich interessiert. Seither aber hat dieses Thema seine Präsenz in meinem Leben erlangt. Am Ende des Gesprächs forderte meine Gesprächspartnerin mich auf, mir zu überlegen, was ich von der Freimauerei halte. Mein gesellschaftliches Tun beobachte sie seit langer Zeit und sei daher der Meinung, dass ich sehr gut zu diesem Bund passen könnte.

Einige Monate vergingen und bald stand die Aufnahme in einen Freimaurerorden im Raum. Nach mehreren Gesprächen, die ich mit Mitgliedern dieser gemischten Loge geführt habe, erfolgte meine Aufnahme in diesen Bund, dem als „Geheimbund“ viel Mystisches zugeschrieben wird. Um an dieser Stelle mit einem Irrtum aufzuräumen: Die Geheimhaltung war historisch notwendig, um die Mitglieder in den Zeiten des Absolutismus vor Verfolgung zu schützen, denn damals wohnte dem aufklärerischen Gedankengut der Freimaurer große politische Sprengkraft inne. Heute ist eine Freimaurerloge nichts anderes als ein Verein mit einem Vorstand und Mitgliedern, die sich regelmäßig treffen, um nach einem bestimmten Zeremoniell zu arbeiten und gesellschaftliche Fragen zu besprechen. Wie in jeder anderen Vereinigung kommt es immer auf die handelnden Personen an, die solche Organisationen mit Leben oder auch Nicht-Leben erfüllen.

Meine ersten Erfahrungen mit der Freimaurerei haben mir jedoch eine neue Dimension des sozialen Lebens eröffnet. Dort treffen sich an bestimmten Tagen Menschen unterschiedlichster Herkunft und sozialem Status und diskutieren fernab des Alltags gesellschaftsrelevante Themen und Fragen. Immer verbunden mit dem Ziel, aus den Erkenntnissen heraus sich selbst weiterzuentwickeln und im Sinne eines größeren Ganzen der Gesellschaft zu dienen.

Meine Zeit in einer gemischten12 Wiener Freimaurer-Loge war eine besondere Erfahrung, die ich niemals missen möchte, wenngleich sich unsere Wege getrennt haben. Damals lernte ich einen Deutschen kennen, der häufiger Gast in meiner Loge in Wien war und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, einmal auch seine freimaurerische Heimat in Deutschland zu besuchen. So bin ich nun seit einigen Jahren Mitglied einer ehemals von Diplomaten geprägten Loge, in der nur Männer vereinigt sind: Ihre Heimat befindet sich in der ehemaligen deutschen Bundeshauptstadt Bonn. In dieser Loge sind wir aktuell knapp hundert Mitglieder aus über 25 Ländern, und es ist jedes Mal ein Ereignis, auf diese Freunde und lieben Mitmenschen zu treffen.

Die Rituale von Freimaurern können im Internet nachgelesen werden. Erwähnenswert scheint mir jedoch die Arbeitsweise, die sehr viel mit gesellschaftlichem Engagement zu tun hat: Als Kontrapunkt zum alles dominierenden (Arbeits-)Alltag treffen sich in regelmäßigen Abständen Menschen, um gesellschaftliche Fragen zu diskutieren und zu besprechen. Das wichtigste Ziel all dieser Zusammentreffen besteht darin, Inhalte und Gedanken aufzunehmen, die zur persönlichen (in früheren Zeiten hätte man gesagt: geistigen und sittlichen) Weiterentwicklung beitragen und so die Saat für Aktivitäten zum Wohle aller Menschen legen – gemäß den fünf Grundpfeilern der Freimaurerei: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität.

Meine Mitgliedschaft bei den Freimaurern ist kein Geheimnis. Wer sich mit meiner Person beschäftigt, wird schnell herausfinden, dass ich als ehrenamtlicher Pressesprecher der „Akademie forum masonicum“13, einem freimaurischen Bildungswerk, agiere. Die Beschreibung dieses Engagements zeigt nur eine andere Option auf, positiv für die Gesellschaft zu wirken und zwar auf dem Weg der geistigen Entfaltung. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch eine Form des Engagements für sich finden sollte und muss, die vom Alltag entkoppelt ist. Ich persönlich habe eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten entdeckt, von denen ich sagen kann, dass sie in Summe Zufriedenheit und Erfüllung erzeugen. So fungiere ich beispielsweise als Obmann der Ersten Wiener Klavierschule14, welche laut Satzung bezweckt, „die Tradition der Wiener Klavierspielkunst weiter zutragen, um Jung und Alt gleichermaßen zu begeistern.“ In meiner Galerie KunstRaumZwei15 in Wien biete ich Kunstschaffenden zum Selbstkostenpreis eine Präsentationsmöglichkeit ihrer Werke und Gedanken. Denn gesellschaftspolitisches Engagement lässt sich auch durchaus mit den schönen Dingen des Lebens verbinden …

