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Inhaltsverzeichnis

EINS - Ein guter Tag zum Sterben
ZWEI - Venezianische Masken
DREI - Abschied und Aufbruch
VIER - Schiffe und Fische
FÜNF - Musik und Mord
SECHS - Die Wächter von Dubrovnik
SIEBEN - Klänge und Fragen
ACHT - Bronze, Zimt und Hemmnisse
NEUN - Neue Fragen und eine Botschaft
ZEHN - Ein alter Freund
ELF - Die Geheimnisse der Musiker
ZWÖLF - Einladung zu einem Fest
DREIZEHN - Seltsame Spiele
VIERZEHN - Die Vorzüge der Flucht
FÜNFZEHN - Der Weg nach Herceg Novi
SECHZEHN - Ferman, Pfeil und Bogen
SIEBZEHN - Kassem ben Abdullah
ACHTZEHN - Zwei Degen in Pristina
NEUNZEHN - Berge, Schreiber und andere Hindernisse
ZWANZIG - Das Ende des Mauren Otero
EINUNDZWANZIG - Zurück ins Labyrinth
ZWEIUNDZWANZIG - Ein Harem in Trebinje
DREIUNDZWANZIG - Steine und Klingen
VIERUNDZWANZIG - Wunde und Wünsche
FÜNFUNDZWANZIG - Ein ehrenhafter Handel
SECHSUNDZWANZIG - Der Untergang des Regiments
SIEBENUNDZWANZIG - Die Schlangengrube von Orebić
Copyright

EINS

Ein guter Tag zum Sterben

Dies ist ein guter Tag zum Schreiben. Grauer Himmel, ein Herbststurm über der aufgewühlten Meerenge, Wind, der den Regen fast waagerecht gegen das Fenster weht – ein Tag für Feuer und warmen Würzwein. Auf dem Markt hieß es gestern, weiter nördlich auf dem Festland fürchte man, es werde bereits jetzt, Mitte Oktober, den ersten Schnee geben.

Vor Jahren hörte ich einen Dichter sagen, schreiben sei immer auch ein wenig sterben. Er könnte heute sagen, es sei ein guter Tag zum Sterben. Inzwischen ist er tot und weiß es vielleicht besser, falls es denn irgendein Jenseits gibt, in dem jemand noch etwas wissen kann. Ich habe getötet und bin mehrmals beinahe gestorben, und nun, da ich dies aufzeichne, glaube ich, der Poet war ein Trottel. Aber er schrieb ja, wie er sagte, mit Herzblut. Wahrscheinlich schrieb er auch nur auf gegerbter Hirnhaut. Und allein, um zu schreiben.

Ich nehme Papier und Tinte. Nur Narren schreiben für ... nichts. Und da sie für nichts schreiben, kennen sie nichts, das wichtiger wäre. Schreiben für die Liebe einer Frau, für Geld, um Wissen zu hinterlassen, meinethalben zur Ehre eines mutmaßlichen Gottes, zum Ruhm der Sippe, der Stadt oder des Reichs, all dies, ja, aber schreiben, um zu schreiben? Und selbst wenn, wäre es dann nicht eher ein Zeugen als ein Sterben? Vielleicht bin ich einfach nicht Narr genug, oder zu sehr Trottel.

Schreiben vor dem Sterben, um etwas zu hinterlassen. Es ist a Oktober; mein Tod ist für den frühen November angekündigt. Sie werden kommen, das ist gewiß; irgendwann zwischen dem ersten und zehnten November, abhängig vom Wetter und den Straßen oder dem Seegang. Die Aussicht auf Wegelagerer oder einen Schiffbruch, die Hoffnung auf ein Messer in der Nacht oder über die Maßen gefräßige Bohrwürmer? Erdbeben, Schlangenbisse, stürzende Felsen, ein Schlagfluß? Nichts ist unmöglich, aber man kann den Zufall nicht berechnen – den Zufall, der auch den kostbarsten aller Schätze treffen müßte, der sich in der Gewalt des Feindes befindet. Daher hoffe ich, daß ein anderer Zufall diesen Zufall verhindern möge, und ich verlasse mich lieber auf die Verheißung, die berechenbare Drohung. Ich werde Vorkehrungen treffen, so gut es geht; mehr kann ich nicht tun.

Deshalb schreibe ich dies. Es gibt den ersten Bericht, den ich vor Jahren für Lorenzo Bellini und die Archive der Serenissima angefertigt habe; eine Abschrift davon liegt in einer Truhe des Hauses in Mestre. Dies hier ist nicht für Bellini und Venedig; es ist für Laura und natürlich für die Kinder, falls sie einmal wissen wollen, was ihr Vater tat und dachte. Warum er unter diesen Umständen starb. Gestorben ist. Sterben wird. So nah einer venezianischen Festung, so fern von ihnen. Der alte Goran hält mich für eine besondere Art von Trottel, den ehrenhaften Affen, wie er es nennt; er wird jedoch zusehen, daß dies hier in die richtigen Hände gelangt. Ich hoffe, ich habe ihm genug dafür bezahlt; aber das wird er mir schon mitteilen.

»Affe«, sagte er gestern abend, als wir übers Meer in den Sonnenuntergang blickten und tranken.

»Du wiederholst dich«, sagte ich.

Er rieb die Falten um seinen Mund, als wolle er sie vertiefen. »Was richtig ist, kann man nicht oft genug wiederholen. Warum verbirgst du dich nicht? In Deutschland, Frankreich, England, wo auch immer?«

»Sie würden mich auch dort finden. Und auf dem Weg dorthin würden sie viele andere töten. Meine Frau, meine Kinder, dich.«

»Ah, sorg dich nicht um mich; ich sterbe sowieso bald. Hoffentlich reich. Und Frau und Kinder?« Er hob die Schultern. »Such dir eine andere Frau und mach mit ihr neue Kinder. Niemand ist unersetzlich.«

»Sie sind einzigartig, und sie hätten es nicht verdient, meinetwegen zu sterben.«

»Einzigartig?« Er kicherte. »Jeder ist einzigartig, du, sogar ich. Und deshalb sind wir auch alle gleich, in der Einzigartigkeit. Warum bist du nicht bei ihnen geblieben, statt diese dumme Reise anzutreten? Nur, um mich zu bezahlen?«

»Das habe ich dir doch schon erklärt. Fünfmal, zehnmal oder noch öfter.«

»Auch beim nächsten Mal würde es nicht sinnvoller.«

 

In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Es lag sicher nicht an Gorans Äußerungen; die Fragen, die er aufwarf, hatte ich mir selbst schon zu oft gestellt, als daß ich deshalb schlaflos bliebe. Vielleicht lag es am Vollmond über der schmalen Wasserstraße, die Orebić, das die Venezianer (wie die ganze Halbinsel Pelješac) Sabbioncello nennen, vom immer noch venezianischen Curzola trennt. Goran sagt »Korcula« und verflucht Venedig. Venedig, trotz aller Rückschläge immer noch mächtig, drüben gewissermaßen zu sehen, in Reichweite und doch für mich unerreichbar.

Keine zwei Jahre sind vergangen, seit Bellini mich Anfang 1538 in der Druckerei aufsuchte. In der Geschäftsstube, genauer. Aus den Werkräumen drang das übliche Gemenge aus Gemurmel, Rascheln und Klappern. Es roch nach Staub, Leim und Farbe. Bellini schnüffelte, als wolle er die Gerüche zerlegen und feststellen, ob nicht darunter doch ein Hauch von Wein sei. Er musterte die Stapel frischer Bögen, die ich am Vortag mit dem Boot von der Papiermühle in Mestre hergebracht hatte, sah mich an und deutete auf einen Stuhl.

