Auf

Abwegen

und

Umwegen

Über die Scham
einer Gepardin wegen
ihrer psychischen Erkrankung

J. Majon und A. M. Schenn

Auf Abwegen und Umwegen

Über die Scham einer Gepardin wegen ihrer psychischen Erkrankung

J. Majon (Text) & A. M. Schenn (Illustration)

Zu dem Buch

Auf Abwegen und Umwegen erzählt die Geschichte einer Gepardin, die sich aus Scham ihrer psychischen Erkrankung (Depression) zunächst nicht stellt. Von sich selbst aber dazu gezwungen, gibt sie die Selbstverleugnung auf und kommt dadurch mit verschiedenen anderen Tieren in Kontakt. Die helfen ihr, an ihrer Freud- und Freundlosigkeit zu arbeiten und mit der stigmabehafteten Diagnose einer psychischen Störung umzugehen.

Zu der Autorin und der Illustratorin

Julia Majon (Autorin) ist Diplompsychologin und beschäftigt sich mit verschiedenen Therapien psychischer Erkrankungen (v. a. mit Psychoanalyse und Personzentrierter Psychotherapie). Darüber hinaus vertieft sie sich in die philosophische Konzeption der Seele bei Platon.

Andrea Mara Schenn (Illustratorin) hat neben diversen Kunstkursen ein Bachelorstudium der Theaterwissenschaft absolviert. Eines ihrer liebsten Medien beim Malen ist die Tusche, weil hierbei Planung und Zufall fusionieren und gemeinsam ein Bild entstehen lassen.

Inhaltsverzeichnis

Vorworte

Projektbetreuerin: Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn

Psychologischer Psychotherapeut: Prof. Dr. Martin Hautzinger

Einleitung

Zitate: Umgang mit der eigenen psychischen Störung

Teil 1. Die Geschichte. Auf Abwegen und Umwegen

Prolog

I: Auf Abwegen

II: Erster Umweg: Dahin, wo es wehtut

III: Zweiter Umweg: Geständnis und Austausch

IV: Dritter Umweg: Augen-Blicke in der Fremde

V: Ein Weg zurück?

Nachworte von Betroffenen zur Geschichte

Ein Nach- und Vorwort (Kunsttherapeutin: Marion Springer)

Teil 2. Wissenschaftliche Hintergründe der Geschichte

1. Psychische Störungen und sechs Antistigma-Aussagen

1.1 Was sind psychische Störungen und welche gibt es?

1.2 Wer erkrankt psychisch und ist es behandelbar?

1.3 Das Stigma psychischer Störungen und Scham

2. Ergebnisse unserer Online-Umfrage

3. Die tierischen Vorbilder für die Geschichte und der Bezug zu psychischen Störungen

3.1 Grüne Meerkatzen

3.2 Raubkatzen

3.2.1 Gepardin, Königsgepard, Puma, Leopard, Schwarze Pantherin und Serval

3.2.2 Luchs, Manul, Löwin und Weißer Löwe

3.3 „Ein Dank“ an die Tiere

Schlussworte: Vielleicht…

Literaturverzeichnis

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Impressum

Vorworte

Der Gepardin geht es nicht gut. Sie ist antriebslos und appetitlos, fühlt sich innerlich leer, hilflos, ausgeliefert, wertlos, verzweifelt. Sie weiß nicht, mit wem und wie sie darüber sprechen soll, sie weiß nicht, wie sie sich gegen die tatsächlichen und imaginierten Angriffe und Ausgrenzungen wehren soll. Die Scham, „anders“ zu sein, ist groß und hält sie gefangen. Wir als Leser*innen gehen mit dieser Gepardin durch die Tage, begleiten sie auf den Wegen, den Abwegen und den Umwegen.

Die Geschichte hat kein märchenhaftes happy ending, es wird nicht auf einmal alles gut. Aber sie zeigt Wege, Auswege, Perspektiven und Hoffnungen. Die Gepardin, deren Tränenstreifen im Gesicht tief und breit geworden sind, beginnt wieder, mit einer kleinen Zuversicht in die Zukunft zu schauen.

