Kapitel 2


»Äußerst unangenehm«, sagte Isaac Woodward kurz nachdem Matthew unter das Bett mit der Strohmatratze geschaut und entdeckt hatte, dass es keinen Nachttopf gab. »Sicherlich nur ein Versehen.«

Bestürzt schüttelte Matthew den Kopf. »Ich dachte, wir würden ein anständiges Zimmer bekommen. Aber selbst die Scheune wäre besser gewesen.«

»Von einer Nacht in dieser Unterkunft werden wir nicht sterben.« Woodward deutete mit dem Kinn auf das mit einem Brett verschlossene Fenster, gegen das der Platzregen prasselte. »Ich möchte behaupten, dass wir umkommen würden, wenn wir in diesem Wetter weiterfahren müssten. Sei also dankbar, Matthew.« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Kleidung zu, die er zum Abendessen anlegen wollte. Er hatte seinen Koffer geöffnet und sorgfältig ein sauberes weißes Leinenhemd, frische Strümpfe und ein Paar graue Kniebundhosen auf das Bett gelegt. Auch Matthews Koffer stand offen und ein sauberer Satz Kleidung lag bereit. Woodward bestand darauf, dass sie sich zum Essen wie zivilisierte Menschen kleideten; egal, wo sie sich unter welchen Bedingungen befanden. Oft kam es Matthew sinnlos vor, sich wie ein Kardinal herauszuputzen, nur um dann eine Armenspeise zu vertilgen. Doch er begriff, dass es für Woodward von unverzichtbarer Wichtigkeit war, da er sich sonst nicht wohlfühlte.

Woodward hatte den Perückenständer aus seinem Schrankkoffer geholt und ihn auf den kleinen Tisch gestellt, der mit dem Bett und einem Kieferholzstuhl die gesamte Einrichtung der Kammer darstellte. Woodward hatte eine seiner drei Perücken daraufgesetzt: Eine recht passabel braun gefärbte mit kleinen Löckchen, die bis in Schulterhöhe fielen. Im rauchigen Schummerlicht, das von der am Wandhaken über dem Tisch hängenden Laterne ausging, betrachtete Woodward sein kahles Haupt in einem mit Silber eingefassten Handspiegel, der mit ihm aus England gekommen war. Sein weißer Skalp war von einem Dutzend oder mehr rötlicher Altersflecken gesprenkelt – ein durch und durch widerwärtiger Anblick, wie er fand. Um die Ohren herum trug er einen dünnen grauen Haarkranz. In seiner weißen Unterwäsche dastehend musterte er die Flecke. Sein dicker Bauch hing über den stramm gezogenen Hosenbund und unten stachen seine Beine aus der Hose bleich und dünn wie die eines Reihers hervor. Er seufzte leise. »Die Zeit meint es alles andere als gut«, sagte er. »Jedes Mal, wenn ich in diesen Spiegel schaue, finde ich etwas Neues zu lamentieren. Behüte deine Jugend, Matthew. Sie ist ein kostbares Gut.«

»Ja, Sir.« Die Worte klangen fast ausdruckslos. Da Woodward oft in poetischem Ton Reden über die Leiden des Alterns hielt, war es für den Jüngeren kein neues Gesprächsthema. Matthew zog sich ein frisches weißes Hemd an.

»Einst war ich ein stattlicher Mann«, fuhr Woodward fort. »Wirklich.« Er hielt den Spiegel anders und betrachtete die Altersflecken. »Gutaussehend und eitel. Jetzt bin ich wohl nur noch eitel.« Er verengte die Augen. Es waren mehr Flecken, als er das letzte Mal gezählt hatte. Ja, er war ganz sicher. Noch mehr Mahnungen, dass er sterblich war, dass ihm seine Zeit auf dieser Erde davonrann wie Wasser aus einem löcherigen Eimer. Abrupt steckte er den Spiegel weg.

»Ich rede zu viel, nicht wahr?«, fragte er und blickte mit dem Hauch eines Lächelns zu Matthew hinüber. »Nein, darauf brauche ich keine Antwort. Heute Abend soll es keine Selbstvorwürfe geben. Oh weh! Mein armer Stolz!« Er langte in seinen Koffer und holte langsam eine Weste heraus; eine, die alles andere als gewöhnlich war. Sie hatte die dunkelbraune Farbe guter französischer Schokolade und das feinste schwarze Seidenfutter. Dünne eingewobene Goldfäden dekorierten die Weste und glitzerten im Schummerlicht, als Woodward sie bewundernd in den Händen hielt. Die zwei kleinen, diskreten Taschen waren ebenfalls mit Goldfäden eingefasst, und die fünf Westenknöpfe bestanden aus reinem Elfenbein – nach all den Jahren des Tragens waren sie mittlerweile recht vergilbt, aber eben doch aus Elfenbein. Es war ein prächtiges Kleidungsstück, ein Relikt aus Woodwards Vergangenheit. Mehrmals war er in Armut geraten, sodass die Speisekammer kahl und seine Geldbörse noch leerer war, aber obwohl ihm die Weste auf dem Markt von Charles Town eine hübsche Summe einbringen würde, hatte er niemals in Betracht gezogen, sie zu verkaufen. Denn sie war ein Verbindungsstück zu seinem Leben als bemittelter Gentleman. Oft hatte er sie sich beim Einschlafen über die Brust gelegt, als könne sie ihm Träume von den glücklicheren Zeiten in London bescheren.

Über ihnen krachte der Donner. Matthew sah, dass sich in der Ecke ein Loch gebildet hatte: Wasser rann die rohen Baumstämme hinunter und sammelte sich auf dem Boden zu einer Pfütze. Ihm war im Zimmer auch eine Menge Rattendreck aufgefallen. Er nahm an, dass die Nager hier vielleicht noch größer als ihre städtischen Verwandten sein mochten, und beschloss, Shawcombe um eine weitere Kerze zu bitten – wenn er überhaupt schlafen würde, dann nur im Sitzen neben der Laterne.

Während Matthew sich ein Paar dunkelblaue Beinkleider und eine schwarze Jacke anzog, legte Woodward die Strümpfe, die am Bauch sehr eng sitzenden grauen Kniehosen und sein weißes Hemd an. Er stieg in seine Stiefel, von denen so viel Lehm wie möglich abgeschabt worden war, zog dann seine geschätzte Weste an und knöpfte sie zu. Als Nächstes kam die Perücke, die er mithilfe des Handspiegels geraderückte. Woodward kontrollierte, ob noch Barthaare zu sehen waren. Er hatte sich an einer Schüssel Regenwasser rasiert, die Shawcombe ihnen zum Waschen gebracht hatte. Zu guter Letzt zog er sich eine beigefarbene Jacke über, ein zwar recht zerknittertes, aber bewährtes Stück Reisekleidung. Matthew bürstete sich die wild abstehenden, kurz geschnittenen schwarzen Haare, und dann waren die beiden Männer bereit, sich von ihrem Gastgeber empfangen zu lassen.

