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Wolf Ortiz Müller (Hrsg.)

Stalking – das Praxishandbuch

Verlag W. Kohlhammer

 

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1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030279-2

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-030281-5

epub:    ISBN 978-3-17-030282-2

mobi:    ISBN 978-3-17-030283-9

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Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. Danksagung – Das Ganze wäre nichts ohne die Summe seiner Teile!
  2. Grußwort
  3. Dirk Kurbjuweit
  4. I Einführung
  5. 1 Das Buch stellt sich vor
  6. Wolf Ortiz-Müller
  7. 2 Stalking verstehen Eine Annäherung an ein sozialpsychologisches Phänomen
  8. Wolf Ortiz-Müller
  9. 3 Prävalenz, Demographie und Typologien des Stalkings
  10. Olga Siepelmeyer und Wolf Ortiz-Müller
  11. II Stalking, Recht und Strafverfolgung
  12. 4 Stalking 2.0 – Das Nachstellungsgesetz im Wandel
  13. Helmut Fünfsinn und Ulf Frenkler
  14. 5 Parteilich vertreten
  15. Stalkingverfahren aus der Sicht einer Rechtsanwältin von Betroffenen Christina Clemm
  16. 6 Die Gefährderansprache der Berliner Polizei
  17. Thorsten Niemann
  18. 7 Stalking bei der Staats-/Amtsanwaltschaft
    Erfahrungen mit dem § 238 StGB von 2007 am Beispiel der Staatsanwaltschaft Freiburg
  19. Heidi Winterer
  20. 8 Stalking als Straftatbestand – Neue Tendenzen in den EU-Mitgliedstaaten
  21. Suzan van der Aa Übersetzung aus dem Englischen: Roland Bachmann
  22. III Stalking und Beratungspraxis
  23. 9 Hilfe, wo bist du?
    Ein unvollständiger Überblick eines unvollständigen Beratungsnetzwerks in Deutschland
  24. Olga Siepelmeyer und Wolf Ortiz-Müller
  25. 10 Stop-Stalking: Erst die Täter*innen, dann die Opfer?
    Eine Skizze der Entstehungsgeschichte, der Grundgedanken und der Integration eines Beratungsangebots für Opfer und Täter*innen
  26. Jochen Gladow und Wolf Ortiz-Müller
  27. 11 Psychosoziale Beratung von Menschen, die stalken, bei Stop-Stalking
  28. Helene Hille, Olga Siepelmeyer, Jochen Gladow, Marcin Jankowski und Wolf Ortiz-Müller
  29. 12 Die Perspektive der Täter auf die Beratung
  30. 13 Die Beratung von Stalkingbetroffenen bei Stop-Stalking
  31. Olga Siepelmeyer, Jochen Gladow, Helene Hille, Marcin Jankowski, Wolf Ortiz-Müller
  32. 14 Die Perspektive der Opfer auf die Beratung
  33. 15 Trennen, was nicht zusammengehört Integrierte Täter-Opfer-Beratung bei Stop-Stalking
  34. Wolf Ortiz-Müller, Helene Hille, Jochen Gladow und Olga Siepelmeyer
  35. 16 Die Praxis des Bremer Kriseninterventionsteams Stalking (Stalking-KIT) und seine institutionelle Vernetzung
  36. Frank Winter
  37. 17 Aus Betroffenheit zur Expertin-in-eigener-Sache werden Einschätzungen eines Stalkingopfers
  38. Christine Doering auf Fragen von Stop-Stalking
  39. IV Stalking – Facetten der Praxis
  40. 18 Bedrohungsmanagement in Fällen von Stalking Ein verhaltensorientierter Ansatz zur Risikoeinschätzung und zur Prävention von psychischer und physischer Gewalt
  41. Jens Hoffmann und Katrin Streich
  42. 19 Risikoanalyse bei Stalking
  43. Harald Dreßing
  44. 20 Stalking und Forensik
  45. Steffen Lau
  46. 21 Behandlung straffällig gewordener Menschen Therapie zwischen Entwicklung, Kontrolle, Risikoeinschätzung und Ressourcenorientierung
  47. Gernot Hahn
  48. 22 Vorgebliche Stalkingopfer
  49. Guido Pliska und Marcin Jankowski
  50. V Begleitforschung in der Täterarbeit
  51. 23 Hilfe für die Täter*innen Wie wirkt Beratung für Menschen, die stalken?
  52. Johannes Lenk
  53. 24 Was sind die Gründe für Stalking? Eine Analyse der Klient*innen von Stop-Stalking Berlin hinsichtlich motivationaler und demografischer Merkmale im Gendervergleich
  54. Silke C. Rabe
  55. 25 Stalking als Verhaltenssucht? Eine Online-Untersuchung zu Charakteristiken des Stalkingverhaltens und Merkmalen einer Verhaltenssucht bei Stalker*innen
  56. Wolf Ortiz-Müller, Chantal Mörsen und Andreas Heinz
  57. VI Anhang
  58. 26 Glossar juristischer und psychologischer Begriffe
  59. 27 Anhang: Sammlung einschlägiger Gesetze und Paragraphen
  60. 28 Autor*innen-Verzeichnis

 

Danksagung Das Ganze wäre nichts ohne die Summe seiner Teile!

 

 

Ein Herausgeberband hat viele Eltern und eine mittelgroße Verwandtschaft. Damit meine ich Menschen, die mir als Ideengeber*innen, Ratgeber*innen, Ermutiger*innen, praktische Unterstützer*innen, Anpacker*innen und Durchhalter*innen im langen Entstehungsprozess zur Seite standen.

Eine zentrale Rolle beim vorliegenden Band spielten selbstverständlich die Autor*innen, die bereit waren, ihr Wissen und ihre Expertise so einzubringen, dass sich diese, Mosaiksteinen gleich, zu einem gemeinsamen Bild gefügt haben. Für jeden einzelnen Beitrag möchte ich jeder Autor*in persönlich an dieser Stelle danken.

Auch wenn als alleiniger Herausgeber mein Name den Buchrücken schmückt, war das Werden all der Seiten, die nun zwischen den Buchdeckeln stecken, ein kollektiv-kommunikativer Prozess mit allen Mitarbeiter*innen von Stop-Stalking. Ich danke von Herzen Jochen Gladow, Helene Hille, Marcin Jankowski und Olga Siepelmeyer. Ungezählte Stunden gemeinsamer Diskussion mündeten schließlich in Beiträgen, für die jeweils einzelne die (Erst-)Autorenschaft übernehmen, und in denen doch das Herzblut aller steckt.

Damit sich Mosaiksteine zusammenfügen lassen, braucht es auch einen Kitt. Mein Dank gilt zwei hochengagierte Praktikantinnen: Stefanie Overmann hat ihr juristisches Fachwissen an vielen Stellen einbringen können. Caroline Pampus hat uns bei vielen Vorarbeiten und Hintergrundrecherchen eine Menge Arbeit abgenommen. Ich danke insbesondere unserem Büromitarbeiter Karl Scheithauer, der durch sein sprachkluges Lektorat vielen Beiträgen mit wertvollen Anregungen und Strukturierungsvorschlägen den Feinschliff verpasst hat. Dank gebührt auch Jan Sebens, der uns Autor*innen im Büro den Rücken freigehalten und uns nach besten Kräften unterstützt hat.

