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Helmut Reinalter (Hg.)

Mozart und die geheimen Gesellschaften seiner Zeit

 

 

 

Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei

hg. von Helmut Reinalter

in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ideengeschichte und der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei

Band 7

Mozart und die geheimen Gesellschaften seiner Zeit

herausgegeben von Helmut Reinalter

StudienVerlag

lnnsbruck
Wien
Bozen

Vorwort

Die Freimaurer-Akademie der Großloge von Österreich hat vom Großmeister den Auftrag, sich regelmäßig mit Themen zu beschäftigen, die nicht nur der Freimaurerei helfen sollen, grundlegende Themen ihrer Ideengeschichte wissenschaftlich zu vertiefen, sie soll auch gleichzeitig die Chance nützen, darüber mit nichtfreimaurerischen Persönlichkeiten in einen Dialog zu treten. Es ist eine wichtige Aufgabe der Freimaurerei, aus der besonderen Vergangenheit dieses Weltenbundes Erkenntnisse zu gewinnen, die für die Welt und die Zukunft der Menschheit relevant sind. Werteverlust, Desorientierung und das steigende Konfliktpotential einer globalisierten Gesellschaft geben dieser Aufgabe eine sehr aktuelle und wichtige Dimension.

Das Jubiläumsjahr des Bruders Freimaurer Mozart bot den seltenen Anlass, eine breite und interessierte Öffentlichkeit umfäinglich über die geistigen Strömungen und die komplexen Relationen, die zwischen Aufklärung, Josephinismus und Freimaurerei in seiner Zeit herrschten, zu informieren. Die geheimen Gesellschaften seiner Zeit haben da viele Spuren hinterlassen, deren Relevanz für den Gesamtprozess der Aufklärung nicht leicht erkennbar und zuordenbar sind. Helmut Reinalter ist es hier in seiner Doppelfunktion als Vorstand des Privatinstituts für Ideengeschichte und als Wissenschaftlicher Leiter der Freimaurer-Akademie gelungen, ein Panel zusammenzustellen, das viele Fragen beantworten konnte und es vor allem schaffte, die Bedeutung dieser Geheimgesellschaften in eine hierarchische Ordnung und in den Kontext der auch heute sehr relevanten, reflexiven Aufklärung zu bringen.

Besonders glücklich schätzen wir uns allerdings, dass es uns möglich war, dieses Symposium in örtliche, zeitliche und sachliche Nähe der so bedeutenden und erfolgreichen Mozart-Ausstellung in der Albertina zu bringen. Herbert Lachmayer, dem Leiter des Da Ponte-Instituts, ist nicht nur eine hervorragende Ausstellung geglückt, er hat durch seine umfängliche Mitwirkung und in seinem Beitrag unserem Thema Dynamik und eine Dimension verliehen, die die Bedeutung des Freimaurers Mozart für unsere Zeit in einem neuen Lichte erscheinen lässt. Ihm gilt unser besonderer Dank.

Schließlich ist der Erfolg dieser Veranstaltung, nämlich der sehr gute Besuch, die gewonnenen Erkenntnisse und die perfekte Organisation, das Resultat des unermüdlichen Einsatzes des Koordinators der Freimaurer-Akademie, Manfred Jochum, und seines Teams. Ihm und den ausgezeichneten Referenten des Symposiums möchte ich an dieser Stelle meinen speziellen Dank ausdrücken.

Michael Kraus

Großmeister der Großloge von Österreich

Oktober 2006

Vorbemerkung

Aus Anlass des Mozartjahres fand am 19. und 20. Mai 2006 in der Albertina und im kleinen Festsaal der Universität Wien das Symposium „Mozart und die geheimen Gesellschaften seiner Zeit“ statt. Veranstalter war die Freimaurer-Akademie der Großloge von Österreich in Kooperation mit dem Privatinstitut für Ideengeschichte in Innsbruck und dem Da Ponte-Institut Wien. Diese sehr gut besuchte internationale Tagung verstand sich als wissenschaftliche Ergänzung zur großen Mozart-Ausstellung in der Albertina Wien „Mozart. Experiment Aufklärung“.

Im Prozess der Aufklärung und des Josephinismus kam den geheimen Gesellschaften eine wichtige Rolle zu, weil sie als gesellschaftliche Formationen die Zeit Mozarts mitgeprägt haben. Im Mittelpunkt der Freimaurerlogen, in denen sich ihre als „Weltbürger“ verstehenden Mitglieder eine selbst geschaffene „republikanische“ Ordnung gaben, stand die ritualisierte Freundschaft, die in der Trennung von der Außenwelt, jenseits der ständisch strukturierten Gesellschaft, der Konfessionen und Staaten erlebt wurde. Das freimaurerische Ritual verstand sich als ein dynamisches Symbol des kosmischen Geschehens. Die Logen traten unter Achtung der Würde des Menschen für Toleranz, freie Entwicklung der Persönlichkeit, ethisches Handeln, Brüderlichkeit und Humanität ein. Ihr Ziel war es, für eine Vermenschlichung der Gesellschaft einzutreten. Mozart, der am 14. Dezember 1784 in die Wiener Loge „Zur Wohltätigkeit“ aufgenommen wurde, war begeisterter Freimaurer und fühlte sich von diesen Verhaltensweisen und Zielen sehr angesprochen.

