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Ein e-book aus dem Verlag

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e-book 035
Erscheinungstermin: 01.05.2017
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach

Erik Schreiber

Der neue hessische
Robinson
oder
merkwürdige Abenteuer
eines
Casselaners

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Inhalt

Vorwort

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehtes Kapitel

Vorwort

Die vorliegende Erzählung ist eine Neusausgabe eines Manuskriptes aus dem Jahr 1826. Der Herausgeber selbst ist Kasseläner und daher ist es für ihn eine Freude, ein fast 200 Jahre altes Buch in Form des modernen e-books herauszubringen.

Lediglich die Frakturschrift wurde in lesbare Garamond geändert. Ansonsten ist die Schriftsprache die das Jahres 1826.

Ich wünsche spannende Unterhaltung.

Erik Schreiber

Der neue hessische Robinson

Oder

merkwürdige Abenteuer
Eines

Casselaners

Von H. A. Ch. V. Egloffstein

Herausgegeben von
Erik Schreiber

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Der neue hessische Robinson
oder
merkwürdige Abenteuer
eines
Casselaners

Von H. A. Ch. V. Egloffstein

Erster Theil

Cassel, 1826

Verlag der Luckhardt’schen Hofbuchhandlung

Vorwort

Mein holsteinischer Robinson wurde vom Publikum mit großer Theilnahme aufgenommen. Hier liefere ich ein Seitenstück zu Jenem, und wünsche daß dieser gleichen Beifall finden möge. Da ich mich bestrebe, in diesem Werkchen nicht allein zu unterhalten, sondern auch zu belehren, so glaube ich, daß diesem Robinson nicht alleine eine Stelle in jeder Lesebibliothek gebührt, sondern daß auch jeder Vater und Lehrer seinen Kindern und Zöglingen in die Hände geben kann.

Cassel, den 1. Mai 1825.

Der Verfasser.

Erstes Kapitel

Die Sonne senkte sich bereits, und nach einem heißen Sommertage folgte ein stiller, schöner Abend. Da nahm der brave Prediger Ackermann im Dorfe R. in Niederhessen seinen Hut und Stock, um einen Spaziergang ins Freie zu machen. In der Hausthüre trat ihm ein junger Bursche von vierzehn Jahren, in armer aber reinlicher Kleidung mit bittender Geberde und naßgeweinten Augen entgegen.

„Herr Pfarrer,“ sprach er, vertrauungsvoll seine Hand ergreifend, „können Sie mir ins Wirthshaus folgen? Dort liegt mein armer alter Vater schwer darnieder. Ihre Zusprache und Ihr Trost wird ihm willkommen seyn!“

Der Prediger folgte sogleich dem jungen Menschen, und erfuhr unterwegs von ihm: sein Vater sey ein armer Tagelöhner aus Cassel; wäre schondort einige Monate krank gewesen und hätte den größten Mangel deswegen gelitten; in etwas genesen, hätte er gestern mit ihm die Stadt verlassen, um in R. von einem Verwandten eine kleine Schuld einzucassiren; aber plötzlich hätte die Krankheit den Halbgenesenen heute wieder überfallen und zwar heftiger als zuvor.

In einer entlegenen Kammer des Wirthshauses lag auf einer Streue ein Greis von sechzig Jahren mit einem todtenbleichen Angesicht; vor ihm stand eine magere Wassersuppe noch unberührt.

„Hier bring ich, lieber Vater, den Herrn Pfarrer!“ rief der Jüngling und stürzte vor das Lager auf seine Knie indem er die schon halb erstarrte Hand seines Erzeugers ergriff und sie mit seinen Thränen benetzte. Das Herz des biedern Predigers wurde durch dieses Bild des kindlich frommen Sohnes gerührt, erst nach einigen Minuten ermannte er sich.

