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Ilse Strempel

Glaukom –
mehr als ein
Augenleiden

Ratgeber für Patienten
mit „Grünem Star“

Geleitwort

Das Krankheitsverständnis von Glaukom hat sich seit meiner Ausbildungszeit vor 40 Jahren grundlegend geändert. Damals haben wir das Auge weitgehend isoliert betrachtet, quasi losgelöst vom Rest des Körpers und erst recht von der Seele. Dank molekularbiologischer Forschung beginnen wir heute, die Prozesse mehr und mehr zu verstehen bis auf die Ebene der einzelnen Zellen und Zellorganellen. Gleichzeitig hat aber die Systembiologie auch gezeigt, dass weder gesunde Funktionen noch deren Störungen isoliert an einem Organ betrachtet werden dürfen. Denn die Organe sind intensiv miteinander verbunden, z. B. durch das Nervensystem, das Immunsystem und v. a. durch den Blutkreislauf. Die moderne Psychosomatik hat weiter gezeigt, dass Körper und Seele eine Einheit bilden.

In meiner Ausbildungszeit bestand auch noch die Annahme, dass eine Krankheit meist durch nur einen Faktor ausgelöst werde. So glaubten wir auch, dass der Glaukomschaden einzig eine Folge des erhöhten Augeninnendrucks sei. Heute erkennen wir zunehmend multifaktorielle Zusammenhänge. Ich möchte das bildlich am Beispiel eines Unfalls erklären: Ein Mann fuhr jeden Tag mit seinem Auto zur Arbeit, auf dem gleichen Weg und mit ähnlicher Geschwindigkeit. An einem Herbsttag hatte es überraschend geschneit. Das Auto fuhr noch mit Sommerreifen. Bei einer Kreuzung kam es nicht rechtzeitig zum Stillstand und schon war ein Unfall geschehen. Man könnte nun, je nach Betrachtungsweise, die Schuld an verschiedenen Orten suchen und finden: Bei der Gemeinde, die den Schnee nicht rechtzeitig beseitigt hat, oder beim Auto, das noch mit Sommerreifen unterwegs war, oder bei der Fahrgeschwindigkeit, die nicht der Situation angepasst war. Ebenso gut kann man aber sagen, dass der Unfall durch das Zusammenspiel mehrerer ungünstiger Faktoren zu Stande kam. Genauso ist es beim Glaukomschaden. Schwankt beispielsweise ein Augeninnendruck zwischen 20 und 25 mmHg und ist gleichzeitig die Regulation der Durchblutung gestört und auch noch die Kapazität vermindert, freie Sauerstoffradikale zu beseitigen, so wird sich voraussichtlich ein Glaukomschaden entwickeln. Wir könnten das Problem in nur einem dieser Faktoren, z. B. dem Augen­innendruck, sehen. In Wirklichkeit ist es aber vielmehr die Folge des Zusammentreffens ungünstiger Faktoren.

Zudem hatten wir uns früher die Entstehung von Krankheiten sehr mechanistisch vorgestellt. Entsprechend glaubten wir, dass die Nervenfasern mechanisch durch den Druck zerstört werden. Heute wissen wir, dass Biomechanik und Biochemie voneinander abhängig funktionieren. So verstehen wir heute die Entwicklung eines Glaukomschadens als eine Kette von molekularbiologischen Ereignissen.

Frau Prof. Dr. I. Strempel versteht es ausgezeichnet, dank ihrer langjährigen wissenschaftlichen und klinischen Erfahrung das Glaukom in einem größeren Zusammenhang zu sehen, und sie beschreibt dies im vorliegenden Buch in einer für Patienten verständlichen Sprache. Ich bin überzeugt, dass das Buch vielen Patienten helfen wird, das Glaukom und seine Behandlung besser zu verstehen und zu akzeptieren.

