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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Einleitung

Vorwort

Was mich geradezu drängte, dieses Buch zu schreiben

Meine erlebnisreiche Volksschulzeit

Das Gymnasium – eine Bildungsstätte der Bewährung

In der Ferienzeit Leiharbeiter

Vier Jahre Landesschülerheim – vier Jahre gestohlene Kindheit

Die Lehrerbildungsanstalt – ehrwürdig, verstaubt und stockkonservativ

Allgemeines

Die Lehrerbildner

Die schulpraktische Ausbildung

Die ersten Dienstjahre – wolkig bis heiter

Mein erster Dienstposten – ein Horror

Ein neues, bundeseinheitliches Dienstrecht für die Lehrer

10 Jahre Schulleiter an einer Landschule – Freude an Gestaltung

Bald im Dorfleben verankert

Neues Schulunterrichtsgesetz – Erziehungsmittel

25 Jahre Schulleiter an einer Kleinstadtvolksschule

Parteipolitisches Gerangel um die Leitung der Schule

Ein wenig erfreulicher Start

Bemerkungen zum Religionsunterricht

Erste interessierte Hinwendung zur Philosophie, daraus resultierende Reflexion meiner Unterrichtstätigkeit in den anfänglichen Berufsjahren sowie erste Versuche alternativer Unterrichtsgestaltung

Neue Mathematik („Mengenlehre“), die große Verweigerung durch die Grundschullehrer

Der amerikanische „Sputnikschock“ bescherte uns den streng geplanten lernzielorientierten Unterricht

Der Unterricht der letzten Jahrzehnte bis heute: kopflastig, unter sträflicher Vernachlässigung des körperlichen Persönlichkeitsbereiches – kaum Änderung in Sichtweite

Die Erstellung eines Schulleitbildes – ohne gravierende Änderung der Strukturen und eine Reform der Pflichtschullehrerausbildung ein wertloses Stück Papier

Wie soll es weitergehen? Ein Blick in die Zukunft

Das Problem des Repetierens und meine Forderung nach Abschaffung der Schulnoten an der Grundschule

Einige Vorschläge zur grundlegenden Umgestaltung der Organisation der österreichischen Schullandschaft sowie der Dienstzeit der Lehrer

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2016 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-99048-592-7

ISBN e-book: 978-3-99048-593-4

Lektorat: Christine Schranz

Umschlagfoto: Hugolacasse | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Einleitung

Der Segen der Welt ist gebildete Menschlichkeit.

Heinrich Pestalozzi

Vorwort

Ich wollte dieses bereits im fortgeschrittenen Stadium befindliche Buch nicht mehr zu Ende schreiben. Warum tue ich es trotzdem? Die Gründe, die ursprünglich maßgeblich und für mich von Bedeutung waren, es zu verfassen, werden in der Einleitung ausführlich dargestellt. Ich konnte mich aber nicht dazu durchringen, es fertig zu stellen, denn ich war mir nicht sicher, ob es für einen Leser von Bedeutung und Interesse sein könnte, ein Buch über subjektive Erlebnisse und Wahrnehmungen eines Lehrers ohne primär pädagogisch-wissenschaftlich fundierte und formulierte Inhalte zu lesen. Ein solches Buch mit ähnlichem Inhalt wie meines könnten zahllose Lehrer schreiben, dachte ich resignierend, und hatte die schon weit gediehene Niederschrift bereits beiseite gelegt, bis das im Folgenden geschilderte Erlebnis den entscheidenden Anstoß zur Finalisierung meines Vorhabens gab.

Drei ehemalige Schüler, stattliche junge Burschen um die 25 Jahre, gaben mir wieder Motivation und Mut, meine „pädagogisch orientierte Autobiografie“, wie ich das Schriftstück gerne nenne, doch noch zu einem Ende zu bringen. Es war ein Erlebnis, das mir zeigte, dass man als Lehrer den Unterricht trotz Leistungsanforderung und durchaus autoritär orientiert menschlich gestalten konnte und von vielen ehemaligen Schülern lange nach deren Schulzeit noch Anerkennung und Wertschätzung erfährt.