»Ist das der Platz für unerwünschte Gäste?«

»Wieso unerwünscht? Selten, aber nicht unwillkommen. Setz dich.«

»Du weißt ja nicht, was ich von dir will.«

»Ich habe es zu einer gewissen Geläufigkeit im Neinsagen gebracht.«

Er lachte und ließ sich nieder. »Das stimmt. Beim ersten Mal hier warst du nicht sehr gesprächig, aber dafür hast du prächtig geblutet.«

»Unsere Vorstellungen von Pracht sind ziemlich verschieden. Wein?«

Er nickte, und während ich zum Regal ging, dachte ich an jenen ersten Besuch – an die beiden Totschläger in der dunklen Gasse, an die Verletzungen, den Weg zu Lauras Druckerei, gestützt auf Bellini, der einen Brustpanzer trug, Lauras Hände und das blutbesudelte Papier auf dem Boden ... Ich zog den umwickelten Holzpfropfen aus der Flasche und goß zwei Becher voll.

»Was führt dich her?«

Bellini trank einen Schluck. »Sollen wir nicht zuerst noch ein bißchen um die Dinge herumreden?«

Ich schüttelte den Kopf. »Schluck den Wein und spuck die Wörter.«

»Na gut.« Er machte eine Pause, als müsse er Wörter wägen und zählen. »Die Serenissima ist in Gefahr und bedarf deiner Hilfe«, sagte er dann.

»Die Serenissima hat mehr als genug tüchtige Hände. Nicht zuletzt deine.«

Er grunzte leise. »Meine werden hier gebraucht. Und dort, wo deine kräftigen Finger viel Gutes tun könnten, haben wir keine Hände.«

Ich lehnte das Gesäß an die Tischkante. »Wo hättet ihr denn keine Hände? Eure Pfoten sind doch überall, von England bis Armenien.«

»Irgendwo dazwischen gibt es ein paar Gegenden, aus denen wir die Hände haben zurückziehen müssen.« Er betrachtete seine Finger; dann strich er sich mit der Rechten das üppige Haar aus der Stirn.

»Zum Beispiel wo?«

Er seufzte. »Kannst du dir wohl denken. Du weißt doch, was um das Meer herum geschieht.«

»Es war ja lange genug ruhig.«

 

Im Rückblick erscheint es mir beinahe unglaubwürdig, daß so lange so wenig geschehen sein soll und danach in so kurzer Zeit so viel. Als ich den ersten Bericht für Bellini beendete und mein Heim fand, war der Herbst des Jahres 1531 schon fast vorüber. Laura nahm mich auf, die Kinder mußten sich an mich gewöhnen – den Vater, den sie nie zuvor gesehen hatten. Und ich gewöhnte mich an waffenlose Seßhaftigkeit, an eine Familie, an Geschäfte und venezianische Umgangsformen.

Laura war damals achtundzwanzig, jung und strahlend; ich war siebenundzwanzig und fühlte mich wie fünfzig, aber mit jedem Monat in ihren Armen fiel ein Jahr der Plagen und des Mordens von mir ab – ein Vorgang der angenehmen Verminderung, de zum Glück endete, ehe ich rückwärts hüpfend das Knabenalter erreichte. Die Zwillinge wurden im Oktober 1531 zwei Jahre alt; ich habe irgendwann ausgerechnet, wann wir gleichaltrig sein würden, wenn meine innere Verjüngung weiterginge, weiß aber nicht mehr, zu welchem Datum ich gelangte.

Fast sechzigtausend Goldgulden hinterließ mir mein Vater bei den Fuggern und Welsern. Ich hatte alles von Augsburg nach Venedig übertragen; in Zechinen umgerechnet, waren mir nach den Jahren der Reisen und der Rache etwa zwei Drittel geblieben, an die fünfunddreißigtausend Zechinen. Alles andere, dazu mein Anteil an den Schätzen, die ich und ein paar Gefährten einer Mörderbande in den Wirren der Plünderung Roms abgenommen hatten, war aufgezehrt worden  – leben, überleben, Bestechungen, Fahrten ... Da eine gewöhnliche Familie mit etwa hundert im Jahr bescheiden leben kann, fühlte ich mich immer noch reich und frei von der Pflicht oder Versuchung (falls es da einen Unterschied gibt), den Besitz zu mehren.

Das Haus auf dem Festland, in Mestre, hatte ich Jahre zuvor gekauft und Laura überschrieben, die nebenan die Papiermühle samt einem weiteren Haus und in Venedig die Drukkerei besaß. Wir haben nie ausgerechnet, wer von uns mehr wert sei; wozu auch? Ein kluger Mann hat einmal geschrieben, er wünsche an jedem Abend den Moment des vergangenen Tages zu wissen, da sein Leben den geringsten Wert hatte; das ist, wenn Reinheit der Absichten und Sicherheit des Lebens Geld wert seien, er am allermeisten würde gegolten haben. Wert sein, gelten – für wen? Für die Nachbarn? Die Steuereintreiber? Die Stadt? Die Kinder? Die Inquisition?

Um von dieser unbehelligt zu bleiben, ließen wir uns kurz nach meiner Heimkehr trauen. Wir zahlten Steuern und Abgaben, bedachten die Armen und die Kirche – Laura tat letzteres, weil sie es wollte; ich tat es, um von den Schwarzröcken in Ruhe gelassen zu werden.

Ruhe: ein seltsames Gefühl, ein Zustand, an den ich mich erst gewöhnen mußte. Keine Rücksicht auf die Welt zu nehmen, die keine Rücksicht auf uns nahm ... Im Ghetto, wo ich einen jüdischen Geschäftsfreund besuchte, erfuhr ich 1532 vom »Religionsfrieden«, den Kaiser Karl und die deutschen Protestanten in Nürnberg eingegangen waren; er richtete sich nicht nach innen, sondern nach außen, gegen die Türken, und er nützte weder den Juden noch sonst jemandem innerhalb der Städte. Der Admiral Andrea Doria plünderte für den Kaiser die türkische Küste, und 1534 vergaßen die Venezianer, daß sie im Frieden mit dem Osmanischen Reich lebten: Sie überfielen osmanische Schiffe und klagten bald darauf laut, als die Türken nach den Inseln griffen, die Venedig im östlichen Mittelmeer zu besitzen wähnte. Der Tanz mit wechselnden Partnern ging weiter: Papst, Kaiser, Frankreichs Franz, Venedig, Englands Heinrich, heute miteinander, morgen gegeneinander verbündet. Des Sultans Admiral Khaireddin, den wir Barbarossa nannten, ließ neue Schiffe bauen und nahm Tunis ein; damit besaß der Sultan nun ganz Nordafrika. François I. schickte Jacques Cartier aus, Nordamerika zu erkunden; Karl V und Andrea Doria eroberten 1535 Tunis; ein Jahr darauf unternahm der Kaiser einen Versuch, die Provence dem Reich anzugliedern, und François griff daraufhin die spanischen Niederlande an und besetzte Savoyen und Piemont. Zugleich schloß er – das hörten wir erst später – ein geheimes Abkommen mit dem Sultan; ein Jahr darauf besiegte Barbarossas Flotte die Flotte des Reichs und plünderte Italiens Küsten.