Prof. Dr. med. Josef Flammer; Basel, im August 2013

Zu diesem Buch

Wussten Sie, dass der „Grüne Star“ – das Glaukom – oft mit internistischen und neurologischen Erkrankungen einhergeht und oft noch weitere medizinische Fachgebiete beteiligt sind? Nein? Dann geht es Ihnen wie den meisten Menschen. Die landläufige Meinung ist nämlich, dass es sich bei Glaukom um eine reine Augenkrankheit handelt. Es handelt sich aber um „kranke Augen in einem kranken Körper“ (Flammer). Schauen wir, wie jede Fachrichtung beteiligt ist.

Der Augenarzt diagnostiziert, behandelt und überwacht die Glaukomerkrankung. Nur er kann feststellen, an welcher der vielen Varianten der Erkrankung ein Patient leidet. Er befasst sich mit dem Augeninnendruck, der Durchblutung und den jeweiligen Konsequenzen für die Entwicklung des Glaukoms.

Der Internist und auch der Hausarzt sind für etwa 80 Prozent der Patienten mit Glaukom wichtige Partner. Dies gilt ganz besonders, wenn ein Normaldruckglaukom besteht. Denn diese Patienten leiden immer auch an weiteren Erkrankungen, so dass Augentherapie und Behandlung der zugleich bestehenden Allgemeinerkrankung gut aufeinander abgestimmt werden müssen. Nur durch eine enge Zusammenarbeit ist zum Beispiel zu vermeiden, dass ein Blutdrucksenker zwar den Blutdruck eines Patienten in den Griff bekommt, sich auf die Glaukomerkrankung aber nachteilige Auswirkungen bis zum vollständigen Verlust der Sehfähigkeit ergeben.

Der Neurologe ist beteiligt, weil das Glaukom, bei dem es zu einem Sehnervenschwund kommen kann, häufig mit anderen neurologischen Erkrankungen einhergehen.

Der Patient, der an einem Glaukom erkrankt ist, sollte sich also gut informieren: über das Geschehen in seinen Augen und die Wechselwirkungen im Körper – besonders, wenn er an verschiedenen Erkrankungen leidet.

Medizinisches Wissen unterliegt einem raschen Wandel und wächst ständig. Das vorliegende Buch kann nur einen Ausschnitt des derzeitigen Wissensstandes wiedergeben. Bei der Auswahl habe ich mich als Autorin sowohl von harten Fakten wissenschaftlicher Ergebnisse leiten lassen wie auch von eigenen Erfahrungen und denen vieler Kollegen und der erfolgreichen Anwendung beim Patienten. Das reicht von A wie Akupunktur über E wie Entspannungsmethoden bis hin zu M mit den vielfältigen Mikronährstoffen. Die medizinische Erfahrung schließt auch Ratschläge für den Alltag ein, in diesem Fall zu Sport, Reisen und Ernährung.

Ich hoffe, mit diesem Buch die Vielfalt der Aspekte rund um das Glaukom beleuchtet und zusammengefügt zu haben – zum Wohle der Patienten.

Prof. Dr. med. Ilse Strempel; Marburg, im Juni 2014

KAPITEL 1 Aufbau des Sehorgans

Zum Verständnis des sehr komplizierten und teils noch immer rätselhaften Krankheitsbildes Glaukom gehören unter anderem Grundkenntnisse der Anatomie und Physiologie des Auges sowie ein Basiswissen zu den einzelnen Glaukomformen.

In der Umgangssprache wird das Sehorgan meist auf seinen sichtbaren Anteil – den Augapfel – beschränkt, tatsächlich ist es aber viel umfassender, denn es sind neben den beiden Augäpfeln die Sehnerven, die Sehbahn und die im Hinterkopf gelegenen Sehzentren sowie die Erinnerungszentren beteiligt. Die hinter den Augäpfeln gelegenen Anteile des Sehorgans ziehen damit in Längsrichtung durch das gesamte Gehirn (Abbildung 1).

Abbildung 1: Darstellung der Sehbahn in einem gedachten Querschnitt durch das Gehirn

Bei der Beschreibung der Anatomie des Augapfels (Abbildung 2) hat es sich bewährt, einen vorderen und einen hinteren Augenabschnitt zu unterscheiden (Abbildung 3).