Der Beitrag von Suzan van der Aa über den Vergleich der Stalkinggesetzgebung in Europa wurde auf Englisch verfasst. Roland Bachmann hat die komplexen juristischen und länderspezifischen Sachverhalte hochdifferenziert und profund ins Deutsch übersetzt; Autorin wie Übersetzer gebührt ein großes Dankeschön!

Das Lektorat des Kohlhammer-Verlags hat mich von Anfang bis Ende unaufdringlich und dennoch sorgsam begleitet und in schwierigen Momenten unterstützt. Celestina Filbrandt bin ich für ihr aufmerksames und geduldiges Lektorat zu großem Dank verpflichtet.

Wenn ein Familienvater sich zusätzlich zum beruflichen Alltagsgeschäft als Herausgeber und Autor betätigen möchte, kommt die Familie zu kurz. Ich danke meiner Frau und meinen Töchtern für ihr Verständnis und die große Geduld, die sie mit mir hatten, wenn ich an vielen Abenden und Wochenenden ins Arbeitszimmer entschwand, von ganzem Herzen!

Alle geschriebenen und ungeschriebenen Beiträge machen das ganze Buch zu mehr als der Summe seiner Teile. Darüber können wir uns gemeinsam freuen!

Wolf Ortiz-Müller

 

Grußwort

Dirk Kurbjuweit

 

 

Ein Mann kommt in eine Kneipe und ruft: »Freibier für alle, ich habe gerade meine Frau erschossen.« Alle freuen sich, guter Witz. Dann stellt sich heraus, dass es kein Witz ist. Der Mann hat seine Frau tatsächlich erschossen. Die Polizei wird gerufen.

Ich habe diese Geschichte nach einer Lesung gehört, von dem Buchhändler. Er kannte die Frau, sie war Teilhaberin der Buchhandlung und wohnte gegenüber. Ihr Ex-Mann hat sie nach der Trennung gestalkt und bedroht. Niemand half ihr.

Seitdem ich den Roman »Angst« geschrieben habe, wurden mir viele solcher Geschichten erzählt. Dies ist die krasseste. Opfer von Stalking schreiben mir oder kommen zu meinen Lesungen. Sie fragen mich, ob ich ihnen helfen könne. Aber ich kann ihnen nicht helfen. Ich gebe ihnen die Adresse einer Hilfsorganisation, eine Adresse, die sie schon haben. Wieder ist für sie eine kleine Hoffnung geplatzt.

Menschen, die gestalkt werden, leiden vor allem unter der Hilflosigkeit. Ich weiß das, seitdem meine Familie gestalkt wurde, vor dreizehn Jahren. Wir waren auch hilflos, jedenfalls lange Zeit, bis dann doch Hilfe kam. Wir haben Glück gehabt. Diese Erlebnisse habe ich in dem Roman »Angst« verarbeitet, aber erst zehn Jahre später, nachdem die Wunden verheilt waren. Ich musste nichts mehr verarbeiten, es war nur noch ein interessanter Stoff, auch wenn das vielleicht ein bisschen zynisch klingt. Schriftsteller denken so. Ihr Leben wird zum Erzählstoff.

Weil ich Journalist und Schriftsteller bin, hatte ich viele Stalker. Sie lesen meine Geschichten, finden darin etwas, das sie in besonderer Weise anspricht und wollen mich kennenlernen. Sie schreiben mir, sie rufen mich an. Manchmal ist das harmlos, ein kurzer Versuch, manchmal wird es zum Stalking. Sie rufen täglich an, sie rufen zwölfmal am Tag an, sie reden mir stundenlang auf die Mobilbox, sie warten an der Tür meines Büros, sie schreiben lange, lange Briefe, die Seiten ohne Rand, ohne Abstand zwischen den Zeilen, kleine Buchstaben. Das sind ausnahmslos Frauen.

Es ist nie etwas Schlimmes passiert. Es hat genervt, und nun ist es schon eine Weile her, dass es zuletzt geschah. Ich würde mich in diesen Fällen nicht ein Stalkingopfer nennen. Meine Kollegen erzählen ähnliche Geschichten, es gehört wohl zum Beruf.

Aber einmal war es anders, da war es ein Mann.

Die Kinder waren klein, wir kauften uns im Berliner Südwesten eine Wohnung mit Garten. Ein hübsches Haus, früher ein Einfamilienhaus, jetzt in vier Wohnungen unterteilt, vom Souterrain bis zum Dachgeschoss. Wir kauften die Wohnung im Hochparterre. Vorher trafen wir die anderen Bewohner, und da war auch ein Mann aus dem Souterrain, ein alter Mann. Nette Leute. Wir erwarteten eine gute Nachbarschaft. Was wir nicht erfuhren: Im Souterrain lebte auch ein jüngerer Mann.

Als ich ihn, nach dem Einzug, zum ersten Mal sah, war ich schockiert. Er sah irgendwie seltsam aus, klein, dick, aber das war es nicht. Da war etwas Gehetztes, Unruhiges in seinem Blick. Ich schämte mich ein bisschen für diesen Gedanken. Man soll doch Menschen nicht nach ihrem Aussehen beurteilen.

Bald lag Kuchen auf unserer Fußmatte, selbst gebacken. Ein Zettel: auf gute Nachbarschaft. So hat es begonnen.

Er backte Kekse. Er backte Kuchen. Er backte Pizza. Dann wieder Kekse. Kuchen. Pizza. Wir redeten mit ihm. Das sei doch nicht nötig, wir waren nett, verständnisvoll. Wenn meine damalige Frau Bettina vom Einkaufen zurückkehrte, drückte er den Summer für die Gartenpforte, damit sie bequem hereinkam. Er hatte die ganze Zeit gewartet. Zu Sylvester stieg er aus seinem Souterrain und schoss mit einer scharfen Pistole in die Luft. Er hatte eine Pistole, das wusste ich nun.

Er machte unverschämte Anspielungen gegenüber Bettina, er wurde frech. Wir redeten mit ihm, bestimmt, scharf. Er zog sich zurück. Wir dachten, dass wir es geschafft hätten.

Nach ein paar Monaten musste ich verreisen. In einer der Nächte, als Bettina allein mit den beiden Kindern zu Hause war, versuchte er, in unsere Wohnung einzudringen. Sie rief die Polizei, er wurde ermahnt. Ich flog am nächsten Tag zurück. Im Gebüsch unter unserem Schlafzimmer fand ich eine Leiter.

Von da an schrieb er Briefe. Er schrieb, dass er uns die ganze Zeit beobachtet habe, weil wir unsere Kinder sexuell missbrauchen würden. Er würde Anzeige erstatten. Ich will nicht noch einmal die ganze Geschichte erzählen. Es war die Hölle. Wir haben alles versucht, ihn loszuwerden, mit einer Anwältin, über die Polizei, Ämter, seinen Vermieter. Wir hatten Angst um die Kinder, ich hatte Angst um Bettina, wir wollten ausziehen, aber wir waren auch trotzig. Wir hatten ihm nichts getan, seine Anschuldigungen waren der reine Blödsinn, und wir wollten nicht vor dem Unrecht weichen. Wenn er bis Weihnachten nicht verschwunden ist, sagten wir, ziehen wir aus, verkaufen mit Verlust. Raus aus der Hölle. Es waren noch fünf Monate bis Weihnachten.

