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Herausgegeben von Karl-Heinz Meier-Braun und Reinhold Weber

Deutschland Einwanderungsland

Begriffe – Fakten - Kontroversen

3. Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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Titelfoto: ifa Akademie gGmbH Stuttgart (Luca Siermann, 2016)

 

 

 

 

 

3. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031864-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-031865-6

epub:    ISBN 978-3-17-031866-3

mobi:    ISBN 978-3-17-031867-0

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Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. Vorwort der Herausgeber
  2. Einleitung: Deutschland Einwanderungsland
  3. Karl-Heinz Meier-Braun
  4. Flucht und Asyl
  5. Migration und Flucht als globale Herausforderung
  6. Stefan Rother
  7. Asylbewerber und Flüchtlinge
  8. Michael Maier-Borst
  9. Asyl- und Flüchtlingsrecht
  10. Michael Maier-Borst
  11. Kommunale Flüchtlingspolitik
  12. Frank Gesemann
  13. Wie Ordnungspolitik ehrenamtliche Flüchtlingshilfe behindert
  14. Günter Burkhardt
  15. Grundlagen und Geschichte
  16. Migration
  17. Jochen Oltmer
  18. Migrationstheorien
  19. Marina Liakova
  20. Anwerbeabkommen
  21. Jochen Oltmer
  22. Migranten in der DDR und in Ostdeutschland
  23. Karin Weiss
  24. Einwanderungsland Bundesrepublik Deutschland
  25. Jochen Oltmer
  26. Migrationshintergrund
  27. Karl-Heinz Meier-Braun
  28. Zuwanderung und Integration im demokratischen Verfassungsstaat
  29. Dieter Oberndörfer
  30. Das Integrationsparadox
  31. Annette Treibel
  32. Auswanderung
  33. Jan Philipp Sternberg
  34. »Klassische« Einwanderungsländer: Vorbild für Deutschland?
  35. Harald Bauder
  36. Zuwanderergruppen
  37. Migranten aus Italien
  38. Arnd Kolb
  39. Migranten aus Spanien
  40. Arnd Kolb
  41. Migranten aus Griechenland
  42. Anna Koktsidou
  43. Migranten aus der Türkei
  44. Sibylle Thelen
  45. Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien
  46. Martin Kilgus
  47. Migranten aus Polen
  48. Martin Kilgus
  49. (Spät-)Aussiedler – »neue, alte Deutsche«
  50. Irene Tröster
  51. Jüdische Kontingentflüchtlinge
  52. Irene Tröster
  53. Sinti und Roma
  54. Max Matter
  55. Irreguläre Migranten
  56. Maren Wilmes
  57. Wirtschaft und Recht
  58. Arbeitsmarkt, Fachkräftemangel und Anerkennungsgesetz
  59. Hans Dietrich von Loeffelholz
  60. Arbeits- und Erwerbslosigkeit von Migranten
  61. Hans Dietrich von Loeffelholz
  62. Migrantenökonomie
  63. Hans Dietrich von Loeffelholz
  64. Europäische Freizügigkeitsrechte
  65. Thomas Groß
  66. Ausländerrecht
  67. Thomas Groß
  68. Staatsangehörigkeitsrecht
  69. Falk Lämmermann
  70. Einbürgerung
  71. Falk Lämmermann
  72. Zuwanderungsgesetz
  73. Karl-Heinz Meier-Braun
  74. Integrationsgesetz
  75. Karl-Heinz Meier-Braun
  76. Gesellschaft und Religion
  77. Migration und Demographie
  78. Hans Dietrich von Loeffelholz
  79. Multikulturelle Gesellschaft und Leitkultur
  80. Stefan Rother
  81. Parallelgesellschaft – Segregation – Ausgrenzung
  82. Stefan Rother
  83. Migration und Familie
  84. Veronika Fischer
  85. Familienzusammenführung
  86. Anne Walter
  87. Ältere Migranten in Deutschland
  88. Cüneyt Özadali
  89. Migration und Gender
  90. Marina Liakova
  91. Migration und Bildung
  92. Wilfried Bos, Heike Wendt und Anna Vaskova
  93. Spracherwerb und sprachliche Vielfalt im Kontext der Migration
  94. Rosemarie Tracy
  95. Wohnen und Integration
  96. Frank Gesemann
  97. Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Betriebsräte, Nichtregierungsorganisationen und Migranten
  98. Dietrich Thränhardt
  99. Sport und Integration
  100. Klaus Seiberth
  101. Medien und Migranten
  102.  Rainer Geißler
  103. Migrationsliteratur
  104. Sibel Kara
  105. Islam in Deutschland
  106. Rauf Ceylan
  107. Kopftuch
  108. Yasemin Karakaşoğlu
  109. Zwangsheirat
  110. Sibylle Thelen
  111. Ehrenmord
  112. Yasemin Karakaşoğlu
  113. Islamismus – ideologischer Import oder eine globalisierte Erscheinung mit deutschen Eigenheiten?
  114. Benno M. Köpfer und Tobias W. Selge
  115. Migranten und Kriminalität
  116. Kerstin Reich
  117. Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus
  118. Kurt Möller
  119. Integrationspolitik und politische Teilhabe
  120. Die Migrations- und Asylpolitik der Europäischen Union
  121. Martin Große Hüttmann
  122. Bund und Länder
  123. Bernd Geiß
  124. Integrationsgesetze in den Bundesländern
  125. Karin Weiss und Birsan Alan
  126. Kommunale Integrationspolitik
  127. Frank Gesemann
  128. Integrationsbeauftragte
  129. Bernd Geiß
  130. Integrationsgipfel, Nationaler Integrationsplan (NIP) und Nationaler Aktionsplan Integration (NAP-I)
  131. Havva Engin
  132. Deutsche Islamkonferenz
  133. Rauf Ceylan
  134. Migrantenorganisationen
  135. Dietrich Thränhardt
  136. Wahlen und politische Repräsentation
  137. Andreas M. Wüst
  138. Diskriminierung und Antidiskriminierung
  139. Alexander Klose und Andreas Merx
  140. Diversity Management
  141. Andreas Merx
  142. Willkommens- und Anerkennungskultur
  143. Andreas Merx, Jakob Ruster und Yvonne Szukitsch
  144. Die Autorinnen und Autoren
  145. Abbildungsnachweise

 

Vorwort der Herausgeber

 

 