Mein bisheriges Leben verpflichtet mich zu Dankbarkeit und Demut. Im Vergleich zu vielen Menschen nehme ich eine privilegierte Position in der Gesellschaft ein und kann nun durch meine außerberuflichen sozialen Aktivitäten ein wenig von dem weitergeben, was mir das Leben reich geschenkt hat.

1Leykam Verlag, Graz 2008 (ISBN 3-7011-7613-2).

2Leykam Verlag, Graz 2011 (ISBN 978-3701177493).

3Ibera Verlag, Wien 2013 (ISBN 978-3-85052-324-0).

4Köflach ist eine Kleinstadt mit über 10.000 Einwohnern. Sie liegt im ehemaligen weststeirischen Kohlerevier und war in den 1970ern von Bergbau und Industrie geprägt. Köflach ist die größte Stadt im politischen Bezirk Voitsberg im österreichischen Bundesland Steiermark.

5Jugend- und Kommunikationszentrum Köflach (www.juko-koeflach.com).

6(*1926 †1989) Politiker der SPÖ und von 1980 bis zu seinem Tod 1989 Bundesminister für Soziales.

7Das AMS ist das staatliche Dienstleistungsunternehmen für Arbeitsmarktpolitik in Österreich, vergleichbar mit der deutschen Bundesagentur für Arbeit.

8www.99ers.at.

9Gegründet 1905 ist Rotary unter den Service-Clubs der älteste und einer der größten weltweit. Laut Rotary sind in 166 Staaten insgesamt rund 1,2 Millionen Menschen Mitglied in über 34.000 Rotary Clubs.

10 Ein 1917 gegründeter Service Club; er hat 1.360.121 Mitglieder (Stand 1. Juli 2014) in 46.385 Clubs aus 209 Ländern.

11 1717 wurde die erste Großloge in England gegründet. Als die fünf Grundpfeiler der Freimaurerei gelten: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. In Deutschland gibt es aktuell ca. 14.000 Freimaurer/innen, in Österreich ca. 3.000.

12 Eine gemischte Loge hat männliche und weibliche Mitglieder.

13 www.akademie-forum-masonicum.de.

14 www.erste-wiener-klavierschule.at.

15 www.kunstraumzwei.com.

Die Wegschau-Kultur?

Wenn man sich auf die Suche nach statistischem Material begibt, um Anhaltspunkte zu finden, ob und wie sich Menschen für die Gesellschaft engagieren, findet man unterschiedliche Studien und Berichte. Es scheint, dass sich mehr Menschen als vermutet in irgendeiner Form für das Gemeinwohl engagieren. Demnach leisten 44,8 % der Österreicherinnen und Österreicher, die über 15 Jahren alt sind, sogenannte Freiwilligenarbeit1, davon 27,9 % im Rahmen einer Organisation. In Deutschland sind 36 % ehrenamtlich tätig. Spitzenreiter in Europa sind neben Österreich die Niederlande, Schweden und Großbritannien, global gesehen sind es – nach Österreich – die USA mit 41,9 % und Neuseeland mit 41,53 %. Schlusslicht in allen Statistiken ist China, wo sich nur 3,93 % der Bevölkerung in irgendeiner Form der freiwilligen Arbeit widmen. Zur Ehrenrettung könnte man für das Reich der Mitte ins Treffen führen, dass die dortigen Arbeitsbedingungen nicht mehr viel freie Zeit für soziales Engagement übrig lassen.

