Das Mädchen von Agunt

Iny Lorentz

Das Mädchen von Agunt

Roman

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Inhaltsübersicht

Über Iny Lorentz

Iny Lorentz ist das Pseudonym des Autorenpaares Iny Klocke und Elmar Wohlrath. Ihr größter Erfolg »Die Wanderhure« erreichte ein Millionenpublikum und wurde ebenso wie fünf weitere ihrer Romane verfilmt. Außerdem wurde dieser Roman für das Theater adaptiert. Seit der »Wanderhure« folgt Bestseller auf Bestseller. Viele ihrer Romane wurden zudem ins Ausland verkauft. Neben anderen Preisen wurde das Autorenpaar mit dem »Wandernden Heilkräuterpreis« der Stadt Königsee ausgezeichnet und in die »Signs of Fame« des multikulturellen und völkerverbindenden Friedensprojekts »Fernweh-Park« aufgenommen.

 

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Erster Teil

Ein falscher Freund

1.

Cincia fuhr erschrocken hoch. Ihr Leib zitterte heftig, und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass sie sich in ihrem Bett befand. Es ist nur ein Traum gewesen, dachte sie erleichtert, schüttelte sich aber angesichts der Bilder, die in ihr nachhallten. Eben hatte sie sich noch an einem anderen Ort befunden – auf einem Sklavenmarkt! – und war dort für ein paar Sesterzen an einen üblen Kerl verkauft worden. Genauso würde es kommen, hatte ihre Mutter ihr prophezeit, wenn ihr Vater nicht mit dem Trinken aufhörte. Immer wieder gab es deswegen Streit zwischen ihren Eltern. Die Mutter schimpfte, weil der Vater zu viel trank, und er ließ daraufhin die Arbeit liegen, ging in die Stadt hinunter und betrank sich in Magrinius’ Taverne erneut.

Früher hat er dies doch auch nicht getan, dachte das Mädchen verzweifelt. Aber seit er mit dem Viehhändler Florus Freundschaft geschlossen hatte, war er nicht wiederzuerkennen. Er erledigte seine Arbeit schlecht oder gar nicht und überließ es ihrer Mutter und ihr, den Bauernhof mühsam weiterzuführen.

Durch die viele Arbeit, die dadurch für sie anfiel, fühlte Cincia sich auch jetzt immer noch müde und erschöpft, und sie hoffte, schnell wieder einzuschlafen, trotz der schlimmen Träume, die auf sie warten mochten. Doch da der erste Schimmer des beginnenden Tages durch eine Ritze des Fensterladens drang, setzte sie sich auf und blickte zu ihren Eltern hinüber. Waren sie wach, hieß es auch für sie, aufzustehen.

»Der Vater! Er ist nicht da!«

Cincias erschreckter Ruf weckte ihre Mutter. »Was sagst du?«, fragte Amma schlaftrunken.

»Vater ist nicht da!«, wiederholte Cincia.

»Wahrscheinlich ist er schon im Stall.« Seufzend stand Amma auf, wusch sich und reinigte rasch die Zähne.

Cincia öffnete unterdessen den Durchgang zum Stall und schaute hinein. »Hier ist Vater auch nicht!«, rief sie ihrer Mutter zu.

Amma blickte zur Tür. »Er muss nach draußen gegangen sein, denn der Riegel ist offen.«

»Als wir uns am Abend ins Bett gelegt haben, war er noch nicht aus Aguntum zurückgekehrt. Weißt du, ob er überhaupt heimgekommen ist?«, fragte Cincia. Sie machte sich Sorgen. Auch wenn ihr Vater in letzter Zeit öfter in Stadt gegangen war, um in der Taverne zu trinken, so war er noch nie über Nacht ausgeblieben.

»Nein! Zumindest bin ich nicht aufgewacht!« Amma zog sich schnell an und öffnete die Haustür. Das Tal des Dravus lag unter einer dichten Nebelschicht verborgen. Hier oben bei ihnen am Hang war der Himmel frei, und sie konnte bis zu den Nachbarhöfen schauen. Ihren Mann aber entdeckte sie nirgends. »Wo mag Buccio nur sein? Er weiß doch, dass wir heute die obere Wiese mähen müssen. Wie Materiona uns sagte, soll in drei Tagen Regen kommen, und bis dahin muss das Heu unter Dach sein«, rief Amma ebenso zornig wie besorgt. »Es ist zum Haareraufen! Wir hatten ein so gutes Leben. Wenn Buccio jedoch so weitersäuft, wird noch alles zugrunde gehen.«

»Wir müssen Vater suchen! Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen«, sagte Cincia.

»Wahrscheinlich war er so betrunken, dass er in Magrinius’ Taverne eingeschlafen ist«, fauchte Amma und wandte sich dem Stall zu, um die Kühe zu melken. Eigentlich war dies die Arbeit ihres Mannes, und sie schien ihre Wut kaum beherrschen zu können.

Cincia trieb die Angst um den Vater aus dem Haus, und sie lief ein Stück den Hang hinab. »Vater, hörst du mich?«, rief sie, obwohl der Verstand ihr sagte, dass keine Antwort kommen würde.

Da entdeckte sie eine Gestalt unter einem Busch und eilte hin. Tatsächlich war es ihr Vater. Sein Schnarchen erleichterte sie. Als sie ihn rüttelte, brummte er nur ärgerlich und schlief weiter.

»Wach auf, Vater!«, flehte sie, doch auch ein zweiter Versuch brachte keinen Erfolg.

»Mutter, ich habe Vater gefunden! Er liegt unter dem großen Busch«, rief sie zum Hof hinauf.

Amma eilte zu ihrer Tochter. Doch auch ihr gelang es nicht, den Betrunkenen zu wecken. »Dein Vater ist wirklich von allen guten Geistern verlassen! Wir haben so viel zu tun, und er liegt hier wie ein mürbes Stück Holz. Dabei müssen die Kühe gemolken und danach die obere Wiese gemäht werden. Wir brauchen dringend das Heu, denn wir haben bisher noch nicht genug eingefahren.«

Noch während Amma schimpfte, begriffen beide Frauen, dass Buccio an diesem Tag weder zum Melken noch zum Mähen in der Lage war.

»Was sollen wir nur tun?«, fragte Cincia besorgt.

Amma schüttelte verärgert den Kopf. »Am liebsten würde ich ihn hier einfach liegen lassen. Doch ich will nicht, dass ihn unsere Nachbarn so vorfinden. Also müssen wir ihn wohl ins Haus tragen. Wenn er untertags aufwacht, kann er nachkommen und uns helfen. Jetzt aber heißt es, hurtig zu sein. Die Arbeit macht sich nicht von selbst.«

»Es wäre besser, Aguntum würde weiter von unserem Hof entfernt liegen. Dann könnte Vater nicht so oft hinuntergehen!«, klagte Cincia, während sie Buccio zum Hof hochschleppten.

