Zum Buch
Wuppertal, 1929 zusammengefügt aus Elberfeld, Barmen und weiteren Städten an der mittleren Wupper, war im 19. Jh. das „deutsche Manchester“: Schon früh gingen seine Bewohner zur industriellen Fertigung von Textilien über und handelten weltweit damit. Doch das „Experimentierfeld der Moderne“ erfuhr auch die sozialen Folgen dieser Veränderung, die Spaltung der städtischen Gesellschaft in ein Proletariat und eine schmale bürgerliche Schicht.
Bemerkenswert ist auch das geistige Profil der Stadt, bestimmt von den protestantischen Gemeinden im Tal, die sich unabhängig von politischer Herrschaft organisierten. Heute behauptet sich die Stadt im Kreis ihrer größeren Nachbarn an Rhein und Ruhr.
Die Kleine Wuppertaler Stadtgeschichte nimmt Sie mit auf eine informative und kurzweilige Reise durch die Geschichte der Stadt – von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
Zum Autor
Volkmar Wittmütz, Dr. phil., geb. 1940, studierte Geschichte, Anglistik und Romanistik. Er war Professor für Regionalgeschichte an der Bergischen Universität Wuppertal.
Volkmar Wittmütz
Kleine Wuppertaler
Stadtgeschichte
Verlag Friedrich Pustet
Regensburg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7917-6001-8 (epub)
© 2013 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Kulturdesign Anna Braungart, Tübingen
Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2523-9
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Wuppertal in seiner heutigen Gestalt ist eine junge Stadt, noch keine 100 Jahre alt. Erst 1929 wurden seine Bestandteile, die jeder für sich allerdings auf ein höheres Alter verweisen können, durch ein Gesetz administrativ zusammengefügt. So ganz willkürlich war dieser Akt jedoch nicht: Die Großstädte Elberfeld und Barmen, dazu Cronenberg, Ronsdorf, Vohwinkel und Beyenburg hatten schon im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung mancherlei Gemeinsamkeiten hervorgebracht und untereinander Verbindungen gepflegt, nicht zuletzt durch ihre Orientierung hin zur Wupper, die im Tal die einzelnen Stadtteile von Ost nach West hintereinander aufreiht und der neuen Stadt den heutigen Namen gab. Die Kommunalreformen in Nordrhein-Westfalen brachten Wuppertal weiteren Zuwachs: 1970 einige Flächen im Nordosten der Stadt, 1975 die Flecken Schöller, Dornap und Dönberg. Heute erstreckt sich Wuppertal wie ein Band der Länge nach über gute 30 Kilometer und umfasst im Tal der Wupper und auf den angrenzenden Höhen eine Fläche von rund 17 000 Hektar.
Trotz aller Gemeinsamkeiten der früher selbstständigen Kommunen legt doch jeder Stadtteil Wert auf seine Besonderheit und besitzt seinen eigenen unverwechselbaren, historisch gewachsenen Charakter. Gerade weil die Stadtviertel sich in vielerlei Hinsicht ähnlich sind, betonen sie ihre kleinen Eigenarten und das, was sie vom Nachbarn unterscheidet, umso stärker.
In anderen Städten, die durch Eingemeindungen gewachsen sind, hat sich im Laufe der Zeit ein Mittelpunkt – meist um Rathaus, Marktplatz oder die zentrale Kirche – herausgebildet. Nicht so in Wuppertal. Hier führt jeder Stadtteil immer noch sein Eigenleben und pflegt nicht nur seine Traditionen, sondern auch seinen Mittelpunkt. Bis heute hat Wuppertal nicht eines, sondern mehrere Zentren, ist von großer Vielfalt, aber auch von einer gewissen Unübersichtlichkeit gekennzeichnet. Für den Besucher ist dies nicht ohne Reiz. Es bedeutet aber auch, dass er, wenn er Wuppertal wirklich kennen lernen will, nicht umhin kommt, alle Stadtteile zu besuchen. Der Stadthistoriker muss sich ebenfalls auf sie einlassen.