»Kommt und setzt Euch!«, rief Shawcombe, als Woodward und Matthew die Wirtsstube betraten. Der Qualm vom offenen Kamin schien jetzt noch stärker zu sein und roch säuerlich. Hier und da waren ein paar Kerzen aufgestellt, und Maude und das Mädchen machten sich an einem Topf zu schaffen, der an einem Haken über den roten Kohlen brodelte und dampfte. Shawcombe lief mit einem Krug Rum umher und winkte die Männer an einen Tisch. Seine Bewegungen ließen darauf schließen, dass der Rum seine Wirkung schon entfaltet hatte. Er blinzelte und pfiff zuerst leise, dann immer lauter. »Heiliger Herrgott im Königsarsch, ist das Gold, was Ihr da tragt?« Bevor Woodward einen Schritt zurücktreten konnte, war Shawcombes Hand schon hervorgeschossen und strich über die glitzernde Weste. »Oh, das ist ein schönes Stück Stoff! Maude, sieh dir das an! Der Herr trägt Gold, hast du so was schon mal gesehen?«

Die alte Frau, deren Gesicht unter ihren weißen Haaren im Feuerschein wie eine rissige Maske aus Lehm wirkte, warf einen Blick über ihre Schulter und gab ein Geräusch von sich, das verstümmeltes Englisch oder auch ein Keuchen sein konnte. Dann wandte sie sich wieder dem Topf zu, rührte und bellte das Mädchen mit Befehlen oder Flüchen an.

»Seht euch nur diese zwei Vögel an!«, sagte Shawcombe mit breitem Grinsen zu den Frauen. Für Matthew sah sein Mund wie eine klaffende Schnittwunde aus. »Ein Goldvogel und ein schwarzer Vogel! Na, Ihr seid ja ein Spektakel!« Er zerrte einen Stuhl vom nächstbesten Tisch. »Kommt, setzt Euch und ruht Eure Federn aus!«

Woodward, der in seiner Würde beleidigt wurde, zog sich selbst einen Stuhl hervor und ließ sich darauf so elegant nieder, wie ihm unter den Umständen möglich war. Matthew blieb stehen, sah Shawcombe ins Gesicht und sagte: »Einen Nachttopf.«

»Hä?« Das Grinsen hing noch immer schief in Shawcombes Gesicht.

»Einen Nachttopf«, wiederholte der junge Mann mit fester Stimme. »Unsere Kammer hat keinen.«

»Einen Nachttopf.« Shawcombe nahm einen Schluck aus dem Krug. Ein Rinnsal Rum tropfte von seinem Kinn. Das Grinsen war wie weggewischt und seine Pupillen zu schwarzen Nadelköpfen geschrumpft. »Einen gottverdammten Nachttopf, ja? Na, was glaubt Ihr wohl, wozu die Wälder da sind? Wenn Ihr pissen oder scheißen wollt, dann geht da raus. Wischt Euch die Ärsche mit Blättern ab. Und jetzt setzt Euch hin, Euer Essen ist gleich fertig.«

Matthew blieb stehen. Sein Herz schlug immer schneller. Er konnte die blanke Spannung zwischen ihnen in der Luft spüren, und sie war genauso ekelhaft wie der Rauch des Feuers. Die Venen an Shawcombes speckigem Nacken quollen blutgefüllt hervor. Sein Gesicht hatte einen trotzigen, ungehobelten Ausdruck angenommen, der Matthew Lust einflößte, ihn zu schlagen – und wenn er zuschlug, würde er es mit dreifach stärkerer Gewalt heimgezahlt bekommen. Die Sekunden dehnten sich. Shawcombe wartete auf Matthews Reaktion.

»Na, na«, sagte Woodward leise. Er fasste Matthew am Ärmel. »Setz dich.«

»Ich denke, dass uns ein Nachttopf zusteht«, beharrte Matthew, der dem Wirt noch immer in die Augen starrte. »Zumindest ein Eimer.«

»Mein junger Herr!« Shawcombes Stimme triefte nur so vor falscher Schmeichelei. »Ihr müsst begreifen, wo Ihr seid. Das hier ist kein Königspalast, und Ihr seid hier nicht in einem zivilisierten Land. Vielleicht hockt Ihr Euch in Charles Town auf einen protzigen Nachttopf, aber wir hier gehen hinter die Scheune und damit hat sich's. Und Ihr wollt ja wohl auch nicht, dass das Mädchen das sauber machen muss, oder?« Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. »Das wär ja nun nicht grade fein.«

Matthew antwortete nicht. Woodward, der wusste, dass sich dieser Streit nicht lohnte, zupfte ihn am Ärmel. »Wir werden uns schon arrangieren, Mr. Shawcombe«, sagte er, und Matthew gab widerwillig nach und setzte sich. »Auf was für eine gute Speise dürfen wir uns denn diesen Abend freuen?«

Krach! Ein Geräusch wie ein Pistolenschuss ließ beide Männer auf ihren Stühlen zusammenzucken. Sie schauten zum Kamin, dem Ursprung des Knalls, und sahen, dass die alte Frau einen schweren Holzschlegel in der Hand hielt. »Ich häbb een Großn plattemacht!«, krächzte sie und hob stolz die andere Hand, von der zwei Finger den langen Schwanz einer großen schwarzen Ratte umklammerten, die trotz ihres zertrümmerten Schädels noch in den Todeszuckungen lag.

»Na, schmeiß das Ding weg!«, sagte Shawcombe. Sowohl Woodward als auch Matthew erwarteten, dass sie die Ratte in den Topf werfen würde, doch sie schlurfte zu einem Fenster, machte den Fensterladen auf, und dann musste der Nager draußen in der stürmischen Nacht aus dem Leben scheiden.

Die Tür ging auf. Eine nasse Ratte der anderen Art kam unter einem Schwall von Flüchen herein. Onkel Abner war bis auf die Haut durchweicht, seine Kleider und der weiße Bart tropften, die Stiefel waren lehmverschmiert. »Das Ende der gottverdammten Welt isses, das is, was es is!«, verkündete er, als er die Tür zuknallte und verriegelte. »Gleich wird's uns wegfluten!«

»Hast du die Pferde gefüttert und getränkt?« Shawcombe hatte Abner befohlen, die Pferde und den Wagen der Reisenden in der Scheune unterzustellen und sich auch um die drei Klepper mit den Senkrücken zu kümmern.

»Na, werd' ich wohl.«

»Hast du sie alle reingebracht? Ich tret' dir in den Arsch, wenn du die Klepper wieder draußen im Regen stehengelassen hast.«

»Die sind in der scheiß Scheune! Leck mich doch. Immer diese ewigen Fragen.«

»Pass auf, was du sagst, sonst stopf ich dir das Maul! Beweg dich und bring den Herren Rum.«

»Ich mach überhaupt nichts mehr!«, schrie der alte Mann. »Ich bin so nass, dass mir gleich die Haut wegschwimmt!«

»Mir wäre Bier lieber«, sagte Woodward, der sich daran erinnerte, wie sein erster Schluck von Shawcombes Rum ihm fast die Zunge in Brand gesetzt hatte. »Oder Tee, falls der zu haben ist.«

»Für mich auch«, meldete sich Matthew zu Wort.

»Du hast die Herren gehört!«, brüllte Shawcombe seinen unglücklichen Onkel an. »Geh und hol Bier! Das Beste, das wir haben! Beweg deinen Arsch, hab ich gesagt!« Er machte zwei drohende Schritte auf den Alten zu, hob seinen Krug Rum, als wollte er ihn Abner auf den Schädel stellen, und verschüttete dabei etwas der übel riechenden Flüssigkeit über seine Gäste. Matthew warf Woodward einen finsteren Blick zu, aber der schüttelte angesichts der Komödie, die sich vor ihnen abspielte, nur den Kopf. Abners durchnässte Widerstandskraft kapitulierte vor dem Zorn seines Neffen, und er huschte in die Speisekammer, aber nicht, bevor er einen üblen, fast geschluchzten Fluch von sich gegeben hatte.