„Fasset Muth, guter Alter,“ sprach er zu dem Greise, „und betrachtet es als eine Gnade Gottes, daß er Euch aus einer Welt hinwegnimmt, worin ihr nichts als Sorgen und Kummer erfahren habt.“

„Sorgen und Kummer?“ antwortete der Greis mit schwacher Stimme. „Nein Herr Pastor, ich habe zufrieden gelebt und nie über mein Schicksal geklagt. So lange ich meine Hände brauchen konnte, habe ich mein redlich verdientes Stück Brod mit Freuden gegessen. Mehr habe ich mir nie gewünscht. Ich arbeitete mich müde, aß mich satt und schlief ruhig. Oft habe ich einen Blick in die Häuser der Reichen gethan, aber nie ihr Loos beneidet; denn immer habe ich gesehen, daß Sorgen und Krankheit häufiger als bei uns Armen, einkehren. Ich war arm, aber froh und gesund bis zu dieser meiner ersten Krankheit, die aber gewiß auch meine letzte ist. Sollte mir aber Gott Leben und Gesundheit wieder schenken, so gehe ich frisch und froh wieder an mein Geschäft, und arbeite so viel ich vermag, bis der Herr mich von der Arbeit abruft.“

„Ich sehe,“ sagte der Prediger, Euer Leben ist Euch lieb gewesen; aber dennoch werdet Ihr, wenn es seyn muß, Ergebung dem Rathschlusse Gottes unterwerfen?“

„Gewiß,“ unterbrach ihn der Sterbende, mit der Ruhe und einem entschlossenen Tone, der den Prediger in Erstaunen setzte. „Gewiß, ich weiß, wir Alten müssen den Jungen Platz machen, und ich fürchte den Tod nicht. Ich habe zu leben gewußt, und ich werde auch zu sterben wissen. Ja ich fühle daß meine Stunde gekommen ist.“

Dem guten Sohne stürzte ein Thränenstrom über das Gesicht.

„Tröste Dich Ludwig, sagte der Greis zu ihm; ich gehe zum himmlischen Vater, der auch Dein Vater ist. Nimm meinen Segen, bleibe brav – „

Er wollte die Hand heben, aber sie sank zurück. Der Trostlose Sohn faßte sie mit beiden Händen, und drückte sein thränenvolles Angesicht darauf.

Als er es wieder erhob, war das Leben des Vaters entflohen; aber noch stand der Ausdruck der himmlischen Ruhe, womit er verschieden war, auf dem verklärten Gesichte.

Der Sohn lag da, die theuren Reste des Vaters umfassend, und an der verstorbenen Brust das schmerzreiche Gesicht verbergend.

Der Prediger aber stand, in den Anblick dieses Schauspiels verloren, in stummer Rührung da.

„Er hat wie ein Weiser gelebt, sagte er bei sich selbst, und ist wie ein Christ gestorben. Und dennoch wurde er, als er lebte, vielleicht von manchen Reichen verachtet, der sein Leben nicht zu gebrauchen weiß, und sich wie ein Verzweifelnder geberdet, wenn er es hingeben soll. Er war brav, so wird sein Sohn seyn, und ich Kinderloser will Vaterstelle an dem Jüngling ausüben.“

Er thats, der Edle, und ward von heute an der zweite Vater des armen verwaisten Ludwigs.

Dieser gedieh zum holden Jünglinge, und entsprach in Allem den Erwartungen seines Pflegevaters, der, was er nur von seinem geringen Gehalte erübrigen konnte, auf die Erziehung Ludwigs verwandte, und selbst ihn zu bilden Hand anlegte. Als aber dieser das achtzehnte Jahr erreicht hatte, da brach der siebenjährige Krieg aus, das Haus des Pfarrers wurde vom Feinde geplündert; er verlor Alles. Als Mann von guten Grundsätzen, als christlicher Seelsorger, der seiner Gemeinde mit rechtlich gutem Beispiele vorging, war er weit entfernt Kleinmuth in seiner Seele Raum zu geben; nur darum schmerzte ihn der Verlust seines kleinen Vermögens, weil er jetzt ausser Stande war, seinen lieben Pflegesohn ferner so wie bisher zu unterstützen. Er sandte daher denselben, so schwer ihm auch die Trennung von ihm ward, zu einem Bruder in Hamburg, einem wohlhabenden Kaufmann, um dort die Handlung, zu der Ludwig Lust zeigte zu erlernen.

