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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Vorwort

Prolog

Warum, Franz?

Der Ritterschlag des Radfahrers

Meine Tränen der Freude

Das epische Leid und das epische Glück

Im Windschatten meines Teams

Franzi, das ist unser Game

Meine Rekorde

Meine Moral

Gewinnen, um zu siegen?

Epilog

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2017 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-99048-938-3

ISBN e-book: 978-3-99048-939-0

Lektorat: Susanne Schilp

Umschlagfoto: Franz Venier

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Franz Venier

Konzept und Idee:
Gottfried Lutz, Franz Venier

www.novumverlag.com

Vorwort

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Tobias Moretti und ich nach einer gemeinsamen Ausfahrt

Wenn es so etwas wie eine Symbiose aus Leidenschaft und Extremsport gibt, verkörpert dies der ungekrönte König der Schmerzen und des Radsports Franz Venier. Immer wieder ist mir dieser Venier in die Quere gekommen, als Ansporn, als Zugpferd, als beleidigendes Korrektiv. Dieser Mensch ist ein Phänomen, und dass er nun mit über 50 Jahren seine sportliche Karriere beendet hat und trotzdem der Alte bleibt in seiner Suche nach neuen Perspektiven und neuen Zielen, ist nur eine Konsequenz dessen, was er verkörpert. Er ist des Weiteren eine Koryphäe in jenem Sinne, dass er die Grobschlächtigkeit eines Tirolers, jene Sturheit, die uns manchmal mehr schadet als nützt, mit seiner herrlichen Leichtigkeit und seinem Witz beseelt. Seine Neugier und sein Interesse verzweigt sich weit jenseits des Sports bis in die Kapillaren der Hochkultur. Man entkommt ihm naturgemäß nicht. Darüber hinaus ist Venier für mich der Inbegriff des Sports schlechthin, wenn es um die Definition im archaischen olympischen Sinne geht. Dafür, dass dies lebbar ist und geht, hassen ihn jene, die sich arrangiert haben. Er hat es nicht.

Dafür bewundere ich ihn und wünsche ihm, dass er bis zum letzten Tritt diese „Tretscheibe“ bleibt: beständig und in Bewegung.

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Tobias Moretti

Prolog

Seit Jahren habe ich Ende August keinen so angenehmen, warmen Sommerabend in Sölden erlebt. Hinter mir liegt ein erfolgreiches und lustiges Radsportcamp im Hotel Alpina. Diese Radsportcamps zur Vorbereitung der Teilnahme am legendären Ötztaler Radmarathon veranstalte ich schon seit einem Jahrzehnt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren durch das schöne Wetter während der ganzen Woche besonders motiviert und leistungsbereit.

Heute ist der letzte Abend des Camps und ich gönne mir zum Abschluss ein Glas Rotwein in einem netten Straßencafé. Das Zentrum von Sölden ist voller Menschen aus ganz Europa. Die Straßen sind frisch gewaschen und die Luft ist rein. Morgen ist es wieder soweit. „Ich habe einen Traum!“ – das ist das Credo der jährlich rund 4 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ötztaler Radmarathons. Die Strecke über 238 Kilometer und vier Alpenpässe macht das alljährlich Ende August stattfindende Kräftemessen der Breitenradsport-Szene zum ultimativen Showdown. Die Starterinnen und Starter kämpfen morgen um ein Durchkommen und heute Abend um einen Sitzplatz im Café. Ich beobachte das energische Treiben und trinke einen Schluck Rotwein. Aus meinen Gedanken und Beobachtungen reißt mich eine bekannte Stimme. Ernst Lorenzi, der Organisator des Ötztalmarathons, begrüßt mich und setzt sich zu mir.

Mittlerweile ist es 21.30 Uhr. Arbeiter montieren die letzten Transparente, bauen Bühnenelemente auf und checken die Straßenabsperrungen. In knapp neun Stunden fällt der Startschuss. Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Marathons kommen von der Pasta-Party und tauschen Erfahrungen aus.