Abbildung 2: Kleine Augenanatomie: Hornhaut nennt man das klare Scheibchen vorne. Der „Raum“ dahinter nennt sich vordere Augenkammer. Sie wird nach hinten begrenzt durch die Regenbogenhaut (Iris). Dahinter liegt die Linse. Die Iris gehört zusammen mit dem Ziliarkörper, der das Kammerwasser produziert und auch die Brechkraft der Linse regelt, zur mittleren Augen­apfelschicht, der Aderhaut (Uvea). Die Uvea ist das gefäßreichste Gewebe des menschlichen Körpers. Die äußere Hülle wird von der Hornhaut und Lederhaut (Sklera) gebildet. Die innerste Augapfelschicht ist die Netzhaut. Ihre wichtigste Stelle ist im optischen Zentrum des Auges gelegen, sie heißt Makula (Stelle des schärfsten Sehens). Das Augeninnere ist von einer gallertigen Masse ausgefüllt, dem sogenannten Glaskörper.

Für das Verständnis der Glaukomerkrankung interessieren besonders die Funktionsabläufe im vorderen Augenabschnitt, da dort der Augeninnendruck reguliert wird. Zum vorderen Augenabschnitt gehören die Bindehaut (Konjunktiva), die Hornhaut (Kornea), die vordere Augenkammer (Vorderkammer), die Regenbogenhaut (Iris), die hintere Augenkammer und die Augenlinse. Der hintere Augenabschnitt umfasst den Glaskörper, die Netzhaut (Retina) und den Sehnerven­kopf (Papille). Als Augenhintergrund (Fundus) werden die durch die Pupille direkt betrachtbaren, hinter der Augenlinse befindlichen Teile der inneren (Netzhaut mit Papille) und mittleren Augapfelschicht (Aderhaut) bezeichnet. Einen normalen Befund des Sehnervs zeigt die Abbildung 4. Wird der Augeninnendruck nicht mehr richtig reguliert, machen sich die Schäden besonders an Netzhaut und Sehnerv bemerkbar, z. B. durch Sehnervenschwund (Abbildung 5).

Die Wand des Augapfels (Bulbus oculi) besteht aus drei Schichten (Abbildung 2):

» äußere Schicht: Bindehaut (Konjunktiva), Hornhaut (Kornea), Lederhaut (Sklera)

» mittlere Schicht: Regenbogenhaut (Iris), Strahlenkörper (Ziliarkörper, Corpus ciliaris), Aderhaut (Chorioidea)

» innere Schicht: Netzhaut (Retina) mit Sehnervenkopf (Papille), die man mit Hilfe eines Augenspiegels (Ophthalmoskop) oder eines Kontaktglases sehen kann.

Abbildung 3: Schematische Darstellung des Augapfels mit Darstellung von vorderer und hinterer Augenkammer. Aus praktischen Erwägungen wird noch ein vorderer und hinterer Augenabschnitt unterschieden. Während die Augeninnendruckregulation im vorderen Teil geregelt wird, machen sich die Schäden des zu hohen Drucks an der Netzhaut und am Sehnerv im hinteren Abschnitt bemerkbar.

Blutversorgung des Augapfels

Im Augapfel gibt es zwei Gefäßsysteme, die für die Durchblutung sorgen (Abbildung 2, 6). Das Aderhautgefäßsystem wird vom autonomen, auch vegetativ oder unwillkürlich genannten Nervensystem reguliert (Sympathikus und Parasympathikus). Es ist das gefäßreichste Gewebe des Körpers überhaupt. Dort können sich Stressfaktoren über die gefäßverengenden (vasokonstriktorischen) Eigenschaften der Stresshormone Adrenalin und Endothelin besonders schädigend auswirken und eine Minderdurchblutung des Auges hervorrufen. Das zweite Gefäßsystem ist das Netzhautgefäßsystem, das für die Aufrechterhaltung der Versorgung der Netzhaut und des Sehnervenkopfes zuständig ist. Die dazugehörigen Gefäße kommen mit dem Sehnerven in das Auge und verzweigen sich in der Netzhaut (Abbildung 2 und 6).