Als im Jahr 2013 die erste Auflage dieses Buches erschien, hatten die Politikfelder Migration und Integration einen Entwicklungsstand erreicht, der insgesamt als gut zu bewerten war. In den Jahren zuvor waren neue politische Instrumentarien geschaffen, neue Institutionen gegründet, gesellschaftliche Bündnisse geschlossen und manch ideologischer Graben war zugeschüttet worden. Die Kontroverse etwa, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland sei oder nicht, schien fast schon »von gestern«. Durch den starken Zustrom von Flüchtlingen aus den Krisengebieten dieser Welt hat sich die Situation jedoch binnen zweier Jahre massiv verändert. Daraus haben sich vielfältige neue Herausforderungen ergeben, denn im Jahr 2015 war die Zuwanderung nach Deutschland so hoch wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Nicht zuletzt durch diese Entwicklung und die daraus resultierenden neuen Polarisierungen in der Migrationspolitik ist erneut deutlich geworden: Keine Frage wirkt so stark in alle Politikbereiche hinein wie die nach der Integration der Zuwanderer in unsere Gesellschaft. Kaum ein anderes Thema ist so zentral für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Egal, ob es um das Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland geht oder um die Gestaltung der Integrationspolitik in Deutschland – es sind Fragen von grundlegender Bedeutung für die Zukunft.

Migration und Integration sind zunehmend auch praktisches Politikfeld auf allen Ebenen. Immer mehr Menschen befassen sich beruflich oder ehrenamtlich mit diesen Themen, auch in den Schulen und an den Universitäten gewinnen sie sichtlich an Bedeutung. Dieses Buch wendet sich an Interessierte aus Politik und Verwaltung, Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement, Sozialarbeit, Bildung und Wissenschaft. Es will zur Versachlichung beitragen und versteht sich als handliches Kompendium, das kurze, aber verlässliche Erstinformationen über Begriffe liefert, die zwar oft verwendet werden, von denen aber viele Menschen nicht immer wissen, was sie wirklich bedeuten. Dabei verfolgt dieses Buch keinen lexikalischen Ansatz. Die gesamte Bandbreite der Thematik ließe sich auch gar nicht in einem Band abdecken. Vielmehr geht es um eine erste handbuchartige Zusammenschau zentraler Aspekte. Die weiterführenden Literaturhinweise und Internetangebote, die am Ende eines jeden Beitrags stehen, dienen der zusätzlichen Vertiefung.

Jeder Beitrag ist in sich abgeschlossen, jede Autorin und jeder Autor hat eigenverantwortlich gearbeitet. Inhaltliche Überschneidungen haben sich bisweilen nicht vermeiden lassen, ja wurden sogar bewusst in Kauf genommen. Immer wieder wurde auch mit Querverweisen versucht, Zusammenhänge zu offenbaren, ohne den Lesefluss zu hemmen. Unser besonderer Dank gilt den Autorinnen und Autoren, die durchweg bundesweit angesehene Expertinnen und Experten zu ihren Themen sind. Sie haben sich bereit erklärt, Beiträge zu Themen zu verfassen, die einem ständigen, fast rasant zu nennenden Wandel unterliegen. Dieses Buch, das sei hier betont, spiegelt den Stand der Dinge vom Oktober 2016 wider.

Karl-Heinz Meier-Braun und
Reinhold Weber

 

Einleitung: Deutschland Einwanderungsland

Karl-Heinz Meier-Braun

 

 

»Wir haben das wieder einmal geschafft!« Das könnte eigentlich im Herbst 2016 die Schlagzeile sein, nachdem die sogenannte »Flüchtlingskrise« einigermaßen bewältigt wurde. Trotz des ganzen Chaos an den Grenzen, überforderter Behörden und überfüllten Flüchtlingsunterkünften – vor allem durch die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer ist Deutschland einigermaßen über die Runden gekommen. Von 1,1 Millionen Flüchtlingen war lange Zeit die Rede, die 2015 ins Land gekommen sein sollen. Vor ähnlichen Herausforderungen durch die Zuwanderung hatte das Land bereits verschiedene Male gestanden, beispielsweise als nach dem Zweiten Weltkrieg rund 12,5 Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene Zuflucht in Westdeutschland fanden. Oder als seit Mitte der 1950er-Jahre Millionen von sogenannten »Gastarbeitern« ins Land geholt wurden, die es zu integrieren galt. In der aufgeheizten Debatte der letzten Monate geriet dies alles genauso in Vergessenheit wie auch die Tatsache, dass bereits Anfang der 1990er-Jahre rund ein halbe Million Asylanträge gestellt wurden. Fünf Millionen Spätaussiedler wurden im Laufe der Jahre aufgenommen. Die Beispiele zeigen: Deutschland ist schon seit langem ein Einwanderungsland, auch wenn das immer mal wieder in Frage gestellt wird.

Wie viele Flüchtlinge jetzt endgültig hierbleiben werden, weiß niemand genau. Selbst die offiziellen Zahlen wurden vom Bundesministerium des Innern immer wieder mit einem Vorbehalt versehen. Sie stammen aus dem sogenannten EASY-System, einer Software-Anwendung zur Erstverteilung der Asylsuchenden auf die Bundesländer. »Bei den EASY-Zahlen sind Fehl- und Mehrfacherfassungen u. a. wegen der fehlenden Erfassung der persönlichen Daten nicht ausgeschlossen«, schreibt das Ministerium in seinen monatlichen Berichten. Am 30. September 2016 korrigierte der Bundesinnenminister dann höchstpersönlich die Zahl der Asylsuchenden aus dem Jahre 2015. Der sogenannte »EASY-Gap« – die Lücke zwischen der Zahl aus diesem System und der tatsächlichen Zahl der Asylbewerber – sei so gut wie geschlossen. Minister de Maizière bezifferte die Zahl der Zugänge von Asylsuchenden für das Jahr 2015 jetzt auf rund 890 000 Menschen. Davon seien 820 000 mittlerweile vollständig im sogenannten Kerndatensystem registriert. Rund 50 000 Schutzsuchende seien zunächst ebenfalls registriert worden, hätten aber in der Folge ihre Asylverfahren nicht mehr weiterbetrieben und dürften überwiegend weitergereist sein oder die Rückreise in ihr Herkunftsland angetreten haben. Rund 20 000 unbegleitete Minderjährige seien darüber hinaus nach Deutschland gekommen, die bislang noch keinen Asylantrag gestellt hätten. Die Differenz zu der Zahl von 1,1 Millionen, die bisher gehandelt wurde und die die Diskussionen bestimmte, ergibt sich nach Angaben des Bundesinnministers eben aus den Mehrfachmeldungen und der Tatsache, dass die späteren Weiter- oder Rückreisen nicht im EASY-System berücksichtigt bleiben. Mit Stand vom 21. September 2016 sind im laufenden Jahr rund 210 000 Personen als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen und im Kerndatensystem registriert worden, was eigentlich Anlass zur »Entwarnung« sein sollte und die Wogen in der hitzigen Debatte glätten sollte. Geht man selbst bei der Rekordbleibequote von rund 50% aus, so ist mit unter einer halben Million Geflüchteten zu rechnen, was angesichts der jüngsten Einwanderungsgeschichte nicht sehr viel ist, auch wenn es anders zu sein scheint. Schließlich leben bereits 16,4 Millionen Menschen in Deutschland, die einen Migrationshintergrund haben, d. h. sie sind selbst eingewandert oder sie sind direkte Nachkommen von Einwanderern. Deutschland kann sich also mehr zutrauen, auch wenn es bei der Integration der Flüchtlinge vor einer ähnlichen Herausforderung steht wie bei der Eingliederung beispielsweise der Heimatvertriebenen im Nachkriegsdeutschland. Die »Bewältigung der Flüchtlingskrise« wird auf jeden Fall lange Zeit einer der wichtigsten Aufgaben für Deutschland sein, selbst wenn die Flüchtlingszahlen zurückgehen.