Das Stimmungsbild: Musik, Gelächter und gute Laune. Ernst Lorenzi verabschiedet sich und ich wünsche ihm alles Gute. Ich bleibe und bestelle mir einen großen Eisbecher. Ein etwas eigenartiges Gefühl steigt in mir hoch. Soll ich nach 20 Jahren doch noch mal den offiziellen Ötztalradmarathon fahren? Soll ich mir einmal noch eine Startnummer anlegen?

Meine Gedanken holen mich ein und ich beginne mit etwas Wehmut, aber auch mit Stolz über meine Extremsportkarriere nachzudenken. In meiner Erinnerung tauchen viele Szenen, Begebenheiten, Bilder und Anekdoten der letzten 20 Jahre auf.

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Mit Ernst Lorenzi, dem langjährigen Organisator
des Ötztalradmarathons

Warum, Franz?

Unzählige Male wird mir die Frage gestellt, warum ich Ultraradmarathons fahre, warum überhaupt jemand an der so ziemlich härtesten Sportveranstaltung der Welt, dem Race Across America, teilnimmt. Schlafentzug, Müdigkeit, Kälte, Hitze, Regen, Schneefall, Stürme, Trockenheit, Schmerzen, tausende Kilometer in wenigen Tagen, abertausende Höhenmeter, Millionen von Pedalumdrehungen.

Warum tue ich mir das an?

Nun, ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, diese Frage kurz und bündig zu beantworten: weil es mir Freude macht!

Mein Tonfall und meine Mimik sollten dabei dem Fragesteller signalisieren, dass Nachfragen nicht erwünscht ist. In den meisten Fällen funktioniert das gut. Mein Antwortverhalten ist einerseits ein Selbstschutz, denn bei vielen Zeitgenossen rufen diese Unternehmungen neben ehrlicher Bewunderung auch ehrliche Verwunderung und Kopfschütteln hervor. Natürlich sind diese Leistungen ohne Enthusiasmus und Freude nicht möglich.

Andererseits gibt es nicht nur eine Erklärung, sondern die Antwort ist vielschichtig und in vielen Fällen fehlen mir einfach die Zeit und die Lust, diese Frage erschöpfend zu beantworten. Für mich persönlich gibt es drei Hauptmotive, jedes für sich hat eine eigene Qualität und zusammen liefern sie die besondere Energie, die notwendig ist, um diese extremen sportlichen Herausforderungen, denen ich mich im Laufe meiner Karriere gestellt habe, erfolgreich zu meistern.

Die Basis ist die Leidenschaft für den Sport, die Lust an der Bewegung. Und natürlich diese Leidenschaft für das Rennradfahren. Wenn ich, reduziert auf das Wesentliche – Rahmen, Laufräder, Pedale, Lenker und Sattel – dahinrolle, das Surren der Laufräder und des Antriebssystems höre, den Fahrtwind auf der Haut spüre, mich mit schnellen, rhythmischen Tretbewegungen fortbewege, dann hat das beinahe etwas Meditatives. Mehr noch, dann bin ich mit mir im Reinen, mit jedem gefahrenen Kilometer entferne ich mich immer mehr vom Alltagstrott, ich erlebe ein Glücksgefühl, das in einen Flowzustand übergeht, bei dem es nur mehr das Hier und Jetzt gibt und ich vollkommen in der mich umgebenden Natur aufgehe. In diesen Momenten gibt es kein Gestern und kein Morgen.

Selbst bei harten Trainingsintervallen, wenn ich an die Grenzen meiner physischen Belastbarkeit gehe, oder in schwierigen Rennsituationen, wenn ich nicht nur an meine physischen, sondern auch an meine psychischen Grenzen stoße, versuche ich, die Erinnerung an dieses Gefühl zu aktivieren. Neben der Fokussierung auf das Ziel, neben meinem Willen und meiner Widerstandsfähigkeit hilft mir der Gedanke an dieses besondere Glücksgefühl über qualvolle Situationen hinweg.