Ich hatte Mordphantasien. Freunde empfahlen mir tschetschenische Türsteher und deutsche Rocker. Die würden das Problem schon lösen. Man ist da plötzlich in einer anderen Welt. Der Firniss der Zivilisation ist wahrlich dünn. Aber wir waren im Recht und wollten uns nicht ins Unrecht setzen.

Dann kam Hilfe. Wir hatten die ganze Zeit Kontakt zu einer Kriminalpsychologin. Wir brachten ihr die Briefe, wir erzählten von unserem Leid, unseren inneren Kämpfen. Sie sagte, dass sie uns nicht helfen könne, solange der Stalker nicht gegen Gesetze verstoße. Das tat er nicht, er war schlau. Wenn er aber freiwillig käme, sagte sie, könne sie etwas tun.

Eines Tages, als er wieder infame Anschuldigungen ausgesprochen hatte, rannte ich ins Souterrain und schrie ihm durch die Tür einige unfreundliche Sätze zu. Aber auch diese Worte: Sie sind krank, Sie müssen sich helfen lassen.

Am nächsten Tag rief er mich an. Er hatte meine Handynummer von den frühen, den freundlichen Tagen. Er hatte immer dunkle und helle Phasen. Den einen Tag hängte er einen Zettel in den Hausflur, auf dem er beschrieb, was wir vor einer Stunde angeblich mit unseren Kindern gemacht hätten. Am nächsten Tag hing dort ein Zettel, auf dem stand, dass er das alles nur erfunden habe, dass es ihm leid täte und er nie wieder einen solchen Scheiß behaupten würde. Am folgenden Tag ...

Offenkundig hatte er wieder eine helle Phase. Er sagte, er habe über meinen Satz nachgedacht, dass er krank sei und Hilfe brauche. Er habe manchmal auch diesen Eindruck. Ob ich ihm helfen könne? Ich musste fast lachen. Ich kann Ihnen nicht helfen, sagte ich, aber ich kenne jemanden, der Ihnen helfen kann. Ich gab ihm die Nummer der Kriminalpsychologin. Zwei Tage später sah ich ihn mit einem Köfferchen durch die Gartenpforte gehen. Er kam nicht mehr wieder.

Die Kriminalpsychologin durfte uns nicht sagen, wo er war. Aber sie sagte, dass er dort nicht weg könne, wir müssten uns keine Sorgen machen. Nach einem halben Jahr kam ein Brief, in dem er sich für alles entschuldigte, für die üblen Behauptungen, die Nachstellungen. Wir haben natürlich nicht geantwortet. Nach zwei Jahren erfuhren wir, dass er gestorben war, Herzinfarkt.

Für mich ist diese Geschichte heute fast mehr Literatur als Leben. Ich habe das Buch geschrieben, in dem Randolph Tiefenthaler die Dinge so ähnlich erlebt, wie ich sie erlebt habe und doch anders. Es gibt ein Theaterstück, ein Hörspiel, bald gibt es einen Film. Wir haben das gut überstanden, er spielt keine Rolle für uns. Manchmal mache ich mit den Kindern einen Witz über Herrn Tiberius. Das ist sein Name im Roman, nicht sein echter.

Wenn ich das vergleiche mit den Geschichten, die ich inzwischen gehört und gelesen habe, hatten wir Glück. Wir wurden unseren Stalker nach relativ kurzer Zeit los, andere müssen Jahre damit leben.

Bei den Lesungen, wie gesagt, habe ich viel schlimmere Geschichten gehört. Nachdem ich gelesen habe, kann das Publikum Fragen stellen, und manchmal stand jemand auf und erzählte seine Geschichte. Die anderen Leute waren bald genervt, weil sie zu einer Lesung gekommen waren und über Literatur reden wollten. Mir taten diese Stalkingopfer unendlich leid. Sie wollten, dass ihnen jemand zuhört.

Ich bin kein Experte für diese Sache. Ich kann nur meine Geschichte erzählen. Manchmal regen sich Leute auf, weil Tiefenthaler so passiv war, weil er den Tiberius nicht einfach zusammengeschlagen hat. Oder sie fordern scharfe Gesetze. Ich sage dann, dass ich das schwierig finde. Stalking entsteht oft aus Liebeskummer und Einsamkeit, und in diesen Zuständen macht man schon mal dumme Sachen. Es ist schwer, eine Grenze zu ziehen, ab wann das Gesetz seine Krallen zeigt, aber es muss Krallen haben, falls sich die dummen Sachen zur Hölle addieren und zu Verbrechen werden.

Ich kann nicht beurteilen, ob das neue Anti-Stalking-Gesetz die Lage der Opfer verbessert. Ich hoffe es sehr. Damals gab es kein Gesetz, das uns helfen konnte, und es wäre ein großer Fortschritt, wenn es das jetzt gäbe. Man muss wohl abwarten, wie die Erfahrungen sein werden. Mir ist klar, dass ein Mensch, der gestalkt wird, in der Hölle lebt, dass ein Stalker eine Existenz vernichten kann, seelisch und materiell. Es wäre wunderbar, könnte dieses Buch dazu beitragen, dass diesen Menschen geholfen wird.

 

 

 

I           Einführung

 

1          Das Buch stellt sich vor

Wolf Ortiz-Müller

 

 

Ein Buch findet bei manchen Leser*innen Interesse wegen des Klappentextes, für andere braucht es das eingehende Studium des Inhaltsverzeichnisses – viele lassen sich erst dadurch gewinnen, dass die Überlegungen des Herausgebers transparent gemacht werden, die ihn bei der Zusammenstellung der Beiträge geleitet haben.

Wenn ein Praxishandbuch seinem Namen gerecht werden möchte, muss es so aufgebaut sein, dass alle Leser*innen sich leicht orientieren können. Nicht alle möchten die Artikel nacheinander lesen, sondern ihre eigenen Interessensschwerpunkte rasch nachschlagen. Zudem möchte man vielleicht inhaltliche Fragestellungen, zu denen sich mehrere Autor*innen äußern, miteinander vergleichen können.

Daher haben wir uns bemüht, dass die Leser*innen in allen Kapiteln eine möglichst einheitliche Struktur wiederfinden: Jedem Kapitel ist eine Binnengliederung vorangestellt, der sich eine Zusammenfassung in einem grau unterlegten Kasten anschließt, auf den die Einleitung in die Thematik des Beitrags folgt. Im Theorieteil erfolgt die wissenschaftliche Einordnung des Themas und seine Hintergründe werden erhellt. Im Praxisteil wird die Umsetzung dieser Thematik in der praktischen Anwendung beschrieben und anhand eines oder mehrerer Fallbeispiele illustriert. Darauf folgt die Sicht einer jeden Autor*in auf den Veränderungsbedarf beziehungsweise die Kritik am aktuellen Stand, um mit Lösungs- und Verbesserungsvorschlägen sowie einem Fazit abzuschließen.