Die strukturelle Krise des Absolutismus und der Spätaufklärung führte dann allerdings zu einer Aufspaltung der geheimen Gesellschaften in verschiedene ideologisch-politische Richtungen und zur Gründung verschiedener Sozietäten, die neben Mozarts freimaurerischer Tätigkeit im vorliegenden Band dargestellt werden. In der Zeit vom 16. Juli bis 1. September 1782 tagte in Wilhelmsbad bei Hanau ein internationaler Freimaurerkonvent, der statt des unübersichtlichen Dickichts der verschiedenen Richtungen und Systeme der Freimaurerei eine einfachere Struktur schaffen wollte. Er hatte für die weitere Entwicklung der Freimaurerei, wie die Geschichte zeigt, große Bedeutung. Auf diesem Konvent traten sehr heterogene, esoterisch-ideologische Strömungen hervor. Die drei Hauptgruppen umfassten die Anhänger verschiedener hermetisch-alchemistischer Traditionen, die französischen Vertreter des mystisch-spiritualistischen-martinistischen Lyoner Systems und die Rationalisten bzw. Aufklärer. Dieser Differenzierungsprozess betraf z.T. auch die Entwicklung der Freimaurerei in der Habsburger Monarchie, wie aus den Beiträgen hervorgeht. Erstmals werden hier die Freimaurerei und andere geheime Gesellschaften zur Zeit Mozarts in einer Zusammenschau präsentiert und ihre Querverbindungen aufgezeigt. Jean Mondot (Bordeaux) sprach zur Einleitung des Symposiums in einem öffentlichen Vortrag über das Thema „Die praktische Aufklärung in Österreich und der Josephinismus“.

Die Freimaurer-Akademie der Großloge von Österreich dankt dem Privatinstitut für Ideengeschichte und dem Da Ponte-Institut für die gute Zusammenarbeit und Organisation, den Sponsoren und allen Persönlichkeiten, die zum Gelingen dieser wissenschaftlichen Tagung beigetragen haben. Der Koordinator der Akademie, Manfred Jochum, hat die zahlreichen Besucher in Vertretung des Großmeisters der Großloge von Österreich, Michael Kraus, begrüßt und auf die Bedeutung des Symposiums hingewiesen.

Wien/Innsbruck, Oktober 2006

Helmut Reinalter

Wissenschaftlicher Leiter der Freimaurer-Akademie

Helmut Reinalter

Einführung

Die Aufklärung wird in der neueren Forschung häufig als bürgerliche Emanzipations- und Bildungsbewegung mit der höfisch-aristokratischen Kultur des Barock verglichen und davon abgegrenzt. Dabei wird offenbar übersehen, dass im 18. Jahrhundert noch die Aristokratie politisch und kulturell dominierte. Allerdings erhöhte sich die Zahl der bürgerlichen Gelehrten, Schriftsteller und Künstler, die alle von einer spezifischen Welt- und Lebensanschauung geprägt waren, die als bürgerliche Mentalität bezeichnet wurde. Darunter verstand man vor allem die Betonung der Persönlichkeit, die nicht durch Geburt und Zugehörigkeit zu einem Stand und Verband, sondern durch die unveräußerliche Menschenwürde, durch Leistung und Verdienst bestimmt war. Die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander unterlagen einem Rationalisierungs- und Funktionalisierungsprozess. Sie wurden nicht mehr als gegeben hingenommen, sondern als Aufgabe und Chance der Gestaltung im Interesse der Menschen aufgefasst.

Die bürgerliche Welt- und Lebensanschauung manifestierte sich auch in neuen Geselligkeits- und Vergesellschaftungsformen. Zu ihnen gehörte eine Vielzahl unterschiedlicher Sozietäten, wie Akademien, Gelehrten- und Lesegesellschaften, ökonomische und patriotische Sozietäten und die Freimaurerlogen, die sozial von der höfischen Welt bis in das gebildete und besitzende Bürgertum hineinreichten. Allen diesen Gesellschaften war auf ähnliche oder unterschiedliche Weise das Bekenntnis zur Aufklärung, die Verwirklichung des Gemeinwohls und die Förderung der Bildung und Wissenschaften gemeinsam. Innerhalb der bürgerlichen Emanzipationsbewegung bildeten sie eine eigene Entwicklungsstufe zwischen feudaler Kooperation und bürgerlicher Assoziation und trugen – mit Ausnahme der Geheimgesellschaften – wesentlich zur Entstehung der Öffentlichkeit bei. Die Aufklärungsgesellschaften müssen als Erscheinungsform eines tief greifenden Transformationsprozesses gesehen werden, der die Entstehung der modernen bürgerlichen Gesellschaft beeinflusst hat. Nur auf der Grundlage des sich langsam herausbildenden modernen Staates mit seiner Bürokratie und mit der Emanzipation des Bürgertums konnten sich die aufklärerischen Sozietäten konstituieren, in denen erstmals über konfessionelle, staatliche und ständische Interessen hinweg für die ganze Gesellschaft verbindliche, gemeinsame Anliegen vertreten wurden. Die Sozietäten der Aufklärung bildeten einen besonderen sozialen Kristallisationspunkt und ein wichtiges Forum für aufklärerische Diskurse. Ihre Zahl und Bedeutung nahmen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu, sodass bald in ihnen ein erheblicher Teil des Bürgertums neben dem Adel organisiert war.