Und auch wir, die Leser*innen, schauen. Wir sehen die Bilder der Tiere und der Landschaften, in die die Geschichte buchstäblich hineingeschrieben ist. Und das Bild der schlafenden Gepardin zieht die Betrachtenden in seinen Bann.

Julia Majon und Andrea Mara Schenn haben eine „deep story“ geschrieben und gemalt. So nennt die amerikanische Soziologin Arlie Russel Hochschild die Geschichte der tief liegenden Emotionen, die wie ein unterirdischer Strom empirischen Aussagen zugrunde liegt. Diese „deep story“ verbindet Wissenschaft mit Narration. In der „deep story“ wird in Schrift und Bild verdeutlicht, was die wissenschaftliche Recherche und die Online-Studie der beiden Autorinnen gezeigt hat: Psychische Krankheiten sind mit Scham behaftet. Es ist unser aller Aufgabe, diesen Prozess zu verstehen und ihm entgegen zu wirken.

Dieses Buch ist ein wichtiger Schritt. Danke dafür, Julia Majon und Andrea Mara Schenn!

Tübingen, Juli 2019

Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn

Sprecherin des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW); Leiterin des Bereichs „Gesellschaft, Kultur und technischer Wandel“ der Eberhard Karls Universität Tübingen; Betreuerin des Buchprojekts Auf Abwegen und Umwegen

Wenn wir nach längerer, krankheitsbedingter Abwesenheit gefragt werden, was wir hatten, dann stellt es kein Problem dar, über das kaputte Knie, die Einstellung des Diabetes oder Rückenschmerzen zu berichten. Offen und unverkrampft zu berichten, dass man wegen einer Depression ausgefallen und in Behandlung war bzw. noch ist, gelingt den wenigsten. Wir sprechen lieber von Burn-out oder einem totalen Zusammenbruch als von Ängsten, Zwängen, Depressionen oder Abhängigkeiten. Es fällt uns schwer, zu psychischen Erkrankungen genauso zu stehen wie zu körperlichen Erkrankungen. Diesen Erkrankungen heftet immer noch der Makel an, dass damit eine persönliche Schwäche („Willensschwäche“) oder eine unkorrigierbare „Macke“ verbunden ist. Es verwundert daher nicht, dass derartige Erkrankungen verheimlicht werden und mit Scham besetzt sind. Betroffene hängen oft selbst diesen Vorurteilen an und beschuldigen sich selbst wegen ihrer Energielosigkeit, ihrer Ängste, ihrer Befürchtungen.

Selbst Ärzte und andere Heilberufe hängen diesen Vorurteilen an. Wir wollten einmal in einer großstädtischen Region alle dort niedergelassenen Hausärzte dazu bewegen, etwas für die Entdeckung und Behandlung von depressiven Störungen zu tun. Dazu sollten sie alle Patienten bei der Visite auch nach dem Vorliegen von depressiven Beschwerden fragen. Wir hatten dafür fünf einfache Fragen entwickelt, die sogar bei der Anmeldung routinemäßig hätten ausgefüllt werden können. Es gelang uns nur bei einem Bruchteil (weniger als 10%) der Hausärzte, sie zur Mitarbeit zu bewegen. Das häufigste Argument für die Nichtteilnahme war, dass in meiner Praxis nicht über psychische Störungen gesprochen wird, denn das schadet meinem Ruf und treibt Patienten weg.

Psychische Erkrankungen sind noch immer mit Vorurteilen und Unwissen behaftet. Wer daran erkrankt, muss mit Ausgrenzung und Stigmatisierung rechnen. Psychische Erkrankungen gehen mit vielen Benachteiligungen in unserer Gesellschaft einher. Dieses Buch nutzt eine märchenhafte Geschichte mit wunderschönen Zeichnungen, gegen die Fehlbeurteilungen, gegen die Stigmatisierung und gegen die Selbstabwertungen der Betroffenen anzugehen, Betroffenen Mut zu machen und zur Enttabuisierung beizutragen.

Psychische Erkrankungen können jeden treffen. Über 40 Prozent der Bevölkerung erleiden irgendwann im Leben eine entsprechende Erkrankung. Es trifft, statistisch gesprochen, jede Familie in unserem Land. Überwinden wir die Vorurteile. Helfen wir den Betroffenen dabei, nicht den Fehler zu machen, sich selbst zu stigmatisieren und damit eine Heilung zu blockieren. Dieses Buch hilft dabei!