Ein Grußwort von Dirk Kurbjuweit, des Chefredakteurs des SPIEGEL, in einem Fachbuch erscheint ungewöhnlich; geschuldet ist es seiner Erfahrung als Betroffener von Stalking, die er im Roman »Angst« verarbeitet hat. Tatsächlich war eine Talkshow von Reinhold Beckmann zum Thema Stalking – wehrlos gegen Psychoterror? im Jahr 2012, in der Dirk Kurbjuweit, Jens Hoffmann als Stalkingexperte, die Strafrechtsprofessorin Regina Harzer und ich – Wolf Ortiz-Müller – zu Gast waren, gewissermaßen die Geburtsstunde meiner Idee, in einem Buch das Expertenwissen über Stalking und die Überlegungen aus Strafrecht, Strafverfolgung, Psychologie, Psychiatrie und Sozialarbeit zu vereinen.

Im nun vorliegenden Werk sind fünf inhaltliche Schwerpunkte mit jeweils mehreren Einzelbeiträgen unterschiedlicher Autor*innen gesetzt. Hinzu kommen ein Glossar und ein Anhang mit einschlägigen Gesetzestexten.

I                 Einführung

Im ersten Teil bieten wir einen Überblick über das Phänomen Stalking, so dass auch Leser*innen, die bisher nicht weit in die Materie eingedrungen sind, ihr Wissensinteresse mit den nachfolgenden speziellen Aspekten und Sichtweisen vertiefen können.

Kapitel 2

Ortiz-Müller nähert sich der Thematik in Stalking verstehen aus einer sozialpsychologischen, einer kulturhistorischen und kriminologischen Perspektive und bietet einen Überblick über relevante Entwicklungen und Erkenntnisse zu Stalking.

Kapitel 3

Siepelmeyer und Ortiz-Müller stellen in Prävalenz, Demographie und Typologien des Stalkings den aktuellen Forschungsstand über die Verbreitung von Stalking dar. Sie befassen sich mit der Vergleichbarkeit der Studien je nach der zugrundeliegenden Definition und stellen die wichtigsten Klassifizierungen von Stalker*innen dar.

II                Stalking, Recht und Strafverfolgung

Der zweite Teil beschäftigt sich mit Stalking aus der Perspektive des Rechts, der Gesetzgebung und der Strafverfolgung.

Kapitel 4

Fünfsinn und Frenkler fassen in Stalking 2.0 – das Nachstellungsgesetz im Wandel den aktuellen Stand der Gesetzgebung zusammen. Das Kapitel geht den Fragen nach: Wie kam es 2007 zum § 238 StGB und welche Erfahrungen wurden damit gesammelt, so dass der Bundestag eine Novellierung verabschiedete? Wie unterscheidet sich ein Erfolgsdelikt von einem Eignungsdelikt und welche Auswirkungen kann das auf den Opferschutz und die Verfolgung der Straftäter*innen haben?

Nach dieser Einführung beschreiben die folgenden drei Kapitel die Aufgaben und das Vorgehen von Rechtsanwält*innen, Polizei und Staatsanwaltschaft im Verlauf eines zur Anzeige gebrachten Stalkingfalls.

Kapitel 5

Clemm zeichnet in Parteilich vertreten aus Sicht einer Opferanwältin anhand eines Fallbeispiels die zahlreichen Varianten nach, die im strafrechtlichen wie im zivilrechtlichen Vorgehen nach dem Gewaltschutzgesetz berücksichtigt werden müssen, um ein Opfer angemessen zu schützen.

Kapitel 6

Niemann beleuchtet in Die Gefährderansprache der Berliner Polizei einen Aspekt der polizeilichen Arbeit, der jenseits der klassischen Ermittlungstätigkeit liegt. Aus der Praxis eines Verhaltenstrainers der Berliner Polizei stellt er ein Instrument vor, dem bei Stalking eine besondere Bedeutung zukommt. Er skizziert die der Gefährderansprache zugrundeliegenden Ideen und ihre Rechtsstellung.

Kapitel 7

Winterer schildert in Stalking bei der Staats-/Amtsanwaltschaft, wie die Staatsanwaltschaft mit Stalkingfällen verfährt. An Fallbeispielen wird diskutiert, welche anderen Straftatbestände von den Stalkingverhaltensweisen berührt sein können und wie diesbezüglich vorgegangen werden kann. Die Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer Verurteilung werden ebenso erklärt, wie die Verfahrensweisen bei Einstellung des Verfahrens mit und ohne Auflage. Die Schwachstellen in der Anwendung des § 238 StGB von 2007 werden anhand der Erfahrungen einer Staatsanwältin aufgezeigt.

Kapitel 8

Van der Aa nimmt in Stalking als Straftatbestand – Neue Tendenzen in den EU-Mitgliedstaaten die europäische Perspektive ein: Im Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt von 2013 wird erstmals Stalking als Verhalten benannt, für dessen Verfolgung die Mitgliedsstaaten gesetzliche Grundlagen schaffen sollen. Die Zusammenstellung der Gesetze von EU-Staaten in diesem Beitrag ermöglicht für den deutschsprachigen Raum einen Vergleich des gesetzgeberischen Vorgehens hinsichtlich der Rechtstraditionen und Entstehungsgeschichten. Die Autorin zeigt aktuelle Tendenzen auf, die einen Input für die juristische Fachdiskussion liefern. Der englischsprachige Anhang mit tabellarischem Vergleich bietet eine Grundlage für vertiefende Diskussionen.

III               Stalking und Beratungspraxis

Der dritte Teil des Buchs widmet sich der Beratungspraxis, die bei Stop-Stalking und in anderen Einrichtungen entwickelt wurde.

Kapitel 9

Siepelmeyer und Ortiz-Müller nehmen in Hilfe, wo bist du? die Angebotslücken ins Visier und fassen die Ergebnisse einer Bestandsaufnahme der Stalkingberatungen in Deutschland zusammen. Sie beschreiben überblicksweise die beteiligten Institutionen in den jeweiligen Bundesländern und präsentieren die Selbstauskünfte der korrespondierenden Einrichtungen über ihr Angebot und Arbeitsverständnis.

Kapitel 10

Gladow und Ortiz-Müller skizzieren in Stop-Stalking: Erst die Täter*innen, dann die Opfer? die Idee, die Entstehungsgeschichte und die Rahmenbedingungen der Beratungsstelle. Sie beschreiben, wie das Angebot von Täter*innen auf die Opfer erweitert wurde, wie die Menschen zu Stop-Stalking finden und was sie dort vorfinden.

Kapitel 11

Hille, Siepelmeyer, Gladow, Jankowski und Ortiz-Müller befassen sich in Psychosoziale Beratung von Menschen, die stalken, mit den Grundlagen, die beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Arbeit mit Täter*innen zu berücksichtigen sind. Den praktischen Erfahrungshintergrund dieser Konzeption bildet die Beratung der Stalker*innen bei Stop-Stalking. Die Gliederung des Vorgehens in Modulen erleichtert die Übertragbarkeit und die Anpassung auf andere Kontexte.