Die Freimaurerei hat als gesellschaftliche Formation die Aufklärung mitgeprägt und im Josephinismus eine nicht unwichtige Rolle gespielt. Sie stellte mit ihren z.T. strukturellen Gemeinsamkeiten eine spezifische Antwort auf das politische System des Aufgeklärten Absolutismus dar. Verschiedene Gruppen, die sozial anerkannt, aber z.T. ohne politischen Einfluss waren und in den bestehenden Einrichtungen des Staates keinen adäquaten Raum fanden, trafen sich in Kaffeehäusern, Akademien, Klubs und Salons, in Bibliotheken und literarischen Gesellschaften, um Kunst, Kultur und Wissenschaft zu betreiben. Versuche dieser Gruppen, eine selbstständige politische Tätigkeit zu entwickeln, scheiterten größtenteils am Staat, der seine Ordnung in Frage gestellt sah.

Die Freimaurerei übte einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die „Erosion der höfisch-aristokratischen Standeskulturen“ und auf die Entstehung einer neuen bürgerlichen Oberschichtenkultur aus. Aufklärung und Geheimnis waren im freimaurerischen Verständnis kein Widerspruch. Das Geheimnis enthielt als organisatorische und symbolisch-kulturelle Kraft bestimmte sozio-kulturelle Transformationsmöglichkeiten, die im Zuge des Strukturwandels von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft für das Bürgertum und für Teile des Adels emanzipatorische Aspekte aufwiesen. Dazu kam noch ein in Ansätzen entwickeltes demokratisches Potential trotz Hierarchisierungstendenzen in den Hochgraden, das sich in der Freimaurerei nicht nur in der ständischen Nivellierung, in der Verwirklichung der gesellschaftlichen Gleichheit und im humanen Prinzip „Mensch unter Menschen“ manifestierte, sondern auch in der Selbstordnung und Selbstverwaltung, in der relativ stark ausgeprägte Formen der Willensbildung erkennbar waren. Das manchmal offene Bekenntnis der Freimaurerei zur Demokratie war gegen das real bestehende politische System des Absolutismus gerichtet.

Die angestrebte Freiheit vom Staat war das eigentliche „Politicum“ der an sich als Organisation unpolitischen Freimaurerei, denn ihre Unabhängigkeit und Freiheit konnte sich nur in jenen Bereich verwirklichen, der nicht unter dem Einfluss der kirchlichen und politischen Instanzen stand. Die Freimaurerlogen stellten eine neue, der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft entsprechende Organisationsform dar. Sozialontologisch hat Lessing diesen Aspekt in seinem Freimaurergespräch „Ernst und Falk“ zum Ausdruck gebracht. Darin tritt besonders die soziale Funktion der Logen hervor. Die Bürger integrierten den sozial anerkannten, aber politisch zum Teil entrechteten Adel und schufen damit eine Grundlage der Zusammenarbeit auf der Basis sozialer Gleichberechtigung.

Die Freimaurerei zur Zeit Mozarts war durch verschiedene Richtungen und Strömungen gekennzeichnet. In der Zeit vom 16. Juli bis 1. September 1782 tagte in Wilhelmsbad bei Hanau ein internationaler Freimaurerkonvent, der aufgrund der Ausuferung der schottischen Hochgradmaurerei in Europa, des Auftretens unseriöser Konkurrenten, der Fehlentwicklungen in System und Ritual, der Abspaltungsversuche und Legitimationsprobleme einberufen wurde. Die Zweifel an der Beweisbarkeit einer unmittelbaren Filiation zwischen dem Tempelritterorden und dem neuen freimaurerischen Tempelrittern nahmen zu, und auch die Erfassung „unbekannter Oberer“ stieß auf ernsthafte Probleme. Auf dem erwähnten Konvent traten sehr heterogene, esoterisch-ideologische Strömungen hervor. Die drei Hauptgruppen umfassten die Anhänger verschiedener hermetisch-alchemistischer Traditionen, die französischen Vertreter des mystisch-spiritualistisch-martinistischen Lyoner Systems und die Rationalisten bzw. Aufklärer. Dazu kam noch die strukturelle Krise des späten Absolutismus, die innerhalb der Freimaurerei zur Herausbildung verschiedener Richtungen führte, wobei die Rosenkreuzer als konservative Bruderschaft dem politischen Geheimbund der Illuminaten gegenüber standen.