Meine Frau und ich saßen eines Abends mit Freunden im Gastgarten einer Buschenschänke – in Wien, Niederösterreich und im Burgenland werden diese Weinschänken Heurige genannt , als plötzlich eine Schar mehr grölender als singender und durch Alkoholkonsum schon entsprechend angeheiterter Burschen den Garten betrat und sich an einem größeren Tisch unweit unseres Platzes niederließ. Wie uns der Wirt auf unsere Frage hin mitteilte, kämen sie gerade von einem gewonnenen Fußballmeisterschaftsspiel und jetzt werde noch weitergefeiert. Der durch die ausgelassene Burschenrunde ausgelöste Lärmpegel stieg im Gastgarten fast ins Unerträgliche und wir beschlossen, unsere Getränke noch auszutrinken und dann die Buschenschänke zu verlassen.

Da erhoben sich vier Burschen, welche immer wieder zu uns herübergeschaut hatten, von ihren Sesseln und steuerten geradewegs mit schon leichter Schlagseite, aber doch um einen sicheren Gang bemüht, auf unseren Tisch zu. Als sie vor uns standen, gaben sie sich große Mühe, trotz wackeliger Beine eine korrekte Haltung einzunehmen. Während der vierte etwas Abstand hielt, reichten die ersten drei meiner Frau und mir höflich die Hand und fragten leicht lallend in gespannter Erwartung, ob wir sie noch erkennen würden, denn sie wären nämlich einmal unsere Schüler gewesen. Wie riesengroß, geradezu kindhaft entzückt, war ihre Freude, als wir sowohl ihren Vor- als auch Nachnamen nannten.

„Mich kennt er noch, nach fast fünfzehn Jahren!“, rief der eine sichtlich überrascht und aus dem anderen brach es staunend heraus: „Mein Direktor weiß auch noch, wie i heiß. Das gibt’s ja gar nicht. Du warst … Entschuldigung! Sie waren der coolste Lehrer, den i je gehabt hab.“ Und der dritte Bursche, der vier Jahre in der Klasse meiner Frau verbracht hatte, fiel ihr sogar um den Hals und jubelte: „Endlich treffe ich meine Lehrerin wieder! Nach so vielen Jahren.“

Natürlich ergab sich ein ausgelassenes, heiteres Gespräch mit dem Austausch vieler Erinnerungen, welche ich hier nicht wiedergeben möchte. Leid tat mir der vierte junge Mann, welcher bedauernd meinte:

„Leider hatte ich keine so schöne Volksschulzeit. Die Buben mochte unsere Lehrerin fast alle nicht. Außerdem war sie immer schlecht gelaunt und wir mussten das oft büßen. Ein Fußballspielen kam überhaupt nicht in Frage. Wenn wir beim Turnen zu ausgelassen umhertollten oder zu laut waren, gab es für den Rest der Stunde Stillsitzen in der Garderobe. Und Schwimmunterricht hielt sie überhaupt keinen, weil sie selbst nicht schwimmen konnte. Ich erinnere mich ganz und gar nicht gerne an meine gesamte Schulzeit. Bei Ihnen durfte ich in der Schulmannschaft mitspielen und ich freute mich auf jedes Training.“

Das uns begleitende Ehepaar war bass erstaunt ob dieser spontanen Freudenkundgebungen und positiven Erinnerungen unserer drei Schüler, die übrigens alle maturiert hatten und von denen einer sein Studium auch schon beendet hatte. So etwas hatten unsere Freunde noch nie erlebt. Für mich war dieses Zusammentreffen die auslösende Motivation, mein schon lange begonnenes Buch nun doch noch zu finalisieren.

