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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Die Schilderungen in diesem Buch beruhen auf wahren Begebenheiten. Um die Persönlichkeitsrechte von Dritten zu wahren, wurden jedoch sämtliche Namen und Orte gerändert.

Originalausgabe

1. Auflage 2017

© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Silke Panten

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: Bohne/shutterstock.com, Wstockstudio/shutterstock.com, Nik Merkulo/shutterstock.com, The_Pixel/shutterstock.com, Vladimir Borozenets/shutterstock.com

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, München

ISBN Print 978-3-7423-0243-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-694-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-695-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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Inhalt

Über dieses Buch

Gong zum Schulbeginn: Fähige Lehrer dringend gesucht!

Vor der ersten Stunde: Wer entschließt sich, Lehrer zu werden?

Der Wahnsinn beginnt in der Grundschule

Unterricht nach Schema F

Weltfremd, exzentrisch, verpeilt – eine Typologie

Völlig verpendelt – willkommen in der Lehranstalt

Vorsicht, vor Ihnen steht ein Künstler!

Das Problem mit der Lustlosigkeit

Die unsichtbaren Schulleiter

Das Versagen der Ministerien

Pädagogen in der Pflicht: Qualitätskontrolle, bitte!

Der Lehrer als Vorbild: Selbstwahrnehmung und Wirklichkeit

Schüleraustausch I: Ein Infoabend ohne Infos

Der ewige Beamte: Null Einsatz, null Konsequenzen

Beamtenstatus versus Leistungsbereitschaft

Marotten und Leiden der Lehrkräfte

Der Arzt – Freund und Helfer

Schüleraustausch II: Das »schwere« Los der Lehrer

Alles steht und fällt mit der Kommunikation

Korinthenkacker mit Wissenslücken

Abenteuer Elternabend: Schuld sind immer die Schüler!

Zukunfts­gestalter zwischen Grauschleier und Schlabberlook

Quereinsteiger – die verkannten Genies

Setzen, sechs! – Schulnoten als Druckmittel

Alternativberufe – ein Gedankenspiel

Gong zum Schulschluss: Sind jetzt alle wach?

Über die Autorin

Über dieses Buch

Lassen Sie mich mit einer Anekdote beginnen.

Sie hat sich auf einem Elternsprechtag zugetragen. So ein Elternsprechtag hat nämlich etwas ungemein Typisches. Und etwas zutiefst Unehrliches: Weil kaum eine Mutter und kaum ein Vater auch nur annähernd das sagen, was sie denken. Niemand lässt seinen Frust, seinen Ärger, seine Wut und seine Hilflosigkeit raus. Stattdessen sind die Gänge gesteckt voll mit Eltern, die verkniffen lächeln und freundlich tun, wo sie eigentlich explodieren möchten. Natürlich werden auch ganz normale, womöglich sogar konstruktive, alle Beteiligten weiterbringende Gespräche geführt. Hier und da. Ein paar. Aber hinter der Mehrzahl der Türen wird geheuchelt, verdrängt, sich gewunden. Wegen der verbrannten Erde. Die man bei etlichen Lehrern allzu schnell hinterlässt, wenn man halbwegs ehrlich ist.

Da sitzt der beleibte Herr Dagelfing in einem verzogenen hellblauen Poloshirt auf einem mittelbraunen Kunstledersofa im Sprechzimmer der Fachschaft Biologie direkt neben der alten Glasvitrine mit den ausgestopften heimischen Seevögeln und stellt sich dem Elternsprechtag zweieinhalb Monate nach Schuljahresbeginn. Es hilft ja nix. Vor sich, auf einem alten Labortisch auf Rollen, hat er seine Taschenuhr abgelegt. Sie hat eine sehr dicke Kette und ist sehr golden. Geradezu aufdringlich und so blendend golden, dass sie kaum echt sein kann. Das Talmi-Ding scheint aber Herr Dagelfings ganzer Stolz zu sein, als verleihe es ihm eine Aura von Würde und Souveränität. Die ständig abrufbereite Uhrzeit hilft ihm, den Überblick zu bewahren. Über was, weiß man nicht genau, weil seine Liste nicht mal halb voll ist.