Venedig rüstete, weil der Seehandel, von dem die Serenissima lebte, fast zum Erliegen gekommen war; der Papst rüstete, François und Karl ebenfalls, die Kinder wurden größer, Lauras Geschäfte gingen trotz allem gut, wir verbrachten einige Monate in den Bergen, bis die Pest in Venedig abgeklungen war, ich spielte hin und wieder auf der Fiedel und focht mit seßhaft gewordenen Kämpfern, um nicht zu schnell alt und steif zu werden, und Laura beteiligte sich daran: Sie wollte mit Messer und Degen umgehen können, weil es ihr, wie sie sagte, Vergnügen bereitete; es sei eine Art Tanz, und da ich nicht gern tanzte, sei dies die einzige Möglichkeit, sich mit mir in einer Art Reigen aufrecht zu balgen. Dann lächelte sie auf jene Art, die mich immer dazu brachte, sie sofort zum waagerechten Reigen zu bitten. Am nächsten Tag beschaffte ich zwei der neuen spanischen Degen aus wunderbarem Toledo-Stahl – Stechdegen, deren Spitze durch ein Stückchen Kork oder einen Ball unschädlich gemacht werden konnte. Ich zog mein gutes altes Nahkampfschwert mit scharfer Spitze und scharfer Schneide vor, den Haudegen, aber für den aufrechten Reigen mit Laura nahm ich natürlich die neue, gesicherte Waffe.

Es war wenig geschehen für Laura und mich, nicht für die Welt; aber wen kümmert die Welt, wenn es ihm erträglich geht? Jener Dichter, den ich eingangs erwähnte, hat mir gesagt, er könne nur dann bewegende Verse schreiben, wenn er unglücklich sei. Hungrig, verzweifelt, aussichtslos verliebt. »Denk an Dante«, sagte er. »Wen interessiert sein Paradies? Ein langweiliger Ort; aber die Hölle ... Wir alle brauchen ein bißchen Hölle, auch wenn nur wenige darin so groß werden wie Dante.« Mag sein, daß er recht hatte. Rings um Venedig war in diesen für uns ruhigen Jahren jederzeit genug Hölle, aber wir konnten uns in einem kleinen alltäglichen Paradies aufhalten. »Ruhig?« Bellini verzog das Gesicht. »Es mag dir so vorgekommen sein, aber ruhig war es nie, mein Freund.«

»Ich war lang genug in verschiedenen Gelassen der Hölle«, sagte ich. »Ich habe nicht die Absicht, freiwillig dorthin zurückzukehren und weitere Kammern zu erkunden.«

»Auch dann nicht, wenn dein behagliches Paradiesgärtchen nicht anders vor Wildschweinen und Plünderern geschützt werden kann?«

»Tja.«

Bellini verschränkte die Arme auf dem Tisch und sah mich schweigend an. Ich überlegte, wie alt er sein mochte; irgendwie schien er sich seit unserer ersten Begegnung vor zwölf Jahren nicht verändert zu haben. Damals war er wohl knapp über dreißig gewesen, ein eleganter junger Offizier, und so sah er immer noch aus. Die Zeit hatte allenfalls ein paar Schleifspuren um seine Augen hinterlassen. Seine Augen, die unvermindert scharf und durchdringend blickten.

»Bist du immer noch, was du warst – capo?«

Er hob eine Braue. »Solange es dem Rat der Zehn gefällt. Und Seiner Exzellenz.«

»Wie alt ist der Doge inzwischen?«

»Muß dieses Jahr achtzig werden. Ungefähr.«

Andrea Gritti, seit 1523 Doge, zuvor ein guter Generalkapitän und ein listiger Politiker, war einige Zeit vom jungen Lorenzo Bellini geschützt und bewacht worden; nach der Wahl zum Dogen hatte er ihn als Mann seines Vertrauens zum Unterführer der städtischen Ordnungshüter machen lassen.

»Und wenn er irgendwann stirbt? Meinst du, der nächste Doge übernimmt dich? Oder wird er einen neuen Mann suchen?«

»Irgendwann stirbt jeder; der Nachfolger ist ungewiß, ebenso seine Absichten.« Bellini machte eine wischende Handbewegung. »Aber wir wollten nicht von meiner Zukunft reden, sondern von unser aller Gegenwart.«

»Meine Gegenwart ist hier.« Ich ging zur anderen Seite des Tischs und setzte mich auf einen Stuhl. »Die Druckerei, die Papiermühle in Mestre, die Familie.«

»Keine Gefühle von Dankbarkeit?«

»Dankbarkeit?«

Bellini kniff ein Auge zu und nickte. »Dafür, daß Venedig dir Zuflucht geboten hat.«

Ich lachte halblaut. »Meine Dankbarkeit dafür habe ich durch gründliche Beteiligung am Zoll- und Steueraufkommen der Republik bekundet. Und dadurch, daß ich einigen Leuten Brot und Arbeit gegeben habe.«

Er seufzte. »Schon recht. Willst du dir nicht wenigstens anhören, wozu wir dich brauchen?«

Ich zögerte.

»Oder fürchtest du, es könnte dich am Ende reizen? Irgendwie erscheint mir nach den Jahren des Suchens und Kämpfens deine Seßhaftigkeit ... unglaubwürdig.«

»Ich habe zu Ende gekämpft«, sagte ich. »Alles, was ich gesucht habe, ist hier. Und in Mestre.«

»Eine schöne Frau, der eine Papiermühle und eine Drukkerei gehören? Zwei angenommene Kinder?«

»Ich will dir etwas verraten. Sie sind nicht angenommen.«

»Ah.« Er hob die Brauen und starrte mich an. »Sie war doch zweimal verheiratet, ehe du dich hier niedergelassen hast.«

»Ihr Vater hatte die Druckerei und Schulden, und dann ist er gestorben. Der Herr der Papiermühle hat Druckerei, Schulden und Laura ... übernommen, sagen wir mal, und dann ist er gestorben. Ich wollte sie heiraten, aber sie verlangte, daß ich, wie du sagst, seßhaft werde. Ich hatte aber noch etwas zu erledigen. Dann hat sie diesen Marco geheiratet. Er war gut zu ihr, er ist früh gestorben, und ich glaube, er hat bis zum Schluß nicht gewußt, daß die Kinder nicht von ihm sind.«

Bellini trank einen großen Schluck und setzte den Becher hart auf den Tisch. »Warum erzählst du mir das? Es ist doch euer Geheimnis.«

»Kein Geheimnis«, sagte ich. »Man muß es nur nicht jedem ins Ohr brüllen. Und ich sage es dir, damit du es verschweigst. Und damit du merkst, daß ich dir vertraue.«

»Vertrauen?« Er gluckste. »Das heißt, du erwartest, daß ich dir ebenfalls vertraue, wie? Und offen mit dir rede? Ohne Vorbehalte und Geheimnisse?«

Ich schüttelte den Kopf. »Herr der Ordnung und der Kenntnisse – halte mich nicht für einfältig.«

»Nicht? Wofür denn?« Dabei grinste er breit.