Was mich geradezu drängte, dieses Buch zu schreiben

Schulpolitische Missstände, persönlich Erlebtes und auch Erlittenes veranlassten mich, dieses Buch über die dreiundfünfzig Jahre, die ich in Schulen – zuerst als Schüler, später als Lehrer und über 30 Jahre auch als Schulleiter – zubrachte, zu verfassen.

Ein Grund ist die schon über Jahrzehnte hindurch sporadisch immer wiederkehrende, von völlig unkompetenten Politikern und auch sogenannten Experten geführte Bildungsdiskussion, welche jedes Mal nach den katastrophalen Ergebnissen der PISA-Studie (PISA = Programme for International Student Assessment) ausgelöst wurde. Fazit dieser standardisierten Leistungsmessung der Schüler/Innen – in der Folge gilt für beide Geschlechter nur die maskuline Form Schüler – der OECD-Länder ist: Österreich befindet sich auf dem besten Weg, ein Bildungsentwicklungsland zu werden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einige maßgebende möchte ich in dieser Einleitung anführen.

Der Hauptgrund ist wohl die Tatsache, dass grundlegende Schulgesetze im Verfassungsrang stehen und daher im Parlament nur mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden können. Sie können demnach nur schwer an gesellschaftliche Veränderungen wie z. B. die Berufstätigkeit beider Elternteile oder Alleinerziehender, veränderte Lebensgewohnheiten, die Integration von Immigrantenkindern, aber auch die immer größer werdende Dominanz der elektronischen Medien angepasst werden. Diese und andere Umstände würden generell für alle Schüler eine Ganztagsschule erfordern, welche die ideologisch rechtslastigen Parteien kategorisch ablehnen. In ihren politischen Vorstellungen herrscht noch das konservative Familienbild vor, wonach der Mann für die Lebensgrundlage seiner Familie sorgen solle, während die Frau für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig sei.

Eine ganztägige Schulform könnte auch die erschreckenden Bewegungsdefizite der Jugend ausgleichen helfen. Die Olympischen Spiele 2012 in London, bei welchen die österreichischen Olympioniken ohne Medaillen blieben, hat, wie auch bei den vielen sportlichen Misserfolgen üblich, eine öffentliche Diskussion vor allem über den Schulsport ausgelöst. Sofort wurde in völliger Verkennung der zeitlichen und lokalen Ressourcen von den Politikern, beraten von selbst ernannten Experten, publikumswirksam die tägliche Turnstunde gefordert. Geschehen ist dahingehend nichts, das Thema samt Ganztagsschule schon wieder sanft entschlafen.

Weiters böte die Einführung einer gemeinsamen Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen (Gesamtschule) viele pädagogische Vorteile und würde soziale Unterschiede in unserer Gesellschaft ausgleichen helfen. Gerade noch zu einem Schulversuch für fünfzehn Prozent der Schulen eines Bundeslandes konnte man sich durchringen. Das Ergebnis dieser schlecht durchdachten Maßnahme ist, dass in den größeren Städten und dort, wo sich eine Langform des Gymnasiums befindet, die Eltern ihre Kinder fast ausschließlich in diese schicken. Die sogenannte Neue Mittelschule – als Aufwertung der Hauptschule gedacht – hat sich aus demselben Grund als Rohrkrepierer herausgestellt.

Leider entstanden und entstehen die Gesetze in Österreich durch fadenscheinige, ideologisch argumentierte Kompromisse, die fast immer mit einem fragwürdigen „Kuhhandel“ verbunden wurden bzw. heute noch werden. Die Novellierung des Schulorganisationsgesetzes zu Beginn meiner Lehrerlaufbahn Anfang der Sechzigerjahre war so ein unseliger Konsens, an dem unser Schulsystem im Pflichtschulbereich noch heute laboriert: Die konservativen Rechten wollten – vollkommen zu Recht, wie es sich später herausstellen sollte – die fünfjährige Grundschule, die Linken legten sich auf den Polytechnischen Lehrgang als neuntes Schuljahr fest und verknüpften ihre Forderung mit der Zustimmung zum Konkordat, welches dem Koalitionspartner in der gemeinsamen Regierung ein wichtiges Anliegen war. Die Linken setzten sich im Bildungsbereich durch und schufen damit einen Schultyp, welcher von der Bevölkerung nie wirklich angenommen wurde.

