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ÜBER DEN AUTOR

Gerhard Polt, geboren am 7. Mai 1942 in München, studierte in Göteborg und München Skandinavistik. Seit 1975 brilliert er als Kabarettist, Schauspieler, Poet und Philosoph auf deutschen und internationalen Bühnen. 2001 wurde er mit dem Bayerischen Staatspreis für Literatur (»Jean-Paul-Preis«) ausgezeichnet. Sein gesamtes Werk erscheint bei Kein & Aber.

ÜBER DAS BUCH

Bibliothek Gerhard Polt
Werke in zehn Bänden und ein Begleitbuch

I Von Heimat und Geschichte

II Vom Geben und Nehmen

III Vom Auf- und Absteigen

IV Von den Fremden hier und dort

V Von Brot und Spielen

VI Von den letzten Dingen

VII Von Banden und Bindungen

VIII Von Haus und Hof

IX Von Festen und Feiern

X Vom Kindsein

Begleitbuch: Paralipomena

Die Werkausgabe versammelt Gerhard Polts wichtigste Texte, das heißt alle Geschichten, Stücke, Monologe und Dialoge, aus der Anfangszeit in Zusammenarbeit mit Hanns Christian Müller bis heute. Das Begleitbuch bietet Überraschendes zu Gerhard Polt sowie ein komplettes Register seiner Werke.

»In zehn Bänden die ganze Welt.«

Elke Heidenreich

»Wenn wir Asylanten und Flüchtlingen einen Bausparvertrag verkaufen, dann können Sie sicher sein, dass wir von der Sparkasse uns dabei etwas überlegt haben. Dieser Kundenkreis ist natürlich etwas mobil – aber selbst nach einer erfolgten Ausweisung hat die Sparkasse doch bewiesen, dass sie auch in ambulante Personen ein hohes Maß an Vertrauen setzt.«

Gerhard Polt

INHALTSVERZEICHNIS

Der Standort Deutschland

Wer zahlt’s?

Wurstmax bilanziert

Warten auf Dillinger

Shakespeare

Moslem-Man-Power

Achmed muss nach Hause

Dieser Rüsslinger

Unternehmer des Jahres

Technologische Innovation

Wahrsagekugeln

Im Kaufhauslift

Dilemma

Eine menschliche Sau

Das Kalkül

Quanto costa

Disagissimo

Prophylaxe

Gedanken eines Medienkaufmanns

In der Buchhandlung

Der Mäzen

Zeitschriftenvertreter

Kern & Kraft Werke GmbH

Ein wirksames Heilpräparat

Die Notaufnahme

Patientenvermietung

Der Organspender

Schutzengel

Der 750-Kubik-Ledertyp

As Abblendlicht

Der PS-Rock

Der Turbo

Die Zukunft der Bahn liegt in der Luft

München – Frankfurt

Flughafen der Zukunft

Bilanzen

Dr. Kleinsorges Verdienste um den europäischen Scherz

Frau Leim erzählt

DER STANDORT DEUTSCHLAND

Ich beurteile unsere wirtschaftliche Situation bei uns mehr aus der Sicht der Gastronomie. Bei uns in Hausen – wir haben einen starken Anteil eines fluktuierenden Publikums, unsere Gäste kommen mit dem Auto – Ausflügler, aber auch Busse, darunter Ausländer – jetzt nicht nur nach Österreich – Italien –, nein, man spürt den Osten – Tschechen – Kroaten – Ungarn – Polen, die nach Rom wollen, und die wollen alle Pommes frites –, also, die Friteuse ist ein Segen, ohne Friteuse wäre heute kein Geld mehr zu verdienen. Aber schauen Sie – die Investitionen, die Sie heute machen müssen, sind –, das ist ein Sachzwang, dem man sich nicht einfach entziehen kann. Es ist noch nicht lange her, da habe ich überlegt, ob ich eine neue Spülmaschine installiere oder eben einen Spüler – einen echten Spüler – nehme, also einen Menschen. Aber beim Arbeitsamt einen Spüler zu engagieren, noch dazu einen Deutschen, das ist, patriotisch gedacht, einwandfrei, aber betriebswirtschaftlich ein Fiasko. Über die Firma secret power habe ich dann den Herrn Napang Prabang ergattert. Am Anfang war ich noch skeptisch, ob sich die Investition gelohnt hat, aber über den Herrn Prabang ist mir die Misere und das ganze Dilemma unserer deutschen Situation klar geworden. Ich habe dem Herrn Prabang anfänglich einen Stundenlohn von 4,30 bezahlt und habe ihm auch gesagt, dass er unmittelbar mit einer Spülmaschine konkurriere, die ich von der Firma Quelle erworben hätte. Und der Herr Prabang war einsichtig – und er hat gesagt, er kenne die exzellenten Produkte dieser Firma. Und ich muss auch zur Ehrenrettung von Herrn Prabang sagen, er hat gearbeitet, ohne auf die Uhr zu schauen, also enorm – eine 70-Stunden-Woche mit zunehmender Tendenz. So, und jetzt zu unserer Realität – immer mehr Wahnsinnige in Brüssel bepflastern uns mit Auflagen im Küchenbereich –, unglaublich, diese Keimfreifanatiker. Sie wissen doch selber – Abwassererhöhung – Müll –, eine Inflation von Gebühren. Also habe ich nicht anders können, als den Kostendruck weiterzugeben, und habe den Posten Herrn Prabang garantiert, aber seinen Stundenlohn von DM 4,30 auf 3,10 absenken müssen. Aber er war sehr verständig. Er sagte auch zu mir, der Mensch muss wie ein Bambusrohr nachgeben, wenn der Wind bläst. Nicht blöd, die Asiaten. Ein Deutscher hängt an der Eiche, und dann bläst’s ihn um.