»Manche Leute verstehen nicht, wer in diesem Haus das Sagen hat!« Shawcombe zog einen Stuhl heran und setzte sich uneingeladen zu ihnen an den Tisch. »Ihr solltet mich bedauern, meine Herren! Wo ich auch hinsehe, fällt mein Blick nur auf Idioten!«

Und seine Augen sind auch die eines Idioten, dachte Matthew.

Woodward rutschte auf seinem Stuhl umher. »Ich bin mir sicher, dass es nicht einfach ist, ein Wirtshaus zu führen.«

»Jawohl, so wahr mir Gott helfe! Ein paar Reisende kommen hier durch, aber nicht viele. Ein bisschen Handel kann ich mit Trappern und den Rothäuten betreiben. Wobei ich auch erst seit drei, vier Monaten hier bin.«

»Habt Ihr das alles selbst gebaut?«, fragte Matthew. Ihm fielen ein halbes Dutzend Stellen auf, an denen Wasser aus dem schiefen Dach tropfte.

»Ja. Jeden einzelnen Stamm, jedes Brett. Alles.«

»Euer schlimmer Rücken hat Euch erlaubt, all die Baumstämme zu fällen und hierher zu ziehen?«

»Mein schlimmer Rücken?« Shawcombe runzelte die Stirn. »Wovon redet Ihr?«

»Von Eurem schlimmen Rücken, den Ihr Euch beim Heben von schweren Strohballen verletzt habt. Sagtet Ihr nicht, dass Ihr an der Thames gearbeitet habt? Ich dachte, aufgrund dieser Verletzung könnt Ihr nichts tragen, wie zum Beispiel … oh, einen oder zwei Koffer.«

Shawcombes Gesicht gefror. Mehrere Sekunden vergingen, dann schnellte seine Zunge aus dem Mund hervor und leckte über seine Unterlippe. Er lächelte, doch es war ein hartes Lächeln. »Ach ja«, sagte er langsam. »Mein Rücken. Na … ich habe einen Geschäftspartner gehabt. Der hat gesägt und geschleppt. Wir haben auch ein paar Rothäute angeheuert, sie mit Glasperlen bezahlt. Was ich gemeint hatte, war … dass mein Rücken mehr weh tut, wenn es regnet. An anderen Tagen hab ich keine Schmerzen.«

»Was ist aus Eurem Geschäftspartner geworden?«, fragte Woodward.

»Der ist krank geworden«, kam die schnelle Antwort. Sein Blick war noch immer auf Matthew gerichtet. »Hatte Fieber. Der arme Kerl musste aufgeben und nach Charles Town zurück.«

»Er ist nicht nach Fount Royal gegangen?«, hakte Matthew nach. Sein Bluthundinstinkt hatte ihn wachsam gemacht: Hier roch es eindeutig nach Hinterlistigkeit. »In Fount Royal gibt es doch einen Arzt, oder?«

»Davon weiß ich nichts. Ihr habt gefragt, ich antworte. Er ist nach Charles Town zurückgegangen.«

»Hier! Trinkt, bis Euch die Bäuche platzen!« Zwei bis obenhin gefüllte Holzkrüge wurden in der Mitte des Tisches niedergeknallt, und dann zog sich Abner, der noch immer vor sich hin brummte und fluchte, zum Trocknen ans Feuer zurück.

»Es ist ein hartes Land«, sagte Woodward, um die Spannung zwischen den beiden anderen Männern zu brechen. Er nahm sich einen Krug und entdeckte zu seinem Kummer, dass auf der Oberfläche des Getränks ein öliger Film schwamm.

»Es ist eine harte Welt«, korrigierte Shawcombe und löste erst jetzt seinen Blick von Matthew. »Trinkt, meine Herren«, sagte er und ließ sich den Rum in die Kehle rinnen.

Sowohl Woodward als auch Matthew waren vorsichtig genug, zuerst nur an ihrem Gebräu zu nippen – und waren gleich darauf froh, nicht wagemutiger gewesen zu sein. Das Bier, das dem Geschmack nach wohl aus fermentierten sauren Äpfeln gebraut worden war, erwies sich als so stark, dass sich ihnen Mund und Kehle zusammenzogen. Matthew tränten die Augen und Woodward hätte schwören können, dass ihm Schweißtropfen durch die Perücke quollen. Dennoch brachten sie jeder einen Schluck herunter.

»Das Bier krieg ich von den Indianern.« Shawcombe wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Die haben ein Wort dafür, das Schlangenbiss bedeutet.«

»Ich fühle mich auch, als wäre ich gebissen worden«, sagte Woodward.

»Der zweite Schluck ist nicht mehr so schlimm. Wenn Ihr erst mal die Hälfte runter habt, werdet Ihr Euch entweder wie ein Löwe oder wie ein Lamm fühlen.« Shawcombe nahm einen weiteren Schluck und ließ den Alkohol in seinem Mund umherschwappen. Er legte die Füße auf den Tisch neben ihnen und lehnte sich im Stuhl zurück. »Wenn Euch die Frage nicht stört – was wollt Ihr denn in Fount Royal?«

»Es geht um eine rechtliche Angelegenheit«, antwortete Woodward. »Ich bin ein Richter.«

»Ahaaaa.« Shawcombe nickte, als verstünde er alles. »Tragt Ihr beide Richterroben?«

»Nein, Matthew ist mein Gerichtsdiener.«

»Es hat bestimmt was mit dem Ärger dort zu tun, hab ich recht?«

»Es handelt sich um eine ärgerliche Angelegenheit, ja«, sagte Woodward, ohne zu wissen, inwieweit dieser Mann über die Geschehnisse in Fount Royal informiert war, und unwillig, ihm Auskünfte zu geben, durch die Shawcombe für andere Reisende Tratsch erfinden konnte.

»Oh, ich weiß Bescheid«, meinte Shawcombe. »Ist ja kein Geheimnis. Die letzten zwei Monate sind die Postreiter hier durchgekommen, und die haben's mir erzählt. Sagt mir nur, werdet Ihr sie hängen, auf den Scheiterhaufen bringen oder ihr den Kopf abschlagen?«

»Erstens müssen die Beschuldigungen gegen sie bewiesen werden. Zweitens fällt das Hinrichten nicht in meine Zuständigkeit.«

»Aber Ihr werdet sie verurteilen, oder? Sagt schon! Wie wird das Urteil lauten?«

Woodward gelangte zu der Einsicht, dass er den Wirt nur von diesem Thema abbringen konnte, indem er zuerst weiter darüber redete. »Falls sie für schuldig befunden wird, steht darauf der Galgen.«

»Pah!« Shawcombe wedelte unzufrieden mit der Hand. »Wenn ich das entscheiden könnte, würde ich ihr den Kopf abschlagen und sie außerdem verbrennen! Dann würde ich die Asche nehmen und ins Meer werfen! Salzwasser können die nämlich nicht ab, wisst Ihr.« Er wandte den Kopf in Richtung Kamin und brüllte: »Ihr beiden da! Wir warten aufs Essen!«