Ihre Mutter schnaubte verächtlich. »Er würde schon eine Möglichkeit dazu finden, und wir beide hätten noch mehr zu tun. Es ist jetzt schon schlimm genug. Komm jetzt! Sobald er im Bett liegt, machen wir uns an die Stallarbeit. Anschließend gehen wir zur oberen Wiese und mähen so viel Gras, wie wir können.«

»Aber du musst doch die Morgensuppe kochen«, wandte Cincia ein.

»Dafür bleibt keine Zeit. Wir nehmen etwas Brot und Käse mit und essen es auf dem Weg zur Wiese.«

Als sie ihren Mann auf das Bett legten, blickte Amma mit wachsendem Zorn auf ihn hinab. Die Spuren, die der Wein hinterlassen hatte, waren nicht mehr zu übersehen, denn sein Gesicht war fahl, und die Haut wirkte schlaff. Kopfschüttelnd fragte Amma sich, wie ein Mensch sich in einem knappen Jahr so zum Schlechten verändern konnte. Bei ihrer Heirat vor fast zwanzig Jahren war Buccio ein schlanker, gut aussehender Mann gewesen, und ihre Freundinnen hatten sie beneidet, weil er sich für sie entschieden hatte. Heute würde dies keine von ihnen mehr tun.

»Wir können die Wiese nicht allein mähen, Mutter. Daher sollten wir zusehen, dass wir Vater wach bekommen«, wandte Cincia erneut ein.

»So betrunken, wie er ist, haut er sich höchstens die Sense ins Bein«, antwortete Amma verächtlich. »Ich hoffe nur, dein Vater hat nicht zu viel Geld in der Stadt gelassen. In ein paar Tagen müssen wir die Abgaben bezahlen. Können wir es nicht, bleibt uns nichts anderes übrig, als ein paar Ziegen oder gar eine Kuh zu verkaufen.« Mit einem letzten Blick, aus dem alle Liebe gewichen war, die sie einmal für ihren Mann empfunden hatte, wandte Amma sich ab und griff nach dem Melkeimer. »Ich werde mir die Kühe vornehmen und du die Ziegen. Wenn wir uns sputen, kannst du noch den Mist aus dem Stall schaffen.«

Cincia nickte und holte den Krug, den sie zum Melken ihrer sechs Ziegen benützte. Seit sie denken konnte, war dies ihre Arbeit gewesen, und sie hatte sie gerne getan. An diesem Tag aber krampfte sich ihr das Herz zusammen. Eigentlich hätte sie danach die Kühe und die Ziegen hüten sollen. Aber wenn sie der Mutter helfen musste, Heu zu machen, konnte sie das nicht.

»Hoffentlich passt Bardus auf die Tiere auf, wenn wir weg sind«, sagte sie.

Bardus war der Sohn ihres Nachbarn Belicus und hatte schon mehrmals ihre Kühe und Ziegen zusammen mit den eigenen gehütet. Letztens hatte Belicus jedoch deutlich erklärt, dass er dafür belohnt werden wollte. Ein Zicklein sollte es im Herbst schon sein. Wenn Bardus sich noch öfter um ihr Vieh kümmern musste, konnte es sogar ein Kalb werden.

»Daran ist nur dieser verfluchte Florus schuld!«, schimpfte die Mutter. »Jedes Mal, wenn Buccio in die Stadt geht, kehrt er mit diesem Kerl in die Taverne ein und bezahlt auch noch für beide.« Amma hätte es ihrem Mann vergönnt, ein- oder zweimal im Monat in der Stadt einen Becher Wein zu trinken. Mittlerweile aber nutzte er jede Gelegenheit, um nach Aguntum und dort in die Taverne zu kommen. Seine Arbeit blieb dabei liegen, und wenn er dann am Abend nach Hause kam, war er meistens so betrunken, dass er auch am nächsten Tag kaum etwas tun konnte. Damit der Hof nicht verdarb, mussten ihre Tochter und sie für ihn mitarbeiten. Wenn sie ihn deswegen schalt, versprach er zwar, sich zu bessern, vergaß es aber sofort wieder.

Das Gespräch zwischen Mutter und Tochter verstummte, und für eine Weile war nur das Geräusch zu hören, mit dem die Milchstrahlen in den Eimer spritzten, und gelegentlich das Muhen einer Kuh. Sowohl Amma wie auch Cincia beeilten sich, denn der Tag war viel zu kurz für all die Pflichten, die sie zu bewältigen hatten.

Schließlich war Cincia mit dem Melken der Ziegen fertig und schaute zur Mutter hinüber. Amma wies mit dem Kinn auf den in den Felsen geschlagenen Keller des Hofes. »Stell die Milch nach hinten! Ich kümmere mich darum, sobald ich fertig bin. Wir werden das Geld, das wir für unseren Käse bekommen, bitter nötig brauchen.«

»Ja, Mutter!« Cincia eilte hinüber und trat in den im Vergleich zum Stall eiskalten Keller. Auf einem Regal an der Wand lagen die ausgeformten Käselaibe, um zu reifen. Hoffentlich bezahlt Calvus diesmal mehr dafür als beim letzten Mal, fuhr es Cincia durch den Kopf. Calvus gehörte als Käsehändler zu den wohlhabenden Bewohnern von Aguntum, tat aber den Bauern gegenüber, denen er den Käse abkaufte, so, als nage er am Hungertuch. Dem Bürgermeister Lucius Antonius Melius, dem der große Gutshof ein Stück talaufwärts gehörte, zahlte Calvus bessere Preise.

»Das ist ungerecht!«, sagte Cincia zu sich selbst. »Immerhin schmeckt der Käse, den Mutter macht, viel besser als der aus Lucius’ Villa Rustica!« Sogar der Bürgermeister sah dies offenbar so, denn er ließ sich in seiner großen Villa in der Stadt zumeist Käse von ihrem Hof auftischen.

Cincia stellte den vollen Krug an die dafür vorgesehene Stelle und dachte seufzend, wie schön das Leben noch vor zwei Jahren gewesen war. Damals hatte Vater selbst dann nicht über den Durst getrunken, wenn er ein Rind oder eine Ziege hatte gut verkaufen können. Inzwischen trank er mehr Wein als das frische Wasser aus ihrer Quelle, das den Worten der Heilerin Materiona zufolge sehr gesund sein sollte.