Hinzu kommt die Frage, wie das Land mit der aktuellen Bedrohung durch Gewalt und Terror umgeht, die Deutschland im Juli 2016 erschütterte – in einer Zeit, in der so etwas wie Ruhe und Normalität in die hitzige Flüchtlingsdebatte einzukehren schien. Vor allem weil zwei Flüchtlinge – offensichtlich mit islamistischem Hintergrund – für Anschläge in Würzburg und Ansbach verantwortlich waren, setzte eine erneute Debatte um die innere Sicherheit und verschärfte Ausweisungsbestimmungen ein. Die CSU stellte eine direkte Verbindung zwischen den Anschlägen und der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel (CDU) her. Die Bundeskanzlerin selbst bekräftigte trotz allem ihr »Wir schaffen das!« und stellte einen Neun-Punkte-Plan für mehr Sicherheit vor. Nach dramatischen Stimmverlusten ihrer Partei bei mehreren Landtagswahlen im Jahr 2016 sowie dem zunehmenden Erfolg der AfD (Alternative für Deutschland) räumte Merkel im September 2016 allerdings politische Fehler in der Flüchtlingspolitik ein und rückte von ihrem Satz »Wir schaffen das!«, der schon fast zum geflügelten Wort geworden war, in gewissem Sinne ab. Sie habe den Satz »übertrieben oft« benutzt, obwohl er nicht die vor der Bundesrepublik liegende Aufgabe abbilde und »zu einem schlichten Motto, beinahe einer Leerformel geworden« sei. Obwohl sie, so Merkel, damit vor allem eine Haltung und ein Ziel habe ausdrücken wollen, fühlten sich offenbar viele Bürger davon »provoziert.« Es bleibt abzuwarten, wie die politische Auseinandersetzung um die Flüchtlingspolitik weitergeht und wie sie sich auf die Bundestagswahl 2017 auswirken wird, vor allem ob rechtspopulistische und rechtsradikale Strömungen weiteren Auftrieb erhalten werden. Die Debatte um die doppelte Staatsangehörigkeit und vor allem um ein Burka-Verbot vom Sommer 2016 lassen nichts Gutes ahnen. Die Burka (Ganzkörperverhüllung) oder der Niqab (Gesichtsschleier) stoßen in Deutschland verständlicherweise auf Unverständnis und gelten als Integrationshindernis. Das Verbot der Kleidungsstücke in Frankreich hat aber offensichtlich wenig gebracht und schon gar keine terroristischen Anschläge verhindern können. Ob ein Verbot in Deutschland eine politische Mehrheit finden könnte, erscheint fraglich. Bereits 2010 stellte ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das ein CSU-Abgeordneter in Auftrag gegeben hatte, fest, dass ein generelles Burka-Verbot im öffentlichen Raum gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes verstoße und sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen lasse. Nicht einmal mit einer Verfassungsänderung könne der Schleier von Straßen und Plätzen ferngehalten werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem »Kopftuch-Urteil« 2015 bereits geschrieben, die nur visuelle Wahrnehmung des Kopftuchs sei in der Schule ebenso hinzunehmen, »wie auch sonst grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf besteht, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben«. Man schätzt, dass es bundesweit 80 bis 100 vollverschleierte Frauen gibt. Die meisten sollen deutsche Konvertitinnen sein, also Frauen, die zum Islam übergetreten sind. Die politische Auseinandersetzung wurde aber teilweise so geführt, als werde Deutschland geradezu von Burka-Trägerinnen bedroht und als könne ein Verbot ein großes Integrationsproblem lösen.

Begriffe und Kontroversen

Migration und Integration bestimmen seit Jahren die Schlagzeilen in Deutschland. Oft werden diese Begriffe aber verwendet, ohne genau zu sagen, was damit eigentlich gemeint ist. Das Wort Migration (lat. migratio) heißt so viel wie »Wanderung«. Die Menschen verlassen dabei ihre Heimat, weil sie dort keine Arbeit finden oder aus anderen Gründen fliehen müssen. Integration (lat. integrare = wiederherstellen, Herstellung eines Ganzen) ist die Zusammenführung des »Verschiedenen«, wobei das Verschiedene als solches kenntlich bleibt. In der politischen Diskussion wird dieser Begriff oftmals als Assimilation verstanden, das heißt als Aufgabe der eigenen kulturellen und sprachlichen Herkunft und im Sinne einer vollständigen Anpassung an die deutsche Gesellschaft. Dabei wird in der Regel nicht festgelegt, an welche Normen und Werte sich die Einwanderer eigentlich genau anpassen sollen und was letztendlich das Vorbild eines angepassten Ausländers oder eines »integrierten Deutschen« ist.

Integration stellt einen wechselseitigen Prozess zwischen Zuwanderern und Einheimischen dar. Dabei sollen die Lebensverhältnisse beider Gruppen angeglichen und Chancengleichheit in wichtigen Bereichen der Gesellschaft erreicht werden. Integration spielt sich in verschiedenen Bereichen ab. Man spricht unter anderem von kultureller, sozialer und politischer Integration. Von einer gleichberechtigten Teilhabe an Bildung, Erziehung oder Ausbildung – das belegen zahlreiche Studien unterschiedlicher Provenienz – sind wir aber in Deutschland noch weit entfernt. So haben 35% der Personen mit Migrationshintergrund keinen berufsqualifizierenden Abschluss gegenüber rund 9% der Menschen ohne Migrationshintergrund. Auch auf dem Arbeitsmarkt und beim Erwerbseinkommen wirkt sich das schlechtere Bildungsniveau des Bevölkerungsteils mit Migrationshintergrund nach wie vor negativ aus.