Maude zischte ihm etwas zu. Er schrie: »Na, dann mach schon!« Ein weiterer Schluck Rum verschwand in seiner Kehle. »Also«, sagte er zu seinen schweigenden Gästen, »so seh ich das: Die sollten Fount Royal verlassen, alles in Brand setzen und wegziehen. Wenn der Teufel sich erst mal wo eingenistet hat, dann gibt's keine Hilfe außer dem Feuer. Ihr könnt sie hängen oder was auch immer, aber der Teufel hat jetzt seine Saat in Fount Royal gesät, und da gibt's nichts zu retten.«

»Das halte ich für eine extreme Sichtweise«, entgegnete Woodward. »In anderen Orten gab es ähnliche Schwierigkeiten, und nachdem das Ärgernis beseitigt wurde, konnten die Städte überleben und aufblühen.«

»Na, ich würde nicht in Fount Royal leben wollen, und auch sonst nirgends, wo der Teufel umherspaziert, als sei er da zuhause! Das Leben ist so schon hart genug. Ich will nicht verflucht werden, während ich im Bett liege und schlafe!« Er grunzte, um seine Meinung zu betonen. »Tja, Sir, Ihr redet zwar hübsch daher, aber ich wette, dass Ihr nicht in eine Gasse gehen wollt, wo nachts der Beelzebub wartet! Mein Rat an Euch, Sir, auch wenn ich nur ein einfacher Wirt bin: Hackt der Teufelshure den Kopf ab und befehlt, die ganze Stadt in Grund und Boden zu brennen.«

»Ich will nicht so tun, als könnte ich alle Mysterien durchschauen, seien es nun heilige oder gotteslästerliche, und wüsste Antwort darauf«, sagte der Richter in gleichmütigem Tonfall. »Aber ich weiß, dass die Verhältnisse in Fount Royal prekär sind.«

»Und auch gottverdammt gefährlich.« Shawcombe wollte noch etwas sagen, aber aus seinem Mund kamen keine Worte mehr. Für Woodward und Matthew war es offensichtlich, dass seine durch den Alkohol wandernde Aufmerksamkeit von den Geschehnissen in Fount Royal abgelenkt worden war. Er bewunderte wieder die golddurchwirkte Weste. »Das ist aber auch ein schönes Stück«, sagte er und wagte es erneut, mit seinen schmierigen Fingern über den Stoff zu fahren. »Wo habt Ihr es her? Aus New York?«

»Es ist … ein Geschenk von meiner Frau. Aus London.«

»Ich war mal verheiratet. Und einmal hat gereicht.« Er gab ein schroffes, humorloses Lachen von sich. Zu Woodwards Verdruss streichelte er weiter über das Material. »Eure Frau ist in Charles Town?«

»Nein.« Woodwards Stimme klang belegt. »Meine Frau … ist in London geblieben.«

»Meine liegt auf dem Grund des verdammten Atlantiks. Sie ist bei der Überfahrt gestorben, hat sich zu Tode geschissen. Sie haben sie in ein Laken gerollt und über die Reling gehievt. So eine Weste … was meint Ihr, wie viel so eine wohl wert ist?«

»Mehr, als ein Mann zahlen sollte«, sagte Woodward und rückte dann seinen Stuhl betont einige Zentimeter von Shawcombe weg. Die Finger des Wirts griffen ins Leere.

»Platz jetzt! Passen's auf'e Ellbogen auf da!« Maude knallte zwei mit einem dunkelbraunen Eintopf gefüllte Holzschalen vor Shawcombe und dem Richter nieder. Matthews Schale wurde von dem Mädchen gebracht, das sie vor ihn hinstellte und sich dann schnell umdrehte, um wieder ans Feuer zu flüchten. Dabei berührte ihre Kleidung Matthew am Arm, und der durch ihre Bewegung verursachte Luftzug wehte ihm einen starken Geruch vor die Nase: Den Geruch eines ungewaschenen Körpers, aber noch etwas anderes, das diesen übertönte. Es war ein moschusartiger und süßsaurer Geruch von bezwingender Schärfe. Die Erkenntnis, dass es das Aroma ihrer intimsten Stelle war, traf ihn wie eine Faust vor die Brust.

Shawcombe atmete heiser ein. Er warf einen Blick auf Matthew, dessen Augen groß geworden waren und der noch immer dem Mädchen nachschaute. »He«, fuhr Shawcombe ihn an. »Was guckt Ihr so?«

»Nichts.« Matthew senkte den Blick auf die Schale mit dem Eintopf.

»Na klar.«

Das Mädchen kam wieder und brachte ihnen die Holzlöffel. Wieder berührte ihr Kleid seinen Arm, und er zuckte zurück, als hätte ihn eine Hornisse in den Ellbogen gestochen. Der Geruch trieb ihm in die Nase. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Er nahm den Löffel und merkte, wie feucht seine Handfläche war. Dann spürte er, dass Shawcombe ihn musterte.

Die Augen des Wirts glitzerten im Kerzenlicht. Er leckte sich die Lippen, bevor er sprach. »Die ist nicht übel, findet Ihr nicht?«

»Bitte?«

Shawcombe grinste leicht; es war ein gemeines und spöttisches Lächeln. »Nicht übel«, wiederholte er. »Wollt Ihr Euch ihren Austernkorb mal angucken?«

»Mr. Shawcombe!« Woodward begriff, worum es ging, und fand es ganz und gar unakzeptabel. »Wenn wir jetzt bitte …«

»Na, Ihr könnt beide Spaß mit ihr haben, wenn Ihr wollt. Kostet für Euch zusammen nur einen Guinea.«

»Niemals!« Woodwards Wangen brannten. »Ich sagte bereits, dass ich ein verheirateter Mann bin!«

»Schon, aber die Frau ist in London, nicht? Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass Ihr Euch ihren Namen auf den Schwanz tätowiert habt?«

Wenn es draußen nicht so gestürmt hätte, die Pferde nicht in der Scheune gestanden und es eine andere Unterkunft gegeben hätte, wäre Woodward vielleicht mit aller Würde aufgesprungen, der er Herr war, und hätte sich von diesem widerwärtigen Rüpel verabschiedet. Am liebsten hätte er Shawcombe mitten ins lüsterne Gesicht geschlagen. Aber er war ein Gentleman, und Gentlemen taten so etwas nicht. Stattdessen bezwang er seine Wut und seinen Abscheu, und sagte knapp: »Sir, ich bin meiner Frau treu. Ich würde es schätzen, wenn diese Tatsache akzeptiert werden kann.«

Shawcombes Antwort war, auf den Boden zu spucken. Seine Aufmerksamkeit war wieder ganz auf den jüngeren Mann gerichtet. »Na, und wie steht's mit Euch? Wollt Ihr gern ran? Für zehn Shilling?«

»Ich … ich wollte sagen …« Matthew sah Woodward hilfesuchend an, denn er wusste nicht, was er eigentlich hatte sagen wollen.

»Sir«, sagte Woodward. »Es ist eine unangenehme Situation für uns. Dieser junge Mann … hat den Großteil seines Lebens in einem Waisenhaus verbracht. Daher …« Er runzelte die Stirn und überlegte, wie er es am besten sagen konnte. »Deshalb … sind seine Erfahrungen sehr begrenzt. Er ist noch nie in den Genuss …«

»Heilige Mutter Gottes!«, unterbrach Shawcombe ihn. »Ihr wollt sagen, dass ihm noch keine an den Schwanz gegangen ist?«

»Nun … wie ich sagte, seine Erfahrungen haben ihn noch nicht …«

»Ach, jetzt redet doch nicht um den heißen Brei herum! Ihr wollt mir sagen, dass der immer noch nicht entjungfert ist?«

»Das ist im Grunde schon, was ich … damit meinte.«

Shawcombe pfiff erstaunt, und unter seinem Blick lief Matthew blutrot an. »Na, so einen hab ich ja noch nie gesehen! Gott verdamm mich, wenn mir so was schon mal zu Ohren gekommen ist! Wie alt seid Ihr?«

»Ich bin … zwanzig Jahre alt«, brachte Matthew heraus. Sein Gesicht brannte.