Ihre Mutter kam mit zwei vollen Eimern Milch herein. »Du musst die Tiere nach draußen treiben, sonst ist Bardus mit den seinen bereits weg. Anschließend mistest du den Stall aus. Beeile dich aber! Sobald ich fertig bin, müssen wir aufbrechen.«

»Und was ist mit Vater? Wenn er aufwacht, wird er Hunger haben«, wandte Cincia ein.

»Wenn er aufwacht, kann er sich ein Stück Brot nehmen und Wasser dazu trinken. Würde er dies jeden Tag tun, wäre es besser für ihn und für uns!«

Cincia zuckte unter der harschen Stimme der Mutter zusammen. Ich darf nicht trödeln, beschwor sie sich und eilte los. Zuerst ließ sie die Ziegen aus dem Stall und löste dann die Ketten der Kühe. Drei verließen gehorsam den Stall, während die vierte den Kopf nach dem Korb mit der schlechten Gerste ausstreckte, die nur als Beifutter für die Tiere zu verwenden war.

»Raus mit dir! Die Gerste kannst du am Abend fressen«, schimpfte Cincia und klopfte dem Tier leicht auf die Hörner. Erst dann gab die Kuh auf und trollte sich. Cincia folgte ihr und atmete auf, weil die anderen Kühe und die Ziegen zusammengeblieben waren. Von der anderen Seite kam Bardus gerade mit den acht Kühen seines Vaters und einem halben Dutzend Ziegen des Weges, um die Tiere ein Stück weiter oben am Hang zu weiden. Als er Cincia sah, musste er lachen. »Dein Vater ist wohl wieder zu besoffen, was? Und ich soll eure Viecher mitnehmen. Ich mache es! Vater sagt aber, er will dafür am Ende der Woche einen Käselaib haben, und der sollte nicht zu klein sein.«

»Ich werde es Mutter ausrichten«, sagte Cincia verärgert. Nun würden sie einen Käselaib weniger verkaufen können. Ihn dem Nachbarn zu verweigern war nicht möglich. Wenn dessen Sohn nicht auf ihr Vieh aufpasste, würden die Tiere auseinanderlaufen, und sie würde bis in die Nacht hinein nach ihnen suchen müssen. Zudem bestand die Gefahr, dass jemand einfach ein Tier wegtrieb, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Von dem Viehhändler Florus hieß es, dass er sich auf diese Weise schon so manches Tier unter den Nagel gerissen hatte.

Bardus grinste zufrieden. Die Nachbarin war für ihren Käse berühmt, und er glaubte, dessen Geschmack bereits auf der Zunge zu spüren. Der Käse, den seine Mutter und die Magd fertigten, war bei Weitem nicht so gut.

Während er seine um Cincias Kühe und Ziegen vergrößerte Herde fröhlich pfeifend bergan trieb, eilte das Mädchen in den Stall zurück, um den Mist auf eine Schubkarre zu laden und zum Misthaufen zu bringen. Sie war noch damit beschäftigt, als ihre Mutter erschien.

»So, ich bin fertig! Wie ist es mit dir?«

Cincia kippte den letzten Rest Mist auf den Haufen und drehte sich aufatmend zur Mutter am. »Ich will mir nur noch die Hände waschen. Mit so schmutzigen Fingern mag ich mein Brot nicht essen.«

»Dann tu das! Wie war es mit Bardus? Hat er die Tiere mitgenommen?«, fragte die Mutter.

»Das hat er! Aber sein Vater verlangt einen Laib Käse dafür«, antwortete Cincia.

»So ein Ungut! Das Gras dort oben ist für alle, und mit unseren Tieren hat Bardus gewiss nicht viel Mühe. Aber solange dein Vater nicht vom Wein lässt, müssen wir uns solchen Forderungen beugen.« Amma klang ungehalten, aber auch etwas ängstlich. So hatte sie sich das Leben nicht vorgestellt, als ihr Vater sie Buccio übergeben und der Priester zum Zeichen, dass sie nun Mann und Weib waren, das Band um ihre Arme gewickelt hatte.

Während ihre Tochter die Hände im Brunnentrog wusch, ging Amma ins Haus, holte aus der Vorratskammer ein Stück Käse und etwas Brot und packte es zusammen mit einem Messer und einem Tonbecher in ein Tuch. Danach nahm sie die Sense, eine Sichel und eine Gabel an sich und verließ das Haus. Ihr Mann schnarchte noch immer, und es sah nicht so aus, als würde er so bald aufwachen.

2.

Der Weg zur oberen Wiese war steil und beschwerlich. Amma übergab Cincia die Sichel und die Gabel und trug selbst die Sense und den Beutel mit dem Essen. Unterwegs sahen sie, dass die Nachbarn bereits bei der Arbeit waren und einige von ihnen zu ihnen herüberschauten. Amma konnte sich denken, was sie dachten. Erneut mussten sie und ihre Tochter die Arbeit erledigen, weil Buccio zu betrunken war. Dabei war ihr Mann früher fleißig und brav gewesen und sicher nicht schlechter als die, die nun über ihn spotteten. Doch seit er mit dem Viehhändler Florus zusammensteckte, hatte sich alles zum Schlechteren gewendet.

Hoffentlich können wir die Steuern bezahlen, dachte Amma. Vor ein paar Tagen hatten sie das Geld dafür noch besessen. Doch wenn ihr Mann im Rausch jene, die mit ihm tranken, freihielt, konnte er zu viel Geld ausgegeben haben.

»Notfalls muss ich ein paar Käselaibe vor der Zeit verkaufen«, murmelte sie, auch wenn dieser Gedanke schmerzte. Für diese würde Calvus ihr mindestens ein Drittel weniger zahlen, als wenn der Käse ganz ausgereift war.

»Was sagst du, Mutter?«, fragte Cincia.

»Nichts! Es war nur ein Gedanke, der mir durch den Kopf geschossen ist!« Während sie es sagte, musterte Amma ihre Tochter. Das Mädchen war nun siebzehn Jahre alt und mit ihrem leicht rundlichen Gesicht, den hell blitzenden Augen und den zu einem schlichten Zopf geflochtenen brünetten Haaren recht hübsch. Diese Tatsache verlieh ihr frischen Mut. Wenn Cincia heiratete, würde der Schwiegersohn das Heft in die Hand nehmen und es mit dem Hof wieder aufwärtsgehen.

Da die Zeit drängte, gönnte Amma sich und ihrer Tochter keine Rast. Immerhin fehlte ihr Mann bei der Arbeit, und das hieß für sie beide, sich so gut ins Zeug zu legen, wie es nur ging.