Als ich ihn auf meine Tochter anspreche, schiebt er seine Taschenuhr ein Stück nach links, sieht auf und lässt mich wissen, dass er in Anbetracht all der Kinder, die er zu unterrichten habe, jetzt noch nicht wisse, um welches es sich bei meiner Tochter handelte. Während ich noch ratlos schweige und überlege, wie ich mit dem Wegfall der Grundvoraussetzung für ein Gespräch mit einem Lehrer umgehen soll, legt er jovial nach: »Ich habe aber auch eine gute Nachricht: Ihre Tochter ist mir noch nicht negativ aufgefallen.«

Eines Tages möchte ich Herrn Dagelfing ganz offen sagen, direkt heraus, was das für ein Trauerspiel ist, dass er meine Tochter nach gut zwei Monaten nicht kennt, obwohl genau das zu seinen Aufgaben gehört. Und dass ich es noch viel jämmerlicher finde, dass er exakt das Gleiche vor exakt zwei Jahren schon einmal zu mir gesagt hat, als ich wegen meiner älteren Tochter bei ihm war. Trauerspiel in Dauerschleife, und das Publikum spielt mit.

Dies ist der Versuch, Ordnung in die vielfältigen Impressionen aus dem Schulalltag zu bringen und zu beleuchten, was das eigentlich genau für ein Schlag ist, der Eltern seit Menschengedenken zur Weißglut treibt. Mit wem haben wir es da zu tun? Was sind das für Leute, die Lehrer werden und deren Existenz immer neue unsagbare Blüten treibt? Was erlebt man mit ihnen?

Zur Betrachtung stehen tatsächlich so erlebte Geschichten, Erfahrungen, Analysen und Berichte aus dem Blickwinkel der Eltern entlang des schulischen Werdegangs der eigenen Kinder von der Grundschule bis zum Abitur: lustig, ironisch, bissig, aufgebracht, verwirrt, ein bisschen gemein und schonungslos. Und garantiert aus dem Leben gegriffen. Übertreiben oder erfinden muss eh keiner was, wenn man eintaucht in den sagenhaften Kosmos Schule. Aber Luft will man sich machen und den Damen und Herren der Lehrerschaft dringend abverlangen: Stellt euch der Welt! Und schütteln will man sie, mit Aufrufen und Fragen wecken, bedrängen, beleuchten, begreifen: Wie können so viele von euch derart wunderlich, derart am Leben vorbei sein? Da sitzt ihr in eurer Schulparzelle, unangefochten, weitgehend gespürlos für berechtigte Kritik, gelehnt gegen das pralle Kissen der Selbstgerechtigkeit und des Gefühls, allzeit im Dauerrecht zu sein.

Ob es um Sprechstunden, Eltern- und Infoabende, Elternbriefe oder Klassenfahrten geht. Ob man es mit dem Lehrertypus Dauerkranker, Verpeilter, bunter Hund, seltsamer Vogel, Alkoholiker, Kettenraucher, Gummibärchen-Süchtiger, Kumpeliger oder Verrückter zu tun bekommt. Ob man den Beruf im Wandel der Zeit, die Anforderungen, die Ausbildung, das Auftreten, die Autorität, die Erscheinung, die Kommunikation, die (Arbeits-)Haltung, die Arbeitsqualität, das Gejammer, die Lethargie, die Empfindlichkeiten, das gesellschaftliche Ansehen, die Außenwirkung oder die zum Teil fatale Außenwahrnehmung beleuchtet – es ist ein Kosmos voller Ufos und Aliens ganz eigener Art, so viel steht fest.

Dieses Buch soll Trost, Appell, Analyse, Vorwurf und Weckruf vereinen. Niemand ist mit seinem Erfahrungsschatz allein.

Gong zum Schulbeginn: Fähige Lehrer dringend gesucht!

»Wen Gott im Zorn schuf, macht er zum Lehrer.«

Schlesische Sentenz

Die Guten können zu den wichtigsten Menschen im Leben eines Schülers gehören. Und das hat Dimension. Welcher Beruf bietet schon die Gelegenheit, eine prägende und wegweisende Rolle im Leben junger Menschen zu spielen? Nicht wirklich viele.

Das Dreieck Schule – Lehrer – Schüler ist ein Urkonstrukt. Es bedient die Wissbegier der jungen Generation und gleichzeitig den Wunsch der alten, die im eigenen Leben erworbenen Erkenntnisse weiterzugeben. Es geht um Sinnhaftigkeit, Bildung und Erfüllung. Hehre und edle Themen der Menschen. Und das macht den Lehrerberuf zu einem der wichtigsten Berufe – und das mit der Option, zudem einer der schönsten Berufe zu sein.