Zur Zeit Mozarts entstand auch das Hochgradsystem der Asiatischen Brüder, das 1782 von Hans Heinrich Freiherr von Ecker und Eckhoffen ausgearbeitet wurde und durch die Vermittlung des Grafen Sinzendorf in den österreichischen Erblanden Verbreitung fand. Auch die okkulten und freimaurerischen Ideen von Cagliostro stießen in Österreich auf Resonanz, insbesondere die Gründung einer eigenen Freimaurerei, die er die „ägyptische“ nannte. In diesem ägyptischen Ritus trat er vor allem dafür ein, dass auch Frauen in den Orden aufgenommen werden können.

Die Aufklärung in Österreich unterschied sich von anderen europäischen Aufklärungsbewegungen vor allem dadurch, dass sie starke praktische Züge aufwies. Der gesamte Reformkomplex Josephs II. verdeutlicht diesen Trend. Der Josephinismus wird zu Recht mit der Ausbildung des modernen bürokratischen Staates in Verbindung gebracht und nicht nur als „Sonderform der Aufklärung“, sondern auch als politische, gesellschaftliche und kulturell-geistige Bewegung gedeutet, die bis zu einem gewissen Grad eine „defensive Modernisierung“ in Österreich eingeleitet hat. Er war mit gewissen Einschränkungen eine spezifische österreichische Variante des Aufgeklärten Absolutismus.

Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 14. Dezember 1784, während der josephinischen Reformen, in die Wiener Loge „Zur Wohltätigkeit“ aufgenommen, dessen Meister vom Stuhl Otto Freiherr von Gemmingen-Hornberg, ein Förderer der Familie Mozart, war. Er dürfte Mozart nahegelegt haben, Freimaurer zu werden. Darüber hinaus war er wohl auch durch seinen stark masonisch durchsetzen Bekanntenkreis in Wien zum Logeneintritt motiviert worden. Die Loge „Zur Wohltätigkeit“ wurde am 2. Februar 1782 gegründet und stellte eine Tochterloge der Bauhütte „Zur gekrönten Hoffnung“ dar. Am 7. Jänner 1785 wurde Mozart, der die rituellen Logenarbeiten häufig besuchte, zum Gesellen befördert. Über seine Meistererhebung sind keine Unterlagen überliefert, sie muss aber bald nach seiner Gesellenbeförderung erfolgt sein. Auch Vater Leopold wurde – sicher auf Veranlassung seines Sohnes – am 6. April 1785 Freimaurer, wobei wegen des kurzen Aufenthalts in Wien seine Beförderung zum Gesellen und seine Erhebung zum Meister sehr rasch vor sich gingen. Mozart dürfte mit großer Begeisterung Freimaurer gewesen sein. Die Ziele des humanitären Bundes haben ihn sehr überzeugt: das Eintreten für Toleranz, freie Entwicklung der Persönlichkeit, für Brüderlichkeit, allgemeine Menschenliebe und besonders die Auffassung, dass menschliche Konflikte ohne zerstörerische Folgen ausgetragen werden können, wenn ein entsprechendes Vertrauensverhältnis zwischen den Menschen unterschiedlicher Überzeugungen hergestellt wird. Die Symbole als Bindemittel der Brüder untereinander, die die Kernaussagen der Freimaurerei in Bildern und sinnbildlichen Handlungen darstellen, dürften Mozart besonders angesprochen haben. In einem Brief an seinen Vater vom 4. April 1787 (der letzte erhaltene Brief an Leopold) hat er den Tod als Endzweck des Lebens bezeichnet. Das in Klammern ergänzte („sie verstehen mich“) könnte eine Anspielung auf den Meistergrad der Freimaurerei mit seiner Todes- und Auferstehungssymbolik sein. Mozarts Begeisterung für den Bund geht auch aus seinen Kompositionen für masonische Zeremonien hervor. Er hat musikalisch für die Freimaurerei viel geleistet und war zum Hauskomponisten seiner Loge geworden. Seine Oper „Die Zauberflöte“ gilt in Bruderkreisen als maurerisches Werk, zumindest sind starke Verbindungslinien zur Freimaurerei deutlich erkennbar.

Diese von mir einleitend angesprochenen Themenfelder werden in den Vorträgen des Symposiums genauer dargestellt und analysiert, sodass wir erstmals die Freimaurerei und andere geheime Gesellschaften zur Zeit Mozarts in einer Zusammenschau präsentieren können. Ich finde es bemerkenswert, dass diese wichtige Perspektive im Mozart-Jahr 2006 als Ergänzung zur großen Ausstellung „Mozart. Experiment Aufklärung“ wissenschaftlich aufgearbeitet wird.