Mit dankbarem Gefühle und thränenschwern Auge verließ er das Haus, worin er sociel Gutes genossen hatte, im voraus die schöne Hoffnung hegend, einst sein Glück zu machen und dann seinen Wohlthäter im Alter unterstützen zu können.

Sein neuer Prinzipal empfing ihn freundlich und stellte ihn sogleich als Lehrling in seiner Handlung an. Ludwig war willig und gelehrig, und wußte sich bald das Vertrauen seines Herrn zu erwerben. Nach drei Jahren schon erhielt er eine einträgliche Commis-Stelle in dem nämlichen Handlungshause, und nun machte sich der edle Jüngling ein wahres Vergnügen daraus, seinem Pflegevater öfters ansehnliche Geschenke zu senden.

Während der Zeit erhielt Ludwigs Prinzipal Briefe aus Ostindien, die ihn bestimmten, einen seiner Leute nach diesem Lande zu senden, um dort höchst wichtige Geschäfte zu betreiben; und Ludwig der sein ganzes Vertrauen besaß, wurde mit dieser Speculation beauftragt, und ging willig mit dem nächsten Schiff in See.

Zweites Kapitel.

Einen kleinen Sturm ausgenommen, der sie am 25 Grade nördlicher Breite unweit der Inseln des grünen Vorgebirges überfiel, hatten unsere Ostindienfahrer beständig günstigen Wind; daß sie schon nach drei Monaten das Cap der guten Hoffnung, welches im 33 südlicher Breite liegt, umsegelt hatten; aber dann erhob sich plötzlich ein fürchterlicher Sturm, der die Wogen des Oceans bis in die Wolken hinantrieb. Er jagte, gleich einem Ball, das Schiff mehrere Tage umher ganz aus dem Laufe gegen Süe-West zu, bis es endlich auf eine Sandbank gerieth. Da drang das Wasser von allen Ecken und Enden in den unteren Raum und ehe man sich’s versah, hieß es allgemein: Wir sind verloren, es rette sich wer da kann! –

Nun lief die erschrockene Mannschaft eiligst zusammen, jeder drängte sich nach einem der ausgesetzten Böde, und viele stürzten bei diesem Tumult in die Fluthen. Auch unser Ludwig wollte ganz gern sein junges Leben retten, und hatte auch das Glück, neben vier Anderen seiner Unglücksgefährten eins von den leichten Fahrzeugen zu erreichen.

Kaum hatte die Mannschaft das Schiff verlassen, so konnte es dem mächtigen Andrange der Wogen nicht länger widerstehen, und senkte sich krachend in den Abgrund des Meeres.

In diesem Augenblick wurde das Hauptboot mit einigen dreißig Mann von einer Woge verschlungen, wogegen der Sturm das kleinere, in welchem Ludwig mit saß, auf der Oberfläche des Oceans hin und wieder jagte. Kalter Todesschauer überlief die Unglücklichen, indem sie mit jeder Minute ihrem Ende entgegensehen mußten. Als sie endlich schon dicht an den Ufern einer Insel entlang getrieben wurden, thürmte sich plötzlich noch eine tückische Welle gegen den kleinen Nachen empor, überschüttete ihn mit schwerer Fluth und drängte die kleine Mannschaft in den Abgrund des Meeres.

Ludwig nahm seine Kräfte zusammen, und erreichte glücklich das nahe Ufer. Er war der Einzige, der von der gesammten Mannschaft mit dem Leben davon kam.

Sobald unser Ludwig das Ufer erlangt hatte, fiel er auf seine Knie, und dankte vom Grund seines Herzens dem Vater des Alls für seine Rettung, darauf sank er, höchst ermattet, im Sande nieder, und verfiel in einen tiefen Schlaf.