Tübingen, August 2019

Prof. Dr. Martin Hautzinger

Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Eberhard Karls Universität Tübingen; Psychologischer Psychotherapeut, Fliednerklinik Stuttgart

Einleitung

Menschen1 mit psychischen Erkrankungen2 wird mit einer Menge von Vorurteilen, Fehlinformationen und diskriminierenden Handlungen in der Bevölkerung begegnet. Viele Betroffene empfinden daher große Scham bzgl. ihrer Erkrankung. Wegen des Wunsches „normal“ und sozial akzeptiert zu sein, verstecken viele ihre Erkrankung. Sie ziehen sich aus ihrem sozialen Umfeld zurück oder nehmen wegen der Scham keine eigentlich nötige psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch (mehr dazu, siehe weiter hinten im Buch unter „Teil 2. Wissenschaftliche Hintergründe der Geschichte“). Insgesamt stellen die Wissenschaftler Patrick W. Corrigan und David L. Penn (1999, S. 765) zu den Konsequenzen des Stigmas psychischer Erkrankungen fest:

Die Auswirkungen des Stigmas auf das Leben eines Menschen können ebenso schädlich sein wie die direkten Auswirkungen der Erkrankung.3

Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch Asmus Finzen (2001), indem er das Stigma als „zweite Krankheit“ bezeichnet, welche von Betroffenen so belastend empfunden wird wie die psychische Erkrankung selbst.

Das vorliegende Buch möchte in erster Linie Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, dabei unterstützen, mit dem Stigma und der Scham bzgl. ihrer Erkrankung umzugehen. Zu diesem Zweck wird eine Geschichte erzählt, deren Protagonistin psychisch erkrankt ist. Es wird beschrieben, wie sie ihre Erkrankung vor sich selbst und ihren Bekannten zunächst aus Scham verleugnet. Im Verlauf der Geschichte werden dann die Folgen dieser Selbstverleugnung, die ersten Schritte aus dieser und aus ihrer Freud- und Freundlosigkeit heraus erzählt. Außerdem überlegt die Protagonistin, wie sie mit ihrer Diagnose in der Öffentlichkeit umgehen soll: Soll sie allen davon erzählen? Was spricht dafür, was aber dagegen?

Dabei soll die Geschichte sowohl Identifikations- als auch Reflexionsfläche für Betroffene sein. D. h. einerseits sollen die Schicksale der Charaktere beim Fühlen der eigenen Schwierigkeiten im Umgang mit der eigenen Erkrankung helfen. Sie soll das Gefühl vermitteln, dass man mit solchen Gedanken nicht allein ist, sondern dass andere Betroffene mit diesen ebenso zu kämpfen haben. Andererseits sollen verschiedene in der Geschichte zusammengestellte Argumente für einen offenen oder verdeckten Umgang mit der eigenen Erkrankung die eigene Reflexion darüber unterstützen. Dabei soll ein möglichst differenziertes Bild von Scham gezeichnet werden, bei dem Scham nicht nur negativ ist, sondern auch die Privatsphäre und uns vor emotionalen Verletzungen durch andere schützen kann (vgl. Hilgers, 2006).

In zweiter Linie möchte das Buch jedoch auch antistigmatisierend in der Weise wirken, dass Leserinnen und Leser, die nicht von einer psychischen Störung betroffen sind, eine möglichst nichtvorurteilsbeladene Porträtierung von Betroffenen und ihren Erlebnissen erhalten. Und auch wenn die Geschichte explizit von Schamempfindungen bzgl. psychischer Störungen handelt, können die einzelnen beschriebenen Erlebnisse auch auf Erfahrungen im Umgang mit anderen schambehafteten Attributen der eigenen Person übertragen werden, z. B. im Umgang mit eigenen (beruflichen) Misserfolgen oder körperlichen Erkrankungen. Dabei sei der Fall von Angehörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen erwähnt: Diese Personengruppe kann das vorherrschende Stigma psychischer Störungen auch betreffen und sehr belasten. Auch sie können die Geschichte als Identifikations- oder Reflexionsfläche nutzen.