Gerade aus der deutschen Aus- und Einwanderungsgeschichte lässt sich ablesen, dass Integration Zeit braucht und nicht erzwungen werden kann. Meist dauert es eine Generation und länger, bis sich Migranten integriert haben. Und im Übrigen behalten gerade auch die Deutschen im Ausland ihre kulturellen Wurzeln lange bei und pflegen – etwa mit »Oktoberfesten«, deutschen Schulen im Ausland oder anderen Bildungsinstitutionen – ihre Kultur, ihre Traditionen und Feste. Was eigentlich letztendlich Integration bedeutet, über einen neuen Integrationsbegriff also, wird in den nächsten Jahren weiter zu diskutieren sein. Bei dieser »Zukunftsaufgabe Integration« geht es nicht nur um die Flüchtlinge, die zuletzt ins Land kamen, sondern um die gesamte Gesellschaft mit ihren über 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Lebenslüge vom »Nicht-Einwanderungsland«

Deutschland ist kein Einwanderungsland! Dieser Kernsatz stand bereits in der Verwaltungsvorschrift zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, das noch bis 1990 uneingeschränkt galt »und die Praxis der Einbürgerungsbehörden bestimmt hat«, wie Dorothea Koller, die jetzige Leiterin des Stuttgarter Amts für öffentliche Ordnung und langjährige Chefin einer der größten Ausländerbehörden in Deutschland, feststellt. Dieses Motto dominierte auch die Ausländerpolitik der Bundesrepublik in der Zeit der Anwerbung der »Gastarbeiter«, die dringend als Arbeitskräfte im Nachkriegsdeutschland gesucht wurden. 1955 wurde das erste staatliche Anwerbeabkommen mit Italien abgeschlossen, 1960 folgten entsprechende Verträge mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei, 1964 mit Portugal und 1968 mit dem damaligen Jugoslawien. Bereits 1963 traf die Bundesregierung eine entsprechende Vereinbarung mit Marokko und 1965 mit Tunesien.

In jenen Jahren erreichten Deutschland aber auch zahllose Anfragen aus aller Herren Länder, so z. B. auch aus Thailand, Bolivien und aus dem Sudan. Es wurde auch darüber gesprochen, chinesische Flüchtlinge aus Hongkong für »häusliche Dienstleistungen« aufzunehmen – als Beitrag der Bundesregierung zum Weltflüchtlingsjahr. Aus Taiwan sollten Absolventen von Berufs- und Fachschulen nach Deutschland geholt werden, um Kenntnisse an »modernen Maschinen zu erwerben«. 250 hochqualifizierte Ingenieure wollte man aus Indien holen. Dabei sollten die Reisekosten je zur Hälfte von deutscher und von indischer Seite getragen werden. »Iranische Jugendliche für eine Verwendung in der westdeutschen Industrie« – so lautete ein weiterer Vorschlag. Sogar aus Kanada sollten Arbeitslose in westdeutschen Industriebetrieben beschäftigt werden. »Thailändische Arbeiter mit technischen Kenntnissen zur Aufhebung des Arbeitskräftemangels in der Bundesrepublik und zur Förderung der beruflichen Weiterbildung« – auch das stand auf dem Vermerk »Anerbieten bzw. Anregungen zur Hereinnahme von Arbeitskräften aus außereuropäischen Ländern« vom 16. Mai 1962 des damaligen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Bundesrepublik lehnte die vielen Anfragen aus weit entfernten Ländern jedoch ab.

Die Beispiele belegen: Deutschland ist keinesfalls blind in einen Einwanderungsprozess hineingeschlittert, wie oft behauptet wird. Nachdem die Archive für die Forschung geöffnet wurden, zeigt sich, dass die politisch Verantwortlichen in den Ministerien sich schon in den 1960er-Jahren durchaus bewusst waren, dass Einwanderung stattfindet und damit Integrationsprobleme verbunden sein würden. Allerdings wurde das Thema Integration erst viel zu spät als wichtiges gesamtgesellschaftliches Politikfeld erkannt und dementsprechend die Weichenstellung in Richtung Integration versäumt. Nach offizieller Lesart der Politik blieb Deutschland fast ein halbes Jahrhundert lang noch kein Einwanderungsland, obwohl im Art. 73 des Grundgesetzes (GG) das Reizwort »Einwanderung« als Aufgabe des Bundes steht. Allein von 1955 bis zum Anwerbestopp 1973 kamen 14 Millionen Migranten in die alte Bundesrepublik. Elf Millionen zogen in diesem Zeitraum wieder weg. So wurde Deutschland in dieser frühen Phase schon zum Einwanderungsland.

Jahrzehntelang ging man in Deutschland davon aus, dass die ausländischen Arbeitskräfte über kurz oder lang wieder zurückkehren würden. Auch die Arbeitsmigranten selbst lebten mit dieser »Rückkehrillusion«. Bereits in den frühen »Gastarbeiter«-Jahren bemühten sich Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, die Arbeitsmigranten durch Beratungsmaßnahmen oder »Eingliederungshilfen« zu unterstützen, eine staatliche Integrationspolitik gab es jedoch nicht. Die Bundesregierung schuf erst 1978 das Amt eines Ausländerbeauftragten. Von 1979 bis 1980 standen dann sogar erste Integrationskonzepte im Mittelpunkt der Ausländerpolitik. 1979 legte der erste Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, der frühere Ministerpräsident von Nordrhein- Westfalen Heinz Kühn (SPD), ein Memorandum vor. Kühn kritisierte die bisherige Ausländerpolitik, die zu sehr von arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten geprägt sei. Er forderte die Anerkennung der »faktischen Einwanderung«, Integrationsmaßnahmen und beispielsweise auch ein Kommunalwahlrecht für Ausländer. Kühn wies damals schon auf den Geburtenrückgang und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hin. Es gebe keine »Gastarbeiter«, vielmehr Einwanderer. 1980 blieb die damalige sozialliberale Bundesregierung mit ihren ausländerpolitischen Beschlüssen allerdings weit hinter den Forderungen ihres Ausländerbeauftragten zurück und lehnte seine Vorschläge für ein Ausländerwahlrecht oder für Einbürgerungserleichterungen für ausländische Jugendliche ab. Auch in den folgenden Jahren vergab man die Chancen, die Realität eines Einwanderungslandes anzuerkennen, die Zuwanderung und die Integration – zwei Seiten einer Medaille – aktiv zu gestalten.