»Du bist nicht zu mir gekommen, um über die Sauberkeit der Straßen oder den Schmutz in den Kanälen zu reden. Auch nicht, um mich zum Leibwächter eines eurer Edlen zu machen.«

Er hob die rechte Hand. »In Venedig gibt es keine Edlen. Wie du wissen solltest.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Nennt es, wie ihr wollt. Die Handelsfürsten sind auch Fürsten, selbst wenn sie sich nicht als edle Aristokraten, sondern nur als ›Vornehme‹ gebärden. Du bist gekommen, um mit mir über die Verwerfungen der Meeresfläche und die Wogen an Land zu reden. Daraus schließe ich, daß du nicht nur für die innere Ordnung der Republik zuständig bist, sondern auch für eure Spitzel überall.«

Er spitzte die Lippen, als wolle er pfeifen. »Nicht ›zuständig‹, das wäre ein zu großes Wort. Sagen wir, ich bin ein wenig beteiligt.«

»Dann sagen wir ferner, daß wir jetzt lange genug herumgeredet haben, o Unzuständiger. Was willst du von mir?«

Bellini beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. »Die Heilige Allianz«, sagte er. »Der Kaiser, der Papst, die Johannesritter, Venedig. Arg unheilig, wenn du mich fragst, aber ... Dieses Jahr wird es zum blutigen Tanz der Schiffe und Schwerter kommen. Wir stellen Schiffe und Soldaten, und wahrscheinlich wird der Kaiser wieder den alten Genuesen mit dem Befehl betrauen.«

»Andrea Doria? Ja, vermutlich. Und?«

Bellini bleckte die Zähne. »Wir alle zusammen gegen die Türken, und keiner weiß, was die Franzosen hinter unserem Rücken anstellen werden.«

Da er nicht weitersprach, sagte ich: »Willst du mich nach Frankreich schicken? Damit ich nette Zwiesprache mit François halte, der mir ohne Zweifel anvertrauen wird, was er zu tun beabsichtigt?«

Er knurrte leise. »Unsinn«, sagte er dann. »Kurz und klar: Wir haben viele Stützpunkte verloren, an die Osmanen. Und in den letzten Monaten hat sich unter unseren Kundschaftern das große Schweigen ausgebreitet. Die Republik wird in einen Krieg ziehen müssen, ohne etwas über die Gegenseite zu wissen.«

»Ah.« Ich überlegte einen Moment. »Willst du damit sagen, daß die Türken all eure Spione erwischt und geknebelt haben?«

Er lachte, aber es klang nicht fröhlich. »Geknebelt? Man könnte es anders ausdrücken, aber lassen wir es dabei. In Ragusa sind noch ein paar Kaufleute, wie immer, aber sie erfahren nichts. Und natürlich gibt es verwegene Männer in dem Gebiet, das man Venezianisches Albanien nennt, aber jenseits davon?« Er schüttelte den Kopf. »Einige unserer Kundschafter haben die osmanischen Lande verlassen können; von den anderen wissen wir nichts.«

Ich schloß die Augen. »Das heißt, die Türken haben eure Spione umgebracht. Und jetzt suchst du einen, der kein Venezianer ist, so daß man ihn nicht sofort für einen Spion hält. Und da hast du gedacht, Giacomo Spengler, dein alter Freund Jakko, heißt ja eigentlich Jakob und kommt aus einem vergessenen Flecken in Deutschland, und er könnte doch ein bißchen mit den türkischen Offizieren plaudern.« Ich öffnete die Augen wieder und schaute Bellini an. »So ungefähr?«

Er lächelte, als hätte ich ihm ein paar besonders nette Worte gesagt. »Man könnte es so ausdrücken.«

»Ihr müßt arg verzweifelt sein.«

»Die Serenissima ist nicht verzweifelt. Sie ist nie verzweifelt. Sie zweifelt nur ein wenig.«

»Sie haben euch die Hände abgehackt. Die Hände, die ihr in deren Angelegenheiten gesteckt hattet. Und jetzt willst du, daß ich mir den Kopf abhacken lasse?«

»Du mußt das nicht so finster sehen. Ein kluger, erprobter, waffentüchtiger Mann, der vieles überstanden hat, könnte zweifellos durch die Schluchten des Balkan reiten und heil wieder zurückkommen.«

»Vor allem, wenn er ein Deutscher ist, oder ein Finne, oder ein Isländer – alles, nur kein Venezianer?«

Er nickte.

»Nein.«

Er nickte wieder. »Ich habe es mir gedacht, aber ich mußte es versuchen. Und ich wollte dafür sorgen, daß du im nächsten Jahr, wenn türkische Galeeren hier anlegen und die Janitscharen deine Kinder schlachten, nicht das Gefühl hast, du hättest beizeiten etwas tun können.«

 

Laura kam von ihren Erledigungen zurück, als Bellini gerade aufbrach. Er verneigte sich vor ihr, und sie wechselten die gewöhnlichen höflichen Worte.

»Was wollte der denn?« sagte sie, als er gegangen war.

»Wein.«

»Ich auch.« Sie lachte, holte sich einen Becher und ließ mich eingießen. »Nur Wein?« sagte sie dann.

»Und Wahn.«

Sie blinzelte. »Wein und Wahn? Welche Mischung. Magst du das erläutern?«

»Es geht um den Krieg. Die Heilige Allianz, dies unheilige Bündnis gegen die Türken. Offenbar sind ihnen, ah, uns, den Venezianern, meine ich, die Kundschafter abhanden gekommen.«

Sie schwieg einen Moment, trank, sah mich nachdenklich an. »Hat er wenigstens etwas geboten?«

»So weit sind wir gar nicht gekommen. Er hat etwas vom Schutz der Republik gesagt und von Dankbarkeit. Warum fragst du? Brauchen wir Geld? Soll ich mich dafür bezahlen lassen, daß ich die Wasseruhr meines Lebens anbohre? Einen schnellen Tod in der Ferne suche?«

»Heute ist kein guter Tag, um über das Sterben und den Weg dorthin zu reden.«

»Wann denn?«

»Wenn schon, dann lieber gar nicht.«

ZWEI

Venezianische Masken

Jahrelang hatte Laura sowohl die Druckerei in Venedig als auch die Papiermühle außerhalb von Mestre von den alten, erfahrenen Meistern leiten lassen. So hatte man den Gesetzen genügt, welche die Geschäftstätigkeit von Frauen einschränken; und auch die betreffenden Zünfte, die keine Frauen aufnehmen, konnten keine Einwände erheben.

Natürlich hatte Laura die beiden Meister gelenkt, die die Geschäfte leiteten. Mein Anteil an ihnen war gering, gewissermaßen läaßlich. Ich hatte einige Einfälle beigetragen, zum Beispiel jenen, den Reichen und Mächtigen besonderes Papier anzubieten, mit ihren jeweiligen Wappen oder Emblemen als Wasserzeichen, in der ihnen gemäßen Schrift bedruckt mit Name, Wohnsitz und allem, was ihr Herz, ihre Eitelkeit oder ihre Gier zusätzlich begehren mochten. Und natürlich las ich hin und wieder etwas, von dem ich fand, es sollte gedruckt und verbreitet werden, oder ich zechte mit einem Dichter, der daraufhin beschloß, sein nächstes Werk – Verse, eine Komödie, ein paar Pamphlete – der ebenso ruhmreichen wie trinkfesten Druckerei Rinaldi zu übergeben.