Die vorliegende Geschichte wird von Illustrationen begleitet. Wir haben uns dazu entschlossen die Geschichte zu bebildern, weil wir uns dadurch erstens erhoffen, dass Emotionen so auf eine besondere Weise angesprochen werden. Und zweitens gehen psychische Störungen bzw. emotionale Belastungen leider häufig mit Beeinträchtigungen der Konzentration, des Antriebs, der Planung von Handlungen und auch der Fähigkeit zur Imagination einher (vgl. Lautenbacher & Gauggel, 2010). Und darum hoffen wir, dass die Bebilderung dabei hilft, sich auf die Geschichte einzulassen. Außerdem könnte durch die Bilder ein das psychische Wohlbefinden beförderndes Kunsterlebnis ermöglicht werden. Auch die Wahl, Raubkatzen und nicht Menschen, die Hauptcharaktere spielen zu lassen, ist hauptsächlich darin begründet, die eigene Kreativität oder auch das Einnehmen einer anderen Sicht auf die eigene Situation anzuregen.

Damit die Geschichte die Erlebnisse von Betroffenen realistisch abbildet und somit auch wirklich als Identifikations- und Reflexionsfläche dienen kann, wurden wissenschaftliche Studien anderer Forscherinnen und Forscher zu psychischen Störungen und zu damit verbundener/m Scham und Stigma in die Geschichte eingearbeitet. Diese Literatur ist im zweiten Teil des Buches zusammengetragen (u. a. werden sechs Antistigma-Aussagen formuliert und erläutert). Darüber hinaus haben 250 Personen, die von einer psychischen Störung betroffen sind oder waren, an einem von uns konzipierten und durchgeführten Online-Fragebogen anonym und freiwillig teilgenommen. Im Fragebogen wurden diese nach ihren Erlebnissen von Scham bzgl. ihrer Erkrankung befragt. Die Ergebnisse der Umfrage wurden ausgewertet und auch in die Geschichte eingearbeitet und sind zudem im zweiten Teil des Buches zusammengefasst (siehe „2. Ergebnisse unserer Online-Umfrage“).

Insgesamt möchten wir darauf hinweisen, dass trotz der Online-Umfrage als Grundlage der Geschichte die einzelnen Charaktere in dieser mit ihren konkreten Entscheidungen und Verhaltensweisen dennoch frei erfunden sind und jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig ist.

Die konzipierte bebilderte Geschichte haben außerdem weitere von einer psychischen Erkrankung betroffene Menschen und auch professionell im Versorgungsbereich dieser Tätige gegengelesen. Diese Rückmeldungen sind auszugsweise im Vor-, im Nachwort oder auf der Rückseite des Buches als Buchklappentext enthalten. Wir möchten uns erstens bei Vicky Pullen (Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener (BPE) e.V.) für ihre Rückmeldung bedanken, die zu einigen kritischen Passagen, z. B. über Diagnosen und Nebenwirkungen von Behandlungen, angeregt hat. Außerdem danken wir zweitens dem Vorstandsvorsitzenden Felix Radtke und dem restlichen Team von Blaupause - Initiative für mentale Gesundheit im Gesundheitswesen e.V. für ihre ausführliche und konstruktive Rückmeldung und für den Buchklappentext.

Trotz der wissenschaftlichen Grundlage der Geschichte möchten wir aber darauf hinweisen, dass die positive Wirkung der Geschichte nicht explizit wissenschaftlich überprüft wurde und für etwaige mögliche negative Folgen des Lesens der Geschichte (die sich aber bisher genauso wenig gezeigt haben) nicht gehaftet wird. Das heißt jeder Leser, jede Leserin entscheidet für sich selbst, ob er bzw. sie das Buch oder einzelne Kapitel lesen will oder nicht. Wir hoffen aber, dass die Leser und Leserinnen von der Geschichte sich in der einen oder anderen Weise unterstützt fühlen werden. Und es sei hier (und auch direkt nach Ende der Geschichte) die kostenlose Nummer der Telefonseelsorge angeführt: 0800/1110111. Diese kann rund um die Uhr von jedem angerufen werden, der ein offenes Ohr zum Reden braucht. So eben auch, wenn unsere Geschichte Redebedarf erzeugt hat. Außerdem sei erwähnt, dass die Geschichte keine professionelle medizinische Versorgung, d. h. keine Konsultation beim Hausarzt bzw. bei der Hausärztin, Psychiater*in oder Psychotherapeut*in, ersetzen kann. Im Gegenteil soll das Buch eher dazu bewegen, professionelle Hilfe bei psychischen Problemen trotz des in der Gesellschaft vorherrschenden Stigmas in Anspruch zu nehmen.