Jean Mondot

Als Joseph regierte und Mozart dirigierte – Der Geist eines Jahrzehnts

Öffentlicher Festvortrag

In diesem Mozart-Jahr, das zu einer Flut von Mozart-Konzerten, -Aufführungen und sonstigen Musikveranstaltungen Anlass gegeben hat und geben wird – worüber nicht zu klagen ist –, darf nicht vergessen werden, dass das überirdische, überzeitliche Musikgenie in einer besonderen Zeit und einem besonderen Land, zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte dieses Landes gelebt und gewirkt hat. Interessante historische Koinzidenz, Mozarts große Werke wurden meistens während dieses josephinischen Jahrzehntes komponiert. Wir wollen deshalb versuchen, den Geist dieses erstaunlichen, ja wundervollen Dezenniums wiederzufinden oder zumindest ihm näher zu kommen. Nicht nur die österreichische Geschichte wird durch diesen Geist be- und erleuchtet, er liefert auch Stoff zum Nachdenken für andere Nationalgeschichten.

Wie sahen die Komponenten des Geistes dieses Jahrzehntes aus? Selbstverständlich ist eine solche Einteilung immer künstlich und die Geschichte lässt sich bekanntlich nicht so einfach in kleinere gänzlich autonome Einheiten, fensterlosen Monaden gleich, teilen. Aber es kann sich nichtsdestoweniger in einem bestimmten Zeitraum eine Reihe von Ereignissen derart zusammenfügen, zusammenballen, dass so etwas Undefinierbares und doch Greifbares, Vages und doch Unverwechselbares wie ein spezifischer Zeitgeist entsteht. Plötzlich treffen geistige Strömungen zusammen, bündeln sich zusammen oder stoßen aufeinander in einer Weise, die die Spezifizität der Periode ausmacht. Man denke beispielsweise stellvertretend für viele ähnliche Konfrontationen an den Zusammenstoß der barocken Frömmigkeit mit den Ideen der Aufklärung.

Allein die Aussonderung einer Epoche gibt Einblick in ihr Selbstverständnis. Denn eine Epoche besteht nicht aus dem teleologischen Rückblick, den die Nachwelt, die natürlich mehr weiß, als die Zeitgenossen, auf sie wirft. Eine Epoche, jede Epoche, das ist ein alter rankescher Befund, existiert auch an und für sich, steht unmittelbar zu Gott nach der bekannten Formel. Deren Eigenständigkeit muss also untersucht und vor allem die Perspektive derer wieder gefunden werden, die sie unmittelbar live erlebt haben, unwissend was danach kommen mochte. Aber eine Epoche wird auch von der Einstellung geprägt, die die Zeitgenossen im Hinblick auf die ihre Zukunft hatten. In der Kategorie der Rezeptionsästhetik: der Geist einer Epoche hängt auch von dem Erwartungshorizont der damals lebenden. Wie blickten sie in die Zukunft hinein, was erwarteten, erhofften sie sich von ihr? War die Zukunft überhaupt eine Kategorie des Erlebens damals und wenn ja warum? All die Fragen lohnt es sich zu stellen im Zusammenhang mit dem Versuch den Geist der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts in Wien, josepho secundo regnante heraufzubeschwören

Dass voreilige Teleologie und Geschichtsschreibung aus der Perspektive der Nachgekommenen häufig die Beurteilung dieses Jahrzehntes belastet oder gar verfälscht haben, lässt sich leicht aus der existierenden Literatur über die Periode belegen. Wie man weiß, hat die österreichische Geschichtsschreibung einige Zeit gebraucht, bevor sie zu einem ausgewogenen Urteil über die Periode und über Joseph II. kam. Das ideologische Umfeld der jeweiligen Historiker, man denke an Eduard Winter1, Ferdinand Maaß2 oder Fritz Valjavec3, deren historiographische Verdienste unanfechtbar sind, hat Ihre Einschätzung der Periode stark geprägt. Ich will aber natürlich hier keinen Forschungsbericht machen. Zumal sich die Dinge inzwischen geändert haben und beispielsweise die neueste anspruchsvolle österreichische Geschichte Karl Vocelkas4 dieser Periode ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt hat. Der Blick einiger französischer Historiker könnte aber ausreichen, um die Gefahren der Teleologie und der Ideologie für die Geschichtsschreibung zu veranschaulichen. Einige französische Historiker haben nämlich zu Joseph II. harte Urteile abgegeben, die in diesem Zusammenhang zu zitieren sich lohnt, z.B. François Bluche, dem wir ein hochinteressantes Buch über den aufgeklärten Despotismus5 in Europa verdanken, hält zwar Joseph II. zugute, dass er seinen Ländern und seiner Bevölkerung eine französische Revolution erspart habe aber er kann nicht umhin, ihm die Schuld an 1848 zuzuschieben. Ob die Revolutionen von 1789 oder von 1848 hätten lieber nicht stattfinden dürfen, ist eine sicherlich vertretbare Ansicht, die ich persönlich nicht teile. Es bleibe aber vorerst dahin gestellt. Ist es doch ein zu weites Feld, und die Diskussion – nicht die Revolution – werden wir uns heute ersparen. Ein anderer zeitgenössischer französischer Historiker Pierre Chaunu6, dessen politische Couleur nicht sehr entfernt von der Bluches ist, geht viel weiter in der Verurteilung Josephs II. und ist ihm gegenüber, wie ich meine, von klassischer Ungerechtigkeit, um nicht zu sagen Bosheit: In seinen Augen hätte Joseph II. langfristig ein Unglück für das Erzhaus dargestellt. Seine Bewunderung für die aufgeklärten Despoten seiner Zeit, insbesondere für Friedrich II., dessen „anmutloses Konterfei“ er nur gewesen wäre (so Chaunu), hätte ihn zu radikalen Reformen hingeführt. Nun, meint Chaunu, hätten Friedrich und Katharina ihre Länder rücksichtslos reformieren und sie mit der Knute modernisieren können und gar dürfen, weil sie über weniger fortgeschrittene Völker regiert hätten. Eine solche Methode hätte aber für die zivilisierteren Völker des Erzhauses viel weniger getaugt. Maria-Theresia wäre grande dame, gute Politikerin und auch Mutter genug gewesen, um Ihren Sohn zu ertragen, aber er wäre, fügt Chaunu hinzu, ihr „Purgatorium“ gewesen. Wie man sieht Formeln, denen eindeutig der Sinn für die Nuance fehlt. Aber es gibt Osterreich-Historiker in Frankreich, die Josephs Periode gerechter gewesen sind, und sie maßvoller und nuancierter beurteilt haben. Man kann z.B. Victor-Lucien-Tapié7zitieren, der ein grundlegendes Werk über die Monarchien und Völker der Donau schrieb, so wie Jean Berenger8 und seine Geschichte des Habsburgerreiches. Darin wird umsichtig und sachlich über die Periode geurteilt. Jean Berenger bemerkt unter anderem, daß jedes Urteil über Joseph II. zwischen kurzfristiger und langfristiger Perspektive unterscheiden müsse. Und dem kann man nur beipflichten.

