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PRUŠNIK-GAŠPER • GÄMSEN AUF DER LAWINE

 

 

Gestaltung des Umschlags und des Schubers unter
Verwendung von Gemälden der Kärntner Architektin
und bildenden Künstlerin Tanja Prušnik.

KAREL PRUŠNIK-GAŠPER

Gämsen auf der Lawine

Der Kärntner Partisanenkampf

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Wieser Verlag

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wtb 18

Wieser Verlag GmbH

Inhalt

Einleitung

Vorwort zur slowenischen Ausgabe 1958

ERSTES KAPITEL

Mit Geige, Trompete und Flügelhorn

Wir zerrissen die verschiedenen Stimmzettel

In »gefährlicher« Gesellschaft

Die geheime »Technik«

Hochverräter

Zum ersten Mal in der Karlau

ZWEITES KAPITEL

Wie Hitler »das Pferd einfing«

Die Grünen Kader

»Nur wer nicht wagt zu trotzen dem Feind«

»Rettet uns, liebe Freunde!«

Pioniere des Widerstands

Stane schenkt mir reinen Wein ein

Der unbekannte Tote

Die Überraschung

DRITTES KAPITEL

Unter »slowenischen Soldaten«

Die erste Kritik: Nationale Unduldsamkeit

Robin und seine Knappen

Neue Begegnungen

Abschied von der Petzen

Franz Rozman-Stane in Kärnten

Mit Gift gegen »Ungläubige«

Die Konferenz von Bela peč

Väter, Söhne und Töchter

Trockene Praktizisten

Hriberniks Schwarzbeerschnaps

Blut um Blut!

VIERTES KAPITEL

Unbekannte aus dem »Wilden Westen«

»Zuhauf, zuhauf, du armes Volk«

Es geht wieder ums alte Recht

»Gašper kümmert sich nicht um uns«

Bei »Neža« und »Cveder«

Auf Počule

Aus dem roten Blut junger Partisanen

Patrouille in den »Wilden Westen«

Das Lied auf dem Obir

Mitten im Wald

»Fichten lassen sich nicht organisieren«

»Ein Himmelsbrief«

Der Feind berichtet

Nach Dolenjska

Der Dank des Marschall Alexander

FÜNFTES KAPITEL

Auf die Saualpe!

Unser sind die Wälder und das Wild

Ohne Boote und ohne Verbindung

Unverhofftes Wiedersehen

Novemberfeuer

Bojs Kämpfer

Vereint

Kampf beim Erdbunker

»Gašper, halt dich am Boot fest«

Die Alte aus Diex

SECHSTES KAPITEL

Wieder »daheim«

Die Republik von Zell

»Kameradschaftliche« Schüsse

Das Österreichische Bataillon

Wann wird des langen Kampfs ein Ende sein?

Peršmans Wildwüchslinge

Die letzten Kämpfe

Mit der »Štirinajsta«

Die Ferlacher Tragödie

Die Kämpfer von der Saualpe

Wiedersehen

Wie ich das Buch geschrieben habe

Zur Aussprache slowenischer Namen:

c wie deutsch z (Cincar planina)

z stimmhaftes s wie in »lesen« (Kozlak)

č stimmloses tsch wie in »Tschako« (Črna)

š stimmloses sch wie in »Schule« (Škrbina)

ž stimmhaftes sch wie in »Journal« (Kožlak)

Inhalt Materialienband

I. Bücher haben ihre Zeit – trotz alledem!

Peter Handke

… würde ich ans Herz und in den Geist legen zu lesen …

Vanessa Hannesschläger

Peter Handkes »Immer noch Sturm« und
Karel Prušnik-Gašpers »Gämsen auf der Lawine«

Robert Buchacher

»Tod dem Faschismus«

Robert Buchacher

»Ihr Mörder, ihr Schweine!«

II. Vorwörter und Anmerkungen zu weiteren Ausgaben

Vorwort zur 2. slowenischen Ausgabe 1974
(Pavle Žaucer-Matjaž)

Zur deutschsprachigen Ausgabe 1980

In memoriam (Pavle Žaucer-Matjaž)

Geleitwort (Franci Zwitter)

Klappentext der deutschsprachigen Ausgabe 1980
(Lojze Wieser)

III. Momente des Lebens – Bilddokumente

IV. Verzeichnisse

Verzeichnis geografischer Namen und Ortsnamen

Abkürzungsverzeichnis

V. Fußnoten zum Band »Gämsen auf der Lawine«

Einleitung

Bücher haben ihre Zeit. Einige sind ihrer Zeit voraus. Als Oral History noch kein Begriff war, hat Karel Prušnik-Gašper seine Erinnerungen aufgeschrieben. In slowenischer Sprache erschienen sie erstmals 1958. Als in Österreich noch kaum einer vom Widerstand gegen den Faschismus sprach, Jahre vor der im Präsidentschaftswahlkampf 1986 beginnenden Debatte, welche Rolle ein Pferd und sein Halter dabei spielten, wurden die »Gämsen auf der Lawine« (damals geschrieben: Gemsen) 1980 auf Deutsch publiziert. Es war das erste aus dem Slowenischen übersetzte Buch, das im österreichischen Fernsehen gewürdigt wurde. Dieter Seefranz selig entführte uns in der Nachrichtensendung »Zehn vor zehn« in die Steilhänge der Karawanken und hat, gemeinsam mit den Berichten von Robert Buchacher im »profil«, einen regelrechten Boom des Interesses an der Geschichte des slowenischen Widerstandes in Kärnten ausgelöst. Eines der großen Tabuthemen der österreichischen Zeitgeschichte wurde entzaubert, ein Türspalt zur (gerechteren) Behandlung des Widerstandes geöffnet und der Nachweis erbracht, warum Österreich in der Moskauer Deklaration 1943 nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer gelten konnte – dank des Widerstandes slowenischer Mägde und Knechte, Bauern, Holzfäller, Taglöhner, Hausfrauen, Hilfsarbeiter, Schüler und unzähliger Unbekannter.

Vom ersten Erinnern bis zur Anerkennung der historischen Tat dieser Menschen – die innerhalb des »Tausendjährigen Reiches« zu den Waffen gegriffen haben, um ihre Familien, ihre Höfe, ihre Huben, die eigene Sprache, die eigene Kultur, ihr Leben und das Leben ihrer von Aussiedlung bedrohten Verwandten zu verteidigen und zu retten – sind Jahrzehnte vergangen. Ihr Handeln war nach dem Sieg über den Aggressor lange gesellschaftlich verpönt, ihr Mut – sich trotz Angst und Tod vor Augen zu erheben und couragiert für das Allgemeinwohl einzustehen – wurde in den Dreck gezogen und verunglimpft, war Beleidigungen ausgesetzt und wurde landesweit belächelt.