Heute zeigt es sich, dass eine Verlängerung der Schuleingangsphase – in welcher Form auch immer – für die weitere Schullaufbahn aller Kinder von eminenter Wichtigkeit gewesen wäre. Mit der Einführung eines Pflichtkindergartenjahres für alle Fünfjährigen wird jetzt endlich der richtige Weg beschritten, doch sind sich die Parteien über die Finanzierung noch nicht einig, da in allen Gebietskörperschaften das Diktat der leeren Kassen herrscht und weder Bund, Länder noch Gemeinden Kompetenzen abgeben möchten.

Der große Wurf einer Schulreform, nämlich die gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen, wie sie in fast allen europäischen Ländern mit Erfolg praktiziert wird, scheiterte bisher an der ideologischen Sturheit und bildungspolitischen Inkompetenz der konservativen rechten Politiker. Außerdem ist in deren Köpfen der Zugang zu höherer Bildung noch immer ein Privileg, welches in erster Linie ihren sozial bessergestellten Wählerschichten vorbehalten sein solle.

Genauso uneinsichtig zeigen sich die Rechten in der Frage des Repetierens: Sie nehmen noch immer in Kauf und finden es menschlich, sozial und wirtschaftlich in Ordnung, dass ein Schüler wegen ein oder zwei im Jahreszeugnis negativ beurteilter Gegenstände auch die positiv absolvierten wiederholen muss und damit ein ganzes Jahr verliert. Es wäre auch dringend an der Zeit, für die Oberstufe der höheren Schulen über ein Kurssystem nachzudenken, dann könnte mit einem Schlag das Problem des Sitzenbleibens obsolet sein.

Bevor diese Reformen in Angriff genommen werden, sollten kompetente und angesehene Wissenschafter sowie Schulpraktiker in Verbindung mit einer weitgehend ideologiefreien, öffentlichen Diskussion die Inhalte eines von einer breiten Bevölkerungsmehrheit akzeptierten Bildungsbegriffes festschreiben. Jeder stellt sich unter Bildung etwas anderes vor. Denn nur wer genau weiß, wohin er will, der kommt auch dort an. Das Bildungsvolksbegehren im Jahre 2013 ist maßgebend auch gescheitert, weil es von ausgedienten Politikern und Funktionären, welche vor allem wirtschaftliche Interessen im Auge hatten, initiiert wurde. Was kann man sich von einem ehemaligen Finanzminister und damals noch „Leider-nein-Millionär“ – das hat sich in der Zwischenzeit geändert – erwarten als eine Umgestaltung des gesamten Bildungssystems in Hinblick auf eine wirtschaftsorientierte Leistungsgesellschaft?

Doch die beste Schulorganisation steht und fällt mit den fachlichen und pädagogischen Qualifikationen und Fähigkeiten der in den Klassen stehenden Lehrer. Ich erlebte als Praxisbetreuer und auch als Schulleiter, wie in der Zeit des Lehrermangels – und auch noch lange danach – jede Maturantin und jeder Maturant ohne entsprechende tiefgreifende Selektion in die damals neu geschaffene Pädagogische Akademie – seit Kurzem Pädagogische Hochschule – aufgenommen wurden. Nach ihrer Ausbildung hatten sie zwar ein Lehramtszeugnis in der Hand, waren aber sowohl pädagogisch als auch fachlich vor allem für den Musik- und Turnunterricht oft heillos überfordert und konnten daher für wichtige Aufgaben wie den Schwimmunterricht, das Geräteturnen, die Betreuung einer Fußballmannschaft, die Leitung einer mehrtägigen Schulveranstaltung mit sportlichen Schwerpunkten usw. nicht eingesetzt werden. Neben den genannten fachlichen Kompetenzen mangelte es bei nicht wenigen auch an der „rationalen Autorität“ (E. Fromm) zur Aufrechterhaltung der für ein gedeihliches Unterrichten notwendigen Disziplin.