Abb. 1 Die aktuelle Wuppertaler Gebiets- und Verwaltungsgliederung.
Langerfeld wurde 1922 nach Barmen eingemeindet, Heckinghausen ist historisch ein Teil Barmens, während Uellendahl-Katernberg im Wesentlichen aus der nördlichen Erweiterung Elberfelds besteht.
Ein urbanes Leben hat sich eigentlich nur in den beiden größten Quartieren Elberfeld und Barmen entfaltet. Ihnen gilt deshalb unsere größte Aufmerksamkeit. In Barmen steht heute das Wuppertaler Rathaus, aber auch Elberfeld besitzt aus der Zeit seiner Selbstständigkeit einen repräsentativen Sitz der Verwaltung, ein Rathaus mit einem Marktplatz davor. Einen Dom oder eine historisch bedeutsame Kirche hat keine der beiden Städte, ein Theater dagegen haben beide. Hier zeigt sich bereits ein Strukturelement der Kommunalpolitik, das gelegentlich noch heute die Entscheidungen des Stadtparlaments beeinflusst: Was Elberfeld besitzt, sollte Barmen auch haben und vice versa. Das Zusammenwachsen der Wuppertaler Glieder zu einem organischen Ganzen ist mühevoll und bis heute nicht ganz gelungen, wenn auch die Konkurrenz der beiden großen und der kleineren Stadtteile die frühere Schärfe verloren hat.
Eine Geschichte Wuppertals muss sich also zuerst der Historie der ehemals selbstständigen Siedlungen im Tal und auf den Höhen widmen. Erst danach kann sie sich mit der Gesamtstadt beschäftigen und deren Entwicklung seit 1929 skizzieren.
Machen wir uns also an die Arbeit!
Für die Römer waren die rechtsrheinischen Urwälder ohne Reiz. Da keine nennenswerten Spuren einer dauerhaften Besiedlung in den bergigen Regionen gefunden wurden, war die lange Zeit vorherrschende Auffassung diejenige, dass das Stadtgebiet erst im 8. Jahrhundert zögernd urbar gemacht und besiedelt wurde, vielleicht im Rahmen der Kriege Karls des Großen gegen die Sachsen. Diese drangen aus Nordosten in das Bergische Land vor, während die Franken aus dem Westen kamen. Auch im Bereich des heutigen Wuppertal trafen beide Siedlungsströme aufeinander, wie insbesondere die Ortsnamenforschung glaubt nachweisen zu können. So könnte etwa der „Mirkerbach“ (Markenbach, Grenzbach) in Elberfeld auf eine Grenzmarkierung hinweisen.
Das war der gesicherte Stand der Forschung bis vor kurzem. Im Jahre 2003 wurde allerdings eine archäologische Entdeckung gemacht, die die frühe Besiedlung in neuem Licht erscheinen lässt: In einer Baugrube wurden Keramikscherben gefunden, die aus einer Abfallgrube des 6. bis 4. vorchristlichen Jahrhunderts stammen. Die Funde geben überraschende Hinweise auf eine eisenzeitliche Besiedlung im Tal der mittleren Wupper, deren Bewohner von Ackerbau und Viehzucht lebten. Vermutlich kam ihnen dabei das Klima entgegen, das in jener Zeit wärmer und trockener war als nach Christi Geburt. Warum diese frühen Bewohner ihre Heimat verließen und das Land sich weitgehend entleerte – diese Frage kann noch nicht beantwortet werden.
Die ersten schriftlichen Zeugnisse für Wuppertal stammen aus dem hohen Mittelalter. Eine allerdings im 12. Jahrhundert gefälschte Urkunde bezeichnet Sonnborn im Westen Elberfelds als Oberhof des um 870 gegründeten Konvents Gerresheim, heute ein Stadtteil Düsseldorfs.