»Wir sind gleich da!«, sagte Cincia aufatmend.

Amma nickte und sah erfreut auf das fette Gras, das hier wuchs, denn es versprach gutes Heu für den Winter.

»Wir müssen so viel mähen, wie wir können«, erklärte sie ihrer Tochter. »Materiona sagt voraus, dass es spätestens in drei Tagen regnen wird, und sie hat sich noch nie geirrt. Wenn das Heu fertig ist, werden wir es nicht nur mit den Kiepen nach unten tragen, sondern es auch auf einen Schubkarren laden. Ich werde ihn halten und du ihn mit einem Seil bremsen!«

»Zuerst muss das Gras erst einmal geschnitten werden«, sagte Cincia seufzend, denn das war eine arge Schinderei. Das Heu auch noch mit einem Schubkarren zum Hof zu schaffen, würde sowohl die Mutter wie auch sie an die Grenzen ihrer Kraft bringen.

Sie tranken Wasser aus der Quelle und steckten sich ein Stück Brot und etwas Käse in den Mund. Danach machten sie sich an die Arbeit. Das Mähen mit der Sense war schwer. Sonst hatte Buccio diese geführt und Amma die Sichel benützt. Nun schwang sie die Sense, während ihre Tochter das Gras mit der Sichel schnitt.

Als die beiden nach einer Weile schweißüberströmt innehielten, schüttelte Amma verzweifelt den Kopf. »Wir werden es nicht bewältigen! Ein Mann kommt nun einmal rascher voran als ich.«

»Es ist nicht recht von Vater, sich zu betrinken und dir die schwere Arbeit zu überlassen«, schimpfte Cincia, obwohl auch sie fester zupacken musste als früher. Sie atmete tief durch und rückte dem Gras erneut mit der Sichel zu Leibe. Ihre Mutter machte ebenfalls weiter. Amma war eine kräftige Frau und stand mit sechsunddreißig Jahren im besten Alter. Während sie mähte, blickte sie hin und wieder zu ihrer Tochter hinüber. Es tat ihrem Herzen weh, zu sehen, wie Cincia sich abmühte, ihr zu helfen.

»Sei vorsichtig, damit du dich nicht verletzt!«, rief sie ihr besorgt zu. »Und du solltest dich öfter ausruhen. Sonst erschöpfst du dich zu schnell!«

»Du arbeitest ja auch ohne Pause«, gab Cincia zurück und schuftete weiter.

3.

Um die Mittagszeit brannte die Sonne so heiß vom Himmel herab, dass Amma innehalten musste. Da klang ein fröhlicher Ruf zu ihnen herauf.

»Grüß dich, Amma! Und dich natürlich auch, Cincia! Ihr seid aber heute fleißig.«

Die Bäuerin und ihre Tochter drehten sich um und sahen Titus, den Sohn des Käsehändlers, auf sie zukommen.

»Die Arbeit macht sich nun einmal nicht von selbst«, antwortete Amma herb. Vor allem, wenn der eigene Ehemann zu Hause liegt und seinen Rausch ausschläft, fügte sie in Gedanken hinzu.

Titus wusste genau, warum Amma und Cincia allein arbeiten mussten, und empfand Mitleid mit ihnen. Er war ein schlaksiger Bursche, zwei Jahre älter als Cincia, mit wirren, dunklen Haaren, hellen Augen und offenen Gesichtszügen, die eine gewisse Entschlossenheit ausstrahlten.

»Ich habe gestern gesehen, dass Buccio wieder in der Stadt war. Er sollte Aguntum besser meiden«, sagte er.

Amma stieß ein bitteres Lachen aus. »Was meinst du, wie oft ich ihm das schon gesagt habe?«

»Einmal hat er Mutter sogar geschlagen, als sie ihn zurückhalten wollte«, rief Cincia, die nun ebenfalls ein wenig verschnaufte.

»So ist es leider!« Amma seufzte und sah den Jüngling fragend an. »Du bist aber gewiss nicht heraufgekommen, nur um mit uns zu schwatzen?«

»Das bin ich nicht!«, sagte Titus lächelnd. »Vater schickt mich. Ich soll dir ausrichten, dass er nächste Woche so viele Käselaibe wie möglich von dir braucht. Er hat Bestellungen aus Aquileia, und seine dortigen Kunden wollen vor allem euren Käse haben.«

»Wenn unser Käse so begehrt ist, sollte dein Vater ihn auch entsprechend bezahlen!«, sagte Amma verärgert, weil Calvus jedes Mal den Preis drückte.

»Vater versucht halt, ein gutes Geschäft zu machen«, erwiderte Titus und wies auf die Sense. »Wenn du magst, kann ich ein Stück für dich mähen!«

»Kannst du das überhaupt?«, fragte Cincia. Sie selbst hatte es bereits mit der Sense versucht, zog aber die Sichel vor.

»Ich denke schon!«, sagte Titus selbstbewusst und nahm der Bäuerin die Sense ab.

Amma war froh um die Pause und ging zur Quelle, um sich das Gesicht zu waschen und die Handgelenke zu kühlen, bevor sie durstig trank. Ein Blick auf die Wiese zeigte ihr, dass Cincia ihre Sichel nicht weniger verbissen schwang wie Titus die Sense. Zwar schaffte er das Vier- bis Fünffache, doch auch Cincia hatte bereits ein schönes Stück der Wiese abgemäht.

»Ihr beide arbeitet rasch!«, rief Amma ihnen zu und schöpfte nun doch Hoffnung, das Gras bis zum Abend ganz abschneiden zu können. Sie raffte sich auf und griff nach der Gabel, um das Gras aufzuschütteln, damit es schneller trocknete.

Obwohl Titus zu Hause keine schweren Arbeiten verrichten musste, war er kein Schwächling und erledigte mehr, als Amma es vermocht hätte. Erst als das gesamte Gras gemäht war, hielt er inne und blickte sich mit verschwitztem Gesicht zu der Bäuerin um. »Ich hoffe, ich habe euch ein bisschen geholfen.«

Amma nickte erleichtert. »Und ob du das getan hast! Ohne dich hätten Cincia und ich es niemals geschafft. Wenn ich nur wüsste, wie ich es dir lohnen könnte.«

»Ich tat es gerne und ohne auf Lohn zu hoffen«, antwortete der Jüngling lachend. »Außerdem mag ich euren Käse, auch wenn Vater ihn lieber verkauft, weil er ein paar Asse pro Laib mehr erhält als für einen anderen.«

»Du sollst deinen Käse haben«, versprach Amma und schüttelte das letzte Gras auf.