Deutschland wird offiziell zum Einwanderungsland

20 Jahre gingen ins Land, bis endlich eine Wende in der Migrationspolitik einsetzte. Zunächst einmal sollte sich Grundsätzliches mit einem klaren Bekenntnis zum Einwanderungsland ändern. So jedenfalls kündigte es die 1998 neu gewählte Bundesregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Koalitionsvertrag an. Die schließlich verabschiedeten erleichterten Einbürgerungsbestimmungen vor allem für Ausländerkinder, die am 1. Januar 2000 in Kraft traten, stellten tatsächlich einen Wendepunkt in der Ausländerpolitik dar. Zum ersten Mal rückte damit eine Bundesregierung vom Abstammungsprinzip (Ius Sanguinis = »Recht des Blutes«) ab, wonach die Staatsangehörigkeit von den Eltern abgeleitet wird. Kern der Reform war die Einbürgerung durch das Geburtsrecht (Ius Soli = »Recht des Bodens«), wonach die Staatsangehörigkeit vom Geburtsort bzw. -land abgeleitet wird. Das Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Jahr 1913 wurde damit zu Grabe getragen und ein historisch bedeutsamer Kurswechsel in der Migrationspolitik vorgenommen. In einer 1999 veröffentlichten Broschüre der Bundesregierung zum neuen Staatsangehörigkeitsrecht wurde dann auch zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik regierungsamtlich festgestellt: »Deutschland ist schon längst zum Einwanderungsland geworden.«

Das Zuwanderungsgesetz – Licht und Schatten

Im Herbst 2000 setzte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) eine Zuwanderungskommission unter der Leitung der früheren Bundestagspräsidentin und Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth (CDU) ein. Diese Kommission sollte die Situation aufarbeiten und Empfehlungen aussprechen. Sie setzte sich unter anderem aus Vertretern von Gewerkschaften, Kirchen, Unternehmerverbänden und weiterer gesellschaftlich relevanter Gruppen zusammen. Die politischen Parteien riefen ebenfalls solche Kommissionen ins Leben. Die »Unabhängige Kommission Zuwanderung«, auch »Süssmuth-Kommission« genannt, forderte in ihrem Abschlussbericht 2001 ein integrationspolitisches Gesamtkonzept.

In den Jahren 2001 bis 2004 entwickelte sich dann eine kontroverse und bisweilen dramatisch zu nennende Debatte um das Zuwanderungsgesetz. Mit großer Mehrheit verabschiedete der Bundestag schließlich nach langem Hin und Her am 1. Juli 2004 den Zuwanderungskompromiss. Das in der Öffentlichkeit kurz als »Zuwanderungsgesetz« bezeichnete Reformwerk stand von Anfang an unter der Überschrift »Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)«. Zur Klarstellung wurde im Vermittlungsverfahren auf Wunsch der Unionsparteien im § 1 (»Zweck des Gesetzes«) die Formulierung aufgenommen, dass das Gesetz Zuwanderung »unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit« ermöglicht und gestaltet.

Das Ringen um das Zuwanderungsgesetz ist eines der zahlreichen Beispiele für die parteipolitisch motivierte Auseinandersetzung in der Ausländerpolitik. Bereits am 22. März 2002 war in der umstrittenen Bundesratssitzung »eine politische Kampfsituation auf die Spitze getrieben worden«, wie es Bundespräsident Johannes Rau (SPD) kritisierte. Im Hinblick auf die anstehenden Bundestagswahlen ging es in erster Linie um eine Machtprobe zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seinem Herausforderer und bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU), denn schließlich handelte es sich bei diesem Gesetz um ein Kernstück rot-grüner Politik. Dabei hatten die Parteien mit ihren Konzepten gar nicht so weit auseinander gelegen. Der Gesetzentwurf war bereits ein »rot-grün-schwarzer« Kompromiss. Man hätte sich durchaus einigen können, wenn man gewollt hätte, aber alle Parteien setzten die Zuwanderungspolitik zum Machterwerb und Machterhalt ein.

Schon immer war Ausländerpolitik eine Art von Symbolpolitik, mit der man sich politisch zu profilieren glaubte, indem einer vermeintlich beunruhigten Wählerschaft konsequentes Handeln vorgeführt werden sollte. Die Interessen und Bedürfnisse der Minderheiten, der früheren »Gastarbeiter«, Flüchtlinge, Asylsuchenden oder Spätaussiedler und ihre Integration in die Gesellschaft, standen dabei weniger im Mittelpunkt als die »politische Ausschlachtung« des Themas.

Integration im Mittelpunkt

Inzwischen hat die Politik Selbstkritik in Sachen Migrationspolitik geübt. Bundespräsident Horst Köhler (CDU) kritisierte im April 2006, Deutschland habe die Integration »verschlafen«. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte rund ein Jahr später, im Mai 2007: »Wenn wir ehrlich sind, haben wir das Thema Integration in unserem Land zu lange auf die lange Bank geschoben.« Die Große Koalition von CDU/CSU und SPD erklärte 2005 das Thema Integration zu einer Schwerpunktaufgabe. Der Posten einer Staatsministerin für Integration und Migration wurde im Kanzleramt geschaffen und mit Maria Böhmer (CDU) besetzt. Nach der Bundestagswahl 2013 folgte ihr Aydan Özoğuz (SPD).

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) stellte im September 2006 in einer Regierungserklärung fest: »Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas. Er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft.« Diese Äußerungen wurden damals kaum kritisiert. Bundespräsident Christian Wulff (CDU) sprach in seiner Antrittsrede am 2. Juli 2010 von der »Bunten Republik Deutschland«. Noch als Ministerpräsident von Niedersachsen hatte er die erste türkischstämmige Ministerin in Deutschland, Aygül Özkan, als Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration eingesetzt. Als Bundespräsident wiederholte er, was Schäuble gesagt hatte, nämlich, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Doch dieses Mal löste er damit eine Kontroverse aus. Gleich bei seinem Amtsantritt im März 2011 distanzierte sich beispielsweise Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) von den Worten des Bundespräsidenten und sagte, die in der Bundesrepublik lebenden Menschen islamischen Glaubens gehörten natürlich zu Deutschland, »dass aber der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen« ließe. Dies stieß bei den muslimischen Verbänden auf herbe Kritik und überschattete die Deutsche Islam Konferenz (DIK), durch die ein fairer Dialog mit den Muslimen ins Leben gerufen werden sollte. Auch Bundespräsident Joachim Gauck widersprach seinem Amtsvorgänger. In einem Zeitungsinterview im Mai 2012 sagte Gauck, den Satz Wulffs könne er so nicht übernehmen, aber »seine Intention nehme ich an«. Wulff habe die Bürger auffordern wollen, sich der Wirklichkeit zu öffnen. »Und die Wirklichkeit ist«, so Gauck, »dass in diesem Lande viele Muslime leben. [...] Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.« Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstrich dagegen im September 2012, dass der Islam ein Teil Deutschlands ist. In einer Telefonschaltkonferenz der CDU mit rund 7000 Parteimitgliedern plädierte sie für mehr Toleranz gegenüber den mehr als drei Millionen Muslimen in der Bundesrepublik.