Aber was dieser Waigel da anrichtet, das ist immer schwerer nachzuvollziehen. Überall Schikanen – kennen Sie den Pragraphendschungel, durch den Sie müssen, um dem Gast einen Erdäpfelsalat zu ermöglichen?

Dann dieser Solidaritätszuschlag. Dann Kirchensteuer sowieso. Und auf Drängen des Gewerbeaufsichtsamtes – aber die Drahtzieher sitzen in Brüssel – muss ich das Fett in der Friteuse jetzt noch öfter wechseln. Beim Fleisch hab ich echt nur Okkasionen in meiner Küche gehabt. Tschechische Waren, die dann über Griechenland zum portugiesischen Biofleisch avanciert sind. Aber trotzdem, ich habe leider meine Offerte an den Herrn Prabang zurückziehen müssen, und wir haben einen Mittelweg gefunden. Also der Herr Prabang arbeitet jetzt 80 Stunden, kriegt dafür DM 2,60 und das Trinkwasser ist umsonst. Welcher Deutsche würde da noch mitziehen? Aber mit größter Sorge betrachte ich die weitere Entwicklung. Immer mehr wandern ab, also, der Waigel muss sich da schon noch was einfallen lassen. Und wenn diese Grünen mit den Roten tatsächlich sich auf eine Koalition einigen, dann sehe ich schwarz – Benzinpreiserhöhung. Kein Schwarzgeld mehr – also keine, wie auch immer geartete Promotion, was die Wirtschaft schmiert. Wahrscheinlich würde man mir meine Pommes frites in der jetzigen Form nicht mehr gestatten, und dann wäre ich gezwungen, dem Herrn Prabang einen Stundenlohn anzubieten, der unter einer Mark liegt. Und die D-Mark ist sowieso überbewertet. Aber der Herr Prabang hat mir schon angedeutet, dass er in diesem Fall sich einen neuen Wirtschaftsstandort suchen würde – er tendiert nach Asien. Er sagt, der Gradmesser für wirtschaftlichen Fortschritt bei ihm ist eine Handvoll Reis, und darunter, sagt er, tut er’s nicht. Und irgendwie, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, kann ich den Herrn Prabang verstehen.

WER ZAHLT’S?

A:

Ich hab es satt!

B:

Was?

A:

Ich meine, es ist klar, wir Deutsche zahlen und zahlen, aber irgendwo … oder?

B:

Genau!

A:

Mit meinen Steuern! Ich muss es ja auch erst mal verdienen, aber …

B:

Verrückt!

A:

Gut, die Wiedervereinigung – klar, dass das was kostet, war klar! Aber …

B:

Bosnien …

A:

Sicher, aber Albanien, Kosovo – was soll ich denn noch bezahlen?

B:

Der Umzug nach Berlin!

A:

Langsam langt’s mir! Jetzt heißt’s Südamerika ist pleite. Jetzt soll ich das auch noch bezahlen! Oder?

B:

Afrika!

A:

Na ja, die kriegen von mir keinen Pfennig mehr!

B:

Asien?

A:

Null – null Mark!

B:

In Italien wurde … äh …

A:

Italien?! Hören Sie auf! Die leben ausschließlich von mir! Und warum? Nur weil ich ein Europäer bin!

B:

Und sonst?

A:

Was sonst?

B:

Ich meine – schauen Sie sich die Sonnenfinsternis an?

A:

Entschuldigen Sie, wo leben wir denn? Ich soll die halbe Welt ernähren – und mir dann noch eine Sonnenfinsternis anschaun?