Kapitel 12

Drei Klienten von Stop-Stalking kommen in Die Perspektive der Täter auf die Beratung zu Wort. Nach Abschluss der Gesprächsreihen schildern sie ihre Erfahrungen mit der für sie ungewohnten Beratungssituation und was diese in ihnen verändert hat.

Kapitel 13

Siepelmeyer, Gladow, Hille, Jankowski und Ortiz-Müller widmen sich in Die Beratung von Stalkingbetroffenen der Arbeit mit den Opfern. Hier werden vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Viktimisierungsforschung mit ihren praktischen Erfahrungen im Beratungssetting der Einrichtung verknüpft. Anhand von Fallbeispielen wird anschaulich, wie Schutzmaßnahmen entwickelt und wie die innere Verunsicherung der Betroffenen in Folge des Stalkings überwunden werden können.

Kapitel 14

Drei Betroffene reflektieren in Die Perspektive der Opfer auf die Beratung über die Veränderungen, die sie sich im Beratungsprozess erarbeitet haben.

Kapitel 15

Ortiz-Müller, Hille, Gladow und Siepelmeyer stellen in Trennen, was nicht zusammengehört das Konzept einer integrierten Täter-Opfer-Beratung vor. Es sieht vor, innerhalb einer Einrichtung – jedoch strikt getrennt – beide Seiten in Einzelgesprächen zu beraten. Der Beitrag diskutiert, wofür ein solches Vorgehen nützlich und inwiefern es der Beratung nur der Opfer oder nur der Täter*innen überlegen ist. Anhand eines Fallbeispiels schildert er die Anforderungen, die sich Berater*innen stellen, wenn konträre Sichtweisen von Opfern und Täter*innen so durchdrungen werden sollen, dass beide Seiten von einer Beendigung des Stalkings profitieren.

Kapitel 16

Winter skizziert in Die Praxis des Bremer Kriseninterventionsteams Stalking (Stalking-KIT) und seine institutionelle Vernetzung ein präzise abgestimmtes Herangehen, wie es durch die enge Verzahnung mit den Strafverfolgungsbehörden möglich wurde. Opfer wie Täter*innen werden zeitnah proaktiv kontaktiert. Sein Fallbeispiel macht das tiefenpsychologische Verständnis des Stalkinggeschehens mit allen Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen, denen beide Seiten ausgesetzt sein können, anschaulich.

Kapitel 17

Doering weitet in Aus Betroffenheit zur Expertin-in-eigener-Sache werden den Blick, indem sie deutlich macht deutlich, dass Beratung nicht nur von professionellen Helfer*innen geleistet wird, sondern dass auch Ansätze zur Selbsthilfe engagierter Betroffener Bestandteil eines entstehenden Netzwerks sind.

IV              Stalking – Facetten der Praxis

Der vierte Teil des Buchs behandelt wesentliche Fragen des Umgangs mit Stalking, die in jedem Fall mitreflektiert werden müssen. Die fünf Kapitel beschäftigen sich mit den Konsequenzen, die aus Stalking resultieren können.

Kapitel 18

Hoffmann und Streich stellen in Bedrohungsmanagement in Fällen von Stalking als eine Fachdisziplin vor, in der gemäß des Mottos »Erkennen, Einschätzen, Entschärfen« eine verhaltensorientierte Risikoanalyse eng verzahnt mit einem Fallmanagement durchgeführt wird. Sie beschreiben als Ziel, dass es zu keiner Gewalteskalation kommt und stellen das fachübergreifende Vorgehen des Bedrohungsmanagements anhand von zwei Falldarstellungen vor.

Kapitel 19

Dreßing macht in Risikoanalyse bei Stalking deutlich, dass jeder Stalkingfall das Risiko einer gewaltsamen Eskalation bis hin zur Tötung des Stalkingopfers in sich birgt, so dass eine Risikoeinschätzung essentiell ist. Er stellt die Anwendungsmöglichkeiten des ins Deutsche übersetzten Stalking Risk Profile vor, das im angelsächsischen Sprachraum große Verbreitung gefunden hat.

Kapitel 20

Lau fragt in Stalking und Forensik nach der Schuldfähigkeit von Stalker*innen. Wann und aufgrund welcher psychiatrischen Störungen ist diese eingeschränkt? Wann bietet der Maßregelvollzug den nötigen Schutzraum für die stalkende Person und den betroffenen Menschen, der vor ihr geschützt werden muss?

Kapitel 21

Hahn setzt sich in Behandlung straffällig gewordener Menschen mit der Frage auseinander, wie Menschen in forensischen Psychiatrien behandelt werden können und beschreibt, wie Therapie und Kontrolle ineinander greifen. Auch unter Zwangsbedingungen kann eine Orientierung stärker an den Ressourcen der Behandelten als an ihren Defiziten positive Auswirkungen auf ihre Kriminalprognose haben.

Kapitel 22

Pliska und Jankowski beschäftigen sich in Vorgebliche Stalkingopfer mit jenen Menschen, die sich häufig bei der Polizei und bei Opferberatungsstellen melden, jedoch keine wirklichen Stalkingopfer sind. Sie skizzieren unterschiedliche Hintergründe für ihre Selbstbeschreibung als Opfer und untersuchen insbesondere die Problematik der Menschen mit einer Wahnvorstellung, von einer oder mehreren Personen gestalkt zu werden. Wie lassen sich vorgebliche Opfer erkennen? Wo finden sie eine angemessene Behandlung?

V               Begleitforschung in der Täterarbeit

Im fünften Teil des Buchs werden wissenschaftliche Arbeiten vorgestellt, die als Begleitforschung der Täterarbeit bei Stop-Stalking entstanden sind.

Kapitel 23

Lenk widmet sich in Hilfe für die Täter*innen den Wirkfaktoren der Beratung von Täter*innen, die inhaltsanalytisch aus Interviews mit ratsuchenden Stalker*innen und ihren Berater*innen gewonnen wurden. In Anlehnung an die Psychotherapieforschung von Grawe stellt das Kapitel eine Matrix vor, welche Faktoren berücksichtigt werden sollten, damit das Stalkingverhalten erfolgreich aufgearbeitet werden kann.

Kapitel 24

Rabe geht in Was sind die Gründe für Stalking? Eine Analyse der Klient*innen von Stop-Stalking Berlin hinsichtlich motivationaler und demografischer Merkmale im Gendervergleich der Frage nach, wie Männer und wie Frauen stalken. Die Auswertung der über fünf Jahre erhobenen Daten der Täterarbeit liefert Erkenntnisse über die Entwicklung ihres Stalkings und über geschlechtsspezifische Unterschiede.

Kapitel 25

Ortiz-Müller, Mörsen und Heinz beschreiben in Stalking als Verhaltenssucht? eine Studie über die Frage, ob bei einer Untergruppe von Stalker*innen die Kriterien einer Verhaltenssucht erfüllt sind. Den Teilnehmer*innen einer Onlineerhebung wurde ein Fragebogen vorgelegt, in dem Merkmale spielsüchtigen Verhaltens auf ihr subjektives Erleben beim Stalking übertragen wurden.