Persönliche Erinnerungen sind immer subjektiv. Sie sind aber zugleich auch Lehrstoff und jenes Material für die Aufarbeitung durch die Wissenschaft, aus dem spätere Generationen Mut und Stolz, und aus den Irrtümern (vielleicht) auch ihre Lehren ziehen, wenn sie wollen. Es ist nicht Aufgabe des sich Erinnernden, alles objektiv und auf Punkt und Beistrich richtig dargestellt zu haben. Es ist aber auch nicht Aufgabe des Verlegers, dabei den Rotstift anzusetzen, zuallerletzt in einem Land, das nach Jahrzehnten kaum begonnen hat, sich der eigenen Geschichte zu stellen (und dabei noch oft genug in die braune Jauche tritt – und nicht selten wissenschaftlich objektiviert).

35 Jahre sind lang, 35 Jahre sind aber auch kurz. Davor galten Partisanen als Banditen. Heute gedenkt man ihres Mutes zunehmend mit Achtung und Würde. Die slowenische Sprache und Kultur ihrer Familien tritt aus dem Schatten, ihre seit Jahrhunderten klingende Melodie ist Teil des Konzertes, bereichernd im Vielklang der Stimmen, sie ist gut hörbar und wird erstmals verstanden, auch wenn es immer weniger sind, die sie anstimmen. Trotz alledem!

Lojze Wieser, Juni 2015

Vorwort zur slowenischen Ausgabe 1958*

Manchmal scheint es, dass wir uns
versehentlich auf einer Lawine
niedergelassen haben. Sie gleitet Σ im
Augenblick so, dass es kaum zu spüren ist.
Vor Kurzem aber donnerte sie noch mit
solcher Gewalt hinab, dass sie Fichten
brach, Höfe niederriss, Dörfer und Städte,
mit rücksichtsloser Gewalt …

Rok Arih

Häufig habe ich Gämsen auf der Lawine beobachtet …

Das Gämsengeschlecht hat seine Heimat in steilen Felsen, in Gewittern und Stürmen, in Schnee und Eis. Stürmisch krümmt und splittert der Bergwind die Latschen über dem Gämsenrudel. Sie halten sich in Scharen: Das gibt ihnen die Kraft, mit der sie die strengsten Winter, die härtesten Prüfungen überstehen …

Wie oft kauerte ich hinter einem mit Edelweiß bewachsenen Felsen und beobachtete stumm die Gämsen. Ganz leise war ich, um sie nicht zu stören.

Wenn sie alleine sind, wenn ihnen keine Gefahr droht, sind sie wie ein Haufen sanfter Schafe. Es hat den Anschein, dass ihre Beine gebrochen oder ausgerenkt sind, dass sie, weich und willig, keine Knochen und kein Rückgrat haben, dass ihre Körper jedem Lufthauch nachgeben. Es scheint, dass man sie mit Händen fangen kann.

Doch wie schnell ändern sie sich, wenn sie Gefahr verspüren, wenn ihnen ein Feind droht, wenn es gilt: sein oder nicht sein. Im Nu verwandeln sich die lammfrommen Körper in stramme Gamsgestalten. Als ob unversehens elektrischer Strom sie durchzuckt hätte! Ein Pfiff durch die gespannten Nüstern – und schon ist das ganze Rudel ein einziges siedendheißes Gamsblut – und alle folgen dem Leittier über steile und gefährliche Felssteige, über schwindelerregende Schluchten in den Schutz der Natur. In wilder Jagd erklimmen sie glatte Wände, wo nur ein Heidekorn sich halten kann. Nur staunen kann man ob ihrer überlegten und sicheren Sprünge.

Auch Schneelawinen und Lawinen von steinigem, donnerndem Geröll, das in die Schluchten stürzt, können den Gämsen nichts anhaben, obwohl ihr Leben durch sie ständig bedroht ist.

Es scheint, als ob sie immer auf der Lawine lebten. Die Lawine reißt unvermittelt ab, und der Fels, zerfressen von der jungen Natur, splittert und springt.

Einst besuchte ich einen Jäger, der auf der Suche nach Gämsen die ganzen Karawanken, die gesamte Saualm, die Petzen und den Obir durchstöbert hatte. Ich betrachtete seine Trophäen. An der Wand aber hatte er neben starken Gamskrucken auch einige Krickel junger Gämsen hängen. Ich fragte also den erfahrenen Mann:

»Habt Ihr diese auch geschossen?«

Der Mann, der selige Strošek-Vater, der damals schon weit über siebzig war und nach unserer Begegnung noch zwanzig Jahre lebte, erwiderte mir mit ehrwürdigem Wort:

»Weißt, Kori, diese verwegenen Gämsen hat die Lawine mitgerissen. Ich habe sie gefunden, als der Schnee geschmolzen war. In ihrem Leichtsinn haben sie den Pfiff der Mutter überhört.«

Manchmal kommt es mir vor, dass das Schicksal meines Volkes dem der Gämsen auf der Lawine gleicht …

In der Heimat der Gämsen gehen ständig Lawinen ab. Aber das Gämsengeschlecht hält sich trotz der Lawinen – außer jenen Gämsen, die den Pfiff der Mutter überhören und sich vom unbändigen, stolzen, allen Stürmen und Lawinen trotzenden Rudel trennen.

Karel Prušnik

*Vor- und Geleitworte weiterer Ausgaben werden im Materialienband wiedergegeben, der auch sämtliche Fußnoten, ein Ortsnamenverzeichnis, Bilddokumente und Texte zu »Gämsen auf der Lawine« von Peter Handke, Vanessa Hannesschläger und Robert Buchacher enthält.

ERSTES KAPITEL

Mit Geige, Trompete und Flügelhorn

Die Besitze der slowenischen Bauern von Lobnig, Leppen, Remschenig, Vellach und Ebriach waren bescheiden. Es fehlte an Geld für moderne landwirtschaftliche Maschinen, geschweige denn für die Elektrifizierung. Auf den Eisenkappler Bergen herrschten Graf Thurn und seine Jagdaufseher, die Familien der slowenischen Holzknechte und kleinen Bauern trugen Flickzeug und nagten am Hungertuch.

Unser Hof lag im waldigen und bergigen Lobnig bei Eisenkappel. Er war klein. Seine vier Hektar fruchtbaren Berglandes ernährten die Familie recht und schlecht.

Schon als ich mich als junger Bursch mit den Söhnen der Arbeiter aus Rechberg in den Eisenkappler Gräben herumtrieb, mochte ich Musik sehr gern. Gemeinsam lernten wir Instrumente und gründeten bald eine Blaskapelle. Ich war immer stolz, wenn wir zum Ersten Mai auf dem Eisenkappler Markt flotte Märsche aufspielten und daraufhin nach Rechberg aufbrachen. Dort übten wir mit der Arbeiterkappelle. Ich blieb nie fern, obwohl der Weg eine gute halbe Stunde lang war.