Eins vorweg: Es gibt zweifelsohne unmögliche Eltern und unangenehme Schüler. Mit denen können eine Schule und ihr Lehrerkollegium durchaus unerfreuliche Mühen haben. Nicht umsonst sind Schule und Kollegium gut ausgestattet mit allerlei Abwehr und Bollwerk zur Rückendeckung sowie mit Maßnahmen von Sitzenbleiben bis Schulverweis. Das bedeutet: Wenn ein Lehrer nicht gerade einen Straftatbestand erfüllt, steht er ziemlich fest und abgesichert.

Für Eltern ist das dagegen nicht so klar: Die Lehrerschaft ist ein Phänomen, bestimmend und präsent. Und für viele ist sie oft die sprichwörtliche Kröte, die es zu schlucken gilt. Wer Kinder hat, hat quasi ständig den Mund voll, denn diese Kröte ist ein vielköpfiges Wesen mit leider nur wenigen Ausnahmen. Wer Kinder hat, hat überdies ständig den Kopf voll: mit Herumrätseln, Staunen, Ärger. Über Ungerechtigkeiten, Dreistigkeiten, Verschrobenheiten, Naivität, Weltfremdheit, Faulheit, Unwilligkeit, Verbohrtheit, Lahmheit. Damit müssen Eltern fertigwerden. Dazu brauchen sie eine Haltung. Und dabei wird ihnen auch noch regelmäßig die Luft knapp, weil sie sie so oft anhalten müssen. Womöglich zwölf Jahre lang, so lange, wie ein Kind von der Schultüte bis zum Abizeugnis braucht. Wer zwei oder mehr Kinder hat, bekommt in der Regel auch einen bunten Zusatzstrauß an Luftanhalte-Gründen geliefert. Schulmeister-Fleurop ohne Grußkarte, frei Schulhaus geliefert.

Gedanken machen sich Eltern viele. Sie wollen ihre eigenen Eindrücke begreifen und ordnen, Strategien entwickeln, sich selbst besänftigen und zu besonnenem Vorgehen mahnen. Sie wollen taktisch vorgehen. Und sie wollen sich ein Bild davon machen, mit was für einer eigentümlichen Gestalt sie es da eigentlich zu tun haben. Mal kriegen sie die eigenen Gedanken nicht zu packen, etwa wenn es um die oft seltsam aus der Zeit gefallene Aufmachung und Erscheinung mancher Lehrer geht. Der Grund ist nicht etwa Oberflächlichkeit, sondern einzig der Umstand, dass eine wunderliche Optik, die sich natürlich grundsätzlich jeder Mensch frei und nach Gutdünken zulegen kann, in aller Regel auch mit absonderlichem Verhalten einhergeht. Und das stellt bereits die erste Schwierigkeit dar. Denn der deutsche Schulbetrieb ist genormt, geregelt und von zum Teil ziemlich hohen, nicht zur Diskussion stehenden Anforderungen an die Schüler geprägt. Und das verträgt sich nur mäßig mit den Käuzen und Sonderlingen in der Lehrerschaft. Und mindestens ebenso wenig mit dem Phlegma, dem Eingeschnapptsein, der Übellaunigkeit und der schroffen Patzigkeit manches Pädagogen. Man staunt nicht selten über die Fronten und die Feindseligkeit, die sich mitunter statt der erwarteten angemessenen Bemühung um die Schüler auftun, zu deren Beschulung die Lehrer angetreten sind und für deren Bildung sie bezahlt werden (und zwar nahezu komme, was da wolle).

Mit derlei Gedanken setzen Eltern sich tagtäglich auseinander. Denn es bleibt der Eindruck: Lehrer sind ein Phänomen, das sich der normalen Wahrnehmung und dem Vergleich mit zahlreichen Bereichen der elterlichen Arbeitswelt entzieht, ein Phänomen, für das man ein Raster braucht, das man sich erst aneignen muss. Man sucht nach Kategorien, Mustern, Erklärungen. Wie ticken diese Menschen bloß? Diese Suche lässt einen immer wieder fassungslos und schulterzuckend auf der Stelle treten.