Die direkten Hinweise auf Elberfeld und Barmen sind einige Jahrhunderte jünger. 1161 wird in einem Schreiben eines Burchard, Notar des Kaisers Barbarossa, an den Abt von Siegburg ein „villicus“ von Elberfeld erwähnt, der offensichtlich eine „villa“, einen zentralen Hof oder Fronhof mit einer Reihe abgabepflichtiger Bauernsitze verwaltete. Der Fronhof Elberfeld und einige benachbarte Höfe wie Hilden, Schwelm und Hagen, ursprünglich wohl karolingisches Königsgut, sicherten den Zugang vom Rhein ins sächsische Gebiet nach Westfalen. Sie waren eine Tagesreise voneinander entfernt und lieferten dem König, später dem Erzbischof von Köln, in dessen Besitz sie übergingen, Unterkunft und Verpflegung bei der Reise nach Sachsen. Für sie ist deshalb der Begriff „Tafelhof“ gebräuchlich geworden. 1176 verpfändete Erzbischof Philipp von Heinsberg seine Tafelhöfe in Hilden und Elberfeld dem Grafen Engelbert von Berg. Dieser gab ihm dafür 400 Mark, vielleicht zur Anwerbung weiterer Truppen für Barbarossas Feldzüge in Oberitalien.
Der Name „Barmen“ taucht zuerst in einem Register, einer Abgabenliste der Abtei Werden an der Ruhr (bei Essen) von etwa 1070, auf. Das Kloster, bereits 799 gegründet und von Karl dem Großen und seinen Nachfolgern mit reichem Grundbesitz ausgestattet, hatte die Aufgabe, auch die Urbarmachung und Besiedlung des Barmer Raumes voranzutreiben. Dazu gehörten Gebiete zwischen Ruhr und Wupper, und die Abtei richtete neben anderen Höfen einen Hof „Barmen“ ein, der seine Abgaben an den Oberhof in Halver in Westfalen, südöstlich von Barmen gelegen, lieferte.
Folgen wir der Entwicklung beider Städte noch kurz. Zunächst zu Elberfeld. 1371 werden in einer Urkunde „wachszinsige“ Bauern erwähnt, Bauern also, die den im Mittelalter begehrten Rohstoff Wachs für Kerzen liefern und einen Laurentius- und einen Katharinenaltar versorgen mussten. Elberfeld hatte also eine Kirche mit dem Heiligen Laurentius als Schutzpatron. Dieser Märtyrer wurde der Legende nach am 10. August 258 in Rom auf einem Rost verbrannt. Die Verehrung des Heiligen verbreitete sich rasch, vor allem, als Kaiser Otto I. 955 die Ungarn auf dem Lechfeld am Todestag des Heiligen Laurentius besiegte. Zahlreiche nach der Schlacht errichtete Kirchen und Kapellen wurden jetzt dem Heiligen gewidmet. Auch die archäologischen Befunde unterstreichen, dass in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts in Elberfeld eine Kirche gebaut wurde und ein Kirchspiel entstand.
Die Kirche steigerte die Attraktivität des Hofes. Elberfeld mit seinem südlich gelegenen Annex Cronenberg entwickelte sich zum herrschaftlichen Sitz mit einer Burg. Es wurde von den Kölner Erzbischöfen immer wieder als Sicherheit bei Geldgeschäften verpfändet. Mit der Zeit war die rechtliche Bindung zu Köln brüchig geworden, und seit 1430 war die Herrschaft im Besitz der inzwischen vom Kaiser zu Herzögen erhobenen Grafen von Berg. Schon zehn Jahre zuvor war Elberfeld als „Freiheit“ bezeichnet worden. Das heißt, Burg und angrenzende Siedlung besaßen bereits bestimmte, allerdings nicht exakt umrissene Rechte, vielleicht die Freiheit von bestimmten Steuern, vielleicht auch ein geringes Maß an Selbstverwaltung, vielleicht sogar schon Marktrechte.
Und Cronenberg auf der Berghöhe im Süden der Freiheit blieb ebenfalls weiterhin mit Elberfeld eng verbunden. 1428 wurden die Einkünfte des Elberfelder Gutes Steinbeck dem Katharinenalter in der Elberfelder Laurentiuskirche und dem Vikar gestiftet, der an diesem Altar Gottesdienst feierte und die Cronenberger Bevölkerung geistlich versorgte. Im Zuge der Reformation wurde die Vikarstelle 1582 in eine vollwertige Pfarrstelle umgewandelt.