Ganz arg war es um die musikalischen Fähigkeiten vieler Absolventen bestellt. Nicht wenige äußerten bereits zu Dienstbeginn den Wunsch, nicht Musikerziehung unterrichten zu müssen. Die Leitung eines Schulchores käme erst recht nicht in Frage. Von diesen Problemen und was sie für einen gedeihlichen Unterricht bedeuteten, werde ich in meinen persönlichen Erlebnissen als Schulleiter berichten.

Doch nun zu einem nicht minder wichtigen Grund, dass ich dieses Buch schreibe: Es ist mir nämlich ein großes Bedürfnis, meine Erlebnisse und Eindrücke über die mehr als fünf Jahrzehnte in Schulen zugebrachte Zeit niederzuschreiben. Zuerst die Erfahrungen als Schüler, dann die als Lehrer und schlussendlich noch das zusätzlich zur Unterrichtstätigkeit als Schulleiter in insgesamt 40 Dienstjahren gesammelte Know-how.

Vor allem meine Zeit als Lernender, als Schüler, war der prägende Teil meines Lebens. Sie hinterließ tiefe, unverwischbare Spuren: Ich habe heute in meinem Ruhestand noch sehr häufig Albträume, die mich in manchen Nächten verfolgen, sodass ich wegen schulischen Versagens in Schweiß gebadet aufwache. Dabei war ich immer ein recht guter Schüler und gehörte meistens zu den besten. Es gibt mir ganz einfach zu denken und bedrückt mich noch immer, dass, wenn ich meine Ausbildungszeit zum Lehrer Revue passieren lasse, eine im alltäglichen Leben fest verankerte und für unsere Gesellschaft segensreiche Bildungsinstitution, wie es die Schule nun einmal unwidersprochen ist, viele Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung so nachhaltig – leider nur zu oft negativ – prägen und irreparable Schäden verursachen kann. Hoffnungen einer Unzahl junger Menschen wurden zerstört, Lebenswege in eine nicht erwünschte Richtung gezwungen und dadurch lebenslange Frustrationen und sogar Traumata hervorgerufen. Welcher psychische Druck muss da jahrelang von Lehrern und Erziehern, sogenannten Pädagogen, auf mich, aber auch auf zahllose weitere junge Menschen ausgeübt worden sein? Wie viele Angstzustände und Enttäuschungen haben trotz bester Bemühungen und Vorbereitung negative Ergebnisse bei Prüfungen, Tests und Schularbeiten, aber auch überraschende, aggressive Fragen, demütigende oder geringschätzende Äußerungen oder auch bloß abwertende Gesten im Laufe der Schulzeit bei zahllosen Schülern ausgelöst? Ein Fehler bei einer Schularbeit zu viel konnte eine angestrebte Berufslaufbahn und damit ein ganzes Leben verändern und sogar zerstören.

Oft bin ich in meinen Träumen bei mündlichen Leistungsfeststellungen schon durchgefallen oder es fehlte mir auf eine positive Note auf eine schriftliche Arbeit nur ein Punkt bzw. es war ein Fehler zu viel für das so wichtige Genügend. Im Schlaf trat ich zu meiner Reife- und Lehrbefähigungsprüfung schon ungezählte Male erfolglos an. Erst das Erwachen befreite mich von der Enttäuschung und der Angst um meine berufliche Existenz. Zahlreich sind auch die Träume davon, dass ich meine Schullaufbahn hatte abbrechen müssen, da ich um einen Zehntelpunkt die Bedingung für die Zuerkennung der auf dem Weg zur Lehramtsprüfung überlebenswichtigen Heimbeihilfe seitens des Landes verfehlt hatte.