»Zwanzig Jahre alt und noch nie gerammelt? Wie könnt Ihr überhaupt noch Luft holen, ohne dass Euch die Eier platzen?«

»Wenn ich kurz fragen dürfte, wie alt das Mädchen ist«, warf Woodward ein. »Sie ist noch keine fünfzehn, oder?«

»Welches Jahr haben wir?«, fragte Shawcombe.

»1699.«

Shawcombe begann, an den Fingern abzuzählen. Maude brachte ein mit dicken braunen Kornbrotscheiben beladenes Brett an den Tisch und hastete sofort wieder davon. Der Wirt hatte offenbar Schwierigkeiten mit seiner Fingerarithmetik, ließ die Hand fallen und grinste Woodward an. »Egal, sie ist jedenfalls reif. Grad richtig, um gepflückt zu werden.«

Matthew griff nach dem Schlangenbiss und trank den Humpen fast aus.

»Wie dem auch sein mag«, erwiderte Woodward, »wir werden die Einladung beide ausschlagen.« Er nahm seinen Löffel und tauchte ihn in den wässerigen Eintopf.

»Eine Einladung war das nicht, sondern ein geschäftliches Angebot.« Shawcombe trank einen weiteren Schluck Rum und widmete sich dann auch seinem Essen. »Das Verrückteste, was ich je gehört hab!«, sagte er mit vollem Mund, aus dessen Winkeln die Suppe rann. »Als ich zwölf war, hab ich die Mädels schon durchgenommen!«

»Jack One Eye«, sagte Matthew. Das war etwas, wonach er hatte fragen wollen, und der jetzige Augenblick schien ebenso gut geeignet wie jeder andere zu sein, um Shawcombes Gedanken vom momentanen Thema abzulenken.

»Was?«

»Ihr habt vorhin Jack One Eye erwähnt.« Matthew tunkte ein Stück Maisbrot in seinen Eintopf und aß. Das Brot schmeckte mehr nach verrußten Steinen als nach Mais, aber an der Suppe gab es nicht viel auszusetzen. »Wen habt Ihr damit gemeint?«

»Das wildeste aller Tiere.« Shawcombe nahm seine Schale in die Hand und schlürfte. »Steht sieben bis acht Fuß hoch und ist so schwarz wie die Haare am Arsch des Teufels. Der Pfeil einer Rothaut hat ihm eins seiner Augen weggeschossen, aber ein einziger Pfeil hält ihn nicht auf. Nein, Sir! Es heißt, das hat ihn nur noch böser gemacht. Und hungriger. Der würde Euch mit einer Pranke das Gesicht vom Schädel reißen und Euer Hirn zum Frühstück fressen.«

»Jack One Eye ist 'n gottverdammter Bär!«, meldete sich Abner in seinen dampfenden Kleidern am Kamin zu Wort. »Und zwar 'n großer! Größer als 'n Pferd! Größer als die Faust Gottes ist er!«

»Des is keen Pär

Shawcombe warf der Verkünderin dieser letzten Worte einen Blick zu. Auf seinem bartstoppeligen Kinn glitzerte Suppe. »Hä? Was sagst's?«

»Sach, des is keen Pär.« Maude näherte sich, ihre Gestalt nur eine Silhouette vor dem Feuerschein. Ihre Stimme klang noch immer wie ein gequältes Husten, aber sie sprach so langsam und klar wie sie konnte. Sowohl Woodward als auch Matthew mutmaßten, dass ihr dieses Gesprächsthema aus irgendeinem Grund wichtig war.

»Natürlich ist das ein Bär!«, sagte Shawcombe. »Was soll er denn sonst sein, wenn nicht ein Bär?«

»Des is nich nua 'n Pär«, stellte sie richtig. »Ich hebb en g'sehn. Du nich. Ich wees, wassa is.«

»Die ist genauso weich im Kopf wie die andern«, meinte Shawcombe achselzuckend zu Woodward.

»Ich hebb 'n g'sehn«, wiederholte die alte Frau nachdrücklich. Sie hatte inzwischen den Tisch erreicht und stellte sich neben Matthew. Kerzenschein flackerte über ihr runzeliges Gesicht, doch ihre tief in den Höhlen versunkenen Augen blieben im Dunkeln. »Ich wa anne Tüa. Gleich da anne Tüa. Meen Joseph kam heem. Unsa Junge ooch. Ich hebb se g'sehn, wie se ausm Walt komme, übas Felt. Hatte 'nen Hirsch zwische sich hänge. Ich hebb de Latärn hochgehobbe und hebb g'rufe … und denn iss plötzlich dies Ding zwische dene g'wese! Des is eenfach hochkomme, von nirjewo.« Sie hatte die rechte Hand gehoben und die dürren Finger um den Henkel einer Geisterlaterne gekrallt. »Ich hebb versuch, meen Mannes Name zu schreie … aba ich hebb nichts ausse Mund gekriegt«, sagte sie. Ihr Mund verspannte sich. »Ich hebb's versuch … aba Gott hat mir meen Stimme g'stole.«

»War wohl eher dieser miese Fusel, der sie dir gestohlen hat!«, gab Shawcombe mit einem rauen Lachen von sich.

Die alte Frau antwortete nicht. Sie schwieg. Regen hämmerte aufs Dach, und ein Scheit knallte in der Hitze des Feuers. Schließlich holte sie lange und holperig Luft, ein Geräusch, in dem eine furchtbare Traurigkeit und Resignation lagen. »Hat unsern Junge g'tötet, eh der Joseph sich hatte umdrehe könne«, sagte sie zu niemand bestimmten. Matthew hatte das Gefühl, dass sie ihn ansah, doch sicher war er sich nicht. »Des hat eem den Kopf abbehaun, mit eem Schlag von da Pranke. Denn isses üba meen Mann herg'falle … und da konnte man nichts mache. Ich bin hing'rannt, hebb de Latärn of es g'schmisse, aba der wa groß. Schrecklich groß. Der hat bloß de große schwatte Schultern g'schüttelt, und denn hatta den Hirsch weggeschleppt und mich da g'lasse mit dem, was übrich wa. Joseph wa vonne Kehle bis zum Bauch aufg'risse. Seen G'därm hing raus. War'n drei Tage, die er zum sterbe g'braucht hat.« Sie schüttelte den Kopf und Matthew konnte es in ihren Augenhöhlen feucht glitzern sehen.