Der Hof Barmen begegnet uns wieder zu Beginn des 13. Jahrhunderts. 1203/04 verpfändeten die Grafen von Ravensberg (um Bielefeld), die inzwischen Barmen besaßen, diese „Grundherrschaft“ an die Grafen von Tecklenburg. Der Hof Barmen muss also in der Zwischenzeit zu einem Oberhof mit abhängigen Höfen herangewachsen sein. Wie er in den Besitz der Grafen von Ravensberg kam, ist unbekannt. Wenig später erscheinen die Ravensberger erneut als Besitzer Barmens. Sie richteten hier einen neuen Fronhofsverband mit einem Oberhof Wichlinghausen, heute ein Stadtteil Wuppertals, ein und ordneten ihm etliche Barmer Höfe zu. 1245 verkauften sie die Barmer Grundherrschaft, die weit weg von ihrem Kernbesitz um Bielefeld und Minden lag, an die Grafen von Berg.
Abb. 2 Die Burg der Grafen und späteren Herzöge von Berg, die im Spätmittelalter den Mittelpunkt ihrer Herrschaft nach Düsseldorf verlegten. Die Burg wurde im Dreißigjährigen Krieg schwer beschädigt und verfiel; 1887 begann der Wiederaufbau zu einer der größten Anlagen ihrer Art.
Die Grafen von Berg
Das Geschlecht dieser Grafen stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Gebiet zwischen Rhein und Erft, westlich von Köln. Im Rechtsrheinischen fasste es erst Fuß, als der Kölner Erzbischof Anno um 1050 die Machtstellung der lothringischen Pfalzgrafen südlich der Wupper erschütterte. Mit Unterstützung des Erzbischofs konnten die Grafen von Berg in das Gebiet zwischen Ruhr und Sieg eindringen und dort ihre Herrschaft ausbauen. Deren Grundlage war Lehnbesitz, den ihnen der Kölner Erzbischof verschafft hatte, dazu Forst- und Vogteirechte, Rodung, Pfandbesitz und Gerichtsrechte. Vor allem die Herrschaft über Rodungsbauern und die Kirchen- und Klostervogtei begründete ihren herrschaftlichen Status. Sie begannen, sich nach der um 1080 zum erstenmal erwähnten Burg an der Dhünn, einem rechtsrheinischen Flüsschen, zu nennen. Um 1100 sind sie kurzzeitig als Vögte der Abtei Werden nachweisbar, später erhielten sie die Vogtei über das von Erzbischof Anno gegründete Kloster Siegburg. Zeitweise waren sie ebenfalls Vögte von Kaiserswerth im Norden Düsseldorfs.
Sie drangen auch nach Westfalen vor und erwarben Rechte um Altena und Cappenberg (bei Dortmund). 1133 gründeten sie das rechtsrheinische Kloster Altenberg nordwestlich von Köln, eine Niederlassung der Zisterzienser. Es diente ihnen als Grablege und war beredter Ausdruck ihres gewachsenen Selbstbewusstseins.
Die Grafen von Berg konnten nicht alle Vogteien und Besitzrechte dauerhaft behalten, aber ihre Herrschaft zwischen Ruhr und Sieg allmählich ausbauen und ihr ein Zentrum in Burg an der unteren Wupper (heute ein Stadtteil von Solingen) geben. Nach dem Tod des bedeutenden Kölner Erzbischofs Engelbert 1225, der ein Angehöriger des bergischen Grafengeschlechts war, erbte der mit einer bergischen Tochter verheiratete Graf Heinrich von Limburg die Herrschaft. Jetzt verschärfte sich die Konkurrenz zum Erzstift Köln; sie gipfelte in der Schlacht von Worringen (nördlich von Köln) im Jahr 1288, in der die Truppen des Kölner Erzbischofs von bergischen Kräften, vornehmlich Bauern, dem Kontingent der Stadt Köln und anderen Gegnern des Erzstifts, zum Beispiel den Grafen von der Mark auf Burg Altena, vernichtend geschlagen wurden.