Das Buch ist im Rahmen eines von der Eberhard Karls Universität Tübingen unterstützten Projekts entstanden, welches zudem vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert wurde. Bei beiden Einrichtungen möchten wir uns hiermit für die Unterstützung bedanken. Im Speziellen möchten wir unserer Projektbetreuerin Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn und Franziska Müller vom Career Service der Universität Tübingen unseren Dank aussprechen. Bei Prof. Dr. Ammicht Quinn bedanken wir uns dafür, dass sie das Projekt sowohl unterstützt als auch durch ein inspirierendes Seminar dazu beigetragen hat, dass die Idee zum Buch entstanden ist. Franziska Müller möchten wir Danke sagen für ihre zuverlässige, wohlwollende und konstruktive Unterstützung bei der Entstehung sowohl des Buches als auch bereits der Online-Umfrage.

Auch Prof. Dr. Martin Hautzinger und Marion Springer vom Psychologischen Institut der Universität Tübingen möchten wir für ihre Rückmeldungen unseren Dank aussprechen. Prof. Dr. Hautzinger, dass er ein Vorwort zu unserem Buch geschrieben hat, uns darin an seiner langen klinischen Erfahrung teilhaben lässt und darin die Haltung der Heilberufe zu psychischen Erkrankungen kritisch beleuchtet. Bei Marion Springer wiederum möchten wir uns für ihr Geleitwort bedanken, das es geschafft hat, das gesamte Buch wunderbar treffend und in schönen Worten zusammenzufassen.

Außerdem danken wir unseren Eltern und guten Freunden für ihre Unterstützung. Unseren Eltern dafür, dass sie uns, wenn es nötig ist, „den Rücken freihalten“, uns unterstützen, wo es geht, und für uns da sind. Unseren Freunden danken wir dafür, dass sie uns in Zeiten des Zweifels ihr Ohr geschenkt und uns Mut gemacht haben. Dabei möchten wir vor allem Andreas Donig für seine sorgfältigen, bedachten und konstruktiven Rückmeldungen zum Buch danken.

Und zu guter Letzt möchten wir uns bei all denjenigen von einer psychischen Störung Betroffenen bedanken, die sich Zeit genommen haben, den Online-Fragebogen auszufüllen oder die Geschichte vorab zu lesen und Rückmeldung zu geben. Durch die Hilfe all dieser konnte die Geschichte so konzipiert werden, dass sie möglichst realitätsgetreu die Erlebniswelt vieler Betroffener abbildet und so die Verarbeitung der Diagnose einer psychischen Erkrankung potentiell unterstützen kann. Im Besonderen danken wir Thalea K., Sabine S. und Eva F. dafür, dass sie bereit waren, ihre Erfahrungen mit dem Buch bzw. mit der Scham bzgl. ihrer psychischen Erkrankung zu teilen (siehe „Nachworte von Betroffenen zur Geschichte“).

Wir hoffen, dass durch das Buch diejenigen sich, die von einer psychischen Störung betroffen sind, und auch deren Angehörige sich bei der Verarbeitung der Diagnose unterstützt fühlen. Und genauso hoffen wir, dass Nicht-Betroffene sich im Umgang mit schambehafteten Attributen der eigenen Person ebenso in der Geschichte wiederfinden. Gleichzeitig wünschen wir uns, dass die Geschichte ein weniger stigmatisierendes Bild von psychischen Erkrankungen malt und die Möglichkeit gibt, die Innenperspektive von Betroffenen besser zu verstehen, um mehr Empathie, Respekt und Verständnis für diese zeigen zu können.