VI               Anhang

26              Glossar

In den einzelnen Artikeln tauchen viele Fachausdrücke aus der juristischen und psychologischen Sprache auf. Diejenigen Begriffe, die wir erklärungswürdig finden, haben wir im laufenden Text mit der Markierung G versehen. Sie finden sich alphabetisch in einem Glossar am Ende des Buchs wieder.

27              Sammlung einschlägiger Gesetze und Paragraphen

Die Festlegung, ab wann Stalking ein Straftatbestand ist, regelt der § 238 des Strafgesetzbuchs. Dieses Nachstellungsgesetz wie auch andere relevante Gesetze und Paragraphen aus dem Strafrecht, dem Zivilrecht, aus der Strafprozessordnung lassen sich hier nachschlagen.

28              Autor*innen-Verzeichnis

Alle beteiligten Autor*innen stellen sich mit ihrem beruflichen Profil vor.

 

2          Stalking verstehen

Eine Annäherung an ein sozialpsychologisches Phänomen

Wolf Ortiz-Müller

  1. 2.1 Zielsetzung und Position des Buches
  2. 2.2 Stalking als sozialpsychologisches Phänomen
  3. 2.2.1 Bindungs- und Trennungskompetenz
  4. 2.2.2 Privatsphäre, Gender und der Diskurs über Selbstbestimmung
  5. Gender in der Sprache
  6. 2.3 Definitionen von Stalking
  7. 2.3.1 Mad or bad?
  8. 2.4 Trennungsunschärfen bei Trennungsversuchen
  9. 2.4.1 Die Rolle der sozialen Medien
  10. 2.4.2 Cyberstalking
  11. 2.4.3 Abgrenzung von Mobbing und Stalking
  12. 2.4.4 Schwelle zum Stalking
  13. 2.5 Die Konsequenzen der Gesellschaft
  14. 2.5.1 Parteiliche Beratung vs. Opferbeschuldigung – » Victim blaming«
  15. 2.5.2 Gesetzgebungsproblematik - das Private ist juristisch
  16. 2.5.3 Stalking verstehen
  17. 2.6 Literatur

 

 

Zusammenfassung:

Stalking wird als ein sozialpsychologisches Phänomen in seiner Entstehungsgeschichte skizziert. Die Suche nach Erklärungen, warum Stalking heute ein relevantes gesellschaftliches Thema ist, reicht von antiken Mythen über die Entwicklung moderner Medien und Kommunikationsformen bis hin zu den Veränderungen der Privatsphäre im Zeitalter der Digitalisierung. An der Sanktionierung von Stalking, als Teil der Stärkung des Rechts auf Selbstbestimmung, hat die Frauenbewegung einen relevanten Anteil. Der Begriff Stalking wird definiert und gegen Mobbing, Cyberstalking und ambivalentes Verhalten nach Trennungen abgegrenzt. Was als Stalking gilt, hat Auswirkungen darauf, mit welchem Ansatz Betroffene und Täter*innen beraten werden. Die Problematik der Strafgesetzgebung wird umrissen. Der Begriff des Stalkings »als Problemverhalten«, das einen verstehenden Zugang zu Stalking erlaubt, wird der Zuordnung zu »kriminell« oder »krankhaft« gegenübergestellt. Die Zielsetzung des Buchs ist es, professionellen Helfer*innen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern einen praxisbezogenen Wegweiser für den eigenen beruflichen Umgang mit Stalking zur Hand zu geben.

 

2.1       Zielsetzung und Position des Buches

Das vorliegende Praxishandbuch Stalking möchte ein weites Spektrum interessierter Leser*innen ansprechen. Denn Stalking taucht in vielen beruflichen Kontexten auf, in denen Strafverfolgung und psychiatrische Beurteilung nur Eckpunkte in einem mehrschichtigen Geflecht markieren.

Jenseits der spezialisierten Einrichtungen wie Haftanstalten, forensischen Psychiatrien oder Allgemeinpsychiatrien werden die meisten Leser*innen dort auf Stalkingproblematiken treffen, wo sie empirisch am häufigsten zu finden sind: In der Mitte der Gesellschaft, im Alltag, im Bekanntenkreis. Stalking begegnet ihnen in beruflichen Kontexten, die mit Beratung und Therapie, mit Trennungen und mit elterlichen Auseinandersetzungen z. B. im Kontext von Sorgerecht und Kindeswohl zu tun haben.

Mit dem vorliegenden Praxishandbuch möchten wir einen Schritt weitergehen: Die Herausgabe dieses Buchs ist von der Idee geleitet, möglichst umfassend und dennoch überschaubar alle relevanten Aspekte von Stalking gut gegliedert darzustellen und einem breiten Leserkreis in verständlicher Sprache zu erschließen. Egal, in welchem Tätigkeitsbereich sich ein Berührungspunkt mit Stalking ergibt, sollen die Bezüge in benachbarte Berufsgruppen rasch erkennbar werden. Über die eigenen Rahmenbedingungen und die Aufgabenstellungen der jeweils anderen Beteiligten Bescheid zu wissen, macht es erst möglich, den von Stalking Betroffenen zielgerichtet und effektiv Hilfe zu leisten.

Ein Praxishandbuch, das die Positionen vieler namhafter Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen zwischen zwei Buchdeckeln vereint, lebt auch von der fachlichen Diskussion der beteiligten Autor*innen. Gemeinsam möchten wir alle dazu beitragen, dass das von Stalking verursachte Leid verringert wird. Jedoch unterscheiden wir uns an bestimmten Punkten in der Überzeugung hinsichtlich des besten Wegs. Da mag es unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zwischen den Berufsfeldern der Jurist*innen und Psycholog*innen geben, aber auch innerhalb eines Handlungsfeldes ringen wir um das beste Vorgehen. Die Vertiefung unseres Handlungswissens auf dem Weg der Auseinandersetzung kann ein fruchtbarer Prozess sein, den wir mit dem vorliegenden Werk gerne mitgestalten möchten.

 

2.2       Stalking als sozialpsychologisches Phänomen

2017, im Erscheinungsjahr dieses Buches ist das Nachstellungsgesetz, der § 238 StGB seit zehn Jahre in Kraft. Bereits 2007 erkannte also der Gesetzgeber einen Regelungsbedarf –

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Abb. 1: Stalking im Netzwerk beteiligter Akteure und Diskurse

mehr noch: die Notwendigkeit einer Strafsanktionierung – für ein Bündel zwischenmenschlicher Verhaltensweisen, die als Nachstellung tituliert wurden, um den Anglizismus Stalking zu vermeiden. Weitere zehn Jahre früher, im Jahre 1997, hätte kaum jemand den deutschen oder den englischen Begriff mit Inhalt zu füllen gewusst.

Dennoch sind die dem Stalking zugrundeliegenden zwischenmenschlichen Befindlichkeiten ins Gedächtnis der Menschheit eingeschrieben und beschäftigten bereits in der Antike als Mythos die Dichter.