B:

Aber das ist ein einmaliges Ereignis!

A:

Blödsinn! Ich frage mich – wer braucht schon eine Sonnenfinsternis? Sie vielleicht?

B:

Aber die Sonnenfinsternis …

A:

 … ist ein Trick!

B:

Sie meinen …

A:  

Wir sollen zahlen! Darum geht’s – Scheißsonnenfinsternis!

B:

Sie haben recht! Die Sonnenfinsternis ist nur der Anfang!

WURSTMAX BILANZIERT

I kenn mi aus. – I kenn de Gwerkschaften, de Briada, de miserabligen. I war selbst jahrelang organisiert. – Fuchzehn Jahre Mitgliedschaft, mir ko ma nix vormachn. Obwohl, jetz bin i ins andere Lager übergwechselt. I bin ja jezta selber praktisch Unternehmer worn, mei eigener Herr sozusagen, weil im Grunde is a Gwerkschaft bloß a Übergangsform zum freien Unternehmertum, a Provisorium quasi. Weil, ma kann doch net a Lebn lang nur organisiert sei, also, meiner Meinung nach gibt’s nur zwoa Alternativen: Unternehmer oder Gwerkschaftsfunktionär. Des is dann praktisch a Unternehmer mit Beamtenstatus. – Ich für mein Teil, i bin a Unternehmer worn, und dadurch san de Gwerkschaftler meine natürlichen Feinde. Aber oans muaß ma dem Feind lassn: Gschäftsleut sans, de Gwerkschaften; wenn S’ an Kaufhof nehma, was de für an Ramsch verkaufn, des macht Eahna da Hertie nicht nach, und net amal da Neckermann. Oda nehma S’ de Neue Heimat, de greislichn Betonbunker da draußt, des Neuperlach – mechst net glaubn, dass Eahna da oana nausgeht und drin wohnt, aba de san doch drin wia de Fliagn. Da ham de Gwerkschaften an unternehmerischen Scharfsinn bewiesn, also de Neue Heimat und der Kaufhof, des san echte Alternativen zur freien Wirtschaft. Renditemäßig san de unschlagbar. Jetz müaßns natürlich für ihre Mitglieder höhere Löhne fordern. Damit de de Mietn da draußt überhaupts zahln kenna. Für mich is des ganze Neuperlach ein einziges Sozialspital. Da hams an guatn Griff doa. Raffinierte Hund sans scho, de ham a Gspür, wo wos geht und wo ned. Weil bei de Krankenhäuser, da mischen se se net ei. Wenn i Schefarzt waar, dad i aa net in d’ Gwerkschaft geh, und in de Krankenhäuser hams aa nix zum Suchn, des san kerngesunde Unternehmen, und dene Kranken ko’s ja Wurscht sei, was so a Pfleger verdient. Der einzige Nachteil is, dass ma fast nur no Ausländer als Pflegepersonal ham, Nonnen ausgenommen, aba de san ja im Aussterbm. Deitsch san praktisch nur no de Ärzte und de deitschn Patientn. – Auch in da Krise beweisn d’ Gwerkschaften a guate Nosn. – Kernforscher miaßn beschäftigt werdn bei dera Akademikerschwemme – mir könnan uns des gar net leistn, Tausende von so Kernforschern, de wo koa Atom macha kenna. Und wenn alle Akademiker bloß no Taxi fahrn, na ham mir koane Akademiker mehr, wo si mi’m Taxi fahrn lassn. Da zeigns aa an Gerechtigkeitssinn, aber des bringt natürlich  wieda  eine  gewisse Anonymität  mit sich, weil der einzelne is nix mehr wert, wenn er in der Masse auftritt. Als Einzelner im persönlichen Kontakt mit dem Chef erreicht man gewöhnlich mehr. Des san doch auch Menschen. I kann Eahna a Beispiel sagn aus meiner eigenen Angstelltenzeit: I bin zum Schef naufganga und habe eine Gehaltserhöhung gfordert. Als Erstes hat er mir a Zigarrn und an Platz angebotn – die beste Sorte, drei Mark mindestens. Nachert hat er sich siebn Minutn Zeit gnommen, er hat mir dann das sehr gut erklärt, sagt er: Mir dad er gern a Erhöhung gebn, jederzeit, an eahm liegt’s net, aber er sagt, d’ Gwerkschaftn – da hamma’s –, de fordern des für alle Mitglieder, un’ des werd z’ teier, und weil d’ Gwerkschaftn so lästig fordern, hab i praktisch koa Erhöhung bekommen. Aber wenn i net selber higanga waar, hätt i net amal a Zigarrn kriagt, nachert hätt’s wieda da Funktionär graucht. – Schaun S’, auch bei mir selber im Unternehmen – ich bin Inhaber von am gastronomischen Betrieb in Form einer Wurstbude. Einen Angestellten hab i, den Hassan, der is zu mir kemma und hat mehra wolln, nachert hab ich’s ihm in derselben Form erklärt, wie mir da Schef seinerzeit, allerdings is der Hassan Nichtraucher. Na is er unverschämt worn und hat mit da Gwerkschaft droht, na hab i ’n nausschmeißn müaßn. Weil an und für sich bin i a guatmütiga Mensch und habe für alle Probleme ein offenes Ohr, aber i lass mi doch net erpressn. – Und, sag ma amoi, aa gsellschaftlich is heitzutog d’ Mitgliedschaft eher a Nachteil, wenn oana net direkt in de oberen Ränge von da Gwerkschaft sitzt. Und da Beweis, dass’s aa ohne geht, siecht ma ja an de Zahnärzte – Notare – Gebrauchtwagenhändler – Makler –, glauben Sie, dass da oana organisiert is? De verdienen meines Erachtens nur deshalb so gut, weil s’ net in der Gwerkschaft san und weil s’ net wartn, dass eahna ois von obn her geregelt wird. – Irgendwann muaß a jeder Mensch amal selber in d’ Händ spuckn und die Sache in die Hand nehmen, weil die Gwerkschaften san meines Erachtens viel zu zahm. Jetza zum Beispiel: zehn Prozent  hams  gfordert,  nachert  san  net  amal sechs Prozent rauskemma, und weil de Flaschen net durchkomma san, hab i meine Würscht net um fuchzehn Prozent erhöhen kennan. Gott sei Dank is da Cörry naufganga, na hab i’s damit begründet – weil a Preisgestaltung muaß sei. Des is net so wichtig, was es kostet, sondern eine Begründung muaß her. Des sehng S’ aa bei de Ölmagneten, de wo des Geld praktisch direkt anziehn, de könnan des alles genau belegn und inserieren des sogar in der Zeitung, warum s’ mehra verdienan müaßn. – Aber oans muaß ma dene Gwerkschaftn lassn, organisieren, des könnans. De Ersten-Mai-Feiern, Respekt, Spitze – as Bier is schee kalt, da Leberkas ausgezeichnet, und de Redn wern Gott sei Dank aa imma kürza, und daran siecht ma scho, dass’s aa koane Probleme mehr gibt. I muaß scho sagn, des is sehr angenehm, also, i geh da heit no hin, obwohl i jetzt a Unternehmer bin und mi des Ganze gar nix mehr angeht, praktisch. – Also, über den Ersten Mai lass i nix kommen.