Gelegentlich tat ich Handlangerdienste, war aber nach den Jahren des Reisens und Kämpfens durchaus fröhlich, in einiger Muße neue Künste zu erlernen: seßhaftes Eheleben, Kochen und Erziehung der Kinder. Natürlich befiel mich zuweilen etwas, das Rastlosigkeit sein mochte, Fernweh, Reiselust oder einfach Überdruß ob des Alltäglichen. Bei derlei Anfällen griff ich zur Fiedel, zum Wein, zu neuen Büchern, oder ich suchte Gegner für heftige Fechtübungen. Manchmal fragte ich mich, ob ich dieses Leben noch lange ertrüge, wenn nicht die Zwillinge – Laura und Giacomo – meiner (oder eines anderen) bedurft und mich durch ihre Liebe, ihre Neugier, ihren Witz und Einfallsreichtum im Übermaß belohnt hätten.

Durch einen seltsamen Zufall hatten die beiden alten Meister den gleichen Namen getragen, Giovanni; beide waren an die achtzig geworden und in diesem erstaunlichen Alter kurz nacheinander gestorben. Laura sorgte dafür, daß die bisherigen Vorarbeiter der beiden Werkstätten von der jeweiligen Zunft zu Meistern gemacht wurden, und ließ sie die Betriebe fortführen, mit denen sie bestens vertraut waren. Die einzige wirkliche Neuheit daran war, daß gewisse Einleitungen zu Gesprächen nicht mehr stattfanden (»Heute hat Giovanni gesagt ...« – »Welchen meinst du?«). Der neue Meister der Druckerei hieß Angelo, und die Papiermühle unterstand Ezio.

An einem späten Vormittag hatten wir die täglichen Lese-, Schreib- und Rechenübungen beendet, und Giacomo fragte, warum eine Katze Katze heiße und ein Tisch Tisch, und Laura – Laurina – dehnte diese Frage auf die Namen von Personen aus. »Ezio – warum heißt er so? Und gibt es noch andere, die auch so heißen?«

Ich sagte, dies sei die italienische Form des lateinischen Namens Aetius, und das sei ein berühmter Feldherr gewesen, der gegen die Hunnen gekämpft habe. Daraufhin wollte Laurina wissen, ob der Ezio aus der Papiermühle mit dem Feldherrn verwandt sei, wie sie und ihr Bruder mit Laura und mir, und ob es nicht eigentlich besser wäre, wenn alle Kinder so hießen wie ihre Eltern. Giacomo fragte sie, was denn Eltern mit sieben Söhnen und sieben Töchtern machen sollten.

Danach erkundigten sich beide, was es mit den Hunnen auf sich habe, ob Ezio auch gegen sie kämpfen müsse, und ob ich schon einmal gegen Hunnen oder sonst jemanden gekämpft hätte, und an dieser Stelle kam Laura zu uns.

Sie hatte die Nacht in Venedig verbracht, in der Druckerei, um die Geschäfte voranzubringen; eigentlich wollte sie bis zum nächsten Tag dort bleiben. Die Kinder stürzten sich auf sie, und es dauerte einige Zeit, bis sie auf meine Seite des Tischs gelangte und mir einen Kuß auf die Stirn gab.

»Hoffentlich nicht unangenehm überrascht?« sagte sie.

»Wir hatten dich erst morgen erwartet. Was hat dich so schnell aus der Lagune vertrieben?«

»Später«, sagte sie. Während sie sich mit den Kindern unterhielt, bereitete ich ein kleines Mittagsmahl. Danach verschwanden Giacomo und Laurina zum Spielen; Laura und ich begaben uns auf die überdachte Terrasse. Der Winter war mild. Bei warmem verdünnten Würzwein ließ es sich dort gut aushalten.

»Wir haben eine üppige Einladung erhalten«, sagte sie.

»Üppig? Wer gönnt uns so etwas?«

Sie hob den Becher. »Außer uns selbst, meinst du.«

»Die Üppigkeit deines Anblicks läßt mich an ein anderes Gemach als diese windige Terrasse denken.«

»Dann sollte ich schneller sprechen.«

»Oder später. Oder dabei. Magst du?«

»Immer.«

Wir nahmen die Becher mit. Dabei und ein wenig später und zwischendurch berichtete sie von der Einladung zu einem Ball. Sie war morgens in Venedig zugestellt worden, durch einen livrierten Boten. Das Papier, mit Wasserzeichen und Aufdruck, stammte aus unserer Druckerei. Einer unserer vornehmen Kunden ließ sich dazu herab, uns außerhalb des Karnevals (oder neben diesem) zu einem Fest in seinem Palazzo zu laden. Einem Fest mit Musik, Tanz, Speisen, einer kurzen Komödie – und Masken.

»Bis wann müssen wir annehmen oder absagen?«

Laura stützte sich auf den linken Ellenbogen und verhängte mein Gesicht mit ihrem Honighaar. »Ich habe schon zugesagt. Es ist nächste Woche; da wollten wir ohnehin die Kinder zu Gianna bringen und ein paar Tage in der Stadt bleiben.«

»Was immer du tust, ist wohlgetan, Liebste.«

»Das auch?«

»Sowieso. Uh. Tiefer.«

Gewöhnlich blieben die Vornehmen unter sich. Die Einladung an uns ließ jedoch darauf schließen, daß auf diesem Ball eine der zuweilen erwünschten »Vermengungen« der Stände stattfinden sollte: Vornehme, Künstler, erlesene Handwerker, wahrscheinlich ein paar Gesandte, sicherlich Venedigs teuerste Kurtisanen.

 

An diesem Abend peitschte ein weiterer Herbststurm das Wasser. Im kleinen Hafen von Orebić tanzten die Schiffe. Jenseits der Meerenge war nichts zu sehen außer tiefen Wolkenfetzen und Gischtspritzern. Nicht einmal das venezianische Wachboot, das sonst immer nach Türken oder Seeräubern Ausschau hielt, hatte den Hafen von Curzola verlassen.

»Bei diesem Wetter geht kein Hummer vor die Reusentür«, knurrte Goran. Er rührte in dem Gebräu aus Wein, heißem Wasser, Honig und Gewürzkräutern, das er uns bereitet hatte. »Mein Holzbein schmerzt. Das Leben ist widerlich. Und bei so einem Wetter soll ich das hier lesen?« Er ließ das letzte Blatt sinken.

»Was stört dich daran?« sagte ich. »Ich finde, es ist gute Lesekost für schlechtes Wetter.«

»Willst du jetzt allen Ernstes einen Ball beschreiben? Mit Masken und Tänzen und allem?«

»Und den vergoldeten Brustwarzen der Kurtisanen, den weiten Hosen der jungen Adligen, dem Glanz in den Augen meiner Liebsten.«

»Vergoldete Brustwarzen?« Er klackte mit der Zunge. »Ich bin zu alt für so was.«

Ich nickte. »Es stünde dir auch nicht.«

»Wirklich vergoldet?« Er blinzelte.