Abbildung 4 a und b: Normale Sehnervscheibe (Papille). Darstellung der Sehnervscheibe im Augeninneren. Ein normaler Sehnerven-„kopf“ ist scharf begrenzt, im Netzhautniveau gelegen und rötlich gut durchblutet. Der Gefäßstamm der Netzhautgefäße ist „zentral aufsteigend“.

Abbildung 5 a und b: Sehnerv bei fortgeschrittenem Glaukom. Der Sehnervenkopf ist abgeblasst (Atrophie), nach hinten schüsselförmig ausgehöhlt (exkaviert) und der zentrale Gefäßbaum nach nasenwärts verdrängt. Die Gefäße scheinen spazierstockartig am Sehnervenrand zu hängen (oberer Bildteil).

Diese Blutgefäße unterliegen einer so genannten Autoregulation, die auch dann noch die Durchblutung der Netzhaut aufrechterhält, wenn der Kreislauf zusammenbricht. Bei Glaukompatienten ist dieser Mechanismus gestört. Das erhöht die Gefahr der Mangeldurchblutung, allein schon bei stärkeren Blutdruckschwankungen. Wenn nämlich dieses Gefäßsystem bei einem Blutdruckabfall schlecht durchblutet wird und beim erneuten Ansteigen des Blutdrucks auch die Durchblutung wieder steigt (Reperfusion), kommt es infolge der inzwischen angesammelten toxischen Substanzen (freie Radikale) zu immer neuen Schädigungen des Sehnervs.

Die gestörte Augeninnendruckregulation und Durchblutungsstörungen im Augapfel sowie Nervenuntergangs­prozesse sind die wesentlichen Schädigungsmechanismen bei der Glaukom­erkrankung!

Abbildung 6: Gefäßversorgung des Auges. Aus der Halsschlagader, die zum Kopf hoch geht, zweigt schließlich die Augenarterie (A. ophthalmica) ab. Diese gliedert sich auf in die Ziliararterien und die zentrale Netzhautarterie (A. centralis retina). Die Ziliararterien versorgen mit ihrem Blut die Aderhaut, sie unterliegen einer vegetativen Steuerung. Die Netzhautarterie tritt in den Sehnerv ein, wird im Auge im Sehnervenkopf sichtbar und verzweigt sich in der Netzhaut in verschiedene Äste. Mit dem Eintritt in das Auge verliert allerdings die Netzhautarterie ihre vegetative Innervation (Nervenversorgung). Die Durchblutungsregelung der Netzhaut und des Sehnervenkopfes unterliegt der sogenannten Autoregulation. Dabei regeln Stoffwechsel­produkte die Weite der Arterien und ihre Durchblutungsmechanismen.

Kammerwasser, Kammerwinkel und Augeninnendruck

Das Kammerwasser ist eine klare Flüssigkeit, die zur Ernährung des vorderen Augenabschnittes dient und einen konstanten Druck im Augeninneren aufrechterhält. Ein konstanter Augeninnendruck (intraokularer Duck, IOD) ist notwendig, damit die Form des Augapfels stabilisiert wird. Wäre dies nicht der Fall, würde sich u. a. die Sehschärfe ständig ändern. Das Kammerwasser stammt aus den Blutgefäßen des Ziliarkörpers (Strahlenkörper) und wird von dort in die hintere Augenkammer abgegeben (Abbildung 7). Anschließend umspült es die Linse und fließt durch die Pupille in die vordere Augenkammer. Die Abflussstelle des Kammerwassers befindet sich im Kammerwinkel, der am Rande der Vorderkammer liegt und von der Regenbogenhaut sowie der Hornhaut und der Lederhaut begrenzt ist (Abbildung 7a). Ist der Kammerwinkel sehr eng, dann besteht die Gefahr, dass der Abfluss des Kammerwassers beeinträchtigt wird. Im Normalfall hat der Kammerwinkel eine Öffnung von 20 – 45 Grad (Abbildung 8a, 16a). Man spricht dann von einem offenen oder weiten Kammerwinkel (Abbildung 8b, 16a). Liegt der Winkel bei 10 Grad und weniger, besteht ein enger Kammerwinkel und damit die Gefahr eines Kammerwinkelverschlusses (siehe Winkelblockglaukom, Abbildung 8d).