Diese Beispiele von Meinungen und Ansichten nur um zu zeigen, dass die Leidenschaften um Joseph II. sich noch nicht ganz beruhigt haben. Außerdem schwebt noch über diese Periode der Schatten des schmerzvollen Endes des Monarchen und man hat oft sein persönliches Schicksal mit dem seines politischen Werks identifiziert.

Es gilt also zuletzt, was der englische Historiker T.W.C. Blanning9 schreibt: man darf nicht die Geschichte Josephs II. schreiben, als sollte sie die Vorgeschichte des Untergangs des Hauses Habsburg sein. Das ist auch meine Ansicht. Sie haben es verstanden und wir wollen uns nach diesen geschichtsschreiberischen Prolegomena dem eigentlichen Gegenstand unserer Untersuchung, dem Geist des josephinischen Jahrzehntes nun zuwenden.

Zunächst muss festgestellt werden, was schon da war, als Joseph nach Maria-Theresias Tod den Thron bestieg, was schon da war, in geistesgeschichtlicher und politischer Hinsicht.

Aufklärung z.B. war schon da. Es ist keine Erfindung des josephinischen Jahrzehntes, selbst wenn die kantsche Beantwortung der Frage erst 1784 erschien. Aber die kantsche Unterscheidung trifft schon für die Zeit vorher. D.h. man war in einer Zeit der Aufklärung aber noch nicht in einem aufgeklarten Zeitalter. Mit anderen Worten: Aufklärung ist ein Prozess, der längst nicht am Ende und noch zu vollenden bzw. fortzusetzen war.

Was ist aber nun die Aufklärung, die schon da war, über die prinzipielle Definition des kantschen Artikels hinaus, also Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit? Und was waren die politischen Konsequenzen oder was bedeutete sie ins Politische umgesetzt?

Aufklärung, wie sie sich schon seit Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts abgezeichnet hatte, bedeutete zunächst eine Änderung der religiösen Perspektive und daher eine neue Einschätzung der Rollen der Institutionen, die die Religionsangelegenheiten bisher geleitet und vertreten hatten, sprich der Kirchen. Karl Aner10, ein Theologe des Anfangs des 2O. Jahrhunderts, unterscheidet drei Phasen in dem Verhältnis der Vernunft zur Offenbarung, die schematisch der Entwicklung der Aufklärungsphilosophie im 18. Jahrhundert entsprechen. Eine erste Phase, wo die Vernunft der Offenbarung noch unterlegen bleibt; eine zweite Phase, wo sich Vernunft und Offenbarung die Waage halten und eine dritte Phase, wo sich die Offenbarung auch dem Gesetz der Vernunft zu unterziehen hatte. Das ist übrigens, was Kant in einer bekannten Fußnote der ersten Kritik forderte: „Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit und Gesetzgebung durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.“

Aufklärung bedeutete darüber hinaus Verdrängung des Metaphysischen zugunsten des Praktischen. Das Jenseitige war nicht mehr oder weniger an der Tagesordnung als das Diesseitige. Glücklich wollte man auf Erden sein – dichtete doch Heine später: „Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich erreichen“ – die Seligkeit konnte sich Zeit nehmen. Aufklärung bedeutete in erster Linie Praxis. Und praktische Aufklärung ist daher fast eine Tautologie.