Auch mein Vater war Musikant. Ich selber verdiente auf meiner Geige, der Trompete und meinem Flügelhorn so manchen Groschen, der uns das Leben auf dem bescheidenen Besitz erleichterte. Die Musik brachte mich auch unter fortschrittliche Menschen. Der Rechberger Kapellmeister war mein Onkel Johan, ein Sozialist. Er führte mich in die Arbeiterbibliothek in Eisenkappel und machte mich mit Marx, Engels und der Arbeiterbewegung bekannt.

In der Bibliothek fand ich das »Kapital«, Lenins Werke, aber auch Jack London, Henri Barbusse und andere fortschrittliche Schriftsteller. Begeistert griff ich nach Cankar, Levstik, Cerkvenik und anderen slowenischen Autoren, die ich in den Bibliotheken des slowenischen katholischen Bildungsvereins leider nicht finden konnte. Neben »Železna peta« (»Die eiserne Ferse«) und »Daj nam danes naš vsakdanji kruh« (»Gib uns unser tägliches Brot«) gefielen mir besonders »Moč zemlje« (»Macht der Erde«) und »Pravica kladiva« (»Das Recht des Hammers«). Das »Kapital« und andere marxistische Werke verstand ich damals noch nicht. Ich las sie nicht, denn sie waren für mich zu schwierig. Das »Kommunistische Manifest« erklärte mir mein Onkel auf eine verständliche Art, sodass ich bald begriff, zu welcher Klasse wir Bauernsöhne gehören, die wir mit eigenen Händen unser Brot verdienen. Ich lernte viele Altersgenossen aus Vellach und Lobnig kennen; gleich wie mich hatte die Begierde nach einem fortschrittlichen Buch sie in die Bibliothek geführt. Später schlossen sich uns die Ebriacher und Burschen aus anderen Gräben an. Wir wurden Mitglieder der sozialistischen Jugendorganisation »Jugendbund« und trugen rote Nelken.

Die Sozialdemokratie stellte mir Onkel Johan als treue Kämpferin für die Rechte des werktätigen Volkes vor. Sie wuchs mir immer mehr ans Herz. In der Bibliothek lernte ich dann den sozialdemokratischen Führer, den Eisenkappler Bürgermeister Franz Haderlap kennen. Der missfiel mir bald: Bei der Eröffnung der Volksschule in Eisenkappel erwähnte er den »glücklichen Ausgang der Volksabstimmung«. Auch Vater fühlte sich betroffen und rief empört: »Immer wieder reißen sie unsere schmerzenden Wunden auf …«

Vegel Lukej, unser Freund und eifriger Bienenzüchter, ergänzte Vaters Gedanken: »Noch schmerzhafter ist es, wenn die Sozis das tun … Leider sind sich alle verdammt einig, wenn es gegen die Slowenen geht!«

Beide kamen eben von jener Eröffnungsfeier. Vater war so erregt, dass er sich gleich im Sonntagsanzug auf die Bank vor dem Bienenhaus setzte. Wir alle wunderten uns darüber, denn er hatte uns stets zu äußerster Sparsamkeit erzogen. Auch Lukej war ein armer Schlucker. Nur zwanzig Žnidaršič-Bienenstöcke besaß er, doch war er klug und unternehmungslustig.

»Sollten wir es ihnen nicht heimzahlen, da sie uns derart erniedrigen und herausfordern?«, fragte er.

Vater schwieg, Lukej aber bohrte weiter: »Wo bleiben unsere Studierten, die uns führen sollen? Alle haben uns verlassen!«

Vater starrte zum neuen Bienenhaus, wo die Bienen angenehm summten. Er schien gar nicht zuzuhören. Plötzlich seufzte er: »Sie mussten gehen …«

»Wenn wir geblieben sind, hätten auch sie es können.«

Im Herzen stimmte ich Lukej zu. Ich saß neben Vater und summte sein liebstes Imkerlied: »Bienchen schwärmt aus, fliegt aus dem Stock heraus, über die bunten Sträucher, über die grünen Hecken dahin. Summ, summ, summ …«

Lukej fuhr fort:

»Wenigstens ein Theaterstück könnten wir aufführen!«

»Wer wird es einstudieren?«, erwiderte Vater. »Nicht einmal der Kaplan kann richtig Slowenisch …«

Das stimmte. Alle hatten Veranstaltungen, nur die Slowenen nicht. Schon jahrelang. Deutsche Vereine warben unter den slowenischen Burschen. Wir hingegen entzündeten hie und da ein Höhenfeuer. Bei dieser Gelegenheit erzählte der Kaplan dann irgendetwas Lustiges. Darin erschöpfte sich unser »Kampf um die nationale Existenz«.

Es stimmt schon, wir hatten unsere Organisation, den »Politischen und wirtschaftlichen Verein für die Slowenen in Kärnten«, der den Kampf um Kulturautonomie führte und mit dem Kärntner Landtag verhandelte. Im »Koroški Slovenec«1 lasen wir die Berichte über die Vollversammlung des Vereins, von dessen Resolution, wir lasen die Erklärung des Pfarrers Starc, der den Christlichsozialen vorwarf, sie stünden, was die Slowenen betrifft, auf einer Linie mit den anderen Parteien … Aber auf dem Land wurde keine Organisationsarbeit geleistet.

Lukej und Vater hielten damals fest, dass endlich etwas geschehen müsse. Am darauf folgenden Sonntag trafen sie sich im Gasthaus Koller in Eisenkappel. Dazu kam noch Tavčman Jurij aus Lobnig. Sein Haus nannten wir »beim Tavčman«, eigentlich hieß er Pasterk. Tavčman Mutter hatte außer Jurij noch die Söhne Franci, der später Kommandant des Ersten Kärntner Bataillons wurde, und Jaki, ebenfalls ein treuer Slowene und Antifaschist.

Jurij ergriff beim Koller als Erster das Wort:

»Hätten wir wenigstens einige Studierte, wäre es leichter. Warum konnten die Lehrer Aichholzer und Viternik in Kärnten bleiben? Sie waren eben mutiger und hatten mehr Liebe zum Volk.«2

Ins Gespräch mischte sich noch Vinkel Korl, der schon in der Plebiszitzeit manche Beule abbekommen hatte. Er erzählte vom Deutschen Topitschnigg, den man eigens nach Lobnig gesandt hatte, damit er die Leute germanisiere.

Eine Weile berieten sie noch, dann zog Lukej die Brauen zusammen und sagte entschieden:

»Wir müssen die Vereinsarbeit beleben. Wir müssen selbst für den Bestand unserer Nation kämpfen. Andere werden es sicher nicht tun.«

Tatsächlich trugen diese Gespräche Früchte, zumindest in den Eisenkappler Bergen.