Im Kammerwinkel befindet sich ein hochspezialisiertes, schwamm­artiges Gewebe (Trabekelmaschenwerk, Trabeculum corneo­sclerale), durch welches das Kammerwasser in einen kleinen ringförmigen Kanal (Schlemm’scher Kanal) fließt (Abbildung 7b, 8b). Von da aus leiten kleine Kollektor-(Sammel)-Kanälchen die Flüssigkeit zu den Venen der Lederhaut und Bindehaut, und von dort wird es mit dem vom Auge abfließenden Blut wegtransportiert. Ein kleiner Teil des Kammerwassers (etwa 15 %) fließt über die Aderhaut ab (uveoskleraler Abfluss, Abbildung 7c).

Krankhafte Veränderungen des ableitenden Trabekelmaschenwerks sind die Hauptursache dafür, dass pro Zeiteinheit nicht so viel Kammerwasser abfließen kann wie produziert wurde und dadurch der Augeninnendruck ansteigt. Durch den erhöhten IOD werden die Durchblutung des Seh­nervenkopfes beeinträchtigt und Sehnervenfasern geschädigt. Es kommt zu glaukomatösen Veränderungen des Sehnervs und im Laufe der Zeit zur Verschlechterung der Sehschärfe und Beeinträchtigung des Gesichtsfeldes.

Abbildung 7a: Der Ziliarkörper produziert das Kammerwasser. Es wird zunächst in der sogenannten hinteren Augenkammer gesammelt. Durch die Pupille fließt es in die vordere Augenkammer und wird dort vom Trabekelmaschenwerk aufgenommen. Dieses leitet es dann in einen ringförmigen Schlauch („Schlemm’scher Kanal“). Von dort wird es durch die Kammer­wasservenen den episkleralen (d. h. Leder­haut) Venen zugeführt und gelangt mit dem venösen Abfluss des Auges zum großen Kreislauf.

Abbildung 7b: Es gibt zwei verschiedene Abflusswege: Das meiste Kammerwasser fließt durch das Trabekelmaschenwerk zum Schlemm’schen Kanal.

Abbildung 7c: In geringem Maße (etwa 15%) fließt das Kammerwasser über die Irisbasis und die Aderhaut ab (uveoskleraler Abfluss). Dieser Weg wird durch die Anwendung von bestimmten antiglaukomatösen Augentropfen (Prostaglandinanaloga wie z. B. Latanoprost) verstärkt.

Abbildung 8a: Regenbogenhaut (Iris; hier braun) und Hornhaut (blau) bilden einen Winkel, den sogenannten Kammerwinkel der vorderen Augenkammer. Er ist hier normal tief. Das Kammerwasser hat gute Abflussmöglichkeiten in das Trabekelmaschenwerk und den Schlemm‘schen Kanal.

Abbildung 8b: Bei einem normalen Kammerwinkel hat das Kammerwasser (symbolisiert durch rote Pfeile) ungehindert Zugang zum abfiltrierenden Trabekelmaschenwerk.

Abbildung 8c: Spitzwinkeliger Kammerwinkel. Die Iris ist etwas vorgebuckelt, die vordere Augenkammer wird dadurch flacher und der Kammerwinkel enger. Er ist hier sehr eng, das Kammerwasser fließt schlechter ab und es kann bei weiter Pupille zum Kammerwinkelblock (Glaukomanfall) führen.

Abbildung 8d: Schematische Darstellung eines sogenannten Winkelblocks. Die Iris ist so weit vorgewölbt, dass sie die Abflusswege des Kammerwassers (symbolisiert durch roten Pfeil) blockt. Der Augeninnendruck steigt dann an, der Glaukomanfall ist da.