 

Der Mythos von Apollon und Daphne

In seinen Metamorphosen erzählt der römische Dichter Ovid vor 2000 Jahren von der ersten Liebe des Sonnengottes Apollon.

Dieser hatte den kindlichen Gott Amor (griechisch: Eros) hochmütig verspottet, er würde es nie schaffen, Liebesgefühle in Apoll zu wecken. Augenblicklich holte der in seinem Stolz verletzte Amor einen seiner gefürchteten goldenen Pfeile aus seinem Köcher und schoss ihn auf Apoll ab. Ohne die Chance auf Rettung entbrannte Apoll daraufhin in heftiger Liebe zur Nymphe Daphne. Damit nicht genug, schoss Amor einen zweiten Pfeil auf Daphne ab, jedoch nicht aus Gold, sondern aus Blei, der bei ihr statt Liebe Abwehr und sogar Hass erweckte. Voller Angst entzog sich Daphne den werbenden Worten des Apoll. Je heftiger er sie begehrte, desto verzweifelter wurde Daphne und floh »schneller als der leichte Lufthauch und bleibt nicht stehen auf die Worte hin, die er ihr nachruft: (...) weh’ mir, dass die Liebe durch keine Kräuter heilbar ist (...)«.

Ihre Flucht machte Apoll nur noch rasender in seiner Liebesglut und er begann, sie zu jagen. Daphne lief immer schneller, bis sie erschöpft und verzweifelt ihren Vater Peneios bat, sie zu verwandeln. »Vernichte durch Verwandlung die Gestalt, durch die ich allzu großen Gefallen erregt habe!«

Und prompt wuchsen die Haare zu Laub, die Arme zu Ästen; der Fuß verwuchs zu zähen Wurzeln, was von Daphne blieb, war ein Lorbeerbaum. Um seine Geliebte nun immer bei sich zu haben, erklärte Apollon den Lorbeerbaum zu seinem Heiligtum und trug ihn als Kranz immer bei sich.

Was hat es nun im späten 20. Jahrhundert nötig gemacht für Verhaltensweisen, die man früher schlicht Zudringlichkeit, Belästigung und Verfolgung nannte, ein soziales Konstrukt »Stalking« einzuführen?

Hierzu ist es hilfreich, den Fokus zunächst zu weiten und den Blick auf gesellschaftliche Veränderungen im Geschlechterverhältnis zu werfen, die sich im Vorfeld des Nachstellungsgesetzes vollzogen. Ein Ausgangspunkt kann im Kampf um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen verortet werden. Die Frauenbewegung gewann seit den 1970er Jahren an gesellschaftlichem und diskursivem Einfluss. Sie stellte zuvor nicht hinterfragte patriarchale Selbstverständlichkeiten zur Diskussion und stieß tiefgreifende Wandlungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und im Verhalten von Männern und Frauen an. Dies schlug sich unter anderem in einer Reihe von Gesetzesänderungen (zum Beispiel die Streichung des Schuldprinzips zugunsten des Zerrüttungsprinzips in der 1. Eherechtsreform von 1977, die Ausdehnung des Straftatbestands Vergewaltigung nach § 177 StGB auf sexuelle Nötigung innerhalb der Ehe von 1997) nieder und wirkt sich bis heute weiter aus. Die Unterordnung der Frau unter den Haushaltsvorstand Mann, die Anforderung, eheliche Pflichten zu erfüllen, oder die schuldhafte Scheidung erscheinen heute zum Glück als Relikte eines vergangenen Jahrhunderts.

Als ein aktueller Meilenstein mit unmittelbarem Bezug zum 2007 in Kraft getretenen Nachstellungsgesetz, dem § 238 des Strafgesetzbuchs, gilt das zivilrechtliche Gewaltschutzgesetz von 2002 durch die Ausweitung der Schutzrechte gewaltbetroffener Menschen.

Viele Sozialwissenschaftler*innen konstatieren, dass die Veränderung der Sexualmoral in der Folge der 1968er-Bewegung das Eingehen und Auflösen von Liebesbeziehungen leichter machte und den Zwang verminderte, nur um legitimierten Sex zu haben und eine gemeinsame Wohnung beziehen zu können, eine Ehe zu schließen. Soziolog*innen sprechen demzufolge vom gegenwärtigen Zeitalter der seriellen Monogamie (Haviland et al., 2013), um zum Ausdruck zu bringen, dass es zur Biographie eines durchschnittlichen erwachsenen Menschen gehört, bis ins höhere Lebensalter immer wieder längere oder kürzere Liebesbeziehungen einzugehen. Die Erfüllung des Eheversprechens »bis dass der Tod Euch scheidet« gilt heute angesichts der seit Jahrzehnten kontinuierlich steigenden Scheidungsraten fast schon als Besonderheit. Parallel hierzu spielt die Bindung an Religion, wie überhaupt an rigide Moralvorstellungen in der Privatsphäre und den Liebesbeziehungen eine immer geringere gesellschaftliche Rolle. Jegliche Art der Kontaktaufnahme und -gestaltung zwischen zwei Personen wird frei verhandelbar; als erlaubt wird angesehen, worauf sich die Partner*innen gemeinsam verständigen können. Es ist möglich, sexuelle Begegnungen zu teilen, ohne dafür eine dauerhafte Beziehung einzugehen oder in der Folge Ausschließlichkeit beanspruchen zu können. Ein unübersehbarer Markt von Internetforen, Partnerbörsen, Plattformen für (abweichende) Sexualpräferenzen, Dating-Apps, blind- und speed-dates schafft Verlockungen ungekannter Art. All das bedient einen Wunsch nach freier Auswahl und Verfügbarkeit von Angeboten zur Partnerfindung rund-um-die-Uhr. Diese Entwicklung geht scheinbar konfliktfrei einher mit dem gleichzeitigen Wunsch vieler junger Menschen nach einer romantischen Liebesbeziehung, in der Vertrauen, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit als wichtige Kennzeichen genannt werden (Sinus-Jugendstudie, 2016).

Wenn Intimität als scheinbar beliebig verfügbares Produkt von Angebot und Nachfrage angesehen wird, droht jedoch eine wichtige psychologische Funktion der Sexualität auszufallen. Sexualmediziner*innen betonen, dass Sexualität anthropologisch niemals nur der Fortpflanzung und auch nicht primär dem Lustgewinn diene. Eine häufig verkannte Funktion sei auch das Stiften von Bindung zwischen den Menschen, die sexuelle Begegnungen teilen (Ahlers, 2015).

2.2.1     Bindungs- und Trennungskompetenz

Bei den beschriebenen Entwicklungen erscheint die Hypothese plausibel, dass die Anforderungen an eine Bindungskompetenz heutiger gegenüber früheren Generationen mit seltenerem Partnerwechsel deutlich angestiegen sind. Die Bindungsforschung (Bowlby, 2006; Brisch 1999) beschäftigt sich mit der frühen Entstehung überdauernder Muster, wie sicher oder unsicher Kinder die Beziehung zu ihren Eltern erleben und als Matrix für späteres Beziehungsverhalten verinnerlichen.