»Himmel Herrgott!«, sagte Woodward. »Gab es denn keine Nachbarn, die zur Hilfe kamen?«

»Nachbahn?«, fragte sie ungläubig. »Da gibbes keene Nachbahn hier. Meen Jospeh wa een Trappa un hat mitte Indiana g'handelt. So lebe ma hier. Was ich sach is, des Jack One Eye nich bloß 'n Pär is. Alles, was in dies'n Land dunk'l is … alles, was grausam un bös is. Wenn ma denkt, der Mann un Sohn komme heem un man hebbt de Latärn und will ene zurufe. Dann springt des Ding hoch und plötzlich hebbt man nichts mehr. Des is, was Jack One Eye is.«

Weder Woodward noch Matthew wussten, was sie zu dieser elenden Geschichte sagen sollten, aber Shawcombe, der noch immer an seinem Eintopf schlürfte und sich Maisbrot in den Mund stopfte, hatte eine Antwort. »Au, Scheiße!«, schrie er auf und fasste sich ans Kinn. »Was ist in diesem gottverdammten Brot, du Weibsstück?« Er griff sich in den Mund, fühlte darin herum. Dann kamen seine Finger mit einem kleinen dunkelbraunen Etwas wieder zum Vorschein. »Hab mir fast meinen Zahn an dem verfluchten Ding ausgebrochen! Zur Hölle noch mal!« Ihm dämmerte etwas. »Das ist ein gottverdammter Zahn!«

»Muss wo meina seen«, sagte Maude. »Hatte heut Morge een paa lose.« Sie schnappte sich ihn aus seiner Hand und hatte ihnen schon wieder den Rücken zugewandt, bevor er noch etwas sagen konnte. Sie widmete sich wieder ihren Aufgaben an der Feuerstelle.

»Das verdammte alte Weib zerfällt in alle Teile!« Shawcombe sah ihr finster nach. Er nahm noch einen Schluck Rum, spülte ihn im Mund umher und wandte sich dann wieder seinem Abendessen zu.

Woodward blickte auf das Stück Maisbrot, das er in seine Schale mit dem Eintopf gelegt hatte. »Ich glaube, mir ist der Appetit vergangen.«

»Was? Ihr habt keinen Hunger mehr? Na kommt, gebt mir den Rest!« Shawcombe nahm sich die Schale des Richters und kippte den Inhalt in seine. Er hatte sich entschieden, die Hände statt des Löffels zu benutzen, und Suppe triefte ihm vom Mund auf sein Hemd. »He, Herr Gerichtsdiener!«, grunzte er, als Matthew unentschlossen dasaß und überlegte, ob er es riskieren sollte, auf einen verfaulten Zahn zu beißen oder nicht. »Wenn Ihr an das Mädchen wollt, zahle ich Euch zehn Pence, wenn ich zugucken kann. Das krieg ich schließlich nicht jeden Tag zu sehen – einen, der noch Jungfrau ist und zum ersten Mal in die Wolle sticht.«

»Sir?« Woodwards Stimme hatte an Schärfe zugenommen. »Ich habe Euch bereits gesagt, dass die Antwort Nein lautet.«

»Ihr nehmt Euch also heraus, für ihn zu sprechen? Was seid Ihr, sein gottverdammter Vater?«

»Nein, nicht sein Vater. Aber ich bin sein Vormund.«

»Wozu in aller Welt braucht ein zwanzig Jahre alter Mann einen gottverdammten Vormund?«

»Überall auf dieser Welt gibt es Wölfe, Mr. Shawcombe«, entgegnete Woodward mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ein junger Mann muss darauf achten, dass er nicht in ihre Gesellschaft gerät.«

»Lieber die Gesellschaft von Wölfen als das Jammern von Heiligen«, meinte Shawcombe. »Man wird vielleicht gefressen, aber zumindest stirbt man nicht an Langeweile.«

Die Vorstellung von Wölfen, die sich die Bäuche mit Menschenfleisch vollschlugen, brachte Matthew auf eine weitere Frage. Er schob seine Schale dem Wirt hin. »Vor zwei Wochen war ein Richter von Charles Town nach Fount Royal gereist. Er hieß Thymon Kingsbury. Hat er vielleicht hier Halt gemacht?«

»Nein, den hab ich nicht gesehen«, antwortete Shawcombe, ohne beim Essen innezuhalten.

»Er ist nie in Fount Royal angekommen«, fuhr Matthew fort. »Mir scheint, dass er hier Halt gemacht haben könnte, wenn …«

»Vermutlich ist er nicht so weit gekommen«, unterbrach Shawcombe. »Hat wahrscheinlich schon drei Meilen außerhalb von Charles Town von einem Straßenräuber eins über den Kopf gekriegt. Oder vielleicht hat Jack One Eye ihn erwischt. Wer hier draußen allein unterwegs ist, den trennt nur noch eine Haaresbreite von der Hölle.«

Matthew ließ sich diese Feststellung durch den Kopf gehen und horchte auf den prasselnden Regen. Wasser tropfte in den Raum und sammelte sich in Pfützen auf dem Boden. »Ich habe nicht gesagt, dass er allein war.«

Shawcombe mochte für einen Sekundenbruchteil zu kauen aufgehört haben. »Ihr habt nur den einen Namen gesagt, oder?«

»Ja. Aber seinen Diener hätte ich vielleicht nicht unbedingt erwähnt.«

»Mein Gott!« Shawcombe knallte die Schale auf den Tisch. In seinen Augen funkelte wieder die Wut. »War er nun allein oder nicht? Und was tut das zur Sache?«

»Er war allein«, sagte Matthew ruhig. »Sein Gerichtsdiener war den Abend zuvor erkrankt.« Er betrachtete die Kerzenflamme. Ein schwarzer Rauchfaden stieg von der orangefarbenen Lanze auf. »Aber ich denke nicht, dass das weiter wichtig ist.«

»Nein, ist es nicht.« Shawcombe warf Woodward schnell einen finsteren Blick zu. »Dem liegen immer lauter Fragen auf der Zunge, was?«

»Er ist ein an vielen Themen interessierter junger Mann«, entgegnete Woodward. »Und sehr intelligent ist er auch.«

»Aha.« Shawcombe sah wieder Matthew an, und Matthew überkam das eindeutige und äußerst unangenehme Gefühl, in den hässlichen Lauf einer gespannten und auf ihn gerichteten Donnerbüchse zu starren. »Passt besser auf, dass Euch niemand zum Schweigen bringt.« Shawcombe hielt seinen durchdringenden Blick noch für einige Sekunden auf ihn gerichtet und begann dann, über das Essen herzufallen, das Matthew weggeschoben hatte.

Als Shawcombe verkündete, dass Abner zu ihrer Unterhaltung seine Fiedel spielen würde, entschuldigten sich die beiden Reisenden vom Tisch. Woodward hatte sich die größte Mühe gegeben, seine natürlichen Körperfunktionen zu unterdrücken, doch jetzt protestierten seine Eingeweide. Er sah sich gezwungen, den Mantel überzuwerfen, eine Laterne zu nehmen und in den Sturm hinauszugehen.

Matthew, der beim Regengetrommel und einer einsamen rußigen Kerze allein in der Schlafkammer saß, hörte, wie Abners Fiedel zu kreischen begann. Es schien, als ob ihnen ein Ständchen zuteilwerden würde, ob sie nun wollten oder nicht. Als sei das nicht bereits übel genug, begann Shawcombe in ungleichmäßigem Gegentakt zu klatschen und zu rufen. In einer Ecke der Kammer huschte eine Ratte herum, von den unmusikalischen Tönen offenbar ebenso gestört wie Matthew.

Er setzte sich auf die Strohmatratze und fragte sich, wie er trotz seiner Erschöpfung von der Reise in dieser Nacht schlafen sollte. Mit Ratten im Zimmer und zwei anderen kreischenden Geschöpfen im Nebenraum würde es kein leichtes Unterfangen sein. Er beschloss, sich mathematische Textaufgaben zu stellen und zu lösen – natürlich auf Latein. Unter schwierigen Gegebenheiten half ihm das oftmals, sich zu entspannen.