Erkrankungszahlen

Weltweit ist die Erkrankung Glaukom die dritthäufigste Erblindungsursache, wobei es länderspezifische Unterschiede gibt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass bis 2020 voraussichtlich 80 Millionen Menschen an einem Glaukom erkranken, mit entsprechender sozioökonomischer Bedeutung, besonders was Behandlungskosten und Blindengeldzahlungen betrifft.

Etwa 700 000 bis 1 Million Glaukompatienten werden derzeit in Deutschland behandelt. Man nimmt an, dass bei etwa ebenso vielen Menschen ein therapiebedürftiges Glaukom noch nicht diagnostiziert wurde; also gibt es eine gefährlich hohe Dunkelziffer. Daraus lässt sich die dringende Notwendigkeit ableiten, dass alle Menschen spätestens ab dem 50. Lebensjahr regelmäßig an einer Glaukomfrüherkennungsuntersuchung (Glaukomscreening) beim Augenarzt teilnehmen, damit frühzeitig therapiert werden kann, um Folgeschäden und vor allem Erblindung zu verhindern. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für diese Untersuchung trotz zahlreicher Vorstöße der Augenärzte nicht. Es handelt sich also um eine so genannte individuelle Gesundheitsleistung (IGeL), die der Untersuchte selbst bezahlen muss.

Definition der Erkrankung und Risikofaktoren

Definition: Glaukom ist der Sammelbegriff für eine Gruppe von Augenerkrankungen unterschiedlicher Ursachen. Es gibt also verschiedene Glaukomformen! Gemeinsam haben sie, dass es zu einer Schädigung des Sehnervs (Optikusatrophie, d. h. einem Zugrundegehen von Sehnervenfasern) kommen kann, wenn die Erkrankung nicht frühzeitig und ausreichend behandelt wird. Bei den meisten Glaukomformen ist der Augeninnendruck erhöht. In der Umgangssprache wird das Glaukom „Grüner Star“ genannt. Dieser Ausdruck sollte aber nicht mehr verwendet werden, da er immer wieder Anlass zu Verwechslungen mit dem „Grauen Star“ (Katarakt) gibt, bei dem eine Trübung der Augenlinse besteht.

Die Spätfolgen der Glaukome sind eine Verschlechterung der Sehschärfe und das Auftreten von Ausfällen im Gesichtsfeld (Gesichtsfelddefekte oder Skotome). Das Gesichtsfeld ist jener Bereich, den man sieht, wenn man mit unbewegten Augen geradeaus blickt. Die Skotome sind sozusagen blinde Flecke im Gesichtsfeld. Treten sie bei der Glaukomerkrankung auf, dann machen sie sich anfangs nicht bemerkbar, weil sie nicht deckungsgleich an beiden Augen vorhanden sind. Das eine Auge gleicht dann das Skotom des anderen aus und vertuscht es dadurch. Gesichtsfeldausfälle fallen daher meist erst auf, wenn sie ausgeprägt an beiden Augen bestehen. Bei der Gesichtsfeldprüfung (Perimetrie) in der Augenarztpraxis werden die Skotome jedoch entdeckt, weil die Augen getrennt untersucht werden und damit ein Vertuschen nicht möglich ist.

Risikofaktoren: Die Glaukomerkrankung kann von vielen Faktoren ausgelöst und nachteilig beeinflusst werden (Tabelle 1).

Die Hauptrisikofaktoren bei Glaukom sind erhöhter Augen­innendruck (IOD) und Durchblutungsstörungen. Durch den erhöhten IOD werden die Durchblutung des Seh­nervenkopfes beeinträchtigt und Sehnervenfasern geschädigt. Es kommt zu glaukomatösen Veränderungen des Sehnervs und im Laufe der Zeit zur Verschlechterung der Sehschärfe und Beeinträchtigung des Gesichtsfeldes.

