Der Tag des Opritschniks

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Inhaltsverzeichnis

Fußnoten

  1. (chin.) Fräulein

  2. (chin.) Verbrechen

  3. (chin.) Arschloch

  4. Guniang (chin.): Mädchen

  5. obszöner chinesischer Fluch

  6. (chin.) Staatsgrenze. Chinesisches 4-D-Game, das im Neuen Russland nach den Ereignissen vom November 2027 populär wurde.

  7. (chin.) Schwert

  8. (chin.) kluges Kind

  9. (chin.) wunderbar

  10. (chin.) Dummkopf

  11. Der Übersetzung des Gedichts liegt eine Majakowski-Nachdichtung von Hugo Huppert zugrunde.

  12. (chin.) Begünstigung

  13. (russ.) der Nasse

 

Mein Faustkeil weckt mich:

Erst ein Peitschenhieb, dann ein Schrei.

Noch ein Hieb. Ein Stöhnen.

Nach dem dritten Hieb ein Röcheln.

Den Klingelton hat Pojarok in der Geheimen Kanzlei mitgeschnitten, als sie einen Wojewoden aus Fernost folterten. Musik, die einen Toten aufweckt.

»Komjaga«, schnaufe ich, den kalten Faustkeil ans schlafwarme Ohr gelegt.

»Heil Euch, Andrej Danilowitsch. Korostylew am Apparat«, ertönt die Stimme des alten Sekretärs der Auswärtigen Kanzlei, und im nächsten Moment schwebt neben dem Gerät auch sein besorgtes Schnurrbartgesicht in der Luft.

»Was willst du?«

»Weiß ich doch«, brumme ich missmutig, obwohl es mir, ehrlich gesagt, entfallen war.

»Dann entschuldigt die Störung. Ich tat meine Pflicht.«

Ich lege den Faustkeil zurück auf den Nachttisch. Wie kommt ein Sekretär von der Auswärtigen dazu, mich zur Korona zu vergattern? Ach so, ja … Die Auswärtige richtet neuerdings das Handwaschungsritual aus. Das hatte ich ganz vergessen … Mit noch geschlossenen Augen schwenke ich die Beine vom Bett, bewege den Schädel: Der brummt gewaltig vom gestrigen Abend. Ich taste nach dem Glöckchen und schüttele es. Höre, wie Fedka nebenan von der Pritsche hüpft, hin und her läuft, mit dem Geschirr klappert. Sitze da mit hängendem Kopf, der aufzuwachen sich noch weigert. Es ging wieder heiß her gestern. Und das, obwohl ich mir geschworen hatte, nurmehr mit den eigenen Leuten zu saufen und zu koksen, neunundneunzig bußfertige Verbeugungen habe ich in der Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale vollzogen deswegen und zum Heiligen Bonifazius gebetet. Einen Dreck hat’s geholfen! Aber was soll man machen. Dem Staatsrat Kyrill Iwanowitsch kann ich den Wunsch nicht abschlagen. Er ist schlau. Für weise Ratschläge immer gut. Was ich, im Unterschied zu Pojarok und Siwolai, an Menschen zu schätzen weiß – wenn sie Grütze im Kopf haben. Den allweisen Reden Kyrill Iwanowitschs könnte ich ewig lauschen. Aber ohne Koks macht der nun mal den Mund nicht auf …

Fedka betritt den Raum.

»Heil Euch, Andrej Danilowitsch.«

Ich schlage die Augen auf.

Fedka stellt das Tablett ab und kniet vor mir nieder, hält mir den angewinkelten Arm hin. Ich stütze mich auf, stemme mich hoch. Morgens riecht Fedka übler als abends. Das ist die Wahrheit seines Leibes, ihr entkommt man nicht. Da helfen auch keine Hiebe. Ich recke und strecke mich unter Ächzen, trete vor die Ikonenwand, entzünde das Lämpchen, knie nieder. Ich spreche das Morgengebet, verbeuge mich ein ums andere Mal. Fedka steht hinter mir, bekreuzigt sich gähnend.

Als ich mit Beten fertig bin, erhebe ich mich, Fedka hilft mir. Ich gehe ins Badezimmer. Wasche das Gesicht mit dem bereitstehenden Brunnenwasser, auf dem Eisbröckchen schwimmen. Schaue in den Spiegel. Das Gesicht leicht aufgedunsen, die Nasenflügel blau geädert, das Haar zerrauft. Erstes Grau an den Schläfen. Ein bisschen früh für mein Alter. Aber das kommt von der Arbeit, so ist sie nun mal. Der Staatsdienst ist kein Honiglecken …

»Nachrichten!«, sage ich vernehmlich.