Selbstverständlich war nicht die Philosophie allein für die Neuorientierung vor allem der Kirchen verantwortlich.

In den Kirchen selbst hatten sich kritische Stimmen hören lassen, die entweder von Frankreich kamen, mit dem Jansenismus oder aus Italien mit den Ideen Muratoris11. Aber diese inneren Kritiken hatten schon zu einigen tiefgreifenden Änderungen in der Kirchenpolitik der Landesfürsten geführt. Die Fürsten, und in unserem Falle Maria-Theresia, durch den Gallikanismus oder den Febronianismus beeinflusst, hatten sich immer mehr behauptet gegenüber dem römischen Machtanspruch, ja Imperialismus. Da Österreich außerdem seit der „Umkehrung der Bündnisse“ mit Frankreich alliiert war und seit noch längerer Zeit mit dem Portugiesischen Königreich, wo auch der Jesuitenorden aufgelöst worden war, so führte Maria Theresia im Jahre 1773 die päpstliche Breve Dominus ac redemptor durch, die das Verbot des Ordens verhängte. Aber nicht nur Verbündete können sich gegenseitig beeinflussen. Auch vom Gegner, in diesem Falle Friedrich II., lässt man sich bewusst oder unbewusst beeinflussen. Also äußerer und innerer Druck vereinigte sich um die Habsburgerstaaten zu reformieren. Und reformiert hatte man schon unter Maria-Theresia. Es blieb aber noch viel zu tun. Joseph, der durch ganz Europa als Graf Falkenstein gereist war, um sich auf seinen Herrscherberuf vorzubereiten und dabei sicherlich auch, um aus dem mütterlichen Schatten herauszutreten, war 1777 bis nach Frankreich, sogar nach Bordeaux, dessen Handel damals blühend war, gefahren. Er hat sich nach besseren Lösungen für sein Land umgesehen und hat sich sicherlich von diesen Reisen in seiner zukünftigen Regierungspolitik inspirieren lassen. Nie war vielleicht in der Geschichte der europäischen Monarchien und Dynastien ein Thronanwärter gewesen, der sich so intensiv so zielbewusst auf den zukünftigen Beruf vorbereitet hätte.

Alles hatte ihn während dieser Reisen interessiert. Das waren keine diplomatischen Reisen gewesen (bis auf seine Begegnungen mit Friedrich II. in Neisse und Mährisch-Neustadt) oder kaum, das waren aufmerksame Beobachtungen der politischen Zustände aber nicht wie bei Montesquieu in der Absicht eine Theorie der Gesetze herauszuarbeiten sondern um die Machbarkeit der zu treffenden Maßnahmen im voraus zu prüfen, um den Erfolg der Methoden, der Reglements, der Strukturen im voraus zu erkennen. Denn man wollte wirksam sein. Man wollte Resultate erzielen. Das war die neue Philosophie, bzw. Einstellung. Nicht auf Abstraktionen war man aus, sondern, wie gesagt, auf Praxis, auf Nützlichkeit. Utilitarismus nannte man das auch. Die Landwirtschaft, die die Physiokratie zur allein glücklich machenden Tätigkeit erklärt hatte und für welche sie eine Reihe von Reformen vorgeschlagen hatte, war ein Hauptanliegen der Politik. Nicht von ungefähr hatte auf einer seiner Reisen Joseph, zukünftiger Herrscher und schon Mitregent, einen Pflug in Slavikovice (Mähren) ergriffen und eine imperiale Furche in die mährische Erde gezogen. Der Herrscher als Bauer, dies war kein schlechtes Image für eine kommende Alleinregentschaft. Das attestiert bei allem Mangel an Sensorium für Symbolik und Traditionen, den man Joseph nachgesagt hat, einen sicheren Sinn für persönliche Werbung. So verstanden es übrigens die Bauern des Dorfes, von josephinischen PR-Strategen vielleicht dazu bewogen, die den von kaiserlicher Hand berührten Pflug mit frommer Andacht dem Bürgermeister des Dorfes anvertrauten.

Es verbreitete sich zuletzt eine große Ungeduld in der Öffentlichkeit. Man erwartete von dem neuen Regenten eine neue Politik, die vor allem die notwendige Modernisierung des Staates beschleunigen würde. Im Ländervergleich merkte man wohl, dass Österreich noch gegenüber anderen europäischen Mächten wirtschaftlich, sozial, pädagogisch stark im Rückstand geblieben war. Die militärische Konfrontation mit Preußen hatte auch die Schwachstellen des Habsburgerreiches, seiner veralteten Strukturen geoffenbart. Natürlich hatten Haugwitz und Kaunitz die dringendsten Reformen nach dem Erbfolgekrieg und dem Siebenjährigen Krieg schon unternommen und einen Teil der Verspätung schon aufgeholt. Aber es war nur der Anfang der Reformen. Und viel zielstrebiger, viel konsequenter sollte man handeln.