Tübingen, September 2019

Julia Majon

Andrea Mara Schenn

1 Im Buch wird, wenn Personen unabhängig von ihrem Geschlecht angesprochen werden sollen und soweit kein geschlechtsneutraler Begriff gefunden wird, der Lesbarkeit wegen sowohl die weibliche als auch die männliche Form genannt. Mitgemeint sind dabei aber auch all diejenigen, die sich keinem Geschlecht oder beiden Geschlechtern zuordnen. An Stellen, an denen die Lesbarkeit unter der separaten Nennung beider Geschlechter leidet, wie etwa bei Aufzählungen, wird das Gendersternchen genutzt.

2 Derzeit wird meist der Begriff „psychische Störung“ verwendet. In diesem Buch wird aber sowohl von „Erkrankung“ als auch von „Störung“ gesprochen. Wir hoffen jedoch, dass keiner der Begriffe von Betroffenen als Stigma empfunden wird.

3 Eigene Übersetzung; Original: „[S]tigma‘s impact on a person‘s life may be as harmful as the direct effects of the disease.“ (Corrigan & Penn, 1999, S. 765)

Zitate: Umgang mit der eigenen psychischen Störung

Verschweigen?

Wenn man seine Störung verschweigt, wird man als Person gesehen und nicht auf etwaige Diagnosen beschränkt.

BP1854

[Meine Erkrankung ist etwas,] wo ich mich mit auseinandersetzen muss, nicht die Anderen. Dafür habe ich meine Therapeutin und mich selbst. Im Alltag würde ich gerne ein normales Leben führen.

BP243

Verständnis?

[Ich fühle] mich meist nicht verstanden. Egal, wie man die Krankheit erklärt, es kommen nur verständnislose Blicke.

BP136

Manche stellen dann zu intime Fragen, aus Neugierde.

BP155

Ich mache mir […] Gedanken darüber, was dieser Mensch nun möglicherweise über mich denken könnte.. Ob diese Gedanken eher in Richtung „die hat doch einen Knall“ oder eher in Richtung „ich glaube, die Arme ist belastet und braucht ein offenes Ohr“ gehen könnten.

BP224

Die Gesellschaft und psychische Erkrankungen

Es sollte enttabuisiert werden. Der Leidensdruck wird durch das Verstecken größer und vermittelt Nicht-Betroffenen das Gefühl, es wäre etwas, wofür man sich schämen muss.

BP135

[Psychische Erkrankungen können] eine gesunde Reaktion auf eine kranke Welt sein […]. Dies kann der Umwelt so erklärt werden und das Stigma wird mehr und mehr abgebaut.

BP249

Es kann jeden treffen und es kann die Hölle sein. Ich z. B. bezeichne es als Fegefeuer zu Lebzeiten!

BP124

Figuren:

Die Grünen Meerkatzen

Die Gepardin

Die bekannten Leoparden und Pumas

Der Puma

Die Schwarze Pantherin

Der Serval

Der Kanadische Luchs

Der Manul

Der Weiße Löwe

Die Krall-Kratz-Künstler

Die Löwin

Die drei unbekannten Raubkatzen

Der Königsgepard

4 BP185 = anonym befragte Person Nr. 185 unserer Online-Umfrage von Menschen mit psychischer Erkrankung (siehe Kapitel „2. Ergebnisse unserer Online-Umfrage“); die Nummern sind keiner Person mehr zuweisbar.

Teil 1. Die Geschichte.

Auf

Abwegen

und

Umwegen

Prolog

„Hjää, hjää!“, hallt es aus dem Himmel in die sonst von Stille durchzogene Graslandschaft. Von dem plötzlichen, ächzenden Gekreische des Raubvogels wird eine Gruppe Grüner Meerkatzen aufgeschreckt. Diese haben sich zuvor auf einem der Bäume in der dschungeligen Gegend ganz nah aneinander gekuschelt und sich über die körperliche Nähe zu ihrem Nebenmann gefreut. So nah haben sie sich nebeneinandergesetzt, als wenn sie glaubten, der Ast, der sie trägt, könne zu kurz sein, um für alle Platz zu haben. So zusammengemuckelt, haben sie sich, wenn auch ein wenig einfallslos, aber dennoch zufrieden, dem alltäglichen Lausen hingegeben.