Danach gerieten die Grafen von Berg mit ihren im Osten benachbarten Verwandten, den Grafen von der Mark, aneinander. Dabei ging es auch um Besitz im Wuppertaler Grenzraum der beiden Grafschafen, also um Höfe und Bauern auf dem Territorium der jeweils anderen Grafschaft. Die Berger konnten sich dabei nicht immer durchsetzen, doch trugen ihre Konflikte mit den Grafen der Mark zur Entstehung einer definierbaren Grenze zwischen den beiden Territorien Berg und Mark bei.
Durch dynastische Verbindungen zu den Grafen (später Herzögen) von Jülich und Kleve und zu anderen lokalen Adelsfamilien, aber auch durch den Erwerb anderer Herrschaften und durch den inneren Ausbau und die Intensivierung ihrer Herrschaft entwickelte sich die Grafschaft Berg zu einer der mächtigsten Herrschaften am Niederrhein. Dieser Entwicklung trug das Reichsoberhaupt auf dem Aachener Reichstag 1380 Rechnung: König Wenzel erhob Graf Wilhelm II. von Berg zum Herzog und in den Reichsfürstenstand.
Als im Laufe des 14. Jahrhunderts das bergische Herrschaftsgebiet in Verwaltungsdistrikte, sogenannte Ämter, eingeteilt wurde, bildete Elberfeld mit seiner Nachbarschaft ein eigenes Amt. In Beyenburg an der Wupper, südöstlich von Barmen, hatte der Graf von Berg 1298 den Kreuzherren, einem in der Diözese Lüttich entstandenen Mönchsorden, eine Kapelle sowie Grund und Boden zum Bau eines Klosters geschenkt. Mit ihm und der bald darauf errichteten Burg an einer Wupperschleife sicherten die Grafen die Grenze zur Grafschaft Mark. Die Burg wurde das Zentrum ihres Amtes Beyenburg, und der Hofesverband Barmen wurde diesem Amt zugeschlagen. Für etliche Höfe im östlichen Teil Barmens war diese Zugehörigkeit allerdings lange Zeit umstritten; erst am Beginn des 16. Jahrhunderts wurde sie stillschweigend anerkannt. Die Grenzen der alten Kirchspiele folgten dem nicht. Eingepfarrt blieben die Barmer Bauern – bis auf die westlichen Unterbarmer, die zur Kirchengemeinde Elberfeld gehörten – weiterhin bei der in der Grafschaft Mark gelegenen Gemeinde Schwelm.
Abb. 3 „Beienburg a.d. Wupper“, Lithografie von Rudolf Cronau (Düsseldorfer Malerschule), 1873
In Elberfeld dagegen gab es im Spätmittelalter eine herzogliche Befestigung, eine Burg, wie wir unter anderem aus einer Urkunde von 1402 erfahren. Ein Plankenzaun, auch ein Wassergraben, vielleicht sogar eine Mauer sollten in den unruhigen Zeiten für die Sicherheit der Amtsleute sorgen. Geschütze werden ebenfalls genannt. Die direkt benachbarte Siedlung, die Freiheit Elberfeld, profitierte davon. Sie wurde attraktiv für Zuzügler und besaß wohl schon stadtähnliche Freiräume und Möglichkeiten eigener Selbstverwaltung. So wird um 1530 ein Elberfelder „Ratsschreiber“ erwähnt, der gleichzeitig als Schulmeister wirkte, aber kein Geistlicher war. 1536 brannten Burg und Freiheit Elberfeld nieder, und da das Zeitalter der Burgen und Ritter schon lange zu Ende war, verzichtete man auf den Wiederaufbau, parzellierte das Gelände und schuf Raum für eine weitere Vergrößerung der Siedlung.