»Wenn wir es morgen zweimal wenden, können wir es nach Hause bringen, bevor der Regen kommt!«, sagte sie zu ihrer Tochter.

»Das wäre schön!«, erwiderte Cincia. Sie war erschöpft und hungrig, aber auch froh, dass sie diese Arbeit geschafft hatten. Das hatten sie Titus zu verdanken. Nun schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln, denn ein anderer hätte ihnen gewiss nicht geholfen. Dabei war er kein Bauernsohn, sondern der eines wohlhabenden Mannes aus der Stadt.

Das dachte auch Amma. »Hab Dank, Titus! Wenn du noch ein wenig Zeit hast, dann komm mit uns. Ich habe einen Laib Käse angeschnitten. Mit ein wenig Butter und Brot wird er dir gewiss munden!«

»Ganz bestimmt«, antwortete Titus lachend und folgte den beiden talwärts zum Hof.

4.

Buccio saß am Tisch, als sie das Haus betraten, sah aber nicht besser aus als am Morgen. Das Gesicht war fleckig, und er roch, als hätte er sich tagelang nicht gewaschen.

»Wenn du wach bist, hättest du auch nachkommen und mitarbeiten können!«, schalt Amma ihn.

»Wie redest du mit mir?«, fuhr ihr Mann auf. »Du hast nicht einmal Mittagessen gekocht!«

»Wann hätte ich das tun sollen?«, antwortete Amma bissig. »Ich musste Gras mähen! Wenn Titus uns nicht geholfen hätte, wären wir mit der Wiese nicht fertig geworden, und das nur, weil du faul im Bett gelegen bist. So was will Bauer sein!«

»Ich glaube, ich gehe lieber!«, sagte Titus leise.

»Aber nicht ohne den Käse, den ich dir versprochen habe!« Amma schob ihren Ehemann resolut zur Seite, ging in die Vorratskammer und kehrte mit einem Butterbrot und einem ordentlichen Stück Käse zurück. »Noch einmal meinen besten Dank, Titus, und lass es dir schmecken!«

»Ich danke dir, Bäuerin! Und vergiss nicht den Käse, den mein Vater kaufen will«, antwortete Titus und verließ mit einem kurzen Gruß das Haus.

Als er auf den Weg zuging, der talabwärts führte, hörte er Buccio brüllen. »Dem gibst du was, und mich lässt du hungern!«

Ammas Antwort verstand Titus nicht mehr, doch dem Tonfall nach war sie gepfeffert. Der junge Mann schüttelte verständnislos den Kopf. Buccio besaß einen passablen Hof und war verheiratet mit einer Frau, die im Ruf stand, weit und breit den besten Käse zu machen. Damit hätte er froh und glücklich leben können, stattdessen ließ er sich von dem Viehhändler Florus zum Trinken verführen. Dies mussten seine Frau und seine Tochter ausbaden, indem sie weitaus mehr zu arbeiten hatten, als nötig gewesen wäre.

Bei dem Gedanken blickte er zur Stadt hinunter. Aguntum lag eine gute Meile vom Hof entfernt, doch einige Häuser waren noch zu erkennen. Sein Elternhaus konnte er von hier aus nicht sehen, obwohl es durchaus nicht zu den kleinen gehörte. Aber Lucius Antonius Melius’ prunkvolle Villa beherrschte den Anblick der Stadt. Eindringlicher konnte kein Gebäude den Reichtum und die Macht seines Besitzers zur Schau stellen. Zudem war Lucius einer der beiden Bürgermeister. Da sich der zweite Bürgermeister meistens in dem eine Tagesreise entfernten Ort Sebatum aufhielt, war Lucius derjenige, der in Aguntum das Sagen hatte.

Es gab in der ganzen Stadt nur einen einzigen Mann, der sich gegen ihn zu stellen wagte, und das war Tullius Cloelius Vendinus, der wie Lucius römischer Bürger war und der zweitreichste Bewohner. Sein Haus lag jenseits des Forums und war ebenfalls stattlich, doch mit dem steileren Dach und dem Verzicht auf ein Atrium war es dem hiesigen Klima besser angepasst. Lucius’ riesige Villa hingegen hätte den Worten von Reisenden zufolge, denen Titus zugehört hatte, ebenso in Aquileia und sogar in Rom stehen können.

Lucius muss unbedingt zeigen, wer und was er ist, dachte Titus, während er auf die Stadt zuging. Die meisten Stadtbewohner zählten zu seinen Anhängern, so auch sein Vater Calvus. Er gehörte ebenfalls dem Stadtrat an und wurde von Tullius und dessen Anhängern als Lucius’ Echo verspottet.

Titus zuckte mit den Schultern. Das war Politik, und damit hatte er nichts zu tun. Trotzdem ärgerte er sich, weil sein Vater den Bürgermeister Lucius in allem unterstützte. Dabei war dieser Mann alles andere als ein Wohltäter, stattdessen nutzte er jede Gelegenheit, um den eigenen Reichtum zu mehren. Lucius scheute auch nicht vor Handlungen zurück, die Titus mit Abscheu erfüllten. So hatte Lucius’ Handlanger Florus Buccio jahrelang kaum beachtet. Irgendwann im Winter oder Frühjahr hatte er sich diesem als Freund aufgedrängt und ihn zum Trinken verführt.

Titus nahm an, dass dies auf Lucius’ Anweisung geschehen war, denn der Bürgermeister hatte schon einige Bauern um ihren Besitz gebracht und mit deren Land seinen Gutshof vergrößert. Außerdem hatte Lucius seinem Vater geraten, den Bauern möglichst geringe Preise für ihren Käse zu bezahlen, damit diese sich verschulden und schließlich ihr Land an ihn verkaufen mussten. Auf Dauer würde das auch Buccios Schicksal sein.

5.

Auf dem Hof schwelte unterdessen der Streit zwischen Amma und ihrem Mann weiter. Buccio warf seiner Frau vor, ihre Pflichten zu vernachlässigen, weil sie nicht für das Mittagessen gesorgt hatte. Im Gegenzug nannte Amma ihn einen jämmerlichen Säufer, der, anstatt zu arbeiten, lieber seinen Rausch ausschlief und Cincia und sie zwang, für ihn zu schuften.

Cincia bekam es mit der Angst. Ihre Eltern hatten sich schon öfter gestritten, aber noch nie so heftig wie an diesem Tag. Als ihr Vater der Mutter schließlich ein paar heftige Ohrfeigen versetzte, rannte sie schluchzend davon und verkroch sich in einem Gebüsch. Obwohl sie beide Eltern liebte, so wusste sie, dass die Wahrheit auf der Seite der Mutter lag. Ihr Vater hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen. Vor allem war es ungerecht, die Mutter zu schlagen, obwohl sie sich abrackerte, damit die Arbeit trotz allem getan wurde.