Jetzt, aufgeschreckt von dem Gekreische direkt über ihnen, ducken sich mit einem Male alle fünf Köpfchen verschreckt weg. Die Fünf sind nun doppeltfroh, so eng an ihrem Nebenmann zu sitzen. Ihre kleinen Köpfchen suchen und suchen in alle Richtungen hastig nach dem Urheber des lauten und gruseligen Krächzens. Aber der Baum, den die Grünen Meerkatzen sich heute für ihre Lause-Einheit ausgesucht haben, ist so dicht bewachsen, dass sie nur Blätter und keinen Fetzen des wolkenfreien Himmels über sich erblicken können.

Mit jeder Minute, in der sie den Raubvogel nicht verorten können, pochen ihre kleinen Herzen schneller und schneller. Es dauert einige Zeit und einige akrobatische Halsverrenkungen, bis ihnen klar wird, dass, wenn sie den Raubvogel nicht zu Gesicht bekommen können, er sie auch nicht sehen kann. Die vier erwachsenen Meerkatzen stupsen sich gegenseitig triumphierend an und lachen leise, als ihnen nacheinander dämmert, dass der Raubvogel völlig ahnungslos über ihnen hinwegfliegt. Ihr hochgeschnellter Puls fährt auf Normalniveau und sie widmen sich wieder sorgenfrei dem gegenseitigen Lausen.

Die Jüngste der Grünen Meerkatzen klammert sich aber seit Ertönen des lauten Raubvogel-Rufs fest an den Bauch ihrer Mutter und lauscht, der Welt draußen entfliehend, den vertrauten und beruhigenden Glucker-Vorgängen in deren Inneren. Sie ist der Welt, die plötzlich so gruselig wurde, so schnell mit ihrem Bewusstsein entflohen, dass sie gar nicht mehr mitbekommt, dass die Gefahr nun vorüber ist. Und so verweilt sie weiter im Glucker-Land.

Ihre Mutter wiederum, die dieses Land beheimatet, hebt indes ihren linken Arm. So kann ihr zweitältester Sohn die Läuse unter diesem einfangen. Er kramt und sucht und schiebt das Fell hin und her, geht aber dabei völlig unsystematisch vor. Die Mutter merkt schließlich, wie er dieselbe Stelle mittlerweile zum dritten Mal durchwühlt und wie er sich dann beschwert, dass er keine Läuse finde.

Als er dann einfach nicht aufhören will zu wühlen und dabei herummeckert, der Arm der Mutter aber immer schwerer wird, brummt sie ihn etwas lauter und bestimmt an. Immer noch spürt sie die Läuse unter ihrem Arm kitzeln und dreht ihm die noch belauste Stelle direkt vor die Finger.

Ihr Sohn senkt daraufhin beschämt seinen Kopf. Ihr wiederum tut es zwar leid, dass sie ihm das nicht einfühlsamer mitgeteilt hat, aber der Schmerz in ihrem Arm ist mittlerweile fast unerträglich. Und außerdem hat der Sohn überall außer bei sich selbst, überall außer bei seinem unsystematischen Suchen die Schuld für das Nichtfinden der letzten Läuse gesehen. Mal war sein älterer Bruder schuld, der angeblich zu laut atmete und mit seinem Atem die ganzen Läuse aufschrecken würde. Dann war wieder das zu dicht bewachsene Fell der Mutter und dann schließlich der Schatten des Baumes daran schuld, dass er die Läuse nicht finden könnte.

Durch den Hinweis der Mutter schrumpft das zuvor übergroße Ego des Sohnes. Nachdem er sich eingestanden hat, dass er sich nicht besonders geschickt angestellt hatte, gibt er noch einmal alles und laust so schnell er kann.

Und schon war nur noch eine einzige wackere Laus unter dem Arm der Mutter übrig. Diese versucht hastig, das Fell der Affenmutter über sich zu legen, um vom Sohnemann nicht entdeckt zu werden. Doch der lässt sich nicht täuschen, schiebt das Fell mit einer kleinen Bewegung zur Seite und schnappt sich mit flinken Pfoten die so offenbarte letzte Laus.