Unser fünfzehnköpfiger Chor war besonders opferbereit und zäh. In ihm waren Bauern- und Arbeiterburschen, die für die Proben nicht einmal drei Stunden Wegzeit scheuten. Weder Gewitter noch Schnee konnten sie abhalten. Jeden Samstag war Probe; und wenn die Leute am Sonntagmorgen zur Frühmesse eilten, kamen wir erst von der Probe und sangen und jauchzten auf den Lobniger und Leppener Höhen. Der Chor wurde bald berühmt und trat im ganzen Jauntal auf.

Er bildete auch die Keimzelle der Befreiungsbewegung. Ihm gehörten nur nationalbewusste Burschen an, die sich als Erste gegen den Nazismus auflehnten und später Organisatoren und militärische Führer der Partisanenbewegung waren. Ihr Andenken wird mir immer heilig bleiben.3

Wie viele schöne Stunden ich im Kreis dieser Jugendkameraden verbrachte! Wie oft wir uns zu gemeinsamen Treibjagden in den Lobniger Wäldern trafen! Zu solchen Anlässen kehrten wir stets in der Knappenkantine beim Kraut unter dem Prevernik-Sattel ein. Wir sangen, tranken, politisierten oder rauften, wie es sich ergab.

Richtige Kampfhähne waren wir! Als wir einmal auf einer Veranstaltung in St. Filippen sangen, störten Chauvinisten aus Miklauzhof mit lautem Motorengeheul. In ihren Reihen gab es einen bekannten Raufbold, einen Riesen, groß wie der Christophorus. Wir unterbrachen die Veranstaltung, tranken uns Mut an, und schon ging es los. Tavčman Franci musterte mit scharfem Blick die Halbstarken und ging dann schnurstracks auf den Riesen zu. Sagte kein einziges Wort, blickte nur finster, fletschte die Zähne, presste seine gewaltigen Fäuste zusammen, dass die Knöchel krachten, und im Nu hatte der feindliche Christophorus alle viere auf der Straße ausgestreckt. Augenblicklich herrschte Ruhe. Wir gingen in den Saal zurück und setzten das Programm fort.

Wir zerrissen die verschiedenen Stimmzettel

Landtags- und Nationalratswahlen nahten …

Wir Kärntner Slowenen waren in einer Zwickmühle. Wen sollten wir wählen?

Die Kärntner Slowenische Partei kandidierte bei den Landtagswahlen selbstständig, bei den Nationalratswahlen aber gemeinsam mit der Christlichsozialen Partei. Uns ging es entschieden gegen den Strich, die Christlichsozialen zu wählen, waren ihre Vertreter in Kärnten doch Graf Thurn, reiche chauvinistische Unternehmer wie Niederdorfer sowie verschiedene Kolonisatoren.4

Wie sollten slowenische Bauern den Grafen Thurn wählen, der sie um ihren Grund und Boden gebracht hatte? Zahlreiche slowenische Bauern fristeten jahrein, jahraus ihr Dasein als arme Pächter und Holzknechte auf gräflichem Besitz. Die Thurn’schen Jäger schossen auf gräflichen Befehl die Schafe der Bauern ab, die sich in herrschaftliche Wälder verirrt hatten. Wenn sie Arbeiterfrauen auf gräflichem Boden erwischten, zertraten sie die Himbeeren und Erdbeeren in deren Körben.

Jene slowenischen Arbeiter, die die Ausbeutungsmethoden der deutschen Fabrikanten am eigenen Leib spürten, suchten Schutz in der Sozialdemokratischen Partei. Dort aber büßten sie bald ihr Nationalbewusstsein ein. Sehr schnell wurden sie selbst zu Werkzeugen der Germanisierungspolitik.

Die slowenischen Bauern waren großteils im »Politischen und wirtschaftlichen Verein« organisiert, lasen den »Koroški Slovenec«, doch von einer festen politischen Vereinigung konnte keine Rede sein. Der Zentralausschuss dieses Vereins in Klagenfurt arbeitete nur über seine Vertrauensmänner; Gemeinde- oder Ortsgruppen gab es überhaupt nicht. Und obwohl chauvinistische Lehrer slowenische Kinder diskriminierten und germanisierten, obwohl die Kärntner Slowenen tagtäglich wirtschaftlich und politisch unterdrückt wurden, kam vom Verein kaum Protest.

Der Zentralausschuss bestand aus zwei Fraktionen: Dr. Petek, Landtagsabgeordneter, verteidigte den Standpunkt der Selbstständigkeit in der Politik. Dr. Franc Petek war Arzt und unter der Bauern- und Arbeiterbevölkerung des Völkermarkter Bezirks sehr beliebt.

Die andere Fraktion bildeten »Führer«, die stets gehorsam um Weisungen ins Klagenfurter Ordinariat pilgerten. Anlässlich der Wahlen 1930 schwangen diese »Führer« ihre Missionspeitschen auch über Dr. Petek, um ihm »klarzumachen«, dass nicht er, sondern sie die »Führung« haben.5

Im Wahlkampf lernte ich damals Kordež Folti kennen. Ich dachte nicht daran, dass diese Begegnung für mein Leben ausschlaggebend sein könnte. Er leitete eine Wahlversammlung der Eisenkappler Kommunisten. Am selben Tag hatten wir Slowenen ein Treffen beim Koller. Unser Klagenfurter »Führer« hetzte uns Burschen auf, wir sollten nur flott auf den Marktplatz gehen, und sobald der gefährliche Kommunist seine Rede beginne, sollten wir ein Gebrüll gegen ihn loslassen.

Wir beschlossen, aufzuschreien und laut zu protestieren, sollte er irgendetwas gegen die Slowenen oder die Religion verlauten lassen. Beim Koller tranken wir uns mit einem Glas Wein noch Mut an. Ungeduldig warteten wir auf den Augenblick, um mit dem Lärmen beginnen zu können. Aber je länger wir Kordež zuhörten, umso interessanter fanden wir seine Ausführungen. Wir waren etwa fünf und rauchten eine Zigarette nach der anderen. Der Atheist sprach ruhig und klar über die Ausbeutung der Arbeiter und die niedrigen Löhne, davon, wie der Graf den Arbeiterfrauen das Beerensammeln verbot und seine Jäger die Holzfäller bei der Arbeit antrieben. Vor allem nahm er den Grafen aufs Korn. Er sprach eineinhalb Stunden.

Vor der Kirche hatten sich auch einige Anhänger des Grafen eingefunden. Auch sie hörten zu und traten von einem Fuß auf den anderen. Am Ende gingen sie beschämt weg. Nicht einer von ihnen hatte es gewagt, die Rednertribüne zu besteigen und zu protestieren.

