Wie aus gewöhnlich gut unterrichtenden Kreisen verkündet wird, ist der Lehrerberuf das reinste Zuckerschlecken. Ein unzureichendes Studium ohne Praxisbezug, Planstellenmangel, Hektik, Stress, nervtötende Alltagsroutine, mangelhafte Ausrüstung der Schulen, fehlende ergänzende Betreuung durch Psychologen oder Sozialarbeiter und eine engstirnig denkende Schulbürokratie – das alles ist Lehrern unserer Tage völlig unbekannt. Ebenso wenig existieren unüberlegt in die Wege geleitete Rechtschreibreformen, Mobbing unter Lehrern und Schülern, Bandenkriminalität und Drogen in der Schule. Auch stellt niemand alle drei Tage eine neue oberclevere Pisa- oder OECD-Studie über den pädagogischen Erfolg des erzieherischen Handelns an. Selbstverständlich gibt es nicht alle vier Tage eine von oben verordnete Reform der letzten Schulreform, die weder Rücksicht auf die gigantische Klassengröße noch die psychischen Grenzzustände der Pädagogen nimmt, die sie umsetzen sollen. Auch ist es ein Gerücht, dass man sich Gedanken um irgendeine Zukunft für Schulabgänger aller Schulformen machen muss. Sie haben nämlich keine. Kurz gesagt, Lehrer sein ist ein Leben wie im Schlaraffenland, und deshalb sind Lehrer stets ausgeruht und gut gelaunt. Das muss schon deshalb so sein, weil nur ein ausgeruhter, gut gelaunter Lehrer ein guter Lehrer ist. Abgeschlaffte, überforderte, vom Leistungsstress geplagte Pädagogen hingegen können ihrem Erziehungsauftrag (wie immer der im Augenblick gerade lauten mag) nicht nachkommen, verbrauchen ihre wertvolle Freizeit zur Erholung und erreichen womöglich die Pensionsgrenze nicht ohne körperlichen und seelischen Schaden. Schon deshalb gibt es sie nicht (§ 1 Landesschulgesetz Schilda). Nun haben ja Lehrer an sich nichts dagegen, ausgeruht zu sein, und es gibt sogar drei Bevölkerungsgruppen, die ihnen dabei helfen wollen: Schüler, Eltern und nicht zuletzt die Schulbürokraten. Diese geben – alle zugleich und mit den unterschiedlichsten Mitteln – ihr Bestes, um den Schulalltag nicht langweilig werden zu lassen: Sie schreien, kommen zu spät, geben immer neue Erlasse und Verordnungen heraus, stammen entweder aus Kirgisien oder Obervolta oder gar aus der Unter-, Mittel- oder Oberschicht, verlangen nach Zuwendung, intrigieren, mobben, protestieren, pubertieren, haben ihre Hausaufgaben vergessen, halten ihre Kinder für verkannte Genies, heulen, toben herum, hecken unsinnige Streiche aus, liegen besoffen in den Anlagen des Schulhofs, bumsen im Klassenschrank, begehen Selbstmordversuche aus verschmähter Liebe, bestehen auf einer jährlichen Untersuchung durch das Gesundheitsamt, gehen über Tische und Bänke und pfeifen sich Drogen in flüssigem, festem und gasförmigem Aggregatszustand ein, bis der Arzt kommt. Und das alles nur, um für ein wenig Kurzweil (neudeutsch »Action« genannt) in der Schule zu sorgen. Schöner noch: Hinzu kommen die »lieben Kollegen«, von denen man manchmal glaubt, sie wollten die erstgenannten drei Gruppen an Einsatz und Engagement in Sachen Action noch übertreffen. Man kann also sagen: Der Lehrerberuf hat seit den Tagen Lehrer Lämpels noch deutlich an Reiz gewonnen.
Und damit Sie all die wunderschönen Erlebnisse und Begegnungen, die der Lehrerberuf so mit sich bringt, auch wirklich zu würdigen lernen und den großen und kleinen Katastrophen stets mit einem freudigen Lächeln gegenübertreten, wird Ihnen der folgende Erfahrungsbericht und Survival-Guide zeigen, wie Sie den Traumberuf Lehrer unbeschadet ausüben können.
Der Schulmeister in grauer Vergangenheit war a) zu spät geboren, um den Hof zu erben, und/oder b) zu schwach, um auf dem Felde zu arbeiten, und/oder c) zu dumm, um Pfarrer zu werden (Latein!), aber d) zu schlau für den Beruf des Dorftrottels. Also wurde er Lehrer. Heute werden da ganz andere Anforderungen gestellt. Selbstredend brauchen sie Abitur auf irgendeinem Bildungsweg, 9 bis 19 Semester Studium, erstes Staatsexamen, Referendariat, zweites Staatsexamen. Das reißt jeder irgendwie runter. Aber man sollte sich, wenn man Lehrer werden will, Folgendes fragen: Habe ich die Begabung, stumpfsinnigste Verwaltungsarbeiten ohne seelischen Schaden abzuwickeln? Habe ich einen Vetter in der Schulverwaltung, um eine offene Planstelle halbwegs in der Nähe meines bisherigen Lebensumfeldes zu bekommen, oder eine Schwägerin in einer politischen Partei? Nein? Besitze ich dann den ausgeprägten Optimismus, dennoch auf eine geeignete Stelle zu hoffen, und die seltene Befähigung, ohne Schaden lange einsame Jahre in den entferntesten Winkeln und/oder an den feurigsten sozialen Brennpunkten unserer Bundesländer unter seltsame Dialekte sprechenden Eingeborenen (Meckpomm? Niederbayern? Köln-Chorweiler?) zu verbringen oder alternativ lange Jahre von Hartz IV oder Flohmarkteinkünften (pädagogische Literatur) zu leben? Und wenn es dann klappt: Habe ich Nerven aus Stahl, die körperliche Konstitution eines Zehnkämpfers, den Schwarzen Gürtel in Karate oder Kung Fu oder ersatzweise eine Nahkampfausbildung der US-Marines? Auf jeden Fall ist eine Weiterbildung à la »Rhetorik der Vorstadt – wie gehe ich mit aggressiven Tiefbaufacharbeitern und anderen Vätern um, die stärker sind als ich?« anzuraten. In den einschlägigen Vierteln von Groß- und Kleinstädten dürfte außerdem ein Ergänzungskurs »Kanak für Pädagogen« günstig sein. Zwingende Voraussetzung ist zu alledem die seltene Begabung, mit geistiger Minderbemittlung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (auch Kollegen) umzugehen, und das etwa 6 Stunden zu je 120 gefühlten Minuten am Tag.