»Scheint dich zu fesseln, wie? Ja, vergoldet oder mit Silber überzogen. Auf dem Höhepunkt des Festes hat eine von ihnen in der Mitte des Saals eine Banane gegessen, als wäre es etwas anderes. Oder sie ein Schwertschlucker. Die Männer waren begeistert, einige der älteren Frauen entgeistert. Oder jedenfalls haben sie so getan als ob.«

»Schwertschlucker, wie?« Goran schmatzte. »Wie findest du so etwas?«

»Na ja, anregend.«

»Hm. Und was hat deine Laura gesagt?«

»Ich weiß es nicht; sie war woanders im Saal.«

»Hätte sie es auch anregend gefunden? Lehrreich?«

»Anregend vielleicht.«

»Nicht lehrreich? Nichts, was sie hätte lernen müssen?«

»Was stört dich denn an der Beschreibung eines venezianischen Maskenballs?«

Goran räusperte sich. »Masken.«

»Warum?«

»Ich glaube, die Venezianer tragen immer Masken. Vielleicht ist das, was sie bei solchen Bällen aufsetzen, ihr wahres Gesicht.«

Ich lachte leise. »Kann sein; man sollte es erwägen.«

»Außerdem gehört es nicht in deine Geschichte. Nutzloses Beiwerk. Schmückend? Kann sein, aber nutzloser Schmuck ist ... müßig.«

»Du erstaunst mich, Goran. Jetzt klingst du wie ein Lehrer der Schreib- und Redekunst. Nicht wie ein alter Schiffbauer und Fischer.«

»Wenn ich ein Schiff mit nutzlosem Schmuck behänge – was dann? Was wird es tun? Untergehen wird es. Bei Geschichten ist das genauso.«

Ich trank einen Schluck von dem Gebräu; inzwischen war es nicht mehr so heiß, daß es mir die Zunge verbrüht hätte. »Mag sein«, sagte ich dann. »Aber der Ball wäre nicht völlig nutzloser Schmuck. Auf diesem Ball habe ich ein paar Leute gesehen, die später noch eine wichtige Rolle spielen. Es wäre also eine gute Möglichkeit, sie unauffällig einzuführen.«

»Unsinn.«

»Inwiefern?«

»Wenn du sie einführst, ist das nicht unauffällig. Jeder aufmerksame Zuhörer, dem so eine Geschichte erzählt wird, fragt sich, warum diese Leute beschrieben werden. Und er wird sich sagen, entweder ist dies ein schlechter Märchenerzähler, einer, der unwichtiges Beiwerk einflicht, nur weil es ihm gefällt; oder er ist ein guter Märchenerzähler, dann kann das kein Beiwerk sein, sondern dient wahrscheinlich dazu, diese Leute einzuführen. Also nicht unauffällig.«

»Du vergißt, daß es auch eine, na ja, mindestens eine weitere Sorte Märchenerzähler gibt.«

»Nämlich?«

»Die, deren Weg aus Umwegen besteht. Eine Geschichte ganz aus Abschweifungen und Beiwerk, und am Schluß ergibt sich daraus plötzlich eine Geschichte. Oder wenigstens das Bild eines Menschen.«

Goran dachte ein paar Augenblicke darüber nach; schließlich schüttelte er den Kopf. »Mag sein, aber so einer bist du nicht. Oder wenn, dann will ich es nicht lesen.«

»Ich verspreche, ich werde dich nicht mit nutzlosem Tand langweilen.«

»Gut. Welche Leute tauchen denn auf diesem Ball auf? Ich habe ja einen Teil der Geschichte erlebt; kenne ich die, um die es da geht?«

»Dandolo«, sagte ich. »Und Karim Abbas.«

»Dandolo?« Er klatschte in die Hände. »Weißt du, an was er mich immer erinnert hat? Oder an wen? Eine Figur aus einer Komödie oder einem Schwank – der, der immer einen Scherz macht und zwischendurch anfängt, herumzuspringen. Und der dabei in der Luft die Hacken zusammenschlägt.«

Ich schloß einen Moment die Augen, dachte an Antonio Dandolo, den jungen Mann, der von Einfällen sprühte – Einfälle wie sein Haar, üppig, wallend und gelockt. Einfälle bis auf die Schultern, gewissermaßen, und oft auch bis zur Hüfte. Oder zum Gemächt.

»Und Karim Abbas?« Goran knurrte etwas. »Überhaupt, seltsame Namen haben die, oder? Karim ist ›der Großzügige‹, und ist er großzügig? Abbas ist ›der Düstere‹, und wie geht das zusammen? Kann man großzügig und düster sein? Düster großzügig? Großmütig im Verteilen von Finsternis? Bah.«

»Unsere Namen sind doch auch nicht besser.«

»Wie meinst du das?«

»Jakob heißt ›der Fersenhalter‹, und halte ich vielleicht Fersen? Und was ist mit Goran? Was bedeutet das?«

»Der Große.« Goran kicherte. »Oder ›der aus den Bergen‹. Ja, ja, ich bin nicht groß, höchstens innen, und ich komme von der Küste. Aber der nächste Berg ist nicht weit. Und hoch.«

 

Antonio Dandolo entstammte eine der ältesten und wichtigsten Familien Venedigs, die vier Dogen hervorgebracht hatte, dazu zahlreiche Seefahrer, Krieger und große Händler. Einer seiner Urahnen war jener Enrico Dandolo, der während des Vierten Kreuzzugs für die Verwüstung von Konstantinopel gesorgt hatte. Außerhalb Venedigs waren viele Gelehrte immer noch davon überzeugt, daß sich die Kaiser des Ostens ohne diese Schwächung der Osmanen hätten erwehren können.

»Das kannst du mir nicht vorwerfen«, sagte Antonio, als ich ihn darauf ansprach. »Weißt du denn, was deine Urahnen angerichtet haben? Rom verwüstet vielleicht?«

»Meine Vorfahren haben Blech bearbeitet.«

Er lachte laut. »Na, siehst du? Gutes Erz daran gehindert, anständiges Eisen zu werden; ist das denn besser?«

Er war sechs oder sieben Jahre jünger als ich und hatte eigentlich für das Handelshaus seines Vaters nach Alexandria reisen sollen – in jene Stadt, die alle Gewürze aus den fernen Ländern Asiens umschlug und weiterverkaufte. Vor allem, oder fast ausschließlich, an die Venezianer. Aber dann beschlossen die Osmanen, die Geschäfte ohne venezianische Beteiligung abzuwickeln, und Antonio saß untätig in einem der edlen Häuser, trank, würfelte, verfaßte muntere Spottverse und hatte sich das Ziel gesetzt, in den nächsten zehn Jahren alle Kurtisanen Venedigs mindestens einmal zu naschen, wie er es nannte. Manchmal nannte er es auch anders.

Sein Vater gehörte nicht dem angesehenen Hauptstamm der Dandolo-Familie an; vielleicht hatte er deshalb jene gewisse Eitelkeit entwickelt, die ihn dazu brachte, sich von der Druckerei Rinaldi eigenes Papier entwerfen zu lassen. Andere fanden, damit stelle er seine angemaßte Bedeutung zur Schau, was einen beklagenswerten Mangel an Vornehmheit und Zurückhaltung beweise. Und vielleicht war es dieser Mangel an Nobilität, der ihn dazu brachte, Handwerker und Kurtisanen zu seinem Fest zu laden.

Der Palazzo lag an einem der kleineren Kanäle. Eine Brücke endete beinahe vor dem Portal, nur wenige Schritte vom Ufer entfernt. Es wäre übertrieben, von einem Platz zu sprechen; es war eher eine Ausbeulung der Uferstraße.