Auch wenn vieles im Bereich von Absichtserklärungen blieb und im Hinblick auf Medienereignisse gesagt wurde, so bekam die deutsche Gesellschaft seit dem Jahr 2000 einen kräftigen Schub in Richtung Integration. Man kann sogar sagen, dass in den letzten 15 Jahren mehr integrationspolitische Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden als in den vier Jahrzehnten zuvor. Meilensteine waren das Staatsangehörigkeitsgesetz von 2000, die »Süssmuth-Kommission«, das Zuwanderungsgesetz von 2005, der Nationale Integrationsplan (NIP) sowie die Deutsche Islam Konferenz (DIK) ab 2006. Außerdem hat die kommunale Integrationspolitik in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen, auch wenn Städte wie Stuttgart bereits seit langem eine Vorreiterrolle auf diesem Gebiet übernommen haben.

Im August 2007 wurde das Zuwanderungsgesetz novelliert, um EU-Richtlinien umzusetzen. Die weitreichenden Änderungen brachten allerdings zum Teil auch Verschärfungen im Ausländerrecht sowie eine Altfallregelung für sogenannte »Geduldete«. Kritik wurde vor allem an den Verschärfungen beim Familiennachzug geübt. Nach den Änderungen dürfen Ehepartner aus Nicht-EU-Ländern nur dann nach Deutschland nachziehen, wenn sie volljährig sind und bereits vor der Einreise einfache Deutschkenntnisse nachweisen können. Ausgenommen von dieser Regelung sind aber Staaten, deren Bürger ohne ein Visum nach Deutschland einreisen können. Migrantenverbände, Politiker und Juristen kritisierten, dass damit der Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verletzt sei und die neuen Bestimmungen sich vor allem gegen Türken richten würden. Verschiedene Verbände wie die Türkische Gemeinde in Deutschland boykottierten deshalb aus Protest den zweiten Integrationsgipfel im Juli 2007. Sieben Jahre später erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Sprachanforderungen an türkische Staatsbürger im Rahmen des Familiennachzugs für rechtswidrig.

Der NIP und die DIK

Die Integrationsgipfel sind seit 2006 im Bundeskanzleramt stattfindende Konferenzen, bei denen Vertreter unter anderem aus Politik, Gewerkschaften, Arbeitgeber-, Sport- und Migrantenverbänden Probleme der Zuwanderung diskutieren und Lösungsvorschläge vorlegen. Daraus wurde der Nationale Integrationsplan (NIP, 2007) entwickelt, der auf Bundesebene den Stand der Integration auf verschiedenen Ebenen beleuchtet und Absichtserklärungen sowie Selbstverpflichtungen formuliert. So wollten z. B. die Länder »innerhalb der kommenden fünf Jahren die Schulabbrecherquote unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund deutlich senken und eine Angleichung an den Gesamtdurchschnitt der Schülerinnen und Schüler erreichen«. Ein zu hoch gestecktes Ziel, dass sich erwartungsgemäß bis zum Jahr 2012 nicht verwirklichen ließ, wenngleich Erfolge in diesen Bereichen erreicht werden konnten.

Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) verabschiedete aus ihren Arbeitsgruppen heraus bis 2009 verschiedene Zwischenergebnisse. Dazu gehören Empfehlungen für die Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach, zu Bau und Betrieb von Moscheen in Deutschland sowie zu islamischen Bestattungen, zur Einrichtung islamisch-theologischer Lehreinrichtungen an deutschen Universitäten sowie Empfehlungen für eine verantwortungsvolle, vorurteilsfreie und differenzierte Berichterstattung über Muslime und den Islam.

Insgesamt fanden bis zum Jahr 2015 acht solcher Integrationsgipfel statt. Hinzu kam 2007 ein Jugend-Integrationsgipfel. Die Ergebnisse der zahlreichen Arbeitsgruppen, Empfehlungen, Absichtserklärungen und Selbstverpflichtungen aus den Gipfeln und Plänen sind insgesamt komplex und fast verwirrend. Zahlreiche Überschneidungen und Wiederholungen machen es schwer, festzustellen, was bereits alles in Angriff genommen oder schon erreicht wurde. Die DIK war fast schon ein Konkurrenzunternehmen zu den Integrationsgipfeln. So wurde beispielsweise jeweils in einer Arbeitsgruppe die Rolle der Medien beleuchtet und identische Ergebnisse festgehalten sowie ein entsprechender Forderungskatalog aufgestellt. Trotzdem waren die zahlreichen Veranstaltungen nicht nur eine »Show« im Hinblick auf Medien und Öffentlichkeit, sondern auch ein starkes Signal in Richtung Integration in Deutschland. Der Versuch, möglichst viele gesellschaftlich relevante Gruppen an einen Tisch zu bringen und vor allem auch die Migranten einzubinden, ist zumindest in Ansätzen gelungen. Der Allparteienkonsens in der Migrationspolitik blieb dabei lange Zeit bestehen. Auch aus den Wahlkämpfen wurde das Thema größtenteils herausgehalten. Seit 2005 steuerten die verschiedenen Bundesregierungen einen erkennbaren Integrationskurs.

Alles in allem lässt sich festhalten: Der Stand der Integration in Deutschland ist besser als ihr Ruf. Zahlreiche Untersuchungen zeigen dies, wenngleich diese Tatsache in Politik und Medien oftmals untergeht. Allerdings rächen sich beim Thema Integration die Fehler der Vergangenheit, die Illusion, in keinem Einwanderungsland zu leben und deshalb auch keine entsprechenden Maßnahmen vor allem bei der Förderung schulischer Leistungen ergriffen zu haben. Eine internationale Vergleichsstudie aus dem Jahr 2015 bescheinigt Deutschland weitere Fortschritte in der Integrationspolitik, auch wenn Nachholbedarf auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Antidiskriminierung besteht. Bei der Untersuchung der Integrationspolitik in 38 Ländern rückt Deutschland erstmals auf Rang 10.