Nach seinem Erwachen erstieg er einen hohen Felsen, um die Insel zu überschauen. Eine paradiesische wunderschöne Landschaft lag vor ihm. Bäume mit allerlei Gattungen von Südfrüchten, von denen manche Ludwig bekannt waren, große Heerden wilder Schafe und Antilopen weideten auf den Wiesen, durch welche sich wie ein Silberband ein heller Bach schlängelte, Papageien von den schönsten Farben nebst vielen anderen buntgefiederten Luftbewohnern flatterten auf den Bäumen umher; dies alles zeigte sich seinem Blicke, aber keine Spur von einem menschlichen Wesen.

„Allmächtiger Gott!“ rief Ludwig, „so hast du mein trauriges Loos bestimmt, vielleicht zeitlebens allein ohne menschliche Gesellschaft hier zu leben! Hartes Schicksal! Doch ich will nicht gegen eine Vorsicht murren. Du hast mich wunderbar gerettet. Ist es dein Wille, so wirst du mich auch von hier befreien, wo nicht, so soll doch nie Kleinmuth, indem ich stets deine Güte vor Augen habe, meine Seele einnehmen.“

Um weitere Untersuchungen anzustellen, bestieg er nun einen hohen Berg, hier konnte er die ganze Insel übersehen, und seine Muthmaßung ward bestätigt, kein menschliches Geschöpf ausser ihm war hier zu entdecken. Jetzt quälten ihn Hunger und Durst. Diese beschwerliche Mahner zu befriedigen, stieg er herunter in ein Thal, wo verschiedene Fruchtbäume standen und ein heller Bach sanft dahin rieselte. Mit hohler Hand schöpfte er Wasser und löschte seinen Durst, bemerkte auch sogleich daß der Bach eine Menge Fische und Krebse enthalte. Mehrere Bäume mit reifen Früchten standen in der Nähe, allein Ludwig war zu vorsichtig, da sie ihm noch unbekannt waren, davon zu genießsen, nur einige Datteln, die er kannte, und welche vom Stamme abgefallen, umherlagen, stillten für heute seinen Hunger, und da sich die Sonne zum Untergang neigte, so füllte er seine Taschen mit diesen Früchten, und sah sich nun nach einer Schlafstelle um. Ungewiß, ob nicht reißende Thiere das Eiland bewohnen könnten, mußte er sich nach einem sicheren Aufenthalt umsehen, und ging daher längs dem Bache hinunter, der sich unweit des Ortes, wo ihn die Meereswogen ans Land geworfen hatten in die See ergoß, um in den Felsen, die hier das Ufer umgrenzten, eine sichere Stelle zu finden.

Allein vergebens suchte er hier einen sicheren Aufenthalt, und ein Baum mußte ihm für diese nacht zur Schlafstelle dienen. Zwar hatte sich Ludwig vorgenommen männlich mit seinem bestimmten Schicksale zu ringen, das ganze Maaß seiner Thätigkeit zur Erlangung aller Nothdurft für sein künftiges Leben hier aufzubieten, doch konnte er es heute noch nicht über sich gewinnen, auf die mögliche Gunst eines Zufalls zu seiner Erlösung Verzicht zu thun und in der Nähe des Meeres zu verweilen, um es mit seinen Blicken zu hüten, bis er endlich einen herannahenden Befreier aus seiner Einsamkeit aus gespührt haben würde.

Doch die Vernunft konnte und mußte ihn noch die erste Nacht, die er auf einem Manglebaum in der Nähe des Meeres schlaflos zubrachte, zu seinem ersten Entschluß zurückführen, sie rief ihm zu, wie selten es sey, daß ein Schiff hier sich nahen, daß er am Gestade der See wenig Unterhalt finden würde, daß ihm dieser keinen sichern und bequemen Aufenthalt gewähren könne, und er nahm sich daher vor, von Morgen an, so zu leben und um sieh her zu wirken, als ob er hier ewig leben und hausen sollte.