Die Mutter signalisiert, dass das Kitzeln gebannt ist und somit die letzte Laus gefunden wurde. Endlich. Der Sohn atmet erleichtert und kräftig aus. Sein großer Bruder zieht ihn daraufhin ihn nachäffend auf, dass er doch bitte nicht so laut atmen solle. Er wiederum lässt sich von dem Kommentar seines Bruders provozieren und ist drauf und dran, zu seinem Bruder hinüberzuspringen.

Die Mutter, die das ganze früh genug ahnt, stimmt ihn mit einem gezielt ausgesprochenen Lob für das erfolgreiche Lausen milde, während sie ihren endlich entlausten und davon schmerzenden Arm erschöpft hinuntersinken lässt. Direkt vor das Gesicht ihrer kleinen Tochter.

Diese nun ist immer noch, mittlerweile mit geschlossenen Augen, vertieft in die beruhigenden und interessanten Geräusche aus dem Bauch der Mutter. Jetzt aber mit dem Arm der Mutter direkt vor ihrem Gesicht, merkt sie ihren eigenen warmen Atem plötzlich zurück in ihr Gesicht pusten. Sie öffnet verwirrt die Augen und entdeckt den felligen Arm ihrer Mutter direkt vor sich liegen.

Protestierend drückt sie mit ihrem Köpfchen gegen den Arm ihrer Mutter. Diese wiederum merkt zwar das unzufriedene Schubsen ihrer kleinen Tochter, aber sie denkt gar nicht daran, ihren Arm erneut zu bewegen. Zu lange hat der Bruder der Kleinen heute gebraucht, um alle Läuse unter dem Arm der Mutter zu finden. Zu lange musste sie ihn heben und den Schmerz in ihrem Arm geduldig ertragen. Ihr Sohn beginnt jetzt, ihren anderen Arm nach oben zu schieben, um auch an die dort versteckten Läuse zu kommen. Dem Schieben folgend, hebt die Mutter ihren rechten Arm.

Die kleine Tochter protestiert weiter, und zwar ein gutes Stück energischer als zuvor. Wieder und wieder versucht sie, den Arm der Mutter aus ihrem Gesichtsfeld zu befördern. Auf keinen Fall will die junge Meerkatze aus ihrer gemütlichen Position heraus! Und das muss sie aber, wenn die Mutter weiterhin die Zufuhr von frischer Luft mit ihrem Arm blockiert. Mit allen Kräften, die sie in ihrem kleinen Körper finden kann, drückt sie darum gegen den Arm der Mutter.

Diese beginnt, der Kleinen aber in der Folge bloß liebevoll über den Rücken zu streichen. Die Kleine verdreht die Augen, lässt die Schultern entnervt hängen und atmet kräftig aus. Der so entstandene Luftstrom bläst ihr aber sogleich zurück ins Gesicht. Überrascht davon schüttelt sie ihr Köpfchen und hebt ihr Gesicht vom Bauch der Mutter unabsichtlich hoch. Sich darüber ärgernd, dass sie sich gerade selbst aus der Ankuschel-Position herausbefördert hat, dreht sie ihr Köpfchen grummelnd herum auf die Seite, wo kein störender Arm ihr den Weg versperrt.

So schnell es ihr möglich ist, drückt sie ihre andere Gesichtshälfte wieder an den sich ruhig auf und ab bewegenden, warmen Bauch der Mutter. Sie versucht, sich noch ein Stückchen näher an deren Bauch zu kuscheln - so, als wolle sie jedes Molekül zwischen sich und der Mutter verdrängen. Und während sie sich so an deren Bauch drückt und genüsslich und zufrieden, ohne blockierenden Arm der Mutter, ausatmet, entdeckt sie in der weiten Landschaft eine Gepardin - eine Gepardin, die im tiefen Gras ganz zusammengekauert sitzt.

Als die Kleine schließlich auch die Gruppe Gazellen in der Nähe der Gepardin bemerkt, reißt sie erwartungsvoll ihre kleinen Augen und den Mund weit auf und vergisst völlig die Blubber und Glucker im mütterlichen Bauch.