Tabelle 1: Risikofaktoren für Glaukom

» Erhöhung des Augeninnendrucks

» familiäre Belastung

» Lebensalter über 50 Jahre

» ethnische Herkunft (dunkelhäutige Menschen, besonders afrikanischer Abstammung, Karibikbewohner und Japaner)

» Bluthochdruck (Hypertonie)

» zu niedriger Blutdruck (Hypotonie)

» psychosozialer Stress - Dauerstress beeinflusst die Durchblutung und den Augeninnendruck

» Stoffwechselkrankheiten, besonders Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie (zu hohe Cholesterinwerte), Übergewicht

» Gefäß- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, besonders primäre vaskuläre Dysregulation („kalte Hände – kalte Füße“ etc.)

» Rauchen (!!)

» Kurzsichtigkeit – je höher, desto größer das Risiko

» Weitsichtigkeit (je höher, desto kleiner das Auge und umso flacher die vordere Augenkammer)

» Pseudoexfoliation (PEX)

» Pigmenteinlagerungen im Kammerwinkel

» Autoimmunerkrankungen

» neurologische Erkrankungen

Tabelle 2: Wirkungsweise der wichtigsten Risikofaktoren

» Augeninnendruck (intraokularer Druck; IOD)

Erhöhung des IOD führt zu einem direkten Schaden der Ganglienzellen der Netzhaut sowie der anschließenden Sehbahn.

» Genetische Faktoren (Vererbung, familiäre Disposition). Die gestörte IOD-Regulation, die erhöhte Sensibilität des Sehnervs auf Druck sowie die gestörten Differenzierungen (Ausformungen) des Kammerwinkels, die zur Druckerhöhung führen, sind genetisch bedingte Faktoren und können somit ererbt sein und auch weitervererbt werden.

» Durchblutungsfaktoren. Glaukom ist durch eine lokale (d. h. aufs Auge bezogene) und systemische Regulationsstörung gekennzeichnet, z. B. durch hohen oder zu niedrigen Blutdruck, Arteriosklerose, Diabetes mellitus, Stoffwechselerkrankung etc. Dafür spricht, dass eine Verbesserung der Durchblutung der Augen und des übrigen Körpers den Verlauf der Glaukomerkrankung günstig beeinflussen kann.

» Neurodegenerative Faktoren. Das spezifische Muster des Ganglienzellenuntergangs beim Glaukom hat Ähnlichkeit mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose. Auch findet man bei Glaukompatienten – besonders bei denen mit Niederdruckglaukom mit primärer vaskulärer Dysregulation – „White matter lesions“ (weiße Flecken) im Gehirn (Abbildung 9). Außerdem kann es zu einer Neurodegeneration (Nervenzelluntergang) der gesamten Sehbahn – von der Netzhaut bis zur Sehrinde im Gehirn – kommen.

» Neuroendokrine Faktoren. Da die IOD-Regulation und die Durchblutungsmechanismen von zentralen Schaltstellen im Gehirn gesteuert werden (Neurotransmitter, vegetatives Nervensystem etc.), nimmt man an, dass auch Störungen dieser komplizierten Mechanismen eine Rolle spielen.

» Immunologische Faktoren. Glaukom hat auch Aspekte einer Immunerkrankung im Auge. Darüber hinaus findet man besonders bei Normaldruckpatienten häufig Verbindungen zu Immunerkrankungen. Glaukompatienten haben bestimmte Autoantikörper im Tränenfilm. Mit immunologischen Testverfahren steht bald ein Praxistest zur Glaukomfrühdiagnose zur Verfügung (zur Zeit nur Universitätsaugenklinik Mainz).

» Psychische Faktoren. Wissenschaftliche Forschungen belegen eindeutig, dass Stress zur Erhöhung des Augeninnendruckes führt – auch bei normalen Augen, besonders aber bei kurzsichtigen Augen und bei Glaukompatienten.

Abbildung 9: MRT-Bild eines Patienten mit vaskulärer Dysregulation. Man erkennt die weißen Flecken („white-matter-lesions“) im Gehirn. Sie sind Folgen von lokal umschriebenen Durchblutungsstörungen und / oder kleinen Mikroinfarkten.