Die Debatte spitzt sich ab 2010 zu

Dass das integrationspolitische Fundament in Deutschland aber noch immer brüchig ist, zeigte die »Sarrazin-Debatte«. Mit einer ziemlich einzigartigen Medienkampagne und Vorabdrucken im Spiegel und in der Bild-Zeitung wurde das Buch von Thilo Sarrazin (Deutschland schafft sich ab – Wie wir unser Land aufs Spiel setzen), unterstützt von der Islamkritikerin Necla Kelek, am 30. August 2010 in Berlin vorgestellt. Der frühere Berliner Finanzsenator, SPD-Mitglied und von 2009 bis 2010 Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, bezeichnet darin die »Gastarbeiter«-Einwanderung der 1960er- und 1970er-Jahre als »gigantischen Irrtum«. Analysen, ob die ausländischen Arbeitskräfte und deren Familien überhaupt einen Beitrag zum Wohlstand erbracht hätten, gibt es seiner Meinung nach nicht.

Dabei zeigen Untersuchungen, dass z. B. allein zwischen 1960 und 1970 rund 2,3 Millionen Deutsche vor allem wegen der Ausländerbeschäftigung mit einem sozialen »Fahrstuhleffekt« den Aufstieg von Arbeiter- in Angestelltenpositionen geschafft haben. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums aus dem Jahr 1976 ermöglichten die ausländischen Arbeitnehmer unter Wahrung eines starken Wirtschaftswachstums eine deutliche Verringerung der Arbeitszeit der Deutschen. Untersuchungen, Daten und Fakten, die nicht in das Horrorszenario des Buches von Sarrazin passen, werden an dieser und auch an anderen Stellen ignoriert. So braucht man – wirtschaftlich gesehen – seiner Ansicht nach die muslimische Migration in Europa nicht. Demographisch stelle »die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa dar«, so Sarrazin.

Weil Migranten mehr Kinder bekämen, sinke in Deutschland die durchschnittliche Intelligenz, behauptet Sarrazin. Was wir bräuchten, seien »mehr Kinder von Klugen, bevor es zu spät« sei. Die Deutschen müssten ziemlich rasch und radikal ihr Geburtenverhalten ändern, die »Unterschicht« müsse weniger Kinder bekommen und die Mittel- und Oberschicht deutlich mehr als bisher. Akademikerinnen sollten nach Ansicht des früheren Berliner Finanzsenators eine staatliche Prämie von 50 000 Euro für jedes Kind erhalten, das vor Vollendung des 30. Lebensjahrs der Mutter geboren wird.

Verschiedene Datenchecks widerlegten die Behauptungen, die im Buch von Sarrazin aufgestellt werden. Beispielsweise schreibt Sarrazin: »Sichtbares Zeichen für die muslimischen Parallelgesellschaften ist das Kopftuch. Seine zunehmende Verbreitung zeigt das Wachsen der Parallelgesellschaften an.« Eine Untersuchung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF, Juni 2009) zum Thema Muslimisches Leben in Deutschland stellt dagegen fest, dass in der zweiten Generation die Häufigkeit des Kopftuchtragens deutlich abnimmt. Über 40% aus der zweiten und dritten Generation der türkischen »Gastarbeiter« verlassen die Schule mit besserem Bildungsabschluss als die Eltern. Auch die Deutschkenntnisse haben sich verbessert. Die soziale Integration – der Kontakt mit Nachbarn und Kollegen – hat zugenommen. Und nicht zuletzt ist die Zahl der Einwanderer aus der Türkei rückläufig, was von Sarrazin ebenfalls nicht zur Kenntnis genommen wird.

Der damalige Vorsitzende der rechtsextremen NPD, Udo Voigt, sah sich und andere Rechtsextreme durch die Thesen von Thilo Sarrazin bei künftigen Prozessen wegen Volksverhetzung geschützt. Gegenüber dem ARD-Politikmagazin Report Mainz sagte Voigt im August 2010: »Unsere Aussagen werden damit salonfähiger und es ist dann immer schwerer, Volksverhetzungsverurteilungen gegen NPD-Funktionäre anzustreben, wenn wir uns zur Ausländerpolitik äußern, wenn sich etablierte Politiker auch trauen, das zu äußern.« Wellen der Empörung löste ein Satz Sarrazins in einem Interview mit der Welt am Sonntag vom 29. August 2010 aus, in dem er sagte: »Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden.« Die katholische Kirche kritisierte diese Ansicht scharf. »Solche Formulierungen sind geeignet, latent vorhandenen Rassismus mit allen darin enthaltenen Vorurteilen zu bedienen«, sagte der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Norbert Trelle. Das Buch sei »ein Schritt vom dumpfen Rassismus zum intellektuellen Rassismus«, so Kenan Kolat, der damalige Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland.

Die »Sarrazin-Debatte« schadet der Integration

Das Buch löste eine bisher einmalige Diskussion um die Integrationspolitik in Deutschland aus. »Die Sarrazin-Debatte hat eine desintegrative Eigendynamik an der Grenze zu Hysterie und Panik entwickelt«, erklärte der damalige Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Klaus J. Bade. Nötig sei »mehr politische Führung hin zu einer konzeptorientierten Versachlichung der Diskussion« auf der Grundlage einer kritischen Erfolgsbilanz, wie sie der SVR in seinem Jahresgutachten Einwanderungsgesellschaft 2010 vorgelegt habe. Selbst die Grünen übten nun Selbstkritik und räumten Versäumnisse bei der bisherigen Integrationspolitik ein. Auch sie hätten Fehlergemacht, so die damalige Grünen-Chefin Claudia Roth: »Sicher haben wir Dinge vielleicht beschönigt oder Konflikte oder Widersprüche oder Herausforderungen nicht immer richtig benannt«, fügte sie hinzu. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer erklärte Multikulti für »tot«, die Bundeskanzlerin für »gescheitert«. Auch der Konsens, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, geriet ins Wanken. Auf die Frage, ob Deutschland Einwanderungsland sei oder nicht, antwortete Bundeskanzlerin Merkel: »Eigentlich war es das nur zwischen den 1950er-Jahren und 1973.«