Ich bin mir sicher, jeder ambitionierte Hobbyrennradfahrer, der regelmäßige Ausfahrten unternimmt, weiß um diese besondere Faszination des Rennradfahrens.

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Rennszene vom Race across the Alps (RATA)

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Leidenschaft Bergfahren

Ein weiterer wichtiger motivierender Faktor ist das Ausloten meiner Grenzen. Wie weit kann ich gehen? Welche extremsportlichen Herausforderungen kann ich noch bewältigen? Das ist vielleicht vergleichbar mit dem Drang vieler Bergsteiger, immer schwierigere Gipfel zu erklimmen. Es ist der Drang nach Entwicklung. Im Grunde genommen ist es für mich etwas Selbstverständliches, seine Talente und Begabungen, so man das Glück hat, sie zu erkennen, weiterzuentwickeln und zu fördern. Das gilt nicht nur für den (extrem-)sportlichen Bereich, sondern natürlich auch für künstlerisch-kreative, handwerkliche, sozial-kommunikative oder andere berufliche Bereiche oder Hobbys. Und mein besonderes Talent ist es offensichtlich, über viele Stunden körperliche Höchstleistungen zu erbringen und daraus Lebenssinn zu schöpfen.

Es ist allerdings nicht so, dass ich eines Tages aufgewacht bin und den Entschluss gefasst habe, mich im Extremradsport zu versuchen. Nichts deutete darauf hin, ganz im Gegenteil. In meiner Kindheit und Jugend spielte der Sport zwar eine große Rolle. Im Winter dominierte für mich als Bub in Tirol natürlich das Schifahren, ansonsten spielte ich leidenschaftlich gerne Fußball. In beiden Sportarten wurde mir Talent attestiert. Im Fußball war ich technisch versiert und sprintstark, allerdings hatte und habe ich ein ziemliches Handicap: eine extreme Kurzsichtigkeit. Momentan liege ich bei
19 Dioptrien. Damals war es zwar noch nicht so schlimm, allerdings schlimm genug, um diesen Sport, der eine blitzschnelle Raumorientierung und einwandfreies Tiefensehen erfordert, nicht so ausüben zu können, wie ich mir das erträumt hatte.

Ich spielte bis Mitte der 90er-Jahre in meiner Freizeit Fußball beim FC Axams, zuletzt in der Regionalliga West. Ich war nicht besonders ehrgeizig, für mich war es sensationell, in der dritthöchsten österreichischen Spielklasse dabei sein zu können! Nicht nur das, es gab auch noch Geld dafür: Auf einmal gab es Punkteprämien, bar auf die Hand. Zwar nicht viel, vielleicht umgerechnet 50 Euro, für mich aber heute noch unglaublich. Denn als Radsportler fährt man tausende Kilometer, bei Regen, bei Schnee, bei Dunkelheit, bei Gegenwind, mit drei Paaren Handschuhen übereinander, um der Kälte zu trotzen, und man bekommt nichts. Ein drittklassiger Fußballer bekommt als Mitläufer, mit relativ wenig Leistung, relativ viel. Die Prämien setzte ich meistens sofort in der Sportplatzkantine um.

Mein damaliger Trainer beim FC Axams, die Fußballlegende Waldemar Graciano, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Jacaré“, der in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts erstmals brasilianischen Flair bei der Wiener Austria verbreitete und den die Liebe nach seiner aktiven Karriere nach Tirol verschlug, meinte nach meinen ersten Erfolgen im Langstreckenradsport: „Gigi, wenn du als Fußballer so viel trainiert hättest wie als Radsportler, dann wärst du beim FC Barcelona gelandet.“ Bei seinem damaligen Trainerkollegen, dem ehemaligen Tiroler Fußballprofi Hans Trenkwalder, erntete ich regelmäßig Unverständnis, wenn er von meinen kommenden radsportlichen Herausforderungen erfuhr: „Gigi, du spinnst, was hast du jetzt schon wieder vor?“ (Anm.: Gigi war mein Spitzname als Fußballer, mit dem mich Jacaré in Anlehnung an den Italiener Luigi „Gigi“ Riva, einen der weltbesten Stürmer der 60er-Jahre, adelte. An meinem fußballerischen Talent kann die Namensgebung allerdings nicht gelegen haben.)