Als Bardus mit der gemeinsamen Herde zurückkehrte, wurde Cincia aus ihrem Grübeln gerissen. Sie sprang auf und eilte ihm entgegen, um die eigenen Tiere von denen des Nachbarn zu trennen. Als sie die vier Kühe und sechs Ziegen in den Stall trieb, vernahm sie die Stimme des Nachbarsjungen.

»Morgen könnt ihr selbst auf eure Viecher aufpassen, es sei denn, ihr bringt noch heute einen Laib Käse zu uns.«

Cincia kniff die Lippen zusammen, um ihm nicht ein paar deutliche Worte zu sagen. Als Bardus noch kleiner gewesen war, hatte sie öfter die Tiere des Nachbarn zusätzlich zu den eigenen gehütet. Mehr als ein paar Dankesworte hatte sie dafür nicht erhalten. Bardus’ Vater hingegen verlangte nun einen Käselaib und hatte bereits erklärt, dass er im Herbst mindestens ein Zicklein haben wolle.

So sind die Menschen nun einmal, dachte sie bitter. Allen geht es nur um den eigenen Vorteil. Der Käsehändler Calvus war nicht anders, und selbst Lucius, der wahrlich genug Geld besaß, raffte Besitz an sich, wo er nur konnte. Bei dem Gedanken blickte Cincia auf die Stadt hinab, die schräg unter ihnen lag. Das große Anwesen, das Lucius mit seiner Frau, seinem Sohn, der kleinen Tochter und mehr als einem Dutzend Bediensteten und Sklaven bewohnte, stach unter allen Gebäuden heraus.

»Cincia, was ist mit den Kühen und Ziegen?«, hörte sie da ihre Mutter rufen.

Sie trieb die restlichen Tiere in den Stall und warf den Kühen etwas Gerste vor, damit sie die Tiere leichter anhängen konnte. Dann holte sie den Krug, um die Ziegen zu melken.

Ihre Mutter schaute kurz herein und nickte zufrieden. Ihre Wange war noch gerötet, doch der Streit mit dem Vater schien fürs Erste beigelegt zu sein. Buccio erschien nun auch, um die Kühe zu melken. Zwar sagte er nichts, doch seine Miene war düster. Hoffentlich begreift er, dass er nicht weiterhin so viel trinken darf, dachte Cincia in einer Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung.

Während sie die Tiere molken, sah Cincia ein paarmal zu ihrem Vater hinüber. Dieser quetschte die Milch aus den Zitzen der Kühe und fluchte, als ihm eines der Tiere, über die raue Behandlung verärgert, den Schwanz ins Gesicht schlug.

Als sie nach dem Melken die Milch in den Felsenkeller brachten, blickte Cincia in die beiden Eimer, die ihr Vater auf die Anrichte stellte. Es war deutlich weniger Milch darin, als sie erwartet hatte.

Das fand offenbar auch die Mutter, die kurz hereinkam. »Ich glaube, du hast die Kühe nicht richtig ausgemolken, Buccio«, tadelte sie ihren Mann.

»Dann melk sie doch selber, wenn du glaubst, es besser zu können!«, schnaubte er verärgert.

»Ich kann das jetzt nicht, denn ich muss kochen«, antwortete Amma nicht weniger harsch und sah ihre Tochter an. »Nimm einen Eimer und sieh zu, ob du noch etwas Milch aus den Eutern bekommst. Wenn zu viel drinnen bleibt, entzünden sie sich, und wir können die Milch wegschütten.«

»Ja, Mutter!«, antwortete Cincia und nahm einen leeren Eimer. Als sie in den Stall ging, hörte sie, wie hinter ihr der Vater schimpfte.

»Ich bin also zu dumm zum Melken, so dass du das Mädchen losschicken musst?«

Die Mutter antwortete recht laut, doch Cincia verstand nicht, was sie sagte, denn sie schnallte sich gerade den einbeinigen Melkschemel unter und trat zur ersten Kuh. Als sie zu melken begann, merkte sie rasch, dass ihr Vater nicht darauf geachtet hatte, die Euter ganz zu leeren. Sie nahm sich nun eine Kuh nach der anderen vor und kehrte zuletzt mit einem halbvollen Eimer in den Keller zurück.

Die Mutter hatte die Zeit, in der das Abendessen köcheln musste, genützt, um die Milch für den Käse anzusetzen. Als sie in Cincias Eimer schaute, schüttelte sie verärgert den Kopf. »Dein Vater macht nicht viel, und was er macht, macht er schlecht!«

»Bardus hat vorhin gesagt, sein Vater will heute noch einen Käse haben, sonst nimmt er unsere Tiere nicht mehr mit«, erklärte Cincia kleinlaut, denn sie hatte beinahe vergessen, es auszurichten.

»Ich werde mit Belicus reden! Immerhin haben wir früher genug für ihn getan. Erinnere dich nur, wie er sich vor zwei Jahren das Bein gebrochen hat. Ohne unsere Hilfe hätte seine Frau die Arbeit niemals bewältigen können.«

Cincia nickte. »Damals habe ich sein Vieh etliche Wochen lang mit hüten müssen und nichts dafür erhalten. Wie kann er jetzt etwas von uns verlangen?«

»Das frage ich mich auch«, antwortete die Mutter und schüttete die Milch in den Bottich. Sie tat noch ein wenig Lab dazu und rührte kräftig.

»Sieh nach der angesetzten Milch von gestern. Die müsste so weit geronnen sein, dass wir sie auspressen können«, forderte sie ihre Tochter auf.

Cincia eilte zu dem Schaff und sah, dass sich die Käsemasse und die Lake bereits getrennt hatten. »Du hast recht! Es ist so weit!«

»Gut! Schneide die Masse noch einmal klein und rühre sie gut um.« Amma arbeitete weiter und holte schließlich das Tuch, mit dem sie die Käsemasse von der Lake trennte. Dabei forderte sie ihre Tochter auf, ihr zu helfen. »Du musst lernen, wie man einen guten Käse herstellt«, setzte sie hinzu.

Sie gingen sehr sorgfältig vor, damit keine wertvolle Käsemasse im Bottich zurückblieb. Dann banden sie das Tuch zu und quetschten gemeinsam den Käse aus, bis kaum mehr Flüssigkeit herauskam.