Wir blickten einander an und konnten noch nicht glauben, dass Kordež über solche Dinge sprach. Hatte er irgendetwas gegen die Religion und die Slowenen gesagt? Nicht ein Wort, mussten wir feststellen. Es gärte in uns, da wir keine Gelegenheit gefunden hatten, unseren Mut zu zeigen. Da trat Kordež selbst zu unserer Gruppe und drückte uns ein Flugblatt in die Hand. Auch der Inhalt der Flugschrift gefiel uns. Peruč Jurij aus Lobnig bemerkte:

»Das ist ja alles wahr. Sie beuten uns aus. Wir arbeiten und rackern uns ab, und letzten Endes reicht es nicht einmal für den Tabak und das Zigarettenpapier. Der Graf hingegen verkauft tausende und abertausende Meter Holz, und für das Geld kauft er sich Waffen. Wozu?«

Wir kehrten zum Koller zurück und überreichten dem Sekretär des Kulturverbandes die kommunistische Flugschrift, die slowenisch abgefasst war. Allerdings lasen wir sie vorher noch laut vor, damit er sie nicht einfach übergehen und wegwerfen konnte. Der Sekretär wurde krebsrot. Er war entrüstet, wir aber lobten beide, den Redner und die Schrift. Er schrie uns an, wir sollten die Broschüre des Herrn Podgorc lesen, falls wir noch nicht wüssten, was im bolschewistischen Russland vor sich ginge.

Kordež hatte rötliches Haar, eingefallene Wangen, trug Brillen und war ein paar Jahre älter als ich. Vor den Wahlen begegneten wir einander erneut. Er bot mir kommunistische Stimmzettel an, ich ihm meine.

Aber für Kordež und die Kommunisten konnte ich mich nicht entscheiden. Noch weniger natürlich für Graf Thurn und die Christlichsozialen. Zum ersten Mal in meinem Leben sollte ich nun wählen. Wen aber? Ich war Slowene, aber kein gräflicher Arschkriecher. Den Grafen und die Seinen hasste ich schon von Anfang an. Nach dem Verlangen unserer »Führer« aber sollte ich gerade ihn wählen? Oder sollte ich dann die Sozialdemokratische Partei wählen? Sollte ich die Slowenische Partei in Kärnten übergehen?

Aus dieser heiklen Lage rettete mich Maksi, ein Freund aus meinem Geburtsort, der ebenfalls zum ersten Mal zur Wahl ging. Er bot mir sozialdemokratische Stimmzettel an. Maksi war Slowene und Arbeiter. Ich ließ nicht locker und versuchte ihn zu überzeugen, die Slowenische Partei zu wählen, und bot ihm meinen Stimmzettel an.

Nach langem Hin und Her einigten wir uns, in den Landtag die Slowenische Partei Kärntens, in den Nationalrat die Sozialdemokraten zu wählen. Wir zerrissen deshalb die übrigen Stimmzettel, gingen hin und wählten wie ausgemacht. So glaubten wir, dem National- wie dem Klassenbewusstsein Genüge getan zu haben.

Nach den Wahlen trennten sich die Wege der Klagenfurter »Führung« und des slowenischen Volkes in Kärnten zusehends. In Klagenfurt kam es zu hitzigen Loyalitätsdebatten, in den Dörfern aber plünderten Gendarmen und Gerichtsvollzieher das Vermögen slowenischer Bauern. Als sich der Bauer Weinzierl aus St. Martin bei Haimburg der ungerechten Beschlagnahmung widersetzte, erstach ihn Gendarm Lutz mit dem Bajonett. Die Klagenfurter »Führung« aber schwieg und schwatzte von Gott, Volk und Staat daher.

Zu jener Zeit veranstaltete die »Führung« eine Art von Führerkursen. Zu diesen luden sie die Vorsitzenden und die Sekretäre der slowenischen Kulturvereine ein. Ein solcher Kurs fand auch beim Breznik in Bleiburg statt. Kaplan Milonik philosophierte zwei Stunden lang über Luzifer und die aufsässigen Engel, die den Allmächtigen stürzen wollten. Der schwarze Prediger führte uns vor Augen, welch fürchterliche Qualen im ewigen Feuer auch andere Aufständische vom Schlage Luzifers erleiden werden. Dafür ließ er sich viel Zeit. Am Ende waren wir erschöpft, Furcht schüttelte uns, der Herr Sekretär aber gratulierte dem Vortragenden und drückte ihm dankbar die Hand.

Da erhob sich in der dritten Bank plötzlich Črčej Mirko aus Moos bei Bleiburg. Mit seinen schweren Händen stützte er sich auf die Schulbank und begann langsam und mit tiefer Stimme:

»Meine Herren! Schön habt ihr gesprochen. Ihr versteht es, die Worte zu formen. Ich aber bin ein einfacher Bauernsohn. Seht diese schwieligen Hände!«

Er streckte seine Handflächen gegen die Klagenfurter, die vor der Schultafel saßen, und fuhr fort:

»Eure schönen Worte werden uns überhaupt nicht helfen, uns aus dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Dahinvegetieren herauszuziehen.«

Die beiden Herren Führer lächelten gezwungen und wanden sich. Mirko schloss kurz, aber umso entschiedener:

»Ich denke anders als ihr in Klagenfurt. Ich meine, es wird nicht besser werden, ehe es Knüppel regnet!«

Mirko setzte sich so fest nieder, als hätte er einen Riesen überwältigt. Die Kursteilnehmer gratulierten ihm im Stillen. Aber selbstverständlich waren wir damals noch zu brav, um bereits die »Himmelsrevolution« gegen die Klagenfurter Herren durchzuführen.

In »gefährlicher« Gesellschaft

Man schrieb den 13. Feber 1934. Wir sangen gerade zum Namenstag des Bauern Žležič Foltej, als einige Nazis aus Eisenkappel dahergelaufen kamen. Höhnisch lachend erzählten sie, dass in Wien ein Umsturz stattgefunden habe und dass eine Arbeitervorstadt und selbst der Karl-Marx-Hof in die Luft gesprengt worden seien.

Bald erfuhren wir die Wahrheit. Wir betrachteten die Bilder im »Koroški Slovenec«: Klerofaschisten in Stahlhelm und mit Maschinengewehren bewachen die Straßen in Wien und Leoben … Dollfuß’ Stahlhelmer führen gefangene Arbeiter ab … Die »majestätische« Kanone beschießt Arbeiterzentren in Wien. Im Begleittext wurden die Klerofaschisten als friedliche Bewacher und Freiwillige bezeichnet, die Arbeiter hingegen als Aufständische.

In Wien floss Arbeiterblut, unsere Klagenfurter »Führung« aber redete vom Himmel. Das Volk blieb natürlich auf dem Boden der Tatsachen. Wegen des Blutvergießens in Wien und anderen Industriezentren Österreichs ballte so mancher vor Zorn die Faust.