Mein Lebenswandel war alles andere als sportlich. Ich rauchte durchschnittlich zwei Packungen Marlboro am Tag, genoss die Tiroler Hausmannskost im Übermaß, lebensfroh und leutselig, wie ich nun mal bin, genehmigte ich mir in geselliger Runde auch gern das eine oder andere Bierchen zu viel, ein paar überschüssige Kilo polsterten meine Hüften.

Diesen wenig vorbildhaften Lebensstil pflegte ich bis zu meinem 30. Lebensjahr. Meine Fußballkarriere neigte sich dem Ende zu. Meine Beine schmerzten bereits, wenn ich die Fußballschuhe zum Training oder zum Wettbewerbsspiel schnürte und signalisierten mir Rebellion, so als wollten sie mir sagen: Franz, es reicht! Der Gedanke an die vielen Hartplätze, die meine Füße in Kombination mit den mit Eisenstoppeln bewehrten Fußballschuhen malträtierten, bereitet mir heute noch Unbehagen.

Eine Beziehungskrise mit meiner damaligen Ehefrau mündete in die Scheidung, ich wurde meiner überdrüssig, kurz gesagt, ich hatte den Blues und das ziemlich heftig. Ich spürte, dass ich etwas ändern musste. Nur was genau?

Eine schicksalshafte Begegnung im Hallenbadrestaurant von Axams war der Wendepunkt. Man könnte meinen, dass es romantischere Orte gibt, um die Liebe seines Lebens zu finden. Aber alleine die Erinnerung daran lässt das eher nüchterne Hallenbad-Gastroambiente in einem strahlenden Licht erscheinen. Und das nach mehr als 20 Jahren. Ich lernte an besagter Bar Karin kennen, die mich sofort mit ihrem Charme, ihrer Klugheit, ihrem Witz und ihrer Attraktivität in den Bann zog. Karin ist meine Lebenspartnerin und Ehefrau, die mich seit dieser Begegnung in meinem Tun unterstützt, für Halt und Stabilität in meinem Leben sorgt und mich vor allem so liebt, wie ich bin. Bis zur Geburt unseres Sohnes Luca hat sie mich zu jedem Rennen begleitet.

Mein letztes Bewerbspiel im Fußball war ein Cupspiel gegen den oberösterreichischen Traditionsclub Vorwärts Steyr. Beim Überqueren der Straße zum Fußballplatz rauschte ein Rennradfahrer an mir vorbei. Ich sah ihm nach, war tief beeindruckt und dachte: Der schaut aber lässig aus, ein tolles Benotti-Rennrad, eine schicke Raddress, coole Sonnenbrillen, Adidas-Stirnband (Radhelm war damals noch kein Thema) und zu all dem – Rennradfahren verursacht weder schmerzende Beine durch eisenbenoppte Schuhe, noch gibt es körperbetonte Zweikämpfe. Das wird mein Sport!

Ein Fußballkollege war weniger beeindruckt, als ich ihm davon erzählte und meinte: „Radfahren ist nur etwas für Schwule und Idioten.“ Ich wertete das als Einzelmeinung und möchte hier nicht das Klischee vom unreflektierten, vorurteilsbehafteten Fußballer strapazieren, das zu jener Zeit in gebildeten Kreisen verbreitet war. Jedenfalls konnte er mich nicht von meinem Entschluss
abbringen.