Da ist der Direktor, der mit Tränen in den Augen schwört, seine Lehrer wären rund um die Uhr im Einsatz. Und alle schweigen betreten, weil es nichts (Unter-)Durchschnittlicheres gibt als ebendieses Kollegium – in dem neben ein paar wirklich Guten die Ausgebrannten, die Arbeitsscheuen, die Überforderten, die Choleriker und die Trantüten ihren festen Platz haben – und dessen von dem Direktor als nahezu legendär empfundenen Einsatz. Aus welcher Lehrmittelkiste, um Himmels willen, hat dieser Direktor die niedrige Messlatte gekramt, die er hier anlegt – und für so herrlich hoch hält? Es gibt da eine gewisse Form der Lehrernormalität, die eine andere Vorstellung von Pensum und Arbeitshaltung bedeutet und die die Außenwelt immer wieder verständnislos zusehen lässt.

Damit stellt sich generell die Frage: Wie wird aus so vielen Schulkollegien dieser entrückte Planet, der den Kontakt, den Bezug und die Relation zum Rest des Lebens- und Arbeitsuniversums weitgehend verloren zu haben scheint?

»Wen Gott im Zorn schuf, macht er zum Lehrer.«

Diese Schlesische Sentenz, vielfach zitiert und vorgekommen, ist natürlich polemisch und ein bisschen gemein, sehr pointiert und auch einen Hauch rätselhaft – und gibt doch eine über Länder- und Völkergrenzen und über Jahrzehnte hinweg empfundene Wahrheit wieder. Es mag damit die hehre und schwierige Aufgabe, die Lehrer zu erfüllen haben – nämlich sich mit der Jugend herumzuschlagen –, angedeutet werden. Und doch zeigt sie auch und vor allem die Unzufriedenheit mit den Zuständen auf, das nicht gute Gelingen.

Es gibt noch einen weiteren passenden Ausspruch: »In der Liebe zu den Schülern liegt die Würde, die Freude, das Göttliche der Lehrerwirksamkeit.«

Dieses Zitat des italienischen Humanisten und Pädagogen Vittorino da Feltre erschlägt förmlich mit der Diskrepanz zwischen schöner Wunschvorstellung und dem, was als Alltagswirklichkeit schultäglich neu wahrgenommen wird. Eine heutige Schulklasse ist gewiss eine Herausforderung. So viele Schicksale, darunter ungünstige Werdegänge, schwierige Verhaltensausprägungen, unterschiedliche Herkünfte und aus­gesprochen heterogene Voraussetzungen sollen eine Klassen­einheit bilden und gemeinsam unterrichtet werden. Da ist zugegebenermaßen zunächst wenig Raum für blumige Umschreibungen. Aber einen entscheidenden Aspekt muss jeder Lehrer einräumen: Das ist keine Überraschung. Das weiß jeder.

Wer sich für den Lehrerberuf entscheidet, muss wissen, dass er eines nahenden Tages raus aus den Seminaren und Ausbildungsrefugien hinein in die tägliche Schulwirklichkeit gehen wird, wo ihn genau solche Klassen erwarten. Das ist ein Stück bundesdeutsche Wirklichkeit. Es ist kein Raum für die, die aus rosaroten Gründen – im Verdacht stehen die relative Sicherheit der öffentlichen Hand, das Beamtentum und die vielen Ferienwochen – den Lehrerberuf für eine Art Auffangbecken halten. Ein Auffangbecken für die, die sich der rauen unternehmerischen Arbeitswirklichkeit, der freien Wirtschaft und den konkurrenz- und bewährungsgeprägten Arbeitssituationen nicht stellen mögen – und die fatalerweise glauben, als Lehrer erwarte sie eine absehbare, bewältigbare Aufgabe. Dass sie absehbar ist, macht die Aufgabe nicht leichter. Und die vermeintliche Bewältigbarkeit beruht auf einer geradezu fahrlässigen Unterschätzung der Anforderungen. Fatalerweise geben zahlreiche Lehramtsstudenten an, ihren Studiengang für vergleichsweise einfach zu halten. Es geht ihnen eher um die Machbarkeit als um die Karriereaussichten, die den Abiturienten mit Einserschnitt dagegen im Lehrerberuf in der Regel zu unattraktiv erscheinen. Von den mittelmäßigen Abiturienten sehen deutlich mehr ihr berufliches Ziel als Lehrer an einer Schule, weil sie dort keine Überforderung fürchten. Eine Berufung, eine Überzeugung oder der dringende Wunsch, Lehrer zu werden, ist keineswegs die treibende Kraft (Kraft ist ohnehin kein Aspekt, der dem Betrachter bei Lehrern vorrangig in den Sinn kommt) – und dann vertun sie sich bitter mit dem vermeintlich dünnen Brett, was wiederum die Burn-out-Rate ein paar Jahre später in die Höhe treibt.