Abb. 4 Rekonstruktionszeichnung der Burg Elberfeld mit der angrenzenden Freiheit
Die „Beyenburger Amtsrechnung“
Aus dem Jahre 1466 stammt die sogenannte „Beyenburger Amtsrechnung“. Sie verzeichnet die unterschiedlichen Abgaben der 52 Barmer Höfe. In diesem Text bietet Barmen das Bild einer durchgehend bäuerlichen Siedlung. Die Bewohner leisteten ihre Abgaben zum größten Teil in Geld. Manchmal wurden aber auch noch Naturalien, etwa Hafer, Hühner oder Eier, geliefert. Es fällt auf, dass viele Hofesnamen mehrfach erscheinen, die Höfe also geteilt worden waren, eine Folge des fränkischen Erbrechts, das alle Kinder beim Erben berücksichtigt und die Höfe unter die Erben aufteilt. Ob kleinere Absplisse, sogenannte Kotten, noch ausschließlich von der Landwirtschaft leben konnten, ist zweifelhaft. Genannt wird gelegentlich ein Bäcker oder ein Radmacher, also ein Gewerbetreibender, aber vermutlich waren auch andere „bäuerliche“ Gewerbe schon verbreitet und lieferten den Lebensunterhalt, den die durch die Erbteilungen geschrumpften einzelnen Höfe kaum noch gewährten.
Mit dem Begriff der „Garnnahrung“ wird in der Wuppertaler Lokalgeschichte ein Privileg bezeichnet, das 41 Elberfelder und Barmer Garnbleicher 1527 vom bergischen Landesherrn Johann III. (1511–1539) und seiner Frau Maria erwirkten. Sie bezahlten dafür 861 Gulden, damals wohl kein allzu großer Betrag für jene Männer, die mit dem Garnbleichen und dem Garnhandel in Ergänzung zu ihrer kargen bäuerlichen Tätigkeit wohl schon vorher einen ansehnlichen Wohlstand angehäuft hatten. Das Privileg garantierte den Elberfeldern und Barmern, dass „nirgends in unserem Lande als in unseren beiden Flecken Elberfeld und Barmen“ das „Bleichen und Zwirnen (von Flachsgarn) geschehen“ dürfe. Die Privilegierten erhielten damit ein Monopol für dieses wichtige Gut.
Damit verbunden wurde eine Marktordnung erlassen: Gebleicht werden durfte nur zu festgelegten Zeiten und nach bestimmten Verfahren, und jeder Wuppertaler Bleicher durfte nicht mehr als „tausend Stück“ Garn (ein Stück waren etwa acht Pfund) bleichen und auf den Markt bringen. Zur Durchführung und Überwachung dieser Ordnung verfügte der Herzog eine Organisation, in den Quellen oft ebenfalls „Garnnahrung“ genannt, deren Mitglieder aus den Bleichern in Elberfeld und Barmen bestanden. An ihre Spitze traten vier „Garnmeister“, die von den Bleichern, den „Garngenossen“, für ein Jahr gewählt wurden. Sie berieten die herzoglichen Amtleute und trafen auch selbst Anordnungen mit hoheitlicher Wirkung. Die „Garnnahrung“ war in dieser Hinsicht einer Gewerbeaufsicht vergleichbar. In der Zukunft besonders wichtig wurde, dass Fremde ohne besondere Umstände – etwa den Erwerb des Bürgerrechts, das noch nicht existierte (Elberfeld und Barmen hatten noch kein Stadtrecht) – nur gegen Eidesleistung und die Zahlung von vier Gulden in die Organisation der „Garnnahrung“ aufgenommen werden konnten. Die „Garnnahrung“ schottete sich nicht ab, wie es etwa die städtischen Zünfte jener Zeit taten.