Josephs Tatendrang war groß. Seit seinen Reveries/Träumereien, die er 22-jährig verfasst hatte, war jedem, der sie gelesen hatte, klar, dass er handeln wollte, dass er auch die Machtfülle seines Amtes ausnutzen würde, um sein Land zu reformieren. Aber allein regieren durfte er zunächst mal nicht. Maria-Theresia blieb am Ruder und ließ sich die Kontrolle über die Geschäftsführung nicht nehmen. Wer ist wem das Purgatorium gewesen, um Chaunus Formel wieder aufzugreifen, darüber ließe sich streiten.

Sicher ist, dass die Erwartung der Öffentlichkeit groß war. In der Literatur, die den Tod der Herrscherin und den Anfang des neuen Herrschers begleitete, findet man eine Unzahl von Schriften, die in welcher Form auch immer (Trauerrede, Traumvision, Projekt oder Entwurf) Reformen forderten. Selbst ein französischer Autor war an dieser Vorschlagskampagne beteiligt12. Hauptziel der Kampagne war die Kirchenreform, die Fortsetzung der Reformpolitik Maria-Theresias beziehungsweise deren Radikalisierung und Intensivierung. Aber die Kirche war nicht allein im Mittelpunkt der Forderungen. Auch die Gedankenfreiheit wurde reklamiert. Ernst Wangermann, in seinem so aufschlussreichen Buch, die Waffen der Publizität13 zitiert ein Trauergedicht von Joseph Friedrich Retzer, einem ehemaligen Schüler Sonnenfels. Es hört sich so an:

Doch Du von feilem Fürstenlobe

Noch immer unbeflecktes Lied

Gesteh’ es frey und deutsch und bieder

Was dieses Sängers Seele drückt

In manchem armen deutschen Lande

Blühn Wissenschaften unbelohnt

Und von den Fürsten nicht geachtet

Noch schöner, herrlicher als hier.

Versagte etwa unserm Volke

Das Schicksal hohen Genius?

Undankbar wäre diese Klage:

Nur Freyheit, Freyheit fehlt’ uns nur.

Und vom Thronfolger verlangte er eben die Gewährung dieser Freiheit:

O Du, der göttergleichen Mutter

Erhabner Joseph, bester Sohn

Und nun verwaister Nationen

Erhalter, Vater, Trost und Stolz!

Der Du mit kühnen Adlerblicke

Der Wissenschaften Mark durchdringst

Schenk Deinem Volke diese Freyheit!

Fluch treffe den, der sie missbraucht!

Wie E. Wangermann akribisch und erleuchtend recherchiert hat, kann man in vielen anderen Schriften der Periode dieselbe Forderung wieder finden. Joseph stand also vor einer breiten Front von gemeinsamen Forderungen und Erwartungen. Man könnte fast von einem Vorjosephinismus sprechen, wie man von einem Vormärz gesprochen hat. Lassen wir uns aber nicht täuschen! Die Öffentlichkeit, oder was man noch nicht öffentliche Meinung zu nennen wusste, war nicht einheitlich. Es gab auch andere Stimmen, die sich mit dem Reformwerk der Mutter zufrieden gegeben hätten, die sich aber eher diskret äußerten, so vorherrschend war der Diskurs der Reformwilligen, Reform fordernden geworden.

In dieser Stimmung also bestieg Joseph II. den Thron Ende des Jahres 1780 (29. November). Er hatte nun selbst zu entscheiden und zu handeln. Er war endlich in die Position gekommen, auf die er sich jahrelang vorbereitet hatte. Wie Herder 14 aber später bemerkte, er war nicht nur Selbstherrscher sondern auch Alleinherrscher geworden,– ein beträchtlicher Unterschied zu der vorhergehenden Situation.

Nun konnte sich die josephinische Reformmaschine in Bewegung setzen. Man kennt die arithmetische Bilanz: Maria-Theresias Gesetze lassen sich leicht in 8 Bände zusammenfassen. Für Josephs Gesetze und Edikte während seiner zehnjährigen Regierungszeit brauchte man 18 Bände. Die Reformmaschine lief bis zum Ende seiner Regierungszeit auf Hochtouren. Allerdings auch um überstürzte oder sagen wir unpopuläre Maßnahmen rückgängig zu machen.

Womit fing er an? Man wäre geneigt zu sagen, mit allem. Im den Jahren 1781–82 folgen in der Tat Reformpatente dicht aufeinander, die alle Bereiche betreffen, Kirche, Landwirtschaft, Medizin, Justiz, Zensur usw.

Bezeichnenderweise ist aber zu bemerken, dass die allererste Entscheidung des Kaisers den Bereich der Öffentlichkeit betrifft: es sind die Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen künftigen Bücherzensur. Sie definierten den Rahmen, in welchem der Kaiser und die Behörden nun die Bucherveröffentlichung zulassen wollten.

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