»So, nun reiche mir die Kräuter!«, forderte die Mutter und begann, die ausgepresste Masse zu drei gut kopfgroßen Käselaiben zu formen. Sie gab einige getrocknete Kräuter hinzu, die den Geschmack verfeinern sollten, und legte sie ganz hinten ins Regal.

Ein Dutzend anderer Laibe sortierte sie aus. »Die sind für Calvus. Ich hoffe, er zahlt diesmal mehr dafür!« Sie seufzte tief, denn sie wusste, dass ihrem Mann und ihr nichts anderes übrig bleiben würde, als den Preis zu akzeptieren, den der Käsehändler ihnen bot.

Vor einem Jahr hatte sie es nicht getan, sondern versucht, ihren Käse auf dem Markt zu verkaufen. Deswegen war Calvus zum Bürgermeister gelaufen und hatte sich über sie beschwert. Prompt hatte dieser ihr diesen Handel verboten.

»Lucius sollen die Zähne ausfallen und ihm die Götter die Gicht und das Reißen schicken«, schimpfte sie, sah dann aber ihre Tochter mahnend an. »Das hast du nicht gehört und wirst auch nie etwas in dieser Art sagen! Hast du verstanden? Wenn es Lucius zu Ohren käme, würde er es uns eintränken.«

»Ja, Mutter!«, antwortete Cincia und räumte im Käsekeller auf.

Ihre Mutter kehrte unterdessen in die Küche zurück, um das Abendessen auf den Tisch zu bringen.

6.

Nachdem Buccio den Göttern gedankt hatte, dass ihnen auch diesmal ein ausreichendes Mahl beschert worden war, löffelten die drei den Eintopf aus der großen Schüssel, die in der Mitte des Tisches stand. Dazu gab es Brot und säuerliches Bier.

Während Amma und Cincia das Bier gerne tranken, zog Buccio eine verbissene Miene. Ihm war der Wein, der in Magrinius’ Taverne ausgeschenkt wurde, inzwischen lieber. Den aber hätte er für teures Geld kaufen müssen, während seine Frau das Bier mithilfe der Kräuterfrau Materiona selbst brauen konnte.

Bei dem Gedanken packte Buccio brennender Neid auf all jene reichen Männer in Aguntum, die sich die besten Weine und erlesensten Delikatessen leisten konnten, während er das karge Leben eines kleinen Bauern führen musste. Da war vor allem Lucius, dem fast die halbe Stadt gehörte. Er besaß nicht nur die luxuriöse Villa gleich links hinter dem Stadttor und ein riesiges Landgut ein paar Meilen flussaufwärts, sondern auch etliche weitere Häuser und Läden, die er an Klienten und Anhänger vermietete, so dass er immer reicher wurde. Der Einzige, der ihm noch halbwegs das Wasser reichen konnte, war Tullius, der ebenfalls Häuser und Land besaß und von seinem Vermögen her das Recht gehabt hätte, der zweite Bürgermeister der Stadt zu sein. Aber Lucius hatte den Posten einem seiner Anhänger zugeschanzt und ihn nach Sebatum geschickt, damit auch dort alles in seinem Sinne lief.

»Als du gestern in die Stadt gegangen bist, hast du Geld aus dem Kästchen genommen, in dem wir die Summe für die Steuer aufbewahrt haben. Ich hoffe, du hast nicht zu viel ausgegeben!«

Die Frage seiner Frau unterbrach Buccios Gedanken. Er hielt beim Essen inne und hob den Kopf. »Das Geld wird schon reichen!«

»Du weißt, dass du die Steuern in drei Tagen zum Quästor bringen musst. Aber Calvus wird uns den Käse nicht so rasch bezahlen. Dazu wollte ich die Summe, die wir dafür einnehmen, zum Teil für die Steuer im nächsten Jahr ansparen und für den Rest Dinge kaufen, die wir notwendig brauchen.«

Ammas Stimme klang drängend, denn das für die Steuer vorgesehene Geld war in den letzten Monaten schon ein paarmal wie Eis in der Sonne geschmolzen.

Sie legte den Löffel beiseite und holte das Kästchen mit dem Steuergeld. Als sie die Münzen zählte, wurde sie blass.

»Bei Latobius! Es fehlt fast ein Drittel der Summe!«

»Das kann nicht sein!«, fuhr ihr Mann auf. »Hast du vielleicht etwas weggenommen?«

»Gewiss nicht! Ich habe seit über zwei Monaten nichts mehr in der Stadt gekauft.«

»Aber du bist jede Woche mindestens einmal dort gewesen«, sagte Buccio, obwohl er genau wusste, wie sparsam seine Frau wirtschaftete.

»Ich bin einmal in der Woche dort, um unsere Eier zu verkaufen. Das darf ich noch tun. Den Handel mit Käse hingegen hat Lucius mir verbieten lassen.« Amma klang zornig, denn die Unterstellung ihres Mannes empörte sie. Auch hatte sie nicht erwartet, dass so viel Geld fehlen würde.

Unterdessen holte Buccio seinen Geldbeutel und schüttete die Münzen auf den Tisch.

»Ist das alles, was du zurückgebracht hast?«, fragte Amma entsetzt.

Buccio nickte bedrückt. »Ich weiß nicht, wo es hingekommen ist. Vielleicht hat es jemand gestohlen.«

»Dann hättest du darauf achtgeben sollen!«, rief seine Frau außer sich vor Zorn. »Du weißt, was uns blüht, wenn wir die Steuern nicht bezahlen können! Wir müssten eine Kuh und vielleicht auch noch eine oder zwei Ziegen verkaufen. Danach haben wir noch weniger Einnahmen, und irgendwann bleibt dir nichts anderes übrig, als unseren schönen Hof für einen Bettel an Lucius zu verkaufen.«

»Wir können die Steuer schon zahlen. Du hast doch das Geld von deinem Eierverkauf.«

Amma sah ihren Mann kopfschüttelnd an. »Ich habe dir bereits vor ein paar Wochen Geld gegeben, als du welches verlangt hast. Jetzt habe ich nicht mehr viel und weiß nicht, ob es reichen wird.«

»Gib es mir!«, forderte ihr Mann.

»Aber nur, wenn du mir versprichst, mit dem Trinken aufzuhören und wieder so zu arbeiten, wie du es früher getan hast«, forderte Amma streng.

»Das verspreche ich!«, antwortete Buccio rasch.

Mit einem einfachen Versprechen war seine Frau jedoch nicht zufrieden. »Schwöre es mir beim Belenus und bei Epona!«

Buccio zögerte einen Augenblick, dachte dann aber, dass er Vieh verkaufen musste, wenn er nicht genug Geld für die Steuer aufbringen konnte, und nickte seufzend. »Ich schwöre es bei Epona und bei Belenus!«

»Und bei den römischen Göttern Jupiter, Juno und Ceres!«

»Ich schwöre es auch bei diesen«, sagte Buccio voller Angst, es könnte nicht genug Geld für die Steuer zusammenkommen.