Am verzierten Pfeiler des Brückengeländers lehnte Antonio. Er trug enge ockerfarbene Seidenstrümpfe, ein mit Goldstreifen besetztes Wams, eine ausladende schwarzrote Faltenhose, die unten mit grünen Bändern um die Oberschenkel endete. Der Hals steckte in einem Faltenkragen, ebenso weiß wie die bauchigen Ärmel des Seidenhemds, und auf den schwarzen Locken ritt etwas, das einer umgekehrten Gondel glich, aus deren Enden Flamingofedern ragten. Neben ihm stand ein Diener des Hauses mit einem Korb voller Masken.

»Armer Kleiner«, sagte Laura; sie küßte ihn auf die Wange. »Würgt dich der Kragen sehr?«

»Schönste der Frauen!« Antonio grinste sie an, dann mich. »Wenn dein Gemahl nicht dräuend neben dir stünde, schlüge ich vor, daß wir in eines der Gemächer schleichen, wo du mir den Kragen und den Rest entfernst und ich dich deines prächtigen Gewirks aus Seide und Leinen entledige. Da es dich aber trefflich kleidet und Jakko wohl Einwände erhöbe – ach, so will ich zagen und entsagen. Habt ihr Masken?«

»Haben wir«, sagte ich. »Bist du der Wächter der Verhüllung?«

»Da ich weiß, wer geladen ist und von denen zu unterscheiden wäre, die zufällig hier entlangwandern ...«

»Willst du den ganzen Abend draußen verbringen?«

»Wenn die Sonne untergegangen ist, werde ich drinnen aufgehen. Sagt, ihr geliebten Freunde – wann werden wir wieder trinken und über das reden, was wir zwei, o Holdeste, tun könnten, wenn du nicht diesen deutschen Barbaren vorgezogen hättest?«

Antonio war von seinem Vater vor Jahren mit der Auswahl und Gestaltung des Papiers betraut worden. So hatten wir ihn kennengelernt; seither behauptete er, unsterblich in Laura verliebt zu sein und aus schierer Verzweiflung zu den Kurtisanen zu flüchten.

Alle bisherigen Verhandlungen mit den Dandolos hatten wir in der Druckerei oder in einer der besseren Tavernen geführt. Für Laura und mich war dies der erste Zutritt zu ihrem Palazzo. Die Venezianer sind ja stolz darauf, eine Republik zu sein und keinerlei Aristokratie zu besitzen; tatsächlich ist dies eine fromme Lüge. Ob eine Sippe über Jahrhunderte dank angeblich besonderen Bluts Macht und Einfluß besitzt oder dank des von Vorfahren erworbenen und von den Nachkömmlingen gehegten Reichtums – es bleibt die Herrschaft jener, die sich für »die Besten« halten. Und die Besten lassen Minderwertige gewöhnlich nicht in ihren Palast, den sie schlicht casa nennen.

Das Gespräch wurde mehrmals unterbrochen, wenn festlich gekleidete Personen ohne Masken erschienen. Antonio schien sie wirklich alle zu kennen und hatte für jeden einen Gruß, einen Scherz, eine Erinnerung. Und eine Maske.

Selbst, wenn der Betreffende keine zu benötigen meinte, wie der ältere Mann in einer Soutane mit feinen Goldstreifen. Er nickte Antonio lächelnd zu und schien zur Tür gehen zu wollen.

»Bon soir, mon père«, sagte Antonio. »Ihr werdet doch nicht Venedigs holdesten Kurtisanen den Anblick Eures unverhüllten Antlitzes gewähren wollen?«

Der Priester fuhr mit der Hand seitlich über sein Gewand. »Was könnte denn eine Maske verbergen, was dieses Kleid nicht ohnehin offenbart, mein Lieber?«

Nur ein Hauch von Französisch war zu ahnen. Er hatte eine sanfte, volle Stimme, und eher die Stimme als das Gesicht erinnerte mich an etwas. Wollte mich an etwas erinnern, besser gesagt, aber die Erinnerung blieb verborgen. Ich war sicher, daß ich ihn schon einmal gesehen und gehört hatte, vor Jahren.

»Ihr werdet überrascht sein«, sagte Antonio, »wie viele vermeintliche Priester und Ordensleute sich im Haus aufhalten.«

»Nun denn – gebt mir eine Maske. Wenn es dem Himmel so gefällt, wie könnte es mir dann mißfallen?«

Der Diener hielt ihm den Korb hin; der Priester griff hinein, ohne hinzusehen, setzte die Maske auf, zupfte das Band, das sie hielt, hinter den Ohren zurecht und ging in den Palazzo.

»Kurtisanen und Priester?« sagte Laura. »Welch heitere Mischung. Damit hätte ich nicht gerechnet.«

»Ach, Schönste, du solltest dich öfter überraschen lassen. Zum Beispiel von mir.« Antonio zwinkerte übertrieben.

»Er kommt mir bekannt vor«, sagte ich.

»Pater Corgoloin?« Antonio schob die Unterlippe vor und legte den Kopf schief. »Er ist schon einige Male in Venedig gewesen. Bei der Gesandtschaft.«

»Der französischen?«

»Ah nein, er ist aus Burgund – bei der kaiserlichen.«

Als Laura und ich schließlich in den Palazzo gehen wollten, um uns irgendwo zu setzen, etwas zu trinken und die schweifenden Eitelkeiten zu betrachten, hielt Antonio mich am Arm fest.

»Laura«, sagte er, »ist wie immer unvergleichlich. Dieser Traum aus Leinen und Seide gleicht einer Kruste, vom allerbesten Bäcker zu schleunigem Verzehr bereitet. Und ich schlüge gern meine Zähne hinein.« Er seufzte theatralisch, und Laura kicherte. »Aber du, mein Freund – konntest du dich nicht mit etwas umgeben, was weniger türkisch ist?« Er lehnte den Oberkörper zurück; und wie ein Schneider flatternde Fetzen betrachten mag, musterte er mein rotes Wams, das weiße Hemd, die weite Hose und die flachen Stiefel aus weichem Leder, die ich den bei reichen Venezianern üblichen hochhackigen Schuhen vorzog.

»Wenn ich schon eine unbequeme Maske tragen muß, will ich es ansonsten behaglich haben.«

Das ärmliche Haus der Dandolos hätte auch eine Kleinstadt sein können oder ein Labyrinth. Anfangs versuchte ich, die Lage der Räume, Treppen und Geschosse zu erfassen, indem ich sie durchwanderte; ich gab jedoch bald auf. Alle Wände schienen gerade zu sein, trotzdem waren alle Räume unregelmäßig geformt. Einen viereckigen Saal fand ich nicht; die meisten waren drei- oder fünfeckig, und als ich Zugang zu einem elfeckigen Gemach gefunden hatte, stellte ich das Zählen ein.

Ich schätzte, daß etwa drei Zehntel von Venedigs Reichtum versammelt waren. Die Vielfalt der Speisen entsprach der Vorzüglichkeit der Gäste. Einige der Frauen mit entblößten Brüsten schienen mir keine Kurtisanen zu sein, vielmehr Gattinnen oder Töchter, die etwas zur Schau stellen wollten, wenn sie denn schon ihr Antlitz zu verbergen hatten. Einige ältere Männer – graues Haar lugte unter den Masken und Kopfbedeckungen hervor – hielten sich immer in ihrer Nähe auf, und ihre Gebärden verrieten eher Unruhe denn Begeisterung. Manche der jüngeren Männer trugen altmodische Beinkleider samt Schamkapsel; viele dieser Kapseln waren aus kostbaren Stoffen gefertigt, mit einer gewissen Wucht verziert und insgesamt Hochstapelei.