Da ich aus materiell sehr bescheidenen Verhältnissen stamme – meine Mutter war als Kriegerwitwe Mindestrentnerin und verdiente durch Gelegenheitsarbeiten bei Bauern nach dem Krieg diverse zum Überleben dringend notwendige Naturalien dazu –, war ich gezwungen, einen gewissen Notendurchschnitt zu erbringen. Daher stand ich dauernd unter einem Leistungsdruck. Diese Bedingungen schaffte ich auch immer, sonst hätte ich meine Ausbildung beenden müssen. Nicht wenige meiner Mitschüler mussten ihr Berufsziel aufgeben, da wegen der Nichterbringung dieser Voraussetzungen ihre Eltern das Heimgeld nicht bezahlen konnten. Einige von ihnen wären sicherlich gute und vor allem menschliche Lehrer geworden. Die Matura als positiver Abschluss der Lehrerbildungsanstalt (LBA) war damals gleichgesetzt mit der Befähigung, an einer allgemeinbildenden Pflichtschule (Volksschule-Grundstufe, Volksschuloberstufe) zu unterrichten. Ebenso erlangte ich damit auch die Hochschulreife oder hätte im öffentlichen Dienst eine für die damalige Zeit doch sichere Beamtenlaufbahn einschlagen können.

Diese bis heute nicht vergessenen, wie in Stein gemeißelten und mein ganzes Leben nachhaltig prägenden Eindrücke von zynischen Lehrern und Erziehern sowie sadistisch angelegte Prüfungen und auch die derzeitige, von den maßgeblichen Politikern parteipolitisch orientierte, erbärmlich geführte Schuldebatte waren ebenfalls wesentliche Beweggründe für mich, die folgenden Erlebnisse niederzuschreiben.

Denn ich meine, dass sich an der Bildungsinstitution Schule seit meiner Schulzeit nicht viel geändert hat, aber ändern müsste, wie ich bereits andeutete. „Non scholae sed vitae discimus“ (Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir) war einer der ersten lateinischen Sprüche, welcher uns Schülern immer wieder eingebläut wurde. Doch je länger ich in die Schule ging, desto mehr verstärkte sich in mir das Gefühl, dass es eigentlich heißen müsste: „Non vitae sed scholae discimus“ (Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir). Schon 1836 schrieb der schlesische Provinzialschulrat Scheibert: „Ein Schüler will ja nicht wissen, um zu wissen, sondern um ein Examen zu machen.“ (Oblinger, Theorie der Schule, 1979; 104)

Und dieses Gefühl wurde zur Gewissheit und Überzeugung, nachdem ich die Schulzeit meiner eigenen Kinder – vor allem im Gymnasium – miterleben und des Öfteren auch mit -erleiden musste. Gelernt haben sie fast ausschließlich für die nächste Schularbeit bzw. Prüfung, denn diese waren laut Schulunterrichtsgesetz vorher anzukündigen. Und meine Enkelkinder erleben derzeit dasselbe: Vor jeder Schularbeit bzw. Prüfung – da ja terminlich festgelegt – ist in deren Familien oft die Hölle los. Kaum jemand ist ansprechbar, alle legen ein überreiztes Verhalten an den Tag. Vater und Mutter einschließlich der Großeltern pauken, sofern sie noch über das notwendige Wissen verfügen und es die Berufsarbeit zulässt, mit ihren Sprösslingen. Nicht einmal zum gemeinsamen Essen hat die Familie mehr Zeit.