Wohlgemerkt sind sicher nicht grundsätzlich nur die Ein­serschnitt-Abiturienten in der Lage, gute Lehrer zu werden. Und es gibt natürlich Einserkandidaten, die eher redlich-­gewissenhaft und sehr fleißig funktionieren, als für eine Sache zu brennen. Es gibt nur eben diese nicht ganz geringe Gruppe von jungen Menschen, die schon in der Schule keinen großen Ehrgeiz und nicht viel Mühe und Elan aufgebracht haben und sich dann für die Direktschleife zurück an die Schule entscheiden, über ein überschaubares Studium von ein, zwei oder drei der Schulfächer, an die sie sich halt über die eigenen Schuljahre hinweg so gewöhnt haben.

Festzustellen ist jedenfalls, dass Eltern und die Schulumwelt häufig verwirrt, ratlos und mitunter schlicht wütend zur Kenntnis nehmen, was für seltsame Gestalten in einem Lehrerkollegium einen Platz gefunden haben. Leistungsunwillig, zum Teil schlicht leistungsschwach, in Dauerabwehrhaltung gegen Kritik und ehrliche Verbesserungsvorschläge aus allen Richtungen (Eltern, Schüler, Ministerium, alles, was »über ihnen« ist), naiv, irgendwie trotzig, in vielem weltfremd und manche selbstgefällig wie ein dickes, verwöhntes Riesenkind, das es offenbar nicht besser weiß, über das man sich aber dennoch umso mehr ärgert.

Eines steht fest: Das Thema »Lehrerschaft« hört nicht auf, die Gemüter zu erhitzen, und jede Generation schlägt sich damit herum – Lehrer und das Wesen und Unwesen, das sie treiben. Das Wegatmen des Ärgers über Lehrer und der Umgang mit den zu zahlreichen Schlechten ihrer Zunft gehört zum bundesdeutschen Familienalltag wie Schwarzbrot, Misch­waldsterben, Stau, Rundfunkgebühren und Föderalismus. Es ist die alte Krux: Meist halten sich die Betroffenen zurück, weil erstens Lehrern gegenüber immer taktisch gedacht werden muss – schließlich könnte ein verstimmter, beleidigter, womöglich insgeheim auf Rache sinnender Pädagoge dem eigenen Kind oder Geschwistern in der Schullaufbahn noch einmal begegnen und schaden. Zweitens kann man einem womöglich noch verbeamteten Lehrer ohnehin nur schwer Druck machen. Viele Arbeitnehmer fürchten um ihre Arbeitsplätze, bekommen nur Zeitverträge oder dürfen sich als Freiberufler kaum Fehler erlauben. Währenddessen müssen die verbeamteten Lehrer sich zu nichts zwingen lassen und werden kaum mal auf den Topf gesetzt oder zur Rechenschaft gezogen für Schlampereien, Ungenauigkeiten und Fehler, die sie wiederum den Schülern jederzeit anzukreiden bereit sind.

Beim Lehrerhandwerk handelt es sich eigentlich um einen so verheißungsvollen, anregenden, gestaltenden und erfüllenden Beruf, der sich am Puls der Jugend entfalten kann, da, wo eine Gesellschaft noch jung ist, wo Weichen gestellt werden und wo die Zukunft gestaltet wird. Was macht diesen wichtigen schönen Beruf, der im Zentrum des gesellschaftlichen Interesses steht, zu einem ständigen Stein des Anstoßes? Warum umschwebt den Beruf des Lehrers etwas Spießiges und Selbstgerechtes und lässt die, die ihn ausüben, sich so schwertun mit Inspiration, Selbstwahrnehmung und Beweglichkeit, während die eingebaute Überanstrengung sie wie auf Autopilot ins Tal des Jammerns, des Kräfteschwindens und Ressourcenschonens steuert? Allzu oft trifft man in Lehrerzimmern auf schrullige Eigenbrötler, hilf-, plan- und eignungslose Neulinge und auf ihre Deputatsstunden pochende Vermeider, die Neuerungen abtun und womöglich auch zu leicht abtun können.