Auch die Bauernburschen aus Eisenkappel und Umgebung sowie die meisten Holzknechte waren damals bereit, gegen die Klerofaschisten loszuschlagen. Noch heute kann ich nicht verstehen, wieso damals alles so schnell und blutig zu Ende gegangen ist. In Eisenkappel sowie überall in den größeren Märkten war der Republikanische Schutzbund organisiert, eine halbmilitärische Formation, die Waffen versteckt hielt. Seine Mitglieder besaßen Waffen und führten regelmäßig militärische Übungen durch. Ein Fingerzeig hätte damals genügt, und aus allen Eisenkappler Gräben wären bewaffnete Republikaner aufmarschiert.

Wir waren in unserer Scheune versammelt, reinigten Gewehre und verteilten Munition. Man bestimmte mich, in Eisenkappel auszukundschaften, wann wir losschlagen sollten. Der Führer der Sozialdemokraten sagte mir aber, dass es noch zu früh sei und wir noch zuwarten sollten. Ich kehrte zurück und teilte es ihnen mit. Die Burschen waren ungeduldig. Wir warteten auf Befehle von oben. Darauf warteten wahrscheinlich Tausende und Abertausende von arbeitenden Menschen, die bereit waren, die Republik zu verteidigen und zu erhalten.

Als ich tags darauf, am 15. Feber, nach Eisenkappel ging, um mich zu erkundigen, sagte mir derselbe sozialdemokratische Führer, dass es bereits zu spät sei, da das »Herz der Republik, Wien, zu schlagen aufgehört« habe. Wenn wir damals gewusst hätten, dass die Arbeiter in Leoben und anderen steirischen Industriezentren noch auf den Straßen kämpften, hätten auch wir losgeschlagen. Später erfuhren wir, dass die Klerofaschisten die Führer der revolutionären Sozialisten zu Tode verurteilt und gehängt haben. Die Frau Koloman Walischs schrieb später ein Buch über die heldenhaften Kämpfe ihres Mannes um Bruck an der Mur.

Bald darauf rief man uns wieder zu Führerkursen, diesmal nach Klagenfurt. Die Ansprache hielt Herr Blümel, die rechte Hand des bischöflichen Ordinariats. Er begrüßte uns mit »Wir sind Brüder in Christo« und ließ sich des langen und breiten über die Religion und die verschiedenen Gefahren aus, die ihr drohten. Aber mit keinem Wort erwähnte er die Gefahr, die dem slowenischen Volk drohte.

Miha Habih aus Keutschach, der neben mir saß, stupste mich mit dem Ellbogen und flüsterte:

»Die Arbeiter, die sie in Bruck und Wien ermordeten, waren aber keine Brüder in Christo. Sie waren ›gottlose Kommunisten‹, weil sie ein größeres und besseres Stück Brot haben wollten.«

Nach diesem Kurs kochte es in uns. Wir dachten: »Weg von Rom! Weg von jenen, an denen gerade das im Februarumsturz vergossene Arbeiterblut klebt!«

Wir begannen, auf eigene Faust einen Ausweg zu suchen. Wir trafen uns mit Arbeitern. Wir waren eins und wir fühlten und dachten nur eines: ohne »Führer« und ohne Klagenfurter »Führung«.

Acht Tage nach dem Februarumsturz besuchte mich überraschend wieder Kordež Foltej. In der Tat, gerade zur rechten Zeit. Ich empfing ihn mit Achtung. Wir sprachen sehr lange miteinander. In mir kochte noch immer alles wegen des Blutvergießens. Kordežs Worte weckten in mir neue Hoffnungen.

Nach einigen Tagen trafen wir uns heimlich in unserer Keusche. Der Raum war gesteckt voll. In der Mehrheit waren es Arbeiter und Angestellte, Sozialdemokraten aus Eisenkappel und Rechberg. Es kam auch ein Instrukteur der Kommunistischen Partei aus Wien. Wir warteten nur noch auf den sozialdemokratischen Bürgermeister Haderlap. Es ging nämlich um die revolutionäre Einheitsfront. Doch Haderlap kam nicht.

Wir sprachen über die heldenhaften Arbeiterkämpfe, über Koloman Walisch, Münichreiter und Stanek, die von Dollfuß’ Schergen in Graz gehängt worden waren. Wir begeisterten uns am Heldenkampf der Arbeiterschaft in Leoben und Donawitz. Als aber davon die Rede war, man müsse in Hinkunft geheim arbeiten, zögerten die Angestellten ein wenig. Die Arbeiter aus Rechberg stimmten sofort zu. Vor allem Karel Kleeweis, Otowitz und einige andere pflichteten entschieden bei, dass es angebracht wäre, sich dem Heimatschutz und der Heimwehr entgegenzustellen, denn beide Organisationen terrorisierten mit Waffengewalt die österreichische Arbeiterschaft und hatten alle Arbeiterorganisationen zerschlagen.

Leider kam es bei der Versammlung zu keiner Einigung. Wohl aber traten einige besonders kampffreudige sozialdemokratische Kameraden zur Kommunistischen Partei über. Mit denen traf ich später wiederholt zusammen. Meine Aufgabe war es, mich um den Versammlungsplatz und die Verbindung zu den Genossen aus entlegenen Orten zu kümmern.

Diese Aufgabe erfüllte ich gern. Ich hatte eine Jagdbewilligung, kannte jeden Grat im Wald und auch die Stellen, die sich für illegale Versammlungen eigneten. Wiederholt führte ich mit geschultertem Jagdgewehr die Kameraden an jene Orte. Einmal wartete ich auf dem Prevernik-Sattel auf Šiman Gross und Picej. Sie kannten mich noch nicht und dachten, ich sei ein gräflicher Jäger. Sie musterten mich recht ungläubig und gestanden mir später, dass ich sie sehr erschreckt hatte.

Die Lage wurde immer gespannter. Die Behörden verschärften die Maßnahmen. Es gab immer mehr Spitzel, deshalb hielten wir unsere Beratungen hoch in den Bergen an versteckten Stellen ab – hinter dem Tavčmanov stan, auf dem Prevernik-Sattel oder sogar am Vellacher Storschitz.

Im März 1934 kam eines Nachts Tevži Jan, ein Mitglied der Eisenkappler Zelle, keuchend und durchschwitzt zu uns. Er bog sich unter der Last von Sturmgewehren, die vom Schutzbund nach dem Februarumsturz liegen gelassen und von den Arbeitern in die Obhut der Kommunistischen Partei gegeben worden waren. Die Gewehre versteckte ich in den Felsen. Dort blieben sie, bis die slowenischen Partisanen sie in die Hände nahmen.

Bereits seit 1932 hatten wir gute Verbindungen zu den Kommunisten in Slowenien, woher wir Literatur bezogen. Mit ihr belieferte uns Maks Rapold vulgo Pasterk in Vellach bei Eisenkappel. Maks hatte eine Taxilizenz. In seinen Wagen baute er einen versteckten Tank für die Literatur ein. In Jugoslawien war dies verbotener Lesestoff, bei uns jedoch nicht, da die KPÖ damals noch eine legale Organisation war.