Die Urkunde schuf die rechtliche Basis für das bereits vor 1527 entstandene Wuppertaler Bleichgewerbe. Das Klima im Tal der Wupper, dazu der vorhandene Wasserreichtum und das kalkarme Wasser luden geradezu zum Bleichen von Garnen ein. Die jährliche Niederschlagsmenge ist doppelt so hoch wie in Köln! Dazu setzte die Wupper immer wieder die Wiesen unter Wasser und sorgte für Feuchtigkeit auch von unten. Die Bleicher kauften Flachsgarne aus den „Garnlanden“ um Bielefeld, Kassel oder Hildesheim, erhitzten und bearbeiteten sie mit Pottasche, legten sie auf die Wupperwiesen und hielten sie feucht, damit die Sonne den grauen Gespinsten eine weiße Farbe geben konnte. Die solcherart verfeinerten Garne wurden auf den regionalen oder überregionalen Märkten, etwa in Köln, Frankfurt, Antwerpen oder Amsterdam, verkauft. Das Gewerbe bestand also aus dem Einkauf des Rohstoffes, seiner Bearbeitung und Veredlung und dem Verkauf der gebleichten Garne.
Nicht zu vermeiden war, dass sich Kauf und Verkauf anders entwickelten und höhere Gewinne abwarfen als das Bleichen selbst. 1606 etwa waren 33 Bleicher in Elberfeld und 70 in Barmen tätig; zusammen bearbeiteten sie 4062 Zentner Garn. Vier Fünftel dieser Menge wurden damals bereits als Auftragsarbeit erledigt und für fremde Rechnung gebleicht. Dabei entwickelte sich Elberfeld zum Sitz des Handels, wo die Kaufleute wohnten, die die Bleicher in Barmen, dem Sitz der Produktion, gegen Lohn für sich arbeiten ließen. In dieser Struktur liegen die Anfänge des „Verlagssystems“, in dem Kaufleute Aufträge zum Bleichen, später auch zum Spinnen oder Weben vergaben, die Rohstoffe beschafften und für den Vertrieb der Produkte sorgten. Die Kaufleute trugen das Risiko des Verkaufs, machten aber auch höhere Gewinne als die Bleicher. Zwischen den Kaufleuten und den Produzenten entstanden jedoch auch immer wieder Spannungen, und dabei saßen meist die Kaufleute am längeren Hebel, denn sie waren nahe am Markt und wussten um die Nachfrage der Verbraucher.
Das Bleichen brachte es mit sich, dass bald zahlreiche weitere textile Gewerbe entstanden, etwa das Spinnen, dazu das Weben von Stoffen oder Bändern, von Litzen und anderen schmalen Geweben, von sogenannten „Posamenten“. Auch Breitgewebe aller Art wurde hergestellt und Schnürriemen wurden geflochten, und ein besonderer und einträglicher textiler Gewerbezweig entwickelte sich aus dem Färben der Garne. Vermutlich bildete eine Überproduktion an gebleichtem Garn und ein damit entstehender heftiger Wettbewerb zwischen den Wuppertaler Bleichern und denen aus anderen Regionen der herzoglichen Länder der Anlass, den Landesherrn um das Monopol des Bleichens und um eine Ordnung dieses Produktionsvorganges zu bitten. Herzog Johann gab den Wuppertalern, was sie haben wollten: Er schuf ein Kartell, eine Organisation, die ihren Mitgliedern Produktionsbeschränkungen auferlegte, um allen ein Auskommen, eine „Nahrung“ zu sichern.
Insofern ist die Wuppertaler „Garnnahrung“ einer städtischen Zunft vergleichbar. Völlig „unzünftig“ sind jedoch ihre Offenheit gegenüber Fremden und ihr Verzicht auf einen handwerklichen Befähigungsnachweis. Auch das Fehlen zünftiger Feiern und Veranstaltungen zur Kräftigung des Zusammenhalts unter den Mitgliedern ist ungewöhnlich. Die Wuppertaler „Garnnahrung“ ist eine eigenständige, für die damalige Zeit höchst moderne genossenschaftliche Organisation, die bis zum Ende des Ancien Régime ihre Aufgabe, die Bleicherei und das Zwirnen zu regulieren, einigermaßen zuverlässig erfüllt hat. Auf ihrer Grundlage entwickelte sich das Wuppertal zu einem Zentrum des Textilgewerbes in Deutschland.