WARTEN AUF DILLINGER

Eine Kleinbaustelle mit einem abgesicherten Bauloch. Sepp Stößl steht da, seufzt, trinkt, schaut auf die Uhr.

 

SEPP O mei, der is oiwei no net da. Oiwei desselbe mit dem Dillinger. – I sag S’ Eahna glei, wie’s is: Wenn da Dillinger net kimmt, dann geht hier gar nix mehr. Wei i hätt ja im Grunde scho heut früh um achte in St. Öd sei miaßn, aba bevor da Dillinger net da waar, hat des ja überhaupts koan Sinn. Wahrscheinlich hat der Dillinger net kemma kenna, weil um zehne, wo er in Griesbeckerszell hätt sei solln, da war er ja aa net. Mei, da Dillinger, der hat halt aa vui um die Ohrwaschl. Aber, da schaugn S’ her, es geht nix voran da, wei da Dillinger no net da war. I hätt ja nachert heut no dringend nach Ecknach nübermüaßn, aber i konn ja da net weg, wei sonst kimmt da Dillinger, und i bin net da, nachert geht wieda nix. Wei, ohne mi waar da Dillinger ja aufgschmissn, wei er – deutet auf Kanalloch – kennt si ja net aus.

DRAGAN schaut aus dem Kanalloch Aah, Seff?!

SEPP I hob koa Zeit jetza, i muaß auf ’n Dillinger wartn, I wart jetz scho über drei Stundn ununterbrochn, nachert war Mittag, na hab i gmoant, dass er vielleicht zum Mittagessn kimmt, is er aber aa net kemman.

DRAGAN Ah, Seff, du schauen!

SEPP Ja, Dragan, was is ’n, ja sehr gut, jetz schaufelst nachert da den Dreck da no mehra auf d’ Seitn, weil wenn da Dillinger kommen, na muaß da de Muffn und des da ois frei sein. Schaufeln.

DRAGAN Gutt.