Dem aufsteigenden Klerofaschismus ging das alles gegen den Strich. Die österreichischen Klerofaschisten verrieten Maks Rapold den jugoslawischen Behörden. Eines Tages nahmen diese ihn am Seebergsattel fest, durchsuchten sein Auto und fanden eine Menge kommunistischer Literatur. Er wurde zu drei Jahren Arrest verurteilt, die er in Sremska Mitrovica absaß. Als er zurückkehrte, wusste er uns viel von den Verhören und Prügeleien der jugoslawischen Polizei zu erzählen. Aber auch bei uns blieb er nicht lange in Freiheit. Später warfen ihn auch noch die Hitlerknechte in den Kerker, sodass er insgesamt zwölf Jahre eingesperrt war.

Die letzte Landeskonferenz, die ein Pušnik aus Villach und Kordež führten, fand im Sommer 1934 in Villach statt. Eisenkappel war durch Kordež und mich vertreten, Völkermarkt durch den slowenischen Kommunisten Šiman Gross. Auf dieser Konferenz fragte man Gross und mich, welches Programm die Slowenische Partei Kärntens verfolge. Gross antwortete, dass es deren Programm sei, ohne Programm zu sein, und das Ziel ihrer Politik, zu erreichen, dass die Kärntner Slowenen »schmerzlos sterben«.

In Lobnig hatten wir damals bereits zwei Zellen organisiert, eine für den unteren und eine für den oberen Teil des Grabens. Ich führte den Vorsitz der einen, besuchte aber die Versammlungen beider. Wir verbreiteten die Flugblätter »Delovni kmetje, združite se!« (»Werktätige Bauern, vereinigt euch!«) und »Vojna grozi« (»Krieg droht«), die die Bevölkerung eifrig las, sowie Postkarten mit Walischs Bild.

In allen Zellen des Völkermarkter Bezirkes wurden auch das illegale Blatt der Kommunistischen Partei Sloweniens »Delo« und andere slowenische marxistische Broschüren gelesen.

In Eisenkappel wucherten Heimwehr und Heimatschutz aus. Jeden Sonntag, aber auch unter der Woche, während wir hart arbeiteten, widerhallte das Schloss des Grafen Thurn von Gewehrschüssen und Maschinengewehrgarben. Die zukünftigen Nazis übten. Das ganze Schloss war ein einziges Waffenarsenal. Das Geld für die Waffen holte sich der Graf aus den Wäldern, die noch fünfzig Jahre vorher Eigentum slowenischer Bauern gewesen waren. Hunderte Holzknechte schlägerten in jenen Tagen Holz, und Volksvermögen wurde in Waffen gegen das Volk verwandelt.

Angesehene Antifaschisten wurden eingesperrt. Eines Nachts klopfte es an mein Fenster. Es waren mein Onkel Johan Jezernik und Hribar Pepi.

»Du schläfst, als ob man dich wiegte«, rief Jezernik halblaut. Dann sagte er mir, dass sie aus dem Eisenkappler Gefängnis ausgebrochen seien. Jezernik war ein geschickter Schlosser und wusste sich zu helfen.

Johan Jezernik und Hribar Pepi waren im Juli 1934 eingesperrt worden. Sie flüchteten gerade zu jener Zeit, als die Nazifaschisten Dollfuß in Wien ermordeten. Jezernik lag damals bereits in unserer Scheune versteckt. Als ich ihm berichtete, meinte er: »Dem wird bestimmt niemand nachweinen.« Er bebte vor Wut. Denn Dollfuß hatte so viel unschuldiges Wiener und steirisches Arbeiterblut vergossen.

Johan und Pepi blieben in meiner Obhut. Ich richtete für sie ein Versteck in den Felsen ein und versorgte sie mit Nahrung. Sie blieben nie lange im selben Versteck, sondern wechselten aus Sicherheitsgründen ihre Lagerstätten. Hatten wir einander verloren, pfiffen wir ausgemachte Melodien, um wieder zusammenzukommen.

Hribar Pepi kehrte bald ins Tal zurück und versöhnte sich durch Vermittlung seines Vaters mit der Behörde. Jezernik blieb hart. Nach einigen Tagen schritten wir zur jugoslawischen Grenze. Beinahe wären wir den Heimatschützlern in die Hände gefallen, auf die wir beim Jurjovec unter der Olševa gestoßen waren. Sie schossen auf uns, und wir rannten, was unsere Füße hergaben. Ich übergab Jezernik den jugoslawischen Grenzern. Nach einigen Wochen schrieb er mir aus Ljubljana, dass er Kapellmeister der Arbeitermusik geworden sei.

An einem Sonntag politisierten wir bei Bier und Schnaps in Eisenkappel. Da betraten einige Heimatschützler den Gastraum, und wir, jung und unerfahren, begrüßten sie herausfordernd mit »Rotfront«. Fast wäre es uns schlimm ergangen. Am Tag darauf erfuhr ich, dass sie uns angezeigt hatten. Die Bezirkshauptmannschaft verurteilte mich zu vierzehn Tagen Arrest. Ich saß meine erste politische Kerkerstraße ab. Als man mich entlassen hatte, suchte mich Kordež auf und las mir die Leviten. In Zukunft war ich vorsichtiger.

Aber auch wir jungen Kommunisten setzten ihnen wiederholt ordentlich zu. Vor dem 1. Mai 1935 umwickelte ich Schindeln mit Sackleinen und trug zehn davon auf den Hang oberhalb von Eisenkappel. Dort stellte ich einen großen Stern zusammen, überschüttete ihn mit Petroleum und zündete ihn an. Dieser Stern erregte die Eisenkappler Austrofaschisten derart, dass sie verdächtige Burschen auf der Straße verprügelten und einige sogar einsperrten.

Überhaupt waren Prügeleien auf der Tagesordnung. Rudolf Barbarič schlugen sie mit Peitsche und Gummiknüppel, dass er einige Monate einen zerschundenen Rücken hatte. Dabei »zeichnete« sich am meisten Gendarm Jelenik aus. Štefan Kubenik aber schlugen betrunkene Heimwehrler bewusstlos. Am berüchtigtsten waren die Eisenkappler Austrofaschisten, an deren Spitze Graf Thurn stand. Dabei war ihre Wut ganz unverständlich, hatte doch der Graf auf einer Heimwehrversammlung in Eisenkappel wortwörtlich ausgeführt: »… und nun haben wir die marxistischen Banditen endgültig vernichtet.« Gut einen Monat später entbrannten im ganzen Jauntal Höhenfeuer.