Die Blase flammt auf, die blau-weiß-rote Fahne unseres Vaterlandes mit dem goldenen doppelköpfigen Adler erscheint in ganzer Breite, es ertönen die Glocken vom Großen Iwan. Ich schlürfe Tee mit Himbeeren und erfahre, was es Neues gibt: Am Nordkaukasusabschnitt der Südmauer sind neuerlich Kanzleibeamte und Landverweser des Diebstahls überführt worden, die Rohrleitung Fernost bleibt abgeschottet, bis die Japaner uns mit einem Bittgesuch zu Kreuze kriechen, die Chinesen bauen ihre Siedlungen in Krasnojarsk und Nowosibirsk aus, der Gerichtsprozess gegen die Geldschneider aus dem Uralischen Schatzhof dauert an, die Tataren errichten zum Jubiläum des Gossudaren einen raffinierten Palast, die Schlauberger aus der Akademie für Heilkunde kommen mit den Arbeiten am

Tanjuschka trägt Quarkkeulchen, gedämpfte Rüben in Honig und Kissel auf. Im Gegensatz zu Fedka ist Tanjuschka eine Wohltat für Aug und Nase. Ihre Röcke knistern angenehm.

Der kräftige Tee und der Moosbeerenkissel treiben mir den nötigen Schweiß aus den Poren und bringen mich endgültig wieder auf die Beine. Tanjuschka reicht mir ein Handtuch, das sie eigenhändig bestickt hat. Ich reibe mein Gesicht ab, stehe vom Tisch auf, bekreuzige mich, danke dem Herrgott für das Mahl.

Zeit, an die Arbeit zu gehen.

Der Bartscherer Samson – ein Zugezogener – wartet schon in der Ankleidestube. Ich begebe mich dorthin. Der kleine, stämmige, wortkarge Mann platziert mich ehrerbietig vor dem Spiegel, massiert mir das Gesicht, reibt den Nacken mit Lavendelöl ein. Seine Hände sind mir, wie die aller aus seiner Zunft, unangenehm. Wobei ich grundsätzlich anderer Meinung bin als der Zyniker Mandelstam, wenn er sagt: »Macht ist so widerlich wie Hände von Barbieren.« Nein, Macht hat ihren Reiz, sie ist so verführerisch wie der Schoß einer jungfräulich zarten Goldstickerin. Anders die Hände eines Barbiers … Nicht zu ändern, Weibern ist es untersagt, uns zu rasieren. Samson sprüht mir aus einem orangefarbenen Fläschchen mit der Aufschrift Dschingis Khan Schaum auf die Wangen, den er mit übertriebener Sorgfalt verschmiert, um nicht den schmalen,

Samson legt das Rasiermesser zur Seite und greift zum elektrischen Apparat. Damit stutzt er geschickt das beilförmige Ende meines Bartes.

»Guten Morgen, Komjaga!«, zwinkere ich mir selbst zu.

Die unangenehmen Hände legen ein heißes, minzegetränktes Tuch auf mein Gesicht. Sorgsam fährt Samson damit über die Haut, reibt, bis mir die Röte in die Wangen schießt, dreht das Haarbüschel auf meinem rasierten Schädel ein, sprüht Lack und anschließend reichlich Goldpuder darüber, zuletzt kommt der schwere goldene Ring mit dem Glöckchen ohne Klöppel ins rechte Ohr. An diesem Ring erkennt man uns. Kein Gemeiner, ob Landvogt, Staatsbeamter, Strelitze, Duma-Bojare, Provinzadliger oder sonst ein Gesindel, würde es wagen, sich ein solches Glöckchen anzuhängen – nicht einmal zum Weihnachtsmaskenfest.

Samson besprüht meinen Schädel mit Wildapfelessenz, verbeugt sich wortlos und geht hinaus – der Barbier hat seine Schuldigkeit getan. Sogleich erscheint Fedka, das Gesicht immer noch in Falten, aber wenigstens schon im frischen Hemd, mit geputzten Zähnen und gewaschenen Händen. Bereit, die Prozedur des Ankleidens an mir vorzunehmen. Ich lege die flache Hand an

»Für alle Tage«, sage ich zu Fedka.

Er nimmt die passende Kluft aus dem Schrank und beginnt mich anzukleiden: zuerst das weiße, mit Kreuzstich verzierte Unterzeug, dann die rote, nach Russenart seitlich zu knöpfende Stehkragenbluse, die Jacke aus gold- und silberdurchwirktem Brokat mit Marderbesatz, dazu Pumphosen aus Samt und die saffianledernen roten Stiefel, mit Kupfer beschlagen. Über die Brokatjacke zieht mir Fedka zu guter Letzt den wattierten Kaftan aus grobem schwarzem Tuch, dessen Schöße weit hinunterreichen.

Nach einem Blick in den Spiegel schließe ich den Schrank.