Ich musste zu meiner Schulzeit im Gymnasium immer vorbereitet sein und wusste nie, wann ich geprüft wurde. Trotz dieser belastenden Ungewissheit war dies damals meines Erachtens von Vorteil, weil sich die Lerninhalte durch den Zwang zur ständigen, regelmäßigen Wiederholung und zum dauernden Vorbereitetsein nachhaltiger in meinem Kopf einprägten. Außerdem wurde es mir zur Gewohnheit, im Unterricht genau aufzupassen und entsprechend mitzuarbeiten, soweit dies beim damaligen, beinahe ausschließlich dozierenden Frontalunterricht und der hohen Schülerzahl in den Klassen überhaupt möglich war. „Repetitio est mater studiorum“ (Das Wiederholen ist die Mutter des Lernens) war für uns damals die zeitgemäße Zauberformel für ein regelmäßiges, kontinuierliches und auch nachhaltiges Lernen. Ein Wiederholen und Üben mit dem Lehrer während der Unterrichtszeit in der Schule gab es damals überhaupt nicht. Und heute ist es nicht anders oder nur unzureichend, obwohl dies das derzeitige Schulunterrichtsgesetz verbindlich vorschreibt. Mit der mehr oder minder methodisch kompetenten Vermittlung und dem Prüfen des vorgetragenen Stoffes sowie dem Korrigieren der Schularbeiten ist die Unterrichtstätigkeit der meisten Lehrer beendet.

Nur die Volksschule bildete in meiner Zeit als Schüler und Lehrer eine rühmliche Ausnahme. Leider wird heutzutage sogar im Grundschulbereich auf die quantitative Vermittlung von Inhalten weit mehr Wert gelegt als auf das wichtige – in diesen Schuljahren spielerische, kindgemäße – Wiederholen und Üben. Die aktuelle PISA-Studie beweist, dass sich die österreichische Schule in den letzten Jahrzehnten kaum weiter entwickelt hat. Ich bin sogar der Meinung, dass vor allem die Qualität und Nachhaltigkeit des Wissens eher geringer wurden und sich die Stofffülle, die den Schülern vermittelt wird, überdimensional erweiterte. Bleibendes Wissen bzw. Können der Schüler verhalten sich demnach folgerichtig umgekehrt proportional zur dargebotenen Stoffmenge.

Ich bin mir im Klaren, dass in meine Ausführungen auch nicht wenige Gedanken und Überlegungen einfließen, die mir erst im Nachhinein bewusst wurden, als ich durch meinen Erfahrungsschatz als Lehrer begann, meine Erlebnisse als Schüler zu reflektieren und zu analysieren. Diesen Einfluss versuche ich aber in diesem Buch weitgehend zu vermeiden. Doch kann ich nicht umhin, Praktiken aufzuzeigen, welche sich seit Maria Theresias Zeiten in unseren Schulen nicht verändert haben. So gibt es wie ehedem vor allem in den höheren Schulen nur ganz wenige Lehrer, die bei Prüfungen wissen wollen, was der Schüler wirklich weiß, sondern sie bohren so lange, bis sie auf eine Wissenslücke stoßen. Daran klammern sie sich fest und lassen keinen Delinquenten – und ich hatte bei Prüfungen immer das Gefühl, Angeklagter zu sein – mehr aus. Nicht das Wissen, sondern das Nichtwissen wurde in meiner Schulzeit in den höheren Schulen die Grundlage der Beurteilung. Und bis heute hat sich an dieser Praxis der mündlichen Leistungsfeststellung kaum etwas geändert.