Die geheime »Technik«

Unser gesamtes Propagandamaterial war deutsch und zeitigte bei den slowenischen Bauern nicht den gewünschten Erfolg. Deshalb beschlossen wir mit dem Sekretär des Bezirkskomitees der KPÖ, Kordež Folti, eine slowenische Monatsschrift herauszugeben. Sie sollte den Titel »Kam?« (»Wohin?«) bekommen. Wohin soll der Blick der Kärntner Slowenen gerichtet sein? Wohin führt die Politik der »Führung«, der Klagenfurter Herren?

Wir gingen an die Arbeit. Die Schreibmaschine brachte Johan Šlef, die Matrizen besorgte Rudolf Barbarič. Unser Abziehapparat war sehr einfach: ein Holzrahmen und ein Netz. Wir besorgten auch Papier, von dem wir schließlich so viel hatten, dass ich es mit dem Pferdewagen aus Eisenkappel holte. Es waren gut 80 Kilogramm.

Die illegale »Technik« bauten wir in unserer Keusche auf. Dort lebte der siebzigjährige Maurermeister Valentin Bohničar, einer der ersten Sozialdemokraten dieser Gegend. Gern erzählte er, dass er zuerst Freimaurer gewesen war. Vor ihm brauchten wir unser Tun nicht zu verbergen. Er war ein Greis mit langem, weißem Bart und stolz auf seine Überzeugung. Wenn er sich über die Regierung Dollfuß und Schuschnigg ärgerte, bebte seine Stimme vor Zorn. Ich erinnere mich noch gut, wie er uns beim Februaraufstand ermuntert und angefeuert hatte: »Burschen, bleibt fest!«

Diese Keusche hatte auch einen Keller. Dort richteten wir unsere »Technik« ein. Im düsteren Keller schrieben wir nächtelang Matrizen. Das bereitete uns endlose Schwierigkeiten, denn niemand konnte tippen. Wenn wir für einige Tage die Arbeit unterbrachen, versteckten wir alles. Tagsüber war von der »Technik« keine Spur zu erkennen.

Wir kamen mit der Arbeit voran. Den Großteil der Artikel für die Monatsschrift hatten wir schon getippt. Wir rechneten damit, dass »Kam?« bereits nach vierzehn Tagen im Völkermarkter Bezirk zirkulieren würde. Da versetzte uns die Nachricht in Aufregung, dass F. H. verhaftet worden sei, der von unserer geheimen Tätigkeit wusste. Wir waren jedoch überzeugt, dass er nichts verraten würde.

An einem heißen Junitag fällte ich hoch oben in Tavčmans Wald alte Fichten. Den ganzen Tag war ich nervös. Ich dachte an die Festnahme F. H’s. Wenn er uns doch verrät?

Am Abend war ich total erschöpft. Die Holzfällerei war keine leichte Arbeit. Dennoch ging ich zu Peruč, um Franci und Mihi aufzugabeln. Gemeinsam besuchten wir Žležič Rok, um als Zellenmitglieder eine mögliche Verhaftung zu besprechen. Wir beschlossen, dass »Kam?« erscheinen müsse, sollte auch einer von uns verhaftet werden.

Es kam aber alles ganz anders. Als ich um ein Uhr nachts nach Hause zurückkehrte, erfuhr ich, dass schon am Abend bei mir eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden war. Vergeblich hatten die Polizisten alles durchwühlt: Die Schreibmaschine war noch immer in der Spreu hinter dem Stall versteckt, der Abziehapparat, das Papier und andere Dinge in anderen Verstecken. Das gab mir neuen Mut.

Tags darauf, am 6. Juni 1935 holte mich Gendarm Lauseker auf den Gendarmerieposten nach Eisenkappel. Dort behandelte man mich wie den allergrößten Verbrecher.

Als bald danach alle Gendarmen zur Parade nach Klagenfurt aufbrachen, bewachte mich der junge Polizeischüler Lindemut. Er nahm drohend das Gewehr, lud, spannte es und steckte ein langes Bajonett an. Vielsagend blickte er mich an, als ob er sagen wollte: Ich schieße, wenn du dich rührst, und lehnte das Gewehr an den Schreibmaschinentisch. Dann begann er wichtigtuerisch das amtliche Protokoll zu tippen, mit einem Auge auf mich spähend. Der Tisch vibrierte leicht, das Gewehr rutschte fast unmerkbar zur Seite. Gleich und gleich wird es zu Boden krachen. Ich schwieg und wartete.

Plötzlich durchbrach ein lauter Krach die Stille. Den Burschen am Tisch riss es vom Sessel. Er erschrak und zitterte. Da hörte er ein herzhaftes Lachen. In seine Wangen schoss Röte, und zornig warf er mir vor, dass ich ihn nicht aufmerksam gemacht habe. Unterdessen brachte ein Gendarm auch Johan Šlef, meinen »Mitschuldigen«. Ihn hatten sie gleich am Arbeitsplatz in der Rechberger Fabrik verhaftet. Sie führten uns beide auf das Bezirksgendarmeriekommando in Völkermarkt. Auch Kordež war festgenommen worden. Dann wurden wir verhört. Wir erkannten, dass der Gendarmerieinspektor vollkommen im Bilde war. Er wusste sogar Einzelheiten!

Bald erfuhren wir, dass F. H. dem Geheimpolizisten Harisch aus Völkermarkt alles ausgeplappert hatte, den Großteil bereits daheim, das Übrige im Arrest. Harisch war als »Mitglied der Roten Hilfe« unter dem Vorwand, er wolle den »armen Kommunisten« Essen in den Kerker bringen, zu F. H. gekommen.

Trotzdem leugneten wir. Inspektor Kerschbaumer schäumte vor Wut, drohte und rief schließlich einen rohen Heimwehrmann, der einen Schrank öffnete und schwere graue und braune Gummiknüppel auszusuchen begann. Schon schwang er sie über meinem Kopf. Aber ich blieb fest und gestand nichts. Zuletzt packte mich der Inspektor an den Haaren, knirschte zornerregt mit den Zähnen und stieß mich brutal über die Schwelle.

Sie brachten uns ins Klagenfurter Gefängnis. Dort fand ich in der Zelle vierundachtzig Gefangene – Kommunisten, revolutionäre Sozialisten, Sozialdemokraten, aber auch einige Nazis.

Hochverräter

Die Verhandlung fand am 19. August 1935 statt. Den Vorsitz führte Dr. Kapsch, ein Gottscheer Deutscher, Staatsanwalt war Dr. Hibaum. Seine Anklageschrift war schrecklich.6 Im Geiste sahen wir uns bereits am Galgen hängen oder vor Gewehrmündungen stehen. In der Anklage nannte er uns: »Ihr Windischen von Eisenkappel«, »blutige Aufständler«, »kommunistische Verbrecher« und Ähnliches. Er erinnerte auch an die Februaraufständischen und erklärte, dass wir dieselbe Strafe wie jene vor einem Jahr verdienten.