Den unterschiedlichen Studien kann auch entnommen werden, dass jene, die über ein höheres Bildungsniveau verfügen, gesund und über 50 Jahre alt sind, sich tendenziell am meisten engagieren. Im Durchschnitt werden so pro Woche zwischen 1,5 und 1,7 Stunden in Freiwilligenarbeit investiert.2 Der Sport behauptet sich hier als führender Sektor, gefolgt vom sozialen Sektor und dem Wohlfahrts- und Gesundheitswesen. Ehrenamtliche Arbeit trägt beispielsweise in den Niederlanden, Österreich und Schweden zwischen 3 % und 5 % zum Bruttoinlandsprodukt bei, in Griechenland, Polen und der Slowakei jedoch weniger 0,1 %.3 Es wurde berechnet, dass in Österreich 3 Millionen ehrenamtlich Tätige pro Jahr 720 Millionen Stunden an Arbeitsleistung erbringen, was 400.000 Vollzeitbeschäftigen entspricht, wofür 16 Milliarden Euro zu bezahlen gewesen wären. – Eine beeindruckende Zahl.

Laut der Studie „Refugee Report: Österreich zwischen Hilfsbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit“4 des Marktforschungsunternehmens marketagent5 vom Oktober 2015 haben sich 23,1 % der Bevölkerung Österreichs freiwillig 2015 in der Flüchtlingshilfe engagiert. Knapp drei Viertel (72,4 %) haben sich durch Sachspenden beteiligt, weitere 38,1 % durch Geldspenden. Stattliche 17,3 % haben in Notunterkünften und Flüchtlingsheimen mitgearbeitet. Bei der Caritas Österreich haben sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 rund 14.300 neue Freiwillige zur Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe gemeldet. Der Arbeiter-Samariter-Bund schätzte, dass sich ab dem Sommer 2015 täglich bis zu 1.200 Personen in der Flüchtlingshilfe engagierten. Aber: Von den 76,9 %, die sich noch nicht in der Flüchtlingshilfe engagiert haben, kann sich nur knapp die Hälfte laut eigenen Angaben eher oder überhaupt nicht vorstellen in der Flüchtlingshilfe mitzuarbeiten. D. h. 35% der Bevölkerung in Österreich bräuchten nur etwas mehr Information, vielleicht auch nur eine persönliche Einladung, um hier tätig zu werden.

Interessant erscheint, dass unterschiedlichen Studien zufolge noch viel mehr Menschen grundsätzlich bereit wären, sich in irgendeiner Form gesellschaftlich zu engagieren. Eine Erhebung aus dem Jahr 20066 zeigt auf, warum sich viele gesellschaftlich engagieren oder (noch) nicht. So geben 54,8 % jener, die sich nicht ehrenamtlich engagieren, an, niemals gefragt oder gebeten worden zu sein. Einer Studie des österreichischen Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz aus dem Jahr 2015 zufolge,7 wünschen sich 76 % der Befragten mehr Informationen über Möglichkeiten, ehrenamtliches Engagement in Organisationen, Vereinen oder Gemeinden zu leisten. Mehr Freiwilligenmessen bzw. -börsen, Informationstage, leicht zugängige Informationen auf Gemeindeebene könnten also für viele, die zum Engagement bereit sind, ein adäquates Angebot sein, sich für diese Formen gesellschaftlicher Teilhabe zu öffnen. Das beschreibt ein für mich grundsätzliches Problem unserer kommunikationsorientierten Welt: Scheinbar sind zwar alle mit allen vernetzt, aber dann, wenn es um konkretes Tun geht, fehlt die persönliche Ansprache. Es gibt demnach viele Menschen, die nicht nur bildlich gesprochen, sondern tatsächlich darauf warten, abgeholt zu werden, aber niemand taucht in ihrem Wartesaal auf. Insgesamt aber zeugen die Zahlen davon, dass es um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft vielleicht um einiges besser bestellt ist, als es manche annehmen.

Menschen helfen, weil sie sich der Menschlichkeit verpflichtet fühlen, weil sie gerne gebraucht werden, weil sie Helfen für eine sinnvolle Freizeitaktivität erachten – die Gründe, sich freiwillig zu engagieren, sind vielfältig. Das Marktforschungsinstitut Market hat 2011 im Auftrag des österreichischen Roten Kreuzes8 herausgefunden, dass es für 76,6 % der Befragten Motivation genug ist, „anderen helfen zu können“. Beachtliche 61,7 % geben in derselben Studie als Motivation zu Protokoll, Erfahrungen sammeln zu können und Neues lernen zu wollen. 63,8 % der Interviewten berichten, ehrenamtliche Tätigkeiten aus Spaß und Freude zu machen. – Das sind gute Nachrichten! Im österreichischen Zivilgesellschaftsindex9, der 2014 erhoben wurde, geben 58 % der Befragten an, dass gemeinnützige Organisationen das Alltagsleben vieler Menschen bereichern. Mit 212.000 Beschäftigten und einer jährlichen Wertschöpfung von 5,9 Milliarden Euro ist der Non-Profit-Sektor ein bedeutender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Faktor in Österreich. Die Existenz von mehr als 110.000 Vereinen in unserem Land zeigt, dass es um die sogenannte „Vereinigungsfreiheit“ gut bestellt ist.