Ich kontaktierte „Pfitschn Heinz“, einen ehemaligen Radrennfahrer, der in den 70er-Jahren zu Zeiten der österreichischen Radsportlegenden Wolfgang Steinmayr und Rudi Mitteregger so manchen Sieg einfuhr, und bat ihn, mit mir eine Ausfahrt zu machen.

Es war für mich eine große Ehre, mit einem ehemaligen Tiroler Radsportidol eine Runde zu drehen. Er fuhr mit einer Bianchi-Rennmaschine, ich war mit einem Trekkingrad technisch etwas „underdressed“. Wir fuhren die Strecke Leutasch–Walchensee und retour. Nach diesen rund 70 Kilometern fühlte ich mich wie ein Etappensieger bei der Tour de France. Auch Heinz war von meiner Leistung beeindruckt und er meinte: „Franz, du musst unbedingt aufs Rad!“ Ich sollte ihn nicht enttäuschen.

Eine Woche später war ich Gründungsmitglied des Radsportklubs „Freizeitverein Axams“. Vereinsobmann wurde klarerweise der Wirt des Freizeitzentrums, zugegebenermaßen auch eine strategische Besetzung, denn wir sind ja gesellig und wollten uns nach dem Training ein, zwei Bier gönnen. Das waren die Anfänge meiner Radsportleidenschaft. Meine Vereinskollegen und ich sind mit dem Mountainbike drei- bis viermal pro Woche auf umliegende Almen gefahren. Als Höhepunkt der ersten Saison wurde kurzfristig der Ötztalradmarathon auserkoren. Schon damals einer der schwierigsten Radmarathons Europas, ein Mythos und „Gottseibeiuns“ unter vielen Radsportlern. Die Strecke führte, so wie heute, über vier Pässe mit 238 Kilometern und insgesamt
5 500 Höhenmetern. Aber dazu später.

Ausgehend von einer persönlichen Krise wurde vor über 20 Jahren ein Keim gelegt, der sich rasch entwickelte und sich zu einer sportlichen Karriere auswuchs, die seither mein Leben und meine Persönlichkeit prägen.

Zurück zu meiner Motivation, Extremradsport zu betreiben. Es waren weniger narzisstische Beweggründe, wie etwa der Drang, sich mit außergewöhnlichen Leistungen selbst zu bestätigen oder vielleicht andere zu beeindrucken, ausschlaggebend. Selbstverständlich war ich nach jedem Erfolg sehr stolz und genoss die Anerkennung. Mit den Erfolgen kommt der Wunsch nach weiteren Erfolgen und Herausforderungen. Wenn man einmal gewinnt, möchte man ein zweites Mal gewinnen. Wenn man zweimal gewinnt, kann man nicht genug bekommen.

Nicht nur Hobbypsychologen vermuten hinter sportlichen Extremleistungen den unbewussten Versuch, einen Selbstwertmangel zu kompensieren. Natürlich gab es auch in meiner Entwicklung Kränkungen und Defizite. Am Ende meiner Hauptschulzeit war es mein sehnlichster Berufswunsch, Sportlehrer zu werden, und ich hätte mir diesen Weg durchaus zugetraut. Mein damaliger Klassenlehrer, den ich sehr bewunderte, riet aber eindringlich davon ab: „Vergiss das, Franzi, dazu bist du zu blöd.“

Es ist nachvollziehbar, dass ich verunsichert und in meinem Selbstwert verletzt war. Ich war klein, schüchtern und kurzsichtig. Die Pädagogik zu dieser Zeit war wenig feinfühlig und auf Zucht, Ordnung und Gleichförmigkeit ausgerichtet. Die Förderung von individuellen Kompetenzen und Begabungen der Schulkinder war noch kein Thema.

Des Öfteren habe ich damit gehadert und mir die Frage gestellt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn solche entscheidenden Weichenstellungen anders verlaufen wären.