Cronenberg – Eisengewerbe
In Cronenberg entstand ein völlig anderes Gewerbe. Auch dort war der bäuerliche Grund und Boden wenig fruchtbar, die Erträge waren deshalb dürftig. Doch es gab viel Wald und Holz, und schon im Mittelalter hatten die Bauern und Kötter erzhaltiges Gestein ausgegraben und verhüttet. Die Eisenkuchen oder -stangen wurden wohl zuerst an auswärtige Schmiede geliefert, später aber selbst verarbeitet. Die Cronenberger Schmiede stellten Sensen her, die durch das Schleifen eine konkurrenzlose Schärfe erhielten und in weiten Teilen Deutschlands und darüber hinaus vertrieben wurden. Als die Erzlager in Cronenberg selbst erschöpft waren, importierten die Schleifer Eisen aus dem Siegerland.
Schon in der frühen Neuzeit muss sich die Herstellung der Sensen von der Handschmiede zu den mit Wasserkraft angetriebenen Hammerwerken und Schleifsteinen verlagert haben. Und auch die Vermarktung der begehrten Produkte geriet in die Hände von spezialisierten Eisenkaufleuten. Alle am Gewerbe Beteiligten schlossen eine Übereinkunft, die im Jahre 1600 in einem fürstlichen „Privileg für die Sensenschmiede, Sensen- und Stabschleifer“ ihren Niederschlag fand. Vermutlich bildete auch hier die Überproduktion von Sensen, vielleicht auch die falsche Verwendung von Cronenberger Warenzeichen den Hintergrund.
Bei dem Privileg handelt es sich um eine Zunftordnung, die regelt, wie die Zunftgenossen ausgebildet werden, wie die Produktion vonstatten geht, wie die Ware geprüft wird, welche Warenzeichen die Sensen tragen dürfen, welche Preise gefordert werden und ähnliche Dinge. Die Zahl der Cronenberger Sensenschmiede betrug damals 72. Jeder Schmied stellte etwa 750 Stück im Jahr her, so dass wir auf eine jährliche Produktion von beachtlichen 54 000 Sensen kommen, die bis hinauf nach Dänemark und Schweden vertrieben wurden, aber auch in den Niederlanden und in England ihre Käufer fanden. Konflikte unter den Cronenberger Schmieden wurden von einem Zunftgericht entschieden.
Wie die Elberfelder und Barmer damals ihre gewerblichen Tätigkeiten, die vermutlich durch die Nähe zur Großstadt Köln angestoßen worden waren, neu organisierten und ihnen einen festen rechtlichen Rahmen gaben, so zeigten sie sich auch offen gegenüber einem anderen Neuen: jener Reform von Kirche, Glauben, Gottesdienst und Frömmigkeit, die durch Martin Luther und andere Theologen in die Welt gebracht wurde. Die Reformation im Tal der Wupper besitzt die beiden Merkmale, die kennzeichnend geworden sind für die konfessionelle Entwicklung in den Herzogtümern Jülich, Kleve, Berg und der Grafschaft Mark: Sie erfolgte nicht durch herzogliches Mandat wie in den anderen deutschen Territorien, sondern als eine Bewegung in den Gemeinden, und sie kam erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts richtig in Gang.
Abb. 5 Sensenschleifer aus Cronenberg. Dem Schleifen des Sensenblattes ging das Schmieden voraus: Das erhitzte Eisen wurde unter dem Hammer verdünnt, in Form gebracht und danach am durch Wasserkraft angetriebenen Schleifstein geschärft.
Allerdings haben Nachrichten über frühe reformatorische Bestrebungen in den flandrischen Städten, zu denen Handelsbeziehungen bestanden, vermutlich schon in den 1520er-Jahren ihren Weg auch ins Wuppertal gefunden. Historisch festeren Boden betreten wir mit dem Jahr 1527, in dem Adolf Clarenbach in seiner Heimat predigte. Als Clarenbach einen der Ketzerei angeklagten Freund in Köln verteidigen wollte, wurde er dort selbst ergriffen, 1529 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die heitere Gelassenheit, mit der er und sein Freund Peter Fliesteden den Feuertod ertrugen, machte auf die Bürger Kölns einen derart starken Eindruck, dass der Rat einen öffentlichen Aufruhr befürchtete.
Adolf Clarenbach