Da ihr Mann bei den Göttern geschworen hatte, vom Trinken abzulassen, stand Amma auf und holte nicht nur die kleine Summe, die sie auf dem Markt für ihre Eier erhalten hatte, sondern auch ihren Sparstrumpf. Darin befand sich das Geld, mit dem sie die Aussteuer ihrer Tochter hatte bezahlen wollen. Nun aber musste sie es für den Hof opfern.

Als Buccio die Münzen zählte, blieben noch ein paar übrig. Am liebsten hätte er sie selbst eingesteckt. Da er aber auf den guten Willen seiner Frau angewiesen war, ließ er es zu, dass sie die paar Sesterzen wieder an sich nahm.

»Du weißt, was du mir geschworen hast?«, sagte sie.

»Ja, das weiß ich!«, antwortete Buccio und war fest entschlossen, seine Frau nicht noch einmal zu enttäuschen.

7.

In den nächsten zwei Tagen arbeitete Buccio hart, um seine Frau zu versöhnen. Gelegentlich blickte er zwar zur Stadt hinunter und leckte sich die Lippen. Aber wenn ihn der Wunsch packte, nach Aguntum zu gehen und in der Taverne einen Becher Wein zu trinken, erinnerte er sich an den Eid, den er seiner Frau hatte leisten müssen, und blieb zu Hause.

Am dritten Tag aber musste er in die Stadt, um die Steuer zu bezahlen. Seine Frau zählte die Summe ab, die dafür nötig war, wickelte die Münzen in ein Tuch und reichte sie ihrem Mann.

Dieser steckte mürrisch das Geld ein. »Was ist, wenn ich in Aguntum etwas einkaufen muss?«

»Derzeit brauchen wir nichts! Du wirst daher direkt zum Quästor gehen, die Steuern bezahlen und ungesäumt wieder zurückkommen. Auch bei Regen gibt es auf dem Hof genug zu tun«, sagte sie. So hoffte sie, verhindern zu können, dass er trotz seines Schwurs die Taverne aufsuchte.

Ammas Misstrauen ärgerte Buccio. Immerhin bin ich ein Mann – ihr Mann! – und damit das von den Göttern bestimmte Oberhaupt der Familie, dachte er, als er sich auf den Weg machte. In den letzten Monaten hatte er Aguntum fröhlich und munter und mit der Vorfreude auf den Wein aufgesucht, der in der Taverne ausgeschenkt wurde. Nun war seine Stimmung schlecht.

»Amma hat einfach kein Verständnis für mich!«, schimpfte er vor sich hin. »Ein Mann braucht nun einmal von Zeit zu Zeit einen Schluck Wein. Wasser sollen Tiere und Weiber saufen.«

Buccio maulte noch, als er das Stadttor erreichte. Er passierte es und ging an Lucius’ prachtvoller Villa vorbei. Vor dem Eingang drängten sich etliche Menschen, die den Bürgermeister aufsuchen wollten. Der Viehhändler Florus zählte auch zu ihnen.

Als er Buccio sah, kam er ihm freudestrahlend entgegen. »Salve! Sieht man dich auch mal wieder?«

»Ich war doch erst vor ein paar Tagen hier«, antwortete Buccio.

»Mir kam es länger vor! Was ist, trinken wir einen Schluck?«, fragte Florus.

Buccio schüttelte den Kopf. »Ich muss die Steuer bezahlen und habe darüber hinaus kein Geld bei mir. Außerdem sagt meine Frau, ich soll keinen Wein mehr trinken.«

Florus warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Bei den Titten der Venus! Seit wann bestimmt die Henne, wann der Hahn zu krähen hat? Da du mich so oft zu einem Becher eingeladen hast, lade ich heute dich ein! Komm mit! Der gute Magrinius hat einen ganz besonderen Tropfen hereinbekommen. Der schmeckt, sage ich dir! Dafür würde ich sogar den Nektar und die Ambrosia der Götter hergeben.«

»Ich muss erst die Steuer zahlen! Danach können wir trinken«, sagte Buccio.

Zwar hatte er seiner Frau versprochen, sich vom Wein fernzuhalten. Da er jedoch nicht selbst zahlen musste, sondern von Florus eingeladen wurde, war es kein Schaden für ihn.

Der Viehhändler legte ihm den Arm um die Schulter. »Der Quästor läuft dir schon nicht davon! Wir gehen jetzt zu Magrinius, trinken einen Becher auf die Gesundheit deiner Frau und einen darauf, dass sie vernünftig wird und begreift, dass ein Mann nur dann ein Mann ist, wenn er auch einmal mit seinen Freunden zusammen einen Becher Wein trinken kann. Danach gehst du zum Quästor und bezahlst deine Steuern.«

»Zwei Becher trinke ich mit«, sagte Buccio und folgte Florus in die Taverne, die unweit der großen Villa des Lucius lag und ebenfalls zu dessen Besitz zählte.

»Zwei Becher und einen Krug vom Besten!«, rief Florus dem herbeieilenden Sklaven zu.

»Diesmal zahlt Florus!«, setzte Buccio hinzu.

»So ist es!« Der hagere Viehhändler lachte wie über einen guten Witz. Dann zwinkerte er Buccio zu und schenkte ein. »Auf dein Wohl!«

Buccio stieß mit ihm an, ohne wahrzunehmen, dass Florus sich selbst weniger als ein Viertel eingeschenkt hatte.

»Den ersten Becher werden wir wohl in einem Zug leeren können, meinst du nicht?«, fragte der Viehhändler.

Buccio hatte eben die Zunge benetzt und spürte den Geschmack des Weines darauf. Was für ein Genuss!, fuhr es ihm durch den Kopf.

»Freilich trinken wir ihn aus! Wir sind schließlich Männer«, antwortete er und trank voller Begeisterung.

Florus tat so, als müsste auch er einen vollen Becher leeren, und stellte den seinen erst ab, als Buccio ausgetrunken hatte. Seine blassen Augen blickten angespannt auf den Bauern. »Das war gut, nicht wahr?«

»Allerdings!«, stimmte Buccio ihm zu.

»Dann trinken wir jetzt darauf, dass deine Frau vernünftig wird! Halt, das ist dann der dritte Becher. Wir haben nämlich vergessen, auf ihre Gesundheit zu trinken, und müssen das unbedingt nachholen!«