All das Gedöns um Lernlandschaften, Lerninseln und Selbstlernwerkstätten und was sonst noch alles erfunden wird, ist Symptombeschönigung und letztlich unnötig. Wenn ein guter Lehrer vor der Klasse steht, kann auch die konventionelle »Frontalunterrichtssituation« völlig ausreichen und richtig gut sein. Entscheidend sind die Lehrertypen, die vorne stehen, was sie antreibt – und was sie nicht antreibt.

Wer wird also Lehrer? Was für Menschen sind das? Was sollten sie mitbringen? Was sollten wir uns anders wünschen? Und welche Rolle spielt das Beamtenwesen dabei?

Vor der ersten Stunde: Wer entschließt sich, Lehrer zu werden?

»Wird’s dem Schüler schwer wie Eisen,

zähl auch den Lehrer nicht zu den Weisen.«

Jüdisches Sprichwort

Sind es die Unentschlossenen, die Unehrgeizigen, die Unsicheren eines Jahrgangs, die sich entschließen, Lehrer zu werden? Die ohne Biss? Oder sind es die, die sich gar nicht wirklich dazu entschließen, sondern halb lustlos, halb angeschnarcht eins von den Fächern studieren, die man auch ohne Numerus clausus ganz gut entern kann – und die dann, am Ende angelangt, ihre Examensnote ins Referendariat schleppen, weil ihnen nicht recht eingefallen ist, was sie sonst werden könnten? Es sind zumindest nicht die Mediziner, nicht die Juristen, die auf hohe Gehälter und Meriten aus sind, und auch nicht die Architekten und Designer, die von einem künstlerischen Ehrgeiz angetrieben werden. Bis auf einige, die sich wirklich für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen interessieren, sind es viele, die »dann halt Lehrer« werden.

Natürlich ist der Lehrerberuf eine Herausforderung. Und doch weiß jeder im Vorfeld, worauf er sich einlässt, denn kaum eine andere Berufsgruppe konnte einen so umfassenden Eindruck von dem gewinnen, was es bedeutet, eine Klasse zu unterrichten, wie die, die selbst Jahr für Jahr in einer abgehangen haben. Und es weiß auch jeder, dass dieser Beruf mit einigen Annehmlichkeiten einhergeht, die nicht von der Hand zu weisen sind. Es hat sich über die Jahrzehnte bei den Lehrern eingebürgert, all diese angenehmen Begleitumstände als so etwas wie den Mindestausgleich für die ungeheure Belastung anzusehen, der sie ihrer Meinung nach täglich und gelegentlich tatsächlich ausgesetzt sind.

Auf studienwahl.de heißt es zu den persönlichen Anforderungen für Lehramtsstudenten denkbar simpel (und ebenso einleuchtend), dass diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, Lehrer zu werden, sich vorab fragen sollten, ob sie über die für diesen Beruf wichtigen Voraussetzungen verfügen. Also ob sie gut erklären und mit jungen Menschen umgehen können, außerdem belastbar sind und über ausreichend Durchsetzungsvermögen verfügen.

Nun, es scheint für viele Anwärter extrem schwierig zu sein, diese geradeheraus formulierte, aus dem Leben gegriffene Formulierung auf sich selbst anzuwenden oder für sich selbst zu prüfen. Viele Studienbewerber winken sich selbst offenbar großzügig weiter, obwohl ihnen eine, wenn nicht sogar mehrere der Basisvoraussetzungen fehlen.

Und so bekommt ein verbreitetes Phänomen immer wieder Nachschub: dass ausgerechnet in den Beruf, der später so viele überfordert, zunächst einmal so viele hineindrängen, die offenbar vor anderen Berufen zurückschrecken, die sie womöglich sogar besser bewältigen würden. Obwohl manche Universitäten die Lehramtsstudenten darin unterstützen, vor dem Referendariat oder gar vor der Aufnahme des Studiums zu klären, ob tatsächlich eine gute Eignung für den Beruf gegeben ist, drängen viele Richtung Lehrerdasein, die sich offenbar von falschen Anreizen und Vorstellungen haben leiten lassen. Hat die Menge der Freizeit und Ferientage sowie die abgesicherte Existenz wirklich eine so große Lockwirkung, während die enormen sozialen und kommunikativen Anforderungen unterschätzt werden? Ist es so simpel?