Letztendlich bin ich zur Erkenntnis gelangt, dass es müßig ist zu hadern, denn ich kann die Vergangenheit nicht mehr ändern. Ich kann aber das Hier und Jetzt gestalten, mit meinen Fähigkeiten, meiner Persönlichkeit, meinem Ehrgeiz und meinen Träumen, auf der Grundlage meiner positiven und negativen Lebenserfahrungen.

Wenn erlittene Kränkungen und subjektiv empfundene Unzulänglichkeiten eine Haupttriebfeder für meinen Weg in den Extremradsport gewesen wären, so wäre ich vermutlich relativ rasch ausgebrannt wie ein Komet, der in die Erdatmosphäre eintritt. Ich wäre möglicherweise zunehmend verbittert geworden angesichts der Aufgaben, die ich zu bewältigen hatte: Familie, Vollzeitjob, tägliches Training und der Rennkalender.

Neben der Leidenschaft für das Rennradfahren und dem intuitiven Drang, die eigenen Begabungen und Talente weiterzuentwickeln, kam nach den ersten Erfolgen noch ein zusätzlicher Aspekt hinzu: Leistungsdruck und Verantwortungsbewusstsein.

Natürlich fühlte ich mich meinen Sponsoren und Förderern verpflichtet, die mir die Realisierung meiner Ziele mit ihrer materiellen Unterstützung erst ermöglichten. Für das Race Across America im Jahr 2002 beispielsweise stand ein Budget von rund 37 000 Euro

Materielle Anreize spielen als Motivator eine untergeordnete Rolle. Wiewohl ich meinen Hauptwohnsitz nach Malibu im sonnigen Kalifornien verlegt habe, weil ich so viel Geld mit meinen Erfolgen gescheffelt habe, dass ich bis zum Ende meiner Tage ausgesorgt habe.

Natürlich ein Scherz, Malibu ist nur in meinem Facebook-Account der fiktive Wohnort und mit Extremradsport lässt sich nicht wirklich viel Geld verdienen. Bei den meisten Extremradsportrennen in Europa gibt es „Blechhäfn“, sprich Pokale, und einen Händedruck zu gewinnen. Bei einigen wenigen Klassikern gibt es ein schönes Preisgeld und wenn man sehr, sehr erfolgreich ist, gibt es da und dort auch ein gutes Startgeld. Beim Raid Extreme Provence Ultraradmarathon in Südfrankreich beispielsweise erhält der Sieger des Einzelrennens 5 000 Euro Preisgeld. Wenn man bedenkt, dass man Fahrtkosten, Reisespesen, Verpflegung und Hotelkosten für drei Betreuer für rund eine Woche in der Provence, einem der teuersten Pflaster in Frankreich, finanzieren muss, dann bleibt von diesem schönen Preisgeld nicht mehr viel übrig. Vielleicht noch eine lustige Anekdote zum Thema Preisgeld: In meiner Anfangszeit nahm ich an einer Südtirolrundfahrt teil. Bei der ersten Etappe wurde ich Dritter, die zweite Etappe war ein Zeitfahren über 20 km, das ich gewonnen habe. Bei der abschließenden Preisverleihung erhielt ich zwei Kartons Südtiroler „Golden Delicious“-Äpfel, zwei Kartons Lagrein, Schokolade und auch noch Schnaps vom Roner, einer der bekanntesten Destillateure aus Tramin in Südtirol. Ich hatte auf der Rückfahrt im Auto zwar keinen Platz für meine beiden Rennräder, dafür jede Menge Äpfel, Wein und Schnaps.

Mit dieser Sportart wird man nicht reich, man übt sie aus Enthusiasmus und Leidenschaft aus. Für mich ist Extremradsport eine Lebensphilosophie, die meinem Wesen und meinen Begabungen entspricht. Durch meine Erfolge habe ich allerdings die Voraussetzung geschaffen, um mir durch Vorträge, die Durchführung von Radsportcamps und durch Sportcoaching ein zweites berufliches Standbein aufzubauen, das ich nun stärker forcieren möchte.