Ich denke nicht, dass das weiter wichtig ist, hatte er Shawcombe geantwortet, als es darum ging, ob Richter Kingsbury allein gereist war. Und doch schien es Matthew wichtig zu sein. Allein zu reisen war ungewöhnlich und – wie Shawcombe korrekt festgestellt hatte – verwegen. Jedes Mal, wenn Matthew Richter Kingsbury begegnet war, hatte der Mann zu viel getrunken. Vielleicht hatte der Alkohol seinem Gehirn zugesetzt. Doch Shawcombe war sofort davon ausgegangen, dass Kingsbury ohne Begleitung unterwegs gewesen war. Er hatte nicht gefragt: War er allein?, oder: Wer ist mit ihm gereist? Nein, er hatte gesagt: Wer hier draußen allein unterwegs ist …

Die Lautstärke der Fiedel steigerte sich in ohrenbetäubende Tonlagen. Matthew seufzte und schüttelte den Kopf über die demütigende Situation, in der sie sich befanden. Immerhin hatten sie für die Nacht ein Dach über dem Kopf. Ob es auch die ganze Nacht halten würde, war eine andere Frage.

Er konnte noch immer den Duft des Mädchens riechen.

Er war davon geradezu überwältigt worden. Ihr Geruch war immer noch da; ob nun in seiner Nase oder in seinen Gedanken, wusste er nicht. Wollt Ihr gerne ran?

Ja, dachte Matthew. Mathematikaufgaben. Sie ist reif. Und auf jeden Fall auf Latein.

Die Fiedel ächzte und kreischte, und Shawcombe fing an, auf den Boden zu stampfen. Matthew starrte auf die Tür. Der Geruch des Mädchens rief ihn.

Sein Mund war wie ausgetrocknet. Sein Magen hatte sich anscheinend fest verknotet. Ja, dachte er, heute Nacht wird das Schlafen schwierig werden.

Sehr schwierig.

Kapitel 4


Endlich fand die Sonne einen Weg durch die Wolken und schien auf die durchweichte Erde. Im Vergleich zur kalten Nacht war es jetzt viel wärmer. Trotz der weiterhin drohenden dunkelgrauen Wolken, die noch immer regenschwanger von allen Himmelsrichtungen zusammentrieben, um die Sonne wieder auszulöschen, fühlte es sich wie ein normaler Maitag an.

»Erzählt weiter«, sagte der schwergewichtige Mann, der mit einer aufwendigen Perücke auf dem Kopf im ersten Stockwerk seines Hauses am Fenster stand und die Aussicht betrachtete. »Ich höre.«

Der zweite Mann im Zimmer – es handelte sich um ein Arbeitszimmer, dessen Wände mit Regalen voller in Leder gebundener Bücher bedeckt waren, und auf dessen Kiefernplankenboden ein rotgoldener persischer Teppich lag – saß vor einem aus afrikanischem Mahagoni gearbeiteten Schreibtisch auf einer Bank und hielt ein offenes Buch mit Einträgen auf dem Schoß. Der Mann mit Perücke hatte soeben seine 100 Kilogramm aus dem Stuhl gewuchtet, der auf der anderen Seite des Schreibtischs gegenüber der Bank stand. Der Besucher räusperte sich und legte den Finger auf einen der Einträge im Hauptbuch. »Die Baumwollpflanzen sind wieder nicht angewachsen«, sagte er. »Und auch die Tabaksetzlinge nicht.« Er zögerte, bevor er die nächste Hiobsbotschaft von sich gab. »Es schmerzt mich, Euch mitteilen zu müssen, dass zwei Drittel der Apfelbäume von Mehltau angegriffen sind.«

»Zwei Drittel?«, wiederholte der Mann am Fenster, ohne sich von der Aussicht wegzudrehen. Seine Perücke, ein majestätischer Berg weißer Locken, hing bis auf die Schultern seines mit Messingknöpfen versehenen blauen Anzugs herab. Die Hemdsärmel endeten in weißen Rüschen, weiße Strümpfe bedeckten seine Waden, und an seinen schwarzen, polierten Schuhen glänzten Silberschnallen.

»Jawohl, Sir. Und genauso steht es um die Pflaumenbäume und ungefähr die Hälfte der Birnenbäume. Bisher sind die Kirschen verschont geblieben, aber Goode glaubt, dass irgendein Parasit Eier in alle Obstbäume gelegt hat. Die Pekan- und Walnüsse sind bislang unversehrt, aber die Felder sind so stark überflutet worden, dass viele der Wurzeln nicht mehr von Erde bedeckt sind und jetzt leicht zu Schaden kommen können.« Er hielt in seiner Aufzählung landwirtschaftlicher Krankheiten inne und schob sich die Brille höher auf die Nase. Er war ein Mann von durchschnittlicher Größe und Statur, sowie durchschnittlichen Alters und Aussehens. Er hatte hellbraune Haare, eine hohe Stirn und hellblaue Augen. Sein Gesichtsausdruck war der eines müden Buchhalters. Im Gegensatz zur vornehmen Kleidung des anderen Mannes trug er ein einfaches weißes Hemd, eine braune Tuchweste und beigefarbene Beinkleider.

»Sprecht weiter, Edward«, drängte der Mann am Fenster leise. »Ich kann das schon hören.«

»Jawohl, Sir«. Edward Winston wandte seine Aufmerksamkeit wieder den mit Feder und Tinte ins Hauptbuch eingetragenen Bemerkungen zu. »Goode hat einen die Obstbäume betreffenden Vorschlag gemacht, den er für wichtig genug befand, um mich ihn Euch gegenüber erwähnen zu lassen.« Wieder hielt er inne.

»Und wie lautet sein Vorschlag?«

Winston hob die Hand und fuhr sich langsam mit zwei Fingern über den Mund, bevor er weitersprach. Der Mann am Fenster wartete mit eisern durchgedrücktem Rückgrat.

Winston sagte: »Goode schlägt vor, dass wir sie verbrennen.«

»Wie viele Bäume? Nur die unter Schädlingsbefall leidenden, nicht wahr?«

»Nein, Sir. Alle.«

Eine lange Pause entstand. Der Mann am Fenster atmete hörbar ein und langsam wieder aus. Seine Schultern verloren dabei die angespannte Haltung, bis sie schließlich herunterhingen. »Alle«, wiederholte er.

»Goode glaubt, dass das Verbrennen die einzige Möglichkeit ist, den Parasiten zu töten. Er meint, dass es auf die Dauer nicht helfen wird, nur die Bäume zu beseitigen, denen man den Schädlingsbefall ansieht. Außerdem denkt er, dass der Obstgarten an einen anderen Ort verlegt werden und die Erde mit Meereswasser und Asche gereinigt werden sollte.«

Der Mann am Fenster gab einen leisen Schmerzenslaut von sich. Als er sprach, klang seine Stimme schwach. »Und wie viele Bäume sollen nun verbrannt werden?«

Winston warf einen Blick in sein Buch. »Vierundachtzig Apfelbäume, zweiundfünfzig Pflaumen, achtundsiebzig Kirschen und vierundvierzig Birnen.«

»Das heißt also, wir fangen wieder mal ganz von vorn an?«

»Ich befürchte ja, Sir. Wie ich immer sage: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.«

»Verdammt«, wisperte der Mann am Fenster. Er legte die Hände auf den Sims und starrte mit rotgeränderten braunen Augen auf seinen bedrohten Traum, der fast Wirklichkeit geworden wäre. »Ist es, weil sie uns verflucht hat, Edward?«

»Ich weiß es nicht, Sir«, gab Winston ehrlich zu.