Natürlich gibt es unter all denjenigen, die sich für den Lehrerberuf entscheiden, auch solche, die nicht danebengegriffen haben. Aber bei kaum einer anderen Berufsgruppe landen so viele Kandidaten, die sich wohl besser für eine andere Aufgabe entschieden hätten.

Dabei liegt es auf der Hand, dass der gute Lehrer erfolgsentscheidend für das Lernen der Schüler ist. All die Aspekte wie Klassenstärke, Raumausstattung, Uhrzeiten, Privatschul- oder öffentlicher Schulstatus und Notenhandhabung spielen nur eine beigeordnete Rolle. Dies bestätigte eine umfassende Studie des neuseeländischen Erziehungswissenschaftlers John Hattie, der vor einigen Jahren mit einer Metaanalyse in seinem Buch »Lernen sichtbar machen« weltweit Aufsehen erregte. Der Dreh- und Angelpunkt ist der Lehrer selbst. Die Person, die vorne steht, mitsamt ihren Fähigkeiten bei der Vermittlung des Stoffes.

Und damit sind wohlgemerkt nicht allein mit Fleiß angelernte, theoretische pädagogische und didaktische Fähigkeiten gemeint, sondern ein Naturell und Charakter, eine Persönlichkeit, die der komplexen Aufgabe gewachsen ist. Es sind belastbare, kundige und verlässliche Lehrer gemeint, die als kontinuierlich präsente Mentoren und Begleiter taugen, die Wissen vermitteln und Begeisterung erzeugen können und damit die notwendigen Begleitfaktoren einer Unterrichtssituation ermöglichen, an denen es bei so vielen Schüler-Lehrer-­Beziehungen von Beginn an an jeder Ecke hapert: Aufmerksamkeit, Mitarbeit, Arbeitsatmosphäre, Ruhe, Interesse, Kooperation. Das ist allerdings genau der Punkt, an dem für Eltern oft diese bodenlose Enttäuschung ins Spiel kommt, wie ein niederschmetternder Schlag in den Magen, der alle Hoffnung auf einen lebendigen Austausch mit einer kompetenten, dynamischen, beweglichen Persönlichkeit rausboxt und sie im zähen Treibsand des Umgangs mit einer ideenlosen, feuerlosen Lehrergestalt zurücklässt.

Und so steht man wieder einem dieser Wesen gegenüber, mit huschendem, unsicherem Blick, flatterigen Gesten, seltsam ungeschickt ausgewählter Kleidung (die einen Mangel an Selbstwertgefühl und zugleich ein Übermaß an Defensivität spiegelt) und einer gedrückten Körperhaltung, der bereits deutlich die schwer lastende Überforderung und die innere Hast anzumerken ist. Dieses Wesen wirkt wie ein eingeschüchtertes Häschen, ständig besorgt, auf der Hut sein zu müssen vor diesen unkooperativen, spielregellosen Schülern, den fordernden Eltern, dem von Plänen geprägten System, dem man gerecht werden soll, den alten Hasen unter den Kollegen, die mit einer gewissen abgeklärten Kaltschnäuzigkeit die schwierigen, undankbaren Klassen und Aufgaben auf einen selbst abwälzen, und dem autoritären Direktorat.

Man steht wieder einem irgendwie tonusarmen, in der Tiefe unterdurchschnittlich kraftvollen, weder von Visionen noch von Ehrgeiz angefeuerten jungen Mann gegenüber, der da sitzt inmitten der eigenen schlecht verhohlenen Ratlosigkeit, seltsam fehl am Platze, und den das eigene fahrige Hantieren zwischen Lehrplan, Autoritätsmangel und der verzweifelten Bemühung, dem Gegenüber irgendwie Kompetenz, Übersicht und Absicht vorzugaukeln, offenbar noch nervöser macht.

Diese Schilderungen mögen den Vorwurf hervorrufen, das sei gemein, haltlos und überdies rein subjektiv. Und doch sind es die Eindrücke aus vielen Jahren und etlichen Begegnungen, nach denen man frustriert von dannen gezogen ist, nachdem man einmal mehr die Hoffnung gehabt hatte, es könnte womöglich ein gutes Gespräch werden.