Diskussionen wie die um die »Sarrazin-Thesen« oder um das Buch des Bezirksbürgermeisters von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, kommen und gehen in Wellen. Das zeigte schon das Buch des Chefs der rechtsextremen »Republikaner«, Franz Schönhuber, in dem er 1989 gängige Vorurteile gegenüber Türken bediente, oder das sogenannte Heidelberger Manifest deutscher Professoren, die 1981 vor der »Unterwanderung des deutschen Volkes durch Ausländer, gegen die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums« warnten. In Vergessenheit geraten ist die fast schon pogromartige Stimmung mit Brandstiftungen und gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber Migranten in Hoyerswerda, Mölln oder in Solingen. Fast 200 Menschen – je nachdem, wie man zählt (was an sich schon makaber ist) – sind seit der Wiedervereinigung Deutschlands Opfer rechtsextremer und fremdenfeindlicher Gewalt geworden. Auch die zehn Mordopfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und das Versagen staatlicher Stellen bei der Verfolgung dieser Neonazi-Zelle aus Zwickau sind ein Skandal für Deutschland. Besorgniserregend sind auch die neuesten Entwicklungen: Noch nie verzeichneten die Behörden so viele gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte wie im Jahr 2015. Die Straf- und Gewalttaten gegen Asylunterkünfte stiegen 2015 insgesamt auf 1031, eine Steigerung um 418 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Man könnte fast sagen, dass Fremdenfeindlichkeit und »Sarrazin-Wellen« zur Normalität in Einwanderungsgesellschaften zu gehören scheinen. Das heißt aber nicht, dass man sie hinnehmen sollte. Vielmehr müssen sie bekämpft werden, anstatt sie als Teil der politischen Kultur zu akzeptieren.

Der Erfolg der rechtspopulistischen AfD (Alternative für Deutschland) bei den verschiedenen Landtagswahlen seit 2016 bleibt in diesem Zusammenhang eine wichtige Herausforderung. Nachdem die »Eurokrise« und die »Flüchtlingskrise« abgehakt scheinen, will sich die Partei offensichtlich als »Anti-Islam-Partei« profilieren. Dies kann zu verheerenden Auswirkungen bei den über drei Muslimen in Deutschland führen, von denen viele schon in der zweiten oder dritten Generation friedlich im Lande leben. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg beispielsweise errang die AfD im März 2016 über 15% der Stimmen und damit mehr als die SPD. Ein wichtiger Punkt nicht nur für die demokratischen Parteien ist dabei die Tatsache, dass die AfD die jüngste Wählerschaft aller im baden-württembergischen Landtag vertretenen Parteien aufweist.

Studien widerlegen Vorurteile, bestätigen aber Fremdenfeindlichkeit

Im Dezember 2010 erschienen im Nachgang zur »Sarrazin-Debatte« verschiedene Untersuchungen zum Einwanderungsland Deutschland. Danach bestehen bei den Themen Familie und Beruf bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes. Das ergab eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Danach ist die Karriereorientierung bei Berufstätigen mit Migrationshintergrund sogar stärker ausgeprägt als bei den deutschstämmigen Befragten. Vor allem junge Migranten sind stark leistungs- und erfolgsorientiert. Männer mit Migrationshintergrund sind mit 86% prinzipiell stärker am beruflichen Weiterkommen interessiert als Männer ohne ausländische Wurzeln. Frauen mit Migrationshintergrund scheinen nach der Untersuchung sogar noch ehrgeiziger zu sein. Auch das Vorurteil vom »Heimchen am Herd« widerlegt die Studie. Sieben von zehn Befragten lehnen die Vorstellung einer dauerhaft nichtberufstätigen Mutter, die ihre Kinder zu Hause erzieht, ab. Interessanterweise sind es dabei mehr Menschen mit ausländischen Wurzeln (74%) als Menschen ohne Migrationshintergrund (70%). Entgegen gängigen Vorurteilen erteilen auch Bürger aus muslimisch geprägten Ländern diesem Frauen- und Mutterbild eine deutliche Absage (70%).

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg von 2010 räumt ebenfalls mit Klischees auf: Demnach belasten Zuwanderer nicht den Arbeitsmarkt in Deutschland, sondern nützen vor allem den einheimischen Beschäftigten. Das IAB rät deshalb zu einer gezielten Steuerung der Zuwanderung, weil gesamtwirtschaftlich betrachtet Deutschland von der Zuwanderung profitiere. In der Vergangenheit seien deshalb die Löhne der Einheimischen gestiegen und die Arbeitslosigkeit zurückgegangen.

Meinungsumfragen zu Einwanderung und Asyl widersprechen sich teilweise und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. In Zeiten wirtschaftlicher Krisen und Unsicherheit steigt die Angst vor den Fremden, die sich in den Umfragen widerspiegelt. Das Thema ist – das wird immer wieder deutlich – sehr stark von Emotionen geprägt. So ist bei Befragungen die »gefühlte« Ausländerzahl oft viel höher als die tatsächliche. Vor allem durch die hohen Zahlen von Flüchtlingen und durch die Debatte von 2015/16 hat das Thema Zuwanderung einen hohen Stellenwert bekommen. So wird es in verschiedenen Meinungsumfragen als wichtigstes Problem benannt. Eine Untersuchung des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld vom Juli 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass der Integrationswillen der aufnehmenden Bevölkerung stark abgenommen hat, auch wenn der Anteil der Befragten, die Integration statt Assimilation von Zuwanderern befürworten, weiterhin groß ist. Eine Befragung für den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) vom April 2016 ergab, dass zwar eine deutliche Mehrheit frühe Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge befürwortet, zugleich aber die Sorge zunimmt, die hohe Flüchtlingszuwanderung könne den Wohlstand in Deutschland bedrohen. In einer anderen Studie aus dem gleichen Jahr hatte der SVR herausgefunden, dass es eine hohe Zustimmung zum islamischen Religionsunterricht gibt. Die Aussage, dass der Islam ein Teil Deutschlands sei, wird dagegen mehrheitlich abgelehnt.

»Weniger, älter und bunter«: Aufgaben der Zukunft

Deutschland braucht in Zukunft Einwanderer, denn die Bevölkerungsentwicklung lässt sich kurz mit den Begriffen weniger, älter und bunter umreißen. Sicher ist, dass durch Zuwanderung die Entwicklung zu einer immer älter werdenden und zahlenmäßig schrumpfenden Bevölkerung gar nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Man müsste praktisch nur noch Kinder einwandern lassen, was natürlich absurd ist. Außerdem verläuft die demographische Entwicklung in zahlreichen Auswanderungsländern nicht wesentlich anders als in Deutschland. Wo sollten also junge Migranten herkommen? Zuwanderung kann insofern kein Allheilmittel gegen das oft beschworene »Altersheim Deutschland« sein, auch wenn Deutschland durch die aktuellen Zuwanderungszahlen sogar wieder wächst. Einwanderung, gezielt gesteuert, kann jedenfalls den Trend zu einer alternden Gesellschaft abfedern und sollte in diesem Sinne