Ich streunte durch die Säle, um die einmalige Gelegenheit zu nutzen und den kargen Hausstand der reichen Familie zu betrachten. Ich sah goldene Kerzenhalter und solche aus Kristall, mit Kristalltrauben behängt, die das Licht vermehrten. Ich stand vor alten, unbezahlbaren Wandbehängen, die vermutlich Ahnherren und einige Ahnfrauen zeigten, bei der Jagd, bei Bällen, im Gespräch mit anderen Personen, die prunkvolle Gewänder vergangener Tage trugen. Ich versank in dicken Teppichen, betrachtete Gemälde unbekannter Meister, bestaunte kostbare Truhen aus Hölzern, die aus fernen Ländern stammten und deren Namen ich nicht kannte. Ich stellte alberne Mutmaßungen an, was die Truhen und die zahllosen, ebenfalls teuren Schränke enthalten mochten und wie lange die Tische, die sich unter Silberplatten voll erlesener Speisen bogen, ihre Last noch tragen würden.

In mehreren Räumen gab es Musiker. Eine Gruppe in gewöhnlicher Kleidung spielte ausgelassene Volkstänze, eine andere – deren Mitglieder ob der steifen Vornehmheit ihrer Gebärden und Gewänder schwitzten – erging sich in etwas, was ihnen als feierliche Musik erscheinen mochte, mir jedoch eine entbehrliche Form hochtrabender Langeweile war.

Bemerkenswerter als die Musik war die Vielfalt der Masken. Laura und ich trugen gewöhnliche Stoffteile, die den Mund freiließen. Andere trugen wahre Gebäude, und viele (wahrscheinlich in der Absicht, sich entsprechend zu benehmen) traten als Tiere auf. Es gab erstaunlich viele Füchse, etliche Wildschweine, Pferde, Löwen, Wölfe, sogar einige Fische. Eine Kurtisane mit glänzend geschminkten Brüsten hatte ihr Haar mit Federn zu einer Art Pfauenrad verflochten und auch das Gesicht mit Pfauenaugen bedeckt.

Da und dort plauderte ich mit Unbekannten, unter deren Masken ich Bekannte vermutete, erkannte aber keine Stimme. Immer wieder zogen Diener durchs Gedränge und versprühten Duftwässer, die sich mit den Gerüchen der Speisen und den Aromen der Gäste vermischten.

Laura verlor ich irgendwann aus den Augen, als sie sich einem nicht ganz so feierlichen Tanz anschloß. Ich hatte ein wenig gebratene Gänsebrust geknabbert, lehnte an einer Säule, betrachtete das Quirlen und nippte an meinem Glas. Es war ein teures Glas, zweifellos von einem der Künstler aus Murano geblasen, und es enthielt einen leichten, perlenden Wein. Nicht weit von mir, umgeben von männlichen und weiblichen Masken, deren Träger unausgesetzt ihre Gesprächspartner tauschten, standen zwei dunkelgekleidete Männer, die sich ernsthaft zu unterhalten schienen. Oder nicht zu unterhalten, sondern halblaut zu streiten. Sie standen fast starr, während sich ringsum alles bewegte, und ihre Gesten hatten eine beinahe bedrohliche Intensität, befremdlich in all dem Flattern und Lachen.

»Fesselnder Anblick, wie?« Die leise Stimme hinter mir gehörte Lorenzo Bellini. »Oder betrachtest du etwa fremde Frauen, Jakko?«

»Da du meine üppige Maske mühelos durchschaust«, sagte ich, »wage ich die Frage, wer die beiden sind.«

»Deine Maske ist, nun ja, eine Maske; aber wer außer dir käme auf den Gedanken, in bequemen, weiten Hosen und einem Seidenhemd zu erscheinen, das nicht eng anliegt?«

»Ich hatte ja nicht vor, meinen Leib zu verschachern. Wer sind die beiden?«

»Ein Osmane und ein Franzose. Beide etwas hitzig. Mal sehen, wann sie sich schlagen.«

»Der Sultan und König François sind doch angeblich in Hitze oder Kälte verbündet.«

Bellini schnalzte. »Kein Grund für all ihre Untertanen, jederzeit miteinander zu schmusen.«

Einer der beiden hob plötzlich die Hand. Es sah aus, als wolle er den anderen schlagen; er schlug jedoch nicht, sondern riß ihm die Maske vom Gesicht, warf sie zu Boden und trampelte darauf herum.

Der Demaskierte trat einen halben Schritt zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte etwas, unhörbar in all dem Lärm. Seine Miene wirkte beherrscht, aber unter dieser anderen Maske glaubte ich, eine Mischung aus Hochmut und Ekel zu erkennen. Er mochte etwa in meinem Alter sein, hatte dunkles Haar, eine schmale Nase und strahlte eine gewisse Finsternis aus.

»Der Osmane?«

»Karim Abbas«, sagte Bellini. »Eine Art Sonderbotschafter, und ich wüßte gern, warum sie ihn geschickt haben.« Dann lachte er. »Venedigs Damen stehen angeblich Schlange vor seinem Bett, weil er so eine düstere Schönheit hat. Wie man sagt. Ich kann das nicht beurteilen. Männliche Schönheit ist nicht mein Gebiet.«

»Wir armen gewöhnlichen Männer ... Sollten wir ihn beneiden?«

Bellini pfiff durch die Zähne. »Vielleicht später. Das ist noch nicht zu Ende.«

Die beiden redeten immer noch miteinander – kurze Wörter, vermutlich Beleidigungen. Plötzlich hatte der Franzose ein Messer in der Hand, das in seiner Hüftschärpe verborgen gewesen sein mußte. Karim wich dem Stich, der auf seine Brust gezielt war, mühelos aus, schlug dem Franzosen das Messer aus der Hand, packte ihn an Kinn und Hinterkopf und brach ihm mit einer schnellen Bewegung das Genick.

Aus anderen Räumen waren nach wie vor Musik, Gerede und Gelächter zu hören. In unserem Saal wirkte alles einen Moment wie erstarrt, in der Bewegung gefroren. Dann schrien ein paar Frauen auf, und mehrere Männer brüllten nach Dienern.

»Ach ja«, knurrte Bellini. »Ich hab’s ja geahnt, daß das hier für mich mit Arbeit enden würde.« Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus.

Ich blieb an die Säule gelehnt stehen, trank und sah zu, wie Lorenzo und einige Männer, die unter den Gästen nicht weiter aufgefallen waren und nun zu ihm gelaufen kamen, den Toten und den Mörder abschirmten. Dabei dachte ich an die Kraft und Geschmeidigkeit dieses Karim Abbas, seine Bewegungen eines erfahrenen Kämpfers, und sagte mir, daß er den tödlichen Griff gründlich an zuvor Lebenden erprobt haben mußte, um ihn so gut zu beherrschen.

Diener kamen herbei. Auf Bellinis Anweisung hin hoben sie den Toten auf und brachten ihn zu einem Wandbehang, der die Tür zu einem Nebenraum verbarg. Dann erschienen Antonio und sein Vater; beide hatten die Maske in der Hand. Sie wechselten einige leise, unhörbare Worte mit Bellini und KarimAbbas. Der Osmane verneigte sich vor dem Gastgeber; ich nehme an, daß er um Vergebung für die Störung des Fests bat. Bellini und seine Männer geleiteten ihn aus dem Palazzo, und ich machte mich auf die Suche nach Laura.