Ein Problem bei den meisten gemeinnützigen Vereinen ist die Frage der Finanzierung, da sie – anders als Stiftungen – in der Regel finanziell von der öffentlichen Hand, also vom politischen Willen der Mächtigen abhängen. Während in der Alpenrepublik nur zwischen 1 und 5 Euro pro Jahr und Einwohner bzw. Einwohnerin aus Stiftungen für gemeinnützige Zwecke ausgeschüttet werden, sind es in Deutschland 180 bis 230 Euro. In Deutschland sind 95 % der Stiftungen gemeinnützig, nur 5 % eigennützig. In Österreich ist das Verhältnis genau umgekehrt. Hier ist die Republik aufgerufen, ein Anreizsystem zu schaffen, damit sich dieses Verhältnis umkehrt.

In der Schweiz z. B. wurde ein eigener Sozialzeitausweis eingeführt und 2007 die wichtigsten Standards für Freiwilligenarbeit von BENEVOL10, der Dachorganisation der regionalen Fachstellen für Freiwilligenarbeit in der Schweiz, definiert:

1. Anerkennung der Freiwilligenarbeit: Freiwillige haben ein Anrecht auf persönliche und öffentliche Anerkennung ihrer Leistung. Freiwilligenarbeit braucht zeitgemäße Rahmenbedingungen. Geeignete Formen der Anerkennung sind der Sozialzeitausweis, eine großzügige Spesenregelung sowie die Übernahme von Weiterbildungskosten durch die Institution.

2. Arbeitsbedingungen: Eine zeitliche Beschränkung der Einsätze verhindert Missbrauch und Überlastung von Freiwilligen. Es ist motivierend für die Freiwilligen, wenn sie eine Mitsprachemöglichkeit bei der Ausgestaltung ihrer Aufgabe haben. Der Zugang zur Infrastruktur (Räume, Fotokopierer etc.) soll gewährleistet sein.

3. Begleitung der Freiwilligen: Einsatzinstitutionen benennen eine Ansprechperson für die Freiwilligen. Ihre Aufgabe ist es, die Freiwilligen einzuführen, zu begleiten und zu unterstützen sowie deren Interessen innerhalb der Institution zu vertreten. Besonders motivierend und unterstützend für Freiwillige ist es, wenn sie über ihre Erfahrungen sprechen können, sei es mit der Einsatzleitung oder im Rahmen eines Erfahrungsaustauschs in einer Gruppe.

4. Einsatzvereinbarung: Es empfiehlt sich, auch bei kleineren Einsätzen gegenseitige Erwartungen und Vereinbarungen schriftlich festzuhalten und die Dauer oder Fortsetzung des Einsatzes regelmäßig zu besprechen.

5. Aufwertung der Freiwilligenarbeit: Freiwilligenarbeit soll ausgewertet werden. Das regelmäßige Gespräch – einzeln oder angeleitet in Gruppen – dient dem Erfahrungsaustausch, der Standortbestimmung und der Aufwertung der geleisteten Arbeit.

6. Spesenregelung und Versicherung: Freiwilligenarbeit ist grundsätzlich unbezahlte Arbeit. Hingegen sind Spesen zu entschädigen. Als Spesen gelten effektive Auslagen wie Fahrkosten, Verpflegung, Porti, Telefonkosten etc. Freiwillige sollen während ihres Einsatzes durch die Institution versichert werden (Unfall-, Haftpflicht-, bei Fahrdiensten zusätzlich Kaskoversicherung).

7. Ausweisen der geleisteten Arbeit: Institutionen, welche mit Freiwilligen arbeiten, beziehen die Freiwilligenarbeit in ihre Unternehmensphilosophie ein. Sie weisen die freiwillig oder ehrenamtlich geleisteten Stunden aus und fördern so deren öffentliche Anerkennung. Freiwilligenarbeit kostet: Sie soll deshalb auch im Budget sowie in der Jahresrechnung erscheinen.