Beim Betreten des Vorzimmers schaue ich auf die Uhr: 8:03. Die Zeit drängt. Im Vorzimmer warten die, die mir das Geleit geben wollen: meine alte Amme mit der Ikone des Heiligen Georg, des Wundertäters, Fedka mit Gürtel und Mütze. Letztere, aus schwarzem Samt mit Zobelbesatz, beeile ich mich aufzusetzen, lasse mir den breiten Ledergürtel umlegen. An ihm hängt ein Dolch in kupferner Scheide, rechts davon der Rebroff im hölzernen Halfter. Währenddessen schlägt die Amme das Kreuz über mir.

»Andrjuschenka! Die Heilige Gottesmutter, der Heilige Nikola und alle Starzen von Optina mögen dir beistehen!«, ruft sie. Dabei wackelt ihr spitzes Kinn, die tränenden wasserblauen Augen schauen ergriffen. Ich bekreuzige mich und küsse die Ikone des Heiligen Georg. Die Amme schiebt mir das Gebet Wer in die Tasche, das Nonnen des Neujungfrauenklosters in Gold auf eine schwarze Schleife gestickt haben. Ohne dieses Gebet fahre ich niemals zum Einsatz.

»…  und gewähre den Sieg über die Feinde«, brummelt Fedka und schlägt sein Kreuz.

Aus der Tür zur guten Stube lugt Anastassija: rot-weißer Sarafan, smaragdfarbene Augen, das blonde Haar über der rechten Schulter. Am tiefen Rot ihrer Wangen kann ich sehen, wie erregt sie ist. Die Augen niedergeschlagen, hat sie sich flink verbeugt, wobei die hohe Brust ins Schaukeln gekommen ist. Nun verschwindet sie wieder hinter dem schweren Eichenrahmen. Diese mädchenhafte Verbeugung erzeugt bei mir im Herzen sogleich eine hitzige Aufwallung. Erst vorgestern in der Dunkelheit des Dampfbades hat sie ihren Schoß für mich geöffnet, ward lebendig unter dem Liebesgeflüster an ihrem Ohr, schmiegte sich an mich in all ihrer jungfräulichen Glut, wisperte so voller Inbrunst, dass das Blut in den Adern kochte …

Doch die Arbeit geht vor.

Und Arbeit gibt es heute wahrlich nicht zu knapp. Der albanische Gesandte hat mir gerade noch gefehlt.

Ich trete hinaus in die Diele. Dort steht das ganze übrige Gesinde versammelt: Stallburschen, Hundeknecht, Koch und Beiköchin, Hausmeister, Wächter und Beschließerin.

»Heil Euch, Andrej Danilowitsch!«, rufen sie und verbeugen sich tief. Ich nicke ihnen im Vorbeigehen zu. Die Dielenbretter knarren. Die geschmiedete Tür wird mir aufgetan, ich trete hinaus auf den Hof. Der Tag verspricht sonnig zu werden, dazu eine knackige Kälte. Über Nacht hat es ein bisschen geschneit: Tannenbäume, Zaun und Wachturm sind wie gepudert.

Gegen die Sonne anblinzelnd, lasse ich den Blick über den Hof schweifen: Speicher, Scheune, Schweinestall, Reitstall – alles gediegen und in Schuss. Der struppige Rüde zerrt an der Kette, die Windhunde im Zwinger hinter dem Haus winseln, im Stall kräht der Hahn. Der Hof ist sauber gefegt, Schneehaufen, akkurat wie Osterbrote. Am Tor steht mein Merin – rot wie mein Hemd, schnittig und blank. Die gläserne Kanzel blitzt in der Sonne. Daneben wartet Timocha, der Pferdeknecht, mit dem Hundekopf in der Hand.

»Bitte um Euer Einverständnis, Andrej Danilowitsch«, sagt er mit einer Verbeugung.

Dabei zeigt er mir den Kopf für den heutigen Tag vor: einen zottigen Wolfshund mit verdrehten Augen, Zunge bereift, kräftige gelbe Zähne. Kommt damit auf mich zu.

»Ist gut. Mach schon!«, sage ich. Geschickt befestigt Timocha den Kopf am Stoßfänger meines Merins. An den Kofferraum kommt der Besen. Ich lege die Hand an das Türschloss, die gläserne Kanzel fährt nach oben. Ich nehme im schwarzen Leder des Liegesessels Platz. Gurte mich an. Starte den Motor. Die hölzernen Torflügel gehen vor mir auf. Ich fahre vom Hof, fege die schmale, schnurgerade Straße entlang, verschneiter alter Fichtenwald zu beiden Seiten. Solch eine Pracht! Ein guter Ort. Ich sehe mein Anwesen im Rückspiegel kleiner werden. Ein anständiges Haus, eines mit Seele. Ganze sieben Monate wohne ich hier, und mir kommt es so vor, als wäre ich hier geboren und aufgewachsen. Früher hat dieses Gut dem Kumpanen eines Geldschneiders aus dem Schatzhof mit Namen Stepan Ignatjewitsch Gorochow gehört. Als der