Menschen sehen sich bereits bei der Kontaktanbahnung vor der Anforderung, bei sich selbst und beim Gegenüber die Erwartungen, die an einen möglichen Intimkontakt gestellt werden, zu erspüren, zu kommunizieren und darüber einen Konsens zu erzielen. Nur dann lässt sich der Gefahr vorbeugen, dass es nach der Begegnung zu folgenreichen Missverständnissen hinsichtlich der zu erwartenden Verbindlichkeit und eines Wiedersehens kommt. Die im Kontakt stehenden Menschen sollten – so der idealtypische Anspruch – zudem in der Lage sein, der anderen Person auf angemessene Weise mitzuteilen, dass sie sich trennen oder keine Fortsetzung der bis dahin eingegangenen Begegnungsmodalitäten möchten. Das fassen wir unter dem Begriff der Trennungskompetenz. Die in dieser Weise angesprochene Person sollte in der Lage sein, diese Mitteilung zeitnah richtig einzuordnen und mittelfristig in Übereinstimmung mit der eigenen emotionalen Befindlichkeit zu bringen. Sie sollte demnach Verletzung, Enttäuschung, Verlust, Trauer und Schmerz, Ängste, oftmals Abwertung, Selbstzweifel, vielleicht Ärger und Wut auf die »Trennungspartner*in« aushalten, in sich bewahren und verarbeiten. Sie soll die eigenen Gefühle möglichst nur in angemessener Form in die »Trennungskommunikation« zurückgeben. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass solche komplizierten, hoch emotionalen Aushandlungsprozesse häufig misslingen. Die Verarbeitung der Trennung kann bei den Beteiligten ganz unterschiedlich verlaufen; leicht entstehen daraus Dynamiken, die Stalking als Bewältigungsmodus fördern.

2.2.2     Privatsphäre, Gender und der Diskurs über Selbstbestimmung

Das Werbungsverhalten des Menschen ist historisch und kulturell starken Wandlungen unterworfen. Während es früher akzeptabel schien, den Wunsch nach Beziehung durch Beharrlichkeit auszudrücken, hat sich inzwischen ein soziokulturell-juristisches Verständnis etabliert, das den Vorrang der Abgrenzung betont. Gegen den explizit geäußerten Willen einer anderen Person vorzugehen, ist zum Gegenstand zahlreicher Gesetzgebungsverfahren geworden (Images II). Einerseits ist der Begriff der Privatsphäre ausgeweitet worden, des Raums, den jeder Mensch für sich beanspruchen kann, ohne sich darin von einer anderen Person stören lassen zu müssen. Andererseits ist die Privatsphäre in dem Sinne auch politisiert worden, dass zwischenmenschliche Verhaltensweisen in der Liebesbeziehung, Ehe oder Familie stärker juristischen, moralischen und gesellschaftlichen Kodizes und Reglementierungen unterworfen werden. »Das Private ist politisch« war damals ein bahnbrechendes Postulat der Emanzipation von Frauen – heute müsste man korrekterweise sagen »Das Private ist juristisch«.

Aktuell erkennen wir Facetten dieses umfassenden Selbstbestimmungsdiskurses in den politischen Debatten über ein verschärftes Sexualstrafrecht oder eben das Nachstellungsgesetz. Ausgangspunkt sind vielfach die Aktionen von Opferverbänden und der Frauenbewegung, die das Verständnis »Nein-heißt-Nein« gegenüber einem patriarchal tradierten »Nein-heißt-vielleicht-doch« im Alltag und auf juristischer Ebene durchsetzen wollen. Auch wenn sich viele Männer über ihre Geschlechtsgenossen angesichts grober Übergriffe empören mögen, bleibt das Geschlechterverhältnis in unserer Gesellschaft noch immer von patriarchalen Denk- und Verhaltensmustern durchzogen.

Gender in der Sprache

Ausgehend von unserem vorgeblichen biologischen Geschlecht werden wir alle in Männer- oder in Frauenrollenerwartungen sozialisiert. Auf diese sozial kreierten, erwarteten und fortwährend reproduzierten Rollen bezieht sich der Begriff Gender. Der Genderdiskurs hinterfragt diese Rollen und die damit assoziierten Phänomene kritisch. Er sensibilisiert auch für die verwendete Sprache, die bestimmte Kategorien und Begriffe scheinbar natürlich einem Geschlecht zuordnet, z. B. der Leser dieser Zeilen.

Aus diesem Grund haben sich viele Autor*innen des vorliegenden Werks dafür entschieden, die für viele Leser*innen zunächst noch ungewohnt wirkende Genderschreibweise Täter*in, Berater*innen etc. zu verwenden. Damit sollen beide sozialen Geschlechter einbezogen werden; der sogenannte Genderstar * verweist darauf, dass es darüber hinaus Menschen gibt, deren Genderidentität sich nicht in »Mann oder Frau« wiederfindet, sondern die eine Identität jenseits dieser Entweder-Oder-Aufteilung beanspruchen. Um den Lesefluss nicht weiter zu erschweren, haben sich diese Autor*innen gleichwohl dafür entschieden, es in zusammengesetzten Begriffen bei der herkömmlichen Schreibweise zu belassen: »Täterverhalten« anstelle von »Täter*innenverhalten«. Auch die Autorinnen und Autoren, die nicht in der genannten Form »gendern« verstehen ihre Schreibweisen als geschlechterübergreifend.

Die Verwendung der Begriffe für die »am Stalking beteiligten Personen« macht eine weitere Erläuterung notwendig: Wir sprechen von den Menschen, die stalken oder von der stalkenden Person. Damit wollen wir zum Ausdruck bringen, dass es um spezifische Verhaltensweisen geht und jemand mit dem Begriff »Stalker*in« nicht hinreichend beschrieben wird. Dennoch verwenden wir der Lesbarkeit halber auch den Begriff der »Stalker*in«, gleichrangig mit dem Begriff »Täter*in«. Ähnliches gilt für die andere Seite: »die gestalkte Person«, das »Opfer« oder auch die »Betroffenen« finden Verwendung, ohne damit eine spezifische Gendercharakterisierung vornehmen zu wollen. Oftmals sprechen wir auch neutral von Ratsuchenden oder Klient*innen.

 

2.3       Definitionen von Stalking

»Stalking, an old behavior, a new crime« betitelt Meloy, ein weit über die USA hinaus anerkannter Psychiater und Stalkingwissenschaftler im Jahr 1999 seinen Artikel – neun Jahre nach dem ersten einschlägigen Gesetz in Kalifornien (Meloy, 1999).

Stalkingdefinitionen variieren je nach Bezugsrahmen. Geht es eher um juristische Definitionen, die auf beobachtbares, beschreibbares Verhalten abzielen, oder steht das innerpsychische Erleben im Vordergrund? Ein weiterer Definitionsfokus richtet sich auf interaktionelle Aspekte der missglückenden Beziehungsgestaltung zwischen dem Menschen, der stalkt und dem Opfer.

Im Folgenden sollen einige wichtige Definitionsversuche übersichtsartig vorgestellt werden:

Nach Meloy (1998) ist Stalking das beabsichtigte, böswillige und wiederholte Verfolgen und Belästigen einer Person, das deren Sicherheit bedroht.