Robert Bidwell, der Mann am Fenster, war siebenundvierzig Jahre alt und von Sorgen gezeichnet. Sein faltiges Gesicht war angespannt, die Stirn gerunzelt, und weitere Falten umklammerten den Mund und durchschnitten sein Kinn. Viele davon hatte er sich in den letzten fünf Jahren zugezogen; seit dem Tag, an dem ihm der offizielle Grundbrief für 400 Hektar Land an der Küste der Carolina-Kolonie verliehen worden war. Dies war sein großer Traum gewesen. Im ockerfarbenen Sonnenlicht, das schräg durch die unheilvoll aufquellenden Wolken fiel, lag seine Kreation vor ihm.

Er hatte das Land Fount Royal, Königsquell, genannt. Dafür gab es zwei Gründe. Erstens war es ein an King William und Queen Mary für ihr nicht versiegendes Vertrauen in seine Fertigkeiten als Vorsteher und Verwalter gerichteter Dank, und zweitens eignete sich der Ort als Zwischenstation für den eines Tages zu erwartenden kommerziellen Verkehr. Gut sechzig Meter von der Eingangstür zu Bidwells Haus, dem einzig zweistöckigen der gesamten Siedlung, befand sich die Quelle: Ein länglicher Teich, dessen frisches aquamarinfarbenes Wasser sich über mehr als einen Hektar erstreckte. Bidwell hatte von einem Landvermesser erfahren, der die Gegend vor einigen Jahren kartografiert und dabei auch die Tiefe der Quelle untersucht hatte, dass sie mehr als vierzig Fuß tief war. Für die Siedlung war die Quelle lebenswichtig. In diesem Landstrich mit seinen Salzwiesen und stinkenden schwarzen Tümpeln bedeutete das Quellwasser eine gesicherte Süßwasserversorgung.

Im seichten Wasser wuchsen Seebinsen. Wildblumen, die dem kalten Frühling standgehalten hatten, gediehen hier und da am grasbewachsenen Ufer. Die Quelle bildete das Ortszentrum von Fount Royal. Alle Straßen, deren Matsch mit Sand und zerstoßenen Austernschalen zu Leibe gerückt wurde, führten strahlenförmig darauf zu. Es gab nur vier Straßen, und Bidwell hatte sie alle benannt: Die Wahrheitsstraße verlief gen Osten, die Fleißstraße nach Westen, die Harmoniestraße in den Norden und die Friedensstraße nach Süden. Entlang der Straßen standen die weiß getünchten Holzhäuser, roten Scheunen, Zäune der Viehweiden, Geräteschuppen und Werkstätten, aus denen die Siedlung bestand.

Der Schmied schürte sein Feuer an der Fleißstraße, gegenüber des Kurzwarenladens in der Wahrheitsstraße befand sich die Schule, und drei Kirchen (anglikanisch, evangelisch und presbyterianisch) drängten sich in der Harmoniestraße. Der Friedhof in der Harmoniestraße war nicht groß, aber leider schon gut belegt. Die Friedensstraße führte an den Sklavenhütten und Bidwells Stallungen vorbei zum Wald, der sich bis kurz vor den Sumpf und das Meer erstreckte. Die Fleißstraße führte weiter zu den Obstgärten und Feldern, auf denen Bidwell eines Tages eine reiche Ernte von Äpfeln, Birnen, Baumwolle, Mais, Bohnen und Tabak zu sehen hoffte. Der Galgen stand an der Wahrheitsstraße, wo sie gefangen gehalten wurde, und nicht weit davon, neben Van Gundy's Publick Tavern, befand sich das Gebäude für Gemeindetreffen. An verschiedenen Stellen in der Siedlung gab es kleine Geschäfte, deren Inhaber sich Bidwells Traum von einer Stadt im Süden angeschlossen hatten.

Von den 400 Hektar, die Bidwell gekauft hatte, war gerade ein Fünftel bebaut, gepflügt oder wurde als Weide genutzt. Um die Siedlung herum war eine Holzpalisade aus mit Äxten angespitzten Stämmen errichtet worden, um alles, inklusive der Obstgärten, vor den Indianern zu schützen. Ein mit einer Muskete bewaffnetes Mitglied der Miliz hielt auf einem Wachturm im Wald Tag und Nacht Stellung. Das Haupttor an der Harmoniestraße bildete den einzigen Zugang zur Siedlung. Auch neben dem Tor stand ein Wachturm, von dem aus ein Milizsoldat jeden sehen konnte, der sich von der Straße aus näherte.

In der bisherigen Existenz von Fount Royal hatten die Indianer für keinerlei Probleme gesorgt; vielmehr waren sie so unsichtbar, dass Bidwell sich gut hätte fragen können, ob es im Umkreis von hundert Meilen überhaupt Rothäute gab. Doch da waren die seltsamen Symbole, die Solomon Stiles während eines Jagdausflugs auf den Stamm einer Kiefer gemalt gefunden hatte. Stiles, ein geachteter Trapper und Jäger, hatte Bidwell erklärt, dass die Indianer die jenseits der Symbole liegende Wildnis als eine Gegend gekennzeichnet hatten, die nicht betreten werden durfte. Obwohl Bidwell das umliegende Land gehörte, entschloss er sich, nichts weiter zu unternehmen. Am besten ließ man die Rothäute in Ruhe, bis die Zeit gekommen war, sie auszuräuchern.

Es schmerzte Bidwell, zu sehen, in welch verfallenem Zustand sein Traum sich inzwischen befand. Es gab zu viele leerstehende Häuser, zu viele vom Unkraut überwucherte Gärten, zu viele zerbrochene Zäune. Herrenlose Schweine suhlten sich im Matsch und bissige Hunde streunten umher. Im letzten Monat waren in mehreren Nächten fünf Gebäude Bränden zum Opfer gefallen, die mit harter Arbeit errichtet und dann verlassen worden waren. Der Rauchgeruch hing noch immer in der Luft. Bidwell wusste, wen die Siedler für die Brände verantwortlich machten. Selbst wenn sie nicht persönlich Hand angelegt hatte, dann waren es die Hände – oder auch Klauen – der teuflischen Biester und Kobolde, die sie heraufbeschworen hatte. Denn ihre Sprache war das Feuer, und sie machten damit nur allzu deutlich, was sie sagen wollten.

Sein Traum lag im Sterben. Sie brachte ihn um. Ihr Geist – ihr Phantom – flüchtete durch die Gefängnisstäbe und starken Wände der Zelle, die ihren Körper gefangen hielten, und tanzte und trieb sich mit ihrem unheiligen Liebhaber herum, um noch mehr Schäden an Bidwells Traum zu planen. Eine solche Hydra als Strafe in die Wildnis zu verbannen, reichte nicht aus. Sie hatte gesagt, dass sie nicht gehen würde, dass keine Macht dieser Erde sie von ihrem Zuhause vertreiben könnte. Wenn Bidwell ein weniger rechtschaffener Mann gewesen wäre, hätte er sie vielleicht schon gleich zu Anfang hängen lassen und sich den ganzen Ärger erspart. Jetzt lag die Sache vor Gericht. Gott stehe dem Richter bei, der darüber entscheiden musste.

Nein, dachte er grimmig. Gott stehe Fount Royal bei!