Ich hatte also, so weit es möglich war, in diesem Buch die Absicht, retrospektiv ausschließlich meine damaligen Eindrücke und Befindlichkeiten zu Papier zu bringen, die ich selbst als Schüler erlebt hatte. Ich beabsichtigte damit – darum bezeichne ich es auch als „Schulabschnittsbiografie“ – lediglich, meine Schullaufbahn subjektiv nachzuvollziehen, soweit ich mich daran noch genau erinnern kann. Dabei war es für mich in erster Linie von Bedeutung, anhand meiner Erlebnisse das gesamte Schulsystem und dessen Entwicklung, aber auch die jetzige, schon lange währende Stagnation in der Schulpolitik aufzuzeigen. Dazu bemerkte ich bereits eingangs, dass ich immer ein eher guter Schüler war, und trotzdem wurde meine seelische „Festplatte“ dermaßen überbelastet, dass sie immer wieder abstürzt, was sich noch heute, über fünfzig Jahre nach der Matura, in den bereits geschilderten Auswirkungen äußert. Diese Ansicht wurde durch einen Beitrag des wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazins „profil“ (Nr. 19, 44. Jg. vom 6. Mai 1913, Seite 80) bestärkt, woraus ich wörtlich zitiere: „Stress- und Erschöpfungszustände schlagen immer früher zu. Jeder sechste Schulpflichtige leidet in Österreich an Einschlafschwierigkeiten, Gereiztheit, Angstzuständen oder Depressionen, wobei Angststörungen die am häufigsten diagnostizierten psychiatrischen Erkrankungen in dieser Altersgruppe sind. Derzeit erhalten in Österreich rund 8 100 Kinder und Jugendliche unter 10 Jahren Psychopharmaka, bei den Jugendlichen zwischen 10 und 19 Jahren sind es 26 000.Und dabei sind noch viele un- und unterversorgt.“

Viele jüngere Menschen erzählen mir jetzt noch oft, wie sehr Schulstress und Angst vor manchen zynischen und sogar unmenschlich brutalen Lehrern ihr Leben nachhaltig prägten. Das geht bis hin zu unverhohlen ausgedrückten Hasstiraden. So sagte ein ehemaliger Schulabgänger der Volksschule-Oberstufe, die es seit über dreißig Jahren nicht mehr gibt, anlässlich eines Jahrgangstreffens seinem Lehrer und Peiniger, der auch Schulleiter war, respektlos und nicht gerade freundlich ins Gesicht: „Du hast manche von uns damals in der Oberstufe gequält und unterdrückt, als wären wir alle lauter Deppen, faule Hund’ und Gauner gewesen. Tät i dir heut die Watschen und Prügel zurückgeb’n, die i damals von dir gekriegt hab, du würdest sie nicht überleben.“

Der dritte Grund, dass ich dieses Buch begonnen habe, war eine erfreuliche Begebenheit. Ich unterrichtete als neunzehnjähriger Junglehrer im ersten Dienstjahr eine dritte Knabenklasse an einer kleinstädtischen Volksschule. Ich war voller Elan, hatte anscheinend ein gewinnendes Wesen, war – so schätze ich mich jedenfalls selbst ein – kaum launisch und gestaltete den Unterricht immer wieder mit einer Portion Humor. Ich war wahrscheinlich, wie ich später immer wieder von Schülern zu hören bekam, ein cooler Typ, bei dem es immer wieder Spaß gab. Außerdem war ich ein guter Sportler, was bei der Mehrzahl der Buben – in der Klasse waren ausschließlich Buben – gut ankam. Selbstverständlich gab es in den letzten zehn Minuten einer bewegungsintensiven Turnstunde ein kurzes Fußballmatch. Zum Abschluss durften sich alle Schüler ins Tor stellen, um einen von mir von der Sechzehnerlinie aus mit halber Kraft getretenen Freistoß zu halten. Wer imstande war, den Ball festzuhalten, erhielt von mir einen Schilling als Anerkennung der sportlichen Leistung.

Diese Geschichte, die ich schon längst vergessen hatte, erzählte mir ein damaliger Schüler, der einige Male in den Genuss der Erfolgsprämie gekommen war, und erwähnte so nebenbei, dass ich und meine Art zu unterrichten der auslösende Grund für seine Berufswahl zum Pflichtschullehrer gewesen seien. Einen schöneren Anreiz, ein Buch über ein langes Leben in der Schule zu verfassen, konnte ich mir nicht vorstellen. Der „Tatort Schule“ hat allem Anschein nach doch noch sehr vielen Menschen auch Flügel verliehen und deren Leben positiv geprägt.